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Christian Meier: Caesar
dtv wissenschaft
Das Buch Der römische Diktator Gaius Julius Caesar, zu seiner Zeit wie in späteren Jahrhunderten umstritten, übt heute noch eine große Faszination aus. Er birgt viele Widersprüche in sich: ruchloser Demagoge und Mann von Ehre, verwöhnter Dandy und Spartaner, Literat und Welteroberer, Frauenheld und soldatisches Vorbild seiner Legionen, rachsüchtig bis zur Grausamkeit und gerühmt wegen seiner »clementia« (Milde); bei allen solchen Tugenden und Untugenden egozentrisch über alle Beschreibung – er überschreitet den Rubicon und beginnt den Bürgerkrieg, nicht um die Krankheiten Roms zu heilen, die er auch gar nicht sieht, sondern um seiner »dignita«, seiner Ehre und Würde willen. Dieses Buch ist weit mehr als bloß die Biographie eines bedeutenden Mannes. Der Autor sieht in dem Phänomen Caesar »eine eigentümliche Ausformung des Allgemeinen im Besonderen... und zudem eine durchaus aktuelle Problematik«. Es geht nicht nur um Caesar, sondern um die Bedeutung, die Technik und die Grenzen politischer Macht; um die Einsamkeit eines Außenseiters in den besonderen Umständen seiner Zeit – und um ein gerade in seiner Außerordentlichkeit, in seiner Bewegung an den Grenzen des Möglichen bemerkenswertes Exemplum menschlichen Lebens. Der Autor Christian Meier, einer der bekanntesten Historiker Deutschlands, wurde 1929 in Stolp in Pommern geboren. Er habilitierte sich in Frankfurt und lehrt heute – nach Stationen in Freiburg i. Br., Basel, Köln und Bochum – in München Alte Geschichte. Er trat mit einer Reihe von Publikationen an die Öffentlichkeit, darunter: ›Res Publica Amissa‹ (1966,2. Auflage 1980), ›Entstehung des Begriffs Demokratie‹ (1970), ›Die Entstehung des Politischem (1980), ›Politik und Anmut‹ (1985)
Christian Meier: Caesar
Mit 69 Abbildungen
Deutscher Taschenbuch Verlag
D
Ungekürzte Ausgabe Januar 1986 3. Auflage März 1993: 17. bis 20. Tausend Deutscher Taschenbuchverlag GmbH & Co. KG, München © 1982 Wolf Jobst Siedler Verlag GmbH, Berlin ISBN 3-88680-027-X Umschlaggestaltung: Celestino Piatti Umschlagfoto Titelseite: Archäologisches Museum Neapel (Kolossaler Bildniskopf des 2. Jahrhunderts n. Chr.) Satz: Bonge + Partner, Berlin Druck und Bindung: C. H. Beck’sche Buchdruckerei, Nördlingen Printed in Germany • ISBN 3-423-04596-5
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Caesar und Rom – zwei Wirklichkeiten Der Senat ruft gegen Caesar den Notstand aus • Caesar am Rubicon • Ungeheuerlichkeit des Kriegsgrunds • Standpunkte der Parteien im Zusammenhang der Konstellation • Zwei Wirklichkeiten Am 1. Januar 49 v. Chr. hatten die Consuln begonnen, mit aller Macht die Absetzung Caesars von seiner Statthalterschaft zu betreiben. Fast neun Jahre hatte er sie innegehabt; ihre Frist war abgelaufen. Nun beabsichtigte Caesar, sich um das Consulat des Jahres 48 zu bewerben und in die römische Innenpolitik zurückzukehren. Eben das aber wollten seine Gegner vereiteln. Noch bevor er überhaupt kandidieren konnte, sollte er sein Kommando niederlegen und als Privatmann nach Rom kommen. Dort sollte ihm der Prozeß wegen verschiedener Verfassungsbrüche gemacht werden, die er sich in seinem Consulat (59 v. Chr.) hatte zuschulden kommen lassen. Und das sollte offenbar unter militärischem Schutz geschehen, damit er das Gericht nicht unter Druck setzen, und wohl auch, damit das Gericht nicht ganz frei von Druck entscheiden konnte. Auf diese Weise, so scheint man gehofft zu haben, ließen sich Caesars politische Existenz vernichten und das Senatsregime voll wieder in Kraft setzen. Gleichgültig ob Caesar wirklich ein Gegner der herkömmlichen Ordnung war oder nicht: Er hatte deren Funktionieren früher nachhaltig gestört. Und es war zu befürchten, daß er verschiedene Forderungen gegen den Willen des Senats durchsetzen und damit so mächtig werden könnte, daß immer neue Konflikte und Niederlagen des Senats vorherzusehen waren. Wenn es ihm jetzt gelang, erneut Consul zu werden. Schon seit nahezu zwei Jahren hatten Caesars entschiedene Gegner versucht, Roms zentrales Regierungsorgan, den Senat, dazu zu bewegen, ihn abzusetzen. Immer wieder waren sie
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damit gescheitert, denn Caesar hatte einige Volkstribunen auf seine Seite gezogen, die durch ihr Vetorecht jeden Beschluß gegen ihn vereiteln konnten. Zeitweise ergriffen sie sogar die Offensive und vermochten der Senatsmehrheit Beschlüsse in Caesars Sinn abzuringen. Denn diese Mehrheit war zwar gegen den Proconsul und wünschte durchaus, daß dessen Statthalterschaft bald ein Ende finde. Aber noch mehr als gegen ihn war sie gegen einen Bürgerkrieg. Und daß mit Caesar nicht zu spaßen war, wußte sie, also war sie eher geneigt, ihm nachzugeben. Anfang Januar setzen dann die entschiedenen Gegner Caesars alle Hebel in Bewegung, um den Senat zu einem Beschluß zu bringen. Anhänger werden aufgeboten, Alarm geschlagen, eine mächtige, mitreißende Stimmung erzeugt. Man beschließt, wenn Caesar nicht bis zu einem bestimmten Tag sein Kommando niedergelegt habe, handle er gegen die Republik. Die Volkstribunen legen dagegen ihr Veto ein. Da sie nicht bereit sind, einzulenken, wird am 7. Januar der »äußerste Senatsbeschluß« gefaßt, das senatus consultum ultimum; grob gesagt: Es wird der Notstand ausgerufen. Die caesarianischen Volkstribunen verlassen daraufhin, als Sklaven verkleidet, die Stadt in einem der Mietwagen, die an den Stadttoren zu stehen pflegten (das war damals das normale Beförderungsmittel für längere Reisen – neben Pferd und Sänfte –, das Gespann konnte unterwegs gewechselt werden). So gefährdet war die Freiheit des römischen Volkes, wollten sie damit sagen, daß nicht einmal deren eigentliche Wächter, zu deren Schutz sich das Volk einst eidlich verpflichtet hatte, ihres Lebens mehr sicher sein konnten. Caesar befand sich zu dieser Zeit im äußersten Südosten seiner Provinz Gallia Cisalpina, in Ravenna. Dort erhielt er am Morgen des 10. Januar 49 – nach unserem Kalender Mitte November – durch einen Kurier die Nachricht von dem Senatsbeschluß und der Flucht der Volkstribunen. Sofort setzte er ohne viel Aufhebens eine Truppe in Richtung Ariminum (Rimini) in Marsch. Das war die erste größere Stadt im eigentlichen Bürgergebiet
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Italien, jenseits des Rubicon, der Grenze seiner Statthalterschaft. Der Entschluß war unerhört kühn. Denn Caesar hatte nur eine Legion bei sich, fünftausend Mann und dreihundert Reiter. Das Gros seiner Armee stand noch in Gallien. Aber er wollte das Überraschungsmoment nützen und die gegnerischen Vorbereitungen durchkreuzen. Caesar widmete sich in Ravenna zunächst Routinegeschäften. Er inspizierte eine Gladiatorenschule. Danach begab er sich ins Bad – sei es bei einem Gastfreund, sei es in einem öffentlichen Badehaus: Es hatte sich damals schon eine gewisse Badekultur ausgebildet, und Caesar pflegte sich sehr sorgfältig. Schließlich legte er sich im Kreise einer größeren Gesellschaft zu Tisch. Als die Dunkelheit einbrach, beurlaubte er sich – man möge sich nicht stören lassen, er käme demnächst zurück – und fuhr davon. Nicht auf direktem Wege. Eine unserer Quellen berichtet, er habe sich in der Dunkelheit verfahren. Einer anderen zufolge hat er absichtlich erst eine andere Richtung gewählt, um dann unbeachtet den Weg nach Süden einzuschlagen. Einigen Freunden hatte er insgeheim aufgetragen, sie möchten ihm folgen, jeder für sich. Spätestens am Rubicon traf man zusammen. Dort hielt Caesar inne. Er zögerte. Noch einmal ließ er – angesichts des kleinen, damals nach starken Regengüssen reißend dahinströmenden Flüßchens – dem Hin und Her der Argumente freien Lauf, setzte sich ihm aus und wiederholte seine Entscheidung. Für einen Moment erschien ihm das Vorhaben, in dem er schon mittendrin steckte, noch einmal von außen; und was er Schritt für Schritt in die Tat umzusetzen begonnen hatte, distanzierte und verdichtete sich ihm zu einem einzigen großen Schreckbild. Alle möglichen Konsequenzen seines Beginnens traten ihm in ihrer ganzen Ungeheuerlichkeit vor Augen; es könnte ihn durchaus geschwindelt haben. Er stand lange schweigend. Dann bezog er die Freunde in sein Abwägen ein. Einer von ihnen, Asinius Pollio, hat in seinen Historien darüber berichtet. Sie sind nicht überliefert; aber durch zwei antike Autoren ist Pollios Bericht in leicht unterschiedlicher Brechung auf uns gekommen. Ihm zufolge
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kreisten Caesars Gedanken um das Unglück, das er allen Menschen zumutete, wenn er jetzt den Schritt zum Kriege tat. Er überschlug, »wieviel Unglück der Übergang allen Menschen verursachen wird«. Er suchte, sich und seinen Entschluß im Urteil der Nachwelt zu sehen. Der eine unserer Gewährsmänner läßt Caesars Überlegungen klar sich zuspitzen auf die fatale Alternative: »Der Verzicht auf diesen Übergang wird mir Unglück verursachen, der Übergang aber allen Menschen.« Offenbar also sprach Pollios Bericht vom Unglück aller Menschen. Und es besteht kein Grund daran zu zweifeln, daß auch Caesar damals davon gesprochen hat. Die militärischen Ressourcen der Gegner erstreckten sich über den ganzen Mittelmeerraum. Es war zu befürchten, daß sie sie mobilisierten. Folglich konnte er sich kaum darüber täuschen, daß der Krieg, den er gerade beginnen wollte, potentiell den ganzen Mittelmeerraum – und das hieß nach damaligem Verständnis die ganze Menschheit – in Mitleidenschaft ziehen konnte. Wohl mochte er hoffen, daß man billiger davonkam. Eben deswegen lag ihm ja daran, die Entscheidung so rasch herbeizuzwingen. Wenn jedoch damals am Rubicon die ganze Tragweite des Unternehmens in so gespenstisch überscharfer Klarheit plötzlich vor Caesars Augen trat, dann mußte die Gravitation dieses Eindrucks wohl auf das Schlimmste stehen. Nur, wenn das Unglück aller Menschen auf der einen Waagschale lag, lag dann auf der anderen bloß dasjenige Caesars? War die zweite Seite der Alternative so eindeutig klar, so fatal, wie sie bei unserem Gewährsmann erscheint? Wurde der Krieg nur geführt, weil sich Caesar nicht absetzen, nicht in Rom vor Gericht ziehen lassen wollte? War er also allein gegen alle und so sehr auf sich gestellt? Und falls es sich wirklich so verhielt, konnte er das ohne alle Selbsttäuschung so sehen und vor den Freunden am Rubicon so unumwunden aussprechen? »Schließlich aber raffte er sich mit Leidenschaft aus dem zweifelvollen Abwägen auf und wandte sich dem Bevorstehenden zu.« Mit den Worten: »Der Würfel soll geworfen werden« setzte er über den Rubicon, um nach rascher Fahrt noch vor
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Morgengrauen mit seinen Soldaten in Ariminum einzumarschieren. Der Ausspruch war ein Zitat aus einer Komödie des Menander. Die Version: »Der Würfel ist gefallen« ist eine falsche Wiedergabe. Denn hier war nicht gewürfelt worden, sondern das Würfeln begann erst, das mit höchsten Einsätzen verbundene Spiel eines Krieges, in dem Fortuna ein gewichtiges Wort mitzusprechen hatte. Das war Caesar so deutlich bewußt wie wenigen anderen; er meinte aber auch, in der Gunst der Göttin zu stehen. In Ariminum stießen dann die aus Rom gewichenen Volkstribunen zu Caesar. Er führte sie vor seine Soldaten. In einer Ansprache erklärte er – nach eigenem Bericht –, der Senat habe den rechtmäßigen Einspruch der Tribunen mit Waffengewalt unterdrückt. Ganz unberechtigterweise habe er das senatus consultum ultimum beschlossen. Caesar legte »alle Rechtsbrüche dar, die seine Gegner die ganze Zeit über gegen ihn begangen hatten«. Und jetzt wollten sie ihm sogar das Kommando nehmen. Er rief daher die Soldaten auf, »Ansehen und Ehre ihres Feldherrn, unter dessen Führung sie neun Jahre lang so glücklich für das Gemeinwesen gefochten, so viele Schlachten erfolgreich geschlagen und ganz Gallien und Germanien befriedet hatten, gegen seine Gegner in Schutz zu nehmen«. So begann der Bürgerkrieg, der Caesar dann – mit kurzen Unterbrechungen – an die fünf Jahre lang in Anspruch nahm, der sehr viel Blut kostete und die ganze römische Welt tief und nachhaltig erschütterte. Wenn also nach Caesars eigenen Worten die Soldaten Ansehen und Ehre ihres Feldherrn in Schutz nehmen sollten, hieß das nicht, daß er den Krieg, der schlimmstenfalls die ganze Menschheit in Mitleidenschaft ziehen sollte, um seiner Person willen riskierte? Sieht man die nicht geringe Zahl einschlägiger Quellen daraufhin durch, so kann kein Zweifel daran bestehen, daß es so war. Unglück, Gefahr für die eigene politische Existenz wollte er von sich abwenden. Wenn er sich zum Anwalt der Volkstribunen und auch der Freiheit des römischen Volkes aufwarf, so nur um zu verhüllen, worum es ihm eigentlich ging. Die Hülle war durchaus durchsichtig, und Caesar gab sich gar
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keine Mühe, das durch geschickte Drapierung wettzumachen. Er wollte gar nicht leugnen, daß die Gefährdung der Tribunen, die er übrigens grob übertrieb, einzig daraus resultierte, daß sie sich für ihn einsetzten. Er hat auch sehr bald von diesem Vorwand keinen Gebrauch mehr gemacht. In seinen eigenen Verlautbarungen wie in Reden, mit denen andere seine Gunst gewinnen wollten, war dann in aller Schlichtheit nurmehr davon die Rede, daß der Krieg um die Wahrung der Ehre (dignitas) Caesars geführt wurde. »Was wollten deine Armeen anderes als beleidigendes Unrecht von dir abwenden?« fragte Cicero. »Das haben sie gewollt; nach so großen Taten wäre ich, Gaius Caesar, verurteilt worden, wenn ich nicht bei meiner Armee Hilfe gesucht hätte«, hat Caesar selbst am Abend der Entscheidungsschlacht vor Pharsalos angesichts des mit Leichen und Verwundeten übersäten Feldes festgestellt. Die Zitate ließen sich vermehren. Caesar hatte keine Sache außer sich selbst. »An allen Dingen hat diese Sache genug«, schrieb Cicero, »nur eine Sache hat sie nicht.« Insofern ist es durchaus richtig: Das Unglück, das Caesar durch die Eröffnung des Krieges abwenden wollte, war allein seines. Und nichts spricht dafür, daß ihm das nicht klar gewesen wäre. Ungeheuerlich mutet das an, kaum glaubhaft. Wie kann ein Einzelner sich entschließen, lieber allen Menschen Unglück zu verursachen als sich selbst? Wie war das zu denken, auszusprechen, zu wagen und durchzuhalten? Wie zu rechtfertigen? Muß nicht, wer sich so entscheidet, ein Desperado sein oder ein Kranker, nicht nur unendlich einsam, sondern auch abgespalten von der Tuchfühlung, der »Gleichsinnigkeit« mit seiner Welt? Oder soll darin Größe liegen? Aber was ist dann Größe? Doch sollte man das Problem nicht zu abstrakt, nicht nur als persönliches nehmen, vielmehr zunächst nach der Konstellation fragen, nach dem »Ensemble«, in dem Caesar sich entschied. Politiker handeln ja nicht nur angesichts von Situationen, sondern in Situationen. Sie sind dann nicht nur sie selbst,
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1 Caesar. Bildnis aus Tusculum in Turin: das einzige plastische Porträt Caesars, das noch zu dessen Lebzeiten entstanden sein dürfte. sondern in einem gewissen Ausmaß auch Teil einer Konstellation, und das ist wohl in extremen Lagen in besonderem Maße der Fall. Es gilt also nicht nur, nach den Persönlichkeiten, ihren allgemeinen und je besonderen Interessen und Meinungen zu forschen, sondern auch nach ihren Positionen innerhalb der Konstellation, welchselbe sie zwar miteinander ausmachen, von der sie aber auch ausgemacht werden. Von daher bestimmen sich nicht nur Spielräume, sondern auch Perspektiven und Distanzen. Auch in Situationen gibt es eine Ortsgebundenheit, und der Ort bestimmt sich im Rahmen der Umgebung. Es sind also nicht nur die Beteiligten zu beachten, sondern auch die Situation im ganzen, die mehr ist als die Summe ihrer Teile. Das erschwert zwar das eindimensionale Urteilen
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aus akademischer Distanz, aber es kommt der Sache näher. Bisher ist nur deutlich, wer damals bei einem Krieg hätte in Mitleidenschaft gezogen werden können; noch nicht, wer da gegen wen stand und auf welche Weise. Caesar erhob sich gegen Rom; so mußte es sich darstellen für den Senat und für alle, die gemäß der römischen Ordnung ihm die Regierungsgewalt und die Verantwortung für das Gemeinwesen zusprachen, das heißt für die römische Gesellschaft. Einhellig ist Caesars bewaffneter Einfall in Rom und Italien verurteilt worden, auch von einigen seiner prominenten Freunde, Verwandten und Verbündeten. Die bisherige Forschung hat dagegen verschiedentlich versucht, der fatalen Alternative zu entkommen. Man hat Caesar überlegene staatsmännische Einsicht und eine Sache unterstellt, um annehmen zu können, er habe in Wirklichkeit in einem höheren Interesse gehandelt. Danach sei er für Rom und Italien und für die Völker im weiteren Herrschaftsbereich der Stadt aufgestanden gegen einen bornierten, eigensüchtigen Senat, dessen Zeit abgelaufen gewesen sei. Er habe ein gerechtes, handlungsfähiges Regierungssystem schaffen und die Struktur des römischen Reiches grundlegend erneuern wollen. Wenn dem aber so gewesen sein sollte, so hat Caesar es jedenfalls nicht gesagt, nicht am Rubicon und nicht später, und auch sonst läßt sich kein Zeuge dafür aufrufen. Im Gegenteil: Offensichtlich hat keiner davon gewußt. Es gab auch keine Parteiungen im Bürgerkrieg, die sich an solchen sachlichen Differenzen orientiert hätten. Es fehlte vielmehr an einer Spaltung der römischen Gesellschaft, die dem Gegensatz zwischen Caesar und seinen Gegnern korrespondiert hätte. Wer sich später zu Caesar schlug, tat es, weil er der Erfolgversprechende, der Eroberer und schließlich der Sieger war. Wirklich auf seiner Seite standen nur seine unmittelbaren Anhänger, die ihm bei aller Faszination und Freundschaft zumeist in dem Maße treu ergeben waren, wie sie von seinem Sieg eine Verbesserung ihrer eigenen Verhältnisse erhofften, und seine Soldaten, bei denen es sich ähnlich verhielt. Da war keine Sache, die
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über den Kreis der Caesarianer hinausgewiesen hätte. Insofern kann kein Zweifel darüber bestehen, daß Caesar isoliert war und mit seiner Gefolgschaft allein stand und, wie es scheint, gegen Rom. Er selbst sah das allerdings nicht so. Nicht gegen Rom wollte er nämlich antreten, sondern nur gegen seine Widersacher. Und nicht einen Bürgerkrieg, sondern »bürgerliche Streitigkeiten« (civiles controversiae) wollte er austragen. Den Senat vermochte er als eigenständige Größe gar nicht wahrzunehmen. In dessen Beschluß gegen ihn sah er nicht die Willensäußerung der römischen Republik, sondern nur eine Machenschaft seiner Gegner, und in denen konnte er keinerlei staatsmännische, vielmehr ausschließlich höchst eigennützige Motive am Werk sehen. Entsprechend zog er die Trennlinien. Diese »bürgerlichen Streitigkeiten« sollten das Gros der Bürgerschaft gar nichts angehen. »Was steht einem anständigen Mann (vir bonus) und ruhigen, anständigen Bürger mehr an, als bürgerlichen Streitigkeiten fernzubleiben?« schrieb er damals an Cicero, wie wenn, wo die feindlichen Parteien ihre Bataillen schlugen, Ruhe die erste Bürgerpflicht in einem republikanischen Gemeinwesen gewesen wäre. Wer nicht gegen ihn sei, meinte er, sei sein Freund. Was die Bürger nichts angeht, daran haben sie sich nicht zu beteiligen. Die Gegner urteilten genau umgekehrt: Sie sahen jeden als Feind an, der sich ihnen nicht anschloß. Sie hatten eben die Sache der res publica auf ihrer Seite; da durfte keiner unbeteiligt sein. Das beste Zeugnis für die Unterschiedlichkeit der beiden Positionen war ihre Einigkeit darüber, wohin die Neutralen gehörten. Caesar hatte von deren aktiver Parteinahme nichts zu erhoffen – sie wäre für die res publica und somit gegen ihn erfolgt. So waren sie seine Freunde, wenn sie nicht seine Feinde waren. Praktisch erkannten sie dann an, daß der Krieg nur zwischen ihm und der Gruppe seiner senatorischen Gegner ausgetragen wurde. Cicero hat in diesen ersten Wochen des Jahres 49 an das Gesetz Solons erinnert, wonach zu bestrafen sei, wer in
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einem Bürgerkrieg nicht Partei ergreife. Das war ein Versuch gewesen, zwischen den verfeindeten Gruppen das Ganze der Bürgerschaft zur Geltung zu bringen. Er hatte am Anfang der antiken Gemeindestaaten gestanden, die auf dem Ganzen der Bürgerschaft beruhten. Dieses Ganze war für Caesar im Moment seiner äußersten Gefährdung offenbar gar nicht im Spiel, es war – bewußt oder unbewußt – ausgeklammert. Man schwankt, ob Caesar hier spitzfindig war oder ob er es nicht besser wußte. Sollte er spitzfindig gewesen sein, dann hätte er allerdings entschieden zu kurz gedacht. Wer sollte ihm das abnehmen, daß ein Senatsbeschluß nichts wert, ein Bürgerkrieg nichts als eine Auseinandersetzung zwischen wenigen Herren war? Vermutlich also hat Caesar es wirklich so gesehen, wie er es darstellt. Dann aber erhebt sich die Frage, ob er so befangen, so verblendet gewesen sei, daß er die – immer noch ganz von der res publica geprägte – römische Realität nicht wahrnehmen konnte. Allein, er kam von seinen Voraussetzungen her zu praktisch richtigen Ergebnissen. Man dachte in Rom zwar anders, aber man handelte im allgemeinen durchaus so, wie wenn einen der Krieg nichts anginge. Man arrangierte sich vielmehr schnell und leicht mit Caesar. Selbst viele Senatoren taten das. Von den Consularen schlug sich die knappe Hälfte zu Caesars Gegnern, die andere blieb neutral. Und es war auch nicht das Gros, sondern nur ein guter Teil des Gesamtsenats, der gegen Caesar Stellung bezog. Die römische Gesellschaft litt also unter dem Krieg, aber sie ließ sich nicht bekriegen. Die Republik war gegen den Aggressor, aber sie wehrte sich nicht gegen ihn. Bei diesen Kräfte- und Meinungsverhältnissen gab es in Wirklichkeit keine Partei der Republik, sondern nur eine, die die Republik auf ihre Fahnen schrieb. Die »gute Gesellschaft« Roms war, indem sie den Frieden erhalten wollte, aber nicht konnte, indem sie sich also nicht engagierte, faktisch im anderen Lager. Folglich spielte auch bei Caesars Gegnern persönliche Anhängerschaft die zentrale Rolle: die Gefolgschaft des Pompeius, des führenden Feldherrn. Auch er war vom Senat lange
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bekämpft worden, als Einzelgänger, der sich der Disziplin des Standes nicht fügte, der so viel Macht in seiner Hand vereinte, daß er der senatorischen Gleichheit gefährlich zu werden schien. Schließlich hatte man sich aber vertragen und Pompeius in die Koalition gegen Caesar hineinzuziehen vermocht. Er kommandierte schon mehrere Legionen und zog nun aus dem Osten, von den Städten und Fürsten, die ihm verpflichtet waren, eine zusätzliche große Streitmacht zusammen, ein pompeianisches Heer. Die führenden Senatoren waren zwar ebenfalls in seinem Lager oder kommandierten andere Teile der gemeinsamen Armee und Flotte, aber sie hatten nicht viel eigene Macht: Sie verfügten kaum über eigene Truppen, denn die römische Bürgerschaft, die der Senat führte und deren Sache er verfocht, war ihnen ja nicht in den Krieg gefolgt. So war die republikanische Seite wesentlich diejenige des Pompeius, und entsprechend wurde auch befürchtet, daß er im Fall des Sieges eine Alleinherrschaft aufrichte. Es stand also im wesentlichen Caesar gegen Pompeius. Das Gemeinwesen war präsent nur als Maßstab einer allgemeinen, selbstgewissen, aber praktisch kaum verpflichtenden Meinung. Die res publica hatte keine Legionen. Indem Caesars Blick durch sie hindurch ging – ob er sie nun durchschaute oder nicht –, um nur die Kräfte wahrzunehmen, die zählten, erkannte er die Realität des Krieges gewiß besser als seine Gegner, wenn auch mitnichten ganz. Die Gegner hatten auch insofern nur ein bedingtes Vermögen, Realität wahrzunehmen, als sie offenbar nicht wußten, mit wem sie es zu tun hatten. Neun Jahre lang hatte der Proconsul eine sehr große Armee befehligt. Er hatte einen ungemein erfolgreichen Krieg geführt, Eroberungen gemacht wie kein Feldherr vor ihm in der an Siegen so reichen römischen Geschichte. Und jetzt sollte er nicht nur nicht die nach altem Maßstab fällige Ehre, den Triumph ernten, sondern sogar Strafe, ja den Verlust seiner politischen Existenz erleiden. Wohl hatte er sich zehn Jahre zuvor verschiedener Gesetzesbrüche schuldig gemacht – übrigens bei der Durchsetzung wichtiger Forderungen des Pompeius gegen den Senat.
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Wohl war sein gallisches Kommando gegen den Willen der Senatsmehrheit zustande gekommen, die weder den Krieg noch Caesars Eroberungen gewollt hatte. Aber nachdem sie das alles hatte hinnehmen müssen, war es da noch berechtigt, tunlich, praktisch, über das Geschehene, Geduldete, inzwischen Wirklichkeit Gewordene einfach hinwegzusehen und auf die Ereignisse von 59 zurückzugreifen, um Caesars politische Existenz zu bedrohen? War von dem siegreichen Herrn über neun Legionen und zweiundzwanzig Cohorten wirklich zu erwarten, daß er sich ihnen einfach auslieferte? Konnte man Caesars Absetzung realistischerweise als Sache der res publica ausgeben, nachdem die Senatsmehrheit sich so lange geweigert hatte, gegen den Proconsul zu beschließen? Konnte man sich die res publica überhaupt noch abzüglich Caesars denken? Andererseits mußten sich Caesars Gegner gerade angesichts einer solchen Senatsmehrheit fragen, ob sie nicht alles nur Mögliche gegen Caesar zu unternehmen hatten. Nach alter Auffassung waren die führenden Kreise im Senat verantwortlich für dessen Politik. Und es war längst selbstverständliches Gebot geworden, Männer, die zu mächtig waren, um sich der Standesdisziplin zu fügen, aufs schärfste zu bekämpfen. Man hatte gewiß allen Anlaß, sich vor Caesars Rückkehr in die Innenpolitik zu fürchten, je mächtiger er wurde, um so mehr. Selbst ein Bürgerkrieg konnte dabei in Erwägung gezogen werden. Er mußte keineswegs mit einem Sieg Caesars enden. Freilich war es andererseits kaum wahrscheinlich, daß er auf einen Sieg der res publica hinauslief. Die Erschütterungen, die er auslösen, und die militärische Machtzusammenballung, die er mit sich bringen mußte, mußten so bedeutend sein, daß auch ein Sieg des Pompeius mindestens eine fühlbare Einschränkung und Schwächung des Senatsregimes zur Folge gehabt hätte. Nur, wie sollten Caesars Gegner das erkennen? Wie hätten sie die Distanz gewinnen können, aus der ihnen die Fortexistenz der überkommenen Ordnung hätte fraglich werden können? Alles, was wir von der damaligen Gesellschaft wissen,
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weist darauf, daß man diese Ordnung für die einzig legitime hielt. Mit ihr hatte Rom die Welt erobert. In ihr hatte die römische Bürgerschaft nicht nur eine politische Form, sondern geradezu ihre gesellschaftliche Identität gefunden. Keiner wußte es anders, allenfalls aus Resignation konnte man Konzessionen machen. Doch Caesars Gegner meinten, wie es immer wieder die führenden Senatoren gemeint hatten, daß man die rechte Ordnung kraftvoll verfechten mußte, gerade angesichts vielfältiger Kleinmütigkeit. Jetzt stand man an einer Schwelle: Ließ man Caesar herüber, so war das Schlimmste zu gewärtigen. Von heute her fragt es sich, ob Caesars Gegner nicht schon von einer nur noch postulierten, gar nicht mehr tatsächlichen Wirklichkeit ausgingen. Damals aber machte die gesamte Gesellschaft diese Wirklichkeit noch aus, sie sah sie so und bildete sie entsprechend zwischen sich. Nur wollte sie sie nicht verteidigen. Um es auf eine Formel zu bringen: Caesars Gegner sahen die römische Wirklichkeit von innen, und sie waren sich ihrer gewiß. Caesar hingegen sah sie von außen. Deswegen konnte er die Machtverhältnisse so zutreffend einschätzen, ohne allerdings zu wissen, wie stark die Sache des Senats noch im allgemeinen Denken verwurzelt war. Seine Gegner aber wußten zwar dies, täuschten sich jedoch über ihre Schwäche. Wenn aber ein Mann mit solchen Leistungen für Rom und einer so großen Armee die römische Wirklichkeit von außen sehen, also derart außerhalb dieser Wirklichkeit stehen konnte, so mußte diese Wirklichkeit irgendwie partikular geworden sein. Ihre Selbstverständlichkeiten, ihr Komment, ihre fundamentalen Gebote griffen bei Caesar nicht mehr; und sie wurden auch nicht mehr unmißverständlich gehandhabt. Das aber bedeutete, daß seine Position nicht einfach zufällig und der römischen Struktur äußerlich war. Sonst hätte doch wohl ein Außenseiter nicht so machtvoll werden können. Eben deswegen kann Caesar auch nicht einfach ein auf sich gestellter Desperado gewesen sein. Er hatte offenbar so kräftig und so unangefochten einen eigenen Bereich ausbilden
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können, daß er gleichsam in einer Welt für sich lebte, unter seinen Soldaten, in seinen Provinzen, im Bewußtsein seiner ungeheuren Fähigkeiten und Leistungen. Damit hatte sein persönlicher Anspruch gleichsam Raum genommen, hatte sich zu einer mächtigen eigenen Position befestigt, welche übrigens auch in einem achtbaren, wenn auch einseitigen Ethos gründete: das alte aristokratische Leistungsideal verwirklichte er wie kein anderer. Nur Pompeius kam ihm darin nahe. Diese Position gewann eine gewisse Eigenständigkeit. Sie wurde gleichsam so weit und so mächtig, daß er sich ihr gegenüber verpflichtet fühlen konnte. Das ersetzte in gewissem Maße die überpersönliche Legitimität, also jene Verdichtung zahlreicher Meinungen und Bestrebungen zur Objektivität und zum Recht einer Sache. Sie stellte ihm einen Panzer gegenüber seinen Gegnern dar. So jedenfalls lassen sich am ehesten die Selbstverständlichkeit und Offenheit erklären, in der Caesar um seiner selbst willen einen Krieg begann, der alle Menschen in Mitleidenschaft ziehen konnte. Er wäre sich das dann schuldig gewesen, auch nach intensiver Selbstprüfung. Bewußte oder unbewußte Täuschung seiner selbst oder auch anderer scheint freilich insoweit im Spiel gewesen zu sein, als er nicht zugeben oder nicht sehen konnte, daß die römische Gesellschaft gegen ihn war. Vielleicht hat er gemeint, daß das gar nicht sein konnte, nachdem er solche Taten für Rom vollbracht hatte. Und tatsächlich war es ja auch nur bedingt der Fall. Wenn einer allerdings durch Roms Institutionen und durch die res publica so hindurch sah wie Caesar – um nur noch seine eigenen Gegner wahrzunehmen –, so hatte er wohl nicht nur eine andere Auffassung von der römischen Wirklichkeit als die anderen, sondern dann scheint er diese Wirklichkeit mit ihnen nicht mehr geteilt zu haben. Denn zu Roms Wirklichkeit gehörte die Homogenität des Wissens über die rechte Ordnung. Sie ließ da keine Wahl: Man konnte den Senat in irgendeinem Punkt bekämpfen, aber man konnte ihn nicht übersehen. So standen sich in Caesar und seinen Gegnern offenbar zwei verschiedene Wirklichkeiten gegenüber; die alte, die plötzlich vom Ganzen zum Teil geworden, und eine neue, die aus ihr her-
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ausgetreten war und die sich ihr auch dann nur schwer wieder hätte einfügen können, falls der Krieg vermieden worden wäre. So weit war man voneinander entfernt und gegeneinander fremd. Das, und nicht nur Interessengegensätze, Mißtrauen, Furcht und Haß oder pathologische Überziehung persönlicher Ansprüche, kennzeichnete die Situation. Indem man hier das Gegeneinander zweier Wirklichkeiten feststellt, braucht man nicht darauf zu verzichten, Caesars Übergang über den Rubicon als ungeheuerliche Anmaßung eines Einzelnen gegenüber Rom und seinem gesamten Herrschaftsbereich zu verurteilen. Man braucht sich auch nicht zu scheuen, die Borniertheit zu charakterisieren, mit der die Gegner ihre Möglichkeiten überschätzten. Aber man wird die Eigenkräfte der Positionen, in die die Parteien gegeneinander geraten waren, nicht mehr übersehen. Es wird deutlich, wo die römische Republik damals angelangt war. Denn nicht nur Caesar und seine Gegner, sondern die ganze Gesellschaft fand sich ja vor einer Aporie. Da sie in sich nicht gespalten war – vielmehr einig in der Notwendigkeit, die res publica fortzusetzen –, war ihre Wirklichkeit gespalten. Ein Außenseiter konnte das Ganze mächtig herausfordern, weil er sich eine eigene Welt hatte aufbauen können. Was war das für eine Gesellschaft? Wenn in ihr Außenseiter gegen den Willen der leitenden Organe so viel Macht sammeln konnten, so kann sie nicht mehr recht integriert gewesen sein und muß sich in einer Krise befunden haben. In der Tat waren die alten, immer noch auf den Gemeindestaat zugeschnittenen Institutionen Roms längst überfordert angesichts des weltweiten Herrschaftsbereichs, über den die Stadt gebot. Wie aber konnte die Bürgerschaft dann noch einhellig an der überkommenen Ordnung festhalten? Wie kam es, daß sie sich nicht angesichts der Krise um große sachliche Gegensätze spaltete? Warum erhoben sich die Notleidenden nicht? Was für eine Spannweite gab es in dieser Gesellschaft und was für Oppositionsmöglichkeiten? Haben wir es in diesem Punkt mit etwas spezifisch Antikem zu tun? »Das Altertum... stellte
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seine Sachen« – nach Jacob Burckhardt – »nicht aufs Biegen, sondern aufs Brechen«, und das kann sehr wohl damit zusammenhängen, daß man eine Ordnung eher war als hatte, daß hier nicht eine Gesellschaft einen Staat sich gegenüber hatte, sondern eine Bürgerschaft zur politischen Einheit geworden war. Folglich konnte sie wenig Abstand zu sich selbst haben. Was war das für eine Krise, in der statt der Gesellschaft die römische Wirklichkeit, die Selbstverständlichkeit des gemeinsamen Aufgehobenseins in einer im Kern unangezweifelten Ordnung zerbrach? Eine Krise offenbar, die statt grundsätzlicher Opponenten Außenseiter produzierte. Eine Krise, die – bei der Einhelligkeit, in der man dem Alten anhing – offenbar eher aus der Summierung unbeabsichtigter Nebenwirkungen des Handelns resultierte, also in der Form des Prozesses vor sich ging – was wieder recht modern anmutet. Was bedeutete das für die Gesellschaft im ganzen und für die Einzelnen, die in ihr aufwuchsen und lebten? Wie konnte man sich darin zurechtfinden – und zu Recht sich finden? Was war das für eine Wirklichkeit, die noch stimmte und offensichtlich nicht mehr stimmte? Rom bot in dieser Zeit anscheinend besondere Möglichkeiten zur Entfaltung von Persönlichkeit. »Was Wettkampf großer Persönlichkeiten betrifft«, schrieb Jacob Burckhardt, »so ist diese Zeit die erste in der Weltgeschichte. Was nicht groß war, das war doch charakteristisch, energisch, wenn auch ruchlos, nach großem Maßstab zugeschnitzt... Alles Große aber sammelt sich in der wunderbaren Gestalt Caesars.« Resultierte das aus besonderen Handlungsspielräumen? Wenn das aber der Fall gewesen sein sollte, so scheint es keinen Spielraum zur Änderung der Struktur gegeben zu haben. Sonst hätte man doch das Bestehende in Frage stellen und ändern müssen. Dann hätten also Macht zum Handeln und Ohnmacht zum Verändern nebeneinandergestanden, Macht in den Verhältnissen und Ohnmacht über die Verhältnisse. Jedenfalls bot die Sicherheit über das Herkömmliche soviel Halt wie dessen Versagen zu besonderer Bewährung herausforderte. Es gab mächtige Notwendigkeiten, kräftige Erwartungen, unge-
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ahnte Möglichkeiten. Es kam sichtbar sehr viel auf den Einzelnen an in dieser überschaubaren, grundsätzlich beherrschbaren Welt. Und er hatte oft genug mit seinem Scheitern fertigzuwerden. Das mochte zu charakteristischen Ausprägungen führen. Doch wie dem auch sei, wie kam Caesar in die Position, von der aus er am Rubicon den Krieg eröffnete? Wie wurde er zum Außenseiter? War das schon von Jugend her angelegt? Und war er so groß, wie gern behauptet wird, und was heißt das? Und wenn er es, in welchem Sinn auch immer, gewesen ist, koinzidierten dann in ihm vielleicht – wie Burckhardt von den großen Individuen sagt – das Allgemeine und das Besondere? Hat er dann, wie Hegel meint, indem er am Rubicon nur dem »Interesse, sich, seine Stellung, Ehre und Sicherheit zu erhalten«, folgte, das vollbracht, was an der Zeit war? Weil eben bei großen Menschen »deren eigene partikuläre Zwecke das Substanzielle enthalten, welches der Wille des Weltgeistes ist«? Oder ist das ein historistisches Märchen? Kann es nicht sein, daß Caesars Größe nur ein besonderer persönlicher Zuschnitt war, ohne alle Vorbestimmung und höhere Wirksamkeit? Hat er vielleicht nicht nur nichts anderes gewußt, sondern auch nichts anderes vollbracht als seine persönlichen Möglichkeiten besonders großartig – übrigens auch liebenswürdig, geistvoll und ganz auf der Höhe seiner Zeit – wahrzunehmen, indem er sich herumschlug mit all den Schwierigkeiten und Unbilden, die ihm begegneten, machtvoll für sich, rücksichtslos gegen das Ganze, das sich ihm nicht aufzwang, zumal er sich von seiner Wirklichkeit so gründlich gelöst hatte? Und das alles in einer Zeit, in der ein Außenseiter so mächtig zu werden vermochte, daß er um seiner selbst willen einen Bürgerkrieg entfesseln konnte?
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Caesars Faszination Europäische Tradition • Zweifel an Größe und staatsmännischer Leistung • Faszination und Scheitern • Quellen möglicher Täuschung • Unabhängigkeit und Macht in »niederträchtiger Zeit» • Es geht um unsere Sache Burckhardts Satz, daß alles Große sich in der wunderbaren Gestalt Caesars sammle, ist nur die besondere Formulierung eines Urteils, das jahrhundertelang in Europa allgemein war. Die Geschichte von Caesars Ruhm, die Friedrich Gundolf geschrieben hat, ist lang, und sie ist voll von Zeugnissen der Faszination durch ihn. Wie kaum ein zweiter hat Caesar auf die Nachwelt fortgewirkt. Das Mittelalter verehrt ihn als den ersten Kaiser, den Gründer der Monarchie, von dem die höchste weltliche Macht im Abendland ihren Namen hat. Caesar, Rom, das Reich, das schien eins zu sein, und es reichte in die Dimensionen des Mythischen. Dann fand man seit der Renaissance hinter dem Namen die große Persönlichkeit mit all ihren Facetten, den Feldherrn, den Eroberer Galliens und des ganzen weiten römischen Herrschaftsbereichs, den bedeutenden Schriftsteller, den großen Organisator, dem man auch die gründliche Neuordnung Roms nach langer Krise zusprach; Stratege, Soldatenführer, Politiker, Diplomat und Herzensbrecher in einem; Sieger nicht nur, sondern mild gegenüber den Geschlagenen; unbeirrbar und von verwegener Unbekümmertheit; ein Mann, der ununterbrochen tätig war und anscheinend nirgendwo gescheitert ist; der noch aus Rückschlägen zum Erfolg ausholte; rasch zupakkend und glanzvoll dabei – bis ganz zuletzt die Verschwörer um Brutus seinem Leben ein, wie es schien, tragisches Ende setzten.
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2 Caesar. Kolossaler Bildniskopf des 2. Jahrhunderts n. Chr. Neapel, Archäologisches Museum. Im Jahrhundert der Aufklärung und der französischen Revolution mehrten sich freilich die Zweifel, und zwar aus politischen Gründen. Man schlug sich mehr und entschiedener als zuvor auf die Seite der Freiheit, die Caesar den Römern genommen, der Republik, die er zerstört hatte. Auch der Feldherr erlitt Einbußen an Ansehen: »Wir sind zu human geworden«, soll Goethe gesagt haben, »als daß uns die Triumphe des Caesar nicht widerstehen sollten.« Doch gegen all diese Zweifel wurde eine neue Form der Größe konzipiert: die historische. Hegel sah in Caesar den Geschäftsführer des Weltgeistes. In ihm vereinten sich Allgemeines und Besonderes: Denn, »was ihm die Ausführung seines zunächst negativen Zwecks erwarb, die Alleinherrschaft Roms, war... zugleich an sich notwendige Bestimmung in Roms und der Welt Geschichte, so daß sie nicht nur sein partikulärer
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Gewinn, sondern seine Arbeit ein Instinkt war, der das vollbrachte, was an und für sich an der Zeit war.« Theodor Mommsen hat die römische Geschichte dann so gedeutet, wie wenn sie auf Caesar zugelaufen sei. Man hat gesagt, nie sei er mit solcher Kraft geschildert worden, weil er nie sehnlicher erwartet wurde. Mommsen inszeniert sein Auftreten, nachdem er Rom so lange im Dunkeln hat tappen lassen, als Epiphanie. In Caesar sei das geschichtlich Notwendige endlich zum Ereignis geworden. Er habe noch, »wo er zerstörend auftrat,... den ausgefällten Spruch der geschichtlichen Entwicklung vollzogen«. Die römische Gesellschaft hatte die Kontrolle über sich verloren, alles ging drunter und drüber, sie trieb im Prozeß ihres Niedergangs dahin, ohne Halt zu finden, wehrlos, nur mehr Objekt eines Geschehens, in dem sie befangen war. Dann kam Caesar. Er gewann – so Mommsen – einen Punkt außerhalb dieser Befangenheit und vermochte Macht über das Ganze zu gewinnen. Durch ihn wurde Roms Ordnung wieder Gegenstand bewußten Handelns, errang wieder ein Mensch die Herrschaft über die Dinge. Wenn Mommsen davon ausgeht, daß jede Lage für menschliches Handeln bezwingbar ist, so bietet ihm Caesar das schönste Beispiel dafür. Er habe »die Geschicke der Welt für die Gegenwart und die Zukunft« geordnet. »So wirkte und schaffte er wie nie ein Sterblicher vor und nach ihm.« Mommsen führt eine »Wiedergeburt« Roms und des Griechentums auf ihn zurück; er findet, Caesar habe die Germanen davon abgehalten, Rom zu überrennen, und nur das habe der griechischen Zivilisation die Frist verschafft, die sie brauchte, um die westliche Hälfte des Mittelmeers zu durchdringen. Sonst hätten dort die Fundamente »zu dem stolzeren Bau der neueren Weltgeschichte« nicht gelegt werden können. Der aber derart eine historische Mission erfüllte, war für Mommsen zugleich menschlich ein Vollkommener. Er findet: »Menschlich wie geschichtlich steht Caesar in dem Gleichungspunkt, in welchem die großen Gegensätze des Daseins sich ineinander aufheben. Von gewaltiger Schöpferkraft und doch zugleich von durchdringendem Verstande;... vom höchsten
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Wollen und vom höchsten Vollbringen; erfüllt von republikanischen Idealen und zugleich geboren zum König; ein Römer im tiefsten Kern seines Wesens und wieder berufen, die römische und die hellenische Entwicklung in sich wie nach außen hin zu versöhnen und zu vermählen, ist Caesar der ganze und vollständige Mann.« Jacob Burckhardt, der ungleich nüchterner war und Mommsen im ganzen recht kritisch gegenüberstand, macht in Hinsicht auf Caesar keinen Unterschied: »In Betreff der Begabung vielleicht der größte Sterbliche. Alle die sonst groß heißen in der Geschichte, sind einseitig neben ihm.« Und Burckhardt sagt auch: »Die großen Individuen sind die Koinzidenz des Allgemeinen und des Besonderen«. In den Krisen kulminiere in ihnen das Bestehende und das Neue. Sie gehören in »schreckliche Zeiten, welche den einzigen höchsten Maßstab der Größe geben, und auch allein nur das Bedürfnis nach der Größe haben«. In seiner eigenen Zeit sieht er eher »eine allgemeine Verflachung«. Er fügt allerdings hinzu: »Wir dürften das Aufkommen großer Individuen für unmöglich erklären, wenn uns nicht die Ahnung sagte, daß die Krisis einmal von ihrem miserablen Terrain »Besitz und Erwerb‹ plötzlich auf ein anderes geraten, und daß dann der ›Rechte‹ einmal über Nacht kommen könnte, – worauf dann alles hinterdrein läuft.« Eben davon spricht dann 1924 Gundolf in den ersten Sätzen seines Buches über Caesars Ruhm: »Heute, da das Bedürfnis nach dem starken Mann laut wird, da man, der Mäkler und Schwätzer müd’, sich mit Feldwebeln begnügt statt der Führer, da man zumal in Deutschland jedem auffallenden militärischen, wirtschaftlichen, beamtlichen oder schriftstellerischen Sondertalent die Lenkung des Volkes zutraut und bald soziale Pfarrer, bald unsoziale Generäle, bald Erwerbs- und Betriebsriesen, bald rabiate Kleinbürger für Staatsmänner hält, möchten wir die Voreiligen an den großen Menschen erinnern, dem die oberste Macht ihren Namen und Jahrhunderte hindurch ihre Idee verdankt: Caesar.« Solche Beschwörung könne keinen Caesar zeitigen, Geschichte wiederhole sich nicht. »Wie der
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künftige Herr oder Heiland aussieht, weiß man erst, wenn er waltet.«... »Doch wie er nicht aussieht, das kann Kenntnis lehren.« Der Historiker »kann die Luft regen helfen, worin einsichtige Taten gedeihen, und Geister werben für kommende Helden«. Das war die gleiche Erwartung, der schon Mommsen angehangen und die sein suggestives Bild von Caesar so sehr genährt hatte. Heute dagegen erscheint Größe unglaubwürdig. Nicht mehr einfach, ob sie segensreich sei, sondern ob es sie überhaupt geben kann, ist die Frage. Die »verhunzte Größe«, von der Thomas Mann im Blick auf Hitler spricht, hat, so scheint es, ihrerseits die Vorstellung von Größe verhunzt. Wenn da eine Faszination über die Jahrhunderte wirken sollte, so träfe sie einstweilen vornehmlich auf Abwehr, wenn nicht auf Unempfindlichkeit. Zudem ist vieles, was Caesar früher zugesprochen worden war, inzwischen höchst fragwürdig geworden. Die germanische Gefahr zum Beispiel, die er nach Mommsen gebannt hat, hat gar nicht bestanden. Vor allem aber sind gerade Caesars staatsmännische Fähigkeiten oder besser: Möglichkeiten zunehmend in Zweifel gezogen worden. So großartig viele der organisatorischen Werke waren, die er als Herrscher vollbrachte, so unsicher, wenn nicht unwahrscheinlich ist es doch, daß er wirklich einen Ausweg aus der tiefen Krise der römischen Republik gewußt hat. Denn es ist durchaus möglich, daß die Vorstellung von Krisenlösung, die man so gern mit Caesar verbindet, auf einer Illusion beruht; die Vorstellung nämlich, daß ein wirklich überragender Mann durch Macht, Einsicht und Organisationsfähigkeit jede Krise zu jedem beliebigen Zeitpunkt meistern könne. Es muß doch zu allererst gefragt werden, ob sich in der damaligen römischen Gesellschaft überhaupt Anhaltspunkte für eine Lösung fanden. Schließlich handelte es sich um eine Republik, für deren maßgebende Schichten Freiheit das zentrale Element ihres Lebens war. Da stellten sich nicht nur Organisationsaufgaben, sondern auch solche der gründlichen Umorientierung und der Integration. Nicht jeder Gesellschaft ist primär
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an Ruhe und Ordnung gelegen, auch um den Preis der Monarchie. Es müßte also irgendeine Bereitschaft, eine Disposition, eine neue Ordnung zu tragen, in nennenswerten Teilen der Gesellschaft vorhanden gewesen sein. Nur dann wäre es möglich gewesen, der Krise durch bewußtes Handeln von einer politischen Zentrale her beizukommen, also Macht über die Verhältnisse zu erhalten. Caesar jedoch hatte vermutlich nur Macht in den Verhältnissen. Denn die Verfügung über eine Armee, der Sieg in einem Bürgerkrieg, umfassende Vollmachten, die Liebe der Massen, die er zeitweilig genoß, die große Zahl von Freunden, Reichtum und die Möglichkeit, viele Wünsche zu erfüllen, können einen Politiker zwar instand setzen, ungeheuer viel auszurichten und unwiderstehlich zu werden. Um die Verhältnisse, die er vorfindet, aber nachhaltig und dauerhaft zu verändern, braucht er möglicherweise ganz andere Formen von Macht. Sein Wille muß einrasten können in Bedürfnisse, Interessen, Meinungen, muß sie formieren können, nicht nur, damit in diesem und jenem Fall geschieht, was er will, sondern damit sich die Gesellschaft insgesamt neu einrichtet und die neue Ordnung eine gewisse Selbsttätigkeit annimmt. Macht und Gewalt können dazu verhelfen, aber Legitimität läßt sich weder anordnen noch sonstwie erzwingen. Gelegentlich steht zwar der Stoff zur neuen Legitimität schon bereit, wenn nämlich viele Wünsche, Sehnsüchte und Interessen da sind, die man nur aufrufen und bündeln muß. Dann liegt das Problem der Macht über die Verhältnisse primär bei dem Politiker, dem das aufgegeben ist. Das war etwa bei Augustus der Fall. Doch wie es zur Zeit Caesars damit stand, ist sehr die Frage. Jedenfalls spricht vieles dafür, daß er in den Verhältnissen der damaligen römischen Republik als Einzelner um so mächtiger wurde, je weniger Anknüpfungspunkte für eine direkte Überwindung des kritischen Zustands der damaligen Gesellschaft es gab. Allein, wäre damit Caesars Faszination schon erledigt – oder wären es vielmehr nur einige Erwartungen, die man zumal im
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neunzehnten und frühen zwanzigsten Jahrhundert an ihn richtete? Erwartungen, die mindestens ebensoviel mit dem Glauben an einen Sinn der Geschichte wie mit dem an die sinnvolle Rolle großer Männer zu tun haben; Erwartungen aber auch an die außerordentliche menschliche Fähigkeit, politisch Herr über die Probleme zu werden, und sei diese Fähigkeit auch nur versammelt in einem einzigen Mann, einem politischen Retter oder Messias also zu haben? Und Erwartungen schließlich auch, denen spezifisch neuzeitliche – allmählich veraltende – Ansprüche an das geordnete Arbeiten politischer Systeme zu Grunde liegen? Vielleicht wirkt Caesar trotz oder gerade wegen seines Scheiterns vor der Aufgabe einer Neuordnung Roms großartig. Vielleicht waren die gleichen Umstände, die sein Scheitern bedingten, auch die Voraussetzungen der so besonderen Ausbildung seiner Persönlichkeit sowie seiner Erfolge. Diese Erfolge errang er, weil er Außenseiter war und blieb. Glanz und Souveränität, Heiterkeit und Charme Caesars hingen eng mit der großen Distanz zusammen, in die er zur kleinlichen, ohnmächtigen und stumpfen politischen Welt des damaligen Rom geriet und die er dann mutwillig immer weiter steigerte. Die Freiheit und Sicherheit seines Willens und die volle Entfaltung seiner Gaben wurden erst in der innerlichen und dann auch äußerlichen Ablösung von der römischen Welt möglich, einer Ablösung, die zu einem Gegensatz führte, der so groß war, daß er nur mehr mit Waffen ausgetragen werden konnte. So hat Caesar, was seine Größe ausmachte, vielleicht nur auf Kosten eines letzten Scheiterns gehabt. Die Tatsache, daß es in Rom keine Kraft, keine Sache gab, an der er seinen Willen hätte objektivieren können, hat vielleicht nicht nur die Möglichkeit beschnitten, eine neue Ordnung zu gründen, sondern ihn auch dazu herausgefordert, dann wenigstens sich und seine Welt großartig und imponierend, aber eben neben der etablierten Gesellschaft zu entfalten. Schließlich hätten zum ernsthaften Versuch einer Neuordnung – wenn Caesar sie denn gewollt hätte – viel
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Geduld, Einfühlung, zahlreiche Konzessionen sowie große Zurückhaltung gehört; viel Taktik, Berechnung, Überzeugungsarbeit, viel stilles, beharrliches Wirken. Und wenn er das alles hätte aufbringen können, wäre er dann noch der gewesen, der mit seiner Persönlichkeit viele Jahrhunderte lang die Geister Europas bezaubert hat? Doch kann diese Bezauberung, wovon immer sie ausgegangen sein mag, noch uns berühren? Können wir nach Hitler noch im Sinne der alten europäischen Tradition mit großen Männern rechnen? Und können wir es vor allem auch dann noch, wenn ihre Domäne die Politik und der Krieg waren? Kann uns ein Mann noch faszinieren, der um seiner selbst willen einen Bürgerkrieg – und vorher den Krieg zur Eroberung ganz Galliens – eröffnete? Doch fragt sich hinwiederum auch, ob wir so viel besser – und nicht nur anders – belehrt sind als die lange Reihe großer Geister seit der Renaissance, die Caesar, bei aller möglichen Kritik an seinen Taten, eine unvergleichliche Größe zuerkannten. »Schließlich beginnen wir zu ahnen«, schreibt Jacob Burckhardt, »daß das Ganze der Persönlichkeit, die uns groß erscheint, über Völker und Jahrhunderte hinaus magisch auf uns nachwirkt, weit über die Grenzen der bloßen Überlieferung hinaus.« Sollte also das Urteil der Neuzeit durch eine mysteriöse, magische Kraft der Nachwirkung bedingt sein, die erst uns heute aus ihrem Bann entließ? Wenn sie es denn tat. Ohne daß man magische Wirkungen ganz ausschließen wollte, liegt es näher, an eine andere Erklärung für die hohe Schätzung Caesars durch so viele Generationen hindurch zu denken. Burckhardt beobachtet selbst ein »Gefühl der unechtesten Art, nämlich ein Bedürfnis der Unterwürfigkeit und des Staunens, ein Verlangen, uns an einem für groß gehaltenen Eindruck zu berauschen und darüber zu phantasieren«. Er denkt dabei vor allem an gegenwärtige Eindrücke. Aber sollte es nicht überhaupt ein Bedürfnis nach Größe geben, das nach Vorbildern suchen muß, nach einem Maßstab für die eigenen
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3 Caesar. Bildniskopf aus grünem Schiefer. Aus Aegypten, frühes 1. Jahrhundert n. Chr. Berlin, Pergamonmuseum. Ansprüche, als Beleg für deren Recht und die Möglichkeit ihrer Verwirklichung? So könnte Caesar eine Stelle besetzt haben, die gewissermaßen im geistigen Haushalt der Neuzeit vorgesehen war und gebraucht wurde, so daß er zwar vielfältiger Interpretation ausgesetzt, zugleich aber sicher war vor der Entlassung aus seiner Rolle als wichtigstes Vorbild menschlicher Größe. Er war zeitlich weit entfernt, ein Römer, hatte als erster der Kaiser gegolten. Relativ viel war von ihm bekannt, so daß man sich eine Vorstellung von ihm machen konnte. Auch hat er nicht nur erobert, sondern auch politisch viel bewirkt. Er war nicht an eine bestimmte Nation gebunden, war nicht von gegenwärtigen Feindschaften tangiert. Und vielleicht war er ja wirklich auch unter denen, die die Weltgeschichte des öffentlichen Wirkens zu den Großen zählt, unvergleichlich;
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durch die Vielseitigkeit seiner Leistungen, seines Wesens, durch die, wie es scheint, nahezu klassische Ausbildung seiner Persönlichkeit. Und alles, was seinem Werk fehlen mochte, konnte man frei zu Plänen ergänzen, deren Ausführung nur die Verschwörer vereitelt hätten. »Sie ... sollten den Tod Caesars auf eine vollwürdige Weise, großartiger als Voltaire, schreiben«, forderte Napoleon Goethe auf. »Das könnte die schönste Aufgabe ihres Lebens werden. Man müßte der Welt zeigen, wie Caesar sie beglückt haben würde, wie alles ganz anders geworden wäre, wenn man ihm Zeit gelassen hätte, seine hochsinnigen Pläne auszuführen.« So konnte sich der Glaube an die menschliche Größe, der Traum von der menschlichen Fähigkeit, über alles zu triumphieren, in Caesar geradezu institutionalisieren, also befestigen gegen viele Zweifel, die gegen andere wohl angebracht schienen. Vielleicht ließ das eine besondere Faszinationswilligkeit entstehen. Und doch: Könnte es nicht sein, daß gleichwohl von Caesar, von all dem, was uns von ihm und über ihn verläßlich überliefert ist – etwas Faszinierendes ausgeht? Etwas, was sogar heute noch den Betrachter in seinen Bann schlagen kann? Und ist dies nicht die Wirkung einer besonderen Größe, die auch durch alle Erfahrungen unseres Jahrhunderts nicht dementiert werden kann? Die Erfolge Caesars sind jedenfalls imposant. Und die Weise, in der, die Summe der Fähigkeiten, mit denen Caesar sie errang, ist es nicht minder. Cicero rühmt seinen Geist, seine Vernunft, sein Gedächtnis, seine literarische und wissenschaftliche Bildung, seine fürsorgliche Umsicht, Entschlußkraft und Sorgfalt. Drei Generationen später fand der alte Plinius, Caesar sei »mit Geisteskraft am hervorragendsten begabt« gewesen. »Ich will hier nicht von seiner Tatkraft und Festigkeit sprechen, nicht von seiner erhabenen Fähigkeit, alles zu umfassen, was unter dem Himmel ist, sondern von der ihm eigenen Lebenskraft und der durch ein Feuer beflügelten Schnelligkeit seiner Gedanken.« Burckhardt nennt ihn »einen wundervoll organisierten Geist von unglaublicher Vielseitigkeit, Spannkraft, Schärfe, die
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größte Kühnheit und Entschlossenheit, verbunden mit Klugheit und Verschlagenheit«, und dafür gibt es Zeugnisse genug. Eine reiche Phantasie, eine enorme technisch-taktische Findigkeit sticht ins Auge. Eine erstaunliche Fähigkeit, Situationen frühzeitig und bis auf den Grund zu erkennen, Scheinwirklichkeit als Schein und verkannte Wirklichkeit als Wirklichkeit zu durchschauen, Möglichkeiten zu sehen, die normalerweise nicht wahrgenommen wurden, und umsichtig auf nahezu alles gefaßt zu sein. Denn er kannte auch die Macht des Zufalls und wollte ihr nicht ausgeliefert sein. Berühmt ist seine Schnelligkeit, die Celeritas Caesaris. Bemerkenswert die Elastizität, mit der er sich auf alles Neue einstellt, das Lernvermögen. In allem, was er tut, wirkt er durchaus männlich, teilweise hart und fest, doch ist zugleich ein spielerisches Element, eine fast jugendliche Fülle der Möglichkeiten an ihm zu beobachten. Offenkundig ist weiter die »Seelenstärke, welche es allein vermag und daher auch allein liebt, im Sturm zu fahren« (Burckhardt), und eine ungeheure Konzentration des Willens, eine starke, rücksichtslose Unbedingtheit, mit der er auch seine Soldaten zu beseelen wußte. Dahinter stehen Erfolgsgewohnheit, Selbstvertrauen und letztlich die maßlose Selbstbezogenheit, in der er um seiner Sicherheit willen sogar den Bürgerkrieg eröffnen konnte. Dem allen gesellte sich seine vielgerühmte Clementia, die Milde gegenüber den Gegnern im Bürgerkrieg. Nicht zu vergessen schließlich das wundervolle Latein, das er schrieb, von großer Einfachheit, Klarheit und Eleganz, von genauester Regelmäßigkeit und dabei höchst individuell – in seiner Brillianz offenbar ein Niederschlag seiner Art zu sehen und zu handeln. Es gibt Epochen, in denen man – nach Musil – nur die Wahl hat: »diese niederträchtige Zeit mitzumachen (mit den Wölfen zu heulen) oder Neurotiker zu werden«. Die späte römische Republik gehörte auf ihre Weise dazu. Da gab es zwar höchst achtbare, verantwortungsvolle Senatoren, aber ihre Politik war verzweifelt und schwach. In der Regel versank alles in unendlicher Eigensucht und rücksichtsloser Ausnutzung aller Posi-
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tionen: Ein Bild der Korruption und des Versagens. Die Regel war, daß man mitmachte. Der Historiker Sallust, ein moralisch sehr anspruchsvoller Mann, gibt der Gesellschaft die Schuld, wenn er selbst sich nicht verhalten konnte, wie er es eigentlich wollte: »Anstelle von Anstand, Selbstdisziplin, Tüchtigkeit herrschten Frechheit, Bestechung, Habgier. Wenn ich das auch, ganz unberührt von schlechter Art, verachtete, wurde zwischen so großen Lastern meine ungefestigte Jugend doch von der Sucht nach Ehren und Gewinn verdorben und darin festgehalten.« Relativ wenige wurden, soweit wir sehen, zwar nicht unbedingt zu Neurotikern, aber doch einem Zwang zur Negation ausgesetzt. Und viele schwankten dazwischen. Caesar hingegen wußte einerseits alle Hebel der Gesellschaft mit Bravour zu betätigen, wußte sich in allem sein Teil zu holen und gewann doch eine innere Unabhängigkeit und damit zugleich eine heitere und leicht arrogante Souveränität über allem. Er blieb Außenseiter und sammelte zugleich eine Macht, die es ihm am Ende ermöglichte, es mit ganz Rom aufzunehmen. Er hielt seinen Kurs, konnte sich nirgends wirklich anschließen, blieb auf sich gestellt. Das gab ihm die unerhörte Freiheit. Er konnte in seiner Gesellschaft keinen Grund für sich finden, war insofern zufällig. Die Bindung, welcher die Freiheit bedarf, die ja nach Sartre »die Wahl eines Ziels im Dienste der Vergangenheit« ist, kam ihm aus dem altrömischen Leistungsethos. Das gab ihm eine Richtschnur, freilich außerhalb seiner Gesellschaft, die ja nicht mehr die alte war. Er entwickelte hohe Ansprüche, an denen er seine Standesgenossen maß, um ihr Versagen desto deutlicher zu erfahren. Er selbst dagegen erfüllte sie in umfassendster Weise, allein, wie er war, stärkster Bedrohung und höchsten Anforderungen ausgesetzt. Er lebte ganz seiner Tatkraft. Die Einfügung in die Standesdisziplin, die das alte Leistungsethos fruchtbar ergänzt hatte, verschmähte er in einer ästhetisch vielleicht imposanten, ethisch höchst problematischen Unbekümmertheit. Gleichzeitig verabsolutierte er seine Persönlichkeit. Denn da er allein war in seiner Gesellschaft, da es da keine Sache gab, der er sich hätte verbinden und in deren Namen er hätte handeln und sein können, blieb
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4 Caesar. Bildnis in Pisa. Der Kopf entspricht einem in augusteischer Zeit entstandenen und in mehreren Kopien überlieferten Typus, der sich von dem früheren Porträt (Abbildung 1) deutlich unterscheidet: die als unschön empfundene Glatze ist durch reicheren Haarwuchs verdeckt; stärker betont sind die hohe, gefurchte Stirn und der angespannte, Entschlossenheit markierende Kiefer. ihm nichts, als sich selbst in diesem Raum gleichsam immer weiter auszuspannen. Und er konnte sich unter den Gegebenheiten der weltbeherrschenden Republik, des mächtigsten Adels der Weltgeschichte eine eigene Welt aufbauen, in der er sich wahrhaft selbst zu verwirklichen und alles auszuleben vermochte, was in ihm war: Um den Preis, daß er sich in Rom nicht mehr einfügen konnte. Die Dynamik, mit der er seiner Gesellschaft begegnete, nahm zunehmend etwas Unge-
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heures, Ungeheuerliches, Dämonisches an. Wie Caesar seine Rolle spielte, wie hier ein Mann sein Ich wagte, dann aufs äußerste steigerte, seine reichen Möglichkeiten suchte, erfuhr und auskostete, das ist in der Tat ein erregendes Schauspiel. Die Kostüme sind historisch. Immerhin gehören sie der römischen Geschichte an. Und das Stück spielt zu einem Zeitpunkt, da die Klammern sich lösen, die in der Spannung von Kräften und Gegenkräften Roms Ordnung bis dahin zusammengehalten haben: Eine Fülle von Kraft, auf deren Hervorbringung Rom sich in Jahrhunderten in einer dumpfen Geschlossenheit diszipliniert hatte, wird freigesetzt. Und gleichzeitig öffnet sich die Stadt mehr und mehr für die Feinheiten der griechischen Kultur. Ungebärdig trifft alles aufeinander, in so unterschiedlichen Figuren wie Marius und Sulla, Cato und Caesar, Pompeius, Crassus und Lucullus, Cicero und Brutus; nicht zu vergessen die glänzend leichtsinnigen Erscheinungen der Generation, die dazwischen aufwächst, nachmacht, was ihr vorgemacht wird, ohne die Skrupel zu kennen, die in denen, nach denen sie sich richten, gelegentlich doch noch wirksam sind; nicht zu vergessen auch die Damen des römischen Adels, die die Freiheit, die Kultur und zuweilen auch die Macht zu schätzen lernen, die sich ihnen eröffnen. Wo sonst haben sich Macht und persönlicher – nicht institutioneller – Glanz so eindrucksvoll verbunden? Wenn diese Zeit und ihr bedeutendster Protagonist noch heute faszinieren können, so liegt es daran, daß es im Grunde unsere Sache ist, die dort aufgeführt wurde und deren Ernst man dort begegnet. Neben und in der historischen liegt ja stets die anthropologische Dimension. Caesars Größe nämlich, »soferne man das pathetische Wort überhaupt ins Spiel zu bringen wagt«, liegt »weder in der Schlackenlosigkeit eines leuchtenden Genius noch in der Lizenz eines freigesetzten Immoralismus ..., sondern gerade in seiner auf extreme Weise problematischen Menschlichkeit samt möglichem Glanz und unentrinnbarem Elend, Unheil und Schuldigwerden und vor allem... in seiner historischen
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Effizienz«, in der er so vieles bewirkt, aber auch zerstört hat. Otto Seel, dessen Caesar-Studien dieses Zitat entnommen ist, spricht von einem »Wechselspiel von zwingender Faszination und verstörter Betroffenheit, die von diesem Menschen ausgegangen sein muß als Charisma und Dämonie und dem sich außer wenigen... kaum jemand entziehen konnte, vom einfachen Legionär bis in die Oberschicht der Nobilität«. Aber ist nicht beides in der Faszination enthalten, daß sie einen aus Entzücken und Grauen gemischten, zugleich anziehenden und abstoßenden, nur jedenfalls bezaubernden Eindruck hervorruft? »Nicht jede Zeit findet«, wie Burckhardt bemerkt, »ihren großen Mann, und nicht jede große Fähigkeit findet ihre Zeit. Vielleicht sind jetzt sehr große Männer vorhanden für Dinge, die nicht vorhanden sind.« Wenn er weiter schreibt, daß große Männer – jedenfalls vor unserer Zeit, welche eine »zermürbende Kraft« hat – in Krisen gehören, so fragt es sich, was für eine Krise das war, in der Caesar heranwuchs, in der es keine Sache gab, der Außenseiter sich hätten verknüpfen können, in der die Gesellschaft nicht in politische Gegensätze zerfiel, sondern nur – oder sogar – neben der alten eine neue Wirklichkeit entstehen ließ.
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Krise und Außenseiter Eine widerwillige Krise • Die Probleme der späten Republik • Roms gewachsene Verfassung • Überforderung der Ordnung • Populäre Methode • Wenige Außenseiter • Tödlichkeit des aktiven Außenseitertums vor Caesar Die Krise der späten Republik war in vieler Hinsicht höchst eigenartig. In ihr verbanden sich schwere, zum Teil blutige Störungen mit großer Stabilität der Ordnung. Es verband sich auch ein vielfaches Versagen der Ordnung mit der allgemeinen Überzeugung, daß sie die einzig richtige sei. Im Wissen, im Empfinden der verpflichtenden Kraft des Überkommenen war man einmütig. Dadurch war nicht unbedingt das Handeln, aber doch das Denken bestimmt. Und über das normale Mißverhältnis zwischen dem, was man tut, und dem, was man tun sollte, hinaus lag in all dem nicht einmal ein Widerspruch. Denn das Versagen der Ordnung nahm keiner als solches wahr. Man gewahrte vielmehr nur die Angriffe auf das Bestehende, als die die Reformversuche im Senat gern verstanden wurden, und vielleicht noch das eigene Zurückbleiben hinter dem, was zu tun sei. Eins wie das andere deutete man moralisch. So wurde man am Überkommenen nicht irre. Alle wollten es erhalten, die Reformer so gut wie die, die sie bekämpften, und obwohl, ja sogar indem sie das wollten, zerstörten sie allmählich seine Grundlagen. Freilich, das Überkommene erhalten – das scheint uns höchst bemerkenswert, weil wir aus der Neuzeit gewohnt sind, daß Intellektuelle und unter Umständen Politiker sowie Teile der Gesellschaft etwas ganz Anderes, Neues anstreben. Daran gemessen waren jene Reformer konservativ, erscheint, was sie wollten, als gering. In Rom dagegen war der Gedanke an eine andere Ordnung nicht denkbar. Da konnten denn Differenzen, die uns klein anmuten, riesig erscheinen. Die Form der Republik
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war in ihren Grundzügen nie in Frage gestellt. Aber nicht zuletzt deswegen fühlten sich die führenden Senatoren so sehr mit der Republik identisch, daß sie Pläne, die ihre Macht einschränkten, als Angriffe auf die Republik empfanden. So verteidigten sie diese, ohne daß sie angegriffen worden wäre. Und das hat sie dann doch stark gefährdet. Es gibt Krisen, die dadurch entstehen, daß sich eine neue Kraft bildet, die zum Sturm auf das Bestehende ansetzt. Und es gibt auch Krisen, die entstehen dadurch oder bestehen darin, daß man sie dafür hält. Wobei es sich nicht nur um Krisenpsychologie handelt. Vielmehr brauchen nur die Ansprüche an das System so groß zu sein, daß dieses sich ihnen bei normaler Handhabung durch Menschen, beim normalen Wechselgang des Systemgeschicks versagen muß; und schon sind viele versucht, mit einem Systemversagen zu rechnen. Solche Ansprüche können sich derart stabilisieren, daß sie in der Tat zu krisentreibenden Faktoren werden. Sie richten sich dann auf ein Anderes, Besseres; und Enttäuschungen müssen folglich am System, nicht an den Ansprüchen irre werden lassen. Roms Krise aber war gerade dadurch gekennzeichnet, daß sich die Ansprüche höchstens darauf richteten, nicht hinter den Geboten der rechten Praktizierung des Überkommenen zurückzubleiben. Und so groß die Zahl der Notleidenden war, so zahlreich die Versuche, diesem oder jenem Mißstand durch Gesetzgebung abzuhelfen, niemals bildete sich über einzelne Situationen hinaus eine geschlossene Opposition, eine Reformpartei, ein umfassendes Programm, in dem die Unzufriedenheiten vieler zusammengeschossen wären zu einer gemeinsamen Politik. Gesellschaftliche und wirtschaftliche Probleme ließen sich gelegentlich, aber nicht auf Dauer in die Politik einbringen. Die römische Gesellschaft spaltete sich über ihren wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Problemen nicht. So konnte es dann in der Politik nur um begrenzte, kleinere oder größere Einzelfragen gehen. Das Ganze war weiterhin so umfassend, daß alle darin befangen blieben. Deswegen konnten, ja mußten diejenigen, die sich der Einzelprobleme in größerem Stil annahmen, Außenseiter sein. Zunächst waren es
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die großen Volkstribunen, die gestützt auf die Volksversammlung gegen den Senat Reformen durchzusetzen versuchten; an erster Stelle die Gracchen, Tiberius (133) und Gaius (123/2). Sie konnten zeitweilig große Anhängerschaften mobilisieren. Aber daraus ergaben sich keine neuen Parteiungen und Gegensätze über die Situation hinaus. Eben daher waren die politischen Positionen bestimmt, welche damals neuerdings möglich wurden. So kam es aber auch, daß nur sehr wenige zu Außenseitern werden konnten, starke, phantasievolle, meist erst durch bittere Erfahrungen ihrem Stand entfremdete Männer, die sich Einiges schuldig, die bereit waren, aus ihren Einsichten Konsequenzen zu ziehen. Daneben gab es noch eine Reihe von anderen, welche eine Weile mit der Außenseiterrolle spielten, daran sich ein wenig erwärmten, aber nicht festmachen konnten. Es gab da keine Sache, mit der man sich hätte identifizieren können. Man mußte vielmehr schon persönlich eine ganz außerordentliche Eigenständigkeit entwickeln, wenn man Forderungen gegen das Hergebrachte betreiben wollte. Sache in diesem Sinne war, was einer sich dazu erkor. Die Anlässe lagen bereit, es gab auch Parolen. Aber eine vorgegebene, in den Meinungen eines weiteren Kreises objektivierte Sache gegen den Senat, an der man hätte Kraft und Orientierung gewinnen können, gab es nicht. Und der Senat konnte so viel Macht und Entschiedenheit aufbieten, daß Außenseitertum meist extrem und tödlich war – jedenfalls, bevor Caesar in die Politik eintrat. Dieser Befund ist einigermaßen erstaunlich. Denn es gab vieles in Roms Ordnung, was anscheinend nicht mehr stimmte. Nicht nur, daß mit den Institutionen und Denkweisen, die die Römer für die begrenzten kantonalen Verhältnisse ihrer Frühzeit entwickelt hatten, inzwischen fast die ganze Mittelmeerwelt regiert wurde. Auch die Bürgerschaft war stark angewachsen, viele Städte über ganz Italien hin – seit den achtziger Jahren alle südlich der Poebene – besaßen das römische Recht; trotzdem fanden sämtliche Volksversammlungen weiterhin ausschließlich in Rom statt. Es hatte sich eine nach Zehntau-
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senden zählende wohlhabende Schicht gebildet; gleichwohl blieb die Politik in der Hand einer kleinen Aristokratie. Bis in die achtziger Jahre hinein waren es dreihundert Senatoren. Die Struktur der römischen Bürgerschaft veränderte sich. Es ergaben sich wirtschaftliche, gesellschaftliche und politische Probleme, die der Stadt mit der Zeit schwer zu schaffen machten. Den Kern der römischen Bürgerschaft hatten die Bauern gebildet. Sie hatten Roms Kriege gerührt; Militärdienst durfte nur leisten, wer Grundbesitz hatte – respektive einer Familie mit Grundbesitz entstammte; und ein bestimmtes Mindesteinkommen war Voraussetzung. Durch die Einfuhr billigen Getreides aus dem Herrschaftsbereich und die teilweise Umstellung der italienischen Landwirtschaft auf andere Produktionsweisen waren aber die wirtschaftlichen Bedingungen für die Bauern ungünstiger geworden. Als die Kriege in immer ferneren Gegenden zu führen waren und vor allem länger andauerten, gerieten viele Familien in große Schwierigkeiten; die Frauen und Kinder wurden mit der Wirtschaft nicht fertig. Zahlreiche Höfe mußten verpfändet werden, gingen verloren. Gerade in den Jahren vor 133 war ein sehr langer und noch dazu verlustreicher Krieg in Spanien zu führen gewesen. Der Volkstribun Tiberius Gracchus erklärte dann: »Die wilden Tiere, welche in Italien hausen, haben ihre Höhle. Jedes weiß, wo es sich verkriechen kann. Die Männer aber, die für Italien kämpfen und sterben, die haben nichts außer Luft und Licht. Heimatlos, gehetzt irren sie mit Weib und Kind durch das Land.« Unabhängig davon stellte sich bei schwindendem Bauernstand das Problem, wo Rom künftig seine Soldaten hernehmen sollte. Es hatte bereits einige Rekrutierungsschwierigkeiten gegeben. Dann schuf der Consul Gaius Marius, indem er 107 bei den Aushebungen jeden, der sich meldete, nahm, ein neues Problem: denn er weckte in den besitzlosen Soldaten, die übrigens zumeist vom Lande kamen, die Erwartung, daß sie nach dem Ende ihres – zeitlich meist kurz bemessenen – Dienstes Äcker zugeteilt bekämen. Er dachte primär an Land in den neu
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5 Bildnisstatue eines römischen Feldherrn. Rom, Thermenmuseum, um 70. gewonnenen Provinzen. Dies aber stieß im Senat auf den heftigsten Widerstand. Denn bei der hergebrachten aristokratischen Denkweise mußten solche Veteranen dem, der sie mit
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Land versorgte, sehr verpflichtet sein. Er gewann dadurch eine so große Macht, daß man befürchtete, er werde sich der oligarchischen Gleichheit nicht mehr einfügen. Deswegen bekämpfte der Senat solche Ackergesetze, gleichgültig wo die Ansiedlung stattfinden sollte. Das wiederum ließ die Soldaten auf ihren Feldherrn angewiesen sein. Mehrfach erwuchsen daraus schwere innenpolitische Streitfragen und Auseinandersetzungen. Vor allem aber entstand, indem die Soldaten sich nun dem Feldherrn enger verbunden fühlen konnten als dem Senat, eine wesentliche Bedingung der Möglichkeit für Bürgerkriege. Gewiß mußte viel zusammenkommen, damit sie auch genutzt werden konnte. Aber nicht erst 49 war das geschehen, sondern schon in den achtziger Jahren. Die mangelhafte Integration der römischen Armeen in die Republik stellte jedenfalls das virulenteste Problem der Epoche dar. Zudem wuchs in Rom während des zweiten Jahrhunderts eine nach Hunderttausenden zählende städtische Menge heran. Es gab zahlreiche Zuwanderer vom Lande, aus dem gesamten Mittelmeerraum, vor allem aber wurden alle Sklaven, die ein Römer freiließ, automatisch römische Bürger. Sehr viele Handwerker, Schreiber, Händler, Geldwechsler – oft die geschicktesten – waren Sklaven, wurden als solche nach Rom geholt und, wenn sie Erfolg hatten, nach einiger Zeit gern freigelassen. Zahlreiche dienstbare Geister kamen hinzu, denen ihre Herren etwa durch testamentarische Verfügung die Freiheit schenkten. Das Los der Sklaven war in der antiken Welt ja höchst unterschiedlich. Für die große städtische Menge aber gab es kaum genügend Beschäftigung, Wohnungen waren knapp, teuer und schlecht; es gab viel Elend, öfter auch Versorgungsschwierigkeiten. Gaius Gracchus suchte im Jahr 123 ihre Lage zu erleichtern, indem er ein Getreidegesetz durchbrachte, das ihnen verbilligte Rationen garantierte. Übrigens ließ er zugleich große Silos anlegen, in denen viel Getreide eingelagert werden konnte, damit auch bei Teuerung eine ausreichende Menge zur Verfügung stehe. Das Gesetz soll den Zustrom nach Rom und den Anreiz zur Freilassung noch vergrößert haben. So bildete sich hier ein
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Unruheherd, von dem dann in der späten Republik schwere Störungen des politischen Lebens ausgehen konnten. Sehr viel wohlhabender, einflußreicher und problematischer war die breite Schicht der Ritter. Ihren Namen verdankten sie der Tatsache, daß sie den Ritter-Census erfüllten, also fähig waren, mit eigenem Pferd zu Felde zu ziehen. Die Angehörigen dieser Schicht besaßen durchweg großen Grundbesitz. Zu ihnen gehörten die Adligen der italischen Städte. Ein Teil des senatorischen Nachwuchses rekrutierte sich aus ihnen; denn in jeder Generation schlugen einige Ritter die politische Laufbahn ein. Viele von ihnen befaßten sich mit Geschäften, als Großkaufleute, Bankiers oder Publicanen, Pächter öffentlicher Einkünfte und Aufträge. Die Publicanen bildeten eine bedeutende politische Kraft. Denn die römische Republik betrieb den größten Teil ihrer wirtschaftlichen und finanziellen Aufgaben nicht durch Beamte, sondern eben mit Hilfe von Pächtern – ob es nun um die Ausführung öffentlicher Aufträge, die Ausbeutung von Bergwerken, die Erhebung von Zöllen und vor allem um die Einziehung der Steuern in den Provinzen ging. Diese Geschäfte waren außerordentlich einträglich, entsprechend groß war der Reichtum dieser innerhalb des Ritterstands führenden Gruppe. Während alle anderen Ritter nur als Einzelne – wenn sie betroffen waren – oder als Teile der gesamten Öffentlichkeit in Politik verwickelt werden konnten, hatten die Publicanen gelegentlich gemeinsame Interessen; sie waren auch organisiert. Senat und Magistrate werden sie nach Möglichkeit berücksichtigt haben. Doch lange Zeit sind sie den Publicanen in einer selbstverständlichen Überlegenheit begegnet, und erst als Gaius Gracchus sie im Jahr 123 gegen den Senat stark aufwertete, begann sich daran etwas zu ändern. Zwar haben sie dem Senat auch dann niemals die Führung der Republik bestritten. Aber sie versuchten doch verschiedentlich, Einfluß darauf zu nehmen und scheuten sich nicht, es darüber zum Konflikt kommen zu lassen. Da sie, wenn sie politisch geschlossen handelten, die mächtigste Gegenkraft gegen den Senat darstellten, haben römische Volkstribunen mehrfach versucht,
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sich mit ihnen zu verbinden. So haben sie bei manchen Gelegenheiten zur Durchkreuzung und, aufs Ganze gesehen, zur Schwächung der senatorischen Führung beigetragen. Nur in scheinbarem Widerspruch dazu steht die Tatsache, daß sie den Senat in schwierigen Situationen zu stützen pflegten: dann befanden sie sich zumeist in einer Interessengemeinschaft mit ihm. Und in der Regel handelten sie ihm dabei Konzessionen ab. Sie waren zwar für die Bewahrung der politischen Ordnung, aber sie waren im allgemeinen nicht dafür, daß sie energisch gehandhabt wurde. Gerade deren Schwäche machte sie ihnen beliebt. Die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Probleme der späten Republik – also der Zeit seit 133, seit dem Volkstribunat des Tiberius Gracchus – ließen sich zwar fast alle im Rahmen der bisherigen Ordnung erledigen; jedenfalls solange es nicht zum Bürgerkrieg kam. Aber auf vielfältige Weise wirkten sie doch darauf hin, daß diese Ordnung zerschlissen wurde. Die grundlegende aristokratische Solidarität, auf der sie beruhte, lockerte sich. Es entspannen sich heftige Auseinandersetzungen, in deren Verlauf wichtige Institutionen an verpflichtender Kraft einbüßten. In Reaktion darauf zerbrach die wohl einzigartige Kombination von Vielfalt und Geschlossenheit, Elastizität und Härte, von Bewegungsfreiheit und Solidität der Ordnung, die die klassische Republik gekennzeichnet hatte. Die Praxis des Regierens, aber auch des öffentlichen Urteilens versteifte sich. Eben daraus erwuchsen dann wieder Folgeprobleme, etwa in der Außenpolitik, welche ihrerseits die Belastung der Aristokratie und der Republik im ganzen stark vergrößerten. Die Krise der republikanischen Ordnung nährte sich aus vielen Wurzeln. Aber ihre Dynamik erhielt sie im politischen Bereich. Dadurch war sie in ihrem Zentrum eine Krise eben der Ordnung selbst und der Aristokratie, die sie trug. Rom hatte keine gestiftete, sondern eine »gewachsene« Verfassung. Das hieß vor allem: Es war dort niemals ein Bruch zwischen gesellschaftlicher und politischer Verfassung erfolgt. Nie hatten sich etwa die mittleren und unteren Schichten
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derart aus dem Gesamtzusammenhang entfernt, daß sie eine rein politische Ordnung hätten konzipieren und gegen die gesellschaftliche aufbauen können. Immer sind ja die breiten Schichten potentiell mächtiger als die Aristokratie. Aber nur, wo es ihnen gelingt, diese Macht in politische Institutionen einzufassen, kann sie über Augenblicke der Empörung hinaus geltend gemacht werden. Es muß dann also im Politischen etwas organisiert werden, was gegen die gesellschaftlichen Verhältnisse gesetzt werden kann, wie es bei den Griechen geschah, als sie in einer aristokratischen Gesellschaft die Demokratie schufen. Eben dies aber war in Rom nicht erfolgt. Nie hatte aber auch eine Monarchie eine besondere staatliche Ordnung gegen die gesellschaftliche aufgebaut wie in der Neuzeit, als der Staat gleichsam die Gesellschaft transzendierte. Die politische Ordnung war in Rom vielmehr aus der gesellschaftlichen heraus entwickelt worden und dieser trotz verschiedener Veränderungen im Kern immer kongruent geblieben. Die römische Republik war in ihrer inneren Struktur nur die Summe der Organe, Konventionen, Präzedenzfälle und Gesetze, durch die man die Gesellschaft politisch in Form gebracht, handlungsfähig gemacht und praktiziert hatte, und sie war dann durch weitere Präzedenzfalle und Gesetze, durch die Entwicklung neuer Prinzipien und auf Grund einer gewissen Verschiebung der Machtverhältnisse und Veränderung der politischen Moral zum Teil modifiziert worden. Da war vieles offengelassen und das Ganze zugleich von großer Geschlossenheit. Denn die gesamten Verhältnisse waren sehr stabil. Es herrschte weitgehende Einigkeit darüber, was recht war und was nicht. Und so einig man war, so kräftig war das allgemeine Urteil, das daraus entstand. Ohne daß viel verboten gewesen wäre, wurde das Gemeinwesen in seiner Bahn gehalten. Als Richtschnur galt im allgemeinen das Herkommen, der Brauch der Väter (mos maiorum); aber der war nicht starr. Weil man sich der überkommenen Ordnung gewiß war, weil man sich zutraute, notfalls mit allen Störungen fertig zu werden, brauchte man etwa keine strikten Eingrenzungen von Kompe-
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tenzen vorzunehmen. Auf diese Weise konnte sehr vieles sich vertragen, was sich abstrakt genommen widersprochen hätte. Das betrifft vor allem die Institutionen, die Rom aus den Ständekämpfen bewahrt hatte. Damals hatte sich die Plebs, also die große Gruppe derer, die den Patriciern gegenüber in den politischen und Freiheitsrechten sowie wirtschaftlich benachteiligt waren, einige Kampfinstrumente geschaffen. Das waren die Volkstribunen, die die plebeischen Interessen ständig vertreten sollten, und die plebeischen Versammlungen, die durch Resolutionen ihrem Willen Nachdruck verliehen. Die Tribunen ertrotzten sich allmählich eine Reihe von Rechten, zumal das des Vetos. Endlich konzedierten die Patricier im Jahr 287, daß die Resolutionen der Plebs Gesetzeskraft erhielten. Weder das Gesetzgebungs- noch das Veto-Recht war eingeschränkt. Der Gedanke, daß sie im größeren Stil hätten mißbraucht werden können, lag offenbar fern. Und wenn er zu denken gewesen wäre, hätte man die Lösung jedenfalls nur darin suchen können, daß man sich dagegen gemeinsam zur Wehr setzen müsse. Denn man lebte in außerordentlicher Gegenwärtigkeit. Die Politik vollzog sich weitgehend in der Öffentlichkeit, zwar zwischen Adligen, aber zugleich unter den Augen all derer, die auf dem Forum anwesend waren oder herbeigeholt werden konnten. Dadurch war sie vielerlei Kontrollen ausgesetzt, der Spielraum für geheime Intrigen verringert. Sehr viele verfolgten sie jeweils mit Interesse, waren involviert, hatten Zeit dafür. Der räumlichen Gegenwärtigkeit korrespondierte die zeitliche: Die Römer waren mit den Köpfen kaum auf Vergangenheit und Zukunft abgelenkt, spezialisiert, zerstreut, sondern allesamt präsent in dem breiten Streifen einer als gleichbleibend verstandenen Gegenwart. Man kannte nicht viele Unterschiede in der zeitlichen Dimension. In der alten Zeit war vieles besser, in der Zukunft war vieles in Gefahr, schlechter zu werden. Das meinte man zu wissen. Trotzdem oder eher: deswegen waren die Richtschnuren immer die gleichen. Man war nicht in der Zeit relativiert, konnte nicht die Alten als überlebt und die Jungen als modern ansehen. Die Jungen
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6 Die geheime Abstimmung zählte zu den wichtigsten Freiheitsrechten der Römer. Der Nachfahre eines der Gesetzgeber, die sie einführten, zitiert diese Tat stolz auf einer Münze. Auf der Vorderseite Roma, hinter ihr die Abstimmungsurne. Auf der Rückseite: in einem Viergespann vorwärtsstürmende Libertas; die Personifizierung der Freiheit ist am Pileus (vgl. unten zu Abbildung 23) kenntlich, den sie in der ausgestreckten Rechten schwingt. Münze des Gaius Cassius Longinus, um 126. waren höchstens leichtfertig, die Alten jedenfalls maßgebend und mächtig. Man kam nicht aus einem Anderen, ging nicht in ein Anderes. Es gab kein Noch und kein Schon in Hinsicht auf die Ordnung, sondern nur deren immer gleiche Gegenwart, die es weiterhin zu bewahren, vielleicht zu befestigen galt. Das aber hing bedingt-bedingend mit der psychologischen Gegenwärtigkeit der Gesellschaft in den Sinnen ihrer Teilhaber zusammen. Man war in den Anschauungen über die gemeinsame Ordnung so wenig differenziert wie in der zeitlichen Orientierung. Und so einmütig die Anschauungen waren, so sehr bestimmten sie innerlich und äußerlich die Handeln-
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den. So lebte man in engster Tuchfühlung miteinander. Das führte dazu, daß bei jeder Institution der Sinn, in dem sie gemeint war, mitgedacht oder gefühlt wurde. Je weniger ihre Grenzen formuliert waren, um so deutlicher waren sie im Bewußtsein der einzelnen Bürger gezogen, jedenfalls während der klassischen Zeit. Hätte ein Grieche damals einen Römer gefragt, worüber die Volksversammlung beschließen dürfte, wäre ihm vermutlich arglos geantwortet worden: über alles. Hätte er dann verwundert nachgefragt, ob sie also auch Magistrate absetzen dürfe, hätte der Römer vermutlich ebenso verwundert erwidert: natürlich nicht. Er hätte kaum verstanden, wie der Grieche auf solche Fragen kam. Und wo einer nicht von selbst wußte, was sich gehörte und was nicht, tat sich die Mehrheit regelmäßig gegen ihn zusammen, und ihr Erfolg bildete dann ein neues Präzedens. So kam es dazu, daß sich für das Gesetzgebungs- und das Veto-Recht der Volkstribunen nach und nach bestimmte Spielräume herausbildeten, deren Grenzen elastisch waren, aber letztlich stets hielten. Auf Grund der konkreten Geschlossenheit der römischen Aristokratie kann der Gedanke an abstrakte Regelungen, der Gedanke, sich in entscheidenden Fragen auf gesetztes Recht zu verlassen, kaum nahegelegen haben. Denn weder überschnitten sich die Ansprüche in Hinsicht auf die Ordnung, noch lebte man in einer spezialisierten Gesellschaft, deren Zusammenhang relativ so wenig greifbar gewesen wäre, daß er abstrakte Regelungen erforderlich gemacht hätte. Folglich war die Stiftung einer Verfassung unmöglich. Man nahm die Dinge konkret, von der Bürgerschaft her, die rechtlich geordnet war, nicht von einem Recht, das man über die Bürgerschaft hätte setzen können. Bei all dem spielte, bewußt oder unbewußt, eine große Rolle, daß alle Macht und Autorität in Rom in erstaunlicher Weise an einer Stelle konzentriert war: im Senat und bei dessen Häuptern, den Principes. Der Senat war die oberste Instanz. In ihm ballte sich das allgemeine Urteil zusammen, ließ es sich wirksam formulieren und vertreten. Der Senat hatte die Verantwortung für das Gemeinwesen. Vor ihm wurde die
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Außenpolitik ausgetragen, er empfing die Gesandtschaften, beschloß über Bündnisse, über Krieg und Frieden – wenn auch formell die Volksversammlung darüber zu befinden hatte. Er veranlaßte die Aushebungen, stattete Feldherrn und Provinzialstatthalter aus, gab die Richtlinien für die Kriegführung. Er entschied über Streitigkeiten zwischen Städten, über alle wichtigen und unzählige unwichtige Angelegenheiten der Politik und Verwaltung. Die Magistrate handelten weitgehend im Auftrag des Senats, obwohl sie immer wieder versucht waren, ihren Spielraum auszuweiten. Mindestens die Obermagistrate, die beiden Consuln und Praetoren – in der späten Republik zunächst sechs, später acht – waren zwar grundsätzlich frei, aus eigener Verantwortung zu handeln. Aber in der Praxis kam es regelmäßig dazu, daß sie mit dem Senat zusammen ihre Politik festlegten; notfalls im Wege eines Kompromisses. Freilich konnte der Senat nicht immer einig sein. Da die größeren Streitigkeiten – welche die überkommenen Regeln in Mitleidenschaft ziehen mochten – zumeist um außerordentliche Ansprüche einzelner Adliger oder ganzer Adelsgeschlechter entbrannten, waren jeweils zahlreiche Senatoren durch Verwandtschaft oder Freundschaft in die einzelnen Affären verwickelt. Außerdem konnte es durchaus sein, daß jene Adligen das Volk als Wahlversammlung oder Gesetzgebungsorgan auf ihre Seite brachten – unter Umständen auch bestimmte Interessen von breiteren Kreisen vertraten. Dann war es schwierig, ihnen zu widerstehen. Schließlich konnte die Volksversammlung beschließen, was immer ein Magistrat beantragte. Und die Magistrate mochten ihren Freiraum großzügig ausnützen, um ihren Freunden und Verwandten zu helfen. Solchen Konflikten gegenüber hat sich in Rom eine äußerst praktische Politik durchgesetzt. In der Regel ließ der Senat die verschiedenen Initiativen sich zunächst entfalten. Dabei stießen sie freilich auf manche Gegnerschaft, unter Umständen auch auf das Veto von Volkstribunen. Notfalls scheinen die Senatshäupter auch Tribunen veranlaßt zu haben, mit ihrem Veto mindestens zu drohen. Denn seit dem 3. Jahrhundert fun-
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gierten die Volkstribunen nur mehr in Einzelfällen als Verfechter plebeischer Interessen gegen Senat und Magistrate. Im ganzen handelten sie im Rahmen der Parteiungen innerhalb des Adels. Im Endeffekt kam es jedenfalls in den schwierigen Fällen dazu, daß die Gegner sich einigten, die Angelegenheit dem Senat zu übergeben. Der konnte dann die Machtverhältnisse aus dem Austrag der Gegensätze schon ungefähr abschätzen. Und er ließ es nach altem Brauch nicht aufs Äußerste ankommen. Das hätte dem starken Wirklichkeitssinn, der geistigen Verhaftung an das Konkrete, an das Mögliche widersprochen. Waren diejenigen, von denen die Initiative ausging, stark, so neigte die Senatsmehrheit also in der Sache zu Konzessionen oder Kompromissen. Sie erreichte damit, daß die Entscheidung beim Senat blieb und daß nicht im Laufe des Streits Präzedenzfälle zu Gunsten einer Stärkung der Magistrate oder der Volksversammlung geschaffen wurden. Mitunter strebte man mit dem sachlichen Ausgleich auch eine Einigung darüber an, daß künftig ähnliche Ansprüche nicht mehr erhoben werden sollten. Insoweit war sich die Mehrheit allemal einig. Elastizität in der Sache und die schließlich erreichte Geschlossenheit einer »Verfassungspolitik« sorgten zusammen dafür, daß die Senatsautorität nicht überstrapaziert und daß sie stets bewahrt und überliefert wurde. Man mag in diesem Zusammenhang von »Staatsklugheit« oder von »Herrschaftsinstinkt« des Standes sprechen. Jedenfalls fassen wir hier, was die Bewahrung der Ordnung anlangt, ein erstaunliches Einigungsvermögen. Offenbar waren angesichts von Konflikten und Regelwidrigkeiten durch eine Reihe glücklicher Entscheidungen klare Regeln eingeschliffen und kräftige Positionen geschaffen worden, die es ermöglichten, die Mehrheit immer neu solidarisch ins Spiel zu bringen. Insbesondere hatte es sich so herausgebildet, daß die führenden Senatoren, die ehemaligen Consuln – der lateinische Fachausdruck war: Consulare –, eine besondere Zuständigkeit für das Interesse des Ganzen erhielten – des Gemeinwesens wie des Adels. Nicht zuletzt darauf beruhte ihre Autorität. Und minde-
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stens eine Mehrheit unter ihnen hat sich dieser Aufgabe wohl regelmäßig angenommen. So konnte man einerseits vieles dem freien Spiel der Kräfte, Einzelner wie der Familien überlassen und war andererseits doch sicher, daß dies in engen Grenzen blieb. Das Gros der maßgebenden Politiker handelte in wichtigen Fragen nicht parteilich. Dahinter stand dann aber die außerordentliche Macht des Senats, die zugleich die Überlegenheit Roms über wachsende Gebiete war, zuletzt über die ganze Welt. Die Welt fügte sich dem Spruch und also auch dem Urteil der Väter, der patres, wie sie genannt wurden. Deren Urteil war nicht unbedingt mächtig, weil es richtig, aber es war jedenfalls richtig, weil es mächtig war. Dabei sprach mit, daß Roms Oligarchie nicht den Anspruch erhob, daß alles nach Plan, sondern nur den, daß es einigermaßen reibungslos abliefe. So war ihr Regime enttäuschungsfest und sicher. Entsprechend blieb der Senat Herr des Geschehens in der Stadt. Magistrate und Volksversammlungen konnten sich dem um so eher fügen, als auf ihre – gelegentlichen – Ansprüche und Beschwerden Rücksicht genommen wurde. Übrigens trat das Volk gegen den Adel politisch seit den Ständekämpfen nur ausnahmsweise in Erscheinung. Die römischen Bürger waren durch mannigfache Bindungen an Adlige und Geschlechter attachiert, und die bestimmten in der Regel ihr Handeln. Es ging um Einzelheiten, man gruppierte sich, wie man gebunden war. Das freilich konnte nur solange gut gehen, wie die Streitpunkte begrenzt blieben. Wohl hat man die römische Republik immer wieder bewundert: die Weisheit des Senats und ihre innere Ordnung haben den Römern den Ruf eines politisch besonders begabten Volkes eingebracht. Aber jede Verfassung hat eine bestimmte Kapazität; keine ist auf Gegensätze jeder Art und Heftigkeit eingestellt. Die römische lebte davon, daß die Eroberungen lange Zeit Gelegenheit gaben, zahlreiche Interessen – etwa das der Bauern an Land – zu befriedigen und so von der Politik abzulenken. Was an Konflikten übrigblieb, war unter Umständen heftig, doch
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jedenfalls partikular. Als dann aber die großen Probleme der späten Republik aufkamen, war dieses System überfordert. Es hatte nur arbeiten können bei begrenzten Gegensätzen. Das wurde erstmals im Jahre 133 deutlich. Die Not der verarmten und enteigneten Bauernsoldaten hatte Tiberius Gracchus damals veranlaßt, ein Ackergesetz zu beantragen. Im Volk entstand eine mächtige Bewegung zu dessen Gunsten. Die Senatsmehrheit antwortete mit unversöhnlichem Widerstand. Ein anderer Volkstribun legte sein Veto ein. Das widersprach offenkundig dem Sinn seines Amtes und des Veto-Rechts. Man mochte gegen vieles intercedieren, aber niemals war das gegen ein mächtiges Interesse der Plebs geschehen. Und Ackergesetze gehörten traditionell zu den wichtigsten Gegenständen tribunicischer Gesetzgebung. Jener Volkstribun nahm sein Veto-Recht also absolut und verließ damit die Grundlagen der bisherigen Ordnung. Darauf ging Tiberius Gracchus noch einen Schritt weiter: Er beantragte, ihn abzusetzen. Damit war nicht nur das Veto-Recht, sondern auch der wichtige Grundsatz der Unabsetzbarkeit von Magistraten durchbrochen. Als Gracchus nach weiteren Regelwidrigkeiten sich gegen die Drohungen seiner Gegner nur mehr dadurch retten zu können meinte, daß er sich um ein zweites Volkstribunat bewarb, sah die Senatsmehrheit die Ordnung der Republik in Gefahr. Der Volkstribun wurde in einem Akt der Lynchjustiz erschlagen. Daß sich ein amtierender Magistrat unmittelbar um ein neues Amt bewarb, war verpönt. Nach Ablauf seines Amtsjahrs mußte es möglich sein, ihn zur Rechenschaft zu ziehen. Andererseits besaßen die Volkstribunen seit ältester Zeit die sacrosanctitas, die Unverletzlichkeit: Die Plebs hatte sich verschworen, daß jeder, der einem von ihnen etwas antäte, dem Tod verfallen sein sollte. Dagegen hatten die Senatoren jetzt verstoßen. Sobald die Solidarität des Adels nicht mehr ausreichte, um alle Gegensätze zu überbrücken – oder sobald diese zu stark waren, um noch innerhalb jener Solidarität aufgefangen werden zu können –, waren die überkommenen Institutionen für jeden Mißbrauch offen; man begann, sie zu verschleißen.
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Zehn Jahre nach Tiberius Gracchus ließ sich dann sein Bruder Gaius zum Volkstribunen wählen. Er hatte ein großes Reformprogramm, das umfassendste, das in der römischen Republik je entworfen worden war. Neben der Fortsetzung der Ackergesetzgebung, neben dem ersten Getreidegesetz und verschiedenen Maßnahmen zur Befestigung der Freiheitsrechte und zur Versachlichung der senatorischen Politik versuchte er, die Ritter als Stand aufzuwerten und stärker an der Politik zu beteiligen. Er gab ein Gesetz, wonach künftig sie – und nicht mehr die Senatoren – die Geschworenengerichte zu besetzen hätten, die in den sogenannten Repetundenprozessen zu entscheiden hatten. Dort ging es um die Rückerstattung unrechtmäßig angeeigneten Guts aus den Provinzen. Gracchus wollte damit der zum Teil skandalösen Ausbeutung der dortigen Städte durch die senatorischen Statthalter einen Riegel vorschieben. Aber die Wirkung seines Gesetzes ging weit darüber hinaus: Der zweite Stand sollte eine Kontrolle über den ersten üben. In gewissem Sinn rückte er damit in eine Funktion ein, die früher die Volksgerichtsbarkeit gehabt hatte, die sie aber längst nicht mehr ausüben konnte. Der unbestrittenen Führung und Verantwortung des Senats wurde damit ein Ende gesetzt, der Ritterstand politisiert, zu vielen Auseinandersetzungen Stoff geschaffen. Gegen Gaius Gracchus hat keiner ein Veto eingelegt: Er hatte sehr starke Kräfte auf seiner Seite; zudem war man wohl vorsichtiger geworden. Es wurde auch nicht verhindert, daß er, anscheinend durch geschickte Ausnützung einer alten Bestimmung, an sein erstes Tribunat ein zweites anschloß. Im zweiten Jahr setzte man aber einen Rivalen gegen ihn an, der noch volkstümlichere Gesetze gab. Der Senat zog außerdem die Ritter zu sich herüber, indem er ihnen die Gerichte konzedierte. Er handelte gemäß der alten Devise seiner »Verfassungspolitik«, lieber sachliche Konzessionen zu machen, als gefährliche Präzedentien zu dulden. Denn Gaius Gracchus hatte insofern gegen ein ungeschriebenes Gesetz verstoßen, als er unabhängig vom Senat, ja gegen ihn, große Reformen ins Werk gesetzt hatte. Das durfte sich keinesfalls wiederholen.
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Und die Ritter fanden, daß der Senat auf lange Sicht mächtiger und wohl auch, daß er die rechte Regierung der Republik war. Schließlich machte Gracchus einige Fehler; 121 ließ man ihn bei den Tribunenwahlen durchfallen. Im Jahr darauf wurde die Aufhebung eines seiner Gesetze beantragt. Die Reformer waren entschlossen, die entscheidende Volksversammlung zu sprengen. Die Atmosphäre war aufs äußerste gespannt. Nervosität, Aufregung, Verdächtigungen; Furcht vor Gewalt, das Verlangen, sich gegen Gewalt zu schützen, ihr möglichst zuvorzukommen, trieben sich gegenseitig hoch. Beide Seiten wurden zunehmend von den radikaleren unter ihren Verfechtern bestimmt. Es war die Stunde der Eifrigen, der Hitzigen, aber auch der Entschlossenen, die ihre Sache jedenfalls durchsetzen wollten. Wenig war nötig, daß Gewalt provoziert wurde. Sie scheint zuerst von den Anhängern des Gracchus angewandt worden zu sein. Da schlug der Senat zu. Nach den Erfahrungen von 133 hatte man sich auf eine solche Situation vorbereitet. Man faßte also erstmals den »Senatsbeschluß über die Verteidigung der Republik«, der dann kurz senatus consultum ultimum genannt wurde: Die Consuln sollten zusehen, daß die res publica keinen Schaden nehme. Das bedeutete die Anwendung unbegrenzter Polizeigewalt, notfalls unter Mißachtung der Freiheitsrechte der römischen Bürger. Dieser Beschluß wurde künftig zum äußersten Instrument senatorischer Politik, gleichsam zur ultima ratio des Senats. Erfolgreich anzuwenden freilich nur, wenn man auf breitere Unterstützung seitens der guten Gesellschaft rechnen konnte, insofern fußend auf der alten Legitimität senatorischer Führerschaft; zugleich aber doch ein Ausdruck auch der krassen senatorischen Parteilichkeit: Der Stand vertrug es nicht, daß ein Einzelner zu mächtig wurde. »Zufällig« war ein Kontingent kretischer Bogenschützen, der Scharfschützen der Antike, zur Stelle. Aber vor allem stützte der Consul sich auf die Ritter. Als seine Streitmacht heranrückte, wollte Gracchus sich das Leben nehmen; wie es heißt, unter Verfluchung des undankbaren römischen Volkes. Die meisten seiner letzten Anhänger waren schon
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übergelaufen, gegen Zusicherung der Straflosigkeit. Freunde veranlaßten ihn zur Flucht. Als die Gegner ihn einholten, ließ er sich von einem treuen Sklaven töten. Nach einer anderen Version haben ihn die Verfolger erschlagen. Seinen Kopf schnitt jemand ab, um ihn dem Consul zu überbringen. Aber ein Freund des Consuls entwandt ihn ihm. Als er ihn ablieferte, holte man eine Waage. Es war ausgerufen worden, daß der Kopf des Gracchus in Gold aufgewogen werden sollte. Siebzehn und ein halbes Pfund soll er gewogen haben, da man das Gehirn herausgenommen und Blei hineingegossen hatte. Die Leichen des Gracchus und seiner Anhänger – angeblich dreitausend – wurden in den Tiber geworfen. Diese zweite blutige Austilgung einer großen Reform hat in Rom vieles verändert. Einerseits durch die brutale Härte, mit der der Consul vorging, und dann durch das erfolgreiche Zusammenstehen des Senats zu dessen Verteidigung gegen alle Angriffe. Denn die Gegner machten den Bruch des Freiheitsrechts, wonach kein Magistrat einen Bürger ohne Gerichtsurteil töten durfte, zum Gegenstand einer Anklage vor dem Volksgericht. Dieses sprach ihn aber frei und legitimierte insofern den Anspruch, daß der Consul im Notfall unter Mißachtung dieses Rechts Schaden von der Republik abzuwenden habe. Mindestens ebenso bedeutsam war aber andererseits die Erfahrung der Unzuverlässigkeit der Ritter und der Schwäche der breiten Menge in der Stadt: Es gab offenbar keine Kraft, auf die man gegen den Senat, zu dessen Einschränkung, hätte bauen, zu deren Gunsten die Republik wirksam hätte reformiert werden können. So hat Gracchus’ kühne, phantasievolle Konzeption keine Nachfolger gefunden. Umfassendere Reformen sind künftig nur noch zweimal versucht worden, und zwar zu Gunsten des Senats. Gerade die Gründlichkeit und die Konsequenz der gracchischen Einsichten haben die Eitelkeit stärkerer Modifikationen des Überkommenen erwiesen, und die Unzuverlässigkeit der Ritter hat alle potentiellen Nachfolger entmutigt.
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Allerdings ist infolge der gracchischen Reformen eine Lockerung der Standesdisziplin und Bereicherung des politischen Instrumentariums erfolgt. Es bildete sich die neue Rolle des Popularen. Dieser Terminus bezeichnete eine besondere politische Methode, das populariter agere – auf populare Weise Politik machen –, sowie den, der sich ihrer bediente. Die Methode bestand darin, daß einzelne Politiker, in der Regel Volkstribunen, vor dem Volk gegen den Senat und eventuell gegen Magistrate agitierten und bei den Comitien Anträge durchzusetzen versuchten, die im Senat keine Chance hatten. Das war möglich, weil die Volksversammlung über alles Beschluß fassen konnte. Gesetze galten als die obersten Willensäußerungen der Gemeinde; die Senatsautorität zählte ihnen gegenüber nichts. Vor 133 war man gar nicht auf den Gedanken gekommen, viele Anträge gegen den Senat an das Volk zu richten. Und die wenigen, die doch vorgebracht wurden, sind zumeist vereitelt worden. Insofern hatte sich die potentielle Konkurrenz zwischen Senat und Volksversammlung kaum ausgewirkt. Seit den Gracchen dagegen wurde mit ziemlicher Regelmäßigkeit versucht, mit der Volksversammlung gegen den Senat Politik zu machen. Dazu gehörte das Vorbringen bestimmter, stets wiederholter Vorwürfe gegen die vermeintliche Willkür, Eigennützigkeit, Verantwortungslosigkeit und den Hochmut der hohen Herren, von denen es hieß, daß sie als kleine Clique durch vielfältige Machenschaften das Gemeinwesen eher als Beute denn als Aufgabe nahmen, dem Volk das Recht beschnitten oder gar vollends zu rauben drohten. Dagegen behauptete man, die alte Freiheit wiederherstellen zu wollen, rief die Bürger auf, ihre Trägheit zu überwinden, sich der Republik anzunehmen, also das zu tun, was der jeweilige Populare gerade wollte. Das fügte sich in der Summe zu einer bestimmten Tradition zusammen: Man berief sich auf die Gracchen als Märtyrer, auf andere Vorgänger, es schien ganz so, als hätte sich hier über die Jahre eine eigene politische Richtung ausgebildet. Zu dieser Methode gehörten ferner verschiedene Verfahrensweisen, wie sie sich empfahlen, wenn man eine Menge von Anhängern mobilisie-
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7 Münze des Lucius Cassius Longinus (63 v. Chr.). Die Abkürzung III V[ir] kennzeichnet Longinus als einen der drei jährlich wechselnden Münzmeister (nach der offiziellen Bezeichnung: tres viri aere argento auro flando feriundo). Dargestellt ist ein Bürger, der seine Stimmtafel in die Urne wirft. Auf der Tafel steht ein U, Abkürzung für »uti rogas«: eine feste Formel, mit der man einem Antrag zustimmte. Das Bild spielt auf das von einem Vorfahren des Münzmeisters beantragte Gesetz an, durch welches die geheime Abstimmung bei den meisten Volksgerichtsverfahren eingeführt worden war. ren und Gesetze gegen Widerstand durchbringen wollte. Nicht zuletzt bildeten sich bestimmte Gruppen in der Menge, die als Claqueurs und Stimmvieh die populare Politik regelmäßig unterstützten – und an ihr verdienten –, die gleichsam auf Abruf bereitstanden. Über diesen Kern hinaus muß es einen für uns nicht mehr bestimmbaren weiteren Kreis gegeben
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haben, in dem populare Agitation potentiell Resonanz fand, der aber zum großen Teil nur mühsam und bei besonderen Gelegenheiten zu mobilisieren war. Gleichwohl gab es offenbar genügend Menschen in der städtischen Menge, die dazu neigten, die Opposition gegen den Senat zu unterstützen. Sie waren nicht unbedingt gegen dessen Regime; das ist sogar eher unwahrscheinlich; auch die Volkstribunen waren es nicht. Aber sie konnten sich über die Modalitäten dieses Regimes ereifern; darüber, daß die gegenwärtigen Senatoren so weit hinter den früheren zurückzubleiben schienen. Das stolze, großartige Auftreten der führenden Nobiles konnte die städtische Menge ebenso verletzen, wie es ihr bei anderer Gelegenheit imponierte – und wie sie es im Grunde erwartete. Die Atmosphäre der Stadt war geladen mit Politik. Die Menge selbst lebte beengt und in Armut, wenn sie auch immer aufs neue mit Spielen und Spenden bei Laune gehalten wurde. Aber in den Volksversammlungen sprach man sie als die Herren der Welt an. Denn der kleine Haufe derer, die sich dort zumeist nur versammelten, galt rhetorisch für das römische Volk. Da konnten die Tagelöhner, Händler und Handwerker Roms denn dem Aufruf oft nicht widerstehen, sich aktiv in der Politik einzusetzen, nach dem Rechten zu sehen, anscheinend überfällige Gesetze zu geben und eine Verantwortung wahrzunehmen, die im Grunde weit über ihr Niveau hinausging. Auch wußten sie ihre Freiheitsrechte zu schätzen, das Recht auf körperliche Unverletzlichkeit, auf geheime Abstimmung und anderes; Rechte, die von Seiten der Adligen nicht immer ganz respektiert wurden. Die führenden Senatoren mochten ihnen zwar gelegentlich schmeicheln, wenn sie sie nämlich offensichtlich brauchten. Die Popularen dagegen bemühten sich ständig um sie. Sie standen in Opposition, hatten weit weniger Macht. Nur von ihnen konnten sie erwarten, daß sie sich für sie einsetzten. So gab es im Zweifelsfall eine starke Neigung in der Plebs zu denen, die die populare Rolle spielten. So wenig sich daraus eine konsistente Politik ergab, für die führenden Senatoren war die städtische Menge nicht käuflich; oder sie mußten schon
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sehr viel aufwenden, und es durfte dann nicht um eine Sache gehen, die den gewöhnlichen Ansprüchen popularer Politik widersprach. Insoweit gab es durchaus einen Gegensatz zwischen Senat und Volk. Aber es bildete sich auf popularer Seite kein politisches Lager, in dem ehrgeizige Adlige ihren Ort hätten finden können. Sie konnten sich höchstens partiell und vorübergehend hier aufhalten, Station machen auf ihrem politischen Weg. Immer andere haben sich dieses Instruments bedient. Und so sehr sie dem Text der Rolle nach zusammengehörten, so wenig bildeten sie nach ihren politischen Zielen eine Gruppe. Sie hatten als Populare keine gemeinsame Sache – wenn man davon absieht, daß sie alle die populare Apparatur ölen mußten, damit sie sie benutzen konnten. Das erscheint aus heutiger Sicht – und aus der Gewöhnung an moderne Parteien – betrachtet sehr merkwürdig. Lag hier nicht ein Potential bereit, mit dem man höchst erfolgreich gegen den Senat hätte Politik machen können? Die Menge in der Stadt zählte damals nach vielen Zehntausenden. Wenn sie zum guten Teil in recht bescheidenen oder gar notvollen Verhältnissen lebten, hätte man auf sie gestützt nicht jeden Volksbeschluß erwirken können? Allein, größere Erfolge hatte die populare Politik nur selten. Immer waren dann kräftige Minderheiten außerhalb der städtischen Menge interessiert und beteiligt. Und fast nie sollte etwas zu Gunsten dieser Menge ins Werk gesetzt werden. Man suchte sie höchstens gelegentlich, bei großen Vorhaben, durch Gesetze zur Verbilligung des Getreides zu ködern. Es mutet erstaunlich an, und man sucht es mit zum Teil erstaunlichen Argumenten zu erklären. Etwa durch den Hinweis, die Armen in der Stadt seien vielfach auf Grund von Zuwendungen verschiedener Art in die Clientel von Senatoren geraten. Nur war diese Clientel, aufs Ganze gesehen, offenbar bei allen besonderen Anlässen politisch wenig wirksam. Und welchen Apparat hätten die Senatoren gebraucht, wenn sie unter vielen Tausenden oder gar Zehntausenden das Wahlverhalten ihrer Clienten hätten kontrollieren wollen? Nein, entscheidend für
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jene Schwäche der städtischen Menge war zunächst, daß ihre Stimme in der Volksversammlung nicht viel wog. Das Gros der städtischen Bürgerschaft war auf vier von fünfunddreißig Stimmabteilungen beschränkt; und das Gesamtergebnis wurde nicht aus der Summe der individuellen, sondern aus der der Abteilungsstimmen ermittelt. Darüber hinaus waren die Machtverhältnisse innerhalb der römischen Bürgerschaft wesentlich durch die wohlhabenden Schichten bestimmt. An ihnen hing – auf Grund des nach Census gestaffelten Wahlrechts – die weitere politische Laufbahn der Volkstribunen. Teile von ihnen mochten die eine oder andere populare Aktion gutheißen, eine Aufwertung der städtischen Menge aber, eine Politik, die deren – insbesondere wirtschaftlichen – Interessen kontinuierlich hätte dienen wollen, hätten sie nie geduldet. Schließlich: Wie hätte man sich über Einzelfälle hinaus auf eine unberechenbare, breite Menge stützen sollen? Wie wollte man auf diese Weise einen den ganzen Mittelmeerraum umfassenden Herrschaftsbereich regieren? Ohne bürokratischen Apparat, zwar bei weitgehender Selbstverwaltung, aber angesichts der Notwendigkeit, in unendlich vielen Angelegenheiten von der Zentrale her Stellung zu nehmen. Es wäre nur auf dem Weg einer demagogischen oder plebiszitären Tyrannis gegangen. Alles in allem genommen wäre vermutlich der Gedanke an eine auf das Volk alternativ zum Senat gestützte Politik über die Kapazität des Denkbaren hinaus gegangen. Die Armut der städtischen Menge war also in der Regel nicht Gegenstand und war wohl niemals Anlaß der popularen Politik. So konnte diese im Ganzen nur Mittel sein zu Zwecken, die nicht die der breiten Menge waren. Diese Art der Politik ist nur zu verstehen, wenn man sich vor Augen hält, daß die Parteiungen der römischen Republik gegenstandsabhängig waren: Sie wechselten von einer zur anderen Gelegenheit. Jene Nötigungen hatte es nicht gegeben, die in der Neuzeit zur Formierung von Parteien führten, welche sich auf den verschiedensten Gebieten geschlossen zur Geltung bringen, so daß fast alle politischen Auseinandersetzungen zwischen ihnen ausgetragen werden. Eine entspre-
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chende Kristallisation von Interessen war im Gegenteil gar nicht möglich gewesen. Das politische Leben war dadurch bestimmt, daß in aller Regel nur sehr vereinzelte Interessen auf die Tagesordnung kamen, sei dies nun bei einer Wahl, wo es von Jahr zu Jahr um andere Kandidaten ging, sei es bei Senatsverhandlungen oder vor Gericht; ganz selten nur standen größere Gruppen geschlossen zusammen, um gemeinsame Angelegenheiten zu verfechten. Und dies wiederum war dadurch bedingt, daß die Gegenstände des politischen Lebens beschränkt waren: Es gab keine Steuern, folglich auch keinen Streit darum, die Wirtschaft war nicht Gegenstand von Politik, soziale Probleme kamen nur selten auf die Tagesordnung, auch Bildung und Religion haben die Politik nicht beschäftigt. Selbst die Außenpolitik und das Militärwesen haben in der späten Republik nur ausnahmsweise bedeutende Probleme aufgeworfen. Da aber die Stellungnahmen der Senatoren innerhalb der Unzahl einzelner Fragen, die sich auftaten, von persönlichen Bindungen bestimmt waren, gruppierten sie sich je nach Gegenstand immer wieder neu. Und entscheidend waren der Einfluß und die Macht, über die sie im Senat verfügten. Die aber hingen zum guten Teil von der Laufbahn ab, also davon, daß sie möglichst hohe Magistrate erreichten. Da nun die städtische Menge bei den Wahlen zu den höheren Magistraten keinen großen Einfluß hatte und da zudem nur in Ausnahmefällen größere Gruppen – etwa der Ritter oder der Veteranen – veranlaßt waren, sich mit Hilfe der Volksversammlung durchzusetzen, stellte diese in der Regel also nur einen Faktor unter vielen anderen dar. Dieser oder jener mochte sich darum bemühen, aber nur gelegentlich lagen bei ihr wirklich wichtige Entscheidungen. Der Gegensatz zwischen Senat und Volk kehrte also zwar immer wieder, aber in der Regel stand er am Rande der Politik. Wohl mochten einige Politiker ständig die populare Agitation unterstützen, aber die ehrgeizigeren waren das nicht; dazu brachte es zu wenig Einfluß. Erst in der Zeit Caesars hat sich daran etwas geändert.
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In einer Krise nun, in der zwar vieles nicht mehr stimmt, in der aber die Notleidenden zu schwach sind, um sich politisch zu formieren, in der folglich in Hinsicht auf die Ordnung die Unzufriedenen macht- und übrigens auch gedankenlos und alle auch nur potentiell Mächtigen zufrieden sind – in einer solchen Krise können Außenseiter nicht auf das Bergende einer in sich konformen Opposition rechnen. Sie können zwar vorkommen, sogar Macht gewinnen, aber der Raum, in dem sie sich entfalten können, ist beschränkt, und nur wenige können die Schranken überspringen. Tiberius Gracchus, der aus einem der ersten Häuser der römischen Nobilität stammte, war dem Senat durch einen Zufall entfremdet worden: Er hatte als junger Magistrat in Roms spanischer Armee gedient, als diese in einem Hinterhalt eingeschlossen wurde. Die Spanier waren bereit, den dreißigtausend Soldaten Leben und Freiheit zu schenken, wenn Rom ihnen dafür ihre Unabhängigkeit zugestehe. Mit dem Consul aber wollten sie nicht verhandeln; denn schon einmal hatten sie ein römisches Heer gegen einen entsprechenden Vertrag mit einem Consul freigelassen, und der Senat hatte sich geweigert, die Abmachung anzuerkennen. Doch zu Tiberius Gracchus hatten sie Vertrauen, weil dessen Vater einst einen gerechten Vertrag mit ihnen geschlossen und für dessen Einhaltung gesorgt hatte. Daraus hatte sich ein Clientel-Verhältnis zur Familie der Gracchen ergeben. Tiberius vereinbarte dann einen Frieden, den er zusammen mit dem Consul und sämtlichen hohen Offizieren beschwor. So wurde die Armee gerettet. Aber im Senat fand sich wiederum keine Mehrheit, so daß der Vertrag vereitelt wurde. Tiberius war in seiner Ehre und wohl auch in seinem Anstand tief verletzt. Er war anspruchsvoll, stolz, etwa dreißig Jahre alt, und da er einmal an der Weisheit, an der Verantwortlichkeit des Senats zweifelte, war er bereit, jenes Problem ganz ernst zu nehmen, das der Senat schon länger vor sich herschob: das Elend der landlosen Bauernsoldaten und die Rekrutierungsschwierigkeiten, die daraus in den letzten Jahren entstanden waren. So kam er zu seinem Ackergesetz und war dann entschlossen, es gegen jeden Widerstand durchzusetzen.
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Er entfaltete also eine ganz neue Art politischen Anspruchs, die in Rom ganz ungewohnte Überzeugung, daß ein Einzelner den Senat herausfordern dürfe. Es war dies ein für römische Verhältnisse geradezu unheimliches Bewußtsein, recht zu haben gegen die Anderen, das noch dazu nicht aus eigener Leistung entsprang, sondern aus Kritik am Senat und aus Reformwillen, aus dem Stolz und Überlegenheitsgefühl dessen, der sich, im Unterschied zu seinem ganzen Stand, wahrhaft verantwortlich für die Republik wußte. Der senatorische Widerstand konnte ihn darin nur bestärken, konnte die Ungeduld wecken, daß nur durch ihn und jetzt das Problem zu lösen war; und sei es unter Rechtsbrüchen. Daß Tiberius’ Absichten eigentlich konservativ waren, daraufgerichtet, den Bauernstand, die alte Grundlage der römischen Armee und Bürgerschaft wieder aufzurichten, war dagegen ganz gleichgültig. Er war längst zum Außenseiter geworden; und damit solch ein Handeln wider das Recht und die Verantwortung des Senats nicht Schule machte, wurde er beseitigt. Da der Angriff auf Tiberius Gracchus aber vom Senat ausgegangen war und viele der maßgebenden Senatoren ihn mindestens nachträglich guthießen, wurde dessen jüngerer Bruder Gaius zum erbitterten Gegner des Senats. Etwa zwanzig Jahre war er damals alt, ein hochbefähigter Mann voller Energie, von einem leidenschaftlichen Willen beseelt, den Bruder zu rächen. Aber stärker noch wurde dann sein Wunsch, mächtig zu werden und dessen Werk fortzusetzen. Seine außerordentlichen und vielfältigen Talente sammelten sich auf die Aufgabe, die Republik zu reformieren. Denn er begnügte sich nicht mehr wie sein Bruder mit einer Einzelheit, sondern er zielte auf das Ganze, insbesondere auf die politische Reform. Er war auch nicht konservativ, sondern ein Neuerer, freilich in den Grenzen, die Roms Verhältnisse jeder Veränderung setzten. Keiner hat das römische Gemeinwesen so unabhängig und sorgfältig durchdacht wie er. Von daher kam er zu dem Wunsch, in den Rittern eine neue Kraft gegen den Senat aufzubauen. Doch ging seine Gesetzgebung weit darüber hinaus; es gab kaum ein Gebiet des römischen Gemeinwesens, das sie nicht berührte.
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8 Marius als Triumphator im Viergespann, in den Händen ein Szepter und einen Zweig; auf dem äußersten Pferd – dem Brauch entsprechend, wonach die Kinder des Triumphators auf den Pferden des Gespanns mitreiten durften – sein 109 geborener Sohn Gaius. Münze des Gaius Fundanius, um 100; das Q über dem Bild bezeichnet das Quästorenamt des Münzmeisters. Nur setzte sein Tod dann allen Hoffnungen auf eine Reformierbarkeit der römischen Republik ein Ende. Im Jahrzehnt zwischen 111 und 100 entstand eine oppositionelle Strömung gegen den Senat, die offenbar letztlich von dem Wunsch der Ritter nach einer geachteteren Stellung in der Republik getragen wurde. Damals haben sich eine Reihe der begabtesten Söhne des römischen Adels als Volkstribunen gegen den Senat gestellt; doch nur vorübergehend, es ging um begrenzte Materien; allesamt haben sie eine sehr erfolgreiche Laufbahn gemacht. Damals scheinen also die Grenzen des politischen Komments weiter gezogen gewesen zu sein. Die
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Väter ließen es sich gefallen, daß ihre Söhne die neuen politischen Möglichkeiten nutzten. Nur einer geriet damals fast in die Rolle des Außenseiters, Gaius Marius. Er stammte nicht aus einer senatorischen Familie, war also ein homo novus. Er hatte sich als Soldat sehr bewährt, und er vermochte dann die politische Strömung jener Jahre zu nutzen, um mehrfach nacheinander Consul zu werden. Das war ein einmaliger Erfolg. Marius war eine einfache Natur, doch bauernschlau, ein tapferer Offizier, der sich nie geschont hatte. Er liebte es, seine Narben zu zeigen. Sein Selbstvertrauen lag im Streit mit einer empfindlichen Reizbarkeit gegenüber den hochmütigen Adligen und ihren teilweise verweichlichten, jedenfalls recht feinen Söhnen. Wie es erfolgreiche Neulinge wohl regelmäßig taten, erklärte er gern und laut, daß er die alte Väterart viel besser verkörpere als jene. Nur kam bei ihm hinzu, daß er wirklich der einzige bedeutende und glückliche Feldherr seiner Zeit war. Die Gunst der politischen Verhältnisse erlaubte es ihm, seinen Ressentiments freieren Lauf zu lassen. Er kostete die Schwächen der Senatoren aus, tat ungehemmt, was er für richtig hielt, verfolgte rücksichtslos seinen Weg, zu wenig berührt von der assimilierenden Kraft des Standes. So steigerte er sich in eine gewisse Sonderstellung hinein. Ohnehin hatte er in seinem Trotz, angesichts der Enttäuschungen und Beleidigungen, gleichsam Zuflucht bei seinen Soldaten gesucht. Er teilte alles mit ihnen, ging darin auf, für sie zu sorgen. Wohl verlangte er viel, aber er setzte sich deutlich von den anderen hohen Offizieren ab, indem er sich den Soldaten besonders zugehörig fühlte. Deswegen erhob er, nachdem er auch Besitzlose angeworben hatte, für sie den Anspruch auf eine Ackerversorgung. Der Volkstribun, der diesen Anspruch im Jahre 100 durch ein Ackergesetz verwirklichte, Lucius Appuleius Saturninus wurde, nachdem sich die Auseinandersetzung zugespitzt hatte, umgebracht. Danach formierte sich der Senatsadel neu. Man rückte zusammen, trieb künftig eine entschiedenere, konsequentere Politik; gegenüber popularen Aktionen wurde fürs
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erste keine Toleranz mehr aufgebracht. Der letzte große Reformversuch vor der Bürgerkriegsperiode der achtziger Jahre wurde dann auch im Sinne des Senats unternommen. Er ging aus von Marcus Livius Drusus, der sich für das Jahr 91 zum Volkstribunen hatte wählen lassen. Ähnlich wie Gaius Gracchus, setzte er sehr umfassend an, nur hatte er die Stärkung des Senatsregimes im Auge. Er nahm zum Beispiel den Rittern die Geschworenengerichte wieder weg, wozu besonderer Anlaß bestand, nachdem sie 92 auf skandalöse Weise Standesjustiz geübt hatten: Sie verurteilten einen Consular, weil er sie an der hemmungslosen Ausbeutung der Provinz Asia hatte hindern wollen. Livius Drusus vergrößerte auch den Senat. Für das niedere Volk gab er ein Getreide- und ein Coloniegründungsgesetz. Vor allem aber wollte er ein Problem lösen, das damals brennend geworden war: Er wollte die Forderungen der italischen Bundesgenossen auf Aufnahme ins römische Bürgerrecht ganz oder teilweise erfüllen. Rom hatte bei der allmählichen Ausdehnung seiner Herrschaft über ganz Italien sogleich oder nachträglich verschiedenen Städten sein Bürgerrecht verliehen. Es hatte im übrigen einige Colonien eigener Bürger ausgesandt, zumeist an strategisch wichtige Punkte. So war wohl ein gutes Drittel der Städte Italiens südlich der Poebene, abgesehen von Sizilien, römisch. Die anderen waren formell selbständig, aber mit Rom verbündet. Sie konnten sich selbst verwalten, waren jedoch gegen willkürliche Einwirkungen römischer Magistrate nicht unbedingt sicher, waren außerdem zur Stellung militärischer Kontingente verpflichtet. Den weiten römischen Herrschaftsbereich hatten sie Seite an Seite mit den Römern für Rom erobert. Einzelne Familien oder Städte konnten durch das römische Bürgerrecht ausgezeichnet werden. Aber das war inzwischen seit Jahrzehnten nur mehr selten geschehen. Freilich hätten viele Städte dieses Recht gar nicht als ein reines Geschenk empfunden. Es hätte ihnen die Selbständigkeit und manche Eigenheiten genommen, an denen sie oder die bei ihnen herrschenden Schichten hingen. Aber ein wachsender
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Kreis von Männern und Städten fand dies nicht so wichtig wie die Benachteiligung, die sie gegenüber den Römern erfuhren. Aushebungsprobleme und anderes kamen hinzu, um mindestens den Wunsch nach Aufnahme in das Bürgerrecht bei vielen zu erwecken. Als Rom sich dem nicht nur nicht erschloß, sondern seit 95 sogar juristisch konsequent diejenigen aus dem Bürgerrecht verwies, die auf irgendeinem Umweg dazu gekommen waren, als Bürger angesehen zu werden, scheint vielen die Geduld gerissen, die Hoffnung vergangen zu sein; und aus dem Wunsch wurde eine Forderung, die sich unter Teilen der Bundesgenossenschaft rasch und mächtig verbreitete. Es ist unverkennbar, daß dieser Vorgang samt seiner Vorgeschichte in engem Zusammenhang stand mit den sozialen und politischen Veränderungen, die in Rom seit etwa der Gracchenzeit virulent geworden waren. Die Aushebungsreform, die Getreidegesetze – die die Stadt anziehend machten –, der Aufstieg der Ritter, die Schwächung des Senats, wohl auch zunehmende Willkür einiger seiner Mitglieder, trugen je auf ihre Weise dazu bei. Auch hatte schon Gaius Gracchus ein Bundesgenossengesetz geben wollen. So ist diese Problematik, die so sehr zum Niedergang der Republik beitrug, wesentlich auch ein Produkt der Krise, kein von außen kommender Zufall gewesen. Es gab mächtige Einwände gegen Livius Drusus’ Antrag. Wäre er durchgekommen, so hätte er dem Tribunen eine ungewöhnlich große Anhängerschaft eingebracht. Denn die Neubürger wären ihm nach herrschender Anschauung zu politischer Unterstützung verpflichtet gewesen. Obwohl er angetreten war, alle anstehenden Fragen im Sinne des Senats zu lösen und obwohl er die Autorität einiger führender Senatoren für sich hatte, gewährte ihm die Mehrheit des Hauses bei diesem Antrag keine Unterstützung. Ja sie ging sogar soweit, die schon verabschiedeten Gesetze wegen eines Formfehlers zu annullieren. Oligarchische Eifersucht, wachsender Widerstand und die Bemühungen verschiedener senatorischer Gegner des Drusus trafen dabei zusammen. Aber der Tribun scheint der
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Abneigung und den Befürchtungen durch seine Art zusätzliche Nahrung gegeben zu haben. Denn Marcus Livius Drusus war ein besonders selbstbewußter, eigenwilliger, ambitionierter Aristokrat; streng gegen sich und andere, von großer Klugheit und Weitsicht. Sonst hätte er das große Reformwerk wohl auch gar nicht unternommen. Er war gewöhnt, äußerst hart zu arbeiten – schon als Junge soll er sich nie Ferien gegönnt haben. Als ihm der Architekt auf dem Palatin sein Haus so bauen wollte, daß keiner hereinschauen konnte, befahl er, er solle es im Gegenteil so einrichten, daß alle sehen könnten, was er täte. Jetzt hatte er erkannt, daß das Senatsregime befestigt werden müsse, und er wußte wohl auch, wie dringend den Bundesgenossen die Aufnahme ins Bürgerrecht war; daß sie entschlossen waren, einen Krieg zu beginnen, wenn Rom sie ihnen nicht gewährte. Man durfte keine Zeit verlieren. Alles hing an ihm, er hatte das Ganze durchzusetzen, und zwar schnell. Da konnte er nicht viel Rücksicht nehmen. Angesichts der Dringlichkeit der Aufgaben können ihn die Empfindlichkeiten, Wünsche und Bedenken der Senatoren nur abgestoßen haben. Er ließ sie daher fühlen, daß er zu beschäftigt war, um sich alles anzuhören. Als ihn der Senat einmal in eine Sitzung holen ließ, antwortete er, wenn die Senatoren etwas von ihm wollten, sollten sie doch zu ihm kommen. Auch sonst mag er in seiner energisch-stolzen Art weiter als nötig gegangen sein. Noch auf dem Totenbett fragte er die Freunde, wann wohl die römische Republik wieder einen Bürger hervorbringen werde, der ihm gleiche. Es waltete da eine Dialektik. Ganz gleichgültig, ob für oder gegen den Senat: Wirklich umfassende Reformen packte nur an, wer besonders eigenwillig, mutig, entschlossen und natürlich auch in großem Stil auf Wirkungsmöglichkeit und Macht aus war; wer über die anderen hinausragte. Und gerade wenn er jung war, insofern von der Welt der Väter noch nicht voll vereinnahmt, und ein wenig außenseiterisch dazu, zog er fast notwendig früher oder später das Mißtrauen und die Gegnerschaft des Senats auf sich. Die Sache, das Programm wogen leicht gegenüber diesem Auseinanderdriften eines entschlos-
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senen, hochangespannten Einzelnen und einer bedenklichen, verletzlichen, auf Gleichheit, Berücksichtigung und Beharrung ausgerichteten Oligarchie. Dadurch wurde eine Reform im Sinne des Senats fast unmöglich; es sei denn, einer wäre stark genug gewesen, um sie gegen dessen Mehrheit durchzusetzen. So stand auch der »Gracchus der Aristokratie« (Mommsen) am Ende allein. Der Kampf um das Bundesgenossengesetz war äußerst heftig. Zahlreiche Italiker waren nach Rom gekommen. Es gab mächtige Demonstrationen, Einschüchterung und Angst. Gerüchte über Mordabsichten kursierten. Und so war es dann wohl nicht nur einzelnen Plänen, sondern zugleich der aufgeheizten Atmosphäre zuzuschreiben, wenn auf Drusus ein Anschlag verübt wurde: Im dichten Gedränge der Anhänger, die ihn jeweils nach Hause begleiteten, wurde ihm eines Tages ein Dolch in die Seite gestoßen; wenige Stunden später starb er. Gleich darauf begannen Roms Bundesgenossen den Krieg. Noch einmal also endete ein großer Reformversuch mit dem Tod des Volkstribunen. In jedem dieser Fälle hatten zuletzt Senatoren und Ritter ihren Widerstand gegen die Reformer massiert, wenn auch die Gewichte zwischen ihnen jeweils verschieden verteilt waren. Die Trägheit, die Schwerkraft der Beharrung, die die »gute Gesellschaft« Roms – die »Guten«, wie sie sich nannten – zu Gunsten der überkommenen Ordnung ausübte, war außerordentlich groß. Da mochten sich verschiedene Reformgesetze durchbringen lassen und sogar den Tod des Gesetzgebers überdauern; aber daß einer gegen den Senat, ja sogar im Sinne des Senats Großes ins Werk setzte, mit der Selbständigkeit eines gewissen Außenseitertums, schien unerträglich. Es wurde als Bedrohung der politischen Ordnung empfunden, die in der gegenseitigen Bindung aller bestand. Marius war der einzige bedeutende Außenseiter, der überlebte. Aber er war ja auch kein Volkstribun, sondern ein Kriegsheld, hatte vollbracht, was seit alters den höchsten Ruhm in der römischen Geschichte eintrug.
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Die Tödlichkeit des aktiven Außenseitertums konnte es nicht verhindern, daß immer wieder Einzelne verschiedene große Probleme aufgriffen und zu lösen versuchten. Schon im Jahr 88 werden wieder bedeutende Reformvorhaben sowohl für wie gegen den Senat ins Werk gesetzt, von dem jungen Volkstribunen Sulpicius Rufus und dem schon älteren Consul Sulla. Der Volkstribun fand dabei den Tod; denn der Consul hatte – erstmals in der römischen Geschichte – eine Armee auf Rom geführt. Aber was immer an Reformen angepackt wurde, das politische Problem des damaligen Rom wurde weder erkannt noch gelöst: das Problem, das darin bestand, daß der Senat mit den Schwierigkeiten des weltweiten Herrschaftsbereichs nicht mehr fertig wurde und daß er jeden bekämpfte, der dies versuchte; weil eben aus jedem solchen Versuch zuviel Macht zu erwachsen schien und weil er politische Selbständigkeit teils voraussetzte, teils zur Folge hatte. Die drängendsten sachlichen Aufgaben sind dann gleichwohl erledigt worden; gegen den Senat. Und seit den achtziger Jahren zumeist von einem neuen Typ des Außenseiters: dem des bewährten Feldherrn; Männern in der Tradition des Marius. Aber es trat dann jene spezifische Kombination von Problemlösung und Problemstau ein, die man stets findet, wenn eine Gesellschaft gleichsam auf falschem Wege ist: wo denn mit jeder Lösung das eigentliche Problem, das der Weg selber darstellt, wächst. In diesem Fall wurden die Einzelgänger dabei immer mächtiger und infolge davon verschärften sich die Gegensätze, wurde die politische Ordnung immer weiter aufgerieben. Insgesamt gab es in der späten Republik, was die politische Ordnung anlangt, wenig neue Gedanken. Wenn es richtig ist, daß es bei politischen Gedanken darauf abgesehen ist, daß sie Hebel sind in der Wirklichkeit, dann brauchen sie Punkte, an denen sie ansetzen können. Seit dem Ende des Gaius Gracchus war damit im Großen nicht mehr zu rechnen. Daher trat das Neue, sofern es einiges Format hatte, nicht in der Form von Gedanken, sondern in der Art von Menschen auf: in einer neuen Selbständigkeit, in neuen politischen Positionen,
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neuen Weisen, Macht zu sammeln; auch in einer neuen Einsamkeit. Insgesamt war die alte Gesellschaft auch dann noch stark genug, daß diese Möglichkeiten kaum genutzt wurden. Aber daß sie bestanden, zeigt die Geschichte Caesars und seiner Zeit.
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Geburt und Familie Patricisches Geschlecht • Abstammung von Venus • Der angeheiratete homo novus Gaius Marius Gaius Julius Caesar ist, als Gaius Marius zum sechsten Mal und Lucius Valerius Flaccus Consuln waren, am dritten Tag vor den Iden des Quintilis geboren worden. Nach unserem Kalender war das der 13. Juli 100 v. Chr. Aber damals datierte man noch nach Consuln, und der einstmals fünfte Monat des Jahres (Quintilis) hieß noch nicht nach dem großen Sohn des julischen Hauses. Ob das Datum dem 13. Juli unseres Sonnenjahres genau entsprach, ist auch nicht erwiesen. Denn man hatte damals in Rom noch ein Mondjahr. Erst Caesar hat den Kalender reformiert. Übrigens könnte es auch sein, daß die Geburt im Jahre 102 stattfand. Doch mag das die Astrologen – oder die Althistoriker – beschäftigen. Wichtiger als das bare Datum sind die Familie und die Konstellation, in denen Caesar aufwuchs. Der Vater, der gleichfalls Gaius Julius Caesar hieß, hatte im Jahre 100 wohl gerade die Quaestur, das unterste Amt der römischen Ämterstaffel, hinter sich. Die Mutter war Aurelia, Tochter des Lucius Aurelius Cotta, des Consuls von 119 v. Chr. Die Familie der Julier gehörte zum Patriciat, dem Uradel Roms, also zu jenem kleinen Kreis vornehmster Geschlechter, die ursprünglich allein die römische Bürgerschaft gebildet hatten, man kann auch sagen: die anfangs Rom gewesen waren. Das wußten sie noch sehr genau. Und das hatte sich auch aus dem allgemeinen Wissen noch keineswegs verloren. Es war sogar in einigen Institutionen noch fast mit Händen zu greifen. Das wohl interessanteste Beispiel dafür ist die des Interrex. Dieser Magistrat wurde im Interregnum bestellt, wenn nämlich aus irgendeinem Grund keine Consuln vorhanden waren, sei es daß die Wahl nicht zustande gekommen, sei es daß
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9 »Von Venus stammen die Julii ab, deren Geschlecht unsere Familie angehört« (Caesar). Auf diesen stolzen genealogischen Anspruch verweist auch eine Münzprägung aus dem caesarischen Heer (47-46). Auf der Vorderseite: Venus. Rückseite: Aeneas, Sohn der Venus und Ahnherr der Julier, trägt seinen Vater Anchises aus dem brennenden Troja: in seiner Hand das Athena-Kultbild (Palladium), das eines der heiligsten Zimelien Roms werden sollte. Aeneas galt als Stammvater Roms, seine Rettung des Vaters und des Palladiums wurde außerdem als Urbild römischer Pietas (der Frömmigkeit gegen Eltern und Götter) verstanden.
beide gestorben waren. Dann brach gleichsam die Kontinuität ab. Normalerweise konnte nur ein Consul die neuen Consuln »schaffen« (creare). Denn diese waren nicht nur zu wählen, sondern in irgendeiner Weise war für sie der göttliche Beistand zu sichern. Eben dafür konnte nur der Consul, unter dessen Auspicien die Wahl geschah, aufkommen. Die Auspicien, also
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das Recht, im Namen der Gemeinde mit den Göttern zu verhandeln, mußten, falls die Kontinuität abbrach, »zu den Vätern (den Patriciern) zurückkehren«. Diese hatten dann, jeweils für fünf Tage, aus ihren Reihen Interreges (Zwischenkönige) zu bestellen. Frühestens der zweite konnte wieder Consuln »schaffen«. Es war, wie wenn man das Gemeinwesen zwar normalerweise sich selbst überlassen konnte, im Notfall aber nur jene Geschlechter, die es einst ausgemacht hatten, die Kraft besaßen, aus der es sich regenerieren konnte. Weil diese nämlich letztlich enger mit den Göttern verbunden waren. Das mochte man bezweifeln, auch belächeln. Man mochte die Gründe dafür vergessen haben. Die römische Oberschicht hatte sich von der alten Religion ja schon recht weit entfernt, auch wenn sie nach außen noch an ihr festhielt. Die aufgeklärte griechische Philosophie, die »philosophische Theologie«, die man von der mythischen und der politischen unterschied, hatte im Adel weite Resonanz gefunden. Allein, das wichtigste Argument gegen eine völlige Abwendung vom überkommenen Glauben, nämlich daß man nie wissen kann, ob nicht doch etwas daran sei, riet zur Vorsicht. Außerdem hing in Rom alles mit allem zusammen, und je mehr Vieles bedroht wurde, um so weniger ließ man an das Überkommene rühren: Man mußte an ihm festhalten, es praktizieren und diese Überzeugung war so stark und so tief verwurzelt, daß es sich fragt, ob die Senatoren Nützlichkeit und Richtigkeit auch der religiösen Vorstellungen noch klar voneinander scheiden konnten. Sie konnten nach außen wie im Innern nicht zuviel in Frage geraten lassen. So blieb es auch beim Sonderverhältnis der Patricier zu den Göttern. Auch war der Stolz der Patricier ungebrochen. Schließlich lebte man in einer aristokratischen Gesellschaft, war also gezwungen, Ränge auch innerhalb des Adels zu achten. Daher blieb stets ein Rest besonderen Respekts für die ersten Geschlechter Roms. Der Rang eines Geschlechts bestimmte sich um 100 v. Chr. freilich schon lange nicht mehr allein von seinem Alter und seiner eventuellen Abstammung aus dem Patriciat her. Dane-
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ben galt, was an Ansehen und Macht aus politischer und militärischer Leistung für das Gemeinwesen folgte. Denn längst schon waren neben den Patriciern mehrere plebeische Familien groß und mächtig geworden. Als oberste Schicht des Senatsadels galt die Nobilität. Und dazu gehörten neben den patricischen diejenigen Familien aus der Plebs, die einen Consul gestellt hatten. Den Begriff Plebs darf man nicht mißverstehen. Er umfaßte alle, die nicht Patricier, also ursprüngliche Zugehörige des Gemeinwesens, waren, Reiche wie Arme, Großgrundbesitzer wie Bauern, Handwerker und Tagelöhner. Sie hatten sich in den Ständekämpfen zusammengetan, die einen um der politischen Gleichberechtigung, die anderen primär um wirtschaftlicher Forderungen willen. Seitdem war eine Reihe führender plebeischer Geschlechter in die Magistrate eingedrungen. Nach diesem Kriterium hatte sich der neue Adel der Nobilität gebildet. In ihm vererbten sich politisches Ansehen, Anhang und Ehrgeiz. Nichts außer Politik und Kriegführung bildete den Gegenstand adliger Bewährung. Regelmäßig war Politiker, wer dem Senatsadel entstammte; und umgekehrt – um von den jeweils wenigen Aufsteigern abzusehen, die sich rasch zu assimilieren pflegten. Das wiederum bewirkte, daß in der Regel in denselben Geschlechtern politischer Rang (Magistrate), Abstammung, Einfluß und übrigens auch besonderer Reichtum konzentriert waren. Aber die Regel kannte Ausnahmen. Nicht jedes Geschlecht hielt die einmal erreichte Höhe. Und die Julier gehörten zu denen, denen das nicht gelang. Sie hatten zwar das Privileg, Patricier zu sein, aber dem politischen Rang nach standen sie schon lange im zweiten oder dritten Glied. In den beiden letzten Jahrhunderten hatten sie überhaupt nur zwei Consuln gestellt (267 und 157 v. Chr.). Sonst waren ihre Angehörigen bestenfalls in das zweithöchste Amt, die Praetur, gelangt. Entsprechend kann es mit ihrem Vermögen auch nicht weit her gewesen sein.
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Gleichwohl mochten sie sich einen mehr oder minder schlichten Stolz bewahren. Was solch eine Abstammung bieten konnte, läßt sich am besten durch ein Zitat aus der Rede wiedergeben, die Caesar als Dreißigjähriger anläßlich des Todes der Schwester seines Vaters hielt: »Das Geschlecht ihrer Mutter stammt von den Königen ab, das väterliche ist mit den unsterblichen Göttern verbunden. Denn von Ancus Marcius kommen die Marcii Reges her, deren Namen die Mutter trug, von Venus die Julii, deren Geschlecht unsere Familie angehört. In ihrer Herkunft ist also sowohl die Ehrwürdigkeit der Könige enthalten, welche am meisten vermögen bei den Menschen, wie auch die Heiligkeit der Götter, in deren Gewalt die Könige selbst stehen.« Die Verbindung zu Venus lief über einen angenommenen mythischen Helden, dem unter anderem der Name Julius beigelegt worden war. Er galt als Gründer von Alba Longa, dem alten Vorort des latinischen Stammes, dem Rom zugehörte. Verschiedene patricische Geschlechter, darunter die Julii, sollten von dort stammen; sie seien in früher Zeit nach Rom übergesiedelt. Julius aber war, einem Mythos zufolge, Sohn des Aeneas, der seinerseits Venus zur Mutter gehabt hatte. Er war aus dem zerstörten Troja in den Westen gekommen, auf ihn führte man die Abstammung der Mutter der Stadtgründer Romulus und Remus zurück – als deren Vater der Gott Mars galt. Aeneas verbürgte den Römern den Anschluß an den kulturell überlegenen Osten; war außerdem Vorbild ihrer Pietas, des Respekts gegen Götter und Vorfahren; denn er hatte seinen Vater auf den Schultern aus dem brennenden Troja gerettet. Moderne Forschung mag Caesars Behauptungen bezweifeln. Doch gleichgültig, ob Venus die Stammutter des julischen Geschlechts und der Beiname König (Rex) nicht eher von einem »Opferkönig« des 3. Jahrhunderts abgeleitet war, im Patriciat glaubte und dichtete man solche Geschichten. Und für den jungen Caesar mußten sie obendrein die Tatsache kompensieren, daß er nicht, wie so viele seiner vornehmen Standesgenossen, große republikanische Ahnen hatte. Sie werden wenigstens seine Phantasie beschäftigt, vielleicht auch einen
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geheimen Stolz genährt haben, und wie sehr ihm später auch Zweifel an dieser Abstammung gekommen sein könnten, so war sie doch zu schön, um nicht wenigstens im Kern glaubhaft zu sein. Sie verwies ihn noch keineswegs auf die Bahn zur Monarchie. Aber daß er etwas Besonderes und vorzugsweise begünstigt war, konnte er sich gewiß vorstellen. In den 80er Jahren verstand Roms erfolgreichster Feldherr und Bürgerkriegsführer Sulla seine fortune als besondere Gunst der Venus, in seiner Münzprägung und auf einem großen Siegesdenkmal verknüpfte er Eros mit der Siegespalme. Spätestens damit geriet die Liebesgöttin in enge Verbindung mit Sieg und Glück. Erfolg und Erfüllung wurden von ihr erwartet. Und wer durfte das so sehr wie ihr später Nachkomme – der dann ein Bild der bewaffneten Venus auf seinem Ring trug und ihren Namen in gefährlichen militärischen Situationen als Parole ausgab? Die Familie der Mutter dagegen, die Aurelii Cottae, war plebeischen Ursprungs und war, soweit wir sehen können, erst vor anderthalb Jahrhunderten zum obersten Adel der Nobilität aufgerückt. Kein Vergleich insoweit mit den Juliern. Dafür hatten sie in dieser Zeit vier Consuln hervorgebracht; der letzte davon war Caesars Großvater. Andere Zweige ihres Geschlechts hatten vier weitere Consuln gestellt. Die Verwandtschaft der Mutter sollte Caesar dann auch politisch sehr wichtige Dienste erweisen. Von besonderem Interesse wurde für ihn die Verbindung, die durch die Hochzeit der eben genannten Schwester seines Vaters geknüpft worden war. Die hatte nämlich einen homo novus geheiratet, Gaius Marius. Das war nicht gerade das beste, was einer Patriciertochter passieren konnte. Aber dann war Marius der Sprung ins Consulat gelungen, und weil er ein tapferer Soldat war und sich des Wohlwollens breiter Kreise erfreute, hatte man ihn bald darauf gegen das Gesetz von neuem gewählt und mit dem Krieg gegen die Cimbern und Teutonen betraut, welche damals Rom in Schrecken setzten. Da er die Gefahr meisterte und da damals eine breite opposi-
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tionelle Strömung gegen den alten Adel und dessen Praktiken aufgekommen war, wählte man ihn insgesamt fünf Mal nacheinander zum Consul, eine in der ganzen Geschichte der Republik einmalige Erfolgsserie. Caesars Familie hat nicht nur den Glanz, der vom überraschenden Aufstieg des angeheirateten Neulings auf sie fiel, genossen, sondern sie scheint sich irgendwann auch mit ihm enger verbunden zu haben. Das hat die Jugend und die Laufbahn des Jungen dann wesentlich bestimmt.
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Jugend in Rom Erziehung Frühe körperliche und geistige Bildung • Prinzipien römischer Erziehung • Welt der Väter • Ordnung des Lernens • Alte Erziehung unter neuen Bedingungen Über Caesars Kindheit und Jugend ist uns fast nichts überliefert. Die Erziehung der jungen Adligen pflegte in diesem Alter wesentlich in der Hand der Familie zu liegen. Caesars Mutter, so hören wir, soll sie besonders besorgt und beaufsichtigt haben. Daneben hat ihm gewiß der Vater sehr vieles beigebracht, auch wenn er sich nicht so intensiv um ihn kümmerte, wie einst der alte Cato um seinen Sohn. Der soll nämlich selbst den Lehrer im Lesen und Schreiben, im Recht und in den Leibesübungen abgegeben und seinen Sohn »nicht nur im Speerwerfen, im Nahkampf und im Reiten« unterwiesen haben, »sondern auch im Boxen, im Ertragen von Hitze und Kälte und im kräftigen Durchschwimmen der Wirbel und der reißendsten Stellen des Flusses«. Vieles lag in der Hand eines Lehrers: die Vermittlung von Lesen und Schreiben, der Grammatik, der Anfangsgründe der Rhetorik und natürlich auch des Griechischen. Oft war der Lehrer ein Sklave. Der Unterricht fand im eigenen Hause, bei Verwandten oder Freunden statt. Jedenfalls haben die Kinder vornehmer Häuser kaum eine der Schulen besucht, welche damals privatim unterhalten wurden. Später kam unter Umständen eine umfassende Rhetorikausbildung dazu. Es empfahl sich auch, sich die Kenntnis des römischen Rechts anzueignen: dessen Grundlage, die zwölf Tafeln, lernte man auswendig. Aber man brauchte auch die Kenntnis der Verfahren und vieler Präzedenzfälle. Von Caesar wissen wir, daß er mindestens für die Rhetorik einen ausgezeichneten, in Alexandria ausgebildeten und in griechischer wie lateinischer Rhetorik geschulten Freigelassenen zum Hauslehrer hatte.
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Reiten und Schwimmen mochte man, wenn nicht vom Vater, so von anderen Lehrern beigebracht bekommen, nahe der Stadt oder auf dem Lande, wohin sich die Familien während der Senatsferien, Anfang April bis Mitte Mai, oder im Sommer zurückzuziehen pflegten. Man legte in Rom großen Wert auf körperliche Ertüchtigung. Die Jungen gaben sich dem vielfach im Wettstreit hin, zumeist auf dem Marsfeld, vor den Toren der Stadt (beiderseits der heutigen Via del Corso). »Bewundernswert«, so berichtet der Geograph Strabo, »ist schon die Größe des Feldes, auf dem eine so gewaltige Menge von Wagen und Pferden ungehindert um die Wette rennen und fahren können und welches einer Menge von Menschen erlaubt, sich dort täglich in Ballspiel, Diskuswerfen und Ringkampf zu üben.« Besonderer Beliebtheit erfreuten sich auch das Auf- und Wiederabspringen vom Pferd und das Fechten. Caesar soll schon als Junge ein guter Reiter gewesen sein. »Er hatte sich daran gewöhnt, die Hände auf dem Rücken zu verschränken und das Pferd dabei in raschem Trab laufen zu lassen.« Zum Schwimmen ging man ein paar Steinwürfe weiter in den Tiber. Dies alles geschah unter den kritischen Blicken interessierter Zuschauer, wurde meist sportlich betrieben, hatte aber gleichwohl eine direkte Beziehung zu dem, was man im Krieg gebrauchen konnte. Alle römische Erziehung war stark auf das Nützliche ausgerichtet. Von griechischer Athletik hielt man dagegen nicht viel; man sah in ihr einen nutzlosen Zeitvertreib, der die Jugend verweichlichte; nur als Zuschauer ließ man sie sich gefallen. Indem man dies und anderes aus unserer Kenntnis der damaligen Sitten rekonstruiert, gewinnt man freilich für Caesar noch nicht viel; man kann sich ausmalen, wie er eine strenge geistige Schulung erhielt, sein Gedächtnis trainierte – viel Auswendiglernen verstand sich von selbst; und man kann sich klar machen, daß er seinen Körper damals zu der Leistungsfähigkeit ausbildete, die er dann in den folgenden Jahren bewies. Sein Biograph Sueton schreibt: »Er führte die Waffen mit großem Geschick, war ein ausgezeichneter Reiter und erstaunlich ausdauernd. Bei Märschen zog er manchmal zu Pferd, öfter
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zu Fuß voran, barhaupt bei Sonnenschein oder Regen. Die längsten Strecken legte er mit unglaublicher Geschwindigkeit zurück, ohne Gepäck, in einem Mietwagen, pro Tag hundert Meilen (einhundertfünfzig Kilometer); Flußläufe hielten ihn nicht auf, er durchquerte sie schwimmend oder auf aufgeblasenen Schläuchen, so daß er sehr oft schneller ankam als die Nachrichten über seine Bewegungen.« Viele Märsche legte er bei Nacht zurück. Durch Schwimmen hat sich der Zweiundfünfzigjährige im Jahre 47 vor Alexandria das Leben gerettet. Mehr als dies lernt man aber, wenn man sich die Prinzipien vor Augen hält, nach denen im damaligen Rom die Erziehung der Jungen erfolgte. Sie ergaben sich im Grunde aus der Tradition, nämlich aus der Weise, wie der Sohn des Landmanns und Gutsbesitzers in dessen Lebensbereich allmählich hineinwuchs, ihn begleitete, ihm alles mögliche abguckte und dann unter seiner Aufsicht begann, dies und jenes selber zu machen. Es war im Kern ein Lernen durch Beobachten der Praxis; ein Lernen vom Vorbild durch Anschauung; ein allmähliches Hineinwachsen eben. Ganz ähnlich wurde das auch in der Stadt praktiziert und fortgesetzt, das heißt zumal: in der Politik, die den vornehmsten Lebensbereich der Adelsgesellschaft abgab. Daneben nahm die theoretische Ausbildung zwar zunehmend Zeit in Anspruch, aber sie scheint in der Regel eher am Rande verblieben zu sein. Es wurde Wert darauf gelegt, daß der Junge frühzeitig auch am Leben des Vaters teilnahm. Er ging mit ihm aus, wenigstens gelegentlich, wurde auch zu Einladungen in fremde Häuser mitgenommen. Er beobachtete, wie der Vater mit Freunden und Clienten verkehrte, konnte bei dieser oder jener Beratung zuhören, auf dem Forum und vor Gericht dabeisein, wenn der Vater das öffentliche Leben verfolgte und kommentierte. Ein Teil dieses Geschehens vollzog sich auch im eigenen Haus, wenn etwa hochmögende Gastfreunde von außerhalb dort abstiegen oder wenn Gesandtschaften aus den Provinzen
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ihre Patrone aufsuchten, sie untertänigst verehrten und ihnen große Geschenke überreichten. Diese Erziehung in der Familie und damit in der Praxis war historisch gleichsam das natürliche Ergebnis eines gleitenden Übergangs von den agrarischen Verhältnissen der Frühzeit in die politische Existenzform einer weltbeherrschenden Aristokratie. Aber es kam anderes hinzu. Im frühen Ausgleich zwischen Geschlechtern und Gemeinwesen waren der Anteil der Geschlechter, der Bereich ihrer Zuständigkeit, der Rang der Zugehörigkeit zu ihnen außerordentlich hoch gewesen. Sie hatten sich selbst ganz in den Dienst des Gemeinwesens gestellt und darin diszipliniert. In der Leistung für die Stadt fanden sie ihre Erfüllung, ihren Ruhm, ihre Tradition. So war ihr Zusammenhalt durch die gemeinsame politische Orientierung noch gestärkt worden. Daran hatte sich in der Zwischenzeit Einiges verschoben, die Gegenstände der Politik waren zu vielfältig geworden, die Machtgrundlagen zu stark zersplittert, als daß die Solidarität der Geschlechter noch im alten Maße hätte behauptet werden können. Aber ein starkes Eigenleben, eine »Eifersucht« im Hinblick auf den eigenen Nachwuchs, ein besonderer Stolz hatten sich gleichwohl bewahrt. Da wurde man gleichsam viel stärker als der Sohn des eigenen Hauses denn als Angehöriger der römischen Jugend genommen – und entsprechend geprägt. Catos Meinung, daß es nichts Wichtigeres gäbe als den eigenen Sohn zu erziehen, wurde in abgeschwächter Form von den anderen geteilt. Schließlich gab es nichts auf der Welt, was der römischen Aristokratie vergleichbar gewesen wäre. Und diese verstand ihre Herrschaft, ihr Wesen vornehmlich als Bewährung bestimmter Tugenden. Moribus antiquis res stat Romana virisque, hatte schon der alte Ennius gedichtet: Auf den alten Sitten und den (sie vollziehenden) Männern ruht das römische Gemeinwesen. Diese Sitten aber konnte keine Schule vermitteln. Für die Ausbildung so mancher Kenntnisse und Methoden mochte man Lehrer brauchen. Die Art des römischen Adels aber, seine Maximen, Erfahrungen, Beziehungen waren in ihrer Selbstverständlichkeit und unendlichen Vielfalt nur von denen
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weiterzugeben, die sie so unvergleichlich beherrschten. Sie waren gar nicht zu lehren, sondern vielmehr vorzuleben und dadurch nachhaltig einzuprägen. Die Söhne des Adels hatten nicht so sehr Wissen und Methoden als vielmehr in erster Linie eine Welt zu übernehmen, von ihren Vätern. Daß der römische Adel sich sehr wohl auch Rechenschaft darüber ablegte, wie wichtig die so weitgehend praktische, väterliche Erziehung war, zeigt das im Jahr 92 v. Chr. von den Censoren erlassene Edikt zum Verbot der damals neueröffneten Schulen derer, die programmatisch als »lateinische Redner« firmierten: »Uns ist gemeldet worden, es seien da Personen, die eine neue Art der Ausbildung eingerichtet hätten und zu denen die Jugend in die Schule gehe; diese haben sich den Namen Lateinische Redner beigelegt; dort verbrächten die Heranwachsenden müßigerweise ganze Tage. Unsere Vorfahren haben bestimmt, was ihre Kinder lernen und in welche Schulen sie gehen sollten. Dies Neue, was gegen die Sitte und den Brauch der Vorfahren geschieht, gefällt uns weder noch erscheint es uns richtig. Deswegen scheint es angebracht, daß wir sowohl denen, die diese Schulen unterhalten, wie denen, die sie besuchen, unsere Meinung kundtun, daß dies uns nicht gefällt.« Cicero erklärte später, es sei dort der Geist abgestumpft und Unverschämtheit gezüchtet worden. Man habe die Bildung und Gelehrsamkeit, die zur griechischen Rhetorik gehörten, beiseite gelassen. Offenbar konzentrierte man sich darauf, die Methoden zu vermitteln, mit denen die Schüler möglichst wirksam – und unter Umständen auch demagogisch – Interessen verfechten konnten. Das mag wohl zutreffen. Aber man sollte darüber die anderen Motive nicht geringschätzen: Durch tagelangen Aufenthalt in der Schule wurden die jungen Adligen zu Schülern gemacht. Sie wurden der Lebenspraxis entfremdet und in Muße versetzt. Sie hatten nicht jeder für sich mit Vorbildern, sondern alle zusammen mit ihresgleichen und mit Lehrern zu tun. An diesem Ort war für die jungen Herren wenig Respektgebietendes. Vielleicht wurden gar kritische Gedanken gegen die etablierte Adelsgesellschaft genährt. Aber die
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Hauptsache war wohl, daß diese Schulen die Jungen zu ihren Selbstverständlichkeiten in Distanz brachten, jugendliche Gemeinsamkeiten schufen, wo doch Gemeinsamkeit innerhalb des Geschlechts und mit den Alten vorherrschen sollte. Die praktische Erziehung der jungen Adligen führte dagegen dazu, daß ihnen die Welt der Väter im gleichen Zuge zur eigenen wurde, in dem sie sie kennenlernten. Um in die römische Adelswelt hineinzuwachsen, war eine unendliche Addition von Lernakten notwendig. So wie das öffentliche Leben in Rom keiner systematischen Verfassung gehorchte, sondern weithin gemäß einer Unzahl von Beispielen, Präzedenzfällen, Usancen und Regeln sich vollzog, mußte man lange Ketten von Kenntnissen erwerben, um sich in ihm zurechtzufinden. Und wie die politische Macht nicht in Gruppen organisiert war, sondern sich aus einer Unsumme von Beziehungen in der Hand der einzelnen Senatoren und zwischen ihnen aufbaute, so mußte man außerordentlich viele Menschen kennenlernen, um sich zu behaupten. Wohl gab es zur Not Hilfskräfte, Sklaven mit Spezialgehirnen etwa, die alle Welt beim Namen kannten (nomenclatores), und gebildete Sklaven, die einem zur Not Beispiele aus der Geschichte Roms, wie man sie ständig als Argumente brauchte, verschaffen konnten. Aber vieles mußte man doch selber gelernt haben; man konnte etwa im Senat nicht mit einem Sekretär auftreten; und die Nomenclatores kannten nicht nur, sie wurden auch gekannt, und so war die persönliche Aufmerksamkeit, die der von ihnen Beratene dem Begegnenden erwies, nur halb soviel wert. Die Vorbereitung auf das Erwachsensein ließ dem Jungen wenig Gelegenheit, seine eigene Kindheit und Jugend als Moratorium zu erleben. Er wurde stark in Anspruch, eben damit aber auch frühzeitig ernst genommen. Das mußte ihn stolz machen, zumal die große Welt der Väter ungemein imponierte: Umworben, respektiert, hochverehrt, wie man war, nüchtern und überlegen, sicher und herrscherlich, stolz und leutselig, wie man sich gab, voller gravitas, also von ruhigem, wohl leicht prätentiösem Ernst, unerschütterlich, verantwortlich, wenn auch zugleich rührig; und gelegentlich wohl auch von urbaner Eleganz.
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10 Man kennt die beeindruckt-beeindrukkende Schilderung des Polybios, wie in den Häusern der Nobiles die Masken der großen Ahnen hingen. Solche Ahnengalerien galten als Wahrzeichen von Adel und wurden in der Öffentlichkeit auch gerne zur Schau getragen. Bildnisstatue eines römischen Bürgers mit zwei Ahnenbüsten, frühe Kaiserzeit. Rom, Konservatorenpalast.
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Roms Herrschaft über den damaligen Erdkreis und die Führung seiner Aristokratie lagen geradezu in der Luft, die der Heranwachsende atmete. Er sah nicht nur die fremden, unter Umständen exotischen Gesandten, die nach Rom kamen, um dies oder jenes zu erbitten, sondern auch die Statthalter, die aufbrachen, um ferne Provinzen zu verwalten. Mit Freunden und Verwandten mochte er ihnen ein Stück Geleit geben oder er mochte ihnen entgegengehen, wenn sie zurückkehrten. Er konnte den Auszug der Legionen beobachten oder am Straßenrand stehen, wenn ein Feldherr im Triumph zum Tempel des Juppiter Optimus Maximus auf das Capitol zog, mitsamt der Beute und den Gefangenen aus fernen Gegenden und wohl auch mit großen Darstellungen von seinen Schlachten, die das römische Publikum informieren und beeindrukken sollten. In der Stadt befanden sich überall Standbilder großer Feldherren und Politiker, Beutewaffen waren ausgestellt, öffentlich oder in den Häusern der Sieger, große Landkarten zeigten die eroberten Gebiete oder die ganze Welt, wie man sie damals kannte. Reichtümer flossen von überall her in Rom zusammen. Man übertraf sich in großartigen Darbietungen. Um das Jahr 95 ließ sich der Praetor Lucius Cornelius Sulla, der spätere Dictator, von seinem afrikanischen Gastfreund Bocchus, dem König von Mauretanien, einhundert Löwen sowie gutausgebildete Speerwerfer schicken: Er veranstaltete einen großartigen Kampf im Circus; es war um so imposanter, als damals zum ersten Mal in solchem Kampf die Löwen ohne Fesseln auftraten. Man wird den siebenjährigen Caesar dorthin kaum mitgenommen haben, obwohl es nicht ausgeschlossen ist. Daß er zumindest durch Erzählungen etwas davon mitbekam, ist aber zu vermuten. Und zu der Atmosphäre der Weltherrschaft, die die Welt der Väter so eindrucksvoll machte, gehörte es allemal. Dabei war es nicht unbedingt wichtig, wie geachtet der eigene Vater darin war: Man mochte sich gegebenenfalls vornehmen, den Rang des Geschlechts künftig zu erhöhen. Der römische Vater hatte eine Macht wie kaum ein anderer. Das reichte bis zum Recht auf Züchtigung und Tötung der
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Mitglieder seines Hauses. Und solange er lebte, waren Söhne, Schwiegertöchter und Enkel in seiner Gewalt, der patria potestas. Freilich hatte sich dies aus ältester Zeit nur erhalten können, weil Mißbräuche, die den Eingriff des Gemeinwesens hätten provozieren müssen, kaum vorkamen. Man konnte dem Vater rechtlich diese Macht lassen, weil es genügend außerrechtliche Möglichkeiten zu ihrer Beschränkung gab. So hatte sich ein praktikabler Ausgleich eingestellt zwischen dem Anspruch des Gemeinwesens auf rechtliche Ordnung und dem der Geschlechter, sich nicht in ihre Angelegenheiten dreinreden zu lassen. Die Größe der Macht ging in der Größe der Verpflichtung auf. Man lebte patriarchalisch. Wenn somit der Willkür enge Grenzen gesetzt waren, so hatte es zugleich den Vorzug einer beachtlichen Ungebrochenheit und Selbständigkeit, wie sie doch wohl entstehen, wenn man freiwillig und unter Selbsteinschränkung das tut und läßt, was man unter anderen Umständen genötigt tun oder lassen muß. Diesem Vater und der Gesellschaft der »Väter«, als die der Senat aufgefaßt und angeredet wurde, schuldete man Gehorsam (obsequium) und Respekt (pietas, wie den Göttern). Hinter ihnen stand nahezu greifbar der Kreis der Vorfahren. Man kennt die beeindrucktbeeindruckende Schilderung des Polybios, wie in den Häusern der Nobiles die Masken der großen Ahnen hingen, den Lebenden stets gegenwärtige Mahnung; wie diese dann beim Leichenzug jeweils mitgeführt wurden, von Dienern getragen, welche – jeder von den dazugehörigen Liktoren begleitet – dazu die Amtstracht des höchsten Magistrats anlegten, den der Dargestellte innegehabt hatte, vielleicht gar den Purpur des Triumphators – ein langer, imposanter Zug, in dem sich die Einheit, die Größe, die politische Leistung und der Rang des Geschlechts dokumentierten. Wie dann all die Ahnen auf den elfenbeinverzierten Amtssesseln der Magistrate um die Rednertribüne auf dem Forum Platz nahmen, wobei sie sich fast unter die dort aufgestellten Ehrenbildnisse einreihten; die wundervolle Kundgebung der gemeinsamen Präsenz vieler Generationen römischer Vergangenheit. Dann bestieg der Sohn – oder ein anderer naher Verwandter – die Tribüne,
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um Tugenden und Leistungen des Verstorbenen zu rühmen und anschließend auf die großen Taten seiner Altvordern zu sprechen zu kommen. So wurde deren Ruhm ständig erneuert, schreibt Polybios, und es sei nicht leicht, ein großartigeres Schauspiel zum Ansporn für die Jugend zu ersinnen: Sie würden alles auf sich nehmen, um solchen Ruhm zu ernten. Die Frage, ob dies Ganze, der Vater wie die Vorfahren, nur als Ansporn und Vorbild und nicht auch oder gar eher als Last oder als erdrückend empfunden werden konnte, mag noch einen Moment zurückstehen. Zunächst ist einiges zur Eigenart des Aufwachsens in Rom nachzutragen. Was die Jungen in Rom zu lernen hatten, war kaum totes und allgemeines, mit dem Verdacht der Beliebigkeit behaftetes Wissen. Vielmehr war fast alles praktisch und individuell. Indem man wesentlich beim Vater und bei Verwandten in die Schule ging, reduzierte sich das Didaktische, das Lehrerhaft-Beigebrachte auf das eher Technische. Auch das aber war offenkundig unentbehrlich. Dem griechischen Rhetorikunterricht schließlich war zwar ein gewisses Maß von Gelehrsamkeit und Philosophie beigemischt. Aber er war freiwillig. Gelehrsamkeit und Philosophie hatten damals zudem den Reiz des Neuen, neuer Einsichten – die man im übrigen wohl eher äußerlich denn ganz ernst nahm –, neuer Weisen sich auszudrücken und sich zu bewegen, neuer Möglichkeiten, eines neuen Stils in gewisser Opposition zum Herkömmlich-Römischen. Und die Welt, die man als Heranwachsender begreifen mußte, war statisch, fest, überschaubar. Die strukturellen Schwierigkeiten, die Krise des damaligen Rom wurden zwar gespürt, aber zu denken gaben sie nicht. Problematisch erschien nur der Zustand der Oligarchie. Heilmittel dagegen waren gutes Vorbild und Bewahrung guter alter Sitte. Schließlich konnte man diese Welt kaum von außen sehen. Man war schon vielfältig in sie involviert, bevor man vielleicht das Bedürfnis entwickelte, sie zu verstehen. Und das meiste an ihr mußte gar nicht verstanden werden, weil es sich nämlich von selbst verstand.
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Das Lernen verteilte sich in einer uns nicht näher bekannten Weise auf die verschiedenen Altersstufen. Ein Bruch zwischen dem, was man im Hause, und dem, was man dann außerhalb davon erfuhr, tat sich kaum auf. Einen Einschnitt gab es, wenn der Junge mit etwa fünfzehn Jahren erstmals die Männertoga anlegte. Als Kind hatte er die mit einem Purpurstreifen geschmückte Praetexta getragen, die sonst nur Magistraten zukam. Jetzt wurde es gleichsam ernst, und man trug das schlichte Gewand, sooft man nicht etwas Einfacheres vorzog. Es gab eine Feier im Haus. Dann führte der Vater den Jungen auf das Forum, um ihn der römischen Öffentlichkeit zu präsentieren. Er brachte dem capitolinischen Juppiter ein Opfer dar. Daran schloß sich ein Lehrjahr in Politik an, währenddessen zentral und intensiv betrieben wurde, was man bis dahin eher nebenbei getan hatte. Der Vater führte den Jungen bei einem bedeutenden Politiker ein, damit er in dessen Gefolge lerne. Nun durften die Jungen auch mit zum Senat und an den – in der Regel offenen – Türen des Hauses dessen Debatten zuhören. Irgendwann wurden sie vom Censor in eine Centurie aufgenommen, eine der Abteilungen der wichtigsten römischen Wahlversammlung. Diese war nach Census gegliedert. Die vornehmsten Einheiten waren die Rittercenturien; Söhne adliger Häuser gelangten regelmäßig in die ersten sechs (von achtzehn), die bei den römischen Wahlen eine besondere Rolle spielten und entsprechend begehrt waren. Da die Censuren in der Bürgerkriegszeit unregelmäßig waren, können wir nicht sagen, wann Caesar dieser Vorzug zuteil wurde. Danach leistete man gewöhnlich für ein Jahr Militärdienst und mochte anschließend im Stab eines Statthalters dienen. Caesar jedenfalls tat dies in den Jahren von 80 bis 78 im Osten. Als er zum Bithyner-König Nikomedes gesandt wurde, um ein Flottengeschwader zu übernehmen, soll er dessen Geliebter geworden sein. Es hat seinen Gegnern und Soldaten sein Leben lang Stoff zu Spott gegeben. Denn die Knabenliebe genoß in Rom keinerlei Ansehen. Sie war verbreitet (wenn auch bei weitem
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nicht so wie unter den Griechen), aber noch verbreiteter waren die Vorwürfe oder mindestens die Anzüglichkeiten, die einem ihretwegen gemacht wurden. Bei Caesars gallischem Triumph etwa wurde gesungen: Caesar unterwarf Gallien, Nikomedes Caesar. Seht: Triumph feiert Caesar, der ganz Gallien unterwarf, Nikomedes triumphiert nicht, der Caesar unterwarf. Ganz anders, als das bei den Söhnen hoher Familien damals üblich war, blieb Caesar nicht nur im Stab, sondern kämpfte in vorderster Linie mit. Bei der Erstürmung von Mytilene zeichnete er sich durch große Tapferkeit aus. Er wurde für die Rettung eines Kameraden in der Schlacht mit der hohen, seltenen Auszeichnung der »Bürgerkrone« bedacht. Das war ein Eichenkranz, den er fortan bei allen feierlichen Anlässen tragen konnte. Wenn ein so Ausgezeichneter bei den öffentlichen Spielen erschien, pflegte sich die ganze Zuschauerschaft einschließlich der Senatoren von den Plätzen zu erheben. Eine beeindruckende, stolze Erfahrung. Nachdem Caesar dann noch an einem Feldzug in die Schlupfwinkel der Seeräuber an der Südküste Kleinasiens teilgenommen hatte, kehrte er nach Rom zurück. Nach dem Militärdienst begannen gewöhnlich die ersten politischen Aktivitäten des etwa Zwanzigjährigen. Caesar tat sich als Ankläger vor Gericht hervor. Das war eine beliebte Methode, um bekannt zu werden und erstes Ansehen sowie Anhang zu erwerben. Opfer fanden sich bei den üblichen, gesetzwidrigen Praktiken in den Provinzen wie in Rom genug. Nur wurden sie bei noch so großer Schuld selten verurteilt. Aber das machte nichts: Die Anklage mochte gleichwohl bravourös sein. Im Jahre 75 begab sich Caesar dann nochmals nach Griechenland, um in Rhodos zu studieren. Wenn eine solche Erziehung ihr Ziel erreichte, mußte der junge Sohn aus adligem Hause am Ende das Leben und die Regeln, die Bräuche, das Denken und Fühlen der römischen Aristokratie ganz in sich aufgenommen haben. Er war dann ihresgleichen. Und er mußte es mit allen Fasern werden. Denn er wurde hineingenommen in das Tun und Treiben eines Stan-
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des, der nicht nur herrschte, sondern auf die vielfältigste Weise für alles zuständig und mit allem befaßt war, sich also mitten in allem bewegte. Man hatte keine Bürokratie, keine Spezialisten, sondern nur ganz wenige Magistrate aus den Reihen des Adels, und der Senat war grundsätzlich für alles da, wenn sich auch gewisse Sonderzuständigkeiten einzelner Männer und Geschlechter aus Erbe, Tätigkeit und Erfahrung ergaben. Das setzte eine weitgehende ständische Homogenität voraus, und das Komplement dazu muß ein Homogenitätsdruck gewesen sein. Da mochte Raum für eine gewisse persönliche Entfaltung sowie für Eigenheiten der Geschlechter bleiben; da konnte der eine für dies, der andere für das besser geeignet sein und überhaupt dieser eher als jener das Ideal erfüllen; im Ganzen und vor allem sollten sie nichts als die überkommene Art verkörpern, einer wie der andere. Es fragt sich, ob diese Erziehung ihr Ziel erreichte. Mit dem Lernen in und an der Praxis ist ja noch nicht sichergestellt, daß auch an der alten Strenge und Disziplin, an der Forderung nach Selbstbeherrschung, Ausdauer, Sparsamkeit, nach Ernst und Verantwortlichkeit, kurz: an der vollen Weitergabe der alten Römertugenden, festgehalten werden konnte. Schon in der Mitte des zweiten vorchristlichen Jahrhunderts berichtet Polybios, die Neigungen der meisten jungen Leute in Rom hätten eine schlimme Richtung genommen. Die einen seien wie besessen hinter schönen Jungen, die anderen hinter Dirnen her, viele dächten nur an Tingeltangel, Saufgelage und andere kostspielige Vergnügungen: Sie hätten sich die griechische Leichtlebigkeit nur allzu schnell zu eigen gemacht. Auch mochte die Begegnung mit griechischer Philosophie und Bildung an der Selbstverständlichkeit der römischen Ordnung zehren. Das neue Ideal der humanitas stand in gewisser Opposition gegen altrömische Werte des gewichtigen Ernsts, der Strenge und der Würde. Mußte nicht der Erfolg der Erziehung von da her mit größerer Ungewißheit behaftet werden? Auch könnte der Generationenkonflikt unter den damaligen Verhältnissen sich zugespitzt haben. Die Ansprüche gerade
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auch der Jugend waren stark gewachsen. Wenn etwa der Vater, der die Hand auf dem gesamten Vermögen hatte, sparsam war, konnte man in Schwierigkeiten geraten. Wohl wurde den Söhnen normalerweise ein Sondergut zur eigenen Bewirtschaftung überlassen, und es wird keine große Rolle gespielt haben, daß dies rechtlich Teil des Hausvermögens blieb. Aber ob seine Bemessung den Ansprüchen genügte, war doch fraglich. Man konnte sich mit Darlehen behelfen – und tat es oft in großem Stil –, aber das hatte seine Grenzen; es mochte zu heftigen Auseinandersetzungen führen. Und wenn die Väter als äußerst machtvoll und groß und ihre Welt als ungemein imposant erscheinen mußten, konnte dieser Eindruck bestehenbleiben, wenn man dahinterkam, daß doch ein beachtlicher Abstand klaffte zwischen dem, was sie als Römertugend und Autorität hochhielten, und dem, wie sie tatsächlich lebten und was sie ausrichteten? Man fragt sich, ob nicht Opposition erwachsen mußte, der Wunsch, die Macht des Vaters zurückzuweisen und es besser zu machen, vielleicht gar das Gemeinwesen besser einzurichten. Mußten die Heranwachsenden nicht, so untheoretisch sie erzogen, so sehr sie auf das üblicherweise Mögliche – und das möglicherweise Übliche – gelenkt worden waren, mußten sie nicht doch in kritische Distanz zu den Vätern und zum Überkommenen geraten? Schließlich lebte Rom, als Caesar jung war, schon mehr als eine Generation lang in einer Krise, von der mindestens einige Auswirkungen offenkundig waren: vielfache Durchbrechungen der senatorischen Standesdisziplin, schwere Auseinandersetzungen, Niederlagen des Senats, Versagen vor drängenden Problemen, zuletzt, in den achtziger Jahren, der Bürgerkrieg. Wie konnten die Heranwachsenden Zugang zu dieser Gesellschaft gewinnen, einen Platz in ihr finden, sie als die ihre anzusehen lernen? Letztlich mußten sie wohl selbst dafür aufkommen, wer sie sein und wo sie stehen wollten. Es fragt sich, welche Möglichkeiten sie hatten, ihre Identität hervorzubringen.
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Spielräume des Erwachsenwerdens Adoleszenz • Umwege zum Erwachsensein • Unausweichlichkeit der Politik In der römischen Erziehung war einerseits alles auf das Erwachsenwerden ausgerichtet. Schon das Kind war weithin ein kleiner Erwachsener und wurde stark an dem beteiligt, was die Erwachsenen beschäftigte. Es sieht so aus, wie wenn man da nicht lange alles offenlassen konnte, schwelgend in Möglichkeiten. Der Adlige hatte sich der Politik zu widmen, und die Variationsbreite möglicher Rollen war begrenzt. Andererseits dauerte nach römischem Verständnis »Jugend« vergleichsweise lange. Das ist freilich nur ein Ausdruck für etwas in Wirklichkeit recht Kompliziertes. Es gab verschiedene Alterseinteilungen. Erstens war da ein großer Einschnitt nach dem Kriterium der Mannbarkeit und der Wehrpflicht: Danach wurde der Junge etwa mit siebzehn Jahren ein Mann. Insofern, so könnte man sagen, war er dann erwachsen. Zweitens gab es aber noch einen anderen Maßstab, gemäß der Vielfalt der Lebensalter. Danach war man etwa vom fünfzehnten bis über das dreißigste Lebensjahr hinaus adulescens, also Heranwachsender. Das sollte offenbar ausdrücken, daß man in geistigem und charakterlichem Sinne in dieser Zeit erst noch zu reifen hatte. Erst danach war man dann wohl richtig erwachsen. Diese lange Ausdehnung des »Heranwachsens« – das nur ungefähr mit unserem Begriff Jugend zu übersetzen ist – entsprach der allgemeinen Einschätzung von Reife und Alter, wie sie herkömmlich und im Laufe der Republik noch verstärkt worden war. Man hatte erst seine Hörner abzustoßen und einige Erfahrungen zu sammeln, bevor man wirklich herangereift war. Alter zählte, und da ließ sich nichts überspringen. Dementsprechend konnte man erst mit dreißig die magistratische Laufbahn beginnen; und für jeden weiteren Magistrat gab es höhere Altersgrenzen, bis man mit dreiundvierzig das Consulat erlangen konnte. Dann endlich waren die Erfolgreichsten reif genug, um in die Reihe der Ersten des Senats aufzurücken.
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Die römische Anschauung einer langen Adoleszenz weist also nicht auf die Prätention eines möglichst langen Jungseins, sondern im Gegenteil auf die Erkenntnis der Notwendigkeit einer langen Reifung, und auf die lebte man hin. Dieser Prozeß verlief freilich keineswegs unbedingt geradlinig. Jedenfalls hatten die jungen Adligen während der späten Republik in ihrer Adoleszenz einige Freiräume und eine gewisse Narrenfreiheit, die ihnen entweder zugebilligt wurde oder die sie sich nahmen. Wie streng man sie auch erzogen haben mochte – und auch das wird damals nachgelassen haben –, in diesen Jahren wirkte sich das nicht immer mäßigend aus, zumal privat, unter Umständen aber auch politisch. Die ungeheuren Reichtümer, die Größe der Stadt und der Bürgerschaft, die Vielfalt der Aufgaben können es im ganzen kaum zugelassen haben, daß man die »Heranwachsenden« allzu genau unter den Augen hatte. Und die Alten waren vermutlich auch nicht immer so, wie sie es von den Vorfahren erzählten. Eine gewisse Freizügigkeit war ganz unausweichlich. Damit zugleich öffneten sich die Poren, durch die griechische Formen und Raffinement in den römischen Adel hineinwirken konnten. Vielerlei Eskapaden und Extravaganzen wurden üblich, Feste und zahllose amouröse Abenteuer. Dabei brauchte man sich wohl schon damals nicht mit einfachen Dirnen oder den – freilich kaum reizlosen – höheren Hetären zu begnügen, sondern die Damen der römischen Gesellschaft fanden auch selber Geschmack an etwas mehr Freiheit und Auswahl. So war es jedenfalls zwanzig Jahre später; und es spricht wenig dafür, daß es nicht, als Caesar heranwuchs, schon wenigstens ähnlich gewesen sein sollte. Dem Reiz, den jede Liebe und zumal die verbotene hat, scheint sich zuweilen die geistvoll-musische Atmosphäre verbunden zu haben, welche aus der frischen Übernahme griechischer Formen resultierte. Von Sempronia, der Frau eines der Consuln von 77, heißt es etwa: »Diese Frau war nach Herkunft und Schönheit und auch was Ehe und Kinder anging vom Glück recht begünstigt, war in griechischer und lateinischer Literatur gebildet, spielte Zither
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und tanzte besser, als es für eine anständige Frau nötig ist; und sie beherrschte noch vieles sonst, was üppigen Genuß bewerkstelligt. Aber ihr war immer alles andere lieber als Ansehen und Keuschheit.« Es wurde ihr alles mögliche Schlimme nachgesagt; sie war offenbar auch in die catilinarische Verschwörung verwickelt. »Aber ihr Geist war nicht unbegabt; sie konnte Verse machen, scherzen, sich bald zurückhaltend, bald sanft, bald frech unterhalten; kurz: Sie besaß viel Witz und Anmut.« Um die gleiche – etwas spätere – Zeit war eine andere Dame aus höchstem Adel, die Gattin eines der Consuln von 60, Clodia, ebenfalls hochgebildet, interessant, großzügig, lebenslustig und offenbar voller Charme, die Geliebte Catulls, seine Lesbia. »Laß uns, Lesbia, leben und uns lieben und der grämlichen Alten Reden alle eines Pfifferlings gerade wert erachten.« Sie vermochte bei keiner Konvention etwas zu finden – außer dem Reiz, sie zu übertreten – und scheute keinen Skandal. Man munkelte von intimen Beziehungen zu ihrem Bruder Publius, der dann ein anarchischer Volkstribun wurde. Jedenfalls war sie nicht engherzig, liebte vielmehr die Abwechslung, und so traf sie später der bitterste Groll des verschmähten Dichters. Man kann sich das noch weiter ausmalen. Hier sei es mit einer kurzen Notiz genug. Sie stammt von Caesars nüchternem Biographen Sueton und bezieht sich nicht nur, aber gewiß auch auf dessen Jugend: »Alle sind sich darin einig, daß er sehr vergnügungslustig war, zur Befriedigung seiner Leidenschaften viel Geld ausgab und sehr viele hochgestellte Frauen verführte.« Es folgen mehrere Namen bis hin zur Mutter seines Mörders Marcus Brutus, die er »vor allen andern geliebt hat«. Vergnügungen dieser Art konnten für die Heranwachsenden zugleich Fluchtpunkte und Formen des Protests sein. Es mochte durchaus zusätzlichen Reiz bieten, wenn man einen der hochmögenden Väter mit einem Hörnerschmuck beehrte. Daneben mochte man sie politisch ärgern, unter anderem als Volkstribun, wobei sich Reformabsichten und Oppositionsgeist mischen konnten. All dies war vielleicht um so nötiger, je weiter die Republik in ihrer Krise voranschritt. Je desillusionierender die Adelsgesellschaft sich darbot, um so mehr Umwege
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brauchte man, um sich in sie hineinzufinden. Daneben standen normalerweise die Vorbereitungen auf die politische Laufbahn. Das eine schloß das andere nicht aus. Jedenfalls waren solche Umwege in Richtung auf das Erwachsensein zwar Durchbrechungen guter alter Art, vielleicht auch Bereicherungen; aber positive neue Möglichkeiten eröffneten sie nicht. Sie waren höchstens Ausweichmanöver, nicht Wege zu einer anderen Identität. Sie werden – zusammen mit den Umständen, aus denen sie erwuchsen – nur dazu geführt haben, daß die Einzelnen in den neu heranwachsenden Generationen im Schnitt etwas lockerer, weicher und bunter ausgeprägt wurden. Wahrscheinlich ist aber das Ziel der geistigen Einbürgerung, des Hineinwachsens in die römische Adelsgesellschaft, sei es nun mehr oder weniger geradlinig angestrebt worden, im ganzen kaum verfehlbar gewesen. Nur die Streubreite, in der es erreicht wurde, wird zugenommen haben. Es gab mehr Spielräume, in gewissem Umfang mochten auch Rollen probiert werden, für Caesar ist das wahrscheinlich. Aber im ganzen blieb den Adligen kaum etwas anderes übrig, als zu werden wie ihresgleichen und in deren Reihen aufzugehen. So war dem Adligen die Politik unausweichlich. Konkurrierende Berufe oder Lebenskreise gab es nicht. Und das Ziel der politischen Laufbahn war so hoch geschätzt, daß man schon krank oder schwach oder allzusehr aus der Art geschlagen sein mußte, um sich ihm entziehen zu können. Die politische Laufbahn stand nicht nur als Möglichkeit bereit, sie belegte den jungen Adligen einfach mit Beschlag. Das machte das Geschlecht, das machten die Altersgenossen – der Wettbewerb mit ihnen –, das machte der Stand; das machten aber auch die sicheren Erwartungen der Anhänger und Freunde, die den römischen Geschlechtern verbunden waren und auf Hilfe rechneten, ja die ganze Bürgerschaft. Damit war eine sehr weitgehende ständische Homogenität gegeben. Und die prägte jeden Einzelnen ungemein stark. Wohl ließ sich die Rolle besser oder schlechter spielen. Temperament, Natur, Geist, Erfahrung, auch einige besondere
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Überlieferungen der Geschlechter bedingten manche Unterschiede. Originelle Seitenwege waren nicht ganz ausgeschlossen. Aber im ganzen war die bewährte Adelsart verpflichtend und suggestiv. Das war die Basis für alles andere. Erst auf dieser gemeinsamen Basis formten sich die Charaktere, auch in der späten Republik mit ihrer menschlichen Vielfältigkeit. Die gesellschaftliche Realität begegnete den jungen Adligen mithin gebieterisch und nicht beliebig, sie erschien eindeutig und nicht aus einer Fülle von Perspektiven je verschieden, sie gab für sie nur einen Weg vor, öffnete sich also nicht wie ein weites Feld voll irritierender Optionen, und sie lud überall zu Aktivität ein, ließ keinen so leicht draußen vor. Diese Realität bot der Identitätsbildung wenig Spielraum und folglich vergleichsweise wenig Probleme. Chancen und Lasten, Möglichkeiten und Gefahren, Freiheit und Risiko waren im republikanischen Rom bei weitem schmaler zugeschnitten als in der Moderne. Die römischen Adligen müssen frühzeitig und in hohem Maße sie selbst gewesen sein, nicht anonym, nicht unter Unbekannten. Alle ihre Rollen lagen dicht beieinander. In jeder waren sie mit ihrer Person gefordert und engagiert. Überall waren sie auf praktische Verantwortung, auf Leistungen verwiesen, die zu erbringen grundsätzlich als möglich erscheinen mußte. Mit ihresgleichen versammelt in dem Bezirk, der sich ihrer aller Tätigkeit erschloß und darin bestand. Darin gingen sie auf wie in einem gemeinsamen Eigenen, ohne unbefriedigt einem Anderen zustreben zu müssen oder auch nur zu können. Indem sie derart ihre Realität ausmachten, also prägten, sahen und waren, konnten sie sich nicht der Realität gegenüberfinden, konnten sie sich auch nicht als Partikel oder Funktion eines übermächtigen, sie vielleicht gar fremd anmutenden Ganzen vorkommen. Es war ihr Ganzes, dem sie zugehörten, und sie taten es als Teilhaber. Es hatte nicht die neuzeitliche Form eines höheren Ganzen, das die ungemeine Vielzahl seiner sehr vereinzelten, höchst spezialisierten Mitglieder weit überwölbt – und aus dem man andererseits, wenn es nicht mehr recht hält, herausfallen kann. Entsprechend gab es nicht jenes ungeheuer weite Ausgespannt-
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sein zwischen der eigenen Kleinheit – »unserm Knirpstum«, um mit Jacob Burckhardt zu sprechen – und der Zugehörigkeit zu unverhältnismäßig großen abstrakten Ganzheiten, das moderne Identität, zumal nach dem Heraustreten aus der relativen Geschlossenheit kleiner Lebenskreise, neben anderem so oft kennzeichnet und schwierig macht. Die jungen Adligen in Rom hatten gewiß ihre Probleme, Nöte und Konflikte, aber offenkundig nicht mit der Frage, wer sie waren und sein wollten. In dieser Gesellschaft war es gar nicht leicht, Außenseiter zu werden. Auch nicht in der Krise mit ihren großen Problemen und schweren, zum Teil blutigen Auseinandersetzungen. Gewiß wirkte die römische Aristokratie mindestens gelegentlich und auf einige ihrer jungen Angehörigen, zumeist nicht die schlechtesten, abstoßend. Aber nie im Ganzen, sondern immer nur in Einzelnem. Wenn einer dann freilich in wichtigeren Punkten von der Kritik zur Reform übergehen wollte, dann hatte er plötzlich die Senatsmehrheit und sehr viele andere gegen sich. Dann stand er unter Umständen draußen. Er mußte im Grunde schon vorher in bemerkenswerte Distanz zum Senat geraten sein. Sonst wäre er kaum dazu gekommen, sich in so wichtigen Punkten gegen die Senatsmehrheit eine eigene Meinung zu bilden und ihr dann auch noch zu folgen. Aber vollends zum Außenseiter wurde er erst, indem er den offenen Konflikt aufnahm und austrug. Das war nur bei sehr wenigen der Fall. Für die meisten waren, sofern sie überhaupt in eine derartige Versuchung gerieten, die Aristokratie umfassend, ihr Leben verlockend und die Gewöhnlichkeit stark genug, um sie wieder einzufangen. Denn für Außenseiter gab es keine Gewöhnlichkeit, keine Konformität im Nichtkonformen. Vor Sulla hatte man als Außenseiter kaum die Chance, zu überleben. Wenn es nach Sulla, das heißt nach den Bürgerkriegen der achtziger Jahre, anders damit stand, so war das – mindestens im krassesten Fall, demjenigen Caesars – vermutlich weniger einer neuen Lage als der Person des Außenseiters zuzuschreiben.
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Im zweiten Jahrzehnt: Bürgerkriegserlebnis und erste Festlegung Konflikte des Jahres 88 • Sulla • Marsch auf Rom, Sieg der Cinnaner • Hochzeit und erste Ehren: die Konnexion mit Cinna • Sullas Rückkehr • Opfer des Dictators und Begnadigung • Sullas Ende • Vorbild für Caesar? Es hängt von vielerlei Umständen ab, ob und wann Heranwachsende entscheidend geprägt werden. Von Caesar kann man mindestens soviel mit einiger Gewißheit sagen: Für die Ausprägung seiner Persönlichkeit waren die Bürgerkriege der achtziger Jahre sehr bestimmend. Er geriet damals mit fünfzehn oder sechzehn Jahren in den innersten Kern der einen der beiden Parteien. Und das hat ihn, da er sich trotzig-treuerweise auch nach ihrer Niederlage von ihr nicht wirklich lossagen wollte, auf eine sehr bestimmte, sehr besondere Position innerhalb der römischen Aristokratie festgelegt. Daher hat er die für seine ganze Generation so tiefe Erfahrung des Bürgerkriegs in ganz spezifischer Weise durchgemacht. Und soviel damit in ihm erschüttert wurde, er hat dort einen Punkt gefunden, von dem aus er dann allmählich seine Identität ausbilden konnte, wohl tastend, unsicher, probierend, aber im Kern mit einer ungemeinen Treue zu jenem Selbst, das dann so kräftig wurde, daß es diese Treue zunehmend erzwang. Besonders prägend scheint dabei der Einfluß der kräftigsten Persönlichkeit dieser Jahre gewesen zu sein, des Lucius Cornelius Sulla. Der hatte im Jahre 88 den Bürgerkrieg eröffnet. Dessen Vorgeschichte lag in den innen- und außenpolitischen Verwicklungen, die sich in der Stadt seit 92 abgespielt hatten, zumal im Bundesgenossenkrieg und den daraus folgenden inneren
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11 Die antirömischen Ressentiments der italischen Bundesgenossen kommen auch in deren Münzprägung zum Ausdruck. Münze der italischen Konföderation (90-88): der italische Stier zertrampelt und durchbohrt die römische Wölfin. Darunter, in rückläufiger, oskischer Schrift, der Name eines der italischen Oberbefehlshaber: G[aius] Paapi[us Mutilis]. Problemen. Sie lag allerdings auch, soweit sie sich nämlich in Sulla und seinem Lager abspielte, in der neuen Beschaffenheit der römischen Armee und im vorerst letzten Kapitel der römischen Außenseitertradition, dem Scheitern des Livius Drusus. Der Bundesgenossenkrieg hatte Rom sehr große Schwierigkeiten bereitet. Zum ersten Mal seit mehr als einem Jahrhundert hatte man es mit einem militärisch sehr ernst zu nehmenden Feind zu tun, mit Legionen, die bisher an der Seite der römischen gekämpft hatten, die ganz ähnlich wie diese ausgebildet, aufgebaut und diszipliniert waren. Seine Armeen waren stark, und er stand im eigenen Land. Man konnte sich
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12 Münze der italischen Konföderation (90-88). Auf der Vorderseite Italia, von einer Victoria bekränzt. Auf der Rückseite: Begrüßung eines eben an Land gekommenen Bundesgenossen. Es handelt sich wahrscheinlich um eine Anspielung auf – in Wirklichkeit nie eingetroffene – Hilfstruppen, die von Mithridates VI. in Aussicht gestellt worden waren. seiner nur erwehren, indem man neben den Kampfhandlungen versuchte, die Gegenseite durch politische Angebote zu schwächen: zunächst an die Treugebliebenen, dann an diejenigen, die sich bis zu einem bestimmten Zeitpunkt in Rom meldeten. Aber wenn man dadurch einerseits immer mehr Kräfte von der Gegenseite abschmolz, so drängten sich dort andererseits antirömische Ressentiments in den Vordergrund. Unter den Samniten und Lucanern etwa waren viele, die gar nicht ins Bürgerrecht aufgenommen werden, sondern Roms Herrschaft stürzen wollten. Sie waren, einmal zum Kampf entbrannt, so leicht nicht zu befrieden. Größere Kontingente waren noch unter den Waffen, als eine neue Katastrophe eintrat: Der König von Pontos, einem klei-
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nen Reich an der Südküste des Schwarzen Meeres, Mithridates Eupator, fiel in die römische Provinz Asia ein, lebhaft begrüßt von den dortigen Griechen. Er ließ die verhaßten Römer, Kaufleute, Steuerpächter, Touristen und andere umbringen – achtzigtausend sollen es gewesen sein; die Zahl ist weit übertrieben, die Sache bleibt schlimm genug. Darauf machte er Miene, nach Griechenland überzusetzen. Offensichtlich wollte er Roms Schwierigkeiten ausnutzen, um neuerdings ein hellenistisches Großreich im Osten aufzubauen. Es bestanden auch einige Querverbindungen zu den aufständischen Italikern, die bloß nicht schneller aktiviert worden waren. Möglicherweise waren auch die Seeräuber einbezogen, die von der kleinasiatischen Südküste her die Verbindungswege im Mittelmeer unsicher machten. Das Problem, wem das Kommando gegen Mithridates anvertraut werden sollte, verwickelte sich dann mit der Innenpolitik. Denn in Rom war es im Jahr 88 erneut zu äußerst heftigen Auseinandersetzungen gekommen. Es ging vor allem um die Verteilung der Neubürger auf die Unterabteilungen der Bürgerschaft, die Tribus. Der Senat hatte für sie zunächst einige zusätzliche Tribus eingerichtet. Ihr Stimmrecht sollte nicht soviel wiegen wie das der meisten Altbürger. Sie hätten zwar künftig etwa vierzig Prozent der Bürgerschaft ausgemacht, wären aber in acht bis zehn Tribus eingeschrieben worden, während die Altbürger sich auf fünfunddreißig verteilten. Und für das Gesamtergebnis der Wahlversammlungen war in Rom nicht die Zahl der Individual-, sondern die der Abteilungsstimmen maßgebend. Die Senatoren, die diese Politik durchgesetzt hatten, brauchten wohl nicht zu befürchten, daß die Neubürger ganz andere Kandidaten wählten als die alten. Vielmehr hätten sie und die Ihren auch bei deren gleichmäßiger Verteilung auf die Tribus weiterhin gute Chancen gehabt. Aber die Wahlen hätten anders organisiert werden müssen; neue Rücksichten wären zu nehmen gewesen; und man wäre wohl auch nicht umhin gekommen, Angehörige der politisch führenden Schichten der neuaufgenommenen Gemeinden zu fördern, damit auch sie an
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den Magistraten ihren Anteil hätten. Eben dies hätte manche Umstellung, der Entschluß dazu also eine Großzügigkeit und Weitsicht vorausgesetzt, die die Senatsmehrheit nicht aufbringen konnte oder wollte. Dafür nahm sich der Volkstribun Publius Sulpicius Rufus der Neubürger an, einer aus dem Kreis der jungen Freunde des Livius Drusus. Er beantragte, sie gleichmäßig auf alle Tribus zu verteilen. Dabei stützte er sich auf eine Koalition mit wenigen Senatoren und einem weiten Kreis von Rittern. Zum einzigen Mal in der römischen Geschichte haben damals die Steuerpächter in größerem Stil, mit stetigem Engagement und auf längere Zeit in die Politik eingegriffen. Nachdem in den letzten Jahren mehrere Versuche unternommen worden waren, ihren politischen Einfluß zu beschneiden und sie vor allem daran zu hindern, so rechtswidrig wie straflos ihre erpresserischen Geschäftspraktiken in den Provinzen auszuüben, scheinen sie damals daran gegangen zu sein, ihre politische Position tiefer und fester zu fundieren. Als es um die Aufnahme der Bundesgenossen ins Bürgerrecht ging, waren sie dagegen gewesen; nicht zuletzt, weil sie deren Konkurrenz fürchteten. Nachdem diese Frage erledigt war, konnten sie sich mit den Interessen der Neubürger verbinden: Von der Verteilung auf die Tribus waren sie wenig betroffen. Im Gegenteil, sie sahen in den Neubürgern natürliche Verbündete im Kampf gegen den Senatsadel. Denn darauf sollte es jetzt offenbar hinauslaufen: Sie wollten die Senatoren nicht mehr nur unter Druck setzen können – wozu die Geschworenengerichte dienen konnten, die sie übrigens im Jahre 89 wieder verloren hatten –, sondern sie wollten im Senat selbst und unter den Magistraten stärker vertreten sein. Ritter und Neubürger wollten bei den Wahlen zusammenarbeiten, um mit überlegener Macht ihnen geneigte Politiker zu fördern und andere zu behindern und nicht zuletzt Neubürgern zum Aufstieg in Magistrate und Senat zu verhelfen. Der neue Anspruch manifestierte sich in einer aus sechshundert jungen Rittern gebildeten Leibgarde, die Sulpicius seinen Gegensenat nannte. Später trug die gleiche Koalition
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13 Fragmente von der Basis des Monuments, das König Bocchus von Mauretanien zu Sullas Ehren 91 auf dem Kapital errichten ließ. Rom, Konservatorenpalast. Sämtliche Motive der Basis verweisen chiffrenartig auf zentrale Inhalte der sullanischen Propaganda: Waffen, Trophäen und Victorien versinnbildlichen den militärischen Sieg; die Eroten und der Adler erinnern an die Götter Juppiter und Venus, denen der Sieg verdankt wird; durch den behelmten Kopf der Roma wird der persönliche Erfolg schließlich in den Dienst des Gemeinwesens gestellt. das Bürgerkriegsregime Cinnas, von dem es hieß, daß es durch den Aufstieg neuer Männer und »ritterlichen Glanz« gekennzeichnet sei. Es war kein Angriff auf die Institutionen der Republik, aber auf die herrschenden Kreise und Familien, der
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14 Eine von Sullas Sohn Faustus im Jahre 56 geprägte Münze zeigt den Vater des Münzmeisters sitzend, wie er von dem knieenden Bocchus einen Ölzweig in Empfang nimmt; daneben – ebenfalls knieend – der gefesselte Jugurtha. Die gleiche Szene war auch auf dem von Bocchus gestifteten Siegesdenkmal (vgl. Abbildung 13) und – nach einer literarischen Überlieferung – auf Sullas persönlichem Siegelring dargestellt. hier vorbereitet wurde. Es ging auch nicht direkt um deren Ablösung, aber um die Verschiebung der Gewichte zu Gunsten jener Schicht, die sich bei den Wahlen bisher geschlossen kaum geltend gemacht hatte und die dort nun zusammen mit den Neubürgern ihren ganzen Einfluß, vielleicht gar ihre Überlegenheit ins Spiel bringen wollte. Die Senatsmehrheit leistete heftigen Widerstand. Sulpicius ging rücksichtslos und gewaltsam vor. Da er alles nur mögliche aufzubieten suchte, verband er sich auch mit dem immer noch populären Kriegshelden Gaius Marius. Er bot ihm das Kom-
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mando gegen Mithridates, einen, wie es schien, leichten, beuteund ruhmvollen Feldzug, der dem ehrgeizigen, vielenttäuschten alten Mann sehr zustatten gekommen wäre. Mit diesem Kommando war aber schon einer der Consuln, nämlich Sulla betraut. Zwischen beiden bestand seit längerem ein Verhältnis gegenseitiger Eifersucht. Sulla hatte als Quaestor in Marius’ Armee während des Feldzuges gegen Jugurtha (107-105), den König der Numider in Nordafrika, gedient. Marius war damals gut fünfzig Jahre alt, Sulla Anfang dreißig. Jugurtha hatte sie vor große Probleme gestellt. Er war militärisch bei allem Geschick kaum zu besiegen gewesen, weil er sich nach kühnen Attacken immer wieder in die Wüste zurückgezogen und dort neue Kräfte gesammelt hatte. Sulla hatte ihn schließlich gefaßt; auf Grund geschickter Verhandlungen mit Jugurthas Schwiegervater, dem mauretanischen König Bocchus. Dieser haßte und fürchtete den Mann seiner Tochter, der sich gerade in seinen Schutz geflüchtet hatte. Er empfand ihn als Belastung. Ob er ihn aber verraten würde, war ungewiß. So war das Unternehmen einigermaßen riskant, auf das Sulla sich einließ, als er Bocchus’ Einladung in Begleitung weniger Soldaten folgte, um dann an dessen Sitz gleichzeitig mit Jugurtha – einer gegen den anderen verborgen – einige Zeit zuzubringen. Nach anstrengenden, spannenden, intrigenreichen Verhandlungen hat Bocchus den Schwiegersohn ausgeliefert. Erst damit war der afrikanische Krieg beendet. Marius feierte den Triumph, doch den entscheidenden Erfolg schrieb sich Sulla zu. Er benutzte künftig ein Bild der Auslieferungsszene als Siegel, und Bocchus ließ sie später zum großen Ärger des Marius auf einem Denkmal auf dem Capitol verewigen – um damit zugleich dem römischen Volk seine Verdienste vor Augen zu führen. Nun also wollte der mittlerweile siebzigjährige Marius – Mommsen nennt ihn einen abgestandenen Helden – das große Kommando im Osten dem fünfzigjährigen Consul entwinden. Die Volksversammlung beschloß auf Antrag des Tribunen, es auf ihn zu übertragen. Doch das ließ sich Sulla nicht gefallen. Vor der bundesgenössischen Stadt Nola in Campanien, die noch belagert
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wurde, hatte er schon den Oberbefehl über seine Legionen übernommen. Jetzt trat er vor sie und legte ihnen dar, daß Marius nicht sie, sondern andere Soldaten in den beutereichen Krieg führen werde. Die Soldaten waren so empört, daß sie ihn aufforderten, ja scheinbar nötigten, sie auf Rom zu führen, um den Volksbeschluß rückgängig zu machen. Kein Zweifel, daß es wesentlich um den Oberbefehl im Osten ging. Aber man täte Sulla vermutlich Unrecht, wenn man übersähe, daß er zugleich die Sache des Senats verfechten wollte. Lucius Cornelius Sulla war eine sehr kräftige, farbige Persönlichkeit. Seine Familie gehörte zum ältesten patricischen Adel, sie war einst wohlhabend gewesen. Einer seiner Vorfahren, zweifacher Consul und erfolgreicher Feldherr, war Anfang des dritten Jahrhunderts, als die Zeiten noch streng waren, aus der Senatsliste gestrichen worden, weil er mehr als zehn römische Pfund (gut drei Kilogramm) Silber besaß. Aber inzwischen war die Familie so sehr verarmt, daß Sulla anfangs in einem Mietshaus eine Etage bewohnen mußte – was in Roms Aristokratie etwas heißen wollte. Er lebte unkonventionell, mit Vorliebe in Gesellschaft von Schauspielern und von Halbwelt; Liebschaften, vielfältigen Genüssen, hoch hergehender, geistvoller Geselligkeit hingegeben; recht respektlos, lebenslustig und spöttisch. Und merkwürdigerweise kam er auf diesem Weg sogar zu Vermögen. Denn als er sich in eine reiche Kurtisane verliebte, wurde er durch den Charme seines Umgangs, den Reiz seines unbekümmert-jugendlichen Wesens vom Liebhaber zum Geliebten; und sie setzte den seltenen Vogel unter Roms Aristokraten zu ihrem Erben ein. In diesem Milieu hat er manches gelernt. Er war mit vielen Wassern gewaschen. Und indem er so weitgehend darin aufging, hat er zugleich immer eine beachtliche Überlegenheit gegenüber dem politischen Alltagsgeschäft bewahrt. Er war zu distanziert, um die Dinge normalerweise ganz ernst zu nehmen. Er drängte sich auch nicht auf. Aber wenn er irgendwo hingestellt, irgendwo engagiert war, dann war es ihm ernst genug, daß er sich energisch
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um die Erledigung des Aufgetragenen bemühte. Nicht immer bis zum Letzten – seine Gleichgültigkeit konnte ihn wieder übermannen –, aber doch bis zum Vorletzten. Und wenn es wirklich wichtig war – und er wußte Wichtig von Unwichtig sehr genau zu unterscheiden –, ließ er auch nicht locker. Er hatte also etwas Spielerisches, recht Ironisches und konnte doch zugleich einen ungemein starken Durchsetzungswillen mobilisieren. Es kam ganz darauf an. Sallust schreibt: »Er war in den griechischen und lateinischen Schriften so gebildet wie die ersten Geister. Er besaß ungeheure Seelenkraft, war begierig nach Genüssen, aber noch begieriger nach Ruhm; lebte in luxuriöser Muße; gleichwohl hat ihn niemals ein Genuß von seinen Aufgaben abgehalten ... Er war beredt, raffiniert und in der Freundschaft nachsichtig; um über seine Pläne zu täuschen, besaß er eine unglaubliche Unergründlichkeit des Geistes.« Es mischten sich in ihm das römische Standeserbe und die griechische Zivilisation, der Rom sich damals öffnete. Und es ist, als hätten die Aufgeschlossenheit und das Interesse, das sich unter griechischem Einfluß erschloß, das Römische nicht in Sullas Gesinnung, wohl aber in seinem Können noch gesteigert. Seine vielfältige Begabung wurde auch in dieser Hinsicht freigesetzt. In dieser Mischung und in den daraus resultierenden Entfaltungsmöglichkeiten lag wohl ein Teil des Rätsels der »nach großem Maßstab zugeschnitzten« Gestalten der späten Republik. Übrigens war diese Mischung bei Sulla in vielen Hinsichten sehr ähnlich wie bei Caesar – ähnlich reich, nur nicht so geschlossen. Sulla konnte sich rasch in jeder Materie zurechtfinden und es bald mit jedem Fachmann aufnehmen. Er scheint eine bemerkenswerte Konzentrationsfähigkeit gehabt zu haben. Dazu trafen sich Verstand, Energie und Mut. Zwei Tiere steckten in ihm, hat einer seiner Feinde gesagt, ein Fuchs und ein Löwe; aber der Fuchs sei das gefährlichere. Launisch sei er auch gewesen. Und dafür werden viele Beispiele zitiert. Aber vor allem war er nicht richtig eingespannt in die Gesellschaft, innerlich zu frei, zu vielseitig interessiert, ver-
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15 In den 80er Jahren verstand Sulla seine fortune als besondere Gunst der Venus; in seiner Münzprägung und auf einem großen Siegesdenkmal verknüpfte er Eros mit der Siegespalme. L[ucius] Sulla Imper[ator] iterum (zum zweiten Mal als Sieger in einer Schlacht ausgerufen). Münzprägung des sullanischen Heeres (84-83). Vorderseite: Kopf der Venus, daneben Amor mit der Siegespalme. Die Verknüpfung zwischen Göttergunst und Sieg wird auch auf der Rückseite deutlich: links und rechts zwei Trophäen; dazwischen Opferkanne und Krummstab (lituus), die als priesterliche Attribute auf die sakralen Aspekte des Oberbefehls verweisen: gehörte es doch zu den vornehmsten Pflichten des Feldherrn, vor Kriegsbeginn in einer feierlichen Zeremonie (auspicium) die Zustimmung und den Segen der Götter einzuholen. mochte die Dinge von zu vielen Seiten zu sehen, war zu sehr abgelenkt, deswegen wohl auch zu anspruchsvoll und folglich
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zu leicht enttäuscht; zu abgestoßen von vielem. So war er im Ganzen großzügig – außer wenn er sich auf Hochwichtiges konzentrierte; so war er inkonsequent. Je weniger er eingebettet war in die Aristokratie, um so weniger ruhte er sicher in deren Regeln und Grundsätzen. Andererseits war er nicht willens und auch nicht distanziert – und war die römische Gesellschaft vor allem noch nicht schwach – genug, daß er sich wie später Caesar neue, eigene Regeln und Grundsätze und sich selbst als Beziehungspunkt seines Handelns hätte aufbauen können. Das mag auch mit seinem Glauben an sein Glück zusammengehangen haben. Er hielt sich für den Liebling der Aphrodite. Und in seinen Erinnerungen hat er behauptet, seine kühn im rechten Augenblick gewagten Unternehmungen hätten bessere Erfolge gezeitigt als die sorgfältig geplanten. Mommsen spricht vom »Glauben an das Absurde, wie er bei jedem von dem Vertrauen auf eine zusammenhängende Ordnung der Dinge durch und durch zurückgekommenen Menschen notwendig sich einstellt, dem Aberglauben des glücklichen Spielers, der sich vom Schicksal privilegiert erachtet, jedes Mal und überall die rechte Nummer zu werfen«. Auch Caesar hat an sein Glück geglaubt, und er hatte seine spezielle Beziehung zu Venus. Aber wenn ihm Fortuna auf seinem sehr bewußt gewählten Weg zu helfen schien, so scheint sie Sulla davor bewahrt zu haben, solch einen Weg einzuschlagen, jedenfalls langfristig. Da Sulla sein Leben voll ausschöpfte, mußte er aus seiner Zeit etwas machen. So war er zupackend, draufgängerisch, ein Mann des kurzen Prozesses, neigte nicht zum Fackeln. Bedenklichkeiten und langes Hin und Her scheinen ihn ungeduldig gemacht zu haben. Die Dinge stellten sich ihm relativ einfach und klar dar; was natürlich hieß, daß er ein Fremdling in der Oligarchie war. Heute wird meistens behauptet, Sulla sei konservativ gewesen. Das besagt entweder nichts, oder es ist falsch. Denn einerseits waren alle Römer konservativ, gerade auch die Reformer. Andererseits war Sulla zu rücksichtslos gegen den Senat und
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gegen die überkommenen Regeln, um sich darin besonders auszuzeichnen. Er war nur höchst realistisch und sah nicht, wie Rom anders als in der überkommenen Struktur hätte regiert werden können. Das wird ihn schwerlich begeistert haben; aber es bestimmte sein Handeln. Er plante keine Neuerungen, sondern erledigte nur, was ihm nach seiner Meinung aufgegeben war; dies freilich zum Teil recht unkonventionell. Auch daß sein Wille, das Notwendige zu verwirklichen, mit ihm durchgehen konnte bis zu schlimmer, blutiger Konsequenz, will sich nicht recht zu seiner vermeintlichen Konservativität reimen. Weil er aber voller Energie war, ein ausgezeichneter, bravouröser Offizier, glänzender Organisator, erfolgreicher Feldherr und mitreißender Soldatenführer, konnte er im Bundesgenossenkrieg mehr als alle anderen dazu beitragen, daß Rom mit seinen militärischen Schwierigkeiten fertig wurde. Deswegen, aber wohl auch weil er gerade in eines der ersten Geschlechter Roms, die Meteller, geheiratet hatte, war er 88 – mit fünfzig Jahren, also relativ alt – zum Consul gewählt worden. Möglich, daß die hohe Aristokratie in dieser Situation besondere Erwartungen in ihn setzte und daß daher auch jene Heirat sich erklärt. Jedenfalls suchte Sulla, seiner Art gemäß, seine Aufgabe als Consul verantwortungsvoll zu erfüllen, und das hieß, daß er es mit dem popularen Volkstribunen aufnahm. Daß man derart gegen den Senat Politik betrieb, und noch dazu in enger Verbindung und zu Gunsten des zweiten Standes der Ritter, sah er gar nicht ein. Da hatte er denn doch seinen Adelsstolz. Und daß er und der Senat sich eine Niederlage bieten lassen sollten, ging ihm vollends wider den Strich. Er fand, daß es mit solchen Störungen und Ansprüchen ein Ende haben müsse. Der so jäh gestoppte Reformimpuls des Livius Drusus war noch nicht am Ende, die Notwendigkeit dafür drängender als je. Auch aus dieser Legitimation heraus schlug Sulla zu, wie nur je ein Consul beim senatus consultum ultimum. Der sehr erhebliche Unterschied war nur, daß er es mit Legionen und ohne senatorischen Auftrag tat. Aber hier dominierte, ja verabsolutierte sich Sullas Durch-
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16 »Er besaß ungeheure Seelenkraft, war begierig nach Genüssen, aber noch begieriger nach Ruhm; lebte in luxuriöser Muße; gleichwohl hat ihn niemals ein Genuß von seinen Aufgaben abgehalten« (Sallust). Bildnis des Sulla. Münze des Quintus Pompeius Rufus, um 54. setzungswille. Er wollte seine Sache recht machen, im Sinne des Senats, notfalls auch gegen die Senatoren. Nachdem die Senatsmehrheit Drusus so schmählich hatte aufsitzen lassen, konnten ihre bedächtigen – und berechtigten – Einwände Sulla wohl kaum sehr imponieren. Er sah nicht, wie der Senat diesmal nach einer großen Reform am Ende stärker sein wollte. Auf die Frage, warum er auf seine Vaterstadt mit Waffengewalt ziehe, hat er geantwortet: um sie von den Tyrannen zu befreien. Erstmals also marschierte im Jahr 88 eine römische Armee in feindlicher Absicht auf die eigene Stadt. Die höheren Offiziere
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hatten so viele Bedenken dagegen, daß sie bis auf einen Quaestor sich weigerten, mitzuziehen. Dafür schloß sich der zweite Consul an. Der Senat schickte Gesandte, um Sulla zur Umkehr zu bewegen, offenbar nicht nur unter dem Druck der Gegner. Aber das fruchtete nicht. An drei Stellen besetzten Sullas Truppen die Zugänge zur Stadt. Zwei Legionen strebten in geschlossener Formation, Feldzeichen und Trompeten voran, vom Esquilinischen Tor her auf das Zentrum zu. Sie wurden aus den Häusern beschossen und beworfen. Erst als Sulla befahl, Feuer anzulegen und brennende Pfeile zu schießen, erschlaffte die Kampfeswut. Die Soldaten kämpften sich bis zum Esquilinischen Markt durch (nahe der heutigen Kirche Sta. Maria Maggiore). Dort traten ihnen Marius und Sulpicius mit einer rasch zusammengerafften Mannschaft entgegen. Der Vormarsch kam zum Stehen. Aber dann führte Sulla Reserven heran und ließ andere Truppen über die Subura vordringen, um Marius zu umgehen. Darauf zerstreuten sich die Verteidiger, viele verließen eilig die Stadt. In der Nacht lagerten Sullas Legionen auf dem Forum. Die beiden Consuln waren ständig unterwegs, um die Disziplin zu überwachen. Plünderungen wurden schärfstens bestraft, die Zahl der Opfer blieb begrenzt. Caesar war damals zwölf Jahre alt. Ob er das Geschehen in Rom erlebt hat, wissen wir nicht. Aber mindestens in Form von Erzählungen, Befürchtungen, Vermutungen muß es seine Familie damals heftig umgetrieben haben. Sulla veranlaßte danach unter Demonstrationen seiner militärischen Macht den Senat, Marius, Sulpicius und zehn andere zu Feinden zu erklären. Insbesondere im Fall des Marius, des Retters Roms, stieß das auf großen Widerwillen im Senat. Sulpicius wurde gefaßt, getötet, sein Haupt an Sulla gesandt; der ließ es auf der Rednertribüne aufstellen. Die anderen konnten entkommen, Marius floh nach Afrika, zu seinen dort angesiedelten Veteranen. Dann hob Sulla Sulpicius’ Gesetze auf und führte in aller Eile einige Reformen im Sinne des Senats durch. Vor allem sollten Gesetzesinitiativen der Volkstribunen künftig nur mehr mit Zustimmung des
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Senats unternommen werden dürfen. Besonders wichtig für Sulla war, daß er energische Männer seines Vertrauens als Consuln des Folgejahres in Rom zurücklassen konnte. Doch regte sich ein mächtiger Unwille gegen seine selbstherrliche Gewalttätigkeit, gegen die beispielhafte Durchbrechung aller Barrieren, die die innerrömischen Auseinandersetzungen bisher vom Bürgerkrieg getrennt hatten. Er tat es gerade auch beim Senat, der sich nicht klarmachte, daß er längst mit Sulla in einem Boot saß. So fielen dessen Kandidaten durch, und es wurde auf die eine Stelle einer seiner Gegner, Lucius Cornelius Cinna, gewählt, auf die andere ein etwas sonderlicher, wenig energischer und für die Verwaltung der Erbschaft, die Sulla dem Senat einstweilen hinterließ, offenbar denkbar ungeeigneter Mann. Sulla zögerte, Cinna als Consul auszurufen. Hätte er stärkere Unterstützung von den Senatoren erfahren, hätte er wahrscheinlich die Wahl wiederholt und durch Massagen der Wählerschaft ein günstigeres Ergebnis herbeizuführen gesucht. Dergleichen war schon öfter geschehen und bewegte sich in Ausnahmesituationen durchaus im Rahmen des Üblichen. Mangels jener Deckung begnügte Sulla sich zur allgemeinen Überraschung damit, Cinna einen heiligen Eid schwören zu lassen, daß er seine Gesetze nicht antasten werde. Ob er wirklich geglaubt hat, daß der sich daran halten würde, ist unklar. Aber es lag ihm daran, es zu glauben, zumal er es eilig hatte, endlich dem im Osten vorrückenden Mithridates entgegenzuziehen. Cinna jedoch hatte nach Antritt des Consulats nichts Dringenderes zu tun, als zu beantragen, Sulla möge zum Feind erklärt und seine Gesetze mögen annulliert werden. Insbesondere ging es um die Verteilung der Neubürger auf die Tribus. Jetzt setzte sich der Senat zur Wehr, vom anderen Consul unterstützt, welcher an dieser Aufgabe wuchs. Es ging um die Sache, nicht um Sulla. Heftige Straßenkämpfe entbrannten. Der Senat erkannte Cinna schließlich sogar das Consulat und auch das Bürgerrecht ab – was beispiellos war. Allerdings reichte die Konsequenz nicht so weit, daß man den Fliehenden auch verfolgt hätte. So konnte er sich – wie Sulla ein Jahr
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zuvor – eine Armee sammeln, beginnend bei der Legion, die Sulla nicht mit in den Osten genommen hatte, weil die Belagerung der Stadt Nola in Campanien noch nicht abgeschlossen war. Nicht zuletzt strömten ihm die Neubürger zu, deren Interessen er verfocht. Marius kehrte von Afrika zurück und stellte in der Toscana ein Heer auf, Sklaven wurden mit dem Versprechen der Freiheit zu den Waffen gerufen. Gemeinsam zog man auf Rom. Marius eroberte Ostia und schnitt die Zufuhren von der See ab. Die Stadt war zwar durch reguläre Armeen geschützt, diese scheinen sogar in der Überzahl gewesen zu sein, ganz abgesehen davon, daß sie kriegserfahren waren. Aber es haperte an der Führung: Der eine der Kommandeure, Quintus Metellus Pius, war dem Senat ergeben. Als jedoch zwischen seinen Soldaten und den Bekannten im Lager Cinnas Grüße ausgetauscht wurden, hielt er sein Heer ängstlich zurück; um das Überlaufen zu verhindern, tat er lieber nichts. Der andere Kommandeur war Pompeius Strabo, der Vater des »Großen Pompeius«, Consul von 89. Der war sich seiner Armee zwar sicher, aber er wollte nicht kämpfen. Er suchte vielmehr die Gelegenheit dazu zu nutzen, um für sich selbst eine politische Vorzugsstellung zu erreichen, als Retter der Stadt. Da der Senat ihm aber offenbar nicht entgegenkam, wartete er ab. Er hat auch mit Cinna verhandelt. So gerieten die senatorischen Armeen in die Defensive. Eine erste Abwehrschlacht wurde zwar erfolgreich geschlagen, aber im wesentlichen verharrte man in Untätigkeit. Während Cinnas und Marius’ Soldaten sehr genau wußten, was sie wollten, war denen ihrer Gegner nicht so recht klar, wozu sie da waren. Als Pompeius schließlich an einer Epidemie starb, wollten seine Soldaten zwar kämpfen, aber nicht unter dem Consul, von dem sie sagten, er habe kein Glück. Und den Eindruck scheint er, steif wie er war, wohl auch gemacht zu haben. Metellus aber, den die Legionen zum Feldherrn wollten, versagte sich aus verfassungsmäßigen Gründen. Von Seiten des Senats wollte man die außerordentliche Situation mit ordentlichen Mitteln meistern. In der Innenpoli-
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tik wußte man längst, daß das nicht ging, daher hatte man das senatus consultum ultimum erdacht. Bei den Soldaten aber rechnete man weiterhin mit selbstverständlichem Gehorsam, obwohl man doch bei Sullas Marsch auf Rom gerade erfahren hatte, daß die Bindung an den Feldherrn, dessen persönliche Überzeugungskraft, sein Soldatenführertum und die Erwartung, daß er sich wirksam für seine Soldaten einsetzte, stärker sein konnten als die Senatsautorität. Aber vielleicht hatte man das nicht recht begriffen. Es wäre ja auch eine unangenehme Wahrheit gewesen, schwer vereinbar mit dem Stolz der Väter, die die ganze Welt regierten. Zudem war der Äußerste Senatsbeschluß eine Demonstration der Macht, die Rücksichtnahme auf die Soldaten wäre dagegen eine der Ohnmacht gewesen. Wieweit man sich bewußt war, daß sich hier zugleich das Problem des Verhältnisses zwischen großem Einzelnen und Senat auftat, mag offenbleiben. Jedenfalls sollte der Senat über allen Kräften stehen. Folglich unterlag er. Es begann das große Überlaufen. Unter der Bedingung, daß das Leben aller Bürger geschont werde, lud der Senat Marius und Cinna ein, nach Rom zurückzukehren. Sogleich nach dem Einmarsch begann das Morden. In grenzenloser Wut rechnete Marius mit seinen Gegnern ab. Alle Enttäuschungen und Ressentiments des ehrgeizigen, verletzlichen, rauhen homo novus, dem man so übel mitgespielt hatte, brachen auf. Wer sein Gegner gewesen war, einst oder kürzlich, und wohl auch manch einer, dessen Vornehmheit und Hochmut den so wenig feinen Neuling erbost hatten, wurde rücksichtslos umgebracht, der eine Consul – der andere nahm sich selbst das Leben –, vier Consulare und mehrere sehr prominente Senatoren unter anderen. Marius vergalt, wie Mommsen schreibt, jeden Nadelstich mit einem Dolchstich. Sulla wurde geächtet, zum öffentlichen Feind erklärt, sein Haus zerstört, seine Landgüter ließ man verwüsten. Marius’ Leibgarde aus entlaufenen Sklaven trieb ein solches Unwesen, daß Cinna sie schließlich im Schlaf überfallen und bis auf den letzten Mann niederhauen ließ. Dann richteten die Cinnaner ihre Herrschaft in Rom ein, die von Ende 87 bis 82 dauerte. Marius
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wurde noch zum Consul von 86 gewählt, starb aber bald nach Amtsantritt. Über die Persönlichkeit Cinnas hören wir überhaupt nichts. Vielleicht weil sie blaß war, jedenfalls strich man nach seinem Ende diese Periode der römischen Geschichte fast ganz aus dem Gedächtnis. Tüchtig muß er gewesen sein, das kann man aus seinen Taten schließen. Ob er mehr war als ein Opportunist, läßt sich beim Mangel an Quellen nicht mehr feststellen. Seine politische Planung war eher reaktiv. Ob er über seinen Sieg hinaus gedacht hat, ist ganz unklar. Er wollte – oder sollte – das Neubürgergesetz wiederherstellen und ausführen. Insofern beseelte ihn auch Energie. Ob er weiter wußte, ist schlechterdings nicht auszumachen. Was er tat, war ungefähr das, was man notgedrungen in solch einer Situation tun muß: Er ließ sich stets aufs neue zum Consul wählen, bemühte sich, die durch die Kriege gestörten wirtschaftlichen Verhältnisse wieder zu ordnen, suchte leidliche Beziehungen zum Senat zu gewinnen. Beiden konnte an einer Wiederaufnahme des Bürgerkriegs nicht gelegen sein. So strebte der Senat eine Aussöhnung mit Sulla an, und Cinna scheint dem nicht widersprochen zu haben. Offenbar wollte man Sullas Rechte wiederherstellen und ihm sein Kommando lassen – was nach Marius’ Tod leichtfiel und angesichts seiner Feldherrnbegabung auch Sinn hatte. Dafür sollte er alle Ansprüche auf Rache für das ihm und anderen hohen Adligen zugefügte Unrecht aufgeben. Wenn Cinna allerdings gemeint hätte, Sulla auf diese Weise befriedigen zu können, hätte er ihn gründlich verkannt. Wenn nicht, wäre seine Taktik geschickt gewesen: Er bot die Hand zur Aussöhnung, zum friedlichen Ausgleich. Erst als der Krieg unausweichlich erschien, im Jahre 85, begann er jedenfalls gegen Sulla zu rüsten. Im folgenden Jahr wollte er dann mit einer Armee über die Adria setzen, doch wurde er bei einer Meuterei erschlagen. Während dieser Jahre endete Caesars Kindheit. Er legte die Männertoga an und begann die Lehrzeit auf dem Forum. Im
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17 Wer der Priesterschaft der Flamines angehörte, mußte stets (jedenfalls im Freien) den Apex tragen, eine Pelzmütze mit Bakkenlappen, die unter dem Kinn zusammengebunden wurden, und einer besonderen Verzierung an der Spitze. Darstellung zweier Flamines: Ausschnitt vom Südfries des unter Augustus errichteten Friedensaltares, der Ara Pacis. sechzehnten Lebensjahr verlor er den Vater. Vor allem aber rückte er – im Jahr darauf, offenbar 84 v. Chr. – in den Mittelpunkt der damaligen Gesellschaft. Cinna gab ihm nämlich seine Tochter Cornelia zur Frau; das Verlöbnis mit Cossutia, die aus einer sehr wohlhabenden ritterlichen Familie stammte, wurde gelöst. Die Verbindung mit Cinna stellte eine erstaunliche Auszeichnung dar. Der siegreiche Bürgerkriegsführer konnte sein Kind kaum an einen beliebigen jungen Mann geben, und sei er aus noch so guter Familie. Die andere Tochter war mit Gnaeus Domitius Ahenobarbus verheiratet
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worden, einem tapferen jungen Adligen aus hervorragendem Geschlecht. Ob es eine Rolle spielte, daß Caesar der Neffe des Marius war? Oder gilt die Bemerkung, mit der Jacob Burckhardt den Eindruck des jungen Caesar auf Sulla kommentiert: »Irgendetwas von dem außerordentlichen Wesen des Betreffenden pflegt nämlich doch schon frühe durchzublitzen«, so daß für den Großen besondere »Gefahren der Anfänge« bestehen? Aber war Caesar groß? Hatte er schon etwas von dem Charisma, dem Glanz, der vielseitigen Überlegenheit und Erfolgssicherheit, die er später ausstrahlte? War wenigstens von seinen großartigen Anlagen schon etwas zu spüren? Cinna hat Caesar etwa gleichzeitig zu dem sehr vornehmen Amt des Juppiter-Priesters bestimmt, das gerade frei geworden war. Es ist nicht deutlich, ob Caesar auch schon inauguriert wurde. Dieses Amt war mit besonderen Ehrenrechten ausgestattet und nur Patriciern zugänglich. Andererseits legte es seinem Inhaber vielfältige Pflichten, den Vollzug von Opfern und Zeremonien auf, und vor allem unterlag es zahlreichen einengenden Vorschriften. Der »Flamen Dialis« wurde als Träger einer magischen Kraft aufgefaßt, die sorgfältig zu hegen war. Er mußte stets – jedenfalls im Freien – den Apex tragen, eine Pelzmütze mit Backenklappen, die unter dem Kinn zusammengebunden wurden, und einer besonderen Verzierung an der Spitze. Er durfte kein Pferd besteigen, ein bewaffnetes Heer durfte ihm nicht vor die Augen kommen; an Feiertagen durfte er nicht wahrnehmen, daß jemand arbeitete. Sein Haar durfte nur von einem Freien mit einem Bronzemesser geschnitten und mußte, wie die abgeschnittenen Fingernägel, an bestimmter Stelle vergraben werden. Es durfte sich auch in seinem Haus kein Knoten befinden. Nie durfte ihm ein Tisch ohne Speise vorgesetzt werden, damit selbst der Eindruck eines Mangels ihm fernblieb. Ursprünglich hatte der Juppiter-Priester auch keinen Magistrat bekleiden dürfen. Er durfte ja den dazu erforderlichen Eid auf die Gesetze nicht leisten, da darin eine potentielle Selbstverfluchung enthalten war. Doch waren Wege gefunden worden, um diesen Mangel aufzuwiegen, der letzte
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Inhaber war sogar Consul geworden. Aber eine reine Freude kann diese Priesterschaft, mindestens für einen ehrgeizigen jungen Adligen, nicht gewesen sein. Man hat sie gerne an Patricier gegeben, deren Gesundheit ihnen keine politische Laufbahn gestattete. Für Caesar wie für Cinna mochte sich das anders ausnehmen. Wenn einem Hause, das politisch lange nicht mehr viel bedeutet hatte, eine solche Ehre widerfuhr, so mochte ihm das als höchst erstrebenswert erscheinen, vielleicht ebenfalls die Aussicht auf das Consulat eröffnen. Und für Cinna war es offenbar wichtig, daß ein ihm nahestehender Mann sie erhielt. Denn im aristokratischen Gemeinwesen der Römer spielten Ehren eine außerordentliche Rolle, und für einen Usurpator mehr als für jeden anderen. Übrigens mußte der Juppiter-Priester auch mit einer Patricierin verheiratet sein, und Cornelia erfüllte offensichtlich diese Bedingung. Damit war Caesar fürs erste politisch festgelegt; nicht auf eine Sache – die hatte Cinna, nachdem das Neubürger-Problem gelöst war, nicht mehr –, aber auf bestimmte Verbündete und vor allem gegen die alte Nobilität. Cinnas Herrschaft bewegte sich zwar äußerlich genau in den Formen der alten Republik – wenn man davon absieht, daß die führenden Männer sich immer wieder zu Consuln wählen ließen. Er wollte offenbar nur für sich und seine Verbündeten innerhalb dieser Formen eine breite, solide Machtbasis schaffen. Das mutet in mancherlei Hinsicht erstaunlich an. Wenn es wirklich galt, eine neue Gruppe von Politikern hochzubringen, so waren die Vorschriften über die Ämterlaufbahn sehr hinderlich. Insbesondere die Neulinge mußten erst langsam über die unteren Magistrate aufsteigen und konnten nicht so bald großen Einfluß im Senat erlangen, da dessen Sitze lebenslänglich waren und dessen Rangklassen der Ämterfolge entsprachen. Man kann freilich damit gerechnet haben, daß die geschlossene Politik eines solchen Wählerblocks – und der Druck Cinnas – zugleich die Bewerber um die höheren Ämter und alle, die jemanden bei der Kandidatur fördern wollten, zu erhöhter Rücksichtnahme nötigte. Doch waren all diese Absichten weit davon entfernt,
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auf eine andere Form der Republik zu zielen. Wenn Cinna sich jedoch getreu an die Regeln hielt, so hatte er gleichwohl einen tiefen Legitimitätsbruch verursacht. Einmal durch seine Usurpation, zum andern durch die Morde und Selbstmorde im Gefolge seines Einmarschs in Rom. Die Republik bestand nach römischer Auffassung keineswegs nur in ihren Formen und Überlieferungen, sondern auch in der Kontinuität der Aristokratie. Die war versammelt im Kreis der führenden Senatoren. Das waren die Consulare, diejenigen, die das Consulat bekleidet hatten. Man nannte sie die »Ersten der Bürgerschaft«, principes civitatis. Sie bildeten das Zentrum der Verantwortung. Sie hatten die Aufgabe, die Sache des Senats und des Ganzen der res publica zu verfechten, und da die Senatoren entschieden darauf eingeschworen waren, erwuchs ihnen daraus sehr hohe Autorität. In der Gemeinsamkeit der Aufgabe entstand aber auch eine politische Solidarität mindestens innerhalb des Gros der Consulare. In ihrer Sache und in ihnen war die römische Aristokratie verkörpert; deren Traditionskette war in ihnen präsent und wurde von ihnen sehr bewußt fortgesetzt. Ob sie einen Consulatskandidaten anerkannten, war zum Beispiel höchst wichtig für dessen Erfolgsaussichten. So stellten sie auch eine Quelle der Legitimität dar. Wer sie vernichtete – oder stark dezimierte –, traf ins Herz des Adels, auch wenn er die aristokratischen Formen am Leben ließ. Dieses Odium war nicht so leicht loszuwerden. Im einzelnen mochte manch ein Nobilis seinen Frieden mit Cinna schließen, der Stand als Ganzes konnte das so leicht nicht. »Ohne Recht und ohne jede Ehre« – sine iure et sine ulla dignitate – sei die Republik damals gewesen, hat Cicero geschrieben. Es ist hier genau zu unterscheiden: Im Senat herrschte eine mittlere Linie vor. Man war im allgemeinen gegen Cinna, aber man war keineswegs für Sulla. Denn der Senat konnte sich mit Sullas Marsch auf Rom trotz allem, was inzwischen geschehen war, auch weiterhin nicht befreunden. Und man konnte von einer Wiedereröffnung des Bürgerkriegs nur das Schlimmste fürchten, gerade auch von seiten des so hart durchgreifenden
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Sulla. Andererseits schrieb der die Sache der Nobilität auf seine Fahnen – nicht die des Senats! Ehre und Rang der althergebrachten führenden Schicht sollten wiederhergestellt werden. Viele Nobiles mußten also doch mit Hoffnungen auf Sulla blicken; und mit Cinna konnten sie sich kaum aussöhnen. So wiesen die Überlegungen der Senatspolitik und die Hoffnungen der alten Führungsschicht in verschiedene Richtungen. Einstweilen waren nur jene maßgebend, später traten diese in den Vordergrund, bis schließlich unter Sulla Senat und Nobilität wieder eins wurden. So sehr aber der Senat unter Führung der letzten überlebenden alten Principes mit Geschick den ihm verbleibenden Spielraum nutzte, die vorherrschende Stimmung war Verzweiflung, das Gefühl der Ohnmacht. Letztlich bestimmten die Bürgerkriegsführer, was geschah. Und aus der Perspektive der einen Partei lernte Caesar zwischen dem sechzehnten und dem neunzehnten Lebensjahr diesen schwachen Senat kennen. Jugendlich und anspruchsvoll, wie er war, mag er ihn auch gleich verachten gelernt haben. Er hatte, im Gegensatz zu zahlreichen Generationsgenossen, keine Anhaltspunkte für schmerzlich-trotzige Identifizierung mit den Vätern – oder für Hoffnung auf die Armeen im Osten. Daß es freilich bei solch kritischer, ablehnender, verachtender Haltung bliebe, dafür sorgte vermutlich erst Sulla; durch die Weise, in der er seinen Sieg ausbeutete, und dadurch, wie er Caesar begegnete, indem er ihn bedrohte und in Gefahr brachte. Sulla hatte sich zunächst mit Energie und Kampfesmut, auch mit Erfolg dem Krieg gegen Mithridates hingegeben. Da er von Rom keinen Nachschub bekam, requirierte er rücksichtslos alle Schätze, auch die herrlichsten Kunstwerke, die Griechenland herzugeben hatte, und machte sie zu Geld. Er führte seine Soldaten hart und streng, wo es nottat. Aber er ließ ihnen im übrigen verführerische Freiheit und bestach sie. Sie sollten kämpfen, und sie sollten ihm treu sein. Im übrigen war ihm alles recht, konnte er selbst Meutereien vergessen. Da war er so großzügig wie er ausschweifend sein konnte. »Damals zuerst gewöhnte sich das Heer des römischen Volkes ans Huren und
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18 Offensichtlich wollte er Roms Schwierigkeiten ausnutzen, um neuerdings ein hellenistisches Großreich im Osten aufzubauen. Mithridates VI. Münze des Königreichs Pontos, um 79. Saufen, lernte Statuen, Gemälde und Gefäße von getriebener Arbeit bewundern, sie auf eigene Faust oder offiziell rauben, die Heiligtümer plündern, Heiliges und Profanes besudeln«, so beschreibt Sallust das Etappenleben dieser Armee. Aber Sulla war, wie gesagt, eben auch ein faszinierender Soldatenführer, der den rechten Ton für seine Männer fand, sich unter Umständen in vorderster Linie einsetzte, ein Kamerad, der ihnen von gleich zu gleich begegnen konnte – und der ihnen um so mehr imponierte, als er so gar nicht ihresgleichen war; ein Draufgänger, der anscheinend die Spuren seiner Planung gut zu verwischen vermochte. Und die Soldaten vertrauten der fortune ihres Feldherrn. In vergleichsweise kurzer Zeit wurde Mithridates besiegt und zum Frieden genötigt. Er hatte erst noch handeln und Sullas schlechte Lage ausnützen wollen. Als beide im westlichen Kleinasien zusammentrafen und der König ihm mit ausgestreckter Hand entgegen kam, fragte Sulla ihn unbewegt,
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ob er den Krieg zu seinen Bedingungen beenden wolle; als er schwieg, sagte er: »Sache der Bittenden ist es, zuerst zu reden; der Sieger kann schweigen.« Und als Mithridates sich dann umständlich zu rechtfertigen begann, schnitt er ihm das Wort ab, indem er meinte, nun habe auch er erfahren, welch Meister in der Redekunst der König sei, da er selbst nach solch ruchlosen Taten um schöne Worte nicht verlegen sei. Er wiederholte seine Bedingungen, und erst als Mithridates eingewilligt hatte, begrüßte er ihn. Mithridates mußte seine Eroberungen aufgeben, ging aber im übrigen straflos aus. Das widersprach römischem Brauch, die Soldaten protestierten. Aber Sulla mußte schnellstens nach Italien zurückkehren. Den Gesandten aus Rom hatte er geantwortet, er sei bereit, die Verteilung der Neubürger auf alle Tribus anzuerkennen, aber er könne seinen Anspruch auf Bestrafung der Schuldigen unter den Cinnanern nicht fahrenlassen. Er war persönlich und auch im Namen der ermordeten oder verjagten Nobiles zutiefst beleidigt. Denn er war eine archaische Persönlichkeit. Noch auf seinem Grabstein ließ er einmeißeln, daß er im Erweisen von Gutem alle Freunde, von Bösem alle Feinde übertroffen habe. Im Kleinen mochte er großzügig sein, im Großen verstand er keinen Spaß. Er fand aber wohl auch aus Herrschaftsraison, daß man über das, was die Cinnaner angerichtet hatten, nicht einfach zur Tagesordnung übergehen konnte. Sulla scheint zuletzt, kurz vor der Landung in Italien, noch eingelenkt zu haben. Da bestand er lediglich auf Wiedereinsetzung seiner selbst und aller, die zu ihm geflohen waren, in ihre alten Rechte. Der Senat war bereit, darauf einzugehen. Der neue Führer der cinnanischen Partei, Papirius Carbo, hat es vereitelt. Keiner wußte, was Sulla tun würde, wenn er erst einmal seine Armee nach Italien geführt hätte, wo er gewiß einen Triumph, also den feierlichen Einzug der Legionen in Rom, hätte beanspruchen können. Hatte er seinen Racheanspruch wirklich aufgegeben? Konnte er sich mit den Cinnanern noch vertragen? In der Tat sprach vieles dafür, daß der
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Bürgerkrieg nur durch den Sieg der einen Partei zu beenden war. Die Cinnaner waren zahlenmäßig weit überlegen. Mehr als fünfzehn Legionen, die zum Teil ausgezeichnet und zu hohem Einsatz bereit waren, vielfach aus Neubürgern rekrutiert, standen gegen fünf, alle Hilfstruppen eingerechnet, gut hunderttausend gegen knapp vierzigtausend Mann. Sulla war sich vor der Überfahrt nicht sicher, ob sich sein Heer in Italien nicht rasch auflösen werde. Aber die Soldaten schworen ihm Treue und verpflichteten sich zu größter Disziplin, damit der Krieg in Italien keinen unnötigen Schaden anrichte. Sie sammelten sogar, um ihm finanziell beizustehen – so sehr empfanden sie den Krieg als gemeinsame Sache. Doch wies Sulla dieses Opfer zurück. Nach der Landung stießen verschiedene Nobiles zu ihm. Sobald feststand, daß der Krieg unvermeidlich war, war ihr Platz an seiner Seite – sofern sie nicht lieber untergingen als bewaffnet auf die Stadt zu marschieren. Zwei von ihnen brachten einige tausend Mann mit. Einer kam mit einer regelrechten Armee: der damals dreiundzwanzigjährige Pompeius. Unter den großen Clientelen, die er in Picenum besaß, nicht zuletzt unter den Veteranen seines Vaters hatte er auf eigene Faust drei Legionen ausgehoben. Pompeius hatte begriffen, was Bürgerkrieg war. Und in einer Kühnheit, zu der ihn nur seine Jugend, kaum nämlich sein Temperament befähigt haben kann, suchte er die Situation für sich auszuweiden. Sulla begegnete ihm mit großem Respekt, begrüßte ihn wider alles Herkommen als Imperator, also als im eigenen Namen kommandierenden General. Die übrigen Nobiles, »die zum Heile des Gemeinwesens sich wollten retten lassen und nicht einmal dazu zu bringen waren, ihre Sklaven zu bewaffnen« (Mommsen), behandelte Sulla eher mit Geringschätzung, und das je mehr, je näher er dem Sieg kam und je selbstherrlicher sie wurden. Mit Vorliebe hat er sich auf Offiziere gestützt, die nicht dem hohen Adel entstammten. Nach ziemlicher Ungewißheit ging die erste Schlacht überraschend gut zu Gunsten Sullas aus. Seine Soldaten begannen die Feinde zu verachten. Es schloß sich eine lange
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19 Prägung eines Münzmeisters Cordus aus dem Jahr 70. Italia und Roma sind im Handschlag verbunden. Dabei hat Roma aber eindeutig die Oberhand: sie trägt Diadem und Fasces (Rutenbündel), der Globus unter ihrem Fuß verweist auf Weltherrschaft. Die glücklichen Folgen des Friedens werden versinnbildlicht durch das Füllhorn zwischen den zwei Gestalten und den caduceus (Heroldsstab) – ein Zeichen des merkantilen Wohlstands – im Rücken der Italia. Kette von zum Teil schwierigen militärischen und etwas leichteren, aber folgenreichen psychologischen Erfolgen an. Große Teile der gegnerischen Armee liefen mit der Zeit über. Wenn die feindlichen Legionen nahe beieinander lagen, wenn sich irgendwelche Kontakte anbahnten, überzeugten die Sullaner regelmäßig von ihrer Überlegenheit und von der Güte und Großzügigkeit ihres Feldherrn. Sullas Armee verdreifachte sich auf diese Weise. Nie hören wir davon, daß Soldaten von ihm übergelaufen wären. Nur wenige Kontingente, darunter allerdings die Samniten und Lucaner, blieben bis zuletzt der gegnerischen Sache treu.
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Der alte Drang zur Freiheit von Rom erwachte unter ihnen aufs neue. Man könne die Wölfe, die Italien die Freiheit geraubt hätten, nicht beseitigen, wenn man nicht den Wald vernichte, in dem sie hausten, erklärte einer ihrer Feldherren. Als seine Niederlage schon besiegelt schien, führte er seine Truppen in letzter Verzweiflung auf Rom. Am 2. November 82 langte die sullanische Armee in Eilmärschen gerade noch rechtzeitig vor der Stadt an, um sie nach einer harten Schlacht am (nordöstlichen) Collinischen Tor vor der Vernichtung zu bewahren. Als Retter Roms vor höchster Gefahr konnte Sulla dann in die Stadt einziehen. Anderthalb Jahre hatte der Bürgerkrieg gedauert. Kurz vorher hatte Marius’ Sohn noch befohlen, die letzten in der Stadt verbliebenen Senatshäupter umzubringen. Unmittelbar darauf begann Sulla, mit den Gegnern blutig aufzuräumen. Mehrere tausend gefangene Samniten und Lucaner ließ er auf dem Marsfeld, im Flaminischen Circus oder in der Villa Publica, einem öffentlichen Arsenal, niedermetzeln. Nicht weit davon, in den Bellona-Tempel, hatte er den Senat berufen lassen. Es war dessen erste Sitzung nach seiner Heimkehr. Als die Väter sich durch das Geschrei und Wehklagen der Opfer beunruhigt zeigten, erwiderte er in aller Gelassenheit, sie möchten darauf nicht achten, ihm vielmehr aufmerksam zuhören; es würden auf seinen Befehl nur einige Verbrecher bestraft. Er wollte ein in jeder Richtung, insbesondere auch zum Senat hin, schreckliches Exempel statuieren. Übrigens schrieb Sulla an den auf seine Empfehlung eingesetzten Interrex, er meine, man müsse einen Dictator ernennen, um Gesetze zu geben und die Republik neu zu ordnen, und zwar nicht auf eine bestimmte Zeit, sondern bis die Stadt, Italien und die Provinzen wieder völlig befriedet seien. Bisher waren Dictatoren zumeist für sehr begrenzte Aufträge oder für die Kriegführung auf ein halbes Jahr ernannt worden. Jetzt fand sich Rom in einer inneren Notlage, und vieles sprach in der Tat dafür, die alte Ausnahme-Magistratur mit ihren unbeschränkten Vollmachten einzusetzen. Sulla vergaß nicht zu erwähnen, daß er selbst der Stadt auch bei der Lösung dieses Problems glaube nützlich sein zu können. In dem Gesetz,
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20 Mehrere tausend gefangene Samniten und Lucaner ließ Sulla auf dem Marsfeld, im Flaminischen Circus oder in der Villa Publica, einem öffentlichen Arsenal, niedermetzeln. Darstellung der Villa Publica auf einer 55 geprägten Münze des Publius Fonteius Capito. Die Inschrift erinnert an die Erneuerung des Gebäudes durch einen – wahrscheinlich mit dem Münzmeister verwandten – T[itus] Didi[us]. das daraufhin erlassen wurde, war ausdrücklich festgelegt, daß alle seine Anordnungen rechtsgültig sein sollten und daß er jeden Bürger nach Belieben straflos töten lassen könne. Als die Reihe der Morde nicht enden wollte, wurde im Senat interpelliert. Man wolle ja nicht für die um Gnade bitten, die er zu töten für gut befunden habe; aber ob er nicht vielleicht diejenigen, die er am Leben lassen wollte, von der Ungewißheit befreien könne. Er nahm den Vorschlag wörtlich und ließ nacheinander Listen öffentlich anschlagen (proscribere): Wer dort aufgeführt war, war bis zum 1. Juli 81 vogelfrei, auf
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seine Ermordung stand eine Prämie, sein Vermögen verfiel der res publica, seinen Nachkommen wurde verboten, sich um öffentliche Ämter zu bewerben. Grausamkeit lag in Rom allmählich in der Luft. Aber so systematisch war sie noch nie ausgeübt worden. Vieles spricht dafür, daß erst die Härte und Unversöhnlichkeit des langen Bürgerkriegs Sulla davon überzeugt hatten, daß er die ganze führende Schicht des cinnanischen Regimes vernichten müsse. Daß zugleich andere auf die Liste kamen, die führende Sullaner gerne beseitigt sahen, kann man sich ausmalen. Aber im ganzen bildeten die Proscriptionen den Auftakt der sullanischen Reformen und belasteten zugleich dieses Werk mit einer schweren Hypothek. Vierzig Senatoren, eintausendsechshundert Ritter und zahlreiche andere fielen ihnen zum Opfer. Sullas besonderer Haß galt dabei offensichtlich den reichen »Pfeffersäcken« (saccularii), die sich unter Cinna eine Position angemaßt hatten, die ihnen nicht zukam; um von den gescheffelten Reichtümern abzusehen. Rom sollte wieder von der Aristokratie und dem Senat regiert werden. Wenn mit den Gegnern, die seit 95 jede Reform vereitelt hatten, anders nicht fertig zu werden war, so mußte man sie eben beseitigen. Und ihren Kindern sollte jede Möglichkeit genommen werden, die Väter zu rächen. Hier war der sonst eher zu Großzügigkeit und Milde neigende Sulla von unerbittlicher, von mörderischer Gewaltsamkeit und Konsequenz. Endlich, so fand er, mußte wieder Ordnung in Rom einkehren. Und da der Senat das nicht bewerkstelligen konnte – im Gegenteil gerade gegen das Morden große Bedenken und Abscheu hatte –, mußte er selbst sich dessen annehmen. In den Kreis der Opfer gehörte auch Caesar. Der Neffe des Marius, der Schwiegersohn Cinnas war ein sehr wichtiger Mann; wohl im Moment ungefährlich, aber er mußte mit der Zeit die Loyalität zahlreicher alter Anhänger Cinnas und Marius’ auf sich vereinen. Solche Verwandtschaft konnte viel bedeuten. Als die Vettern der Mutter sich für den Achtzehnjährigen einsetzten, verlangte Sulla – wie er es ähnlich auch bei ande-
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ren, etwa Pompeius, tat –, er solle sich von seiner Frau trennen, sich von den Seinen lossagen. Doch Caesar weigerte sich, als einziger von den Betroffenen, soweit wir wissen. Dafür wurden ihm die Priesterschaft – oder Anwartschaft auf sie –, die Mitgift Cornelias und sein ererbtes Vermögen genommen. Er war nicht mehr sicher. Krank mußte er sich auf die Flucht begeben, mehrfach das Versteck wechseln, einmal auch durch Zahlung einer hohen Summe sich freikaufen. Als die Fürsprecher seine Begnadigung erreichten, soll Sulla zu ihnen bemerkt haben, man solle sich in acht nehmen vor dem schlechtgegürteten Jüngling; in ihm stecke mehr als ein Marius. Das hört sich wie eine nachträglich erfundene Prophezeiung an. Allein, es muß nicht falsch sein. Warum soll nicht etwas von dem, was in Caesar steckte, für Sulla – wie für Cinna – sichtbar geworden sein? Weshalb soll Sulla nicht gar eine gewisse Verwandtschaft gespürt haben? Sueton berichtet, Caesar sei »von stattlicher Statur gewesen« – »weiße Haut, schlanke Gliedmaßen, ein etwas zu volles Gesicht, dunkle, lebhafte Augen«. Um sein Äußeres sei er höchst besorgt gewesen. »So ließ er sich nicht nur sorgfältig das Haupthaar schneiden und sich rasieren, sondern auch die Körperbehaarung entfernen, was ihm von gewissen Leuten vorgehalten wurde.« Auch seine Kleidung sei bemerkenswert gewesen. Er habe den Gürtel besonders locker getragen. Ein zarter, sensibler, jugendlicher Stolz, irgendein – gewiß noch wenig verläßliches – Gefühl der eigenen Besonderheit, vielleicht auch der Einsamkeit, scheint sich darin auszudrücken. Einige Feinheit und Kultiviertheit zugleich. Dinge, die Sulla nicht ganz fremd gewesen sein dürften. Und wenn er in dem schlechtgegürteten Jüngling nichts Eigenes erkannte, könnte er es sehr wohl durch seine Warnung hervorgerufen haben. Die beiden waren von einem Schlag. Doch wie dem auch gewesen sein mag, warum soll Sulla nicht etwa die zudringlichen Bitten seiner hochmögenden Freunde gleichsam mit einem: »Bitte, wenn ihr unbedingt wollt, aber seht euch vor!« quittiert haben? Dazu braucht er kein Prophet, sondern nur einen Moment lang verärgert-
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großzügig gewesen zu sein. Für sein Denken lag gewiß eine Gefahr darin, daß ein Mann mit diesem familiären Hintergrund in Rom überlebte – falls er sich davon nicht soweit, wie es möglich war, lossagte. Und daß Caesar dies nicht tat, mußte Sulla als Ungeheuerlichkeit erscheinen. Nicht zuletzt, weil er es anders gewohnt war. Vielleicht hatte er Caesar auch durch eine andere Heirat zu sich herüberziehen wollen. Gleichgültig ob Caesar mehr durch das Ansinnen, sich von seiner Frau zu trennen, verletzt war oder ob er sich mehr an seine Frau und deren Familie gebunden fühlte, durch seinen trotzigen Entschluß legte er sich nun selber fest, mindestens fürs erste und auf eine verlorene Sache. Denn viel mehr als gewisse Beziehungen zu den Söhnen der Proscribierten – die er immer gepflegt hat –, zu einigen anderen Familien, eine gewisse Anhänglichkeit an Marius im Volk – viel mehr kann sich ihm von dieser Seite nicht geboten haben. Das muß ihm freilich nicht gleich klar gewesen sein. Kurz vorher hatte sich die cinnanische Partei noch auf starke Kräfte in ganz Italien gestützt. Sulla war nicht beliebt, stieß selbst im Senat auf viel Ablehnung. Warum sollten sich die Dinge nicht wieder wenden? Aber selbst wenn Caesar sich dergleichen eingebildet haben sollte, handelte er hier vermutlich weniger aus Kalkül als aus dem Willen, sich treu zu bleiben. Er fühlte sich abgestoßen von der Weise, in der sich die anderen dem Dictator fügten. Er wollte sich nicht aus einer Bahn werfen lassen, die er einmal eingeschlagen hatte. Er wußte – oder lernte jetzt –, was er sich schuldig war, und das war ungemein viel. So hat Caesar für seine Person, anders als ganz Rom, den Zumutungen des mächtigen, anspruchsvollen Dictators mit Erfolg widerstanden. Das bedeutete um so mehr, als Sullas Macht damals allgemein als unumschränkte Herrschaft verstanden wurde. Er war der Sieger, zwar für die Nobilität, aber kaum mit ihrer Hilfe. Die Armeen hatten den Ausschlag gegeben, und die Nobiles hatten keine gehabt. Sulla konnte sich weiterhin außer auf seine Amtsgewalt auf die hundertzwanzigtausend Veteranen, seine alten Soldaten sowie die Überläufer, stützen, die er jetzt,
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wahrscheinlich in geschlossener Formation, an verschiedenen Schlüsselpunkten in Italien anzusiedeln begann, außerdem auf die zehntausend von ihm freigelassenen Sklaven der Proscribierten. Zum Zeichen seiner Macht trat er wider das Herkommen in der Stadt mit vierundzwanzig Liktoren auf. Liktoren waren die Amtsdiener der Magistrate, die diese überall begleiteten, Platz und Respekt verschaffend, ausgestattet mit dem Symbol der exekutiven Gewalt, dem Rutenbündel in der Stadt, Rutenbündel und Beil im Feld. Der Consul hatte zwölf, der Praetor sechs, der Dictator im Feld vierundzwanzig. Doch hatten sich die Dictatoren vor Sulla in der Stadt mit zwölf begnügt. Nach allem, was geschehen war, wollte Sulla eine große, zusammenhängende Reform. Dabei setzte er nicht viel Vertrauen in die Mitwirkung des Senats. Dagegen sprachen die Erfahrungen von 91, von 88, vermutlich auch das Erlebnis der damaligen Senatsgesellschaft. Nein, zur Wiederherstellung der Oligarchie waren die Oligarchen nicht zu gebrauchen, man mußte sie ihnen aufzwingen. So hat Sulla die Zusammenarbeit mit dem Senat nicht oder nur bedingt gesucht, die Väter vielleicht gelegentlich zu Rate gezogen, aber die Entscheidung ihnen nicht überlassen. Allerdings legte er der Volksversammlung die Anträge zur Bestätigung vor. Erstens wollte er das Senatsregime konsequent einrichten, zweitens die – zumal durch ihn – aufgerissenen neuen Dimensionen und Möglichkeiten des Handelns wieder eingrenzen auf das alte Maß und schließlich noch einiges anordnen, was ihm unabhängig von all dem als praktisch erschien. Wohl das Wichtigste war ihm, daß das Gesetzgebungsrecht der Volkstribunen unter die Kontrolle des Senats kam. Nichts durften sie mehr beantragen, was nicht vorher von diesem genehmigt worden war. Sie verloren damit ein Recht, das sie seit 287 v. Chr. besessen hatten. Ja, sie verloren sogar die Möglichkeit, Resolutionen der Plebs fassen zu lassen, welche sie sich schon zu Anfang des fünften Jahrhunderts ertrotzt hatten. Um ihr Amt zusätzlich zu entwerten, verfügte Sulla,
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daß, wer das Tribunat bekleidet hatte, sich um keinen weiteren Magistrat bewerben dürfe. Im übrigen respektierte er die Rechte des Volkes, auch das der geheimen Abstimmung. Er schaffte allerdings die Verteilung verbilligten Getreides ab. Die Ritter verloren nicht nur die Gerichte, sondern auch die besonderen Sitze im Theater, durch die sie wohl seit Gaius Gracchus neben den Senatoren als zweiter Stand öffentlich herausgehoben worden waren. Andererseits erhöhte Sulla endgültig die Stärke des Senats von dreihundert auf sechshundert. Das hatte wohl primär praktische Gründe. Dreihundert Senatoren waren den Belastungen nicht mehr gewachsen, die die Regierung des Herrschaftsbereichs sowie die Besetzung der durch Sulla stark vermehrten Geschworenengerichte mit sich brachte. Es diente aber auch dazu, die Basis des Senats zu verbreitern. Neu aufgenommen wurden Angehörige ritterlicher und gewiß auch mehrerer neubürgerlicher Familien, die Sulla und der Nobilität treu geblieben waren und wichtige Dienste geleistet hatten. Ob ein sechshundertköpfiges Gremium die Führungsaufgaben noch wahrnehmen konnte, die dem Senat oblagen, ist zu fragen. Ebenfalls aus praktischen Gründen vermehrte Sulla die Zahl der Quaestoren und der Praetoren. So sorgte er dafür, daß die römische Magistratur den gestiegenen Anforderungen des Herrschaftsbereichs und der Strafgerichtsbarkeit besser gerecht wurde. Damit aber die Zahl der Magistrate gleichwohl klein gehalten werden konnte, machte er es zur Regel, daß alle Consuln und Praetoren nach dem Amtsjahr in der Stadt für ein weiteres Jahr die Verwaltung einer Provinz übernahmen. Durch ein besonderes Gesetz suchte Sulla die magistratische Tätigkeit, insbesondere in den Statthalterschaften, genauer zu normieren. Es scheint darin auch das Verbot enthalten gewesen zu sein, künftig eine Armee nach Italien hineinzuführen, auch zum Triumph nicht. Das Militär sollte sich nicht mehr in die Innenpolitik einmischen. Die Wahlen zu den höheren Magistraten wurden vom Ende des Jahres auf den Juli verlegt, wo sie gleichzeitig mit denen zum Volkstribunat stattfinden sollten. Dadurch wuchs der
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Einfluß der wohlhabenden Schichten im außerrömischen Italien bei beiden, und die neuen Magistrate hatten mehr Zeit zur Einarbeitung, die Kontinuität der Magistratur wurde erleichtert. Sulla erließ ein Gesetz über das Mindestalter bei der Bewerbung um die einzelnen Magistrate und verbot die Wiederholung der Bekleidung des Consulats vor Ablauf von zehn Jahren. Das gesamte Strafrecht wurde neu geordnet und so gut, daß die entsprechenden Gesetze zumeist bis weit in die Kaiserzeit in Kraft blieben. Unter Anwendung aller Mittel also, gerechter wie verbrecherischer, tat Sulla, was irgend getan werden konnte, um ein konsequentes, arbeits- und regierungsfähiges Senatsregime wiederherzustellen. Das Beispiel seines Marsches auf Rom freilich konnte er nicht ungeschehen machen. Die neuen Dimensionen der Politik, die er eröffnet hatte, ließen sich durch kein Gesetz wieder eingrenzen. Der Möglichkeitshorizont war erheblich erweitert und ragte künftig weit über das hinaus, was im hergebrachten Gefüge von Erwartungen, Erfüllungen und Erwartungserwartungen einzufangen war. Die Spur einer neuen, potentiell monarchischen Wirklichkeit war sichtbar geworden. Im Jahre 80 hatte Sulla neben der Dictatur das Consulat übernommen. Vermutlich bald darauf legte er die Dictatur nieder. Caesar hat später dazu bemerkt, Sulla habe das politische ABC nicht beherrscht. Aber sein Rücktritt lag ganz in der Konsequenz seiner Politik. Er hatte unter gewaltigen Anstrengungen getan, was ihm möglich war. Den unzähligen Einzelproblemen politischer Alltäglichkeit dagegen wollte er sich nicht aussetzen. Es mag sein, daß zahlreiche Reibungen und Widerstände ihn stark mitgenommen hatten. Vielleicht fehlte es ihm inzwischen auch an Ausdauer und Spannkraft. Und dergleichen hatte ihn ja nie interessiert. Jedenfalls war er nie in der Politik aufgegangen. In Rom war man überrascht, daß der Mann, der so viele Menschen umgebracht hatte, sich unbewacht in der Stadt bewegte. Überrascht auch, als er es bei den Wahlen für 78 geschehen ließ, daß ein Gegner gewählt wurde. Aber dies und anderes wollte er dem freien Spiel der Kräfte
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21 Sulla als Triumphator, von einer ihm entgegenfliegenden Victoria bekränzt. Münzprägung des sullanischen Heeres auf dem Asienfeldzug (82). überlassen. Der Senat sollte sehen, wie er mit allem fertig wurde. Er selbst widmete sich seinen privaten Vergnügungen, gab sich wieder ganz dem Leben unter Schauspielerinnen und anderen geistvollen Leuten hin, das er vorher hatte vernachlässigen müssen. Im Jahr 78 ist er in Puteoli (dem heutigen Pozzuoli) gestorben. Um sein Leichenbegängnis entspann sich eine Auseinandersetzung. Der gegnerische Consul wollte keine öffentliche Feier. Aber sein College setzte sich gegen ihn durch. Pompeius holte den Leichnam auf goldgetriebener Bahre mit königlichem Prunk nach Rom. Zahlreiche Trompeter machten die Musik dazu, Senatoren, Ritter und eine große Zahl seiner alten Soldaten, angetan mit ihren Waffen, schlossen sich an. Sulla hatte verfügt, daß er begraben werden wolle. Allein man bedachte, wie nach Sullas Sieg die Gebeine des Marius aus dem Grab gerissen und geschändet worden waren, und verbrannte ihn
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auf dem Marsfeld. Die Frauen der Nobilität trugen ein Jahr lang Trauer. Inzwischen wußten der hohe Adel und der Senat, daß sie, ob sie wollten oder nicht, mit der Sache Sullas verknüpft waren und identifiziert wurden. So waren »die angesehensten und einflußreichsten Bürger« auch in dessen Triumph bekränzt, wie es sich gehörte, mitgezogen. Das sei das Glänzendste und Schönste an dem ganzen prächtigen Zuge gewesen, heißt es. Sie wurden von Frauen und Kindern begleitet und priesen Sulla als »Retter und Vater« – was nicht ganz ohne ironischen Beigeschmack war, da er die Situation, aus der er sie rettete, im Grunde selbst herbeigeführt hatte. Bald nach seiner Rückkehr war L. Cornelius Sulla Felix Imperator auf dem Forum vor der Rednertribüne, den Rostra, auf Senatsbeschluß eine vergoldete Reiterstatue aufgestellt worden. Es war das erste und blieb für lange Zeit das einzige Mal, daß einem Lebenden eine solche Ehre erwiesen wurde. Übrigens hatte Sulla auch erstmals seit der Königszeit die geheiligte Stadtgrenze Roms vorverlegt. Nach alter Auffassung durfte das nur, wer größere Eroberungen gemacht hatte, was bei ihm eigentlich nicht der Fall gewesen war. Aber er wollte offenbar dokumentieren, daß er Rom neu gegründet hatte, und wohl auch, daß die neueingefurchte Stadtgrenze künftig besser halten solle, als die alte es 88 gegen ihn getan hatte. So wiederholte er denn den rituellen Gründungsakt des Romulus. Es war eine besondere Ironie, daß das Senatsregime seine Wiederherstellung einem so anspruchsvollen Außenseiter und Einzelgänger verdankte, einem Mann vom Typ derer, die der Senat sonst immer so heftig bekämpfte. Und eine Ironie war es auch, daß das Regime, das in Rom allgemein als legitim galt, sich einem Bürgerkriegsführer zu verdanken hatte. Und die Ehrungen, die Sulla als Retter der Republik erhielt, hoben ihn so weit über alle hinaus, wie es eigentlich mit der republikanischen Gleichheit nicht vereinbar war. Aber nachdem einmal im Neuling Marius und im ganzen Kreis derer, die sich an die Stelle der seit alters führenden Kreise setzen wollten, alle Wut und aller Ärger, die die Macht und der Hochmut der Nobilität
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erwecken konnten, ausgebrochen waren, bedurfte mindestens die Nobilität einer Wiedereinsetzung. Das war eine Rückkehr zur Normalität, und als solche ist sie allgemein akzeptiert worden, es war aber auch ein Akt parteilicher Gewaltsamkeit. Das aber hieß, daß die Nobiles und alle ihnen anhängenden Senatoren, grob gesagt, der ganze Senat, künftig Sullaner waren. Sie mußten, wie Cicero sagt, alle Einrichtungen des Dictators nicht nur erhalten, sondern mit öffentlicher Autorität verteidigen, aus Furcht vor größeren Nachteilen und Katastrophen. Kaum einer aber hat das Senatsregime so sehr als Parteiherrschaft empfunden wie Caesar. Wenn er später so wenig Sinn für den objektiven Gehalt von Institutionen bewies, so wird dieses Erlebnis dazu entscheidend beigetragen haben. Kaum einer ist so wie er damals in Distanz zum Senat geraten. Aus der Außenseiterposition, in die er sich durch Sulla hatte drängen lassen, hatte er alles erlebt, Bürgerkrieg und Mord, Macht und vor allem Ohnmacht des Senats, Willkür und äußerste Parteilichkeit. Dreimal hatte er römische Legionen willig unter ihren Führern auf Rom marschieren sehen. Alles war offenbar möglich. Zuletzt schien dann zwar die Ordnung wieder einzukehren. Doch konnte das Dauer haben? Konnte die ohne eigenes Zutun wieder eingesetzte Aristokratie die Republik wirklich weiterhin fuhren, wie wenn nichts gewesen wäre? Und wenn sie es konnte, konnte sie Caesar überzeugen? Kaum einer hatte damals einen solchen Willen wie er, sich in der Opposition zu behaupten. Von da her entwickelte er seine Ansprüche und seine Kritik. Sullas Nachfolger konnten ihnen kaum genügen. So schraubte er die Ansprüche höher, um desto mehr zu erfahren, wie sehr sie dahinter zurückblieben. Außerdem ließ er an ihnen immer wieder die Wut sich austoben, mit der er Sulla nicht mehr hatte treffen können. Das bestimmte seinen Weg. Man fragt sich, ob Caesar in dieser Zeit nicht nach einem Vorbild gesucht und wo er es gefunden hat. So wie er sich damals festlegte, konnte er es wohl nur in Außenseitern finden.
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22 Bald nach seiner Rückkehr war L. Cornelius Sulla Felix Imperator auf dem Forum vor der Rednertribüne, den Rostra, auf Senatsbeschluß eine vergoldete Reiterstatue aufgestellt worden. Das Denkmal ist abgebildet auf einer Goldmünze des Aulus Manlius aus dem Jahr 80: L[ucius] Sull[a] Feli[x] Dic[tator]. Aber konnte es Marius sein, der doch wohl wenig mehr war als ein tapferer Soldat und tüchtiger Heerführer – vielleicht ein liebenswerter Onkel? Oder der erfolglose Cinna? Oder die Gracchen, die Caesar vielleicht bewunderte, an denen er sich aber im Zeitalter der Bürgerkriege kaum mehr orientieren konnte? Nur einer hatte sich glanzvoll bewährt: Das war Sulla. Gegen ihn war Caesar zwar von Abscheu und Widerwillen erfüllt, aber es fragt sich, ob das schon alles war. In irgendeiner Schicht seines Bewußtseins muß Sulla ihn auch tief beeindruckt haben, schrecklich und faszinierend wie er war. Weniger prägend als entbindend, freisetzend zu neuen Möglichkeiten.
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Mit der Kraft, mit der Eigenmächtigkeit, Unbekümmertheit und Rücksichtslosigkeit, in der Sulla dem Senat begegnete, konnte Caesar sich vielleicht gar identifizieren. Er hatte sich an ihm gemessen, er konnte auch künftig Maß nehmen an ihm. Ein fürchterliches, ein verhaßtes Beispiel und wohl um so verhaßter, je mehr im Stillen bewundert. Der ganzen Wirklichkeit, die dieser Aristokrat verkörperte, dem Willen nach mehr konservativ, der Art nach schon jenseits der Senatsgesellschaft stehend; Staatsmann aus Pflicht, Bonvivant aus übermütiger Lebenslust; auf neue Weise aufgeschlossen gegen viele praktische Notwendigkeiten, ja gegen alle Möglichkeiten der Zeit und dennoch im politischen Anspruch, auch im Dignitas-Anspruch auf neue Weise archaisch – dieser persönlichen Wirklichkeit, in der exemplarisch alle einst gut verbundenen Fäden im Gewebe der römischen Gesellschaft auseinanderstrebten, hat sich wohl keiner so ausgesetzt wie der um achtunddreißig Jahre jüngere Gaius Julius Caesar.
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Erste Bewährung und die Erfahrung Roms im Restaurations-Jahrzehnt (78 bis 70 v. Chr.) Die Farce, die auf den Bürgerkrieg folgte • Auftreten auf dem Forum • Freiwilliges Exil im Osten • Ernennung zum Pontifex • Rom in den 70er Jahren • Spartacus-Aufstand • Nicht Leistung, sondern Gefügigkeit wird erwartet Pompeius’ Heimkehr • Pompeius Politik ist nicht nur Politik, wenn sie das zentrale Lebenselement eines Standes ist. Für die Weise, in der sie betrieben wird, mag das gleichgültig sein – für den Lebensweg des Einzelnen ist es entscheidend. Versagen in der Politik wird dann Versagen überhaupt, politischer Rang ist nicht bloß ein Ziel neben anderen. Solche Unausweichlichkeit schränkt nicht nur die Möglichkeiten, sondern auch die Erwartungen ein. Es stellt sich nicht die Frage, was das Leben sei, welche seiner ungeahnten Möglichkeiten man verwirklichen wolle: das Leben ist in solcher Welt nicht zu wählen, sondern zu fuhren – auf dem vorgezeichneten Wege. Man erwartet von ihm, was von einem selbst erwartet wird. Aber man kann es sich leichter oder schwerer damit machen, in der politischen Welt aufzugehen. Und wenn die Einfriedungen des vorgegebenen Feldes unscharf werden und man sie irgendwo durchbricht, läßt sich meinen, weite Räume erschlössen sich. Auch wenn man das Nötige tut, muß man nicht gleich das Nötige denken. Man kann sich Vieles vornehmen, kann es so intensiv tun, daß man sein Handeln mehr auf das Vorgenommene als auf die Zustimmung der Anderen ausrichtet. Dann weitet sich einem die Welt. Das Eingebundensein
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in die Umgebung lockert sich, die Resonanz im Innern nimmt zu; man spannt sich auf fernere Ziele. Zukunftsgewißheit hebt über die Gegenwart hinaus, bringt in größeren Abstand zur Zeit, läßt einen anders, in längeren Fristen sich denken. Persönliche Eigenständigkeit ist wohl immer eine bestimmte Anlage in der Zeit. Das scheint der Fall des jungen Caesar gewesen zu sein. Bei Sullas Tod war Caesar im Osten. Seit 80 hatte er zunächst in der Provinz Asia, dann in der Cilicia Militärdienst geleistet. Damals war er beim König Nikomedes von Bithynien gewesen. Damals hatte er sich auch als Soldat ausgezeichnet. Auf die Nachricht von Sullas Tod kehrte er nach Italien zurück. Sueton schreibt, er habe es eilig und »in der Hoffnung auf neue Wirren, deren Urheber Marcus Lepidus war«, getan. »Obwohl Lepidus ihn durch glänzende Angebote lockte, schloß er sich ihm nicht an, da er sowohl dessen ingenium – das ist: Charakter, Mut, Einsicht, Fähigkeit – mißtraute wie der Situation, die er schlechter als erwartet fand.« M. Aemilius Lepidus war der Consul von 78, der Sullas Werk angegriffen, dann dessen öffentliche Bestattung auf dem Marsfeld zu verhindern versucht hatte. Er scheint ein ambitionierter, besonders ehrgeiziger Opportunist gewesen zu sein, eine schwache, eitle Person, durch den Bürgerkrieg herausgelöst aus den Bindungen des aristokratischen Komments, aber nicht zur Entfaltung großer Gaben, sondern nur zur Betätigung der schmalen Schlauheit, auf die er sich etwas zugute hielt. Bei Sullas Proscriptionen hatte er sich bereichert, als Statthalter Siziliens hatte er große Gelder erpreßt. Davon soll er sich das schönste Haus seiner Zeit erbaut haben. Für die Türschwellen, so ist überliefert, hat er als erster numidischen Marmor importiert, ein kostspieliges Material für einen geringen Zweck, eine Protzerei; und es sei in Rom auch höchst kritisch aufgenommen worden. Lepidus stellte auch die große Basilica Aemilia, die sein Großvater auf dem Forum errichtet hatte, prächtig wieder her. Nun ersah er sich die Chance, die politisch herrenlosen Anhänger des unterlegenen Regimes zu sammeln und
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sich an ihrer Spitze die führende Stellung in Rom zu gewinnen. Nach Sullas Tod betrieb er, wir wissen nur nicht, wie energisch und wie offen, die Aufhebung von dessen Gesetzen, insbesondere die volle Wiederherstellung der tribunicischen Gewalt, der Verteilung verbilligten Getreides an das Stadtvolk, die Wiedereinsetzung der Proscribierten-Söhne in deren Rechte sowie die Rückgabe des von Sulla zur Ansiedlung seiner Veteranen konfiszierten Landes an die alten Eigentümer, zumeist italische Neubürger aus dem Kreis der Anhänger Cinnas. Es gab genügend Opfer Sullas in Italien, Besiegte, Entrechtete, Verarmte. Und die Cinnaner hatten eine sehr breite Gefolgschaft gehabt. Umwälzung und Empörung waren noch frisch. So konnte man immerhin hoffen, daß der Tod Sullas wie ein Signal zur Erhebung wirkte. Die Gegner besaßen auch in Spanien noch starke Kräfte, denen der dortige sullanische Kommandeur nicht gewachsen war. Sowohl in Rom wie insbesondere in Etrurien (der heutigen Toscana) sammelten sich denn auch Unzufriedene. In Faesulae (Fiesole) hatten die Voreigentümer schon die Veteranen von ihren Ländereien vertrieben. Aber es war kein neuer Bürgerkrieg, der sich anbahnte, sondern nur die Farce, die auf den alten folgte. Sowohl Lepidus wie die Senatsmehrheit ließen sich darauf ein, sie aufzuführen. Es war eins der traurigsten Kapitel der römischen Geschichte. Im Senat hatte es schon verschiedene Klagen über Lepidus gegeben, insbesondere deswegen, weil der aus eigener Initiative Mannschaften aufgestellt und bewaffnet hatte, um seiner Politik mehr Nachdruck zu verleihen. Einige energische Sullaner forderten, man solle ihn in seine Schranken weisen. Aber man scheute sich zunächst, die privaten Rüstungen des zum Umsturz der sullanischen Ordnung blasenden Consuls als schlimm zu empfinden. Lepidus’ Freunde und alle die, die noch nicht recht beurteilen konnten, worauf er hinauswolle – und das war die Senatsmehrheit –, argumentierten ständisch, nicht politisch, rühmten alle großen Taten des patricischen Geschlechts der Aemilier, dessen Sohn, wie sie mein-
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ten, nicht aus der Art geschlagen sein konnte. So entsprach es der Restaurationsgesinnung, nachdem Sulla die Nobilität in Rom neu etabliert hatte. Man berief sich auch darauf, daß Roms Größe stets durch Verzeihen und Versöhnlichkeit befördert worden sei. Daher war der Antrag, ihn zu bekämpfen, weit in der Minderheit geblieben. Lepidus scheint seine Forderungen auch eine Zeitlang zurückgesteckt zu haben. Als es darum ging, den Aufruhr in der Toscana niederzuschlagen, war der Senat wieder nicht einmütig oder nicht stark genug, um gegen Lepidus oder an ihm vorbei die notwendigen Maßnahmen zu treffen. Was konnte man schon wissen? Vielleicht stimmte es gar nicht, was über Lepidus zu vermuten war – was jeder, der Augen im Kopf hatte, sehen konnte, wenn er nur hinsah. Oder es war wenigstens nur halb so schlimm. Man beauftragte also die beiden Consuln mit Aushebungen und sandte sie gegen die Aufrührer. Der eine, Quintus Lutatius Catulus, war ein entschiedener Verfechter sullanischer Politik; er wurde bald zur führenden Persönlichkeit des Senats. Daß der andere dem Aufruhr mit soviel Sympathie begegnete, sogar im Verdacht stand, enge Beziehungen zu den Aufrührern zu unterhalten, störte die Senatoren nicht. Vielleicht glaubten sie, den einen Fehler – daß sie den Bock zum Gärtner machten – durch den anderen – daß sie den Anhänger und den Gegner der sullanischen Ordnung zusammenspannten – aufzuwiegen. Für alle Fälle ließen sie die beiden Consuln einen heiligen, durch besondere Verwünschungen abgesicherten Eid schwören, daß sie die Waffen nicht gegeneinander führten. Nachdem dann aller Argwohn durch diese arglose Auskunft besänftigt war, verlegten sich die Erben der altrömischen politischen Weisheit aufs Abwarten, begaben sich gleichsam auf die Zuschauertribüne der Politik. Sie hatten verdrängt, was sie wußten, um zu tun, was sie konnten; jenes war viel, während dieses nichts war. Lepidus’ Treiben war zunächst zwielichtig. Er wollte offensichtlich seinerseits abwarten. Zunächst tat er, was ihm aufgetragen: er hob Truppen aus. Wie er mit denen operierte, war seine Sache. Wohl mochte es merkwürdig sein, daß er die
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Aufrührer nicht offen angriff. Aber wer wußte schon, was er vorhatte? Und Catulus konnte einstweilen anscheinend auch nichts ausrichten, zumal er sich wohl vorsah, nicht zwischen den Collegen und die Aufrührer zu geraten. Auffälliger war schon, daß Lepidus nicht nach Rom kam, um die Wahlen abzuhalten. Aber daran mochten ihn seine Pflichten hindern. Die Wahlen wurden verschoben, über sechs Monate bis ins Jahr 77 hinein. Und die Senatoren mochten den Consul auch nicht bedrängen. Anfang 77 hatte Lepidus die Toscana weitgehend in der Hand. Eine reguläre Armee stand unter seinem Kommando, er hatte in zahlreichen Städten seine Besatzungen, erpreßte Gelder und nahm auch die Poebene in Besitz. Genaugenommen war er – nach Beendigung seines Consulats – nur mehr Statthalter der ihm zugefallenen Provinz Gallia Transalpina, der heutigen Provence. Aber so genau nahm er es nicht. Und der Senat tat es ihm darin gleich, zumal die Senatoren wohl immer noch darauf warteten, zu erfahren, ob er sich am Ende als der Stärkere erwiese. Es war alles zum Aufstand bereit, aber Lepidus wollte offenbar so wenig losschlagen, wie die Senatsmehrheit erkennen wollte, daß sie es längst mit offener Insubordination zu tun hatte. Einer scheint auf den Anderen wie das Kaninchen auf die Schlange gestarrt zu haben; nur war keine Schlange im Spiel. Lepidus fehlte es am gehörigen Zulauf. Es scheint sich die Macht nicht gebildet zu haben, auf die er gehofft hatte. Vermutlich hätte er durch entschiedenes Auftreten manche Anhänger gewinnen können. Aber eben dazu konnte er sich nicht aufraffen. Wenn er einstweilen durch die Furcht des Senats stark war, so konnte er diese Stärke nicht nützen, da er sich seinerseits fürchtete – jedenfalls abwartete bis sich genügend Anhänger für seinen Aufstand gefunden hätten. Daher schwankte er hin und her. »Er fürchtete den Frieden, aber er haßte auch den Krieg« (Sallust). Noch standen ihm, so meinte er wohl, alle Wege offen. So versuchte er es noch einmal auf dem legalen: Er forderte ein zweites Consulat, so als hätten alle Vorbereitungen
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auf nichts anderes hinauslaufen sollen, so als wollte er damit dann zufrieden sein und im Sinne des Senats wirken. Doch weckte das dann endlich kräftigen Widerstand. Man begann, die Insubordination zu realisieren. Im Senat gewannen die Verfechter einer entschiedenen Politik eine Chance. Der alte Consular Lucius Marcius Philippus hielt eine große Rede, die Sallust – wie getreu nun auch – in seinem Geschichtswerk wiedergibt. Er fragt sich, ob es Furcht, Feigheit oder Unverstand sei, was die Senatoren bestimme. Sie wollten den Frieden. Aber sie könnten ihn nicht haben. Man müsse zu Krieg und Waffen greifen, so verhaßt sie seien, weil es Lepidus nämlich so gefalle, »es sei denn, jemand beabsichtige, Frieden zu bieten und Krieg zu bekommen«. Diejenigen, die bis zuletzt für Verhandlungen und Bewahrung der (längst zerstörten) Eintracht und des Friedens gesprochen hatten, hätten unrecht behalten, seien zu Spielbällen des Geschehens geworden, »verständlicherweise, da sie ja durch eben die Furcht den Frieden zurückgewinnen wollten, durch die sie ihn, als sie ihn hatten, verloren« – quippe metu pacem repetentes, quo habitam amiserant. »Beim Herkules, je begieriger ihr den Frieden erstrebt habt, um so bitterer wird der Krieg sein, wenn er (Lepidus) erst merkt, daß er mehr durch eure Furcht als durch eure Billigkeit und Güte gestützt ist.« Philippus beschwört die versammelten Väter, »ein wachsames Auge zu haben und nicht zuzulassen, daß die Zügellosigkeit der Verbrechen wie die Tollwut bis zu denen vordringt, die davon noch unberührt sind. Wo den Schlechten Prämien zufallen, ist nicht leicht einer umsonst gut. Oder wollt ihr warten, bis er sein Heer erneut heranführt und dann mit Feuer und Schwert in die Stadt eindringt?« Von jenem ersten Zug auf Rom, auf den Philippus hier anspielt, hören wir nichts Näheres. Er mag im Zusammenhang der privaten Rüstungen des Lepidus stattgefunden haben, die er veranstaltete, bevor er den Auftrag bekam, die Aufrührer in Etrurien zu bekämpfen. Philippus’ Rede mündete in den Antrag, den Äußersten Senatsbeschluß zu fassen, und zwar »weil M. Lepidus ein Heer, das er aus privatem Entschluß gerüstet hatte, im Bunde mit
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den Verworfensten und den Feinden des Gemeinwesens gegen den Beschluß dieses Standes auf die Stadt führte«. Damit war die Sache des Lepidus schon eindeutiger bezeichnet, als sie war. Denn der schob den eigentlichen Aufstand – wie Philippus in der gleichen Rede gesagt hatte – noch immer auf, war weiterhin unentschieden, wenn er sich inzwischen auch vielleicht näherte. Und er hatte zugleich eine Armee, deren Kommando ihm der Senat verliehen. Aber in irgendeiner Weise mußte man mit dem zaghaften Aufständischen fertig werden. So versuchte es Philippus damit, daß er den Krieg zwar noch nicht als begonnen, aber den Frieden schon als verloren darstellte. Er hatte gewiß recht damit, daß das ewige Warten und Finassieren die Stadt in Unruhe halten, die senatorische Position zunehmend paralysieren mußte, daß das furchtsame Konservieren des Friedens die Kriegsgefahr vergrößere. Die Sache war inzwischen offenbar weit genug gediehen; daher konnte Philippus den Senat überzeugen. Endlich also gelang es, Lepidus zum Kampf zu bringen, indem man ihn zu bekämpfen sich aufraffte. Catulus rüstete gegen ihn, zahlreiche sullanische Veteranen stellten sich zur Verfügung. Pompeius wurde beauftragt, mit einem eigenen Aufgebot aus Veteranen und Clienten Oberitalien zurückzuerobern. Lepidus marschierte zwar noch auf Rom, wurde aber auf dem Marsfeld oder doch nahebei besiegt. Vereint drängten ihn die senatorischen Kontingente an die etrurische Küste. Von dort floh er nach Sardinien, wo er bald darauf starb; nicht aus Verzweiflung über seine Lage, wie Plutarch versichert, sondern »weil ihm ein Brief in die Hand fiel, aus dem er die Überzeugung gewann, daß seine Frau ihn betrog«. Wenn es nicht wahr ist, dürfte es gut erfunden sein. Er hatte offenbar nicht erkannt, daß die meisten damals den Bürgerkrieg satt hatten; aus Überdruß an den dazugehörigen Grausamkeiten wollten auch die Besiegten und die Opfer den Frieden. So sehr hatte Sulla alle abgeschreckt. Nur Verzweifelte und unentwegte Gegner des Senats fanden sich unter den Fahnen des Aufruhrs. Philippus behauptet, es seien die, die schon seit 100 immer wieder gegen den Senat agitiert hätten.
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Und vermutlich hatte Lepidus auch verkannt, daß die politische Kraft, die Sulpicius und Cinna getragen hatte, in einer ganz besonderen Lage herangewachsen war, wohl auch einer ganz besonderen Generation zugehörte und daß sie nicht einfach aus den Nachkommen der politisch aufbegehrenden Ritter und der gerade ins Bürgerrecht aufgenommenen Neubürger neu zu mobilisieren war. Die ganze Situation hatte etwas Unwirkliches. Einer wartete auf den anderen, keiner wollte recht etwas tun. Daß ein Mann wie Lepidus, der offenbar nur handeln wollte, wenn ihm die Voraussetzungen dazu in den Schoß fielen, der aus Furcht nicht einmal erkannte, wie stark er durch die Furcht der anderen war, Rom etwa ein Jahr lang in Atem halten konnte, war ein schlimmes Symptom. Als freilich die Farce gespielt war, waren die Verhältnisse klarer. Die sullanische Verfassung hatte ihre erste wichtige, wenn auch leichte Probe bestanden, wie mühsam auch immer. Es war einstweilen mit ihr zu rechnen. Angesichts der Schwäche ihrer Verfechter hatte zwar manches dafür gesprochen, daß alles möglich war. Aber es schien nur so. In Wirklichkeit gab es eine mächtige Kraft, die nur so einfach nicht zu spüren gewesen war: das starke Bedürfnis nach Ruhe, also nach Restauration. Sollte Caesar Lepidus gleich durchschaut haben, so mag das für seine Menschenkenntnis sprechen, vielleicht für seinen Instinkt oder aber für die Unbedingtheit, mit der er damals Ansprüche an Personen stellte. Jedenfalls gab er sich nicht blindlings dem Kampf gegen die sullanische Ordnung hin, trotz anfänglicher Hoffnungen und Wünsche, nicht zuletzt trotz der offenkundigen Handlungsschwäche des Senats und der verbreiteten Unzufriedenheit. Vielleicht wußte er auch besser über die Stimmung unter Cinnas Anhängern Bescheid. Immerhin war er vermutlich bei der Rückkehr aus dem Osten durch weite Teile Süditaliens gereist, war bei Gastfreunden eingekehrt, vielen Menschen begegnet. So mochte er die allgemeine Lage und das Ruhebedürfnis erkannt, mochte gesehen haben, daß für Lepidus nicht genügend Soldaten sich fanden, während die Gegenseite stark daran war. Auf jeden
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Fall hat der Zweiundzwanzigjährige damals ein nicht geringes Urteilsvermögen bewiesen. In diesen Jahren wurde Caesar von Cornelia seine Tochter Julia geboren, die ihm später nachweislich durch ihren Liebreiz, ihr Geschick und ihre Treue sehr geholfen hat. Im Jahr 77 klagte Caesar den Consul von 81, Gnaeus Cornelius Dolabella, der gerade im Triumph aus der Provinz Macedonia zurückgekehrt war, vor dem Repetundengericht an. Er war ein alter Sullaner, ein treuer Gefolgsmann des Dictators. Caesar beschuldigte ihn, die Einwohner seiner Provinz erpreßt und unrechtmäßig ausgebeutet zu haben. Solche Anklagen hoher Herren waren für junge, ehrgeizige Adlige ein beliebtes Mittel, um bekannt zu werden. Caesar hatte zahlreiche prominente Vorläufer darin, und die Praxis setzte sich auch weiterhin fort. Einige der berühmtesten römischen Redner haben sich mit Anfang zwanzig auf diese Weise hervorgetan. »Schon zum allerfrühesten Zeitpunkt bin ich in Strafprozessen aufgetreten, mit einundzwanzig zog ich den hochvornehmen beredtesten Redner seiner Zeit vor Gericht«, läßt Cicero in einem fingierten Dialog den großen Lucius Crassus sagen. »Mir war das Forum die Schule.« Man lernte auch das Reden und Auftreten zumal in der Praxis, in der rhetorischen Auseinandersetzung. »Große Übung, unerschrockene Schlagfertigkeit und ein sehr hohes Maß an Urteilskraft eigneten sich die jungen Männer auf diese Weise rasch an, da sie sich in aller Öffentlichkeit und unter Redeschlachten weiterbildeten, wo keiner ungestraft etwas Törichtes oder Widersprüchliches sagt, ohne daß der Richter es zurückgewiesen, der Gegner es angegriffen oder schließlich selbst die ihm Beistehenden es verurteilt hätten.« Sie lernten die andern Redner kennen, »ja, sie lernten auch von der Fülle der höchst verschiedenen Zuhörerschaft des Volkes, aus der sie leicht entnehmen konnten, was bei einem jeden Beifall oder Ablehnung fand« (Tacitus). Die Verhandlungen fanden auf dem Forum statt. Dort gab es zwei ständige Tribunale – Plattformen für Praetor
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und Geschworene –, weitere konnten nach Bedarf aufgeschlagen werden. Auch in den bedeckten, allgemein zugänglichen Räumen der großen Basiliken wurde Gericht gehalten. Man konnte, wenn man seine Sache gut machte, mit starker Aufmerksamkeit rechnen. Vor Gericht wurden zahlreiche politische Kämpfe ausgetragen, und in den Plädoyers konnte die Politik breiten Raum einnehmen. Wenn die Materie nicht interessant war, so waren es doch vielfach die Beteiligten. Der Angeklagte bot als Verteidiger, Leumundszeugen und als sonstigen Beistand alle seine Freunde auf. Es gehörte zu den vornehmsten Freundespflichten, seinem Hilferuf zu folgen, unter Umständen sich dafür einzusetzen, daß ein erfolgreicher Redner den Fall übernahm. So sah man immer wieder die bedeutendsten Rhetoren sich großartige Gefechte liefern, sah die höchsten Persönlichkeiten des Adels auftreten. Entsprechend waren die Prozesse vielbeachtete Ereignisse. Es bildeten sich dichte Kreise von Menschen um sie, von solchen, die durch bestimmte Verhandlungen angezogen wurden, und von solchen, die sich ohnehin auf dem Forum aufhielten, um zu lernen, um sich umzusehen und sich am geistigen Schlagabtausch zu erfreuen. Übrigens gehörte Cicero beim Dolabella-Prozeß zu den interessierten Zuhörern. Wie im Hyde-Park konnte die Menge fluktuieren, »eine große Zuhörerschar, die, immer sich erneuernd, aus Gegnern und Freunden sich zusammensetzte, so daß weder Gutnoch Schlechtgesagtes überhört wurde«. Von einem Redner, dem späteren Caesar-Mörder Brutus, heißt es, er sei ins Stocken geraten, wenn die »Corona« ihn verließ. Was dort erlebt und gesehen wurde, wurde weitergetragen. Reden und Auftreten auf dem Forum bildeten einen vielbeachteten Gesprächsgegenstand in dieser Gesellschaft. Bei der Wichtigkeit politischer und anderer Prozesse, der Verfechtung zahlreicher Angelegenheiten vor Senat, Volksversammlung oder Magistraten, mußten alle sich darüber orientieren, wer eine Sache gut vertrat, gut vorbereitet war, seine Zuhörer für sich einzunehmen vermochte. Daher kam es sehr darauf an, daß man sich dort bewährte und auffiel, je eher, um
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so besser. Und man tauchte dabei tief in die Materie ein, die einen als Politiker zu beschäftigen hatte. Ankläger konnte jeder sein, der sich einer Sache annahm. Rom kannte keinen Staatsanwalt. Wie in allem anderen, so waren auch hier die öffentlichen Funktionen gleichsam auf die Bürgerschaft verteilt, nicht bei einem »Staat« konzentriert. Gleichwohl gab es natürlich eine Reihe von Männern, die sich auf das Anklagen spezialisierten, die nicht sehr hochgeachtete, aber notwendige Gruppe der accusatores. Dazu stießen dann von Fall zu Fall die jungen, ehrgeizigen Angehörigen des Adels, um sich ihre Sporen zu verdienen. Falls sich mehrere Ankläger um eine Sache bemühten, wurde zunächst darüber entschieden, wem die Anklage zuzuschlagen war. Wie die Griechen, die den Statthalter Dolabella verklagen und Wiedergutmachung von ihm erlangen wollten, an Caesar kamen, wissen wir nicht. Vielleicht hat er sich besonders um sie bemüht, sie gar ermuntert, vielleicht war er ihnen empfohlen worden. Jedenfalls muß er sich der Sache mit großem Eifer angenommen haben; und er war ein guter Redner. Cicero rühmt ihm später nach, daß er ein sehr korrektes, genaues, elegantes Latein in vollendeter Weise gesprochen habe. Es sei gewesen, wie wenn gutgemalte Bilder in gutem Licht aufgestellt seien. Gleichwohl hat er keinen Erfolg gehabt. Ohnehin sprachen römische Gerichte, und zumal wenn sie mit Senatoren besetzt waren, Personen von Stand lieber frei. Die Ausbeutung von Provinzialen galt, wenn es nicht zu schlimm kam, eher als Kavaliersdelikt. Außerdem wurde Dolabella durch die beiden bedeutendsten Redner der Zeit verteidigt, durch Caesars Onkel Gaius Aurelius Cotta und durch Quintus Hortensius. So war die Niederlage wohl vorauszusehen, jedenfalls zu verwinden. Den Hauptzweck der Anklage hat Caesar sicher erreicht: Er wurde als glänzender Redner bekannt. Im Jahr darauf baten die Griechen ihn, die Anklage gegen Gaius Antonius zu übernehmen, einen sullanischen Offizier, der sich während des mithridatischen Kriegs schamlos bereichert hatte. Hier hätte Caesar fast Erfolg gehabt. Aber Anto-
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nius appellierte an die Volkstribunen, und die griffen zu seinen Gunsten ein. Übrigens haben dann im Jahr 70 die Censoren Antonius aus dem Senat geworfen; er kehrte aber 68 dorthin zurück und ist 63 sogar Consul geworden, zusammen mit Cicero. Bald danach ging Caesar nach Rhodos, um bei dem berühmten Apollonios Molon Rhetorik zu studieren. Es heißt, er habe es nicht nur um des Studiums willen getan, sondern auch um Anschuldigungen aus dem Weg zu gehen, die er sich durch die Anklage Dolabellas zugezogen habe. Studien in Griechenland waren damals noch selten. Aber Caesar legte auf Rhetorik, Bildung, Stil besonderen Wert. Apollonios Molon stand in hohem Ansehen. Als er 81 als Gesandter von Rhodos nach Rom gekommen war, hatte man ihm als erstem erlaubt, im Senat griechisch zu reden. Cicero hatte 78/77 bei ihm studiert und verdankte seiner Schule Wesentliches. Aber ob das alles wirklich ausgereicht hätte, um Caesar von der mit so hohem Einsatz begonnenen politischen Laufbahn für länger abzuhalten, ist fraglich. Und weiter, wenn solche Anklagen auch üblich waren, mußten die maßgebenden Senatoren und folglich die öffentliche Meinung nicht in der Enge der Restauration Caesars Anklage prominenter Sullaner gleichwohl als Akt antisullanischer Politik verstehen? Und sollte er sich viel Mühe gegeben haben, diese Seite seiner Attacke gegen die korrupten Herren wirklich zu verbergen? Es gibt noch einen anderen Grund, weshalb es wahrscheinlich ist, daß Caesar sich damals fürs erste in ein freiwilliges Exil begab. Der zeigt sich in seiner weiteren Biographie. Auf der Fahrt nach Rhodos geriet Caesar bei der Insel Pharmakussa, zehn Kilometer südlich von Milet, in die Hand von Seeräubern. Als sie zwanzig Talente Lösegeld verlangten, soll er ihnen hochmütig entgegnet haben, sie wüßten offenbar nicht, wen sie gefangen hätten, er böte ihnen fünfzig. Das mag eine anekdotische Ausschmückung sein, sicher ist, daß sich seine Begleiter und Sklaven in die naheliegenden Küstenstädte begaben, um das Geld aufzutreiben – wobei sie diese offenbar haft-
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bar machten wegen mangelnder Aufsicht über die Gewässer; ein Angehöriger der römischen Herrenschicht mußte auch für kleinasiatische Griechen sehr viel wert sein. Caesar selbst habe sich fast vierzig Tage lang, so heißt es, in aristokratischer Gelassenheit und Souveränität unter seinen Wächtern bewegt, habe sie etwa auffordern lassen, Ruhe zu halten, wenn er schlafen wollte, habe Gedichte verfaßt, die er ihnen vorlas, Reden gehalten und ihnen lachend gedroht, er werde sie allesamt aufknüpfen lassen, wenn er erst frei sei. Als das Geld gesammelt war, ließ er die Seeräuber den Städten Geiseln stellen, damit seine Auslieferung gesichert sei. Nach der Freilassung charterte er sofort in Milet einige Schiffe, setzte den Seeräubern nach und nahm sie gefangen. Ihre Beute strich er ein; ob er den kleinasiatischen Städten das Lösegeld zurückgab, wissen wir nicht. Als der Statthalter von Asien zögerte, die Gefangenen zu bestrafen – er rechnete seinerseits auf ein Lösegeld –, ließ Caesar sie kurzerhand auf eigene Faust ans Kreuz schlagen. Auf Grund ihrer alten Bekanntschaft hatte er sie aber vorher erdrosseln lassen. All dies war, wie sich zeigt, möglich. Die Verhältnisse ließen es zu. Aber zweifellos war es höchst ungewöhnlich: solche Selbständigkeit, Selbstherrlichkeit, solch entschiedenes Handeln im Namen, jedenfalls im Sinne der römischen Herrschaft, im Sinne durchschlagender Effizienz, einer Demonstration der Macht; und mit solcher Energie! Dann widmete Caesar sich dem Studium. Aber er unterbrach es sogleich, als Mithridates im Jahre 74 von neuem den Krieg eröffnete. Da setzte er nach Kleinasien über. Der eigentliche Angriff des Königs fand im Norden der Halbinsel statt. Er marschierte in Bithynien ein, das die Römer gerade damals durch Testament des letzten Königs, Caesars Freund Nikomedes, gewonnen hatten. Aber er versuchte zugleich, auch die Provinz Asia zum Abfall von Rom zu bewegen. Die Truppen, die das an der südlichen Flanke besorgen sollten, suchte Caesar aufzuhalten. Er verlangte von den dortigen Städten die Stellung von Soldaten. Mit denen zog er dem gegnerischen Kommandeur entgegen und nötigte ihn, die Provinz
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zu räumen. Wie bedeutend seine militärische Leistung dabei war, ist unklar. Mithridates kann kaum mit großem Widerstand gerechnet haben. Es werden bestenfalls kleine römische Abteilungen dort gelegen haben. Entsprechend klein dürfte die Truppe gewesen sein, die der König dorthin entsandte. Jedenfalls aber war es wichtig, daß Caesar durch seine entschiedene und energische Initiative die Städte davon abhielt, zum König abzufallen. Die römischen Kaufleute und Steuerpächter, die sich dort niedergelassen hatten, werden eher geneigt gewesen sein, das Feld zu räumen; sie hatten die Ermordung vieler Tausender von Römern beim letzten mithridatischen Krieg noch gut in Erinnerung. Wie der sechsundzwanzigjährige Aristokrat mit gewiß nur wenigen Freunden aus eigenem Antrieb, ohne Amt, ohne Auftrag in schwieriger Situation die Befehlsgewalt an sich riß, war ganz außergewöhnlich; wir kennen nichts Vergleichbares. Normalerweise kämpfte Rom mit regulären Truppen. Wenn einzelne seiner Bürger auf eigene Faust etwas unternahmen, so vermutlich in Gegenden, in denen sie zuhause waren und Clientelen hatten. Aber selbst wenn Caesar dort einige Clienten besessen haben sollte, bleibt sein Eingreifen erstaunlich, eine Anmaßung. Immerhin gab es das Vorbild der Initiative des Pompeius im sullanischen Bürgerkrieg. Und es fehlte Caesar nicht an Selbstbewußtsein, nicht an Kühnheit; oder soll man es Frechheit nennen? So konnte er die Provinzialen-Städte überrumpeln und mitreißen, konnte glaubhaft machen, daß das mächtige Rom hinter ihm stand. Er nahm außerdem eine Verantwortung für dessen Herrschaft wahr, und das wird ihm auch bewußt gewesen sein, zumal er eben damit den Standesgenossen zeigte, wie gut er – im Unterschied zu ihnen – den Pflichten eines römischen Aristokraten genügte. Jedenfalls scheint in seinem Handeln ein anspruchsvoller Maßstab der Verantwortung für das Gemeinwesen auf. Übrigens mag er auch aktuellen Anlaß gehabt haben, in einer Notsituation Unerhörtes zu riskieren. Denn es wird jetzt deutlich, warum er sich im Jahr 76 aus Rom entfernte. Ende 74 oder Anfang 73 erhielt Caesar die Nachricht, daß
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er in das Priestercollegium der Pontifices kooptiert worden sei. Daraufhin brach er sofort nach Rom auf. Bei der Überfahrt über die Adria mußte er sich sorgfältig vor den Seeräubern hüten. Er wählte mit nur zwei Freunden und zehn Sklaven ein kleines Fischerboot und kam auch glücklich in Italien an. Man fragt sich, woher er das Geld für ein solches Gefolge und für solche Reisen nahm, nachdem Sulla seine Erbschaft kassiert hatte. Vielleicht hatte er diese nach der Begnadigung erstattet bekommen, und wahrscheinlich ist, daß seine Mutter und seine Verwandten ihm notfalls aushalfen. Irgendwo war in dieser Aristokratie immer Geld vorhanden, und es wurde auch immer etwas bewegt. Zum Beispiel pflegte man im Testament neben den Nachkommen auch Freunde und Wohltäter zu bedenken, als Ausgleich innerhalb einer Gesellschaft, in der so vieles nicht konnte bezahlt und doch sollte vergolten werden. Dies letztere traf auf Caesar noch nicht zu, aber es war symptomatisch für den Umgang mit, den Umlauf von Geld. Schließlich hatte Caesar auch noch die Beute von den Seeräubern und außerdem konnte er sich immer etwas leihen. Ohne Diener, auch ohne Sänfte, jedenfalls konnte er sich kaum bewegen. Was hätte man von ihm gehalten? Indem sie ihm aufwarteten, wurde deutlich, wer er war. Und wer wäre er sonst schon gewesen, wie hätte er unter den damaligen Umständen sonst schon etwas ausrichten können? Die Eile des Aufbruchs aber war von der Sache her nicht geboten. Es warteten keine Pflichten, die so dringend gewesen wären, daß sie einen Aufschub nicht geduldet hätten. Vielmehr war der tiefere Zweck von Caesars Abwesenheit nun unverkennbar erreicht. Er hatte in der Tat darin bestanden, über die Verstimmung anläßlich des Dolabella-Prozesses Gras wachsen zu lassen. Nun aber war Caesar voll rehabilitiert, und mehr als das. Denn die Ernennung zum Pontifex war eine große Auszeichnung und Ehre. Sie brachte einigen Einfluß mit sich. Die fünfzehn Pontifices waren die oberste römische Sakralinstanz. Sie hatten darauf zu sehen, daß alle Riten peinlich genau ein-
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gehalten würden, hatten gegebenenfalls auch Gutachten in allen sakralen Fragen abzugeben. Insbesondere hatten sie den römischen Kalender zu überwachen und zu regulieren. Da Rom damals noch – bis zu Caesars Reform im Jahr 45 – ein Mondjahr hatte, mußte in der Regel alle zwei Jahre nach dem Februar ein Schaltmonat eingelegt werden. Wann das geschah, verfügten die Pontifices, und dabei sprachen durchaus politische Gesichtspunkte mit, ob etwa das Jahr bestimmter Magistrate verlängert werden sollte oder nicht. Aber auch sonst, etwa bei Gutachten oder bei der Feststellung von Übertretungen der rechten Formen und bei der Bestimmung der Entsühnung von Übertretungen und eventuellen Vorzeichen, gab es mannigfache politische Einwirkungsmöglichkeiten. Das Collegium war früher auch für das römische Recht zuständig gewesen, bewahrte die Magistratslisten auf. Es hatte eine hohe, altersgeheiligte Autorität. Aus ihm ging der oberste Priester, der Pontifex Maximus, hervor, den seit dem 3. Jahrhundert eine bestimmte Volksversammlung aus dem Kreis der Pontifices wählte. Neben den fünfzehn Auguren waren die Pontifices das bedeutendste Priestercollegium. Beide waren übrigens nicht für den Vollzug des Zeremoniells da; das machten einerseits bestimmte Priester wie etwa die Flamines, andererseits die Magistrate, die die Gemeinde gegenüber den Göttern vertraten. Sie waren vielmehr Sachverständige und Aufsichtsinstanzen. Die Sitze in den beiden Collegien waren im römischen Adel hochbegehrt. Dreißig Herren – bei sechshundert Senatoren! – konnten sie einnehmen. Und sie waren zur Zeit ihrer Wahl noch nicht einmal alle Senatoren. Denn die Priester kooptierten vielfach – wie im Fall Caesars – auch recht junge Adlige. Man sah darauf, daß das Collegium sich über viele Jahrgänge erstreckte. Es gab sehr vieles zu lernen und zu tradieren. Da war es gut, wenn wenigstens ein Teil der Mitglieder sehr lange Zeit über dabei war. Man wird entsprechend auch, wenn nicht politische Gründe dagegen sprachen, darauf gesehen haben, besonders intelligenten Nachwuchs zu bekommen. Gleichwohl war die Auswahl gewiß nicht
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leicht. Nicht zuletzt daher hatte es sich wohl eingebürgert, daß man gern einen Verwandten des Mannes, dessen Stelle nach seinem Tod neu zu besetzen war, hinzuwählte. Das erleichterte die Entscheidung. Es war aber nicht unbedingt die Regel. Daneben gab es etwa den Wunsch, besonders angesehene Consulare mit dem Priestertum auszuzeichnen sowie die Autorität des Collegiums durch sie zu stärken. Und es konnte natürlich auch Einwände gegen die Verwandten des verstorbenen Collegen geben. Der Platz, auf den Caesar kooptiert worden war, war der eines Vetters seiner Mutter, des Gaius Aurelius Cotta, Consul von 75. Das kam ihm sicher zugute, auch daß er dem Patriciat angehörte. Gleichwohl verstand sich die Bestellung des Schwiegersohns Cinnas, des Anklägers hoher Sullaner für das von der herrschenden Aristokratie dominierte Collegium keineswegs von selbst. Caesars Freunde müssen sich für ihn sehr stark gemacht haben. Einer der Pontifices wird schon unter seinen Fürsprechern vor Sulla genannt. Ein zweiter war Befehlshaber in Cilicia gewesen, als Caesar dort diente. Ein dritter, Quintus Catulus, könnte durch seine Cousine Servilia, die Mutter des Brutus, gewonnen worden sein, wenn sie denn damals schon Caesars Geliebte war oder wenigstens ein Auge auf ihn geworfen hatte. Auch wird dessen ungewöhnliche Bewährung in Kleinasien manches wiedergutgemacht haben. Schließlich konnte man hoffen, den vielversprechenden jungen Adligen an sich zu ziehen. Es war gewiß nützlich, daß er – vermutlich auf Rat väterlicher Freunde – eine Weile von Rom abwesend gewesen war. Die Studienreise nach Rhodos erklärt sich damit. Er selbst mag es vorgezogen haben sich zu entfernen – um nicht entweder so sein zu müssen, wie es von allen erwartet wurde, oder es mit der Aristokratie zu verderben. Seine Besonderheit sollte sich nicht auf die Kleidung und private Extravaganzen beschränken, sondern er wollte sich im ganzen so geben, wie er sich sah, wollte ganz er selbst sein. Damit mochte es auch zusammenhängen, daß er nicht zu neuem Militärdienst, sondern eben zum Studium fortging. So wuchs dann allerdings seine Distanz, wählte
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er höchst bewußt eine Rolle, die erst noch auszubauen war. Ob er angesichts der Chance, die ihm die hohe Aristokratie eröffnen wollte, bereit war umzudenken, ob er die – zu vermutenden – Ermahnungen seiner Gönner, sich im Rahmen zu halten, beherzigen wollte, wissen wir nicht. Vielleicht sollte man es nicht ausschließen. Es war seit Sulla einige Zeit verstrichen, er hatte seine Jugend ausgekostet, hatte sich bewährt, war sehr großzügig aufgenommen worden. Allein, wir wissen einigermaßen, wie Rom und besonders die römische Aristokratie sich damals präsentierte. Und das kann Caesar solche Umkehr, wenn er sie denn vollziehen wollte, nicht leicht gemacht haben. Das Bild, das der Senat ihm bot, war alles andere als imposant. Die außerordentlichen Einbußen an biologischer und moralischer Substanz machten sich inzwischen allzu bemerkbar. Es gab fast keine Principes. Normalerweise lag die Führung des Hauses in den Händen einer Gruppe von zwanzig Consularen. Aus der Zeit vor Sulla hatten aber nur zwei überlebt, von denen der eine, Lucius Philippus (Consul 91) bald nach 75 gestorben war. Der andere (Consul 92) wurde zwar achtundneunzig Jahre alt, aber wir wissen nicht, wie hilfreich er damals noch sein konnte. Die Consuln von 81 waren reine Geschöpfe Sullas gewesen, gewählt offenbar, weil sie treue Gefolgsmänner und politisch ganz unbedeutend waren. Von den Consuln von 80, 79 und 78 waren nur noch drei am Leben, einer davon in Spanien. Die Consuln von 77 waren notorisch so unfähig, daß der alte Philippus, als es darum ging, einen guten Feldherrn nach Spanien zu schicken, vorgeschlagen hatte, Pompeius »an Stelle der Consuln« (pro consulibus) zu nehmen. Ein Kommandeur, der kein Magistrat war, konnte das Kommando »an Stelle eines Consuls« pro consule, also als Proconsul führen. Das war dann auch der Titel des Pompeius. Philippus aber wollte sagen, daß man ihn an Stelle der beiden Consuln, die dazu offenbar nicht in der Lage waren, entsenden sollte. Unter den Consuln von 76 war der eine tatkräftig: Gaius Scribonius Curio. Daher gehörte er später zu den bedeutend-
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23 Politische Parolen, die im nachsullanischen Rom aktuell waren, finden sich auf einer um 75 auf Senatsbeschluß (S[enatus] C[onsulto]) geprägten Münze des Lucius Farsuleius Mensor. Vorderseite: Darstellung der Freiheitsgöttin Liberias, gekennzeichnet durch den Pileus – die Kopfbedeckung des freien römischen Bürgers – links im Bild. Auf der Rückseite: Handschlag zwischen einem Gepanzerten und einem Togatus als Wahrzeichen der Eintracht (concordia) zwischen militärischen und politischen Kräften. sten Principes. Zunächst aber mußte er für drei bis vier Jahre nach Macedonia, um dort gegen thrakische Völkerschaften, die die Grenze der Provinz bedrohten, Krieg zu führen. Der andere Consul war durch starke Gliederschmerzen in seinem Wirken beeinträchtigt. Das folgende Jahr sah neben dem aufmerksamen und ehrgeizigen Consul Gaius Cotta, Caesars gerade verstorbenem Onkel, einen Collegen, der als nachlässig und träge bezeichnet wird. Im Grunde hatten zwei Männer, Quintus Lutatius Catulus (Consul 78) und Publius Servilius Isauricus (Consul 79) das zu tun, wofür sonst die ganze Gruppe der Principes aufkam, in
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der Lenkung der Geschäfte sowohl wie in der maßgebenden und autoritativen Prägung senatorischer Art, senatorischen Stils und Komments. Und sie hatten das zu tun nach der tiefen Erschütterung der alten Disziplin durch Bürgerkriege und Proscriptionen, angesichts überwiegend neuer, nicht in der Zucht der Principes allmählich hochgekommener Senatoren, vielfach Günstlinge Sullas, und angesichts der von dreihundert auf sechshundert Mitglieder vermehrten Stärke des Senats. Die Senatorensitze waren lebenslänglich, und die Senatoren unterlagen keiner Kontrolle, da die Gerichte von ihnen selber besetzt waren. Die Verantwortung, die Macht waren umfassend. Wenn es nicht gelang, von einem Kreis führender Männer her Auswüchse zu beschneiden, Vorbilder zu geben, die neu Hinzukommenden nach und nach entsprechend dem überkommenen Bilde des Senators zu formen und den Ton anzugeben, konnte die Versammlung der Väter kaum leisten, was ihr aufgetragen war. Aber wie sollte das geschehen, wenn die führende Schicht selber erst allmählich heranzuwachsen hatte? Wenn außerdem alle zusätzlich mit der Fülle der Aufgaben konfrontiert waren, die sich aus den Nachwirkungen der Bürgerkriege in Rom, in seinem Herrschaftsbereich und an dessen Peripherie stellten? In Spanien hatte sich Quintus Sertorius, einer der befähigtsten Offiziere der Cinnaner eine Machtbasis geschaffen. Er war dort Statthalter gewesen, 81 dann von seinem von Sulla entsandten Nachfolger verjagt worden. Darauf riefen ihn die Lusitaner – Einwohner des heutigen Portugal –, um sich unter seiner Führung von Rom zu befreien. Er erwies sich als Meister der Guerilla-Taktik und hatte zunächst große Erfolge. Der Consul von 80, Metellus Pius, der den Krieg gegen ihn zu führen hatte, war ihm mit seinen regulären Methoden gar nicht gewachsen. Von Rom her richteten sich die Hoffnungen Unzufriedener auf ihn; Persönlichkeiten aus dem hohen Adel baten ihn, auf die Stadt zu marschieren. Offensichtlich ließ sich von ihm mehr erwarten als vom Nicht-Aufstand des Lepidus. So hielt der Senat es 77 für notwendig, Pompeius mit einer zwei-
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ten Armee nach Spanien zu senden. Aber es brauchte noch fünf Jahre, bis der spanische Aufstand niedergeworfen werden konnte. Im Lager der Besiegten fanden sich die aus Rom an Sertorius gesandten Briefe. Pompeius ließ sie alle ungelesen verbrennen; es hätte sonst, so habe er befürchtet, zu inneren Konflikten kommen müssen, die schlimmer gewesen wären als die, die er gerade beendet hatte. Während dieser Jahre hatte sich Sertorius mit den Seeräubern und vor allem mit König Mithridates verbündet. Die Seeräuber hatten seit Jahrzehnten von der Unsicherheit der römischen Herrschaft profitiert. Von ihren Stützpunkten in Kleinasien und an der adriatischen Küste durchstreiften sie das ganze Mittelmeer, überfielen und beraubten nicht nur Schiffe, sondern auch Landschaften und Städte, bedrohten und unterbanden zeitweise sogar die Zufuhr nach Rom. Sie hatten so große Erfolge, daß sich auch vornehme und vermögende Männer ihnen anschlossen. Ganze Küstenstriche hatten sie in ihren Besitz gebracht und durch Beobachtungstürme gesichert. Die Piratenschiffe waren nicht nur hervorragend seetüchtig. Sie waren auch, wie es hieß, in hochfahrendem Stolz mit vergoldeten Flaggenstangen, purpurnen Tüchern und silberbeschlagenen Rudern geschmückt. Flöten- und Saitenspiel, Gesänge und Trinkgelage an jedem Strand, Entführungen, Brandschatzungen waren im ganzen Mittelmeer an der Tagesordnung. Tausend Schiffe sollen sie zuletzt gehabt haben, vierhundert überfallene Städte wurden gezählt. Im Jahr 74 hatte der Senat unter dem Einfluß des einen Consuls, eines anderen Onkels Caesars, Marcus Aurelius Cotta, und auf Grund der Manipulationen des Cethegus, eines damals mächtigen Intriganten, den Praetor Marcus Antonius mit einem umfassenden Kommando über alle Küsten des Mittelmeeres ausgestattet. Aber er soll die Küsten schlimmer geplündert haben als die Seeräuber; begreiflicherweise, denn umsonst war die Hilfe des Cethegus gewiß nicht, und es sollte auch für ihn selbst etwas abfallen. Von seiner Aufgabe verstand er ohnehin nichts. Hätte er durchschlagenden Erfolg haben wollen,
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so hätte er großräumig denken, organisieren und operieren müssen. So aber hatte er nicht einmal geringe Erfolge, biß sich vielmehr in einen Krieg auf Kreta fest, in dessen Verlauf er unverrichteter Dinge starb. Man ehrte ihn posthum ironisch mit dem Siegerbeinamen Creticus. In dieser Situation hat Mithridates neuerdings den Krieg eröffnet; vermutlich in der Annahme, daß die Römer nicht in der Lage seien, den verschiedenen Gegnern, mit denen sie es zu tun hatten, gleichzeitig zu begegnen. Tatsächlich waren sie nahezu überfordert. Die Consuln von 74 wurden in den Osten gesandt, der eine von ihnen, Lucius Licinius Lucullus, der große Genießer, nur dank einer Intrige, durch die er das Wohlwollen der Mätresse des Cethegus erlangt hatte. Er hatte unter Sulla Kriegführen gelernt, nahm aber Fachleute und viele Bücher mit aufs Schiff und soll dank seiner außerordentlichen Auffassungsgabe bei der Landung auf der Höhe des militärischen Wissens gewesen sein. Er hat den Krieg dann gut sieben Jahre lang geführt, als Feldherr geschickt und mit Erfolg, als Soldatenführer bald versagend. Bei aller glänzenden Intelligenz war er wohl zu adelsstolz, zu epigonenhaft, nahm seine Kommandogewalt zu selbstverständlich; das führte zu Meutereien und Rückschlägen. Die Eroberungen gingen verloren. Mit den auswärtigen Problemen waren innere verknüpft. Es kamen nicht genügend Einnahmen. Der Nachschub für die Armeen war teuer. Wegen der schlechten Getreideversorgung entstanden Unruhen in Rom. Volkstribunen nützten das zu heftiger Agitation gegen den Senat aus. Sie forderten die Wiederherstellung der Rechte ihres Amtes. Gegen den Widerstand führender Sullaner fand sich einer der Consuln bereit, ein Gesetz einzubringen, nach dem den Tribunen die Bewerbung um andere Ämter und damit weiterer politischer Aufstieg wieder erlaubt wurde. Der Senat muß zugestimmt haben. Man wich langsam zurück. Aber um Entscheidendes zu bewirken, waren die Volkstribunen und der Kreis derer, denen an der vollen Wiederherstellung ihrer Vollmacht lag, zunächst zu schwach. Und die Sena-
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24 Münze des Marcus Lollius Palicanus, um 45. Der Vater des Münzmeisters war im Jahr 71 ein popularer Volkstribun gewesen, einer der wichtigsten Vorkämpfer für die volle Wiederherstellung der von Sulla stark eingeschränkten tribunicischen Rechte. Auf der Vorderseite der Münze: das Bild der Libertas. Rückseite: die gebogene Rednertribüne (rostra) mit den erbeuteten Schiffsschnäbeln; darauf die Sitzbank der Volkstribunen. toren leisteten hinhaltenden Widerstand, indem sie vorgaben, man müsse auf Pompeius warten. Seit Mitte der 70er Jahre lebte Rom im Schatten von dessen Rückkehr. Seine Absichten waren unklar. Wenn er wollte, konnte er seine Soldaten gewiß nach Italien führen, trotz des gesetzlichen Verbots. Wohl nicht, um die Herrschaft über Rom zu erlangen; das wäre angesichts des riesigen Bereichs, über den die Stadt herrschte, wohl doch zu schwierig gewesen. Aber um in dieser oder jener Frage seinen Willen durchzusetzen. Die Soldaten, welche seit Marius und Sulla ihren Feldherren im Zweifel mehr verpflichtet waren als dem Senat, wären Pompeius gewiß gefolgt. So war es nicht geraten, ihm einen Vor-
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wand zum Marsch auf Rom zu geben, sei es indem man die Wiederherstellung des Volkstribunats konzedierte – worüber er in Sullas Namen empört sein konnte –, sei es daß man sie entschieden verweigerte, so daß er sie – im Namen der alten Rechte des Volkes und im Sinne all derer, die auch einmal etwas gegen den Senat durchsetzen wollten – auf seine Fahnen schreiben konnte. Vielleicht konnte man ihn auch als Bundesgenossen gegen die popularen Tribunen gewinnen. Das alles war offen. Pompeius selbst beschied die Römer nur, wenn sich Senat und Volk nicht vor seiner Ankunft geeinigt hätten, werde er sich darum bemühen. Letztlich ging es nicht nur um das Geschick der sullanischen Ordnung, sondern auch darum, wie man sich mit dem mächtigen Außenseiter arrangieren sollte. Darüber geriet Rom in ein Machtvakuum. Der Senat war ratlos. Er bot für aufmerksame, kritische Betrachter ein eher klägliches Bild. Eben das ließ aber auch sonst das Gefühl aufkommen, daß die Ordnung in Rom aus dem Ruder gelaufen war. Es war spürbar, daß es an der Führung fehlte, an der Geschlossenheit, der Sicherheit darüber, daß die Verhältnisse, wie sie waren, zu gelten hatten. Man wußte nicht, woran man war. Und so konnte denn eine an sich gleichgültige Begebenheit sich so auswachsen, daß ganz Italien neuerdings erschüttert wurde. Im Jahre 73 brachen in Capua rund siebzig Gladiatoren aus ihrer Kaserne aus. Sie waren bei ihrer – ohnehin sehr harten – Ausbildung derart schikaniert worden, daß sie gemeinsam ihre Flucht geplant und ausgeführt hatten. Sie entfernten sich nach Süden, suchten sich zunächst einen Schlupfwinkel am Vesuv. Vermutlich wollten sie sich als Räuberbande weiter durchschlagen. Gladiatoren, »Schwertkämpfer«, waren dazu da, Gefechte auf Leben und Tod vor Zuschauern aufzuführen. Seit 264 sind solche Spiele in Rom bezeugt. Sie gehörten ursprünglich zur Leichenfeier prominenter Adliger, später wurden sie auch unabhängig davon gegeben, seit 105 v. Chr. auch von Magistra-
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ten. Ursprünglich scheint diese aus Etrurien oder Campanien stammende Institution mit Totenkult und Menschenopfern zu tun gehabt zu haben; vermutlich war sie an die Stelle bedingungsloser Menschenopfer getreten, indem man den Opfern gestattete, darum zu kämpfen, wer am Ende das Opfer war. Dann wurde sie zur Unterhaltung. Denn das römische Volk, oder jedenfalls Teile davon, fand Geschmack an dem fürchterlichen, grausamen Schauspiel – wie andere Völker zu anderen Zeiten an öffentlichen Hinrichtungen oder an Sex and Crime. In Rom war zwar immer etwas los, aber die gelangweilte, abgestumpfte Menge brauchte auch den Kitzel; und das Faszinosum des Mordens, die sadistische Identifikation mit einem tödlichen Sport taten ihr wohl, auch sofern und indem sie sie vielleicht abstießen. Sie beschäftigten sie bis in ihre Träume. Als Herren der Welt unter jämmerlichen Verhältnissen lebend, müssen sie solche Spiele wohl als etwas Großes empfunden haben. Sie verfolgten sie mit leidenschaftlicher Anteilnahme. Und die Aristokraten übertrafen sich gegenseitig in der Ausrichtung, bis schließlich in der späten Republik Hunderte von Kämpfern sich gegenüberstanden. Ort des Austrags war zumeist das Forum Romanum, auf dem man Holzgestelle für die Zuschauer aufbaute, vielleicht auch der Circus Maximus. Später errichtete man dafür Amphitheater, in Rom und – zum Teil vorher schon – in zahlreichen anderen Städten; das älteste, von dem wir wissen, ist das in Pompeji aus den Jahren um 80 v. Chr. Die Gladiatoren waren zumeist Sklaven, die man besonders gern aus Thrakien, Gallien oder Germanien importierte. Aber es gab auch Freie darunter, die durch das Geld, die Gefahr, die öffentliche Aufmerksamkeit angelockt wurden und die sich darin gefielen, des Todes zu spotten. Im folgenden Jahrhundert sollten sich sogar Frauen dazu drängen. Kaiser Domitian ließ sie abends bei Fackelschein gegeneinander antreten. Die Gladiatoren mußten sich durch einen feierlichen Eid bei Todesstrafe verpflichten, sich widerspruchslos der härtesten Ausbildung und jedem Kampf zu stellen, »sich mit Ruten peitschen, mit Feuer brennen und mit Eisen töten lassen«.
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So wurden sie zu hochqualifizierten Fechtern ausgebildet, vielfältig umsorgt durch Massagen, Bäder, durch gute – von speziellen Ärzten zusammengestellte – Ernährung, in ihrer Gesundheit stets überwacht. So teuer waren sie ihren Herren – und den Konsumenten der »Spiele«. Ihre Zahl wuchs ständig, dem Bedarf entsprechend. Die wichtigsten Gladiatorenschulen lagen in Campanien. Großartig zogen sie bei den »Spielen« in die Arena ein. Es folgte eine Waffenprüfung, ein Scheingefecht mit stumpfen Waffen. Dann trafen sie nach einem Trompetenstoß ernsthaft aufeinander. Nähere Details sind erst aus der Kaiserzeit überliefert, aber in der Republik kann es nicht viel anders gewesen sein. Da wurden Furchtsame mit Peitschen und glühenden Eisen in den Kampf getrieben. Die Zuschauer erhitzten sich wie in modernen Spielen, um anzufeuern, zu beschämen, zu beschimpfen; um aus ihrer Erregung herauszuschreien, was sie erwarteten. »Warum haut er so zaghaft drein?« »Warum will er nicht sterben?« »Warum führt er den Todesstreich so wenig beherzt?« Über das Schicksal der Niedergeschlagenen – Tod oder Leben – entschied der Spielgeber durch Daumenzeichen. Die Zuschauer ereiferten sich pro und contra, und dieses zumal gegen die eher Furchtsamen. Aufmerksame Veranstalter von Gladiatorenspielen ließen für ihre Gefallenen schöne Massengräber anlegen. Mit solchen Männern war natürlich nicht leicht umzugehen; sie mußten in eiserner Disziplin gehalten werden. Sie hatten ihre eigenen, kräftigen Ehrbegriffe. Der Ausbruch von 73 wird kaum der erste gewesen sein und war nicht der letzte. Kennzeichnend für ihn war nur, daß er außerordentlich weite Kreise zog. Denn die siebzig Männer blieben nicht allein. Zumal nachdem sie die gegen sie ausgesandten römischen Truppen besiegt hatten, erhielten sie viel Zulauf, von Sklaven und Freien; Landarbeitern, Hirten, kleinen Bauern und nicht zuletzt von manch beutelustigen Gesellen. Denn der Ertrag der Plünderungszüge wurde immer gleichmäßig verteilt. Die Sklaven auf den großen Gütern hatten zum Teil ein erbärmliches Leben. Schwere Arbeit war zu leisten, unter
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strengen Aufsehern; das Essen wird kaum reichhaltig, sicherlich nicht immer ausreichend gewesen sein; und sie hausten allesamt in großen Räumen, waren nachts vielfach gefesselt. Anderen mag es besser gegangen sein. Gleichwohl waren Not, Entbehrung und Rechtlosigkeit unter den ländlichen Sklaven wie unter Landarbeitern, Pächtern und kleinen Bauern weitverbreitet. Das war vermutlich keine Besonderheit dieser Jahre. Höchstens mit einer gewissen Steigerung des Elends, unter anderem angesichts schlechter Ernten und mangelnder Zufuhren könnte gerechnet werden. Aber der Zeit eigentümlich war jedenfalls, daß viele das Gefühl bekamen, sie könnten dem entkommen, indem sie sich den Gladiatoren anschlössen. Denn die bestehende Ordnung wurde damals ja nicht ernst genommen, weil sie als unwirklich erschien, nicht zuletzt auf Grund des Bürgerkriegs, und weil ihre Verfechter sie selbst nicht streng übten. Wohl dachten sie an keine andere. Es dachte auch übrigens keiner an die Abschaffung der Sklaverei oder dergleichen: Das lag außerhalb der Denkbarkeit. Aber sie dachten, sie könnten machen, was sie wollten. Die Unfestigkeit der Verhältnisse ließ irreale Hoffnungen keimen, nicht weil Anlaß bestanden hätte, mit dem zu rechnen, was sie erhofften, sondern weil Anlaß zur Hoffnung bestand, und sei es zu der, Rache zu nehmen an der Gesellschaft. Gewisse Anzeichen sprechen dafür, daß damals auch einige – freilich wohl nicht sehr viele – alte italische Ressentiments gegen Rom wieder wach wurden. Daher ist die Zahl der Aufrührer bald zu Tausenden und Zehntausenden angeschwollen. Mit siebzigtausend soll der Höhepunkt erreicht gewesen sein; eine Quelle spricht sogar von hundertzwanzigtausend, aber da sind wohl die Sympathisanten mitgerechnet. Drei Führer standen an der Spitze, der bekannteste und bedeutendste war Spartacus. In wenige Menschen ist so viel nachträglich hineingesehen worden wie in Spartacus. Karl Marx hielt ihn für den »famosesten Kerl, den die ganze antike Geschichte aufzuweisen hatte. Großer General (kein Garibaldi), nobler Charakter, real representative des antiken Proletariats.« Das ist natürlich alles Unsinn. In Wirklichkeit scheint Spartacus vor allem ein
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Räuberhauptmann sehr großen Stils gewesen zu sein. Wenn seine Fähigkeiten und Absichten darüber hinausgegangen sein sollten, so ist uns dies wenigstens nicht zuverlässig überliefert. Er hatte eine schwere, zu schwere Aufgabe zu meistern: eine große, zusammengewürfelte, disziplinlose Menge von Männern ohne Land, ohne Stützpunkte, ohne ausreichende Bewaffnung, ohne gemeinsame Zwecke – außer demjenigen, zu plündern und Beute zu machen – so zu führen, daß sie sich gegen Rom behaupten konnte. Es ging ums Leben und Überleben als weit überproportionierte Räuberbande, wo auch immer, wie auch immer. Dieser Aufgabe hat sich Spartacus lange Zeit mit Bravour entledigt. Es kam ihm zugute, daß unter jener Menge hervorragende Kämpfer waren, die Gladiatoren mit ihrer Schulung und Todesverachtung, und daß der Großteil seines Heeres wußte, daß entlaufene, plündernde Sklaven bei ihren Herren kein Pardon zu erwarten hatten. Außerdem kam ihm zugute, daß die Römer den Aufruhr zunächst unterschätzten und dann mit den Mitteln ihrer regulären, braven Kriegführung hilflos waren angesichts dieses Gegners. Spartacus hatte lange Zeit in den eigenen Reihen viel mehr Schwierigkeiten als mit den Römern. Er war ein großer Taktiker, ob er aber eine Strategie hatte, wissen wir nicht. Die Aufrührer wandten sich zunächst nach Süden, auf Metapont zu. Dann zogen sie durch die ganze italienische Halbinsel nach Norden. Eine ihrer Abteilungen wurde zwar vernichtet, das Gros aber siegte in verschiedenen Gefechten. Nachdem sie in der Poebene bei Mutina (Modena) eine römische Armee vernichtet hatten, stand ihnen ganz Norditalien offen. Wenn sie gewollt hätten, hätten sie von dort über die Alpen nach Gallien, Germanien und zum Balkan hin ausbrechen können und wären frei gewesen. Vielleicht hatte Spartacus auch beabsichtigt, sie in die Freiheit zu führen, möglicherweise hatten sie es sogar selber von ihm gewollt. Dann hätte sie erst dieser Sieg auf den Gedanken gebracht, sie seien nun stark genug, um ein höheres Spiel zu wagen, ganz aus der inneren Logik eines siegreichen Hau-
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fens, der kein klares, letztlich aus Politik resultierendes Ziel hat und sich auf Grund kurzfristiger, toller Erwartungen weit überschätzt. Es spricht viel dafür, daß die Lagebeurteilung des aufrührerischen Heeres ähnlich irreal war wie seine Hoffnung. Jedenfalls kehrten die Männer um, zogen wieder nach Süden auf Metapont zu, von dort nach Bruttium. Inzwischen hatten die Römer Ende 72 den Marcus Licinius Crassus, der gerade Praetor gewesen war, mit dem Kommando gegen Spartacus betraut. Crassus hatte unter Sulla gedient. Er war der reichste Mann Roms, und das war es wohl auch, weshalb ihn die Senatoren beauftragt hatten. Denn er brannte vor Ehrgeiz. Sechs bis acht Legionen stellte Rom ins Feld. Crassus schloß Spartacus an der Südspitze des italienischen Stiefels mit einem langen Graben ein. Spartacus soll darauf mit den Seeräubern verhandelt haben, um nach Sizilien auszubrechen. Da das nicht gelang, ließ er den Graben an einer Stelle zuschütten und brach in Richtung Brundisium (Brindisi) aus. In dieser Lage bat Crassus den Senat, ihm den gerade aus Macedonia heimkehrenden Statthalter Marcus Lucullus und Pompeius, der sich auf dem Rückmarsch aus Spanien befand, zu Hilfe zu senden. Bevor das noch geschehen war, besiegte er aber die Aufrührer. Spartacus scheint gefallen zu sein, die versprengten Reste seines Heeres wurden überall aufgespürt. Sechstausend gefangene Sklaven – und wenn Freie darunter waren, wurden sie diesen gleichgestellt – ließ Crassus der Via Appia entlang ans Kreuz schlagen, zur Strafe und zur Mahnung für alle Vorüberziehenden. Eine Truppe von etwa fünftausend Sklaven, die nach Norden durchgebrochen war, wurde von Pompeius vernichtet. Er ließ alle Gefangenen niedermachen, was seiner sonstigen Milde widersprach. Aber entlaufene Sklaven verdienten es damals nicht anders. Damit war der »SpartacusKrieg« endlich, im Frühsommer 71, nach zwei Jahren beendet. Er hatte nie eine ernsthafte Gefahr für Rom bedeutet. Aber er war ein Symptom für das Erschlaffen der römischen Ordnung; und ein neuer Beleg für die Schwäche und das Versagen der senatorischen Führung. Die ganze Halbinsel hatte den
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Sklaven offengestanden; drei große Armeen waren notwendig gewesen, sie zu bezwingen. Offenbar war der Senat am Ende der siebziger Jahre noch immer so schlecht dran wie an deren Anfang. Jedenfalls hatte er weiterhin größte Schwierigkeiten, seinen Aufgaben gerecht zu werden, und es kam immer wieder vor, daß die Befehlshaber, die als Magistrate zur Verfügung standen oder die er aus seinen Reihen entsandte, keine fortune hatten. Will man es bei solchen Formeln nicht bewenden lassen, so fragt es sich, woran es Senat und Senatoren fehlte. War ihre Substanz verbraucht? Waren die damaligen Senatoren anders als ihre Väter und Ahnen? Mommsen hat einmal, im Hinblick auf eine frühere Zeit, geschrieben: »Es waren weniger andere Menschen, die jetzt im Senat saßen, als eine andere Zeit.« Das scheint die Erklärung zu sein: Die damaligen Zeitgenossen machten miteinander andere Umstände aus, andere Aufgaben, andere Erwartungen, andere Konstellationen. Von daher waren sie anders als ihre Väter und Ahnen, ohne daß ihre individuellen Begabungen im Schnitt geringer oder schlechter oder auch nur anders gewesen sein müssen. Es geht hier um die Frage, welche spezifischen Möglichkeiten eine Epoche hat, Begabungen zu aktualisieren, zu entfalten oder ungenutzt zu lassen; an Aufgaben zu wachsen oder vor ihnen zu verzweifeln, zu erstarren; sich, und das heißt: das, was man von sich unter den gegebenen Formen der Beanspruchung, der Identität erwarten kann, voll zu verwirklichen oder sich durch Vergeblichkeit einschnüren zu lassen, sich gar in Selbstmitleid zurückzuziehen. Vielleicht kann gerade eine lebendige Elite nicht das Gefühl haben, zu können, was sie muß. Aber es gehört doch wohl zu ihrer Leistungsfähigkeit, daß Können und Müssen nicht so weit voneinander sind, daß sie nicht mehr getrieben wären, sich auf die volle Wahrnehmung ihrer Aufgaben, ihrer Pflichten zu spannen und darin ihre Möglichkeiten zu entfalten. Hier dagegen scheint vielleicht nicht das Bewußtsein, vielleicht nicht einmal das Gefühl, aber doch eine Angst wirksam gewesen zu sein, daß man müsse, was
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man nicht könne. Das führte zu Ablenkungen, Betäubungen, Verengungen. Da mochten sich individuell andere Begabungen entfalten. Im ganzen, im Blick auf die vorgegebenen – und weiterhin anerkannten – Aufgaben blieb die Aristokratie hinter ihren Vätern zurück, hatte sie nicht mehr die Geschlossenheit und Wucht, mit der diese, über viele Schwächen und Versagensfälle hinweg, in ihren Institutionen, im Leben der res publica aufgingen. Die Ursache des vielfältigen senatorischen Versagens in diesen Jahren war also gar nicht, daß – von Pompeius abgesehen – die falschen statt der richtigen Männer für die größeren Aufgaben gewählt worden wären. So könnte es allerdings scheinen, wenn man die Berichte über den großen Einfluß liest, den der Intrigant Publius Cornelius Cethegus damals ausübte. Das war ein höchst geschickter, geriebener Senator aus patricischem Adel. Einstmals Anhänger des Marius, 88 einer der zwölf von Sulla Geächteten, später zu ihm übergegangen; 78 wirkte er dann im Sinne des Lepidus, ohne daß dessen Niederlage seine Macht geschmälert hätte. Cethegus kannte die Republik wie kaum einer, genauer gesagt, er kannte alle, die am politischen Spiel beteiligt waren, wußte, was sie anzubieten und was sie nachzufragen hatten, kannte ihre Stärken und ihre Schwächen. Er verstand zu reden und scheint ein höchst einnehmendes Wesen gehabt zu haben; bestechend in jedem Sinne des Wortes. Er konnte vermitteln, im Senat wie insbesondere auch bei den Wahlen, und eine Zeitlang hat er offenbar vermocht, sich unentbehrlich zu machen. Für ihn war die Politik wie ein großer Basar. Die wichtigsten Händel liefen gleichsam über seinen Tisch, und von allem blieb etwas bei ihm hängen, an Geld, Beziehungen, Abhängigkeit. Dadurch erreichte er, wie Cicero schreibt, im Senat die Autorität von Consularen, obwohl er im Rang nie so hoch gestiegen ist. Der wichtigste Zugang zu ihm lief über Praecia, von der Plutarch berichtet, sie sei berühmt gewesen »wegen ihrer Schönheit und ihres kecken Mutwillens«, aber »im übrigen wohl nicht besser als eine gewöhnliche Dirne. Doch dadurch, daß sie die Männer, die sie besuchten und mit
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25 Und so wählten sie damals zunehmend bedeutende Vorfahren oder deren Taten zum Motiv: Das Geld der Republik wurde zum Material, in dem sie den Ruhm ihrer Geschlechter verkündeten. Münze des Numerius Fabius Pictor (126 v. Chr.). Dargestellt ist der Großvater des Münzmei-sters, welcher gegen die geltenden Bestimmungen – und übrigens vergeblich – versucht hatte, sein Amt als Flamen Quirinalis (Priester des Quirinus) beizubehalten, auch nachdem ihm als Praetor ein militärisches Kommando außerhalb Roms zugewiesen worden war. Das Münzbild zeigt ihn als Feldherrn in militärischer Rüstung, gleichzeitig aber mit der charakteristischen Priesterkappe der Flamines, dem Apex, in der ausgestreckten Rechten sowie dem schriftlichen Hinweis auf Quirinus auf dem Schild. Deutlich zur Schau getragen wird das doppelte Prestige, das sich aus dem priesterlichen und dem militärischen Amt ergibt.
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ihr verkehrten, für ihre Freunde einzuspannen wußte..., hatte sie zu dem Ruf ihrer sonstigen Reize auch den erworben, eine treue Freundin und eine energische Frau zu sein, und dadurch bedeutenden Einfluß.« Auch Cethegus sei ihr äußerst zugetan, wenn nicht Untertan gewesen. Mit Hilfe des Cethegus war nicht nur Antonius gegen die Seeräuber eingesetzt worden. Auch der kluge, fähige, übrigens sehr stolze und in Liebesdingen wohl jeder Ausschweifung abholde Lucullus hatte sich die beiden verbunden, um den Feldzug gegen Mithridates übertragen zu bekommen. Ihre Wahl traf also bald die richtigen, bald die falschen. Eben deswegen waren sie auch nicht verantwortlich für die mangelnden Erfolge der römischen Kommandeure. Die eigentliche Ursache dafür scheint vielmehr darin gelegen zu haben, daß die falschen Grundsätze innerhalb der römischen Aristokratie herrschten, oder noch genauer: daß die falsche Art in ihr großgezogen und gefördert wurde. Man lebte in der Angst, daß sich wieder ehrgeizige Einzelne dem senatorischen Komment entzögen, das heißt der grundlegenden Gleichheit unter den Senatoren – wenigstens unter den Principes –, der Solidarität im Rahmen des Herkommens und der Bereitschaft, letztlich das Urteil des Senats anzuerkennen. Keiner sollte wieder so sein wie die Gracchen, keiner vor allem wie Marius und Sulla. Eine solche Tendenz gab es schon länger. Doch wurde sie jetzt im Sinne und unter dem Gewicht des verbreiteten Restaurationsbedürfnisses besonders inbrünstig betrieben. Alles drängte auf Gefügigkeit, schwor sich gegenseitig darauf ein, schärfte sie ein, verlangte, förderte, prämierte sie. Es war seit alters in Rom großer Wert darauf gelegt worden, daß die Sitte der Väter bewahrt und weitergegeben würde. Und da keiner wußte oder auch nur denken konnte, daß die römische Ordnung in ihrer ganzen Zurichtung den veränderten Anforderungen der Zeit nicht mehr genügte, konnten alle angesichts von Krisen und Notlagen nur die eine Erklärung finden, daß die alte Sitte nicht mehr recht praktiziert würde. Daher war es notwendig, sie um so genauer zu üben.
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26 Zum Teil waren die Darstellungen und Legenden so verschlüsselt, daß sie nur von Eingeweihten entziffert werden konnten; Es war ein Gesellschaftsspiel, das vornehmlich innerhalb der führenden Familien betrieben wurde. Münze des Marcus Aemilius Lepidus (61 v. Chr.). Dargestellt ist die Reiterstatue eines Vorfahren. Diesem war auf Senatsbeschluß ein Denkmal auf dem Kapitol errichtet worden, weil er – erst fünfzehnjährig – im Krieg einen Feind getötet und einem römischen Bürger das Leben gerettet hatte. Darauf spielt auch die – vom nichteingeweihten Betrachter, und folglich von der großen Mehrzahl der Bürger – kaum zu verstehende Beischrift der Münze an: An[norum] XV pr[ogressus) – oder: pr[aetextus] – h[ostem] o[ccidit] c[ivem] s[ervavit] (15 Jahre alt – oder: noch als Kind – tötete er einen Feind, rettete einen Bürger).
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So kam es dazu, daß der Senat und mit ihm große Teile der Gesellschaft sich im Hergebrachten verschanzten. Sie befolgten ihre Regeln, sandten die Consuln gegen die Sklaven, weil sie Consuln waren, und die wieder führten Krieg, wie es überliefert war, obwohl sie ganz andere Gegner hatten; kein Mensch kam anscheinend auf die Idee, daß man den Seeräubern nicht mit konventionellen, also punktuellen Seeund Landmanövern beikommen konnte, und Lucullus behandelte seine Soldaten so, wie wenn es ganz selbstverständlich wäre, daß sie auch bei hohen Anforderungen einfach auf Befehl gehorchten, so daß sie schließlich meuterten. Gerade weil die Probleme oder jedenfalls die Anforderungen so groß waren, hielt man sich an das Hergebrachte. So bedingte Starrheit Versagen und Versagen Starrheit. Man verschloß sich offenbar gegen die sich aufdrängende Wirklichkeit, verengte sich. Gebanntes An-Sich-Halten, angstvolle Bewegungslosigkeit. Früher hatte man bei aller Verehrung für das Alte doch, sofern es sich empfahl, auch neue Wege beschritten, hatte auf neue Lagen neue Maßregeln bemessen. Jetzt wurde die Beachtung des Alten von der Regel zum Gesetz. Oft waren es gar nicht mehr die Regeln der Alten, was man zum Dogma erhob, sondern gleichsam das, was in den Geschichtsbüchern darüber stand. Indem sich aber alle Mühen darauf konzentrierten, daß alle sich an die alten Regeln hielten, daß keiner zu groß würde, ging die Elastizität verloren, den außerordentlichen Aufgaben angemessen zu begegnen. Es begann sich eine Schere aufzutun zwischen der Verteidigung der herkömmlichen Art und Ordnung, auf die man sich konzentrierte, und der Erledigung drängender sachlicher Probleme, die man darüber vernachlässigte. Es kam dazu, daß nur mehr dies oder jenes getan werden konnte. Was zusammengehörte, wurde zur Alternative. Nicht Leistung wurde erwartet, sondern eben Gefügigkeit. Das aber bedeutete, daß auch die Gefügigkeit eingeschränkt verstanden werden mußte. Denn wenn Können und Müssen so weit auseinanderklaffen, kann man zwar Neues verfemen, aber deswegen doch das Alte nicht vor Entartung schützen. Wenn
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Pflicht so wenig zu erfüllen ist, wird es schwierig, sie zu praktizieren. Man war also kleinlich, insofern man erwartete, daß keiner politisch etwas in größerem Format Außerordentliches riskierte. Aber man war – notgedrungen – großzügig in der Duldung zahlreicher kleiner oder jedenfalls eher privater Abweichungen von der alten Vätersitte. Die Korruption wucherte. Politik wurde vornehmlich als Gerangel um Ämter und Positionen verstanden. Von den Herren Söhnen wurde nicht viel verlangt. Die alte Härte der Erziehung konnte nur noch ausnahmsweise praktiziert werden. Man lebte im Luxus. Was die Zeit politisch nicht sollte, tat sie auf anderem Gebiet: Man übertraf sich gegenseitig in immer neuen Weisen des Genießens, des Häuserbaus, der Feste. Roms Adlige ließen sich porträtieren in der Art hellenistischer Monarchen, sie liebten es, wenn die Provinzialen sie wie Götter verehrten. Ein besonders schönes Beispiel des Ausweichens in eher private, unschädliche Freiheiten stellte die Münzprägung dar. Sie lag in der Hand von drei jährlich wechselnden Münzmeistern; vielfach bekleideten die jungen Söhne der Nobilität dieses Amt. Sie waren frei in der Gestaltung der Stempel und so wählten sie damals zunehmend bedeutende Vorfahren oder deren Taten zum Motiv: Das Geld der Republik wurde zum Material, in dem sie den Ruhm ihrer Geschlechter verkündeten: ein Symbol dafür, wie das Gemeinwesen von seinem Adel mehr als Besitz denn als Aufgabe verstanden wurde. Zum Teil waren die Darstellungen und Legenden so verschlüsselt, daß sie nur von Eingeweihten entziffert werden konnten; es war ein Gesellschaftsspiel, das vornehmlich innerhalb der führenden Familien betrieben wurde. Auch wo Programme der großen Politik auf Münzen erscheinen, stellen sie oft den Ruhm des eigenen oder eines Geschlechts dar, dem der Münzmeister anzugehören behauptete. So erinnerte der spätere Caesar-Mörder Marcus Brutus an die Begründung der republikanischen Freiheit Roms durch den alten Brutus, den ersten Consul, den er offenbar als seinen Vorfahren ansah. Diese und andere Randerscheinungen wären für sich nicht interessant. Sie sind es als Symptome für die Verengung der
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senatorischen Normen innerhalb der Politik: Der Ruhm, den die jungen Münzmeister ihren Vorfahren attestierten, war in der Gegenwart nicht mehr zu gewinnen; jedenfalls nicht, sofern sie sich nicht gegen den Senat stellten. Ähnlich wie ihre Münzen verzierten sie auch ihre Siegelringe. Von Metellus Pius, Sullas Collegen im Consulat von 80, der dann Roms Streitkräfte gegen Sertorius in Spanien kommandierte, heißt es, er habe seine Ankunft in den spanischen Städten von den Gastfreunden wie die eines Gottes mit Altären und Weihrauch feiern lassen, habe in einem mit eingestickten Palmzweigen verzierten Gewande – dem Triumphalgewand, wie es auch der Juppiter auf dem Capitol trug – seine Gastmähler gefeiert, es seien dabei von der Decke mittels eines kunstvollen Seilwerks Victorien herniedergeschwebt, die ihm goldene Kränze aufs Haupt setzten. Und das alles im kargen Spanien, angesichts eines schwierigen Krieges. Später soll die Leidenschaft der vornehmen Senatoren sich auf die Fischzucht geworfen haben. Das waren Ablenkungen oder Ersatzbefriedigungen eines Ehrgeizes, der im Politischen nur bedingt sich ausleben konnte. Was sich da abspielte, war vermutlich eine Gesetzmäßigkeit: Es wirkte sich auf vielfältige Weise die Schwerkraft eines stark überforderten, aber nicht in Frage gestellten herrschenden Standes aus, der überwältigende Druck seiner Normalität. Die führenden Persönlichkeiten – und auch manche anderen – wollten es zum Teil sicherlich anders, mochten sich auch ehrenhaft verhalten und sich dem Luxus versagen. Doch wenn sie Einfluß üben wollten, mußten sie sich vermutlich gleichwohl in der Richtung bewegen, in die der ganze Stand tendierte. Wer aus der Enge ausbrechen, wer politisch selbständig denken wollte, mußte sich schon in einer Distanz zum Gros halten oder in diese Distanz geraten. Und das konnten offenbar nur wenige. Denn für die, die das versuchten, gab es zwar manchen Anlaß, aber wenige Anhaltspunkte. Mommsens sarkastisches Urteil über die Senatoren ist zwar objektiv richtig: »Ihre politische Weisheit beschränkte sich darauf, aufrichtig zu glauben an die allein seligmachende Oligarchie, dagegen
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die Demagogie ebenso wie jede sich emanzipierende Einzelgewalt herzlich zu hassen und mutig zu verwünschen.« Nur sollte man nicht annehmen, daß sie als Stand damals auch eine andere Weisheit hätten aufbringen können. Das könnten nur Außenseiter. Es war keine Frage abstrakten Denkvermögens, sondern eine des Ortes, von dem aus man dachte, von dem aus sich einem die Dinge darstellten, eben der Position. Und für die Senatoren konnte es kaum zweifelhaft sein, ob sie vor den Außenseitern hätten kapitulieren können oder dürfen. Der bedeutendste Außenseiter war Pompeius. Das Problem, ob er nach Beendigung des spanischen Feldzugs gegen das Gesetz mit der Armee nach Italien einmarschieren würde, hatte sich inzwischen gelöst: Der Senat hatte ihn sogar darum gebeten. Nach dem Sieg über die letzten Reste der aufständischen Sklaven rückte er vor die Stadt. Aber er gab die beruhigende Erklärung ab, er täte es nur, um dort den Triumph zu feiern; danach werde er das Heer sogleich entlassen. Senatoren, Ritter und andere gingen vor die Stadt, um ihm einen ehrenvollen Empfang zu bereiten. Dann wurde verhandelt. Das Ergebnis war einerseits, daß der Senat Pompeius außer dem Triumph das Recht verlieh, sich schon jetzt und ohne daß er Quaestur und Praetur bekleidet hätte, um das Consulat zu bewerben. Es war sieben Jahre vor der Zeit, aber nachdem er inzwischen dreizehn Jahre lang fast ohne Unterbrechung römische Armeen kommandiert hatte, konnte man von ihm kaum verlangen, daß er die Laufbahn von unten begänne. Und man konnte ihn schlecht auf das Consulat warten lassen. Die führenden Senatoren haben Pompeius auch zugesagt, daß sie ein Ackergesetz zur Versorgung seiner Veteranen ohne Widerstand durchgehen lassen würden. Es sollte das einzige Ackerverteilungsgesetz der späten Republik – außer dem des Livius Drusus – bleiben, das den Segen des Senats fand. Aus Mangel an Mitteln wurde seine Ausführung aber aufgeschoben, um sich schließlich zu erübrigen. Einiges spricht dafür, daß diese Zugeständnisse dem Senat nicht einmal schwer gefallen sind. Pompeius war ein alter
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Sullaner. Er hatte zwar manch einen Senator, übrigens auch Sulla vor den Kopf gestoßen. Zuerst hatte Sulla die Standesgenossen tief verletzt, als er einst im Bürgerkrieg den jugendlichen Anführer einer Privatarmee als Imperator begrüßte. Dann hatte er ihn nach Sizilien und Afrika gesandt, um die Gegner dort zu besiegen. Nachdem Pompeius diese Aufgabe rasch und gründlich – und vergleichsweise milde – erledigt hatte, wurde ihm befohlen, den größten Teil seines Heeres zu entlassen und mit einer Legion die Ankunft des neuen Statthalters abzuwarten. Da empörten sich die Soldaten, sie wollten unter seiner Führung zurückkehren. Unter vielen Bekundungen des Widerwillens ließ er sich wohl unschwer dazu treiben, wurde von Sulla vor der Stadt Rom begrüßt und als Magnus tituliert. Es heißt, eine gewisse Ähnlichkeit mit Alexander habe dazu geführt, daß man auch ihn den Großen nannte, ironisch, gefällig, überzeugt, schließlich weil alle es taten. So schloß sich auch Sulla dem entstehenden Brauch an. Er wollte wohl Pompeius’ Forderung auf einen Triumph zuvorkommen. Denn nur Magistrate durften triumphieren; Pompeius aber war keiner; und künftig sollte das Recht konsequent gelten. Doch Pompeius bestand darauf: Er trat vor Sulla hin, wies zum Himmel und erklärte, die aufgehende Sonne genieße mehr Verehrung als die untergehende. Und Sulla war es die Auseinandersetzung nicht wert; er ließ sich einen weiteren Schritt zum Aufstieg des jungen Mannes abtrotzen. Wenn Pompeius gegen Lepidus und Sertorius gesandt wurde, geschah es auch nicht nur, weil der Senat ihn brauchte. Er drängte sich vielmehr auf: Man war ihn schließlich auch ganz gern aus Italien los. Inzwischen hatte er dem Senat gut gedient. Nun konnte man vielleicht hoffen, ihn durch entsprechendes Entgegenkommen für sich einzunehmen. Aber auch alle diejenigen kamen zu Pompeius, denen an einer Wiederherstellung der Rechte des Volkstribunats gelegen war, die Ritter, verschiedene Senatoren und andere, darunter vielleicht Caesar. Bald nach seiner Consulwahl erklärte Pompeius, er wolle sich der Sache annehmen. Er fand auch, daß eine Gerichtsreform notwendig sei, nach skandalösen Urtei-
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27 »Biederen Gesichts, unverfrorenen Gemüts«, so hat Sallust ihn charakterisiert. Mit jenem versuchte er seiner senatstreuen Gesinnung gerecht zu werden, mit diesem seinem Ehrgeiz. Bildniskopf des Pompeius. Augusteische Kopie nach einem öffentlichen Ehrenportrait aus den 50er Jahren des ersten Jahrhunderts v. Chr. len der senatorischen Geschworenen, und befürwortete die Wahl von Censoren. Auch mit diesem Programm stieß er im Senat nicht unbedingt auf Widerspruch. Die Mißstände, die er bekämpfte, ließen sich kaum leugnen. Manche Senatoren scheinen sogar das Gefühl gehabt zu haben, daß er sie von einer Last befreite, indem er die inzwischen kaum mehr haltbaren Positionen der sullanischen Ordnung auflöste. Der Senat scheint dann das Gesetz zur vollen Wiederherstellung des Volkstribunats auch genehmigt zu haben. Dabei kann es ihm kaum entgangen sein, daß auf diese Weise neue schwere Konflikte angelegt wurden und gerade mit Pompeius selbst, der offenbar Wert darauf legte, auch künftig mit größeren Feldzügen betraut zu werden. Und Pompeius muß gewußt haben, daß der Senat nicht unbedingt leichten
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Herzens sich dazu bereit finden konnte, daß er also das Instrument der Volksversammlung für alle Fälle brauchte. Gnaeus Pompeius Magnus war im Grunde nicht auf Konflikt angelegt. Er war nicht der Mann, der sich durchsetzen wollte; eher wollte er allen gefallen. Alfred Heuß hat ihn eine PrimusNatur genannt; er habe seine unbestreitbaren Leistungen vor sich hergetragen wie ein Schulzeugnis. Eitel war er, auf Beifall bedacht. Voll Respekt für die überkommene Ordnung, auch für den Senat. Seine Ziele waren weniger Macht und Einfluß als Ansehen und Ruhm. In der Politik hielt er sich gern im Hintergrund, melierte er sich ungern in das Geschehen. Er setzte sich nicht für andere ein, er kämpfte nicht, sondern repräsentierte lieber. Auf dem Forum trat er am liebsten nur gelegentlich und dann mit großem Gefolge auf, »indem er damit seinem Auftreten Hoheit und Gewicht verlieh und meinte, er müsse dadurch, daß er die Berührung und den Umgang mit der großen Menge mied, seine Würde bewahren«. Aber sein Ehrgeiz war, auch weiterhin mit allen wichtigen Aufgaben betraut zu werden. Das war die Grundlage seiner Stellung, seines Ruhms. Darin konnte er seine Fähigkeiten bewähren. Er war vor allem ein großer Organisator, auf militärischem wie auf administrativem Gebiet. Seine Feldzüge waren Glanzleistungen der Organisation. Die Truppen führte er überlegen, und das muß sich ihnen auch mitgeteilt haben. Doch beherrschte er auch Strategie und Taktik, und dank der Schule des Bürgerkriegs wußte er, wie man mit Soldaten umzugehen hatte. Es lag ihm, in großem Stil zu befehlen und zu walten, den Anspruch Roms auf die Weltherrschaft glanzvoll zu vertreten. Als er – für antike Verhältnisse – tief in Afrika bis an die Grenzen des numidischen Reichs vorgedrungen war, begab er sich zum Beispiel auf Löwen- und Elefantenjagd, weil es nötig sei, »daß auch die wilden Tiere, die Afrika bewohnten, die Macht und den Mut der Römer erführen«. Solche imperialen Gebärden waren kennzeichnend für Pompeius. Was sollte ihm dagegen der Kleinkram alltäglicher Politik mit all ihrer Geschäftigkeit, ihren Eitelkeiten und Intrigen?
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Eben dadurch stand er am Rand der Aristokratie, ohne daß er etwas gegen Roms Ordnung einzuwenden gehabt hätte. Es ging ihm nur um eine besondere Rolle, eine besondere Stellung für sich selbst und eben um die Erledigung zahlreicher Aufgaben, die er besser und klarer erkannte als die anderen – gerade weil sein Blick nicht von Alltäglichkeiten okkupiert war, weil er von der allmählich zu einer neuen Qualität umschlagenden Wirklichkeit des Herrschaftsbereichs her zu denken wußte. Schon in der Jugend hatte Pompeius sich abgesondert, als Sohn eines Mannes, der seinerseits schon eine Sonderrolle zu spielen versucht, der dabei die Niederlage des Senats gegen Cinna verschuldet hatte, der daraufhin der Nobilität »recht verhaßt« wurde. Unter Cinna hatte sich Pompeius zurückgehalten. Aber er hatte auch gemeint, in der Nobilität keinen leichten Stand zu haben, wenn erst deren Herrschaft wieder begründet wäre. Und da er vom Vater her die Dinge relativ unvoreingenommen zu betrachten gelernt, da er sich mit dem Gedanken vertraut gemacht hatte, daß einer so viel galt, wie er Soldaten hatte, hatte er auf eigene Faust eine Armee aufgestellt. Im Sinne Sullas, im Sinne der Nobilität; das wird ihm auch wichtig gewesen sein. Damit aber unterschied er sich zugleich von den Nobiles, die auf solche praktischen, der Situation angemessenen Handlungsweisen fast gar nicht gekommen sind. Er war von Anfang an wesentlich aufgeschlossener und energischer als sie. Aber er wird kaum gewußt haben, daß er sich dadurch nicht nur im Verdienst von ihnen unterschied, sondern zugleich in eine Außenseiterposition geriet, für die er eigentlich gar nicht geschaffen war. Das gab zunächst nichts zu denken, das Besondere daran gefiel ihm. Dann jedoch kamen zunehmend die Schwierigkeiten zum Vorschein. Eben weil er auf Neid, Eifersucht, Mißtrauen stieß – und nicht nur aus Ehrgeiz –, wollte er dann auf dem einmal eingeschlagenen Weg fortschreiten, um durch neue Leistungen zu überzeugen und sich unentbehrlich zu machen. Er wird kaum gewußt haben, daß es der Senatsmehrheit auf solche Leistungen gar nicht ankam. Für ihn lag eine Legitimation
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darin, übrigens ohne daß er den Leistungsanspruch überzogen hätte. Außerdem hatte Pompeius stets die Situation seiner Anfänge im sullanischen Bürgerkrieg im Sinn; er wußte, daß sie sich ähnlich wiederholen konnte. Darauf hat er sich stets vorbereitet: Wo er das Kommando führte, legte er großen Wert darauf, Clientelbeziehungen zu knüpfen, um Machtreserven innerhalb des Herrschaftsbereichs zu haben, und die wollte er gewiß, wie Sulla es getan, gegebenenfalls für den Senat einsetzen. Insofern war Pompeius bei aller Vorsicht bereit, sich mit dem Senat zu verständigen. Nichts war ihm lieber, als weiterhin der erste und wichtigste Senatsfeldherr und Krisenlöser zu sein und das entsprechende Ansehen dafür zu ernten. Er wollte eine Vorzugsstellung innerhalb des Senats, nicht gegen ihn. Das ließ sich im Moment auch bewerkstelligen: Man gönnte ihm seinen Ruhm, ließ ihn sich auf seinen Lorbeeren ausruhen; war froh, daß er sich kaum in die Politik einmischte – und davon auch nicht viel verstand –, daß er sich so gemäßigt gab. Aber auf die Dauer waren, wie sich dann zeigte, die Zielsetzungen des Pompeius und der Senatsmehrheit unvereinbar. Am letzten Tag des Jahres 71 zog Pompeius im Triumph in Rom ein; danach entließ er seine Soldaten. Das Consulat führte er zusammen mit Marcus Licinius Crassus. Er setzte sein Programm durch. Die Gerichtsreform war sogar, entgegen den ursprünglichen Parolen, ausgesprochen rücksichtsvoll. Senatoren und Ritter stellten künftig je ein Drittel der Geschworenen. Das dritte stellten die »Aerartribunen«, eine Gruppe, deren Angehörige dem Census nach zu den Rittern gehörten, unter denen aber nicht wie in der Gruppe der Ritter die Pächter der öffentlichen Einkünfte stark waren, welche durch Standesjustiz Druck auf den Senat ausüben mochten. Die Censoren strichen vierundsechzig unwürdige Senatoren aus der Senatsliste. Berühmt war die Musterung der Ritter, die sie durchführten. Sie saßen mit ihren Herolden und Listenführern auf ihrem Tribunal auf dem Forum. Einer nach dem anderen hatten die Angehörigen der Rittercenturien mit
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28 Darstellung einer Bürgerzählung (census). Alle fünf Jahre wurden zwecks Vermögensschätzung und Soldatenmusterung neue Bürgerlisten aufgestellt. Dazu hatte jeder erwachsene Bürger auf dem Marsfeld zu erscheinen und den zuständigen Beamten unter Eid Auskunft zu geben. Links zwei sitzende Magistrate mit den Bürgerlisten, vor ihnen ein schwörender Bürger, rechts gemusterte Soldaten. Ausschnitt aus dem Fries einer Denkmal-Basis aus dem frühen 1. Jahrhundert v. Chr. Paris, Louvre. ihren Pferden an ihnen vorüberzuziehen. Das waren zum Teil Senatorensöhne, die noch nicht in den Senat aufgenommen waren, im übrigen die Prominentesten des Ritterstandes. »Da sah man Pompeius von oben auf das Forum herabkommen, mit allen Abzeichen seiner consularischen Würde angetan, aber sein Pferd mit eigener Hand am Zügel führend. Als er nahebei und für alle sichtbar war, befahl er seinen Liktoren beiseite zu treten und führte sein Pferd vor das Tribunal. Das Volk staunte und war ganz still, und die Censoren erfüllte ein gewisses Schamgefühl und Freude zugleich bei dem Anblick. Darauf stellte der Ältere der beiden die Frage: ›Ich frage dich, Pompeius Magnus, ob du alle vom Gesetz vorgeschriebenen Feldzüge mitgemacht hast‹, und Pompeius antwortete mit lauter Stimme: ›Ich habe sie alle mitgemacht, und alle unter meinem Kommando.‹ Als das Volk das hörte, gab es lauten Beifall und es konnte sich vor Freude kaum beruhigen. Die Censoren standen auf und geleiteten Pompeius nach Hause, um sich so den Bürgern gefällig zu erweisen, die mitliefen und Beifall
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klatschten« (Plutarch). Vom 16. August bis 1. September feierte Pompeius große Spiele, die er in Spanien gelobt hatte. Derweil stand, wie immer bei öffentlichen Spielen, das gesamte Geschäftsleben still. Crassus wollte ihm nicht nachstehen und opferte dem Herkules ein Zehntel seines Vermögens. Nach erfolgreichen Unternehmungen – sei es privater, sei es militärischer Art – wurde dem Gott gern der Zehnte dargebracht, aber normalerweise vom Ertrag oder der Beute. Doch hatte ihm schon Sulla nach seinem Sieg ein Zehntel des Vermögens gespendet; ihm stellte Crassus sich jetzt gleich. Die Gaben, die allesamt eßbar sein mußten, wurden auf der Ara Maxima (dem »Größten Altar«) auf dem Forum Boarium (dem Rindermarkt) dargebracht. Nichts durfte wieder mit nach Hause genommen werden: Crassus bewirtete also das römische Volk an zehntausend Tischen, auf dem Markt, in Straßen und auf Plätzen ringsum: es muß bis tief in die Nacht gegangen sein; die Leute müssen sich abgelöst haben. Außerdem ließ Crassus Getreide für drei Monate an jeden verteilen. So wetteiferten die beiden ehrgeizigsten Römer der Zeit. Die städtische Menge sollte Geschmack an ihnen finden. Caesar wurde in jenem Jahr dreißig Jahre alt. In einem wesentlichen Punkt konnte Pompeius ihm Vorbild und Ermunterung sein: In der Weise, wie er sachliche Probleme anpackte, als Feldherr Macht und Ansehen gewann – und wohl auch, wie er sich in einer gewissen Distanz zum Senat hielt. Vor Pompeius’ Leistungen hat Caesar immer Respekt gehabt, und damals war dessen Ansehen und Glanz noch unverbraucht, vor allem: ungetrübt. Pompeius’ eigenmächtige Initiative hatte Caesar möglicherweise schon auf Rhodos angeregt, als er beschloß, auf eigene Faust in den mithridatischen Krieg einzugreifen. Vielleicht war er ja auch schon in persönliche Berührung zu dem großen Mann gekommen, als er sich für die Wiederherstellung der Rechte des Volkstribunats eingesetzt hatte. 73 oder 72 war er zum ersten Mal zu einem Amt gewählt worden, zum Militärtribunat. Die Volksversammlung bestellte jährlich vierundzwanzig Militärtribunen, die, falls nötig, bei den Aus-
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hebungen mitwirkten und als Offiziere mit kleinen Kommandos betraut werden konnten. Möglicherweise hat Caesar in dieser Position am Sklavenkrieg teilgenommen. Im Jahr 70 hat er sich für einen Gesetzesantrag eingesetzt, durch den den überlebenden Anhängern des Lepidus und des Sertorius die Rückkehr nach Rom gestattet wurde. Das lag im Sinne der versöhnlichen Politik des Pompeius. Der Antragsteller könnte der gleiche gewesen sein, der das Ackergesetz für dessen Veteranen durchsetzte. Caesars Schwager Cinna war unter den Begünstigten. In diesen Jahren zeigte sich also, daß er sich mindestens für die Anhänger der cinnanischen Sache einsetzen wollte und großen Wert auf populare Politik legte. Man sollte weiter gehen und annehmen, daß Caesar in seinem dritten Jahrzehnt kaum anders konnte, als sich in innerer Opposition zu den herrschenden Kreisen zu halten; seine Offenheit darin zu suchen – und zu begrenzen –, daß er sich nicht auf ihre Ordnung festlegen ließ. Selbst wenn er das so nicht immer gewollt hat. Denn es spricht Vieles dafür, eine relativ gerade Linie zwischen Caesars Anfängen unter Sulla und dem Weg, den er später nahm, zu ziehen. Solche Linien können in ein Leben einen Sinn legen, den es ursprünglich nicht hatte; können sinnvoll machen, was – von vorne gesehen – eher einer Reihe von Zufällen zuzuschreiben ist. Aber was oberflächlich wie Zufall aussieht, kann mitunter doch durch eine Anlage gelenkt sein, der sich die Zufälle fügen; die nämlich die einen Zufälle als beliebig und die anderen als sinnvoll, als ernst zu nehmen vermag, so daß sie am Ende gar notwendig zu sein scheinen. Hofmannsthal spricht vom Schicksal, das einen nicht anfällt wie ein bissiger Köter ein ahnungsloses Bauernkind, das einen Korb mit Eiern auf dem Kopf trägt. Diese Anlage müßte bei Caesar ihr Zentrum, ihre Schwerkraft, ihre Spitze in dem Drang gehabt haben, sich abzuheben von den Anderen. Ein Schuß Eitelkeit, ein Schuß Verspieltheit, ein Schuß verwegener Rechthaberei wird darin enthalten, ein besonderer Anspruch darin gehegt gewesen sein. Vielleicht auch ein halb träumerisches Gefühl des Venus-Enkels,
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die besondere Aufmerksamkeit der Göttin zu erfahren. Und es wird sich daran Vieles angelagert haben, je mehr Caesar sich innerlich aus seiner Gesellschaft aussonderte. Wo sonst Beziehungen und Bindungen nach außen laufen, den Einzelnen in seine Umwelt einbetten, scheint sich hier ein besonderer Stolz abgekappt zu haben, der schließlich im Willen, Besonderes zu leisten, eine Dynamik entfaltete: Die besondere Anlage in der Zeit, die der kräftigen Eigenständigkeit zu Grunde liegt. Eine solche Aussonderung setzt Empfindlichkeit und Unempfindlichkeit voraus: Die Empfindlichkeit des eigenen Anspruchs und die Unempfindlichkeit gegen die Forderungen von Außen. So, wie Caesar den Bürgerkrieg erlebt hatte, so wie sich ihm die Republik in den 70er Jahren präsentierte, mochte er dazu neigen, die bestehende Ordnung für ein Provisorium zu halten, die Institutionen für äußerlich; die Führenden nicht nach ihrem Rang zu beurteilen, sondern nach dem, was sie waren – in den einerseits engen, andererseits viel zu weit gewordenen institutionellen Gewändern, die sie trugen. Welche ungeheuren Belastungen ihnen aufgegeben waren, konnte er gewiß nicht sehen, nicht würdigen. Er kann mit ihnen kein Mitleid gehabt haben. Sein Anspruch lief darauf hinaus, sie nicht an dem Maß des Möglichen, sondern an dem des Notwendigen zu messen. Wenn es so war, so muß er in diesem – wie im folgenden – Jahrzehnt recht unruhig gewesen sein, sicher und unsicher zugleich; muß sich ihm die Realität, die die Republik doch noch darstellte, erst allmählich aufgenötigt haben. Das ist alles nicht mehr auszumachen. Nur daß er durch alle Schwankungen hindurch stets dazu neigte, diese Realität zu insultieren und Außenseiter zu bleiben, scheint klar zu sein.
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Der politische Aufstieg des Außenseiters (69 bis 60 v. Chr.) Außenseiter und Mutwille • Anforderungen der Laufbahn • Pompeius’ große Kommandos • Kostspieligkeiten und Schulden • Die römische Plebs • Crassus • Das Jahr 63 • Wahl zum Pontifex Maximus • Catilina • Caesars Besonderheit • Catilinarische Verschwörung • Rede am 5. Dezember 63 • Caesar und Cato • Pompeius’ Rückkehr aus dem Osten • Wahl zum Consul • Dreibund Außenseitertum hat – bei allen Schwierigkeiten, die es mit sich bringen kann – den großen Vorzug, daß man sich eine bestimmte Reinheit bewahrt. Es ist ja in der Tat auch eine Form der Unberührtheit, des Nicht-Tangiertseins – der Bewahrung jugendlicher Offenheit und hoher Erwartungen. Alle Teilnahme an gewöhnlicher Lebenspraxis hat dagegen von außen betrachtet leicht etwas Komplizenhaftes. Erwachsenwerden erscheint dann wie die Einwilligung in ein Geflecht von Schwächen, Zumutungen, Halbheiten und Anrüchigkeiten. Allemal scheint es Konzessionsbereitschaft vorauszusetzen. So hat es seinen Reiz, sich da herauszuhalten. Doch wenn man dieser Praxis nicht nur mit Skepsis oder gar Verachtung begegnet, sondern innerhalb ihrer etwas werden will, wenn man in ihr gar mit dem hohen Anspruch einer Besonderheit antritt, so darf man andererseits nicht zu empfindlich sein; muß man sich in Manches fügen, was vorgegeben ist. Die Erfahrung lehrt, daß dies um so bedenkenloser geschehen kann, je reiner man sich von den Bedenklichkeiten, den Begrenzungen und Verstrickungen der bestehenden Gesellschaft wähnt; man kann sich ja sogar um so besser und überlegener vorkommen, je weniger man eine brüchig gewordene Moral respektiert; das erschließt viele Möglichkeiten.
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Caesar hat sie alle genutzt, hat sich auf den vorgesehenen Bahnen bewegt, durchaus auch Kompromisse geschlossen und scheint sich gleichzeitig mit einem gewissen Mutwillen in einer zwischen Kritik und Feindseligkeit schwebenden Distanz zum Bestehenden gehalten zu haben. Jenes Belieben, es darauf ankommen zu lassen, wohin die Dinge tragen, in dem sich blindes Vertrauen und Gleichgültigkeit zu der Lust verbinden, ohne viel um sich zu schauen dem eigenen Impuls sich hinzugeben; jenes Gemisch von Wagemut und williger Ergebenheit, das wir Mutwillen nennen, muß ja nicht in ein – mitunter geradezu verheerendes – Sich-Ausleben der Gewöhnlichkeit münden. Wenn einer vielmehr zu kalkulieren und Grenzen zu respektieren, wenn er im Äußersten noch zurückzuweichen versteht und vor allem: wenn er eine große Partie spielt und etwas einzusetzen hat – derart gezügelt also, derart gesammelt, gepaart mit Strenge gegen und mit hohen Erwartungen an sich, kann Mutwille vielmehr in einem Menschen nicht nur ein gesteigertes Erleben seiner selbst, sondern, wenn er Erfolg hat, auch ein besonderes Vertrauen in das eigene Glück erzeugen. Zwar hat sich der Erfolg bei Caesar so rasch nicht eingestellt, aber Caesar hat es gleichwohl nicht so bald aufgegeben, sich zu wagen und lieber draußen zu stehen als in der Gesellschaft aufzugehen. So ist ihm seine politische Laufbahn nicht nur gut gelungen, sondern sie wurde am Ende zugleich zu einem besonderen Kapitel der eigenartigen Geschichte von Caesar und seinem Glück. Die Quaestur war der unterste, der erste der Magistrate, mit dem man die römische Ämterlaufbahn begann. Caesar erhielt sie wohl im Jahre 70. Damals war er gerade dreißig Jahre alt. Es war der normalerweise früheste Zeitpunkt für die Bewerbung. Freilich kann es sein, daß Caesar als Träger der »Bürgerkrone« das Privileg zu vorzeitiger Bewerbung besaß. Praetur und Consulat bekleidete er jedenfalls zwei Jahre vor dem dafür vorgesehenen Alter.
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Um diese Zeit starb Caesars Tante Julia, Marius’ Witwe. Er hielt ihr auf dem Forum die Totenrede. Breite Aufmerksamkeit war ihm sicher. War man doch gespannt, was der junge, extravagante Neffe über Sullas alten Feind, den CimbernBesieger, sagen würde. Über den Inhalt der Rede wird uns nichts berichtet. Wir hören nur, daß Caesar vor versammelter Menge die Abstammung seiner Familie von Venus und den römischen Königen pries und daß er Marius’ Bild im Leichenzug mitfühlte. Das soll allerhand Unwillen ausgelöst haben. Aber auch der Beifall war groß, er war gewiß nicht durchweg, nicht unbedingt politisch gemeint; galt zugleich dem bedeutenden Feldherrn, dem auch Cicero gerade Lob gezollt hatte. Die Sullaner allerdings mußten darin eine politische Kundgebung sehen. Das war ein großer Erfolg, denn Caesar wurde bekannt; und es war wichtig, daß sich sein Name den Römern einprägte. Als wenig später Caesars junge Frau Cornelia starb, die Tochter Cinnas, hielt er auch ihr eine Leichenrede auf dem Forum. Das widersprach der Sitte, die diese Ehre nur Matronen zubilligte. Doch Caesar kehrte sich nicht daran. Er hatte das Bedürfnis, sie in aller Öffentlichkeit zu rühmen und seine Mitbürger an der Trauer teilnehmen zu lassen. Der leidenschaftliche Schmerz des gut aussehenden, eleganten jungen Mannes soll den Menschen ans Herz gegangen sein. Ob Caesar auf seinen Schwiegervater zu sprechen kam, ob er gar sein Bild im Leichenzug mitführte, ist nicht überliefert. Es wäre vielleicht doch eine zu starke Herausforderung gewesen – wenn man denn annehmen darf, daß Caesar seine Schritte genau kalkulierte. Vieles spricht dafür, daß Caesar um diese Zeit in Rom auch in anderer Weise bereits aufzufallen begann, beileibe nicht als künftiger Herrscher oder auch nur als besonders zukunftsträchtiger, hoffnungsvoller Politiker. Aber er wurde bekannt als extravaganter, kühn bis frecher junger Mann, sicher nicht ohne Arroganz, aber vielleicht doch in der liebenswürdigen Variante davon – wenigstens für den Kreis derer, die es nicht unmittelbar betraf: unbekümmert, mehr
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hochgemut als hochmütig. Er lebte vergleichsweise ungeniert. Freilich taten das viele andere auch. Aber Gaius Julius Caesar könnte ihnen etwas vorausgehabt haben. Als er nach der Quaestur in den Senat aufgenommen wurde, durfte er den breiten Purpurstreifen am Untergewand, der Tunica, tragen. Denn in Rom gab es eine genaue Kleiderordnung. Wie die Toga dem römischen Bürger vorbehalten war, hatten innerhalb der Bürgerschaft erst die Patricier, dann die Senatoren und auch die Ritter bestimmte Standesabzeichen. Höhere Magistrate trugen eine purpurgesäumte Toga, Senatoren einen breiten Purpurstreifen am Untergewand. Es gab auch besondere Senatoren- und bis zuletzt besondere Patricierschuhe, welchselbe Caesar ohnehin anlegen durfte. Nur Senatoren und Ritter durften einen silbernen Ring tragen. Caesar nun soll die mit dem Streifen besetzte Tunica wider die Regel mit einem Gürtel getragen haben, der allerdings nur locker, wie ein Schmuckstück darüber hing; und den Streifen hatte er an bestimmten Stellen in Fransen auslaufen lassen. Er legte offenbar Wert darauf, in sorgfältig gepflegter Lässigkeit aufzutreten, unverwechselbar. Ebenso unverwechselbar und von großer Kunst war seine Rhetorik. Cicero rühmt nicht nur die Korrektheit und Genauigkeit, sondern auch die ganz unprätentiöse Sauberkeit seines Lateins. Caesar selbst hat das nachher in einer eigenen Schrift gerechtfertigt: Man müsse ein ungewohntes Wort meiden wie das Schiff die Klippe. Aber in dieser Schlichtheit des Ausdrucks lag offenbar eine besondere Eleganz und etwas ungemein Sympathisches. Ein späterer Autor schreibt, es seien eine solche Kraft, Schärfe und solch ein Feuer in Caesar gewesen, daß er offensichtlich in dem gleichen Geist geredet habe, mit dem er später Krieg führte. Hinter keinem anderen hat er nach Ciceros Urteil zurückgestanden. Eine glänzende und ganz und gar nicht routinierte Art zu sprechen habe er gehabt, durch Stimme, Bewegung und Gestalt in gewissem Sinne edel und prachtvoll. Diese Attribute gehören nicht eigentlich in die Rhetorik. Sie kennzeichnen eher den ganzen Menschen. Ciceros
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Charakterisierung des Redners Caesar zielt also zugleich auf dessen ganzes Auftreten. Da Caesar nicht viel Geld hatte, lebte er zwar keineswegs sparsam, aber die Mittel, über die er verfügte – sie waren zumeist geliehen – wußte er gezielt und wirkungsvoll einzusetzen. So wohnte er wenigstens billig, und zwar in der Subura, einem dichtbevölkerten Viertel, das sich an den Abhängen von Quirinal, Viminal und Esquilin kurz oberhalb des Forums hinstreckte. Es ging dort, wo es mehr Tavernen als anderswo gab, besonders laut und geschäftig zu. Neben kleinen Handwerkern und Händlern wohnten und wirkten da zahlreiche Dirnen. Die Hauptstraße des Viertels ging in das Argiletum über; man erreichte dann rechterhand der Basilica Aemilia das Forum. Dort trat Caesar immer häufiger auf. Zur politischen Laufbahn gehörten vor allem viele gute Beziehungen, und die mußte er sich erst schaffen. Quaestor zu werden, war nicht allzu schwer: zwanzig Stellen waren pro Jahr zu vergeben. Als nächstes bewarb man sich in der Regel entweder um eine der zehn Volkstribunen- oder um eine der insgesamt vier AedilenStellen. Mit vierzig konnte man danach Praetor werden. Da gab es acht Stellen; nicht einmal jeder zweite Senator konnte eine erlangen. Und nur jeder vierte Praetor, jeder zehnte Senator schaffte es bis zum Consulat. Das war das eigentliche Ziel jedes ehrgeizigen Nobilis, entsprechend groß und hart war die Konkurrenz. Obendrein legten die prominentesten Adligen ihren Stolz darein, die Ämter zum frühest möglichen Zeitpunkt – suo anno – zu erreichen: Das aber war besonders schwierig, zumal wenn einer wenig Einfluß geerbt und keine mächtigen, angesehenen Geschlechter hinter sich hatte. Da mußte man dann normalerweise lange Zeit darauf verwenden, sich den nötigen Anhang zu sammeln. Denn jeder hatte sich seine Wählerschaft selbst zu bilden. Es gab keine Parteien, keine großen Gruppen, die ihm gleichsam von vornherein einen beträchtlichen Grundstock an Wahleinfluß zur Verfügung gestellt hätten.
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Das Wahlverhalten der Römer war weitgehend – wenn auch keineswegs ausschließlich – durch das Bindungswesen bestimmt, eine Modifikation des alten Clientelwesens. In früher Zeit war die römische Bürgerschaft mehr oder weniger in Adelsgefolgschaften zerfallen. Die Adligen vertraten die Clienten vor Gericht, vor Magistraten, Senat und Volksversammlung, waren ihre mächtigen Fürsprecher. Umgekehrt waren die Clienten dazu verpflichtet, sie zu unterstützen, insbesondere bei den Wahlen. Je größer dann die Bürgerschaft wurde und je mehr sich aus alten und neu hinzutretenden Bürgern eine breite und wohlhabende Schicht unterhalb des Senatsadels bildete, desto zahlreicher waren neben den Clientelbindungen »Freundschaften« fast von gleich zu gleich getreten. Und die Angehörigen der wohlhabenden Schicht unterhielten meistens mehrere Bindungen nebeneinander. Jedes Jahr hatten sie in Rom mit anderen Magistraten, fast jedes Jahr in den Provinzen mit anderen Statthaltern zu tun. Auch im Senat waren nicht immer dieselben Herren zu hofieren. So hatte man viele Beziehungen zu knüpfen. Denn auch sonst war man darauf angewiesen. Die besten Redner vor Gericht, meist hohe Adlige, konnte man nicht wie Rechtsanwälte engagieren, nicht bezahlen, sie wurden vielmehr durch Fürsprache anderer gewonnen – oder sie ließen sich gewinnen, weil sie auf die Dankbarkeit und den Einfluß der zu Vertretenden bauten und hofften. War einem ein Sklave entlaufen, so konnte man keine Polizei bemühen, sondern nur die Statthalter in den Provinzen, in denen er vielleicht aufzugreifen war. Wieder brauchte man Beziehungen. Und so war es, wenn eine Stadt sich mit der anderen stritt und die Sache kam vor den Senat, wenn ein Pächter öffentlicher Einnahmen die Aufmerksamkeit eines Mächtigen brauchte – oder gerade nicht brauchte –, wenn einer Hilfe beim Eintreiben von Schulden, Schutz oder vielerlei anderes nötig hatte. Immer wieder kam es vor, daß einzelne Bürger, Vereine, Städte mächtige Senatoren in Anspruch nehmen mußten, die ihnen halfen, die politischen Instanzen – oder auch Gerichte – für sie einzunehmen. Da ging es überwiegend um vereinzelte
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Interessen, waren zumeist nur wenige Politiker und kleine Teile der Bürgerschaft betroffen. Doch mußte man jeweils die Entscheidenden gewinnen. Daher waren vielfältige Beziehungen so wichtig, wurde auch Erkenntlichkeit so groß geschrieben, blieb man sich verpflichtet, vererbten sich die Verpflichtungen sogar. Als Caesar nach dem Tod des Nikomedes im Interesse einiger Bithyner Anklage gegen Marcus Juncus erhob, suchte er sich zu rechtfertigen: »Sei es aus Gastfreundschaft für den König Nikomedes, sei es auf Grund der Verpflichtungsverhältnisse gegen die, um deren Sache es hier geht, ich konnte mich dieser Aufgabe nicht entziehen, Marcus Juncus, denn weder darf das Andenken der Menschen durch deren Tod vernichtet werden, so daß es von den Nächsten nicht mehr bewahrt wird, noch dürfen Clienten im Stich gelassen werden, ohne daß man größte Schande erführe; pflegen wir doch sogar unsere Freunde für sie um Hilfe zu bitten.« Das lief alles recht zwanglos und selbstverständlich. Für größere Gruppen war da gar kein Platz, es gab gar keine großen Interessen, um die sie sich hätten bilden können. Daher blieben die Interessen in der Regel vereinzelt, mußten von Fall zu Fall in anderen Kombinationen zur Geltung gebracht werden, je nachdem wer gerade gegen wen seine Verbindungen anzog. Entsprechend suchten die Bürger als Wähler ihren Verpflichtungen gerecht zu werden. Sie hatten zu kommen, wenn ihre Patrone und Freunde kandidierten oder wenn sich diese bei der Wahl sehr stark für einen engen Freund einsetzten. Da sehr viele mehrere Verbindungen nebeneinander unterhielten, war freilich die Mobilisierung von Einfluß schwierig. Etwa war nicht zu erwarten, daß einer einem Freund zuliebe eine längere Reise tat, nur um dessen Freund zu wählen, es sei denn er war ihm ungewöhnlich stark verbunden. Die Fernerwohnenden brauchten vermutlich nur zu kommen, wenn ihre eigenen Freunde zur Wahl standen und manchmal vielleicht nur bei Wahlen zu den höheren Magistraten. Weil die Verpflichtungsverhältnisse die Situation so weit überdauerten,
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konnten sie dann gleichwohl im Senat auf die Unterstützung rechnen, die sie gelegentlich brauchten. Es waren vor allem persönliche, keine sachlichen Beziehungen, in denen die Römer zueinander standen. Überall waren die Adligen beteiligt, als Fürsprecher, Vermittler, Entscheidende. Sie hatten dadurch eine beachtliche Präsenz in allen Angelegenheiten. Voraussetzung war, daß große Themen nur ausnahmsweise auf die Tagesordnung kamen. Sonst hätte Rom das alte System kaum beibehalten können, nach dem Wahlen nur dazu da waren, Magistrate zu bestellen und nach dem die Zusammensetzung der höchsten Körperschaft sowie die Gewichte in ihr nur indirekt und pro Jahr nur etwa zu einem Dreißigstel durch Wahlen beeinflußt wurden (indem die jeweils gewählten zwanzig Quaestoren in den Senat aufgenommen wurden, die anderen Magistrate im Rang aufrückten). Ein sachlicher »Wille der Wählerschaft« konnte sich da nicht herausbilden, vielmehr waren die Interessen der Summe Einzelner an der Förderung ihrer Kandidaten bestimmend. So war man in der eigenen Laufbahn zumindest insofern auf sich gestellt, als man nicht zu festen Gruppen gehörte. Man stand allerdings im Zusammenhang mit vielen Freunden und Anhängern, aber jeder hatte dabei seine eigenen Kombinationen und mußte sehr darauf bedacht sein, sie zu pflegen. Trat nun jemand wie Caesar relativ neu, ohne viele Verbindungen geerbt zu haben, in diese Welt ein, so mußte er danach trachten, sich besonders viele Herren zu verpflichten, etwa als Redner oder Vermittler für sie vor Gericht und im Senat. Er hatte sich für viele bereitzuhalten. Wir wissen auch, daß Caesar das vielfältig getan hat. Ein Teil des Wahleinflusses organisierte sich ferner über die Tribus, die fünfunddreißig Unterabteilungen der Bürgerschaft. Es hatte sich so eingebürgert, daß die jungen Adligen in ihrer eigenen Tribus sich besonders intensiv für die Wähler einsetzten. Jede Art der Gemeinsamkeit war in einer solchen Welt natürlich ein Argument, andere in Anspruch zu nehmen.
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Daraus entwickelte sich ein gewisser Zusammenhalt unter den Tribus-Genossen, diese waren folglich stolz, wenn einer der Ihren gewählt wurde. Und die jungen Herren, die ihre Laufbahn aufzubauen hatten, versuchten daraufhin, ihre Genossen zu überreden, bestimmten Kandidaten ihre Stimme zu geben, auf daß diese bei passenden Gelegenheiten entsprechende Gegenleistungen boten. So konnte in etwas größerem Stil Wahleinfluß organisiert werden. Solchem Muster folgte auch der Weg des jungen Caesar. »Tage und Nächte sich mühen in nicht nachlassendem Streben«, so beschreibt der Dichter und Philosoph Lucrez den Aufstieg zu den höchsten Ehren. Die jüngeren Adligen hatten viele Anstrengungen und Beschwerlichkeiten auf sich zu nehmen. Es durfte freilich nicht in ordinären Fleiß oder gar in die vorwurfsvolle Tüchtigkeit eines homo novus – wie Cicero – ausarten. Keineswegs alles nämlich erschloß sich der mühevollen Arbeit, wie wenn es nur um die Addition guter Beziehungen gegangen wäre. Denn es gab noch einen weiteren Komplex von Wahlmotiven, das war die existimatio, der Ruf, das Prestige. Darin schoß vieles zusammen, was insbesondere die dem Kandidaten nicht direkt Verpflichteten unter den Wählern von seiner Würdigkeit überzeugen mußte. Dazu gehörten Ansehen und Alter der Familien, das Gedenken an Leistungen des Vaters und der Vorfahren, die Erinnerung an prächtige Spiele, die der Kandidat gegeben, an öffentliche Bauten, die er errichtet, an Getreidespenden, die er verteilt hatte, vielleicht auch an militärische Erfolge oder mehr oder weniger spektakuläre politische Aktionen. Dazu gehörten ferner die Weise, in der er sich aufführte, sein Stil, sein Auftreten. Auch die Art, in der er Clienten und Hilfesuchenden begegnete und ihnen beistand, trug zur existimatio bei, zudem die Größe des Gefolges, das ihn umgab, der Grad seiner Bekanntheit, die Anzahl der Hände, die er schüttelte. Es wurde darauf geachtet, wem die führenden Nobiles ihre Unterstützung liehen. Der Kandidat hatte dabei wohl eine Mitte zwischen Vornehmheit und Beflissenheit zu finden und einzuhalten, durfte
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nicht plebejisch sein, mußte aber mancherlei Unwürdiges tun, wenn er am Ende zu Rang, Ehre, Würde des Consuls aufsteigen und damit in die Reihe der Principes einrücken wollte. Nur für homines novi galten besondere Bedingungen. Die existimatio war immer wichtig. In ihr erst verdichtete sich die Summe der Beziehungen zur Wahlchance, so daß sich die Suggestion des Erfolgversprechens einstellte. Da jeder Wähler bei der Consulwahl zwei Stimmen hatte, oft aber nur mit einer gebunden war, waren in der Regel viele Stimmen frei, um einem besonders ansprechenden, besonders erfolgversprechenden Kandidaten den Zuschlag zu geben. Wie Caesar da seinen Kurs bestimmte, ist unklar. Wollte er sich wirklich durch Fleiß und Arbeit auszeichnen? Oder wollte er es eher nicht? Oder wollte er nur, daß es nicht so aussah? War es ihm ganz ernst mit dem regelrechten Bestrebtsein nach immer mehr guten Beziehungen oder wirkte auch etwas vom Spieler in ihm, der größere Sprünge auf einmal riskieren will? Und wenn er zum Außenseiter mindestens tendierte, ließ er das offensichtlich werden? Förderte oder hemmte es ihn? Und nicht zuletzt: Wenn das Gros gleichsam eher im Schutz des Ufers ruderte und er wirklich weiter draußen seine Bahnen gezogen haben sollte, brauchte sein Schiff da nicht ein entsprechendes Schwert, um sich zu stabilisieren? Reichte dafür eine abstrakt verstandene Pflicht für das Gemeinwesen? Konnte Caesar wie Cicero jenes Schwert etwa in der Theorie finden, im – primär theoretischen – Willen, das Ganze des Gemeinwesens gegen die auseinanderstrebenden Teile zur Geltung zu bringen? Aber vielleicht trug ihn einstweilen noch jugendliche Unbekümmertheit über alle Schwierigkeiten hinweg und erlaubte ihm, sich zunächst noch alles offenzuhalten. Wenigstens einige dieser Fragen lassen sich aus dem, was kommen sollte, annähernd beantworten. Seine Quaestur im Jahre 69 leistete Caesar in der Provinz Hispania Ulterior (in Südspanien) ab. Er hatte die Aufgabe, in Teilen der Provinz den Gerichtsverhandlungen vorzusitzen. In Gades, dem heutigen Cadiz, soll es ihn, so berichtet Sueton,
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beim Anblick des Alexander-Denkmals, das dort nahe dem Herkules-Tempel aufgestellt war, überkommen haben: Er war einunddreißig, hatte bisher noch nichts Bemerkenswertes geleistet; und Alexander hatte in diesem Alter schon die Welt erobert. Unglaubhaft ist das gewiß nicht; aber einzigartig ist es auch nicht. Alexander-Vergleiche lagen im damaligen Rom in der Luft. Sueton setzt in diese Zeit auch den Traum, in dem Caesar seine Mutter vergewaltigt; da die Mutter für die Erde stehe, sahen Traumdeuter darin die Verheißung der Weltherrschaft. Aber die Wahrscheinlichkeit spricht dafür, daß Plutarch, der diesen Traum in die Nacht vor dem Rubicon-Übertritt legt, die besseren Gewährsmänner hatte; mindestens dafür, daß Caesar von einem solchen Traum erzählte. Gleichwohl könnte es richtig sein, daß er es beim Gedanken an Alexander nicht beließ, daß ihn vielmehr drängende Ungeduld überfiel, daß er die Befürchtung hatte, seine Zeit zu versäumen, und vorzeitig nach Rom zurückfuhr. In dieser Entschiedenheit mag dann doch etwas Caesarisches stecken. Ebensogut ist es aber möglich, daß die Nachricht von seinem übereilten Aufbruch falsch ist. Denn die Berichte über Caesars Frühzeit sind nicht unbedingt verläßlich. Hier könnte eine Verwechslung vorliegen mit seinem später, im Jahre 60, nachweislich vorzeitig erfolgten Aufbruch aus der spanischen Statthalterschaft. Caesar reiste auf dem Landweg durch Gallien und hielt sich dabei eine Weile in der (oberitalienischen) Provinz Gallia Cisalpina auf. Die dortigen Städte waren weitgehend romanisiert, sie besaßen aber noch nicht das volle römische Bürgerrecht. Viele waren unzufrieden deswegen, und Caesar scheint sie aufgestachelt zu haben. Kaum wahrscheinlich, daß er sie zum Aufstand überreden wollte; es wäre jedenfalls höchst leichtfertig gewesen. Eher hat er gehofft, daß sie massiven Druck ausüben würden und daß er sie darin unterstützen könnte. Er wollte sich als ihr Fürsprecher stark machen, um so mit einem Schlag eine große Clientel zu erwerben. – Wir wissen, daß von den Bürgern dieser Provinz, deren prominente Familien allesamt schon voll ins Bürgerrecht aufgenommen waren, sehr viel
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Wahleinfluß in Rom ausgeübt wurde. Aber wenn überhaupt ein Antrag zu Gunsten der Gallier gestellt worden ist, hat der Senat ihn vereitelt. In Rom hat Caesar dann von neuem geheiratet, und zwar Pompeia, die Enkelin der beiden Consuln von 88, des Sulla und seines Verbündeten Quintus Pompeius Rufus. Diese merkwürdige Verbindung kann kaum als Versuch gedeutet werden, mit den Sullanern anzubinden; vielleicht war wirklich Liebe das Motiv. Denn von einer Veränderung der politischen Haltung Caesars ist nichts zu spüren. Oder hatte er zwischen Sulla und den Sullanern unterscheiden gelernt – so daß er sich dem grausamen Reiz des Dictators voller ausgesetzt sah? Im Jahre 67 unterstützte Caesar Pompeius, als es darum ging, daß der durch Volksgesetz ein umfassendes Kommando gegen die Seeräuber erhielt. Die beherrschten inzwischen weiteste Teile des Mittelmeers. Mit ganzen Flotten waren sie unterwegs. Sie hatten sogar in Roms Hafen Ostia einzufahren gewagt, um dort zu plündern. Die Städte an den Küsten, Handelsgesellschaften, Reeder und Schiffsherren waren um ihrer Sicherheit willen gezwungen, ihnen Tribut zu entrichten. Es herrschte da also schon eine neue, von den Piraten bestimmte Ordnung. Die Gier nach Beute und die stille Sehnsucht nach Anarchie, nach freiem, abenteuerndem Sich-Ausleben griff um sich, und so strömten den Piraten immer neue Kräfte zu. In Rom aber breitete sich spürbar Mangel aus, und er scheint durch Zurückhalten der vorhandenen Vorräte absichtlich noch gesteigert worden zu sein. Der Senat ergriff höchstens Gegenmaßnahmen, wenn es wirklich ganz schlimm kam. Doch war seine Abwehr dann fahrig und unangemessen. Die Piraten waren zudem so schnell und wendig, daß man sie kaum fassen konnte. Und vor allem: Keiner glaubte mehr recht, daß man ihrer so bald Herr zu werden vermöchte. Das war die Stunde des Pompeius. Er war in der Tat der einzige, der sich auf eine Kriegführung großen Stils verstand, auch zur See, wie sich dann herausstellte. Der Volkstribun Aulus
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29 Er war in der Tat der einzige, der sich auf eine Kriegführung großen Stils verstand, auch zur See, wie sich dann herausstellte. Pompeius. Münze aus einer Prägung der pompeianischen Flotte unter dem Kommando von Pompeius’ Sohn Sextus (44-43 v. Chr.). Gabinius beantragte also, zunächst ohne den Namen seines Meisters zu nennen, ein großes proconsularisches Kommando einzurichten, das einer der Consulare übernehmen sollte. Ihm sollte eine große Flotte zur Verfügung gestellt werden, über die Aushebung von Soldaten und Rudermannschaften sollte er nach eigenem Ermessen verfügen. Eine ungeheure Menge Geldes wurde ihm bewilligt, darüber hinaus Kredit bei allen öffentlichen Kassen eingeräumt. Fünfzig Meilen, also fünfundsiebzig Kilometer landeinwärts sollte er an allen Küsten des Mittelmeers eine Befehlsgewalt haben, die derjenigen des jeweiligen Statthalters gleich war. Fünfzehn Legaten – hohe Offiziere aus dem Senat – mit der Vollmacht eines Praetors sollte er berufen können, dazu zwei Quaestoren erhalten, und dies Kommando sollte für drei Jahre gelten.
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In der Bemessung dieser Vollmacht äußerten sich die Vorstellungen des Pompeius. Er liebte es nämlich, durch Einsatz von Übermacht seine Schlachten zu schlagen und so den Sieg von vornherein zu sichern. Er war ja auch fähig, diese Überlegenheit zu organisieren, mit ihr zu arbeiten. Jeder wußte, daß Pompeius cupientissimus legis, wie Sallust formuliert, also höchst begierig auf das Gesetz war, was er freilich weit von sich wies. Seine Ruhe, so ließ er verlauten, wolle er haben, ganz und gar kein Kommando. So ist er immer verfahren seit diesem Jahre: Er ließ sich, was er an Aufträgen und Vollmachten wünschte, stets nur unter heftigem Sträuben aufdrängen. Das habe mit seinem Charakter zusammengehangen, wird gesagt; aber es war auch Klugheit. Auf reguläre Ämter behauptete ein römischer Adliger einen Anspruch zu haben. In aller Offenheit bekundete er, daß er etwa Consul werden wolle, daß ihm das angesichts seiner Ahnen, angesichts seines Leistungsvermögens zukomme. Bei außerordentlichen Kommandos war das anders. Man kam, wenn man sie anstrebte, in den Geruch, Außerordentliches zu wollen. Pompeius stieß deshalb auch sogleich auf heftigsten Widerstand. Seine Gegner erklärten, hier solle die Herrschaft fast über die ganze Erde einem einzigen Manne übergeben werden. Eine außerordentliche Streitmacht konnte er aufstellen, über das ganze Mittelmeer gebieten. Schlimmste Befürchtungen wurden wach. Wer konnte wissen, ob er das Kommando wieder so leicht hergeben würde wie im Jahre 71? Ohnehin war Pompeius den im Senat ausschlaggebenden Kreisen unheimlich. Seine Stellung war zuletzt auch für ihn unbefriedigend gewesen, da man ihn einfach links liegengelassen hatte in seiner etwas aufgeblähten Würde. Sollte er nach dem Kommando auf diesen Stand zurückkehren wollen? Man verdächtigte ihn also, nach dem Königtum zu streben. Wenn er Romulus werden wollte, warf ihm der Consul Piso vor, sollte er auch dessen Ende bedenken. Denn Roms erster König war nach einer Überlieferung von den Senatoren ermordet und zerstückelt worden. Damit tat man Pompeius gewiß Unrecht. Aber es war für die Senatoren etwas so Seltsames in seiner Natur, in seinem
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Ehrgeiz, daß sie ihn für höchst widersprüchlich halten mußten: die Angst vor ihm war so verständlich wie unbegründet. In Wirklichkeit lag diese Widersprüchlichkeit freilich nicht primär in Pompeius’ Natur, sondern in der Distanz, in die er zu den anderen Senatoren geraten war. Er erkannte wirklich die Probleme des Herrschaftsbereichs und wollte sie lösen; sie aber sahen nur sein Machtstreben. Er wollte zwar glänzen und in einer Vorzugsstellung anerkannt werden, aber das alles sollte im Sinne des Senats geschehen; sie dagegen erblickten darin eine Bedrohung der grundlegenden oligarchischen Gleichheit, eine Gefahr für die Wahrnehmung ihrer zentralen Verantwortung. Solch ein Mann konnte sich dem Senatsregime nicht einfügen. Damit hatten die Gegner des Pompeius recht, es war so. Nur konnte Pompeius das nicht verstehen, weil er es anders meinte. Er betrachtete Senat und res publica eher von außen, von den sachlichen Aufgaben, sie dagegen von innen, von der bedrohten Ordnung her. Beide hatten recht. Nur schlossen eben inzwischen die Wahrung der Ordnung und die Erledigung ungewöhnlicher Aufgaben einander aus, weil mit der Erledigung dieser Aufgaben zu viel Machtgewinn verbunden war; weil der Senat zu ängstlich und folglich zu eng und zu schwach über seiner Verantwortung wachte. Darin bestand der Widerspruch. Senat und Pompeius vertraten im Grunde zwei Wirklichkeiten, die immer weiter auseinanderklafften. Aber sie wußten das nicht. Und Pompeius wollte obendrein sowohl die sachlichen Aufgaben lösen als auch dem Senat und der ganzen Gesellschaft gefallen. So bestimmte jener Widerspruch mit der Zeit seine Haltung und drang in sein Inneres ein. »Biederen Gesichts, unverfrorenen Gemüts«, so hat Sallust ihn charakterisiert. Mit jenem versuchte er seiner senatstreuen Gesinnung gerecht zu werden, mit diesem seinem Ehrgeiz, auch gegen den Willen des Senats alle wichtigen Aufgaben zu lösen – und mit der Zeit allerdings dann auch seine Position gegen den Senat zu festigen. Hier im Jahre 67 begann der Gegensatz zwischen Pompeius und dem Senat. An seinem Anfang stand der feste Wille des
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Senats, nach den Erfahrungen der letzten Jahrzehnte keinem Mann mehr überragende Macht zuzubilligen. Der Grundsatz, nach dem das geschah, lautete: Es soll nichts Neues geschehen gegen das Beispiel, gegen die Einrichtungen der Väter! Der Hunger des Volkes, das erbärmliche Versagen der römischen Herrschaft, das Wuchern anarchischer Piraterie interessierten dagegen nicht. Die Wahrung der Ordnung, der Freiheit war wichtiger. Die Senatoren veranlaßten zwei Volkstribunen, ihr Veto gegen Gabinius’ Antrag einzulegen. Nicht nur die breite Masse war empört, auch die Ritter, die unter der Unsicherheit der Meere besonders zu leiden hatten. Gabinius und dessen Verbündete waren entschlossen, ihre gute Sache zum Sieg zu führen. Es kam zu tumultuarischen Auseinandersetzungen, in deren Verlauf Gabinius aus dem Senat und der Senat vor einem Volkshaufen fliehen mußte; der Consul wurde festgehalten und fast erschlagen. Das tribunicische Veto fegte der Antragsteller nach dem Muster des Tiberius Gracchus beiseite: Er bedrohte den intercedierenden Tribunen mit Absetzung und hätte sie wohl vorgenommen, wenn der nicht in letzter Minute nachgegeben hätte. Der andere wagte daraufhin nur vorzuschlagen, daß ein College mit gleicher Vollmacht dem Pompeius beigegeben werden sollte, und auch das konnte er bei dem allgemeinen Lärm nicht sagen, sondern nur durch Fingerzeichen andeuten. Darauf soll die Volksmenge vor Wut so laut aufgeschrien haben, daß ein Rabe, der über das Forum flog, das Gleichgewicht verloren habe und zur Erde gestürzt sei. Cicero berichtet, das Forum sei damals voll von Menschen gewesen, alle Tempel besetzt, von denen aus man auf die Rednertribüne sehen konnte. Dann wurde das Gesetz angenommen. Als darauf in einem weiteren Gesetz das eingerichtete Kommando an Pompeius gegeben wurde, erhöhte man die Zahl der Legaten auf vierundzwanzig und beschloß zusätzliche Aushebungen. Sofort begann Pompeius mit den Rüstungen, und schlagartig stürzten die Getreidepreise, der Markt füllte sich mit Gütern. Man hatte wieder Vertrauen in die Ordnung und in Roms Macht. Alle Spekulation auf seine Schwäche fiel
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in sich zusammen. Das alles konnte die Entschiedenheit eines einzigen Mannes bewirken. Dann machte Pompeius systematisch Jagd auf die Piraten. Innerhalb von vierzig Tagen war das westliche Mittelmeer durchgekämmt, sie flüchteten in Richtung Cilicia (an die Südostküste Kleinasiens). Nach weiteren neunundvierzig Tagen war auch das östliche Mittelmeer von der Plage befreit. Pompeius hatte die Seeräuber in ihren Schlupfwinkeln besiegt. Danach aber verfuhr er mit großer Milde, indem er die Gefangenen nicht hinrichtete oder verkaufte, sondern in verödeten oder zerstörten Städten ansiedelte. Einer davon gab er den Namen Pompeiopolis. Caesar, so heißt es, sei der einzige Senator gewesen, der den Antrag unterstützt hat. Das könnte sich auf eine bestimmte Debatte beziehen, die sich dann in Abwesenheit des Gabinius und seiner Verbündeten abgespielt hätte. Und es würde für Caesars großen Mut sprechen, denn die Stimmung war äußerst gereizt. Später waren es allein vierundzwanzig Senatoren, darunter zwei Consulare, die sich Pompeius als Legaten zur Verfügung stellten, allerdings nachdem das Gesetz schon angenommen worden war. Im Jahre 66 wurde auf ähnliche Weise ein umfassendes Kommando gegen Mithridates geschaffen und wiederum an Pompeius verliehen. Alle Truppen östlich Italiens sollten ihm unterstehen, er sollte nach Ermessen Kriege führen und Verträge schließen können. Wieder meldete sich heftiger Widerstand, doch bekannten sich jetzt vier Consulare offen zu dem Antrag, Cicero und Caesar befürworteten ihn und auch die Ritter setzten sich stark dafür ein, zumal der bisherige Kommandeur, Lucullus, indem er die Schulden der Provinzialen herabsetzte, sie in ihrer Ausbeutung stark beeinträchtigt hatte. Was die Seeräuber anlangte, mag Caesar auch an der Sache selber interessiert gewesen sein; auf jeden Fall war es ihm wichtig, Pompeius für sich einzunehmen. Wenn er sich je gegen die Senatsmehrheit stellen wollte, war der sein natürlicher Verbündeter. Pompeius war aber zugleich der Patron der Popularen, also derjenigen, die jeweils die populare Rolle spielten,
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und der Menge, an die sie sich dabei wandten. Er hatte die tribunicische Gewalt wiederhergestellt. Jetzt hatten sie ihn auf den Schild gehoben, und seine raschen, großen Erfolge hatten die populare Agitation und Gesetzgebung voll gerechtfertigt. Wenn es zu ihrer Rolle gehörte, daß es da eine ideelle Kontinuität gab, so mußte Pompeius auch weiterhin im Zentrum der popularen Propaganda stehen. Und das um so mehr, als führende Senatoren die Tribunen, die sich für ihn eingesetzt hatten – mit Ausnahme des Gabinius, der sein Legat geworden war –, vor Gericht zogen. Sie wollten nicht zulassen, daß Verletzungen des tribunicischen Vetos, auf das sie seit 70 gegen Gesetzesanträge wieder angewiesen waren, ungeahndet blieben. Die Verteidiger beriefen sich auf Pompeius, teilweise mit Erfolg, zumal bei den ritterlichen Richtern. So gewann Caesar denn auch, indem er sich für Pompeius einsetzte, die Gunst der Popularen und eines Teils der städtischen Menge. Das wird ihm ebenfalls höchst erwünscht gewesen sein. Wohl ein Jahr später wurde Caesar zum Verwalter (curator) der Via Appia gewählt, der alten nach Süden führenden Straße, die Rom mit Brindisi verband. Diese Verwalter hatten den Straßenzustand zu kontrollieren und allfällige Reparaturen, gelegentlich wohl auch Verbesserungen vorzunehmen. Die römischen Straßen boten damals noch nicht den imposanten Anblick, den wir heute etwa an der Via Appia bei Rom bewundern. Zumeist sind sie erst in augusteischer Zeit mit großen Steinen gepflastert worden. Der frühe Straßenbau hatte darin bestanden, das Areal zu erwerben, die gerade durch die Landschaft sich ziehenden Wege zu bahnen, Unebenheiten möglichst auszugleichen, mit Kies und Sand die Oberflächen zu befestigen, hier Brücken zu bauen, dort Fähren einzurichten, wenn man sich nicht mit Furten behalf. Stets gab es da vieles auszubessern, etwa Strecken zu pflastern, neue Brücken, Pferdewechsel-Stationen, Absteigen oder auch Anschlußstraßen zu errichten. Das Amt war beliebt; es gab Gelegenheit, sich allen Reisenden zu empfehlen. Entsprechende Inschriften auf den Mei-
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lensteinen wiesen auf die Verdienste der Curatoren hin. Weniges machte so guten Eindruck auf die zu den Wahlen nach Rom Reisenden. Das war auch ein Grund dafür, daß man vom Gemeinwesen her keine nachhaltige Verbesserung des gesamten Straßenbaus, etwa eine umfassende Steinbepflasterung, vornahm: Es hätte dem, der ein solches Gesetz gab und ausführte, zuviel Macht verschafft. So blieb es den einzelnen Curatoren überlassen, das Wenige zu tun, was sie konnten und für richtig hielten. Die Verwaltung des Amtes war im großen Ganzen ein Organisationsproblem. Anscheinend konnte man die AnliegerGemeinden zu den Reparaturen heranziehen; es standen wohl auch gewisse öffentliche Mittel bereit. Außerdem waren entlang den Straßen Männer zu besonders günstigen Bedingungen mit öffentlichem Land versehen worden, die zu deren Unterhaltung beizutragen hatten und die man also dazu anzuhalten hatte, daß sie es auch wirklich taten. Darüber hinaus griffen ehrgeizige Curatoren gern in die eigene Tasche, um sich in irgendwelchen Bauten zu verewigen. Von Caesar wird berichtet, daß er das ausgiebig getan habe. In dieser Zeit begann er, sich in großem Umfang zu verschulden. In gewissem Maße gehörte das zur politischen Laufbahn. Die jungen Adligen übertrafen sich immer mehr in kostspieligen Unternehmungen, um Aufmerksamkeit auf sich zu lenken und die breite Masse für sich einzunehmen. Ihre Einkünfte reichten oft bei weitem nicht an ihre Bedürfnisse heran. Daher mußten sie große Darlehen aufnehmen, die ihnen auch bereitwillig gewährt wurden, sofern sie nur Aussicht auf eine gute Laufbahn hatten. Denn mit der Zeit mußten ihre Einnahmen wachsen, auf die Praetur folgte ihre erste Statthalterschaft, dort konnten sie größere Beträge in ihrer Verwaltung sparen und vor allem von den Provinzialen erpressen. Caesar allerdings scheint weit über das übliche Maß hinausgegangen zu sein. Er hatte gar keinen Sinn für die DebetSeite seines Budgets. Mit derart kleinlichen Rücksichten sollte ihm keiner kommen. In dieser Hinsicht war er frühzeitig – spätestens in der Mitte der sechziger Jahre – ein großer Herr.
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Schon sein privater Verbrauch war hoch; er sammelte mit Leidenschaft Edelsteine, kunstvolle Vasen und alte Bilder. »Gut gewachsene Sklaven«, berichtet Sueton, »soll er zu ungeheuren Preisen gekauft haben, so daß er sich dessen selbst schämte und verbot, die Summen in die Rechnungsbücher einzutragen.« Er umgab sich eben gern mit Schönem, mit Luxus und Eleganz. Sueton berichtet auch, er habe Weisung gegeben, eine Villa nahe dem Nemisee, die er mit großem Aufwand hatte erstellen lassen, einzureißen, da er sie doch nicht ganz nach seinem Geschmack fand, »obwohl er damals noch in bescheidenen Verhältnissen und sehr verschuldet lebte«. Nicht billig können ferner seine galanten Abenteuer gewesen sein, zumal er sich auch den Damen gegenüber gern großzügig erwies; selbst wenn er nicht immer so große Geschenke machte wie seiner besonders teuren Freundin Servilia – der Mutter des Brutus – im Jahre 59, als er ihr eine Perle im Wert von anderthalb Millionen Denaren kaufte. Ein Großteil seiner Aufwendungen kam aber auch seiner Laufbahn zugute. Im Jahre 66 wurde er für 65 zum Aedilen gewählt. Dieser römische Magistrat war für die Polizeifunktionen der Stadt zuständig, für die öffentliche Ordnung – sofern sie nicht in größerem Stile bedroht war –, die Marktpolizei, die Aufsicht über Bäder, Bordelle, die Getreideversorgung und -verteilung, auch über die Wasserzufuhr. Zu diesem Zweck hatte er eine gewisse Jurisdiktion. Daneben oblag diesem Amt die Ausrichtung der regulären Spiele, daher war es bei den ehrgeizigen Adligen so beliebt. Hier konnten sie sich großartig hervortun, wenn sie – über das hinaus, was das Ärar ihnen anwies – entsprechend viel aufwenden wollten. Caesar hat sich da nicht lumpen lassen. Er veranstaltete zudem große Tierhetzen, teils gemeinsam mit seinem Collegen Marcus Calpurnius Bibulus, teils auch ganz auf eigene Rechnung. Eben dadurch erreichte er, daß er es vor allem war, der den Dank erntete. Zu Ehren seines im Jahre 85 verstorbenen Vaters richtete er überdies Gladiatorenspiele aus. Etwas spät zwar, aber so hatte
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es den Vorteil, daß sie bei den Wahlen zu Praetur und Consulat noch frischer im Gedächtnis waren. Dabei entfaltete er einen beispiellosen Luxus. Dreihundertzwanzig Paare sollten gegeneinander antreten; ob das auch wirklich geschehen ist, wissen wir nicht. Entweder vorher oder gleich darauf faßte der Senat nämlich einen Beschluß, der die Zahl der Gladiatoren beschränkte. Glaubhaft bezeugt ist aber, daß Caesar als erster alle beteiligten Kämpfer in silberner Rüstung auftreten ließ. Und das war ein großes Ereignis, das sich einprägen mußte: Dieser junge Mann kleckerte nicht, er klotzte. Es erscheint wie Angeberei, wie Großmannssucht, und dieser Eindruck kann kaum ganz trügen. Caesar wollte auch in dieser Hinsicht etwas offensichtlich Besonderes sein. Darin mochte sich die Unsicherheit des jungen Außenseiters spiegeln, wahrscheinlich auch der Wunsch, seine künftige Wahlmacht in großem Stil aufzubauen, nicht in den mühsamen Schritten täglicher Kleinarbeit. Diese Arbeit verschmähte er zwar nicht, aber er wollte darin auch nicht aufgehen. Aus seiner aedilicischen Amtsführung ist weiterhin bekannt, daß Caesar damals außer auf dem Comitium – dem Versammlungsplatz am Forum –, dem Forum und in den Basiliken auch auf dem Capitol provisorische Säulenhallen aufbauen ließ, um wenigstens einen Teil seiner Sammlungen darin auszustellen. In dieser Zeit tritt zugleich ein zweiter, enger angelegter Zug seiner Politik immer deutlicher hervor: Das ist der Wunsch, auf der popularis via, dem popularen Wege, voranzuschreiten. Als für Straßen und Plätze zuständiger Magistrat ließ er eines Nachts die Siegeszeichen wieder aufstellen, die von Marius anläßlich seiner Siege über Jugurtha und die Cimbern und Teutonen errichtet worden waren und die Sulla dann hatte niederreißen lassen. Im Senat herrschte helle Aufregung und Empörung; Quintus Lutatius Catulus, der nach allgemeinem Urteil angesehenste Mann im Senat, klagte ihn an. Er soll gesagt haben, Caesar greife die Republik nicht mehr mit Minengängen, sondern schon mit Sturmböcken an. Caesar verteidigte sich dagegen erfolgreich. Vermutlich hat er sich, wie bei anderen Gelegenheiten, ungerührt gezeigt,
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unschuldig und erstaunt, wohl wissend, was die Gegner meinten, doch aus seiner Außenseiterperspektive heraus es nicht wirklich verstehend, so daß er mit einer an Hochmut grenzenden Überlegenheit auftreten konnte. Er hatte längst herausgefunden, wie sehr man die würdigen Herren durch eine souveräne Argumentation, ohne sie anzugreifen, an den Rand ihrer Fassung bringen konnte. Vermutlich hat er dargelegt, es sei an der Zeit, die alte Feindschaft zu begraben und die Verdienste des Kriegshelden wieder anzuerkennen. So entsprach es römischem Großmut; die Römer taten sich etwas darauf zugute, verzeihen zu können. Und das konnte so leicht nicht widerlegt werden; so bitter es war, er hatte recht. Die Menge aber, oder was auf die Kunde hin zusammenlief, brach in Begeisterung aus. Im folgenden Jahr präsidierte Caesar einem Geschworenengericht, als zwei Männer angeklagt wurden, von denen der eine in Sullas Auftrag einen Mord verübt, der andere einige der seinerzeit durch Proscriptionen legal geächteten Bürger erschlagen und gegen deren Köpfe eine Belohnung aus der öffentlichen Kasse bezogen hatte. Caesar nahm die Anklagen an, und das Gericht verurteilte den einen, den anderen sprach es frei; das war der nachmalige Verschwörer Catilina. Übrigens hat damals Marcus Porcius Cato, später einer der entschiedensten Verfechter der Senatspolitik, als Quaestor den Beteiligten an den Proscriptionen die Geldprämien wieder abgenommen. Beide nahmen sie gegenüber den Einverständnissen der herrschenden sullanischen Aristokratie eine extreme Position ein; der eine, weil er gegen Sulla, der andere, weil er für das Recht war. Beide waren sie Außenseiter, beide hatten sie von daher eine besondere Klarheit des Blicks. Nur bewegte sich der eine recht frei – was seinen Glanz ausmachte –, während der andere sich starr auf das Herkömmliche verpflichtet sah. In ihrer Unzufriedenheit mit dem Bestehenden ähnelten sie sich. Doch waren die Konsequenzen, die sie daraus zogen, grundverschieden. Deswegen finden wir sie hier auf einer Linie und markieren sie später, als sie mächtig waren, die äußersten Gegensätze in Rom.
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Wenn man soweit im Zweifel sein kann, ob Caesars Politik primär antisullanisch oder popular war, so folgte dann im Jahre 63 eine ganze Reihe von eindeutig popularen Stellungnahmen. Sie sind schwer zu verstehen. Denn wenn Caesar, wie man annehmen muß, daran lag, Consul zu werden, so mußte er innerhalb der Centuriatcomitien starken Anhang haben. Denn die Wahlen zu den höheren Magistraten wurden ja in der alten Heeresversammlung vorgenommen. Alle beschließenden römischen Volksversammlungen waren gegliedert, und wenn auch in verschiedener Weise, so galt doch überall das Prinzip, daß die Stimmen der Wähler nur innerhalb der Stimmkörper zählten. Das Gesamtergebnis war dasjenige, für das die absolute Mehrheit der Stimmkörper sich entschied. In jedem von ihnen wurde, etwa bei der Consulwahl, ermittelt, wer die meisten und wer die zweitmeisten Stimmen erhalten hatte, das Ergebnis wurde der Wahlleitung gemeldet. Die Centuriatcomitien aber waren nach Vermögen in sehr ungleiche Stimmkörper aufgeteilt; es entschieden dort die wohlhabenden Teile der Bürgerschaft. Die breite Menge hatte dagegen fast nichts zu sagen – sie mochte höchstens die wahlvorbereitende Stimmung beeinflussen. Soweit Caesar seine Politik auf sie berechnete, konnte er direkt also wenig gewinnen, andererseits bei den oberen Schichten Einiges verlieren. Vielleicht aber ging es ihm auf seiner popularis via um einen indirekten Gewinn? Oder um eine Position, die über das Consulat hinausging? Die römische Plebs lebte schon lange in großem Elend. Und sie neigte, wie Sallust schreibt, zum Umsturz. Er nennt ihren Sinn (mens) aliena, fremd, wie wenn er ihr nicht gehörte, wie wenn sie sich selbst entfremdet gewesen wäre und fremd in ihrem Gemeinwesen, seelisch nicht einverleibt, nicht »einversinnt«. Sallust spricht von der Gewalt einer Krankheit, die wie Schwindsucht die Bürger befallen habe. »Immer sehen in einer Bürgerschaft die, die keine Mittel haben, auf die Guten (die Tüchtigen und Wohlhabenden) mit Neid, heben sie die Schlechten empor, hassen sie das Alte, begehren sie das Neue;
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aus Verdruß über die eigene Lage sind sie dafür, alles zu ändern. Durch Wirren und Aufruhr werden sie ohne Sorgen genährt, da ja die Armut leicht ohne Schaden unterhalten wird. Allein, die stadtrömische Masse, die befand sich aus vielen Gründen auf einer besonders abschüssigen Bahn.« Alle nichtsnutzigen Elemente strömten dort wie die Abwässer im Kielraum eines Schiffs zusammen. Schiffsjauche der Stadt (sentina urbis) nannte Roms Aristokratie deswegen auch die Menge. »Außerdem hatte die Jugend, die auf dem Lande bei harter Arbeit ein armes Leben ausgehalten hatte, durch private und öffentliche Großzügigkeit angeregt, das städtische Nichtstun einer undankbaren Arbeit vorgezogen ... Kein Wunder, daß diese Leute für die Republik nicht anders aufkamen als für sich selbst.« Soweit wir es durch andere Quellen und durch das, was uns die Überlieferung an Argumenten bietet, kontrollieren können, ist das Bild der Armut, das hier durchschaut, richtig gezeichnet. Die Einkommen der meisten waren gering, oft lagen sie an der Grenze des Existenzminimums. Die Arbeit konnte knapp werden, das Auf und Ab der Geldzuflüsse, der Bautätigkeit, der Ernten, der Zufuhren über See war beträchtlich, die Verdienstmöglichkeiten waren entsprechend starken Schwankungen unterworfen. Gleichwohl mochte es mit der Ernährung wenigstens weithin und in der Regel hinkommen, nicht zuletzt dank öffentlicher und auch zahlreicher privater Getreideverteilungen und anderer Zuwendungen. Und darüber hinaus konnte man alle Kitzel des hauptstädtischen Lebens, die vielen Spiele, Neuigkeiten, Ereignisse genießen. Ein ernsthaftes Problem stellte jedoch seit langem schon das Wohnen dar. Die Stadt war stark übervölkert. Sie reichte in der späten Republik noch kaum über die »Servianische Mauer« (aus der Zeit nach 387) hinaus, aber die Zahl ihrer Einwohner hatte sich durch starke Zuwanderung, zumal von Sklaven und verarmten Bauern, inzwischen vervielfacht. Mit etwa 750 000 Einwohnern ist für die Zeit Caesars zu rechnen. Während die wohlhabenden Bürger große Komplexe für ihre luxuriösen Häuser, Wan-
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delhallen und kleinen Gärten brauchten – das Haus des Lepidus, um 78 das schönste in Rom, galt schon eine Generation später als relativ bescheiden –, wohnte man in anderen Teilen der Stadt in großen, dichtgedrängten Wohnblöcken (insulae). Man baute immer mehr in die Höhe, wobei auf die bestehenden Häuser oft einfach neue Stockwerke aufgesetzt wurden. Augustus bestimmte später als Höchstmaß die respektable Höhe von siebzig Fuß, das sind nahezu einundzwanzig Meter. Die Wände durften bei gemeinsamen Mauern eine Dicke von eineinhalb Fuß (0,444 Meter) nicht überschreiten, die übrigen Wände waren ähnlich dünn, um Raum zu gewinnen. Die oberen Geschosse ließ man gerne vorkragen. Dadurch waren die Straßen eng und dunkel, im Sommer allerdings auch kühl. Die Bauherren bauten möglichst billig. Jeder konnte Baumeister sein, der sich dafür ausgab; neben ausgezeichneten gab es nach dem Zeugnis des gelehrten Architekten Vitruv viele, »die nicht nur nichts von Baukunst, sondern überhaupt nicht einmal vom Handwerklichen etwas verstehen«. Um die Grundmauern nicht zu sehr zu belasten, baute man gern mit Holz, außerdem ging es schneller und war billiger. Ständig lebten die Mieter in der Gefahr, daß die Häuser einstürzten oder daß Feuer entstand, vor allem wenn im Winter mit glühender Holzkohle in breiten Becken geheizt wurde. Und die Mieten waren nicht gering. Es gab geradezu einen Circulus vitiosus: Die Bevölkerung wuchs, folglich stiegen die Grundstückspreise, wurde das Bauen teurer. Also sparte man am Baumaterial, dadurch stürzten die Häuser leicht ein oder brannten ab – und das Feuer war jeweils nicht leicht einzudämmen. Tausende wurden obdachlos, und damit wieder wuchs das Bedürfnis nach neuen Häusern. Catull preist damals in einem Gedicht einen Bettler, der nichts zu fürchten habe, keinen Brand, keinen Einsturz und natürlich auch keinen Diebstahl. Der reiche Marcus Crassus verdankte einen großen Teil seines Vermögens der Häuserspekulation. Er schaffte zunächst in großem Stil Sklaven an, etwa fünfhundert an der Zahl, die sich auf die verschiedensten Teile des Bauhandwerks verstanden. Brannte
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es irgendwo, so eilten seine Agenten hinzu und kauften das brennende und die benachbarten Häuser nach Möglichkeit zu geringen Preisen auf. So kamen große Teile Roms in Crassus’ Besitz, er baute in kürzester Zeit mit den eigenen Leuten neue große Mietshäuser, an denen sich dann gut verdienen ließ. An der Hinfälligkeit und Armseligkeit der Wohnungen ließ sich nichts ändern. Gegen den Mietzins aber wurde verschiedentlich agitiert. Wenn jemand tabulae novae, Schuldenerlaß, betrieb, so verstanden die Ärmeren darunter vornehmlich einen Erlaß ihrer Mietschulden. Doch sind wirklich ernsthafte Forderungen darauf fast nur in ungewöhnlichen wirtschaftlichen Situationen – auf Grund von Krieg und Bürgerkrieg – erhoben worden. Andernfalls gab es kaum Aussicht auf Erfüllung, und wer es trotzdem versuchte, mußte sich mit den mächtigen Rittern anlegen; denn die verstanden in diesem Punkt keinen Spaß; er verlor also den Kredit und gefährdete seine Laufbahn. Es ist offenkundig, daß die stadtrömische Plebs politisch und geistig von der Hand in den Mund lebte. In ihrer Unzufriedenheit konnte sie als Potential für Unruhen dienen, aber eine gründliche Änderung ihrer Lage hat sie nicht ins Auge fassen können. Dagegen spricht alles, was wir wissen. Hier lag zwar sozial viel Pulver, aber es war regelmäßig zu feucht, um politisch gezündet werden zu können. Politik ist ja, wie man weiß, keine Funktion der sozialen Verhältnisse, und Armut war der normale Hintergrund weiter Teile der alten Geschichte. Explosiv wird eine Notlage nur, wenn man sie als unerträglich empfindet. Die damalige Menge in Rom scheint aber ihre Not als normal angesehen, scheint sich eher an die Linderungen und Palliative, die das tägliche Leben bereithielt, gehalten zu haben, als daß sie wirklich bereit und fähig gewesen wäre, einen Angriff auf irgend zentrale Punkte der römischen Ordnung zu tragen und zu lohnen. Sonst hätte sich die Stadt nicht fast ohne Polizeikontingente regieren lassen, selbst in der schwierigen, spannungsgeladenen Situation der catilinarischen Verschwörung. Sallust übertreibt folglich – übrigens aus persönlichen Gründen – die Bereitschaft zum Aufruhr in der Plebs.
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Nur, wenn man mitten in der Politik steckt und ihr zugleich aus einer gewissen Distanz begegnet, ist man wohl immer leicht versucht, mehr für möglich zu halten, als realistisch ist. Und man hatte es damals mit einer ausgesprochen weichen Realität zu tun. Keiner wußte genau, woran er war. Vielleicht konnte man also hoffen, daß die Spielräume größer waren, als sie schienen, daß man mit der stadtrömischen Plebs in größerem Stile Politik machen konnte, so daß es die eigene Laufbahn förderte. Rom lebte in großer Unsicherheit, da sein mächtigster Politiker abwesend war. Es war nicht abzusehen, wann Pompeius aus dem Osten zurückkehren würde. In der Zwischenzeit konnte, was immer man tat oder unterließ, für ihn ein Grund sein, bewaffnet auf die Stadt zu marschieren. In dieser Lage wucherten dort alle möglichen ganz oder halb dunklen Pläne und Machenschaften, Verdächtigungen und Befürchtungen. Wir hören Ende 66 von einer Verschwörung. Die für 65 gewählten Consuln waren wegen Wahlbestechung verurteilt worden, hatten das Amt verloren, noch bevor sie es angetreten hatten; neue Consuln waren gewählt worden. Da sollen die beiden Abgesetzten geplant haben, die Nachgewählten und einige andere Senatoren zu ermorden und selbst das Amt zu übernehmen. Sie führten ihre Pläne aber, wenn sie sie denn ernsthaft betrieben haben, nicht aus. Crassus soll mit ihnen engen Kontakt unterhalten haben. Später wurde auch auf Caesar Verdacht gelenkt, aber wohl fälschlich. Das Interessanteste an der Affäre, die in offiziellem Schweigen und inoffiziellem Gemunkel verblieb, ist offenbar, mit welch verwegenen Plänen sich einige prominente Herren getragen zu haben scheinen, was ihnen zugetraut, mit welchen Verdächtigungen ihnen begegnet wurde und wie dann das Ganze schlicht in sich zusammenfiel und man weiter miteinander lebte, als wäre nichts gewesen. Beunruhigende Vorzeichen waren zu notieren: Blitze schlugen auf dem Capitol ein, ein Juppiterbild stürzte vom Sockel, Standbilder von Altvordern zerbrachen; Gesetzestafeln wurden so erhitzt, daß die Schrift unleserlich wurde, auch das Bild
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30 Im Grunde gutartig, um nicht zu sagen: gut gemeint. In beschränkteren Verhältnissen hätte man ihn für rechtschaffen gehalten, und vielleicht wäre er es gewesen. Mutmaßliches Bildnis des Marcus Licinius Crassus. Rom, Sammlung Torlonia. Spätere Kopie nach einem zeitgenössischen Porträt. des saugenden Stadtgründers unter der capitolinischen Wölfin wurde in Mitleidenschaft gezogen. Der Senat ließ aus allen Teilen Etruriens Zeichendeuter herbeiholen. Die prophezeiten Mord, Brand, Vernichtung der Gesetze, Bürgerkrieg und Untergang von Stadt und Herrschaft, wenn man die Unsterblichen nicht versöhne. Sie rieten, zehntägige Spiele für die Götter zu feiern und sonst noch alles mögliche zu tun. Eine Juppiterstatue solle gefertigt werden, größer als die zerstörte, auf der Höhe des Capitols aufzustellen, und sie sollte künftig – im Unterschied zu ihrer Vorgängerin – nach Osten, auf Forum und Senatsgebäude blicken. Dann bestünde Hoffnung, daß
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die Machenschaften, welche im Geheimen gegen das Heil von Stadt und Herrschaft begangen würden, von Senat und Volk aufgedeckt werden könnten. Es ist durchaus unklar, ob nicht das Gros der Senatoren bei aller Aufgeklärtheit von solchen Zeichen wirklich Schlimmstes befürchtete. Man kann ja nie wissen. Das Zusammentreffen mit verschwörerischen Plänen war in der Tat beängstigend. Die Weichheit der Realität förderte die Beeindruckbarkeit. Es mußte jedenfalls etwas geschehen und man versuchte, das Beste zu machen. Künftig sollte sich die Politik also direkt unter den Augen des höchsten Gottes vollziehen. In einer Gesellschaft, in der sie sich so weitgehend im Freien, auf dem Forum abspielte, konnte man sich davon vielleicht etwas erhoffen. Im Jahre 65 war Crassus Censor, zusammen mit Catulus. Da versuchte er selbstherrlich, die Einwohner der Gallia Cisalpina in die Bürgerlisten einzuschreiben. Er wollte auch Ägypten tributpflichtig machen. Eins wie das andere reichte über die übliche censorische Kompetenz weit hinaus. Und so verhinderte es Catulus; die Censur endete ohne Ergebnis. Nicht einmal die Senatsliste wurde revidiert, nicht die Bürgerschätzung oder die Musterung der Ritter durchgeführt. Caesar hat damals mit Crassus in Verbindung gestanden. Näheres ist nicht bekannt. Deswegen muß auch unklar bleiben, ob er wirklich, wie Crassus es offenbar tat, ernsthaft gemeint hat, man könnte im Fluge zu hohen Zielen gelangen – wie wenn Rom keine Institutionen mehr gehabt hätte; ganz so als hätte man da alles tun können, was einem gerade einfiel oder was Neunmalkluge einem ins Ohr setzten; so als hätte man, statt zu fragen, ob sich die eigenen Wünsche erfüllen ließen, immer gleich die Gegenfrage gestellt, warum es denn eigentlich nicht möglich sein sollte. Gewiß können solche Umkehrungen den bedeutenden Politiker auszeichnen: daß er Scheinwirklichkeit als Schein und verkannte Wirklichkeit als Wirklichkeit erkennt und Wege findet, die andere gar nicht sehen, Ziele verfolgt, auf die andere nicht kommen. Allein, hier ging es nicht um eine neue Erkennt-
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nis von Wirklichem und Möglichem, nicht um ein neues, aufwendiges politisches Sich-Messen mit alter Realität, sondern um den Versuch, sich in eben dieser, gar nicht besser erkannten, sondern bloß nicht recht wahrgenommenen Realität zu hohen Zielen durchzumogeln, ohne besondere politische Intelligenz und Energie. Marcus Licinius Crassus war einer der merkwürdigsten Politiker des damaligen Rom, höchst charakteristisch – um nach Burckhardts Kriterien zu urteilen –, allerdings kaum energisch, nicht einmal wirklich ruchlos, vom »großen Maßstab« ganz zu schweigen, dafür in einer Weise in die Situation dieser mittleren sechziger Jahre hineingewachsen, daß er sie nahezu verkörpern konnte. Roms reichster Mann außer Pompeius, der ihn später dank großer Beutegewinne übertraf. Mit der Zeit dann Pompeius’ Rivale und genau wie der widersprüchlich nicht aus Natur, sondern aus dem Widerspiel seiner Natur mit der Situation, was denn allerdings auch schon die einzige Gemeinsamkeit war – außer dem Ehrgeiz. Crassus lebte in bescheidenen Verhältnissen, so wie es, mindestens der Ideologie zufolge, alte römische Art war. Er hatte auch darin eine fast außer Gebrauch gekommene alte Sitte befolgt, daß er nach dem Tod seines Bruders dessen Frau heiratete und mit ihr seine Kinder zeugte. Aber er war in Wirklichkeit nur geizig. Zudem war er außerordentlich fleißig, betriebsam, stets hilfsbereit, aber eben nicht energisch. Er diente jedem, verteidigte vor Gericht selbst die, deren sich Cicero und Caesar nicht mehr annehmen mochten, bereitete sich eifrig und sorgfältig vor, nahm alles in Kauf, wenn er dabei nur an Beziehungen, an Macht gewann. Auch seinen immensen Reichtum setzte er politisch ein, nahm nicht einmal Zinsen, wenn er etwas auslieh, verlangte aber pünktliche Rückzahlung. Das war freilich für die meisten Schuldner viel schlimmer, als Zinsen es gewesen wären, denn da die Ausgaben der römischen Adligen so hoch wie ihre Einnahmen unregelmäßig waren, machte Crassus sie dadurch viel abhängiger von sich. Auch stieß er nach Möglichkeit nirgends an, war wie geboren
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für das Gefälligkeitsklima, das sich damals in Rom breitmachte. Im Grunde gutartig, um nicht zu sagen gut gemeint. In beschränkteren Verhältnissen hätte man ihn für rechtschaffen gehalten, und vielleicht wäre er es gewesen. Crassus’ ganze Schwierigkeit erwuchs daraus, daß er zu hoch hinaus wollte. Daß ihn die Habsucht plagte, war schon bemühend, aber er war ja rührig und die anderen Römer waren auch keine Waisenknaben. Bedenklich war jedoch, daß Crassus der erste Mann in Rom werden wollte, denn was immer er dazu aufbringen mochte, den mittelmäßigen Zuschnitt seiner Natur balancierte das nicht aus. Unter Sulla hatte Crassus sich enorm bereichert. Und er hatte eine Einsicht gewonnen, die ihm wichtig war: Für den, der der Erste im Gemeinwesen sein wolle, sei keine Summe Geldes ausreichend, von deren Zinsen er nicht eine Armee unterhalten könne. Das war unter den Auspicien der Bürgerkriegszeit nicht ganz falsch gedacht, nur ließ sich der Satz nicht umkehren, daß nämlich der, der soviel Geld hatte, schon deswegen Erster in der Republik hätte sein können. Crassus aber lebte in dem Irrtum, daß er, wenn er nur Unsummen von Geld und Gefälligkeiten anhäufte, hoch genug käme, um als erster Mann Roms anerkannt zu werden. Macht war für ihn gleichsam eine bloße Addition von Machtmitteln, wie Reichtum eine Addition von Geld. Weil unendlich viele ihm verpflichtet waren, glaubte er ein großer Mann zu sein. Und weil er vieles kaufen konnte, meinte er alles kaufen zu können. Kein beachtlicher politischer Gedanke ist von Crassus überliefert, und es spricht nichts dafür, daß das am Quellenmangel liegt. Er reagierte immer nur oder machte nach, was andere vorgemacht hatten, oder versuchte es mit ganz verstiegenen Plänen. Stets blieb er Taktiker, nie war er Stratege. In allen entscheidenden Situationen war er ratlos und pflegte sich durch Halbheiten aus der Affäre zu ziehen. Vermutlich wäre er gern ruchlos gewesen, wenn er nur gewußt hätte, wie. So verlegte er sich aufs Durchmogeln. Vermutlich hätte er auch gern etwas gewagt, wenn nur kein Wagnis damit verbunden gewesen wäre. Sein Ehrgeiz lag von seiner kleinlichen Natur so weit
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entfernt, daß er ihn nicht mit Spannung lud, sondern nur zu diffuser Betriebsamkeit aufputschte. Dieser Mann konnte es erreichen, daß alle politisch fragwürdigen Elemente in ihm ihren Rückhalt suchten. So war er über die finstersten Geschichten orientiert, schoß Geld zu und hielt dann seinen Einfluß für maßgeblich. Er hatte um sich einen Schutzring, gebildet aus all denen, die ihm verpflichtet waren. Als etwa Ende 63 im Senat berichtet wurde, daß er Catilina habe ermuntern lassen, recht schnell auf Rom zu marschieren, gab es lauten Protest. Sallust kommentiert: Als der Name des Crassus fiel, eines Mannes von hohem Adel, von größtem Reichtum und außerordentlicher Macht, »fanden die einen die Sache unglaubwürdig, anderen schien es, wenngleich sie sie für wahr hielten, als opportun, in solch einem Moment die gewaltige Macht dieses Mannes eher zu besänftigen als aufzureizen, die meisten aber waren Crassus auf Grund privater Geschäfte verpflichtet«. Man beschloß dann, die Anzeige für falsch zu erklären. Senat und Principes waren zu schwach, ihm seine Grenzen zu zeigen, so daß er sie nie wirklich erfahren zu haben scheint. Deswegen versuchte er stets Neues. Die Verstiegenheit seiner Pläne korrespondierte der Uneindeutigkeit der Realität. Die Maßstäbe, die er nicht in sich hatte, konnten ihm von außen also nicht auferlegt werden. Die Raison, die er von außen erhielt, war eher, daß unendlich vieles möglich war. Und das war ebenso richtig wie falsch. Crassus wird sich bei manchen dunklen Plänen gedacht haben, daß ihm verschiedene Wege offenstünden; sei es, sich an die Spitze der Sache zu setzen, sei es, sich in ihrer Bekämpfung hervorzutun. Bei den Wahlen für 63 unterstützte er Lucius Sergius Catilina, einen etwas derangierten Patricier, der über einen filouhaften Reiz geboten zu haben scheint. Der hatte sich mit Gaius Antonius, dem korrupten alten Sullaner, den Caesar einst vor Gericht gezogen hatte, zu einem Wahlbündnis zusammengetan. Crassus schoß ihnen große Mittel vor. Caesar scheint ebenfalls für diese beiden geworben zu haben. Solche Bündnisse waren in Rom verpönt. In diesem Fall hat die Hem-
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mungslosigkeit des Stimmenkaufs solche Erregung bewirkt, daß die einschlägigen Gesetze verschärft wurden. Da weite Kreise im Senat sich vor einem gemeinsamen Consulat der beiden dunklen Ehrenmänner fürchteten, konzentrierte sich so viel Unterstützung auf den homo novus Cicero, daß er erstaunlicherweise an erster Stelle und von allen Centurien gewählt wurde; Antonius wurde sein College; Catilina fiel durch. Das Jahr 63 sollte dann besonders ereignisreich werden. Verschiedene Initiativen des Crassus, Pompeius und anderer hielten die Politik in Atem, am Ende konzentrierte sich das Geschehen auf die catilinarische Verschwörung, schließlich auf den dramatischen Kampf um die Hinrichtung von fünf ihrer Anführer; Pompeius’ bevorstehende Rückkehr warf ihre Schatten. Das Ergebnis der Auseinandersetzungen bestimmte dann die Ausgangslage für die weitere Politik in so folgenreicher Weise, daß nur wenige Jahre der späten Republik so entscheidungsträchtig gewesen sind wie dieses. Damals spielte Caesar eine gewichtige Rolle, und es gelang ihm der Durchbruch in die erste Reihe der römischen Politiker. Erstmals kämpfte er gegen seinen bald wichtigsten Gegner Marcus Porcius Cato, der gleichfalls in diesem Jahr seine führende Stellung begründete. Geradezu schicksalhaft war es für den Consul Cicero. Gleich zu Anfang des Jahres brachte der Volkstribun Publius Servilius Rullus ein Ackergesetz ein. Ungewöhnlich war daran zweierlei: Erstens waren Ansiedlungen in größtem Stil in Italien und in den Provinzen vorgesehen, zweitens sollte eine Zehnmänner-Kommission eingesetzt werden, die für fünf Jahre mit außerordentlichen Vollmachten, ja mit militärischer Befehlsgewalt ausgestattet sein sollte, um Land aufzukaufen und anzuweisen. Diese Gewalt ging in ihrem Zuschnitt ähnlich über die Vollmachten der früheren Ackerkommissionen hinaus wie Pompeius’ große Kommandos über die bisherigen. Die Zehn sollten aufs großzügigste mit ganzen Stäben von Mitarbeitern versehen sein, Amtsdienern, Schreibern, Buchhaltern, Herolden, Architekten; mit zweihundert Feldmessern aus
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dem Ritterstand; mit Leibwächtern und zahlreichem Gerät. Außerdem sollten sie über enorme Geldmittel verfügen, und es oblag ihnen das Urteil darüber, was privat und was öffentliches Eigentum war. Die Vollmacht war so weitgehend formuliert, daß sogar die Einziehung Ägyptens – auf Grund eines zweifelhaften Testaments des im Jahre 80 ermordeten Königs – für Rom darin impliziert zu sein schien. Das Gesetz enthielt ein großartiges soziales Programm: Weite Teile der verarmten Plebs in den Landstädten, Teile wohl auch der städtischen sollten mit Land versorgt werden. Dieser Reform-Impuls könnte von Caesar ausgegangen sein. Zugleich sollte der Kommission auch die Versorgung der Soldaten des Pompeius überantwortet werden, was ein außerordentlicher Affront gegen den Feldherrn gewesen wäre. Denn der konnte ihr nicht angehören. Das Ganze war offenbar dazu bestimmt, ein machtvolles Gegengewicht gegen ihn zu schaffen, für Crassus, auch für Caesar, aber daneben noch für acht andere. Da es aber zwar viele gab, die solch ein Gesetz zu schätzen wußten, nicht jedoch eine machtvolle, geschlossene Gefolgschaft und wohl auch nicht einen entschlossenen Willen, es wirklich durchzusetzen, gelang es dem Consul Cicero, es zu vereiteln. Hinter ihm stand eine Koalition von Verfechtern der Senatspolitik und von Pompeius-Anhängern. Vielleicht ist Caesar erst damals deutlich geworden, wie wenig er mit Crassus ins Werk setzen konnte. Jedenfalls bemühte er sich von jetzt ab stärker um Pompeius und um die Popularen. Ein zweiter Antrag wurde zu Gunsten der alten Marianer gestellt: Ihre politischen Rechte sollten wiederhergestellt werden. Caesar machte sich dafür stark, Cicero dagegen verhinderte auch dies, weil er fand, daß damit die gesamte von Sulla neu befestigte Ordnung des Gemeinwesens umgeworfen worden wäre. Und ebenfalls vereitelt wurde ein Antrag auf einen Schuldenerlaß und einer auf eine Amnestie für verurteilte Politiker. Dann setzte der Volkstribun Titus Labienus mit Caesars Hilfe durch, daß die Priester wieder, wie schon in den letzten Jahrzehnten vor Sulla, gewählt statt kooptiert wurden.
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Außerdem zog er – wiederum von Caesar unterstützt, vielleicht sogar angestiftet – den alten Senator Gaius Rabirius vor Gericht, weil er siebenunddreißig Jahre zuvor, im Jahre 100, den berühmten Volkstribunen Saturninus ermordet hatte. Damals hatte Marius gerade ein senatus consultum ultimum ausgeführt. Saturninus und seine Gefolgsleute hatten sich ihm ergeben, und er hatte sie im Senatsgebäude gefangengesetzt. Danach war eine Gruppe junger Männer mit Leitern herangekommen, hatte das Dach bestiegen, es abgedeckt und von oben her die Gefangenen niedergemetzelt. Das war zwar außerhalb der consularischen Polizeiaktion geschehen, hatte aber offensichtlich im Sinne führender Senatoren gelegen. Jedenfalls müssen die dafür gesorgt haben, daß der Mord nicht geahndet wurde. Wenn Labienus die Sache jetzt, nach fast vier Jahrzehnten, aufgriff, so kann das damit zusammengehangen haben, daß damals ein Onkel von ihm umgekommen war; doch ist nicht zu übersehen, daß es im Grunde um höchst gegenwärtige politische Interessen ging. Denn wenn der Mord auch nicht durch den Äußersten Senatsbeschluß gedeckt war, so stellte er doch die Ausführung dessen dar, was für den Senat in der Konsequenz dieses Beschlusses lag: Es bestand offenkundig ein Interesse daran, Gesetzgeber, die gegen den Senat Bedeutendes durchgesetzt hatten, gewaltsam aus dem Weg zu räumen. Dies aber setzte voraus, daß Bürger bereit waren, sich für einen solchen Einsatz zur Verfügung zu stellen. Eben diese Bereitschaft mußte schwinden, wenn ein Mann wie Rabirius verurteilt oder mindestens einer Verurteilung gefährlich nahegebracht wurde. Wenn Labienus und Caesar einen solchen Schlag gegen den Senat zu führen und dessen letzte Waffe zu entschärfen suchten, so taten sie es vermutlich im Hinblick auf die bevorstehende Rückkehr des Pompeius. Denn da mochte es wieder zu einem großen Gesetzgebungsprogramm kommen, bei dessen Durchsetzung jene Waffe wichtig werden konnte. Überdies brachte ihnen das Eintreten für das zentrale Freiheitsrecht des Volkes, das bei der Ausführung des Äußersten Beschlusses verletzt zu werden pflegte, große Popularität.
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31 Bürgerkriegsmünze aus einer Prägung des caesarischen Heeres aus den frühen 40er Jahren. In scharfem Gegensatz zu Kriegssituationen wird durch priesterliche Requisiten auf Caesars Amt als Pontifex Maximus verwiesen. Von rechts nach links: Apex (die Mütze der Flamines; vgl. Abbildung 17,25 und 63), Opferaxt, Weihwedel und Schöpfbecher. Sie wählten ein besonders altertümliches Verfahren, dasjenige vor einem Zwei-Männer-Gericht. Die beiden wurden durch das Los bestimmt, einer von ihnen war Caesar. Ihm kam es zu, das Urteil zu sprechen. Es lautete auf Hinrichtung wegen Hochverrats; sie sollte durch Kreuzigung auf dem Marsfeld erfolgen. Der Consul Cicero aber hob das Urteil auf, worauf man Rabirius vor dem Volksgericht anklagte, und zwar vor den Centuriatcomitien. Die aber wurden daran gehindert, eine Entscheidung zu fällen, indem nämlich auf höchst moderne Weise eine altertümliche, aber immer noch geübte Sitte ins Spiel gebracht wurde: Seit den frühen Zeiten, in denen Rom mit
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feindlichen Überfällen aus der nächsten Umgebung zu rechnen hatte, konnte die alte Heeresversammlung nur tagen, wenn eine Wache auf dem Janiculum postiert war. Zum Zeichen der Gefahrlosigkeit wehte eine Fahne. Wurde sie eingezogen, war die Versammlung abzubrechen – und eben dies veranlaßte damals der Praetor. Man streitet sich, ob er eine Verurteilung oder einen Freispruch verhindern wollte. Seine politische Stellung aber, der Umstand, daß die Centuriatcomitien im allgemeinen eher die Sache des Senats vertraten, schließlich die Tatsache, daß der Prozeß nicht wieder aufgenommen wurde, sprechen dafür, daß die Versammlung zum Freispruch geneigt und daß es somit die offene Niederlage des Anklägers war, die vereitelt werden sollte. Die Belebung der uralten, längst außer Gebrauch gekommenen Form von Prozeß und Strafe – in einer Zeit, in der in Rom die Todesstrafe de facto abgeschafft war – und vor allem das Einziehen der Fahne auf dem Janiculum könnten Caesars Phantasie entsprossen sein. Er unterstützte weiter einen Antrag des Labienus, nach dem es Pompeius künftig erlaubt sein sollte, bei Theateraufführungen die magistratische Toga und bei Circusspielen den Triumphalornat anzulegen, beides zusammen mit dem Lorbeerkranz. Anknüpfend an die Unterstützung, die er 67 und 66 Pompeius geliehen hatte, wird er sich auch mit Quintus Metellus Nepos in Verbindung gesetzt haben, der damals vom östlichen Kriegsschauplatz nach Rom entsandt wurde, um die Rückkehr des Pompeius in die Innenpolitik vorzubereiten. Mithridates war tot, in auswegloser Lage hatte er sich, da er sich vernünftigerweise gegen die einschlägigen Gifte systematisch immunisiert hatte, erstechen lassen. So war der Krieg gegen den verschlagenen, immer neu seine Kräfte sammelnden, immer wieder ausgreifenden hellenistischen Potentaten zum Ende gekommen. Die eigentliche Vorbereitung der Rückkehr des Pompeius, der Versuch, soviel wie möglich von seiner Macht in die Innenpolitik zu transferieren, fiel mit der Aufdeckung der catilinarischen Verschwörung zusammen.
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Noch vorher aber, vermutlich in der Mitte des Jahres, war Caesar ein außerordentlicher Erfolg gelungen. Er war zum Pontifex Maximus gewählt worden, zum obersten Priester Roms. Dessen Wahl wurde seit dem 3. Jahrhundert in einer Volksversammlung von siebzehn Tribus vollzogen. Dort waren die Stimmen geographisch ungleich und zu Ungunsten der Stadt-Plebs verteilt. Vermögensunterschiede galten nicht – wenn man davon absieht, daß die Wohlhabenden eher abkömmlich waren, um zu den Wahlen nach Rom zu kommen. Wählbar waren alle Pontifices. Aber in der Regel wurde es einer der ältesten und würdigsten. Die anderen werden dazu geneigt haben – oder dazu gebracht worden sein –, das zu respektieren. So traten jetzt Catulus (Consul 78) und Servilius Isauricus (Consul 79) gegeneinander an; einer von beiden hätte das Amt erhalten müssen. Aber Caesar sah nicht ein, daß es auch diesmal wieder so sein müsse wie zumeist. Für ihn sprachen sein Ansehen bei der Plebs und auch seine Unterstützung des Gesetzes zur Wiedereinführung der Wahl für alle anderen Priesterstellen. Im Jahr 102 war der Antragsteller des Gesetzes, das diese Wahl erstmals verfügt hatte, seinerseits in jungen Jahren sogleich zum Pontifex und Pontifex Maximus gewählt worden. Gewiß traten auch viele Freunde und Gefolgsleute für Caesar ein. Aber das hätte bei weitem nicht genügt, um die Autorität und den Einfluß seiner beiden hochangesehenen Mitbewerber aufzuwiegen. So hat er in ganz unerhörtem Maße Geld aufgenommen und die Wähler bestochen. Seine finanzielle Lage war so angespannt, daß Catulus sich der Hoffnung hingab, ihn durch eine hohe Summe zur Aufgabe der Kandidatur bewegen zu können. Aber Caesar erhöhte statt dessen den Einsatz bis an die äußerste Grenze seines Kredits. Als er am Morgen der Wahl das Haus verließ, sagte er zu seiner Mutter, er könne nur als Pontifex Maximus heimkehren oder gar nicht – und wurde dann mit überwältigender Mehrheit gewählt. Er hatte nach normalen Maßstäben mit viel zu hohem Einsatz gespielt. Was kaum denkbar war, hatte er erreicht. Alles hatte er auf eine Karte gesetzt, nicht nur viel Geld, das ihm
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gar nicht gehörte, sondern auch seine politische Existenz. Das mutet nicht nur tollkühn an, sondern man fragt sich, ob es nicht ein Akt der Verzweiflung war; jedenfalls war es einer des Mutwillens. So ungewöhnlich Caesar angesetzt hatte, so gut hatte er die reguläre Ämterlaufbahn bisher zurückgelegt; Mitte 63 wurde er für das kommende Jahr zum Praetor gewählt. Aber wenn er Außerordentliches gewollt hatte, so war daraus wenig oder nichts geworden. Er hatte die Sullaner anklagen und reizen können, doch seine Versuche, besondere Macht oder Vollmachten zu gewinnen – wie ernst oder spielerisch er sie auch betrieben hatte – waren allesamt gescheitert. Das Bündnis mit Crassus hatte sich politisch kaum gelohnt; Caesar scheint nicht einmal viel Geld von ihm genommen zu haben – was sich wohl auch nicht empfohlen hätte, da er es kaum so bald hätte zurückzahlen können. Jetzt hatte er erstmals einen großen Erfolg. Als Pontifex Maximus konnte er unter Umständen politisch eine wichtige Rolle spielen. Aber wichtiger noch waren das Ansehen, das er erwarb, der hohe Anspruch, den er geradezu sinnfällig machen konnte: Denn er zog jetzt aus der Subura in das dem obersten Priester zustehende Wohngebäude an der Via Sacra, wo er künftig residieren sollte. Mit siebenunddreißig Jahren stand er in der ersten Reihe der römischen Senatsaristokratie. Spätestens hier wird deutlich, wie sehr sich Caesar von seinen Generationsgenossen unterschied. Unter denen gab es gewiß viel Unzufriedenheit, Auflehnung gegen das Bestehende. Das Senatsregime war alles andere als überzeugend. Endlose Beratungen, Unschlüssigkeiten, tausend Gefälligkeiten und Rücksichten, viel Schlendrian und Umstandskrämerei; um alles in der Welt sollte nichts Neues geschehen. Die politische Ordnung steckte voller Absurditäten, welche nur noch Sinn hatten, weil die Gesellschaft daran glaubte. Aber gerade deren sich versteifende Rückwärtsgewandtheit war aufreizend. Selbst bei den für unser Gefühl vergleichsweise bescheidenen Ansprüchen, die die Römer an die Wirksamkeit von Regierung
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und Verwaltung stellten, mußte ihnen Manches als schwer erträglich erscheinen. Caesars nachmaliger großer Gegenspieler, der etwa fünf Jahre jüngere Marcus Cato, der ihm an Intensität des Wesens und an Charakterstärke noch am verwandtesten war, scheint es ganz ähnlich empfunden zu haben. Nur zog er die entgegengesetzte Folgerung: Er wollte, daß das Senatsregime ganz entschieden, konsequent und kräftig praktiziert wurde. Statt nur rückwärtsgewandt zu sein, sollte man wirklich auf die Art der Väter zurückkommen. Doch war Cato aus ganz anderem Holz geschnitzt und mitten im Schoß der herrschenden Oligarchie aufgewachsen. Und wenn der sechs Jahre ältere Consul Cicero in die Senatspolitik Festigkeit und Linie zu bringen versuchte, so offenbarten sich auch darin Kritik und Unzufriedenheit. Allerdings war Cicero als homo novus zugleich so voller Bewunderung für den alten Senat, daß er zunächst ganz damit beschäftigt war, es selber besser – statt den zeitgenössischen Senat schlecht – zu machen. Bei den meisten jüngeren Adligen aber erschöpften sich Respektlosigkeit und Aufbegehren gegen die Väter in der Gebärde, in jugendlichem Hochmut, Leichtsinn oder Zynismus. Sie wußten nicht recht, was das Besondere war, das sie tun wollten, und es fehlte an einer oppositionellen gesellschaftlichen Kraft, der sie sich hätten anschließen können. So verlegten sie ihren Ehrgeiz gern auf das Feiern rauschender Feste und auf private Abenteuer. Die »reichen Alten«, wie der freche Marcus Caelius sie einmal nannte, verlangten nicht, daß sie in Respekt vor ihnen erstarben; sie durften sich auch Schulden, Luxus und Amouren leisten. Sie konnten sogar manchen politischen Seitensprung riskieren – wenn sie nur den Anschein erweckten, schließlich bereit zu sein, in die alten engen Kleider der Hüter des Überkommenen hineinzusteigen und sie für die prächtigsten von der Welt zu halten. Und das war beim Gros der nachwachsenden Adligen gewiß der Fall. »Jedes Lebendige kann – nach Nietzsche – nur innerhalb eines Horizonts gesund, stark und fruchtbar werden.« Dieser
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Horizont war hier für viele durchlöchert – oder allzuweit gezogen –, sie konnten so und auch anders, waren ohne Beziehungspunkt, ohne Richtung, letztlich beliebig und fügten sich dann also endlich dem Konventionellen. Selten brach einer aus wie Catilina und seine Mitverschworenen, aus Trotz und Empörung, Verschuldung und dem Gefühl der Ausweglosigkeit. Manch einer der Jüngeren fand das faszinierend, ließ sich zunächst davon in Bann ziehen. Lucius Sergius Catilina »besaß ja«, so erklärt Cicero später, »wie ihr euch erinnern werdet, vielerlei Spuren ... von vorzüglichen Eigenschaften... Nie hat es, glaube ich, auf Erden ein so sonderbares Wesen gegeben, eine derartige Mischung von verschiedenen, auseinanderstrebenden, einander widersprechenden Bedürfnissen und Leidenschaften. Wer hätte – eine Zeitlang – den angesehensten Männern besser gefallen, wer sich enger mit den ärgsten Gesellen verbunden? ... Wer zeigte sich schmutziger in seinen Listen, wer ausdauernder in seinen Mühen? Wer war gieriger im Raffen, wer großzügiger im Verschenken? Und vor allem dies war erstaunlich an dem Mann: Er wußte viele zu Freunden zu gewinnen und durch seine Ergebenheit an sich zu binden; er teilte mit jedermann, was er besaß, und stand seinen Leuten in allen Nöten bei – mit seinem Geld, seinem Einfluß, seinem persönlichen Einsatz, ja, wenn es sein mußte, mit Verbrechen und tolldreisten Streichen; er änderte sein Wesen und paßte es den Umständen an und drehte und wendete es nach allen Seiten; unter Älteren war er gesetzt, unter Jüngeren umgänglich, unter Skrupellosen verwegen, unter Lüstlingen ausschweifend.« Dieser wie Caesar aus altem, aber längst unbedeutend gewordenem patricischen Geschlecht stammende Mann war reich begabt und besaß einen ganz außerordentlich starken Willen. In ihm mischte sich die Selbstverständlichkeit altadligen Anspruchs mit der Robustheit des Self-Made-Man. Unter Sulla hatte er einige Schergendienste geleistet. Stets war er rücksichtslos gewesen, hatte die bei Außenseitern nicht seltene »plebejische« Konsequenz, daß er ziemlich offen und hem-
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mungslos so war – in diesem Falle: so korrupt war –, wie es die übrige Gesellschaft zu sein schien, aber am Ende eben doch nicht war. Sein kraft- und lebensvolles Wesen stach erfreulich ab von der Enge und Verkrampftheit, der Bedenklichkeit und Vorsicht seiner Standesgenossen. Nur konnte er, was in ihm war, nicht ins Positive umsetzen. Er war zu anarchisch veranlagt. Caesar also ragt unter all denen, die sich damals in das Überkommene nicht so leicht fügten, hervor durch den unbedingten, wagemutigen Durchsetzungswillen, den er bei der Kandidatur zum Pontifex Maximus bewies. Wenn dem vielleicht auch Verzweiflung beigemischt war, er fand in diesem Erfolg eine bedeutende Bestätigung. Daher fiel vielleicht erst hier die Entscheidung, die ihn vor Desperado-Unternehmungen wie derjenigen der Catilinarier bewahrte. Dann hätte sich ihm damals erst ein eigener Weg zu eröffnen begonnen, auf dem er einerseits sich bewahrte vor den Suggestionen dieser Gesellschaft, vor dem Sich-Ergeben in das Normale und Bequeme, und andererseits sich nicht in Opposition und Protest oder gewagten Ausbrüchen verlor. Jenem konnte er kaum zuneigen; aber daß für ihn die Gefahr bestand, in welcher Weise auch immer, eine »catilinarische Existenz« zu werden – wie Bismarck das nannte –, läßt sich nicht ausschließen. Spätestens von hier ab straffte sich sein Wille. Tatkraft, Wagemut, Phantasie und Verstand spannten sich auf das Consulat, vermutlich auch schon auf außerordentliche Leistungen, die er dabei und danach zu vollbringen hoffte – wenn er auch natürlich mit einer Provinz wie Gallien damals noch nicht rechnen konnte. Wir finden künftig keine Handlungen oder Pläne mehr bezeugt oder auch nur behauptet, die sich als Anzeichen für einen gewissen Unernst, eine gewisse Verspieltheit deuten lassen. Zwar bleibt sein Oppositionsgeist gegen die Häupter der durch Sulla wieder eingesetzten Aristokratie wach, ein gewisses Ressentiment schlägt immer wieder durch. Daneben aber und darin tritt immer mehr ein bestimmtes Leistungsethos in den Vordergrund. Die jugendliche Unbekümmertheit,
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in der er zunächst gelebt haben mochte, trug nicht mehr. Er brauchte einen neuen Halt und fand ihn zunehmend in seiner Tätigkeit für die res publica. Je besser er leistete, was Roms Adlige alle hätten leisten müssen, um so überlegener war er ihnen; wie auf andere Weise Pompeius. So konnte, was zunächst wohl eher negativ in ihm angelegt war, sich auf eigene Ziele wenden. Gewiß läßt sich solch eine Wendung nicht einfach auf ein einzelnes Ereignis zurückführen. 63 kann sich in ihm höchstens ein Umschlag von der Quantität zur Qualität vollzogen haben, eine Befestigung, Bekräftigung, eine neue Schwungkraft von Motiven, die in Caesar schon wirkten; aber damit fiel auch die Entscheidung darüber, daß er so und nicht anders seinen Weg gehen wollte und konnte. Caesar hatte ungeheure Energien in sich. Zudem verfügte er über die Kraft und das Geschick, sie zu organisieren. Kaum ein Römer ist so rastlos tätig gewesen wie er, kaum einer hat so viel Verstand darauf verwandt, zu wirken. Als markante Einzelheit wird dafür immer angeführt, daß er gleichzeitig vier Briefe wichtigen Inhalts und sonst sogar sieben gleichzeitig seinen Schreibern diktieren konnte. Es ist auch bezeugt, daß er der erste war, der auch innerhalb Roms brieflich mit seinen Freunden verkehrt habe; denn bei der Größe der Stadt sei es oft schwierig gewesen, sie rechtzeitig zu treffen. Wir wissen nicht, auf welche Zeit sich dies bezieht. Aber es weist jedenfalls auf Caesars Fähigkeit zur Wirkungsentfaltung, zur umfassenden Vergegenwärtigung, gleichsam zur Vervielfältigung seiner selbst. Alle seine Fähigkeiten begann er jetzt zunehmend zu mobilisieren. Es war im Grunde eine unerhörte Bewährung des alten römischen Adelsideals, die er vorhatte. Darin fand er nun seine eigene Rolle, damit zog er sich einen Horizont, den er ausfüllen, in dem er sich voll entfalten konnte. Zugleich klärte sich sein Ort im politischen Feld: Offenbar ist ihm bewußt geworden, daß er sich künftig vor allem an Pompeius halten mußte. Das bedeutete allerdings nicht, daß er die Verbindungen zu Crassus ganz aufgeben wollte; sonst hätte
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er ein Stück Selbständigkeit eingebüßt. Doch wenn Caesar für Pompeius wichtig sein sollte, so war die Voraussetzung dafür, daß der auf das Volk angewiesen war. Denn im Senat konnte er ihm kaum etwas vermitteln. Durch sein großes Ansehen bei der städtischen Menge aber, vermutlich auch durch seine guten Verbindungen zu den Männern, die die Werkzeuge der popularen Politik organisierten, konnte er ihm zu Diensten sein. Die Frage war also jetzt, wie sich die verschiedenen Kräfte in Rom zu Pompeius und wie Pompeius sich zu ihnen stellte. Sein Abgesandter Nepos hatte den Auftrag, für Pompeius das Recht auf die Bewerbung um das Consulat von 61 zu erwirken. Das setzte insofern eine Befreiung von den Laufbahnvorschriften voraus, als Pompeius erst zehn Jahre nach dem ersten Consulat, also 59, wieder Consul hätte werden können. Außerdem wollte er in absentia kandidieren dürfen. Wie bei der Rückkehr aus dem spanischen Krieg hatte er vor, sogleich vom Heereskommando in das Consulat überzuwechseln, um dann die Forderungen durchzusetzen, die sich aus seiner Kriegführung ergaben: die Landversorgung seiner Veteranen und die Ratifikation seiner Anordnungen im Osten. Vermutlich sollte sein Wunsch im Senat als Antrag eingebracht und, falls er dort scheiterte, dann beim Volk durchgesetzt werden. Nepos bewarb sich daher um das Volkstribunat für 62. Pompeius muß aber auch eine andere Eventualität bedacht haben: Falls sich – wiederum wie 71 – ein Anlaß oder Vorwand für einen bewaffneten Einmarsch in Italien ergab, sollte der genutzt werden. Alle Einzelheiten mußte er wohl der Beurteilung am Ort überlassen. Er selbst hielt sich damals noch in Kleinasien auf, um die dortigen Verhältnisse neu zu ordnen. Vom Erfolg des Nepos hing Entscheidendes für die Zukunft ab. Ob der Senat Konzessionen machte, konnte ausschlaggebend dafür sein, ob Pompeius sich veranlaßt sah, nach Italien einzumarschieren, und auch dafür, ob nach seiner Rückkehr, wie immer sie geschah, die Zeichen auf Verständigung oder Konflikt stehen sollten. Das Verhalten des Senats aber konnte durch Pompeius’ Anhänger in Rom stark beeinflußt werden. Sie konnten eher
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diplomatisch oder eher unverschämt auftreten, mehr auf Entgegenkommen oder mehr auf Ablehnung setzen. Selbst wenn Pompeius eher für eine Lösung im guten Einvernehmen war, so werden doch mindestens einige seiner Freunde dahin tendiert haben, lieber viel zu fordern und damit zu scheitern als Kompromisse zu schließen. Dabei mochten sie das Interesse ihres Auftraggebers und Verbündeten, so wie sie es verstanden, im Auge gehabt haben, vor allem aber konnten sie selbst gewinnen, wenn er, notfalls gestützt auf seine Legionen, in Konflikt mit dem Senat geriet. In dessen Verlauf mußte er auf sie angewiesen sein, sie konnten sich dann Zugeständnisse einhandeln. So lag es jedenfalls im Interesse Caesars, und es ist damit zu rechnen, daß er im Kreis der Pompeianer Einfluß zu nehmen suchte; Näheres wissen wir nicht. Der Antrag wegen der Consulatskandidatur ist im Jahr 63 offenbar gar nicht gestellt worden; sei es, weil es dafür noch zu früh war, sei es, weil Caesar und andere ihn verzögerten. Seit der zweiten Hälfte des Jahres aber schob sich die zweite Möglichkeit in den Vordergrund: daß Pompeius mitsamt dem Heer gegen eine akute Gefahr geholt werden konnte. Die Problematik seiner Rückkehr verquickte sich mit der catilinarischen Verschwörung. In Hinblick auf die ganze Reihe schwierigster Konsequenzen, die aus dieser Verknüpfung für Rom erwuchsen, scheint hier einmal das Wort »schicksalhaft« am Platz zu sein. Freilich trifft das nur die Nachwirkung. Denn man darf die simple Zufälligkeit des Zusammentreffens nicht übersehen, insbesondere nicht den Anteil, den eine Reihe von Protagonisten – und darunter nicht zuletzt Caesar selbst – daran hatten. Er hat damals eine höchst bedeutsame Rolle gespielt. Catilina war bei der Wahl für 62 zum zweiten Mal durchgefallen. Darauf tat er sich mit anderen zusammen und plante einen Staatsstreich. Sie wollten den Consul Cicero ermorden, die Macht in der Stadt an sich reißen und nach der Beseitigung einiger Gegner die Magistrate besetzen. Außerdem planten die Verschwörer einen Schuldenerlaß, der sowohl den hochver-
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schuldeten, teilweise am Rande des Bankrotts stehenden Adligen als auch den kleinen Leuten zugute kommen sollte. Die Sache hatte keinen großen Hintergrund. In der Anlage war der Plan der Verschwörung von 66 verwandt, auch dem Lepidus-Aufstand von 78/77: Wieder rotteten sich Unzufriedene aus ganz Italien in Etrurien und anderswo zusammen. Beauftragte Catilinas suchten überall bewaffnete Kontingente aufzustellen; bei Faesulae (Fiesole) kamen gut zehntausend Mann zusammen. Waffenlager – die am Ende nicht ausreichten – wurden angelegt, Abteilungen eingeteilt und gedrillt. Letztlich steckte wohl die Idee dahinter, man könne, wie einst Sulla, auf Rom marschieren und es erobern. Wie Catilina sich gegen den rückkehrenden Pompeius zu verteidigen gedachte, bleibt dunkel. Vermutlich tut man den Plänen unrecht, wenn man sie sich allzu genau ausmalt. Im ganzen hat man es noch einmal mit einem Produkt der »Unwirklichkeit« dieser Situation zu tun, in der sich der Ernst der Regeln nicht mit Selbstverständlichkeit aufzwang, in der die Verschwörer sich sowohl durch imaginäre Möglichkeiten verlockt wie durch große Not, durch drängende Bedürfnisse getrieben sahen. Auch war das Ausmaß, in dem sie sich allesamt verschuldet hatten, schon symptomatisch dafür, daß in Rom damals alles für möglich gehalten wurde. Wohl nicht zu Unrecht wird Crassus mit der Verschwörung in Verbindung gebracht; allerdings hat er sich, als es ernst wurde, davon distanziert. Auch Caesar geriet mindestens in Verdacht. Es ist keineswegs ausgeschlossen, daß er den Verschwörern Mut machte, schon damit das römische Leben nachhaltiger gestört und so ein Anlaß erwachsen würde für eine bewaffnete Heimkehr des Pompeius. Sallust schreibt: »Alle, die nicht die Sache des Senats verfochten, wollten lieber, daß das Gemeinwesen in Unordnung geriete, als daß sie selbst weniger Gewicht hätten.« Das Unglück der Verschwörer war aber, daß einer von ihnen seine Geliebte ins Vertrauen zog und diese dem Consul ihre Informationen weitergab. Es handelte sich um eine verheiratete Dame aus hohem Adel, deren Leidenschaft nicht mehr
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32 Dann eröffnete der Consul – wie üblich nachdem er geopfert und die Zustimmung der Götter eingeholt hatte – von seinem Podium aus die Sitzung. Man hatte sich zu seiner Begrüßung erhoben; danach Platz genommen auf den langen Bänken, deren mehrere parallel zu den Längswänden standen. Mutmaßliche Anordnung der Senatorensitze in der Curie.
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so lebhaft war wie die ihres Liebhabers, welcher obendrein so hohe Schulden hatte, daß sein Geld nicht einmal mehr für üppige Geschenke reichte. Als sie darauf Miene machte, ihn zu verschmähen, erging er sich in dunklen Andeutungen über künftige Reichtümer und rückte dann auf Nachfrage mit näheren Angaben über die Pläne der Verschwörer heraus. »Diese so große Gefahr für die Republik«, schreibt Sallust, »wollte sie nicht verborgen halten.« Vermutlich hatte sie auch ein nüchternes Urteil über die Aussichten der Verschwörer. Cicero beobachtete das Geschehen mit aller gebotenen Aufmerksamkeit und entfaltete wohl mehr noch als den gebotenen Eifer. Als Neuling war er sorgfältig darauf bedacht, keine Pflicht zu versäumen, sah aber trotz seiner Nervosität und Aufregung zugleich eine Chance, Großes zu leisten. Am 21. Oktober konnte er den Senat dazu bewegen, den Äußersten Beschluß zu fassen, der ihn mit quasidictatorischen Vollmachten ausstattete. Am 27. Oktober brach in Etrurien der Aufruhr los. Der Senat verfügte Aushebungen und setzte in verschiedene Gegenden Italiens Militär in Bewegung. Die Verschwörer beschlossen, Catilina solle sich zur Armee nach Etrurien begeben, die anderen sollten den Aufruhr in der Stadt vorbereiten. Beginnen sollte es mit der Beseitigung Ciceros. Doch als am 7. November frühmorgens die Attentäter mit ihrem Gefolge zu seiner Visite kamen, fanden sie sein Haus scharf bewacht und mußten unverrichteterdinge abziehen. Catilina erschien dennoch im Senat; er war in Rom geblieben, um zu demonstrieren, daß er mit dem Aufruhr in Etrurien nichts zu tun hätte. Vielleicht auch hatte er sich alles offenhalten und abwarten wollen, wie die Sache sich entwickelte. Aber die Senatoren empfingen ihn abweisend, keiner wollte neben ihm sitzen, und Cicero attakkierte ihn so scharf, daß er beschloß, die Stadt zu verlassen. In Etrurien legte er dann die Insignien des Consuls an und übernahm den Oberbefehl über die Aufrührer-Armee. Er organisierte sie in zwei Legionen. Aber noch immer konnten die Verschwörer in der Stadt so leicht nicht überführt werden. Im Senat spottete man
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schon über den großen Eifer, mit dem Cicero ständig die drohenden Gefahren beschwor, von denen er gehört habe. Endlich gelang es, Briefe abzufangen, in denen sie einem gallischen Volksstamm Konzessionen machten gegen die Zusage, Catilina militärisch zu unterstützen. Außerdem hatten sie Boten abgesandt, die Catilina auffordern sollten, auch die Sklaven zu den Waffen zu rufen – gedacht hatten sie wohl nicht zuletzt an die Gladiatoren – und so rasch wie möglich auf Rom zu marschieren. Man wollte die Stadt an verschiedenen Enden in Brand setzen und in der um sich greifenden Verwirrung zahlreiche Bürger ermorden. Catilina aber sollte bereit stehen, um sich mit den Verschwörern in der Stadt zu vereinen. Darauf wurden, es war am 3. Dezember, die fünf führenden Verschwörer in den Senat geladen, überführt und bei verschiedenen Senatoren in Haft gegeben. Am 4. Dezember wurden die Beratungen fortgesetzt. Damals trat ein Mann auf, der erklärte, Crassus habe ihn zu Catilina geschickt. Vermutlich in der gleichen Sitzung beschuldigte Catulus zusammen mit einem anderen Consular Caesar der Teilnahme. Es dürfte ein Racheakt für die Wahl zum Oberpriester gewesen sein, aber auch ein Versuch, den unbequemen Mann bei dieser Gelegenheit bloßzustellen, möglichst sogar aus dem Weg zu räumen. Die führenden Senatoren trauten Caesar sehr vieles zu. Er war unheimlich, nicht wie alle anderen; schien sich nicht in der normalen, wenn auch aufgeweichten Wirklichkeit sein Teil zu suchen, sondern allen möglichen Dingen nachzujagen und war obendrein – im Unterschied etwa zu Catilina – nicht zu fassen. Doch Cicero und die Senatsmehrheit wollten den Kreis der Verschwörer isolieren; Cicero könnte auch gewußt haben, daß Caesar nicht beteiligt war. Am 5. Dezember trat der Senat zusammen, um zu beschließen, was mit den fünf Gefangenen zu geschehen habe. Die Sitzung fand im Concordia-Tempel statt, zu Füßen des Capitols. Er stand – und seine Ruinen stehen noch – gleich rechts der Treppe, die heute wie damals von dort aufs Forum führt. Der Tempel war gut zu sichern und befand sich außerdem gleich neben dem Mamertinum, dem Gefängnis, wo
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die Gefangenen, falls ihr Tod beschlossen werden sollte, hätten hingerichtet werden müssen. Und es sollte auch etwas von der gnädigen Macht der vergöttlichten Eintracht auf die Sitzung und von ihr auf das Volk ausgehen. Senatssitzungen mußten in einem geweihten Raum stattfinden, sei es im Senatshaus, der Curie, oder in einem Tempel. Und man wählte das Lokal oft nach Maßgabe der praktischen und symbolischen Erfordernisse. Cicero hatte eine große Mannschaft aus Rittern gesammelt und aufgestellt, um Forum und Capitol zu bewachen. Was über Catilinas Umsturzpläne bekannt geworden war, hatte die – durch Ciceros reichen Freund Atticus gut unterrichtete – Ritterschaft alarmiert. Diese Sicherungen waren um so mehr erforderlich, als Freigelassene und Clienten der Verhafteten unter der Plebs Männer zu werben begannen, um diese gewaltsam zu befreien. Eine höchst angespannte Atmosphäre herrschte in der Stadt. Gerüchte schwirrten durch die Luft, aufgeregte Meldungen, richtige und falsche, jagten sich, Boten liefen hin und her. Hier wurde dies, dort das gewußt, gemutmaßt, gesehen, gehört. Neugierige, Interessierte, Mißtrauische, potentielle Unruhestifter fanden sich zusammen, wohl in einiger Entfernung vom gut bewachten Concordia-Tempel. Doch konnten sich daraus leicht Demonstrationen des Unwillens zusammenbrauen. Die Senatoren mußten sich, als sie dorthin kamen, schon durch die Menge drängen und waren Fragen und Zurufen ausgesetzt. Dann eröffnete der Consul – wie üblich, nachdem er geopfert und die Zustimmung der Götter eingeholt hatte – von seinem Podium aus die Sitzung. Man hatte sich zu seiner Begrüßung erhoben, danach Platz genommen auf den langen Bänken, deren mehrere parallel zu den Längswänden standen – in der Mitte blieb ein Gang frei; die Senatoren saßen üblicherweise ohne feste Ordnung. Nachdem der Consul seinen Bericht gegeben hatte, fragte er die versammelten Väter nach der Reihenfolge von Rang und Anciennität, was sie über das Geschick der Catilinarier beschließen wollten. Der Antrag des ersten, eines der designierten Consuln, lautete: ultima poena,
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die äußerste Strafe. Jeder mußte darunter die Todesstrafe verstehen. Der andere designatus und die Consulare schlossen sich dem an. So war es vermutlich in den Vorbesprechungen verabredet worden. Man wollte kurzen Prozeß machen, ein Exempel statuieren, wie es in Zeiten innerer Not noch immer und mit Erfolg geschehen war. So konnte man am ehesten verhindern, daß die Catilinarier weiteren Zulauf erhielten, daß Unruhen in der Stadt um sich griffen, daß versucht wurde, die Gefangenen zu befreien. So auch konnte man hoffen, den Aufruhr allein zu meistern, bevor Pompeius aus dem Osten zurückkam. Die Sache schien insoweit klar zu sein; aber es sprachen nicht nur die rationalen Argumente mit, sondern auch die Erregung, die Anspannung, die Empörung über die ruchbar gewordenen Pläne. Das alles scheint sich zu einer gewissen Leidenschaftlichkeit der Stellungnahmen gebündelt zu haben. Man versicherte sich seiner Sache gegenseitig durch Entschiedenheit. Dann kommt die Umfrage an Caesar, den designierten Praetor. Er erhebt sich und hält eine längere Rede, souverän und mit äußerster Konzentration – wie berichtet wird –, mit seiner hellen Stimme und der ihm eigenen Lebhaftigkeit der Gesten, vielleicht auch mit der Anmut, die seinen Reden nachgerühmt wird. Er muß Ruhe, vielleicht gar Kühle ausgestrahlt haben. Caesar ist mit seinen Vorrednern weitgehend einig. Er verurteilt Catilina und die Seinen scharf. Er spricht von der Notwendigkeit, sie schwer zu bestrafen, erklärt sogar, daß es keine Strafe gebe, die so schwer, daß sie deren Verbrechen angemessen sei. Er findet auch, daß der Senat das Recht habe, jede Strafe, die ihm richtig erscheine, zu verhängen. Kein Einwand gegen den Anspruch, zur Not alles beschließen zu können, was die res publica rettet. Aber nachdem er soweit – und wohl zur zunehmenden Überraschung seiner Hörer – Übereinstimmung mit den Consularen bekundet hat, bringt Caesar Zweifel vor. Er ergeht sich in philosophischen Erörterungen über den Sinn des Todes, den die unsterblichen Götter doch wohl, sei es als Naturnotwendig-
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keit, sei es als Erlösung von Mühen und Nöten, nicht aber als Strafe eingerichtet hätten. Und außerdem: Mit dem Tode sei alles auf einmal vorbei. Seitdem man nicht mehr glaube, daß Verbrecher nach dem Tod in der Unterwelt schwer zu leiden hätten, sei das Ende nicht mehr zu fürchten. Caesar gibt zu bedenken, wenn es ohnehin keine angemessene Strafe gebe, wäre es doch besser, sich an die Gesetze zu halten, welche es verböten, jemanden ohne ordentliches Gerichtsurteil mit dem Tod zu bestrafen – und ihm übrigens auch dann noch die Möglichkeit ließen, ins Exil zu gehen. Er weist darauf hin, wie unbeliebt harte Strafen im Volk seien, wie sehr dieses an seinem wichtigsten Freiheitsrecht hänge, und läßt durchblikken, was alles Consul und Senat an Agitation, vielleicht auch an Anklagen zu befürchten hätten, wenn sie den Beschluß faßten und ausführten. Es müsse nur einer kommen, der sich der so populären Sache wirkungsvoll annähme – wobei dann auch der Gedanke an den noch unter Waffen stehenden Pompeius sich nahelegte. Nach Sallust hat er sich auch auf die Altvorderen berufen, die die Todesstrafe abgeschafft hätten. Und sie seien doch an Tüchtigkeit und Weisheit ihnen allen, die sie hier säßen, überlegen. »Denn sie haben aus kleinen Anfängen einen so großen Herrschaftsbereich geschaffen, den wir, nachdem er mit soviel Tatkraft erworben, nur mehr mit Mühe behaupten.« Außerdem diene die Todesstrafe, die in diesem Fall zweifellos berechtigt sei, später als Präzedenz für andere, die nicht einer solchen Notsituation konfrontiert seien. Er schlage seinerseits eine Maßnahme vor, die viel schwerer sei als die Todesstrafe: lebenslängliche Haft nämlich in den verschiedenen Städten Italiens. Haftstrafen kannte das römische Recht nicht; öffentliche Gefängnisse hatte man höchstens für vorübergehende Festnahmen gefährlicher Personen. Caesars Vorschlag läuft insofern auf eine Sicherungsverwahrung hinaus. Er setzt auch schwere Strafen für die Städte fest, falls deren Gefängnis etwa aufgebrochen werden sollte. Cicero sagt nachher, Caesar umgebe die Gefangenen mit schreckenerregenden Wachen. Er nähme ihnen alle Hoffnung. Nie soll auch ein Antrag auf Erleichte-
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rung oder Begnadigung der Gefangenen eingebracht werden dürfen. Schließlich soll ihr Vermögen eingezogen werden. Die Rede ist nicht überliefert, aber wir haben Anhaltspunkte, um wenigstens die Argumente, wenn auch nicht deren Reihenfolge zu rekonstruieren. Bedenkt man die Situation, die auf den Beschluß der Todesstrafe gesammelte Erregung im Senat, Caesars große Schwierigkeit und den Erfolg, den er hatte, so erscheint es wohl als das wahrscheinlichste, daß er zunächst, gedeckt durch die behauptete grundlegende Einigkeit, einen ersten Angriff vortrug, um die Sicherheit der Gegner zu erschüttern, dann die Angst freilegte, die hinter ihrer Entschiedenheit lag, schließlich die Strenge und Härte seines Vorschlags scharf herausstellte, um zu zeigen, daß er ganz in ihrem Sinne war: Die Todesstrafe war milde im Vergleich zur lebenslänglichen Haft, sie setzte Consul und Senat größten Gefahren aus, sie brachte nichts. Caesar argumentierte, nachdem er der Teilnahme an der Verschwörung verdächtigt worden war, aus schwieriger Situation heraus. Andere, die sich in ähnlicher Lage befanden, waren gar nicht erst gekommen, wie zum Beispiel Crassus. Jetzt distanzierte sich der Pontifex Maximus von den Catilinariern und tat zugleich alles zu ihrer Rettung, was im Moment möglich war. Denn das Verbot späterer Begnadigung war natürlich nicht viel wert. Er bekannte sich zu allen Rechten, die der Senat mit dem senatus consultum ultimum beanspruchte, versuchte aber zugleich, deren Wahrnehmung zu verhindern. Er schlug harte Strafen vor und hielt sich doch streng an die Gesetze, die eine Dauerhaft nicht verboten. Dabei war er vergleichsweise milde und trat für das Freiheitsrecht der Provocation ein, ganz wie es die populare Agitation wollte und wie es seiner bisherigen Politik entsprach. Er vereitelte den Effekt des statuierten Exempels und half damit, die Verschwörung zu verlängern, so daß auch die Chancen für eine Rückberufung des Pompeius samt seiner Armee stiegen. Er widersprach dem Consul und der Senatsmehrheit und schien doch deren Interessen besonders klug zu verfechten. Und je mehr er sie verfocht, um so betroffener machte er sie, indem er in ihnen die
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Angst keimen ließ, daß sie unnötigerweise den Consul und sich gefährdeten. Eine Angst, die sie ohnehin hatten, vergrößert um den Schrecken, daß sie fast das Falsche getan hätten. Was Caesar sagte, klang also überzeugend. Was er vorschlug, war verführerisch. Und dabei lief es darauf hinaus, daß ein schwerer Schlag gegen das vom Senat bis dahin behauptete Recht geführt wurde, in Notfällen mit letzter Härte und notfalls auch gegen die Gesetze zu verfahren. Ein Schlag auch gegen den Versuch, endlich und in einer überzeugenden Sache wieder einmal senatorische Entschiedenheit und Härte zu demonstrieren. Kein Zweifel, Caesar muß es genossen haben, daß er dem Senat mit staatsmännischer Gebärde etwas empfehlen konnte, was nach bisherigen Maßstäben und nach Ansicht seiner Führer so gar nicht seinem Interesse entsprach. Und das in einer einzigen Bekundung großer Verantwortung und mit unschuldiger Miene. Entgegen den Meinungen, die die maßgebenden Senatoren bisher von ihm gehegt und über ihn geäußert hatten. Irritierend also und um so ärgerlicher, je besser, je dichter die Argumentation, je unangreifbarer die zur Schau getragene Gesinnung. Cicero bemerkt, man sehe hier, welch Unterschied bestehe zwischen der Leichtfertigkeit der Volksredner und einem wirklich popularen Geist, der für das Wohl des Volkes sorge. Gleichgültig, ob er das damals gesagt oder erst später geschrieben hat, es bezeichnet die erregende, erwartungswidrige, aufreizende Kombination von popularis und Staatsmann, welche Caesar damals so stark machte. Denn die Gesichtspunkte des Gros der Senatoren waren nicht unbedingt die der Führenden. Dieses Gros mochte sich durch ihn beeindrucken lassen. Und Caesar muß ein erstaunliches Maß an Virtuosität an den Tag gelegt haben. Die Wirkung der Rede war ungeheuer. Die nach Caesar Befragten stimmten fast ausnahmslos für seinen Antrag, gegen die geschlossene Autorität der Consulare. Ein wohl einmaliger Vorgang. Man war froh, nichts Endgültiges beschließen,
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keine Entschiedenheit in so schwieriger Frage aufbringen zu müssen. Darauf unterbricht der Consul die Debatte. In einer Rede – der vierten catilinarischen – antwortet er auf Caesars fürsorgliche Bedenken, auf die ängstlichen, verstohlenen Blicke vieler Senatoren, die ihn trafen. Er erklärt, man möge auf ihn keine Rücksicht nehmen, sich vielmehr allein vom Gemeinwohl leiten lassen. Denn er bezieht natürlich alles auf sich und seine Gefährdung. Aber die Angst und Unsicherheit hat auch ihn schon gepackt, selbst sein Bruder ist sich nicht im klaren, ob er wirklich meint, was er sagt. Zwischenrufe unterbrechen ihn, es breitet sich der Zweifel aus, ob er überhaupt in der Lage sei, solch einen Beschluß am gleichen Tag in die Tat umzusetzen; ob es überhaupt tunlich sei, angesichts so unsicherer Verhältnisse eine Entscheidung zu fällen. Unter diesen Umständen beginnt Cicero eine neue Umfrage. Gleich der erste bekundet, mit ultima poena habe er natürlich auch die lebenslängliche Haft gemeint. Und trotz des Widerspruchs einiger der Principes stimmt deren Mehrheit wie die der Praetorier – Ciceros Bruder eingeschlossen – für Caesars Vorschlag. Die Verfechter der Todesstrafe erweisen sich als so schwach, daß es einer der Praetorier, Tiberius Claudius Nero, wagt, noch einen Schritt weiterzugehen. Er beantragt: Man möge die Entscheidung aufschieben, bis Catilina geschlagen sei. Dann solle der Consul unter bewaffnetem Schutz aufs Neue berichten. Damit wäre der Eindruck der Unschlüssigkeit, der Schwäche, der Führungsunfähigkeit des Senats auf die Spitze getrieben worden, wäre alles getan gewesen, um die Verschwörung am Leben zu erhalten und zu ermutigen. Nero hat kurz vorher als Legat unter Pompeius gedient, jetzt vertritt er ganz offenkundig dessen Interessen. Auch dieser Vorschlag findet Zustimmung, der Consul ist machtlos. Die Anhänger der Todesstrafe scheinen endgültig unterlegen zu sein. Erst das Votum eines der Jüngsten, eines Hinterbänklers, des zweiunddreißigjährigen designierten Volkstribunen Marcus Cato wendet die Lage. Nochmal gibt es eine große Rede. Sie geht mit Caesar, geht mit dem ganzen Haus hart ins Gericht.
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33 Einfallsreich und durchaus unkonventionell in seiner Taktik, in der Wahl seiner Mittel; kein Stratege; unbeweglich und äußerlich wie innerlich unangefochten in seiner Zielsetzung. Marcus Porcius Cato. Inschriftlich bezeichnete Bildnisbüste des 1. Jahrhunderts n. Chr. nach dem Vorbild eines zeitgenössischen Porträts. Rabat, Archäologisches Museum. Rücksichtslos werden die Väter beschämt. Für Cato ist die Sache ganz klar. Und entsprechend verficht er sie: Einen solch unerhörten Anschlag darf man sich nicht bieten lassen, man muß ihn aufs schärfste ahnden, muß ein Beispiel setzen. Mit der falschen Rücksicht muß es ein Ende haben. Er redet den Senatoren derart ins Gewissen, daß sie sich umstimmen lassen. Nach senatorischer Sitte erhebt sich der eine und der andere und stellt sich zu ihm, auf seine Seite. Die Zahl der Beitretenden schlägt zur Mehrheit um. Es wird beschlossen, die
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fünf Catilinarier hinzurichten. Übrigens ist eine pikante kleine Szene am Rande zu vermerken. Während Cato sprach und Caesar der Komplizenschaft mit den Catilinariern verdächtigte, wurde diesem ein Brief zugesteckt. Sogleich schöpfte Cato Verdacht und warf ihm vor, Caesar lasse sich selbst in den Senat von den Feinden des Gemeinwesens Botschaften zusenden. Er verlangte, daß der Brief verlesen werde. Da reichte ihm Caesar mit einem amüsierten Lächeln das anzügliche Billet d’amour von Catos Halbschwester Servilia. Caesar scheint mit Cato in einen heftigen Wortwechsel geraten zu sein – es soll eine solche Erregung entstanden sein, daß einige junge Ritter von der Wachmannschaft eingriffen und Caesar fast erschlagen hätten. Einige Quellen berichten, diese Szene habe sich beim Ausgang abgespielt. Mit knapper Not und besonders, weil Cicero dazwischentrat, sei Caesar gerettet worden. Später haben manche der alten Senatoren Cicero einen Vorwurf daraus gemacht. Zum ersten Mal, soweit wir wissen, standen damals die beiden stärksten Charaktere der späten Republik gegeneinander, der seit dieser Rede entschiedenste Verfechter der Senatspolitik und ihr bald gefährlichster Gegner. Es war – mit einer Ausnahme im Jahre 59 – das einzige Mal, daß Caesar, bevor er im Bürgerkrieg Herr über Rom wurde, gute Aussicht hatte, den ganzen Senat zu überzeugen; und dazu in einer sehr zentralen Frage. Man sollte aber nicht verkennen, was es bedeutete, daß hier die Dinge auf Messers Schneide standen. Daß hier nicht nur zwischen Caesar und Cato, sondern wohl auch zwischen zwei ganz verschiedenen Möglichkeiten senatorischer Politik die Entscheidung offen war. Das ergibt sich, wenn man bedenkt, wie folgenreich Catos Sieg war, wie folgenreich Caesars Eingreifen, das diesen Sieg erst ermöglichte. Wieviel hier gar nicht schicksalhaft war, sondern durch den großen Auftritt dieses außerordentlichen Mannes bestimmt wurde am Gang der Ereignisse, an den Ausgangspositionen für die Rückkehr des Pompeius und für die Zukunft der Republik in dem Jahrzehnt, das sie noch zu bestehen hatte. Es sollte sehr rasch deutlich werden.
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Sallust hat Caesar und Cato bei dieser Gelegenheit nebenund gegeneinander gewürdigt. In vielem waren sie einander fast ebenbürtig, in Herkunft, Alter, Beredsamkeit, »Großgesinntheit« (magnitudo animi) und Ruhm. »Caesar galt als groß durch Spenden und Freigiebigkeit, Cato durch die Unbescholtenheit seines Lebens. Jener wurde durch Milde und Mitleid berühmt, diesem hatte die Strenge seinen Rang verliehen. Caesar erlangte Ruhm durch Geben, Helfen, Verzeihen, Cato, indem er nichts verschwendete. In dem einen fanden die Armen ihre Zuflucht, in dem anderen die Bösen ihr Verderben. An jenem wurde die elastische Leichtigkeit, an diesem die unerschütterlich feste Haltung gelobt.« Man könnte auch von Caesars Sinn für das Angebrachte und von Catos unerschütterlichem Festhalten am Hergebrachten sprechen. »Endlich hatte Caesar es sich zum Grundsatz gemacht, tätig und wachsam zu sein, um die Angelegenheiten der Freunde bemüht die eigenen zu vernachlässigen, nichts abzuschlagen, was eines Geschenks würdig wäre; für sich wünschte er ein großes Kommando, ein Heer, einen neuen Krieg, wo seine Tatkraft glänzen konnte. Cato richtete sein Streben auf Maßhalten, Anständigkeit, vor allem aber auf Strenge; er wetteiferte nicht um Reichtum mit dem Reichen und nicht um Einfluß mit dem Intriganten, sondern mit dem Tüchtigen um Manneswert, mit dem Maßvollen um Zucht, mit dem Unbescholtenen um Selbstlosigkeit; er wollte lieber gut sein als scheinen. So folgte ihm der Ruhm, je weniger er ihn suchte.« Es ist römisch und sallustisch, wie sehr hier das Moralische im Vordergrund der Würdigung, zumal bei Cato steht; aber es ist nicht ganz unangemessen. Cato machte nämlich aus der Moral ein Programm. Da alle den Grund für den Niedergang der Zeit im moralischen Versagen sahen, zog er die Folgerung, daß man sich eben nach alter Römerart zu benehmen und die anderen zu veranlassen habe, das gleiche zu tun. Er war eine starke, unerschütterliche Natur, wurzelnd in der stoischen Philosophie, die er bis zur Lächerlichkeit konsequent praktizierte, felsenfest von der Richtigkeit seiner Politik überzeugt. Einfallsreich und durchaus unkonventionell in seiner Taktik,
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in der Wahl seiner Mittel; kein Stratege; unbeweglich und äußerlich wie innerlich unangefochten in seiner Zielsetzung: Nichts dürfe geneuert werden; jeden Zentimeter der alten Ordnung müsse man behaupten und verteidigen. So waren Caesar und Cato zwei grundverschiedene Exponenten der römischen Aristokratie. Jeder von ihnen vereinseitigte bestimmte Züge, die eher zusammengehörten; und sie vereinseitigten sie auf die Dauer bis ins Perverse hinein. Catos Position verbindet sich für uns mit der senatorischen; schon weil er zum Vorkämpfer des Senats wurde und weil er am Alten hing und festhielt. Aber Caesar neigte keineswegs dem Neuen zu; er verschloß sich nur nicht dagegen. Wenn Cato für die Republik war, so war Caesar nicht gegen sie; er handelte nur viel freier, und das hatte zuletzt Konsequenzen für deren Bestand. Cato dachte von innen, Caesar eher von außen. Cato wollte die Republik bewahren, Caesar sich in ihr entfalten. Er nahm sie als Gegebenheit, während sie für Cato etwas zu Verteidigendes und Wiederherzustellendes war. Vermutlich hätte Cato ohnehin in der späten Republik eine wichtige Rolle gespielt. Aber es ist doch sehr die Frage, ob er dies ohne Caesar damals schon begonnen hätte. Erst Caesars so ungemein erfolgreiches Eingreifen, durch das die Autoritätsverhältnisse im Senat umgestürzt wurden, bot ihm die Möglichkeit zu dem Sieg, der ihm sofort so große Autorität verschaffte. Und darauf folgte gleich ein zweiter großer Erfolg. Auch dabei hatte Caesar mitgewirkt, und eben das hatte weitreichende Konsequenzen. Hätte sich die durch Caesar verfochtene Möglichkeit senatorischer Politik am 5. Dezember 63 durchgesetzt, so hätte sich der Senat in der Folgezeit den Forderungen des Pompeius vermutlich nicht so entschieden verweigert. Dann aber wäre die Chance für Caesars großen Aufstieg vermutlich gar nicht erst entstanden. Und die Schwäche des Senats war jedenfalls die beste Voraussetzung für das Andauern seines Regimes. Caesar handelte also objektiv viel mehr in dessen Sinne als Cato. Beide wußten freilich nicht, was sie taten. Die allgemeine Auffassung war, daß der Senat stark zu sein hatte, um regieren
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zu können. Vom weiteren Ablauf her gesehen, liegt eine tiefe Ironie in dem Geschehen: Indem Caesar mit seiner wohl eher auf den Augenblick, auf die Forderungen popularer Politik und Pompeius’ Interessen gerichteten glanzvollen Bemühung nicht nur scheiterte, sondern auch Cato mächtig machte, schuf er die Voraussetzung für den Konflikt, aus dem heraus sein Aufstieg möglich wurde. Da man kaum annehmen kann, daß er so weit in die Zukunft plante, läuft es darauf hinaus, daß Caesar wie Cato im Endeffekt genau das erreichten, was sie nicht wollten. Die Catilinarier wurden gleich nach dem Senatsbeschluß aus den Häusern, in denen sie, jeder für sich, festgesetzt worden waren, geholt. Durch die schweigende Menge auf dem Forum steuerten die fünf Gruppen auf das Gefängnis zu. Dort ließ Cicero die Gefangenen erdrosseln. Draußen teilte er dem Volk mit: »Sie haben gelebt.« Als Held des Tages wurde er feierlich nach Hause geleitet, überall waren Lampen und Fackeln angebracht, die Spannung hatte sich gelöst. Was an Sympathie für Catilina und seine Pläne vorhanden gewesen war, war gewichen, seit deutlich wurde, daß die Catilinarier Feuer in der Stadt hatten legen wollen. Dann hatte man voll Schaudern die Demonstration senatorischer Macht erlebt. Jetzt öffnete man sich befreit der Suggestion des Geschehens. Das Todesurteil hat auf die in Etrurien stehenden Aufständischen eine verheerende Wirkung geübt. Viele entfernten sich; nur ein harter Kern versuchte, geschlossen nach Norden auszubrechen. Im Januar wurde er besiegt und aufgerieben. Catilina fiel nach tapferem Kampf. Dies war zwar am 10. Dezember, als die neuen Volkstribunen ihr Amt antraten, noch nicht abzusehen, zumal die wichtigste Armee dem Consul Antonius, Catilinas altem Verbündeten unterstellt war. Gleichwohl konnte es kaum für wahrscheinlich gehalten werden, daß Catilina sich noch bis zur Rückkunft des Pompeius hätte halten können. Aber Nepos stellte sogleich den Antrag, den Feldherrn zur Wiederherstellung der Ordnung mit der Armee nach Italien zu holen. Zur Vorbereitung richtete er massive Angriffe
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gegen Cicero, dem er vorwarf, gegen die Provocationsgesetze verstoßen zu haben. Er scheint angekündigt zu haben, daß Pompeius für die Bestrafung der Schuldigen sorgen werde. So meinte er wohl am ehesten, die neubegründete starke Macht des Senats erschüttern zu können. Doch Cicero ließ eine Heeresabteilung vor Rom legen. Der Senat beschloß, daß, wer die an der Hinrichtung der Catilinarier Beteiligten zur Rechenschaft ziehe, als ein Feind der Republik anzusehen sei. Die Ritter unterstützten diese Politik. Überdies veranlaßte Cato den Senat, eine erhebliche Verbesserung der Getreideversorgung für die Plebs vorzunehmen. Daher versuchte Nepos, seinen Antrag mit Gewalt durchzubringen. Seine Anhänger besetzten das Forum, verdrängten die Gegner. Die Aufgänge zum Castor-Tempel, wo er, von Caesar unterstützt, der Versammlung präsidierte und wo die Abstimmung stattfinden sollte, waren von Gladiatoren besetzt. Cato konnte sich nur mühsam dorthin durchkämpfen. Als er gegen die Verlesung des Antrags durch den Herold intercedierte, trug Nepos den Antrag selber vor; Cato riß ihm das Schriftstück aus der Hand; als Nepos dann auswendig fortfuhr, hielt ihm ein anderer Tribun den Mund zu. Darauf begannen Bewaffnete die Tribüne zu stürmen. Doch Cato hielt stand. Seine Anhänger wurden in die Flucht geschlagen, kehrten aber – durch sein Beispiel ermutigt – wieder zurück. Schließlich gab Nepos nach einigen weiteren Auseinandersetzungen und, nachdem der Senat den Äußersten Beschluß gefaßt hatte, auf, hielt eine drohende Rede, in der er sich über die Tyrannei in Rom beklagte, und floh zu Pompeius. Wir wissen nicht, ob das von vornherein vorgesehen war, um Pompeius den Vorwand zu liefern, sich gegebenenfalls zum Vorkämpfer der Volkstribunen zu machen und auf Rom marschieren zu können. Nepos’ Mission war also gescheitert, Cato hatte seinen zweiten großen Sieg errungen. Eben damit war der künftige Gegensatz zwischen Pompeius und dem Senat schon nahezu installiert. Mag sein, daß der Senat ohnehin, nachdem Pompeius sich die beiden großen Kommandos ertrotzt hatte, nicht mehr so einfach bereit gewesen wäre, ihm entgegenzukommen. Aber
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34 Teil eines Triumphzuges. Auf einer Tragbahre (ferculum) werden zwei gefesselte Barbaren vorgeführt, zwischen ihnen eine Trophäe; rechts im Bild bläst ein Trompeter zum Aufbruch. Fragment vom Fries des frühaugusteischen Apollo-Tempels beim Marcellus-Theater. Rom, Konservatorenpalast. seine Schwäche und die Furcht vor Pompeius hätten ihn vielleicht doch zu einigen Zugeständnissen gebracht. Jetzt aber, nachdem ihn Nepos so sehr herausgefordert, nachdem der Senat so sehr an Stärke und Zuversicht und der junge Cato so sehr an Autorität gewonnen hatte, war an Ausgleich kaum mehr zu denken. Dadurch vor allem ging die Episode der catilinarischen Verschwörung, gingen aber auch Caesars vielfältige, kräftige Einwirkungen in die Politik der folgenden Monate und Jahre ein. Pompeius ließ im Frühjahr verlauten, daß er friedlich, also ohne Legionen heimkehren wolle. Er wollte allen Verdächtigungen, wie sie zum Teil absichtlich ausgestreut wurden, entgegentreten, wollte sich auch von Nepos’ Drohungen distanzieren. Als er den Senat bat, die Wahlen bis zu seiner Ankunft zu verschieben – angeblich wollte er dabei für einen Freund eintreten, in Wirklichkeit wohl selber kandidieren –, war die Mehrheit dafür. Aber Cato hat es verhindert. Man kam Pompeius nur ein Stück weit entgegen: indem man die Wahlen bis zum Eintreffen seines Freundes verschob. Ende Dezember 62 landete Pompeius in Brundisium, dem heu-
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tigen Brindisi. Er entließ seine Truppen; später, so sagte er ihnen, wolle er sie zum Triumph nach Rom holen. Zu Zeiten Mommsens hat man die Entlassung nicht verstanden, weil man es für selbstverständlich hielt, daß Pompeius nach der Krone hätte greifen müssen. Inzwischen weiß man, daß eine Monarchie damals nur auf roher Gewalt hätte errichtet werden und wenig dauerhaft sein können; wahrscheinlich war daran nicht einmal zu denken. Ein Einmarsch konnte sich höchstens empfehlen, um im Sinne bestimmter Forderungen Druck auszuüben. Pompeius mußte jetzt ja die Versorgung seiner Veteranen mit Land und die Bestätigung seiner Neuordnung im Osten erreichen. Er scheint es nicht für möglich gehalten zu haben, daß man ihm die Erfüllung dieser Forderungen versagte, oder genauer vielleicht: er hielt es nicht für so wahrscheinlich, daß er darüber die Kritik, Ablehnung und Feindschaft hätte riskieren wollen, mit der man in Italien einem gewaltsamen Zug auf Rom begegnet wäre. Überall wurde er darauf großzügig geehrt und empfangen. Dann aber geriet er in den politischen Alltag, fand sich kaum zurecht, bewegte sich höchst ungeschickt und erlitt eine Schlappe nach der anderen. Um so glanzvoller war sein Triumph Ende September 61, der dritte, gefeiert über die Seeräuber und die östlichen Reiche. Nach Afrika und Spanien hatte er nun auch Asien besiegt. Der Zug wurde auf zwei Tage verteilt, so viel war zu zeigen. Und es war dennoch nicht möglich, die ganze Beute vorzuführen. Auf großen Tafeln waren die besiegten Länder und Völker verzeichnet: Pontos, Armenien, Paphlagonien, Kappadokien, Medien, Kolchis, die Iberer, die Albaner, Syrien, Kilikien, Mesopotamien, Phoenikien und Palaestina, Judaea, Arabien und die Gesamtheit der Seeräuber, die er zu Wasser und zu Lande niedergekämpft hatte. Auf anderen Tafeln wurde mitgeteilt, daß die öffentlichen Einnahmen sich durch Pompeius’ Eroberungen von fünfzig auf fünfundachtzig Millionen Denare jährlich erhöht hätten; daß Pompeius zwanzig Talente an Gold und Silber an das Aerar abliefere, nicht gerechnet die Beuteanteile der Soldaten. Auf großen Schaubildern waren seine Siege
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dargestellt, auch der Tod des Mithridates. Mehrere besiegte Könige und Mitglieder ihrer Familien gingen vor Pompeius’ Triumphalwagen einher. Er selbst trug einen Mantel Alexanders des Großen, den er im Schatz des Mithridates erbeutet hatte. Darin dokumentierte sich der Übergang der Weltherrschaft von den Makedonen auf die Römer. Es folgten die hohen Senatoren, die unter Pompeius als Legaten gedient hatten. Aus den Beutegeldern hatte Pompeius einen Minerva-Tempel zu bauen gelobt. Dort erklärte er später stolz auf einer Inschrift: »Cn. Pompeius der Imperator hat, nachdem der dreißigjährige Krieg beendet, 12.183.000 Menschen geschlagen, getötet, zur Unterwerfung angenommen, 846 Schiffe versenkt oder erbeutet, 1.538 Städte und Burgen ins Treueverhältnis aufgenommen, die Länder vom Asowschen bis zum Roten Meer unterworfen, sein Gelübde der Minerva nach Verdienst erfüllt.« Cicero hatte schon 63 erklärt, daß jetzt die Grenzen der römischen Herrschaft nicht mehr auf der Erde zu finden, sondern durch den Himmel bestimmt seien. Großartig also erschien Pompeius’ Leistung, sein Rang. Das war die Wirklichkeit, in der er etwas geleistet hatte, in der er lebte. Dem hatte es entsprochen, wenn ihm bewilligt worden war, daß er bei den öffentlichen Spielen das Triumphalkleid anlegen, sich also stets neu als der große Sieger präsentieren dürfte. Man kann gewiß annehmen, daß der imperiale Stolz, der sich darin zeigte, auch vom römischen Volk geteilt wurde, in diesen schlechten Zeiten der Republik, im Elend seines täglichen Lebens. Aber in Rom wurde die Wirklichkeit primär von der Aristokratie geprägt, und die war durch Pompeius’ Leistung wenig beeindruckt. Als er zum ersten Mal bei den Spielen das Triumphalkleid trug, erregte das soviel Kritik, daß er in Zukunft darauf verzichtete; zum Triumph hat er nicht einmal seine Soldaten einberufen. Möglicherweise fürchtete er deren Unwillen, weil noch nichts für ihre Versorgung geschehen war. In dieser Aristokratie gab es mehr und weniger Bewährte, mehr und weniger Einflußreiche. Aber es sollte keiner eine Vorzugsstellung bekleiden, geschweige denn manifestieren, die
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über die des primus inter pares hinausging. Der Senat weigerte sich auch, Pompeius’ Anordnungen im Osten in Bausch und Bogen zu bestätigen, er bestand darauf, sie eine nach der anderen zu prüfen. Dem wollte sich Pompeius nicht aussetzen, da er einen endlosen Kampf voraussah, in dem ihm die Gegner zermürbend hätten zusetzen können. Lucullus brannte darauf, mit ihm abzurechnen, Crassus befehdete ihn heftig. Der Widerstand gegen den Gesetzesantrag zur Ansiedlung der Veteranen war nicht weniger heftig. Man hätte ihn brechen können; der Antragsteller war auch schon im Begriff dazu. Aber Pompeius schreckte zurück und wagte es auch jetzt nicht, die Veteranen herbeizurufen. Er wollte nicht als Rechtsbrecher dastehen. So war er mit seinen beiden dringenden Forderungen gescheitert, als Caesar Mitte 60 aus Spanien zurückkam und sich um das Consulat bewerben wollte. Caesar hatte im Jahre 62 seine Praetur in Rom verwaltet. Gleich am 1. Januar hatte er wieder für Aufregung, ja Empörung gesorgt. Er beantragte nämlich, daß Catulus, der Erste der Senatoren, Rechenschaft ablege über den Wiederaufbau des capitolinischen Tempels und daß man den Auftrag an jemand anderen – gemeint war offenbar Pompeius – weitergebe. Er verwehrte es ihm, sich von der Rednertribüne aus dazu zu äußern. Es war eine unerhörte Demütigung, daß der würdige alte Herr zu Caesars Füßen zu sprechen hatte. Der Antrag stellte offenbar die Rache für die Verdächtigungen dar, die Catulus gegen ihn anläßlich der catilinarischen Verschwörung vorgebracht hatte. Der Pontifex Maximus und Praetor ließ sich nichts bieten. Er vergalt Auge um Auge, Zahn um Zahn, ganz kleinlich. Er fiel zurück aus der ruhigen Überlegenheit der Rede vom 5. Dezember 63 in seine agitatorischen Anfänge. Auf den starken Widerstand der Senatoren hin gab er seine Attacke auf, sie hatte ihren Zweck erfüllt. Catulus hatte mit seinen Verdächtigungen ja auch keinen Erfolg gehabt. Nach den bewaffneten Auseinandersetzungen um den Antrag des Nepos hatte man Caesar, wie Nepos selbst, von seinem Amt suspendiert. Das mag Teil der sehr entschiedenen Politik Catos gewesen sein, vielleicht aber auch Ausdruck
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des Ärgers der Senatsmehrheit über seine zunehmend herausfordernden Angriffe. Er erachtete es für rechtswidrig und fuhr fort, Gericht zu halten. Als er aber hörte, daß der Senat seinen Willen mit Gewalt durchsetzen wollte, legte er seine Toga Praetexta ab und begab sich nach Hause. Zwei Tage später versammelte sich dort »spontan« eine Volksmenge, um gegen seine Suspendierung zu protestieren. Er aber beschwichtigte sie, und das wiederum nahm der Senat zum willkommenen Anlaß, ihm zu danken und in seinen Magistrat wieder einzusetzen. Als er neuerdings von Denunzianten der Teilnahme an der catilinarischen Verschwörung beschuldigt wurde, schritt er energisch gegen sie ein, warf den einen ins Gefängnis und veranlaßte, daß die dem anderen verheißenen Prämien nicht ausgezahlt wurden. Im übrigen ist aus seinem Amtsjahr nur bekannt, daß er einen Afrikaner gegen die Ansprüche seines Königs so vehement verteidigte, daß er den Königssohn, der die Sache vertrat, am Bart zog. Sein Client wurde zwar für tributpflichtig erklärt, aber als der Gegner seine Hand auf ihn legen wollte, versteckte Caesar ihn und ließ ihn dann in der eigenen Sänfte nach Spanien bringen. Solche Geschichten wurden gern erzählt. Man merkte daran, wie sehr Caesar sich für die Seinen einsetzte. Und der Eindruck war nicht falsch: Er war wirklich ein sehr verläßlicher Freund. Am Ende des Jahres 62 kam es in seinem Hause zu einem intimen Skandal. Während dort das nur für Frauen zugängliche Bona-Dea-Fest gefeiert wurde, schlich sich Publius Clodius verkleidet ein, angeblich um so mit Caesars Frau ungestört Zusammensein zu können. Es wurde versucht, den Vorfall zu vertuschen oder herunterzuspielen; als das nicht gelang, weil Cicero und andere darauf bestanden, den unerhörten Religionsfrevel zu ahnden, gab es Auseinandersetzungen darüber, wie das Gericht zu bilden sei, vor das Clodius gestellt werden sollte. Aber dessen Freunde verhinderten zuerst ein Gesetz, das für ein zuverlässiges Gericht gesorgt hätte, dann bestachen sie den Geschworenenhof, der danach zustande gekommen war, so daß er Clodius freisprach. Das Geld kam von Crassus, welcher hoffte, in dem recht verwegenen, rücksichtslosen
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Mann einen wertvollen Helfer zu finden. Caesar behauptete, von der ganzen Geschichte nichts zu wissen, ließ sich aber von seiner Frau scheiden. Auf Fragen erwiderte er, seine Angehörigen müßten auch von Verdacht frei sein. Im Jahre 61 übernahm er die Statthalterschaft Hispania Ulterior, die ihr Zentrum im südlichen Spanien hatte. In aller Eile wollte er aufbrechen, noch bevor ihm die Gelder dafür angewiesen waren. Seine Abreise wurde jedoch durch seine Gläubiger verzögert, die ihn festhielten. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als Crassus um Hilfe zu bitten. Der verbürgte sich für 830 Talente, eine riesige Summe: es war etwa der achte Teil dessen, was Crassus selbst besaß, und Crassus war der reichste Mann Roms. Beim Übergang über die Alpen kam Caesar in einem armseligen kleinen Nest mit seinen Begleitern in ein Gespräch darüber, ob man sich dort wohl auch um Ämter streite. Da soll er in vollem Ernst erklärt haben: »Ich wenigstens wollte lieber hier der Erste als in Rom der Zweite sein.« Bald nach der Ankunft in der Provinz zog er gegen einige Völkerstämme im heutigen Portugal und in Nordwestspanien zu Felde. Zum Teil hatte er dazu neue Truppen aufgestellt. Er ging mit großer Energie und Geschick vor, machte sehr viel Beute und Eroberungen. Älterem Herkommen folgend akklamierten ihm die Soldaten nach einem Gefecht als Imperator. Das war der Titel, den jeder römische Feldherr trug, aber die Akklamation stellte die eigentliche Ehrung des Siegers in einer Schlacht dar. Auf Caesars Bericht hin beschloß der Senat ihm einen Triumph. Während sich Caesar um die Verwaltung und Rechtsprechung in der Provinz kümmerte, fand er für einen alten Konflikt zwischen Gläubigern und Schuldnern die Lösung: Die Schuldner sollten pro Jahr nicht mehr – aber auch nicht weniger – als zwei Drittel ihrer Einkünfte zahlen, bis die Schuld getilgt sei. Caesar erwirkte auch die Kassation einer in den siebziger Jahren der Provinz auferlegten Sondersteuer beim Senat und begründete damit ein Patronat über sie. Während der Statthalterschaft muß er viel Geld zusammengebracht,
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eine Quelle berichtet sogar: »zusammengebettelt«, auch soll er einige Siedlungen geplündert haben. Bei seiner Rückkehr waren seine finanziellen Verhältnisse jedenfalls wesentlich besser als vorher. Ohne noch einen Nachfolger abzuwarten, brach er schließlich im Frühjahr 60 in aller Eile nach Rom auf. Er wußte inzwischen, daß Pompeius mit seinen beiden, für ihn so wichtigen Forderungen immer noch nicht durchgekommen war, und er sah die Chance, sich ihrer gegen eine hohe Prämie anzunehmen. Denn für 59 konnte er sich um das Consulat bewerben. Die Gegner, Cato und seine Verbündeten, sahen es mit großer Sorge. Durch die Bewilligung des Triumphes war Caesar in eine schwierige Lage gekommen. Wenn er ihn feiern wollte – und er begann gleich nach der Rückkehr im Frühsommer mit den Vorbereitungen –, mußte er zunächst vor der geheiligten Stadtgrenze bleiben. Erst am Tag des Triumphes durfte er sie überschreiten. Seine Bewerbung um das Consulat aber mußte er Anfang Juli in der Stadt anmelden. Bis dahin konnte er nicht triumphiert haben. Sollte er darauf verzichten? Um die Kandidatur für ihn weniger anziehend zu machen, hatte der Senat die »Wälder und Triften Italiens« als Provinzen für die Consuln des nächsten Jahres festgesetzt, ‘zwei Sinekuren, bei denen nichts zu holen war, beleidigend gleichgültig. Wir kennen keinen auch nur entfernt ähnlichen Provinzen-Beschluß des Senats. Am ehesten vergleichbar war es, als man einmal einen Consul in eine Provinz sandte, um ihn davon abzuhalten, ein unbequemes Gesetz, das er beantragt hatte, durchzusetzen. Aber das war ein ehrenvoller Auftrag, und der Senat reagierte nur. Hier dagegen handelte er präventiv, abschreckend, er verhängte gleichsam eine Strafe für die Kandidatur zum Consulat. Doch ließ sich Caesar dadurch nicht abhalten. Er bat den Senat um die Erlaubnis, sich in Abwesenheit bewerben zu dürfen. Eine Mehrheit von Senatoren scheint bereit gewesen zu sein, ihm entgegenzukommen. Daraufhin hielt Cato eine
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Dauerrede, er filibusterte und war nicht fertig, bevor die Sonne unterging. Es konnte also kein Beschluß gefaßt werden. Am nächsten Morgen gab Caesar den Triumph auf und meldete beim Wahlleiter seine Kandidatur an. Merkwürdig, daß die Senatsmehrheit zwar bereit war, die »Wälder und Triften« als Provinzen zu beschließen, nicht jedoch Caesars Antrag auf Dispens abzulehnen. Hatte sich inzwischen die Situation geändert, so daß man jetzt besser als vorher sah, wie aussichtsreich Caesars Kandidatur war – so daß viele es mit ihm nicht verderben wollten? Oder hatten Caesars Freunde sich jetzt stärker ins Mittel gelegt? Pompeius hatte vielleicht nichts gegen den Provinzenbeschluß, weil er Caesar eher von ihm abhängig machte, aber er hatte viel gegen eine Verzögerung seiner Bewerbung. Es ist jedenfalls schwer zu verstehen, wie man meinen konnte, Caesar werde sich durch so kleinliche Schikanen von so großen Aussichten abhalten lassen. Denn es war die Chance seines Lebens, die sich ihm hier bot. Pompeius war auf ihn angewiesen. Er mußte – nach so vielen Niederlagen – dazu zu bringen sein, alles an Unterstützung zu mobilisieren, um mit Caesars Hilfe bei der Volksversammlung zum Erfolg zu kommen. Er mußte bereit sein, ihm eine Gegenleistung zu bieten. Caesar aber wollte, wie sich dann zeigte, eine Provinz bekommen, von der aus er große Eroberungen machen konnte. Es gab keine andere Möglichkeit, außerordentlichen Machtgewinn zu erzielen; Ruhm, Reichtum, eine große Gefolgschaft an Veteranen; keine andere Möglichkeit, sich so zu bewähren, fern von allen aufreizenden Beengungen der Oligarchie, von allen Kleinlichkeiten stadtrömischer Politik. Wenn Pompeius’ Forderungen durchgesetzt wurden, mußte auch ein entsprechendes Provinzen-Gesetz durchzusetzen sein. Konnten Cato und seine Verbündeten diese Pläne Caesars damals nicht wenigstens vermuten? Zwar wäre es etwas ganz Neues gewesen, daß ein großes Sonderkommando eingerichtet würde, wo gar kein Krieg war. Vorher waren immer die Kriege vor den Sonderkommandos dagewesen. Aber der Gedanke an eine solche Möglichkeit kann doch wohl die Phantasie
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der Gegner nicht überstiegen haben. Jedenfalls hat Cato, was immer er über Caesars Pläne dachte, auf die vielfältigen Obstruktionsmittel und die Überlegenheit des Senats gebaut, die sich bis dahin noch fast immer letztlich bewährt hatten. Er wollte, getreu seinem Programm, jeden Zentimeter der alten Ordnung verteidigen. Und er wollte die Dinge nicht an sich herankommen lassen, sondern vorbeugen. Er konnte von Caesar nichts Gutes erwarten. Daher bekämpfte er ihn schon jetzt systematisch. Seinerseits und von Senats wegen legte er ihn auf seine Außenseiterrolle fest. Roms Aristokraten haben sich zu allen Zeiten nach Kräften gegenseitig ausgestochen. Aber sie hatten dabei in aller Regel bestimmte Grenzen eingehalten. Es gab einen Wettbewerb um jede Position. Doch hatte jeder grundsätzlich die gleichen Chancen, dahin zu gelangen. Es war nicht die Sache des Standes gewesen, die Positionen selbst um eines Einzelnen willen zu entwerten. Hier dagegen wurde in der Verteidigung des Senatsregimes eine der Voraussetzungen der grundlegenden ständischen Solidarität zu Schanden gebracht. Vielleicht wurde sogar durch Verteidigung der Angriff auf das Senatsregime erst recht provoziert? Die Realität härtete sich, die Auseinandersetzungen nahmen einen neuen Ernst an. Mindestens von Cato her wurde bewußt gemacht, daß das Geschick der res publica auf dem Spiel stünde; gegen Caesar wie gegen Pompeius. Caesar hatte, wie Cicero damals schrieb, sehr guten Wind in den Segeln. Er schloß ein Wahlbündnis mit Pompeius’ wohlhabendem Freund Lucceius, der sich bereitfand, in beider Namen Geldverteilungen an die Centurien zu versprechen. Crassus und Pompeius traten für ihn ein. Daß Männer, welche untereinander schlecht standen oder sich gar befehdeten, bei Wahlen die gleichen Kandidaten unterstützten, geschah damals öfter. Es ergab sich daraus, daß jeweils nur eine begrenzte Zahl von Kandidaten vorhanden war, mehr oder weniger nach Maßgabe der Geburtsjahrgänge. Aussichtsreich war nur, wer über eine Menge eigenen Wahleinflusses gebot. Die Unterstützung durch solche Rivalen war dann durch deren Verpflichtungen bedingt,
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außerdem mochten sie um die Gunst des Kandidaten wetteifern. Crassus wird auch größere Teile der Ritterschaft für Caesar mobilisiert haben. Weiter hatte Caesar den Stamm seiner Clienten und Freunde für sich sowie seinen Ruf. Er war mindestens sehr bekannt, hatte glanzvolle Spiele gegeben, Gladiatoren in silberner Rüstung; hatte sich für viele eingesetzt. Er war Pontifex Maximus, und ein Triumph war ihm bewilligt worden. Für das Gros der guten Gesellschaft scheint er ein extravaganter, unruhiger, besonders eindrucksvoller und kluger, aber keineswegs bedrohlicher Aristokrat gewesen zu sein. Ein enfant terrible. Wenn er zuweilen eigene Wege abseits des Üblichen ging und die hohen Herren einmal aufs Korn nahm, machte ihn das nur interessant. Wohl wird die Fremdheit, mit der er den anderen gegenüberstand, spürbar gewesen sein. Er war schwer zu verstehen, paßte in keine Schablone. Aber den Einwand, der darin liegen mochte, entschärfte er offenbar, indem er sich mit Bravour in der damaligen Gesellschaft bewegte und alle Instrumente virtuos und mit Erfolg zu betätigen verstand. Er war auch kein einfacher popularis, sondern spielte selbst diese Rolle überlegen, bestechend, mit glänzenden Argumenten, also, so mußte es scheinen, verantwortungsvoll. Er begegnete den Männern im zweiten Glied vermutlich um so freundlicher, je weniger er sich mit denen im ersten verstand. Indem er die Mächtigsten vor den Kopf stieß, mochte ihm die Rücksicht auf die Anderen nicht mehr als Rücksicht, sondern als Klugheit erscheinen. Und er könnte sie dazu gebracht haben, daß sie sich dadurch geehrt fühlten. Seine hervorragende, vielbewährte Redekunst, seine Unbekümmertheit, sein Charme, seine aristokratische Gebärde; Souveränität, Glanz des Auftretens und vielleicht sogar seine Arroganz mußten das Gros beeindrucken und für ihn einnehmen. Und die breite Menge hatte er ohnehin für sich, was jedoch nicht viel bedeutete. Die Gegner unterstützten mit aller Macht den dritten Kandidaten Marcus Calpurnius Bibulus, Catos Schwiegersohn. Er war ein ernster, strenger, ein wenig beschränkter Mann, fähig, einen geraden Kurs zu steuern. Seit der Aedilität befand er
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35 Abstimmungsszene. Der linke Wähler erhält von einem Wahlassistenten sein Stimmtäfelchen ausgehändigt. Im Hintergrund bezeichnen waagerechte Linien die Abgrenzung, durch die jede Stimmabteilung von den anderen getrennt war. Beide Wähler gehen über erhöhte, schmale Stege (pontes): dadurch sollte eine übersichtliche, unbeeinflußte Stimmabgabe garantiert werden. Münze des Publius Nerva, um 112. sich in Konkurrenz zu Caesar. Die führenden Senatoren handelten in einer bei Wahlen ganz seltenen Einmütigkeit. Damals ging es für sie um große Politik – während sie normalerweise bei den Wahlen jeder entsprechend seinen Verpflichtungen handelten. Sie legten zusammen und veranlaßten Bibulus, den Wählern die gleichen Summen zuzusagen wie Lucceius und Caesar. Selbst der sittenstrenge Cato hat das gebilligt, da die Sache der Republik auf dem Spiel stünde.
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Wohl Anfang Juli fand der Wahlakt auf dem Marsfeld statt – etwa in der Gegend, wo heute das Pantheon steht. Die Stadt ist voll von Menschen. Von überall aus Italien sind zahlreiche Bürger mit ihren Dienern nach Rom gekommen und bei ihren Gastfreunden eingekehrt. Beim Morgengrauen wird dann die Versammlung der Centurien durch Herolde und durch Trompetenstöße angekündigt. Der wahlleitende Consul holt in einem zeltartigen Tabernaculum nahe dem Marsfeld die Auspicien ein. Die Zustimmung der Götter durch entsprechende Zeichen ist von größter Bedeutung, damit die Gewählten die lange Kette römischer Magistrate würdig fortsetzen können. Mindestens die Formalitäten werden auch damals genau beachtet worden sein. Danach begibt sich der Wahlleiter auf den Abstimmungsplatz. In kleineren und größeren Gruppen strömen die Bürger dorthin, viele holen die Kandidaten ab, denen sie besonders verpflichtet sind, oder schließen sich deren wachsendem Gefolge an. Mit mehreren tausend Anwesenden ist wohl mindestens zu rechnen. Auf dem freien Feld, wo sonst Sport getrieben und geübt wird, ist eine Tribüne aufgeschlagen. Von dort eröffnet der Wahlleiter den Akt mit einer Contio, also einer ungeordneten Volksversammlung. Er spricht zunächst das feierliche Gebet, in dem er die unsterblichen Götter bittet, »daß diese Sache mir, meiner Gewissenhaftigkeit, meinem Amt, dem Volk und der Plebs von Rom gut und glücklich ausgehe«. Dann teilt er die Namen der Kandidaten mit. Diese haben sich, zusammen mit anderen Magistraten, in ihren geweißten Togen neben ihm auf der Tribüne postiert. Möglicherweise waren ihre Namen auch irgendwo groß angeschrieben. Wahlreden werden nicht gehalten, bestenfalls gibt es allgemein gehaltene Ermahnungen des Wahlleiters. Dann schickt er die Bürger zur Abstimmung. Sie müssen sich dazu in die Schranken (saepta) oder Pferche (oviles) begeben, Abzäunungen aus Holzgerüsten und Seilen, die zur Wahl aufgestellt werden, schmal und langgestreckt nebeneinander, groß genug, um die Mitglieder einer einzelnen Stimmabteilung, und zahlreich genug, um die Abteilungen eines
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Wahlgangs zu fassen. Am Eingang wird die Zugehörigkeit zur Abteilung überprüft, werden vielleicht auch die Stimmtäfelchen ausgegeben, denn die Abstimmung ist schriftlich. Am Ausgang geht jeder einzeln über einen schmalen Steg, um unbeeinflußt das Täfelchen abgeben zu können. Die Stimmabgabe wird durch die Beauftragten überwacht, die der Wahlleiter und die Kandidaten einsetzen. An diesem Ende muß ebenfalls eine Tribüne gestanden haben, von der aus der Wahlleiter den Vorgang verfolgt. Dort halten sich dann auch die Kandidaten auf. Die Wähler müssen beim Abgang an ihnen vorbeigehen. Zunächst wird eine Centurie der ersten Classe ausgelost, die als praerogativa fungieren soll: Sie stimmt vor allen anderen, das Ergebnis wird dann durch den Herold öffentlich ausgerufen. Es soll suggestiv auf die Versammlung wirken. Derjenige, den die praerogativa an erster Stelle wählte, wurde Cicero zufolge immer gewählt. Ihm fielen also zahlreiche freie zweite Stimmen der Versammelten zu – denn jeder Wähler hatte so viele Stimmen, wie Stellen zu besetzen waren. Insofern wirkte dieser Vorwegaufruf einer Centurie vereinheitlichend. Als nächstes werden dann die übrigen neunundsechzig Centurien der ersten Classe sowie zwölf Rittercenturien und einige Sonderabteilungen aufgerufen. Wenn ihre Stimmen gezählt sind, wird das Ergebnis vorgelesen. Danach folgt ein gesonderter Wahlgang der sechs vornehmsten und ältesten Rittercenturien, in denen auch die Senatorensöhne stimmen. Offensichtlich war er eingerichtet worden, damit diese Centurien auf Grund der Ergebnisse der ersten Classe die erfolgreichsten Kandidaten geschlossen wählen konnten, so daß für die anschließenden wiederum die Suggestion eines einheitlichen, mit besonderer Autorität ausgestatteten Votums entstünde. Das war ein beachtlicher Ausdruck senatorischer Solidarität; wir wissen nicht, ob die Institution noch in Caesars Zeit in alter Weise funktionierte. Jedenfalls ging die Absicht dahin, im ersten Wahlgang die Kräfte sich messen zu lassen und in den folgenden Geschlossenheit zu demonstrieren. Anschließend kommen die zweite bis fünfte Klasse nacheinander an die Reihe. Sobald die erforderliche Zahl von Kandidaten die abso-
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lute Mehrheit erreicht hat, wird der Wahlakt aber abgebrochen. Zahlenmäßig ist das, bei einer Gesamtzahl von einhundertdreiundneunzig Centurien, in der zweiten Klasse möglich. Man legte Wert darauf, daß die Entscheidung nicht erst von den untersten Schichten getroffen wurde, auch darauf, daß diese nicht einem Kandidaten eine besonders beachtliche Mehrheit verschaffen konnten. Auszeichnen konnte sich der Kandidat nur dadurch, daß er bis zum Erreichen der Mehrheit alle oder doch die meisten Centurien für sich hatte. Der zuerst Ausgerufene hatte auch bestimmte Vorrechte vor dem anderen. Die Versammlung dauerte viele Stunden, spätestens wenn die zweite Classe antrat, muß es schon sehr heiß gewesen sein. Wir wissen nicht, ob die Schranken durch Planen gegen die Sonne geschützt waren. Man kann sich denken, daß Kandidaten sich dazu versucht fühlten, solche Planen zu stiften. Wer gewählt hatte, konnte unter den anderen Wahlwerbung treiben oder er suchte Schatten in nahegelegenen Gebäuden. Am Ende wurden die gewählten Kandidaten in einer Contio vom Wahlleiter »renuntiiert«. Erst damit war ihre Wahl gültig. Denn formell ernannte, wörtlich »schuf« (creare), der Vorgänger den Nachfolger. Im Jahre 60 hat Caesar als erster die absolute Mehrheit der Stimmen erreicht, nach einer Quelle hat er sogar alle Centurien erhalten. Als zweiter ging Bibulus durchs Ziel. Die Wahrscheinlichkeit spricht dafür, daß zahlreiche Bürger Caesar und Bibulus zugleich wählten. Weil sie beiden verpflichtet und weil für sie die politischen Gegensätze nicht verbindlich waren, weil sie diese auch nicht so scharf wie Cato und die Seinen sehen und empfinden konnten. Das Phänomen des Außenseiters nahmen sie wohl eher gesellschaftlich. In den nächsten Wochen hat Caesar dann in langen Verhandlungen ein Bündnis mit Pompeius und Crassus hergestellt. Ziel dieses »Dreibunds« war die gemeinsame Durchsetzung von Absichten, mit denen sie einzeln gescheitert waren. Pompeius sollte seine beiden Forderungen, Crassus einen von ihm schon länger verfochtenen Pachtnachlaß für die Steuerpächter
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Asiens, Caesar eine Provinz bekommen. Für die weitere Zukunft war nur die vage Formel vorgesehen, daß nichts im Gemeinwesen geschehen sollte, was einem der drei mißfiele. Da jeder von ihnen der Erste in Rom sein wollte, war über den Moment hinaus auch schwerlich Einigkeit zu erzielen. Das Bündnis war ungemein folgenreich. Eine Generation später begann Asinius Pollio seine Geschichte der Umwälzung der Republik mit dem Jahre 60. Cato erklärte später, nicht die Uneinigkeit, sondern die Einigkeit der drei habe die Republik zugrunde gerichtet. Aber es ist zu fragen, ob wirklich die Vereinigung der drei Herren und nicht eher die Art, in der Caesar ihre Politik ausführte, das eigentlich Gravierende war. Damals ging ein großes Unwetter über dem Land nieder. Zahlreiche Bäume wurden entwurzelt, viele Häuser zum Einsturz gebracht, Schiffe im Tiber und an dessen Mündung versenkt, die hölzerne Tiberbrücke zerstört, ein anläßlich eines Festes aus Holz errichtetes Theater brach zusammen. Eine größere Anzahl von Menschen kam um. So berichtet es die römische Geschichtsschreibung: Große Ereignisse schlagen sich nach damals verbreitetem Glauben auch in der Natur nieder. Hier konnte man das nachträglich bestätigt sehen. Cicero hatte sich eine Weile lang der Illusion hingegeben, er könne Pompeius auf die Seite des Senats ziehen. Im Jahre 60 schrieb er an seinen zweifelnden Freund Atticus, er denke daran, auch Caesar zur Vernunft zu bringen – wörtlich: »besser zu machen«. Und er sprach von einer »Medizin, die die kranken Teile des Gemeinwesens heilt statt herausschneidet«. Es stellt sich damit, wie immer, wenn man große Entscheidungen nachträglich betrachtet, die Frage, ob es auch anders hätte gemacht werden können, die Frage nach den Möglichkeiten und Wahrscheinlichkeiten, die in jener Situation bestanden, welche nur die andere Seite derjenigen ist, wie es zu dem kam, was dann eintrat. »Wohl dem, der sagen kann ›als‹, ›ehe‹ und ›nachdem‹! Es mag ihm Schlechtes widerfahren sein, oder er mag sich in Schmerzen gewunden haben: Sobald er imstande ist, die Ereignisse
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in der Reihenfolge ihres zeitlichen Ablaufes wiederzugeben, wird ihm so wohl, als schiene ihm die Sonne auf den Magen.« Darin äußert sich nach Musil »das Gesetz der erzählerischen Ordnung«, die »bewährteste perspektivische Verkürzung des Verstandes«. Man muß ihm widerstehen, wenn man die ganze Schwierigkeit gewahren will, die das hier erzählte Geschehen unserem Verständnis bietet. So gut man nachvollziehen kann, daß der Senat sich damals gegen Pompeius stellte: War das nicht ungeheuer kurzsichtig? Denn der wollte sich doch mit dem Senat vertragen, hatte sogar allen Respekt vor ihm. Brauchte man nicht bei der Schwäche des Senats jede Hilfe, die sich bot? Legte nicht gerade die Gefahr für die res publica ein Bündnis mit ihm nahe? Tat man also nicht sehr unklug daran, Pompeius zu bekämpfen? Und war die kleinliche Politik gegenüber Caesar wirklich angebracht? Aber auch sonst stellen sich viele Fragen: Wie kam es, daß der einst so mächtige Pompeius nach den inzwischen errungenen großen Erfolgen so schwach war? Wie kam es, daß der junge Cato mit seinen fünfunddreißig Jahren die Versammlung der Väter, teilweise gegen deren Neigung, daran hindern konnte, Pompeius und vor allem Caesar entgegenzukommen, so daß sich zwischen ihnen Gegensätze herausbildeten, die offenbar für das Gros der wohlhabenden Bürgerschaft schon nicht mehr verbindlich waren? Cato hat übrigens wochenlang auch den Pachtnachlaß für die Steuerpächter durch Filibustern hintertrieben. Was bestimmte damals über Macht und Ohnmacht? Was war maßgebend für die Gegensätze? Da mit den Gegensätzen der Spielraum möglicher Positionen, möglicher Anknüpfungspunkte gegeben ist, ist damit zugleich die Frage nach Caesars Möglichkeiten in der damaligen römischen Gesellschaft aufgeworfen.
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Krise und Gegensätze: Catos Autorität, Pompeius’ Schwierigkeit, Caesars Problem Mißverhältnis zwischen Alltags- und Verfassungspolitik • Cato in der Stellung des Vorkämpfers des Senats • Warum Pompeius bekämpft wurde • Verantwortlichkeit der senatorischen Führungsschicht • Desintegration, nicht Legitimitätskrise • Fehlen des Anknüpfungspunktes für Außenseiter In der Politik dieser Jahre ist eine Schizophrenie zu beobachten. Einerseits galten wie eh und je die Verpflichtungsverhältnisse und die sonstigen hergebrachten Motive aller Art, wonach etwa glanzvolle Spiele die Wähler für einen Kandidaten einnahmen. Es galt die gegenseitige Respektierung von Ansprüchen. All dies machte zusammen die Alltagspolitik mit ihren stets wechselnden Gruppierungen aus. Pompeius und Caesar waren in die vielfältigen Mechanismen der gesellschaftlichen Beziehungen selbstverständlich eingeschlossen. Andererseits gab es den Gesichtspunkt der Verfassungspolitik, unter dem der Senat im Endeffekt relativ geschlossen handelte, wie immer das jeweils bewirkt wurde. Auch dies hatte eine alte Tradition. In einer Ordnung, die so wenig festgelegt war wie die römische, die so weitgehend auf Beispielen, Präzedentien beruhte und in der die Machtverhältnisse aufs Ganze gesehen als Teil der »Verfassung« verstanden wurden, legte es sich nahe, daß das herrschende Organ der Aristokratie stets besonders sorgfältig darauf achtete, wie diese Ordnung durch neue politische Fakten je betroffen wurde. Man machte im Zweifel lieber sachliche Zugeständnisse, als daß man »neue unerhörte Beispiele« hingenommen hätte. Außerdem tat man alles, damit kein Einzelner so mächtig würde, daß er sich not-
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falls über den Senat hätte hinwegsetzen können. Darin hatte die Senatsoligarchie zuletzt immer ihre Einigkeit gewonnen. Hier war sie, bei aller sonstigen Elastizität, stets hart geblieben. Diese Solidarität hatte ihr die Führung gesichert. Die Alltagspolitik und die ausnahmsweise aktuell werdende Verfassungspolitik hatten sich stets gegenseitig ergänzt. Ähnliches galt übrigens von ihrem Verhältnis zur Behandlung der großen Fragen von Außenpolitik und Kriegführung. Neu war in den späten sechziger Jahren die Schwäche, aus der heraus die Verfassungspolitik betrieben wurde, deren Kleinlichkeit und Krampfhaftigkeit sowie ihr Mißverhältnis zur Alltagspolitik, das wie eine Schizophrenie wirkt. Seit alters war die Verfassungspolitik primär Sache der Principes. Sie hatten jeweils für die Wahrung der überkommenen Ordnung und für einen Ausgleich in deren Rahmen zu sorgen. Das war ihrer Rolle tief eingeprägt, und es entsprach ihrem Interesse. Ihre Autorität beruhte nämlich zum guten Teil darauf, daß sie die Sache des gesamten Hauses verfochten. Alte, tief in die Empfindungs- und Gedankenwelt eingerastete Erfahrungen hatten gelehrt, daß die anspruchsvolle, weltweit herrschende römische Aristokratie einer strengen Kontrolle und Grenzsetzung bedurfte. Das konnte kein Magistrat leisten. Die Principes aber waren verschiedentlich dazu imstande gewesen, und mit der Praxis bürgerte sich das Vermögen dazu bei ihnen ein. So gelang das welthistorisch äußerst seltene »Kunststück«, innerhalb einer von kräftigen Gegensätzen und Partikularinteressen durchzogenen Schicht eine Gruppe zu finden, in der das überparteiliche Interesse des Ganzen sich institutionalisierte; wenn man denn als Kunststück bezeichnen darf, was aus einer langen Reihe geschickter Ansätze schließlich resultierte. Übrigens konnten die einzelnen Principes natürlich immer wieder höchst parteilich sein. Nur aufs Ganze gesehen und in ihrer gemeinsamen Rolle – und dank eines geschickten Ausgleichs von Streitfreiheit und -begrenzung – übten sie jene Funktion aus, wobei die Macht ihrer Patronage ihnen zugute kam. Diese Praxis wurde auch in der späten Republik fortgesetzt
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– wenn sie dann auch, angesichts der tiefer und bestimmender gewordenen Gegensätze nicht mehr so überparteilich, überzeugend und nicht immer mehr letztlich entscheidend geübt werden konnte. Es hatte sich allerdings schon seit einiger Zeit herausgestellt, daß jeweils eine einzelne Persönlichkeit von hoher Autorität sich der Sache des Hauses besonders annahm. Da brauchte es eine tägliche, aufmerksame Mühewaltung, einen großen Aufwand an Zeit und Kraft, an Verantwortung und das heißt auch an Zuversicht und Unverdrossenheit. Seit den siebziger Jahren hatte Catulus das aufgebracht. Dafür war er auch allgemein als der Erste der Senatoren respektiert worden. Als er 61 starb, soll Crassus versucht haben, seine Rolle zu übernehmen. Unter den Principes gab es keinen, der ihm Konkurrenz gemacht hätte. Aber der junge Cato tat es. Und er ist dann der engagierteste, entschiedenste kontinuierliche Verfechter der senatorischen Politik geworden. Die Schwierigkeit war nur, daß er von den Principes nicht genügend unterstützt wurde oder daß diese zu schwach waren, um das Gros der Senatoren auf eine kontinuierliche Verfolgung der gemeinsamen Linie einzuschwören. Innerhalb der führenden Schicht entstand vielmehr eine Bewegung gegenseitiger Abstoßung und Verfestigung zwischen der Nachlässigkeit und Resignation der Alten und der orthodoxen, trotzigen Strenge der Jungen. Wahrscheinlich kam hier vieles zusammen: Relative Machtlosigkeit erzeugte Resignation und Resignation relative Machtlosigkeit. Man zog sich gern ins Private zurück: Damals charakterisierte Cicero die hohen Herren als »Fischteichler«; nichts habe ihnen so am Herzen gelegen wie ihre Fische; nichts Schöneres, als die Meerbarben in ihren Teichen, die ihnen aus der Hand fräßen. Der Senat war schwer zu regieren: Erstmals stand die seit Sulla verdoppelte Zahl von Mitgliedern vor dem Problem, eine entschiedene, im Sinne des Senats parteiliche, starke Politik zu tragen. Dabei hatte sich die Gefälligkeitsgesinnung schon recht tief eingefressen. Schließlich hatten Pompeius’ Forderungen nach Landversorgung seiner Veteranen einige Berechtigung.
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Und warum sollte Caesars Triumph am Verbot der Bewerbung in absentia scheitern? Vieles stand einer entschiedenen senatorischen Politik im Wege. Nur gehörte irgendeine neue Einsicht, daß man sich Pompeius eher verbinden als ihn bekämpfen müsse, nicht dazu. Um so stärker war Cato, um so größer seine Autorität. Denn er konnte dasselbe, was Principes und Senat nur halbherzig und schwächlich vertraten, aus voller Überzeugung und mit aller Kraft verfechten: Die senatorische Verantwortung für das Gemeinwesen und den Grundsatz, daß jeder sich der Standesdisziplin zu fügen habe und keiner zu mächtig werden dürfe. Catos Sache entsprach der alten Tradition senatorischer Verfassungspolitik, der allgemeinen Meinung der Senatoren. Was also hätte man gegen ihn einwenden sollen? An zweierlei Einwände wäre zu denken: an Pompeius’ guten Willen und an die damalige Lage der Republik. Aber wie freundlich auch immer Pompeius über die herkömmliche Ordnung denken, wie sehr er beabsichtigen mochte, dem Senatsregime zu dienen, er war Einzelgänger, konnte, wenn es darauf ankam, viel Macht aufbieten; durch die Erfüllung seiner Forderungen wäre er wesentlich mächtiger geworden; immer wieder mußte er in Konflikt mit der Senatsmehrheit geraten. Hatte Pompeius doch etwa die Interessen unzähliger Clienten zu vertreten, mußte doch sein Ruf als Patron leiden, wenn er sich nicht durchsetzte. Was immer er vorhatte, den Anforderungen einer Vorzugsstellung konnte er sich also nicht entziehen. Außerdem war er unzuverlässig. Man mußte von ihm gewärtigen, daß er sich bei nächster Gelegenheit wieder mit Hilfe der Volksversammlung holte, was er wollte. »Nichts Großartiges, nichts Hervorragendes, nichts, was nicht niedrig und popular ist,« habe er an sich, schrieb Cicero damals; und der stand ihm noch am freundlichsten gegenüber. Bei Licht besehen hieß das: Pompeius hielt sich für alle offen und wollte es vor allem mit den unruhigen und dem Senat potentiell so ungemütlichen Popularen nicht verderben. Was sollte er in seiner Lage, bei seinen durch Leistungen befestigten Ambi-
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tionen, auch sonst tun? mag man einwenden. Aber eben das war es ja, was Cato und andere in Aufregung versetzte. Und es war ja auch letztlich kein Unterschied, ob man nun Pompeius’ besondere Interessen oder die politischen Methoden, mit denen er sie verfolgte, zum Anlaß für die Gegnerschaft nahm. Nur mochte bei der starken moralischen Komponente politischen Urteilens in Rom der Vorwurf der Unzuverlässigkeit in den Vordergrund geraten. Man unterschied Politiker gern nach gut und schlecht. Wichtigstes Kriterium war, ob einer sein Handeln eher nach dem Senat oder nach der Menge ausrichtete. »Gut ist, was den Guten gefällt«, formuliert Cicero später diese Auffassung. Dabei kamen Moral und Politik für die Senatsmehrheit zur Deckung. Je mächtiger Pompeius wurde, um so nötiger, so konnte man sagen, war es, ihn zu bekämpfen. Und je träger die Senatsmehrheit sich zeigte, um so weniger war im Ernstfall Verlaß auf sie, um so notwendiger mochte es sein, um jeden Zentimeter der Ordnung zu kämpfen. Daher konnte es denn als geboten erscheinen, Caesar schon präventiv zu bekämpfen, was übrigens nur der Besonderheit seiner eigenen Pläne auf ein großes Kommando entsprochen hätte, welches einem Krieg nicht folgen, sondern vorausgehen sollte. Diese Pläne gehörten in Machtverhältnisse, in denen ein Mann wie Caesar meinen konnte, auf den Senat nicht angewiesen zu sein. Und es waren die gleichen Machtverhältnisse, in welchen die Senatsmehrheit unsicher war und welche Cato zu seiner Politik bestimmten. Seine Autorität war also zwar ungemein groß, aber keineswegs durchschlagend. Sie war umso größer, je schwerer er zu arbeiten hatte. Denn andernfalls hätte er sich nicht durchsetzen können. So ist die Kleinlichkeit und Krampfhaftigkeit seiner Politik Symptom sowohl für die Macht dieses Einzelgängers im Namen des Senats wie für seine Schwäche, die wesentlich diejenige des Senats war. Über der Schwäche des Senats darf aber nicht die Stärke seiner Sache übersehen werden. Sie war es, die in die Rolle einging, welche Cato dank seiner philosophischen Überzeugung und seiner Hartnäckigkeit so unvergleichlich zu spielen wußte.
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Diese Stärke beruhte darauf, daß die damalige Gesellschaft noch allgemein der überkommenen Ordnung anhing. Der Senat aber war deren Herz, Kraftzentrum und Ort des Ausgleichs zwischen allen Kräften. Von daher erledigt sich der zweite Einwand, der von heute her gegen Catos Politik immer wieder gemacht wird: Er habe nicht erkannt, daß Roms Adelsregime überlebt war, daß die Republik in einer tiefen Krise steckte, daß Pompeius’ Macht doch nur eine Auswirkung der Unfähigkeit des Senats war, die sachlichen Probleme des Gemeinwesens angemessen zu erledigen; eine Auswirkung des Versagens der alten Institutionen gegenüber den neuen Wirklichkeiten des weltweiten Herrschaftsbereichs. Es ist wohl schlechterdings von der führenden Schicht eines Gemeinwesens nicht zu verlangen, daß sie ihre Macht einfach aufgibt. Insoweit zur Macht das Bewußtsein einer Verantwortung gehört, wäre das verantwortungslos. Sie stehen nicht außerhalb, sondern innerhalb ihrer Welt; ihre Perspektiven sind also begrenzt. Wenn sie an sich nicht nur gelegentlich zweifeln, sondern irre werden sollen, so müssen sie schon durch Gegenkräfte dazu genötigt werden. Vermutlich tut man gut daran, die Mächtigen nicht so weit zu überschätzen, daß man ihnen auch noch das Fehlen oder die Schwächen einer Opposition zuschreibt. Die Macht der Mächtigen sollte nicht gleich als Alibi für die Ohnmacht der Schwachen dienen. Sie sind nur Teile der Gesellschaft, die insgesamt für den Zustand eines Gemeinwesens aufzukommen hat, durch Macht und Schwäche, durch Handeln und Sich-Enthalten. Ganz abgesehen von dieser allgemeinen Erwägung wäre im damaligen Rom, also in der Zurichtung, in den Befangenheiten der damaligen römischen Gesellschaft der Gedanke an ein freiwilliges Aufgeben oder Zurückweichen des Adels besonders schwierig gewesen. Einerseits gab es noch nicht die Unsicherheiten der Neuzeit: Das potentiell alles relativierende Bewußtsein von der Geschichte als großem Veränderungsprozeß, in dem alles Alte einmal »überholt« ist. Die Antike dachte im Strukturellen statisch. Daß Gegenwärtiges
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out of date, Gleichzeitiges ungleichzeitig sein könnte, wäre ihr undenkbar gewesen. Zudem war ihr das Gefühl fremd, daß alles auch ganz anders sein könnte, das Bestehende bloß willkürlich, beliebig. Andererseits konnte der jahrhundertelang regierende römische Adel nicht die Unschuld bloßer Funktionäre annehmen. Er war vielmehr existentiell mit der Republik verbunden. Und er konnte keinen Sinn für staatliche Schwäche entwickeln, weil es nämlich noch keine Scheidung von Staat und Gesellschaft gab. Das Gemeinwesen waren die römischen Bürger ja selbst, wenn auch in erheblichen Abstufungen. Schließlich unterlag die Verantwortung der römischen Führungsschicht für das Gemeinwesen, soweit wir sehen und schließen können, auch von außen keinem Zweifel. Es gab keine Konkurrenz für sie. Und es gab keinen Gedanken an eine andere Ordnung. Das klingt merkwürdig, wenn man an all die Mißstände in der damaligen Republik denkt. Es ist denn auch kaum gesehen, jedenfalls in seiner Eigenartigkeit kaum bedacht und betont worden. Man rechnet im Gegenteil neuerdings sogar mit einer Legitimitätskrise, erschließt sie aus dem Elend und der Unzufriedenheit der breiten Masse nicht nur in Rom, sondern auch in den übrigen Städten Italiens und auf dem Lande. Aus ihnen rekrutierten sich Roms Soldaten. So wird denn auch auf die Bereitwilligkeit verwiesen, mit der sie seit Sullas Marsch auf Rom ihren Feldherrn auch gegen den Senat gefolgt sind. Allein, mit einer Legitimitätskrise kann man für die römische Republik um 60 v. Chr. nur rechnen, sofern man bestimmte Besonderheiten der neuzeitlichen und modernen Staatlichkeit unreflektiert und fälschlich dorthin überträgt. Eine eigenständige Staatlichkeit aber hatte das römische Gemeinwesen gerade nicht ausgebildet. Unendlich viel, was bei uns der Staat an sich riß oder entwickelte und was ohne ihn gar nicht mehr geht, erledigten die Mitglieder der römischen Gesellschaft unter sich: So brauchten sie keine Bürokratie, keinen Staatsanwalt, keine Kriminalpolizei, kein öffentliches Schulwesen, keine Post. Selbst für das Bedürfnis
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nach öffentlicher Ordnung kamen in der Regel die Einzelnen mit Hilfe von Nachbarn, Clienten oder Sklaven auf. Unendlich viel weniger als heute war man auf öffentliche Dienste angewiesen. Es wurden also viel geringere Erwartungen an das Gemeinwesen gerichtet. Umgekehrt zahlte man keine direkten Steuern. Nur bis 167 v. Chr. hatte es bei Bedarf, zumal in Kriegszeiten, Umlagen nach Maßgabe des Vermögens gegeben, die nach Möglichkeit wieder zurückgezahlt wurden. Damit fehlte auch ein gut Teil des Legitimierungsdrucks, der der Ausbildung der Staatlichkeit entspricht. Wo in der Neuzeit die Einzelnen wesentliche Rechte und Fähigkeiten zur Selbsthilfe aufgaben, viele Steuern zahlten und dienten, korrespondierten dieser Entmächtigung Zusagen oder gar Verheißungen von Schutz, Fürsorge, Wohlfahrt, zuletzt Daseinsvorsorge. Man brauchte sie auch. Max Weber spricht vom »steigenden Bedürfnis einer an feste absolute Befriedung gewöhnten Gesellschaft nach Ordnung und Schutz (›Polizei‹)« auf allen Gebieten. Dazu gesellte sich all das, was die zunehmend sich spezialisierende Wirtschaftsgesellschaft an Organisation benötigt. Wo sich der Staat so machtvoll aus dem Ganzen heraushebt, wird es möglich, ihn von der Kirche und dann von der Gesellschaft her als Gegenüber zu empfinden. Das schafft völlig neue Distanzen, Betrachtungsweisen, Ansprüche. Und wo vom Staat her Gesellschaft gestaltet, verändert werden kann, entsteht die Auffassung von einer weitgehenden Verfügbarkeit der eigenen Ordnung. Nimmt man noch den modernen Fortschrittsglauben hinzu, so wird deutlich, daß wir heute so ungeheure Erwartungen herausgebildet haben, daß von ihnen her die Legitimität von Systemen durchaus zum Problem werden kann. Das ist welthistorisch einmalig. Es scheint gewisse entfernte Parallelen in den monarchischen Hochkulturen der außereuropäischen Geschichte gegeben zu haben. In der klassischen Antike aber standen freie Gemeinden anstelle von Staaten und monarchischen Herrschaftssystemen. Da waren die Zugehörigen in weit höherem Ausmaß als irgendwo sonst Bürger. Zugespitzt gesagt, hatten sie nicht Verfassungen, sondern waren sie Verfassungen. Das wird ganz
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deutlich im griechischen Wort politeia, das auf Deutsch zugleich Verfassung und Bürgerschaft bedeutet. Genauer wäre zu formulieren: Man war Teil der Ordnung, in der man lebte. Und wenn bei den Griechen noch Demokratie und Oligarchie einander ablösen konnten, in Rom hatte diese Ordnung etwas Unausweichliches. Wie sie überkommen war, so mußte sie sein oder sie war keine Ordnung. Das Gegenteil von res publica war damals nicht Monarchie, sondern Nicht-Republik (nulla res publica) oder verlorene Republik (res publica amissa), Unordnung. Eine Ordnung aber, deren Teil die Bürger sind, stellt ein Stück von deren Identität dar. Sie brauchte nicht gerechtfertigt zu werden, konnte kaum von außen gesehen werden. Innerhalb eines solchen Gemeinwesens kann man zwar die herrschenden Kreise als Gegenüber empfinden, kann der Meinung sein, daß sie schlecht und eigennützig regieren, daß Senat und Magistrate versagen, dem Vergleich mit den Vorfahren nicht mehr standhalten, daß überhaupt die Republik nicht mehr die alte sei. Das aber war politische und – vor allem – moralische Kritik, nicht eine In-Frage-Stellung des Systems. Übrigens hat mindestens Cato diese Kritik geteilt. In einem solchen Gemeinwesen mochten auch Unruhen, Aufruhr, Bürgerkriege entstehen und darin wirkten sich zweifellos soziales Elend und Unzufriedenheit aus. Es zeigte sich, daß der Senat nicht mehr unbedingt die Macht über das Gemeinwesen hatte. Es zeigte sich auch, daß die Republik unter Umständen schweren Störungen, ja inneren Gefährdungen ihrer Existenz ausgesetzt sein konnte. Aber all das war Zeichen zwar der Desintegration, nicht jedoch einer Legitimitätskrise. Bei der Unterscheidung von Desintegration und Legitimitätskrise geht es nicht um bloße Begriffe. Vielmehr ist mit dieser Entgegensetzung ein hochbedeutender Unterschied gemeint. Er liegt im Fehlen einer Verallgemeinerung der Unzufriedenheit zur Systemkritik. Es kam nicht dazu, daß Meinungen und Interessen der Notleidenden sich zu einer Sache objektiviert, daß sich in deren Kreise Einwände und neue Ideen im Wechselverhältnis mit Bedürfnissen zu einer politischen
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Alternative materialisiert hätten. Die Unterschichten mögen der bestehenden Ordnung weithin relativ gleichgültig gegenübergestanden haben. Aber sie bezweifelten sie nicht, so sehr sie bei einzelnen Anlässen aufbegehren mochten. Das war für die Machtverhältnisse wie für die gesamte Politik entscheidend. Damit fehlte es an einer Umsetzung der sozialen Unzufriedenheit in eine eigene, Politiker gebieterisch in ihren Dienst nehmende Kraft. Dadurch blieb es dabei, daß das Stadtvolk oder auch die Soldaten und Veteranen nur von Fall zu Fall, wenn es einem Politiker gerade als günstig und möglich erschien, politisch mobilisiert und bestenfalls am Gewinn der Republik beteiligt wurden; daß es allen nur darum ging, innerhalb des Bestehenden ihre eigenen Anteile zu verbessern. Daher blieb die politische Auseinandersetzung im wesentlichen ein Kampf zwischen den Aristokraten. Wenn sich Anlässe und Gegenstände dieses Spiels von außen aufdrängten, gingen sie in aller Regel von Problemen des Herrschaftsbereichs – anfänglich auch der Italiker – aus. Was an sozialen Fragen auf die Tagesordnung kam, waren nach der Gracchenzeit zumeist Folgeprobleme der Kriege oder Bürgerkriege: Es ging um die Ansiedlung der Veteranen. Die übrigen Streitpunkte wurden nur aufgenommen, weil dies einzelnen Adligen als opportun erschien oder weil mächtige Gruppen wie die Ritter danach drängten. Auch Bürgerkriege waren Ergebnis der Entscheidungen einzelner Aristokraten. Die Truppen folgten, aber gedrängt haben sie danach – mindestens vor den vierziger Jahren – nie. Deshalb konnten Cato und die Senatsmehrheit die Krise wesentlich als eine Krise im Adel auffassen. Wenn Cicero zu einem anderen Urteil kam, so weil er wesentlich empfindlicher war und die Republik aus persönlichen Gründen ständig in Gefahr sah. Als homo novus hatte er ein wacheres Gewissen für die Aufgaben der Republik als die Standesgenossen, die diese zumeist eher darstellen wollten. Wichtiger war aber etwas anderes: Da er die Catilinarier hatte hinrichten lassen, drohten ihm Attacken von seiten der Popularen; in seiner Person wurden der Äußerste Senatsbeschluß und damit die
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Republik angegriffen und verteidigt. Deswegen wollte er, daß alle in ihrem täglichen Handeln um die Republik so besorgt waren, wie er es zugleich um sich selber war. Es schien ihm ständig das Ganze auf der Tagesordnung zu stehen, folglich sollten alle, denen am Senatsregime und an der Republik gelegen war, eine einzige Front bilden. Unter diesem Gesichtspunkt gehörte für ihn Pompeius auf die Seite der Senatsmehrheit. Cicero zog also die Trennlinien anders; an die sozialen Mißstände aber oder an die Probleme des Herrschaftsbereichs hat er dabei so wenig gedacht wie alle anderen, geschweige denn, daß er gewußt hätte, daß das Senatsregime von den Verhältnissen überholt war. Er bezog nur als guter Intellektueller die Dinge primär auf sich und beurteilte Pompeius nach dessen Meinungen, nicht nach dessen Interessen. Wenn es aber nichts anderes gab als die alte res publica, dann mußte man sie wieder funktionstüchtig zu machen suchen. Und dazu mußte zu allererst der Senat wieder die Zügel des Gemeinwesens in die Hand bekommen. Daher tat Cato das Notwendige. Wie wenige andere war er sich des senatorischen Versagens bewußt. Cato unterschied sich von den anderen nur in der Entschiedenheit seines persönlichen Einsatzes, in der Konsequenz und im Ernst der Sorge für das Ganze. Daß er dabei, wie Mommsen schrieb, zu den Konservativen gehörte, »die die Republik prinzipiell zu Tode konserviert haben«, ist objektiv richtig; jedenfalls wenn man davon absieht, daß wo es keine »Fortschrittlichen« gibt, der Ausdruck »konservativ« nur bedingt angebracht ist. Nicht an Pompeius, sondern am Kampf gegen ihn ist die Republik so rasch zugrunde gegangen. Aber das ist erst unser Wissen. Damals war die Krise unerklärbar. Man konnte nachgeben, aber keine Argumente vorbringen, warum das mehr als bloße Resignation gewesen wäre. Auch die Außenseiter Pompeius und Caesar konnten Cato keines Besseren belehren. Ihre Schwierigkeit, ihre große Schwäche bestand darin, daß sie zwar sich, aber nicht das Gemeinwesen neu entwerfen konnten.
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Wenn Pompeius gebraucht wurde, hatte er viele Verbündete, wie etwa die Ritter in den Jahren 67 und 66. Umgekehrt lag denen aber nichts daran, daß er zu mächtig würde. Sie hingen ihrerseits dem Senatsregime an, sofern sie nicht gerade in Einzelfragen mit ihm in Konflikt lagen. Zwar fanden sie nicht, daß die Senatoren in der Regel stark sein sollten. Vielmehr machte gerade deren Schwäche ihnen das Regime beliebt. Aber im äußersten Fall waren sie immer für den Senat – zumal der ihnen dann entgegenkam. Und auch sonst gab es keine Sache, der Pompeius sich hätte verknüpfen können. Daher konnte er sich von der inneren Bindung an die alte Republik nie lösen. Er wollte dem Senatsregime dienen, mußte aber, wenn er sich durchsetzen wollte, den Senat bekämpfen. Dieser Widerspruch hat ihn überfordert. Was er war und was er sein mußte in der damaligen Welt, das paßte nicht. So war der Gegensatz zwischen Cato und Pompeius unsymmetrisch. Cato konnte die Republik verteidigen, Pompeius konnte sie nicht angreifen. Der Senat war Partei und stand zugleich über den Parteien. Pompeius war nur Partei. Der Senat hatte eine Sache, Pompeius konnte nur auf sein persönliches Können und seine persönlichen Leistungen verweisen. Es gab Möglichkeiten des Aufstiegs für ihn, aber kein Platz war vorgesehen, den er dann hätte einnehmen können. Er hat einen auf seine Weise kennzeichnenden Versuch gemacht, diesen unerquicklichen Zustand zu überwinden: Im Jahr 61 trug er Cato an, er und sein Sohn wollten zwei von Catos Nichten, Töchter von Caesars Freundin Servilia, heiraten. Mutter und Töchter waren entzückt, der Onkel wies den Antrag schroff zurück. Der Gegensatz war wohl unvermeidlich. Und ebenso unvermeidlich war, daß beide Seiten darin so unerfreulich wirkten; Cato kleinlich, verkrampft, dogmatisch; Pompeius halbherzig, angstvoll, heuchlerisch. Wenn Cato darauf bestand, daß nichts geneuert werden dürfe, so artete damit eine alte Neuerungsskepsis zum Prinzip aus – wie immer, wenn man in kritischen Situationen sei es an der Vergangenheit, sei es an einer Zukunft Maß nimmt. Es legte sich damit gleichsam ein ideologischer
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Panzer um sein Denken. Wenn Pompeius ehrlich beteuerte, daß er die Angriffe, die seine Helfer gegen den Senat richteten, nicht gutheiße, so wurde er zum Verräter an seinen Freunden. Und sein »rechtschaffenes Gesicht« wollte trotzdem nicht recht überzeugen. Aber indem er eine so schwankende, dunkle, unzuverlässige und feige Politik trieb, konnte er wenigstens ein Minimum an Vertrauen bewahren, an das später anzuknüpfen war. Er brach die Brücken nicht ab. Er blieb auf die Zustimmung der Guten angewiesen. So erhielt er sich am ehesten die Möglichkeit, eine Macht wie die seine vielleicht einmal in Rom zu etablieren; wenn die Stadt ihn einmal brauchte, also wenn die Situation schwierig genug geworden war – nicht ohne sein Zutun, aber möglichst ohne daß dies offenkundig geworden wäre. Nur wenn die Probleme des Herrschaftsbereichs, auf die Pompeius sich so gut verstand, und die Krise selbst direkt – und nicht nur in einzelnen Auswirkungen – auf die Tagesordnung der Politik gekommen wären, wenn sich darum eine kontinuierliche Gruppierung gebildet hätte, hätte es anders sein, hätte Pompeius überpersönliche Kraft und Richtung gewinnen können. Doch derart politisch war die Krise gerade nicht einzufangen. Die Parteiungen bewegten sich an den großen Problemen der Republik vorbei. Der Widerspruch zwischen den beiden auseinanderklaffenden Wirklichkeiten Roms wurde nicht zum Gegensatz – zumal die Notleidenden nicht mitsprechen konnten. Das mutet den heutigen Betrachter wiederum erstaunlich an. Wir denken bei einer Krise immer zugleich an Lösung durch politisches Handeln – sei es daß die Regierenden sie bewerkstelligen, sei es daß sie im Austrag zwischen den großen Parteien gefunden wird. Das kann eine Weile dauern, aber dann muß es geschehen. Die gleichen Erwartungen wie an den Staat richten wir an die Regierenden. Und wir haben uns an die große Kapazität des modernen Parteiensystems gewöhnt. Parteien dieser Art sind aber ebenfalls ein Produkt der Neuzeit. Ihr Vater ist der gefestigte, seine Bürger mediatisierende Staat. Erst mit dem ist auch die Auffassung möglich, Parteien
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seien etwas Positives. Erst in ihm kann es Parteiprogramme geben, wobei der Gedanke der Repräsentation und der der Gesellschaftsveränderung vom Staat her mitsprechen. Gleichwohl ist es auch heute nicht sicher, wie weit die moderne Gegensatzkapazität den Problemen unserer Welt noch gewachsen ist. Inwieweit die Krisen, die wir unter uns erzeugen, von uns noch zu lösen sind. Jedenfalls war die römische Republik damals an einem Punkt angelangt, wo sie mit ihren Problemen nur unter größerem Verlust an Freiheit und Entfaltungsraum hätte fertig werden können. Denn letztlich liefen die Dinge, ohne daß man das hätte wissen können, auf die Monarchie hinaus. Doch wann sieht eine Gesellschaft solch einen politischen Preis schon als unumgänglich an – zumindest wenn sie so politisch, so existentiell mit ihrer Ordnung verbunden und so wenig auf Effizienz bedacht ist wie die römische? Das war erst nach der ungemeinen Zermürbung in den anhaltenden Bürgerkriegen der vierziger und dreißiger Jahre möglich. Wenn sich nun aber keine Kraft bildete, die es mit dem Bestehenden aufnahm, wenn es folglich keine Anhaltspunkte gab, an denen Außenseiter sich verknüpfen und ihre Ansprüche in einem größeren Rahmen hätten versachlichen können, so waren auch Caesars Möglichkeiten und Grenzen dadurch aufs Stärkste bestimmt. Er befand sich in der gleichen Lage wie Pompeius, nur auf andere Weise. Auch er konnte für seine außergewöhnlichen Ansprüche nur sein eigenes Können vorweisen. Und es lag ihm nahe, unter den althergebrachten Idealen des römischen Adels das der Leistung für das Gemeinwesen stark auszubilden und herauszukehren. Nur mußte – und vermochte – er das viel stärker und reiner, viel einseitiger als Pompeius. Denn der war von dem Bewußtsein gehalten, dem Senatsregime dienen zu wollen; er hätte kaum die Kraft gehabt, eine Vorzugsstellung anzustreben, wäre er nicht überzeugt gewesen, daß sie in den Maßen des Herkömmlichen notwendig, ja sinnvoll wäre. Caesar scheint darauf nicht angewiesen gewesen zu sein. Er
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dachte nicht unbedingt anders, doch war sein Respekt vor der Republik schwächer. Die Zustimmung der sogenannten Guten konnte ihm nicht so leicht zur Richtschnur werden. Beide waren stark durch Sulla bestimmt. Während aber Pompeius von ihm angenommen worden war, hatte sich Caesar von ihm abgestoßen gefühlt. Pompeius wollte wie er Außerordentliches für Senat und Republik ins Werk setzen. Caesar war primär durch das Außerordentliche in Sullas Persönlichkeit fasziniert, die Kühnheit und den Willen, die Dinge in die Hand zu nehmen, wenn sie nicht liefen, wie sie sollten. Und ganz abgesehen davon, daß er kaum Gelegenheit hatte, sich besonders für den Senat zu engagieren, war persönliche Faszination für ihn ungemein wichtig. Weil er nicht sein wollte wie die Anderen, und weil er so anspruchsvoll war. Wenn Pompeius eher eitel, war Caesar eher stolz. Von Jugend an. Daher rührt die frühe Opposition gegen die herrschenden Kreise. Daher auch der Widerspruchsgeist. Und weil er den schon früh und demonstrativ gezeigt hatte, brachte er auf seinen popularen Weg genügend Verdienste mit, um das Stadtvolk nicht umwerben zu müssen. Der Ärger mit den führenden Senatoren war ihm lieber als Vorteile, die er sich durch Gefügigkeit hätte erwerben können. Es hatte bei Pompeius viel ausgemacht, daß er schon in jungen Jahren zu Ruhm gelangt war. Caesar dagegen mußte den Anspruch, den er erhob, erst noch einlösen. Wenn er in der Gewißheit zukünftiger großer Taten lebte, so trug ihm das einige Unabhängigkeit von seiner Umgebung ein. Aber er geriet dadurch zugleich in eine Pflicht sich selbst gegenüber. Und vielleicht erwuchs daraus mit der Zeit ein um so stärkeres Bedürfnis, am Ende die Anerkennung zu finden, um die es ihm zunächst nicht ging? Vieles auf seinem frühen Weg mutet an, wie wenn Caesar seinen Aufstieg mit Sicherheit Schritt für Schritt vollzogen hätte. Es war aber wohl eher Bedenkenlosigkeit. Und oft genug wird er nicht weit von der Gefahr entfernt gewesen sein, sich wie Catilina ins Abschüssige zu verlieren. Doch konnte er kalkulieren; und vor allem hatte er seine wunder-
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volle Überlegenheit; ein Genie, anderen die Köpfe zu verdrehen, nicht nur Frauen. Wenn die maßgebenden Senatoren ihn recht genau durchschauten und bekämpften, wenn sie sahen, daß er im Grunde viel gefährlicher war als Catilina, so vermochte er sich in aller Unschuld so darzustellen, wie wenn ihm große Ungerechtigkeit widerführe. Er vermochte die Gegner aufs Blut zu reizen und zugleich ins Unrecht zu setzen. Vermutlich hat das das Gros für ihn geradezu eingenommen. Um der Gerechtigkeit willen und weil es ohnehin mehr der Gefälligkeit zuneigte. Caesars Großzügigkeit stach wohltuend ab von Catos Rigidität, sein Mut von dessen Bedenklichkeit, sein unternehmendes Wesen von dessen Unbeweglichkeit. Cato war anstrengend, Caesar erfrischend – wenn er auch des Guten manchmal zuviel tat. So ist ihm sein großes Spiel bis hin zur Consulwahl gelungen. Die Frage war, wie es weiterginge, wenn er sich jetzt der Forderungen des Pompeius annahm. Ob es auch dann glückte, die Senatsmehrheit gegen die Sache des Senats einzunehmen? Man kann wohl kaum sagen, daß die Sache schon völlig entschieden gewesen wäre. Entschieden war einstweilen nur, daß Caesar seinen eigenen, ganz persönlichen Weg, den er gesucht, auch gefunden hatte. Da sich dem Außenseiter in der Gegensatzkonstellation der Zeit nichts bot, was ihn zu fester, sachlicher Stellungnahme eingeladen hätte, mußte er seinen Beziehungspunkt, sein Maß in sich selber finden. Wo keine Sache war, mußte er seine Persönlichkeit frei und ungebunden ausbilden. Seine virtus, den Manneswert römischer Vorstellung, wollte er in Taten erweisen. Sein Stolz, sein Superioritätsbewußtsein, sein mit den Erfolgen wachsendes Selbstvertrauen gaben ihm die Gewißheit, daß er schaffen würde, was er sich vorgenommen hatte. Aus seiner persönlichen Distanz zu allen anderen, aus der bewußten und freien Absetzung von seinen Standesgenossen heraus vermochte er Glanz zu entfalten, den großen Stil dessen, der sich frei weiß, alle seine reichen Gaben und damit sich selbst ohne viel Rücksicht zu verwirklichen; der überzeugt
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ist, unvergleichlich viel mehr Kraft, Geschick und Einsicht zu besitzen als alle anderen; der auch Grund dazu hat. Das bereitet ästhetisches Vergnügen. Doch ist offen, ob es auch zum Segen der römischen Gesellschaft sein sollte. Und es bereitete Caesar das Problem, daß sich eine weite Kluft zwischen ihm und ihr auftun konnte. Vielleicht gar kam er aus dieser Position heraus dazu, sein Leistungsethos zu verabsolutieren?
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Das Consulat (59 v. Chr.) Der Amtsantritt • Senatsdebatte über das Ackergesetz: Verhaftung Catos • Neue Taktik der fahrenden Senatoren • Zweites Bündnis mit Pompeius Ende April • Opposition • Kompromiß-Angebot an Caesar: Sein Verhältnis zur politischen Ordnung • Ungeheuerliche Veränderung in Rom Die Consuln begannen ihr Amtsjahr mit der Einholung der Auspicien: Kurz vor Anbruch des Tages bezogen sie, jeder für sich, Posten, um den Himmel zu beobachten. Tauchte dann im Morgengrauen linker Hand ein Lichtzeichen auf, das sich als Blitz deuten ließ, so war ihnen und der Stadt für die Zeit ihrer Amtsführung Glück verheißen. Aber es reichte auch, wenn ihnen einer der dafür zuständigen Amtsdiener – der »Hühnerwart« (pullarius) – den Blitz meldete. Sagte er, was die Regel war, etwas Unwahres, so traf die Verantwortung ihn. Die Magistrate dagegen durften es guten Glaubens für wahr halten. Und das Gemeinwesen war ebenfalls salviert. Man brauchte in Rom glückliche Vorzeichen, sonst durfte man viele wichtige Handlungen nicht vollziehen. Andererseits konnten aus praktischen Gründen gerade wichtige Handlungen oft nicht aufgeschoben werden. So war man dazu gekommen, bei den Vorzeichen etwas nachzuhelfen. Aber auf deren Einholung konnte nicht verzichtet werden. Mindestens mußte festgestellt worden sein, daß es geblitzt habe. Wir mögen das für eine bloße Formalie ansehen; aber es war ein Stück Herkommen. Indem man die Form beachtete, handelte man, wie seit Gründung der Stadt schon immer gehandelt worden war. So hatte es seine Ordnung; und wenn die Dinge nicht mehr ihre Ordnung hatten, war alles dahin. Gerade im Religiösen war jede Sorgfalt geboten. Keiner hatte hier mit dem Herkommen brechen wollen. Und Caesar wird es genauso gehalten haben. Vielleicht hat der Pontifex Maximus die Szene sogar
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in besonderer Bewußtheit gespielt, mit dem Sinn für Parodie, den man ihm zusprechen möchte; wie hätte er sich sonst innerlich gegen viele Zumutungen behaupten können? Außerdem wollte Caesar sich keinerlei Blöße geben. Die Gegner sahen scharf zu, sie sollten in diesen Dingen nichts an ihm auszusetzen haben. Das für Rom so schicksalhafte Jahr der Consuln Gaius Julius Caesar und Marcus Calpurnius Bibulus hat also, was diesen Consul anging, wie jedes andere und vermutlich korrekter noch als jedes andere begonnen. Doch die Vorzeichen trogen. Caesars Helfer, der Volkstribun Publius Vatinius, hatte schon drei Wochen zuvor erklärt, um die Gutachten der Auguren und die ganze Anmaßung dieses Collegiums werde er sich nicht scheren. Das hieß: Das ganze Auspicienwesen war ihm herzlich gleichgültig. Da hatte sich die andere Seite der Medaille gezeigt: die offene Drohung. Es ging dabei um Auspicien, die die Gesetzgebung behindern konnten. Denn wenn ein Magistrat am Morgen eines Tages den Himmel beobachtete und folglich einen Blitz sah – respektive gemeldet bekam –, durfte an diesem Tag keine Volksversammlung einen Beschluß fassen. Blitze galten als glücklich für jede Unternehmung außer für die Comitien. Allein, was immer Vatinius sagen mochte, er war nicht Caesar, nicht der Pontifex Maximus, nicht der Consul, der verantwortungsvolle Leiter der römischen Politik im gerade anbrechenden Jahr. Nach Einholung der Auspicien legte Caesar in dem Haus an der Via Sacra, das er als Pontifex Maximus bewohnte, die mit dem Purpurstreifen gesäumte Amtstracht an, die Toga Praetexta. Vermutlich war sie neu angefertigt, glänzend und chic. Die Liktoren fanden sich ein, außerdem ungezählte Freunde und Bekannte. In festlicher Stimmung brach Caesar mit großem Gefolge auf, um die kurze Strecke über das Forum aufs Capitol zu gehen. Auf einem Podest stand sein Amtsstuhl, die Sella Curulis. Dort nahm er Platz, vermutlich neben seinem Collegen. Dann wurde Juppiter dafür gedankt, daß er das Gemeinwesen im vergangenen Jahr beschirmt hatte;
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weiße Rinder wurden ihm zum Opfer dargebracht, wie es die Vorgänger ein Jahr zuvor gelobt hatten; und es wurde ihm das gleiche Opfer für das anbrechende Jahr zugesagt. Anschließend begaben sich die Senatoren in den Tempel des Capitolinischen Juppiter, des Besten und Höchsten (Optimus Maximus). Die neuen Consuln hielten ihre erste Sitzung. Caesar hatte die Leitung, weil er als erster gewählt worden war. Er hatte über das Gemeinwesen – de re publica – zu referieren, zunächst über die religiösen Angelegenheiten, dann über die irdischen Dinge, wohl auch über die Grundsätze seiner Amtsführung und seine Vorhaben. Er könnte hier schon das vom Dreibund ausgehandelte Programm vorgetragen haben, dann aber jedenfalls mit aller Rücksicht. Denn er wollte alles im Senat zur Debatte stellen, wollte alle Einwände und Vorschläge berücksichtigen. Außerdem appellierte er an seinen Collegen Bibulus, daß sie ihr Consulat in Eintracht führen wollten, um des Gemeinwesens, um der gemeinen Sache willen. Wieder gab er sich überlegen. An ihm sollte es nicht liegen, wenn Streit ausbrach. Und da die Gegner die Dinge grundsätzlich nahmen, genau, kleinlich, trennend statt versöhnend, lag ihm der Part der Großzügigkeit bereit, der Verantwortung, den er so gern und vollendet spielte. Dann begann die Umfrage. Sie wurde mit Spannung erwartet. Denn die Consuln hatten die Angewohnheit, einige Consulare unabhängig vom Grundsatz der Anciennität vor allen anderen zu befragen. Diese Reihenfolge behielten sie üblicherweise das ganze Jahr hindurch bei. Sie besagte, daß sie mit den betreffenden Herren, die nach Ansehen und persönlicher Freundschaft ausgesucht waren, besonders eng zusammenarbeiten wollten. Caesar rief als ersten Marcus Crassus auf, nicht Pompeius. Er richtete sich nach den alten Beziehungen und berücksichtigte vielleicht auch, daß Crassus bei dem Gesetzgebungsprogramm, das er vorhatte, am schlechtesten abschnitt. Noch am gleichen Tag oder an einem der folgenden hielt der Consul gewöhnlich seine erste Rede an das Volk, in der er sich für die Wahl bedankte, zugleich über sich und seine Leistungen sowie über seine Vorfahren sprach, damit deutlich würde,
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wer er sei. Caesar wird auch über seine Weise, die Geschäfte zu führen, und über seine Pläne eine programmatische Erklärung abgegeben haben. Gewiß sehr staatsmännisch, im Rahmen des Herkömmlichen sich haltend, aber so, daß auch hier – wie sonst – seine eigene persönliche Note, sein Glanz zum Ausdruck kamen. Den »wahren Popularen«, der das Wohl des ganzen Gemeinwesens im Auge hatte, kann er kaum verleugnet haben. Er führte auch gleich eine Neuerung ein, daß nämlich über die Verhandlungen von Senat und Volksversammlung täglich Berichte verfaßt und veröffentlicht werden sollten. Ein Beitrag zur Versachlichung des politischen Lebens, praktisch gedacht, im Sinne einer alten Tendenz popularer Politik, nicht unbedingt bequem für die Senatoren, aber zu rechtfertigen: Es schützte auch gegen Fehldarstellungen von Senatsdebatten. Vermutlich äußerte sich darin zugleich, wie später in Caesars Kriegsberichten, ein Sinn für Dokumentation. Er hatte stets auch die Nachwelt im Sinn. Sie bildete den weiteren Horizont, in dem sich sein Leistungsethos bewegte. Wohl in den ersten Tagen des Jahres brachte Caesar dann sein Ackergesetz ein. Daß er es plante, war längst bekannt. Es sah zwei Formen der Landbeschaffung vor. Einerseits sollten alle noch im Gemeindeeigentum befindlichen Äcker – außer dem campanischen – aufgeteilt, andererseits sollte mit einem Teil der Beutegelder des Pompeius Land angekauft werden. Der Verkauf sollte freiwillig sein, als Preis galt der Wert, mit dem das Land in den censorischen Schätzungslisten eingetragen war. Bei der Ansiedlung wurden in erster Linie die Veteranen des Pompeius bedacht. Was übrig blieb, sollte an andere gegeben werden. Caesar scheint darauf hingewiesen zu haben, daß in der Stadt viel zu viele Menschen wohnten, denen es guttäte, eigenes Land zu erhalten. Damit würde auch die Wurzel vieler Unruhen bekämpft. Die Ansiedlungskommission sollte recht groß sein, zwanzig Personen umfassen. Caesar selbst erklärte, er wolle durch sein eigenes Gesetz in keiner Weise begünstigt sein; eine Bestimmung schloß aus, daß der Antragsteller an der Kommission teilhatte.
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Er legte den Text dem Senat vor, erklärte sich bereit, auf jeden Änderungswunsch einzugehen. Daß die Soldaten nach den Feldzügen Land bekamen, war inzwischen mehrfach geschehen. Sie stammten übrigens zumeist aus der verarmten Landbevölkerung. Sulla selbst konnte für die Ansiedlungspolitik als Vorbild dienen. Aber wieviel milder war Caesars Gesetz, da es keinem etwas wegnahm! Im Grunde gab es nur einen Einwand. Der richtete sich nicht gegen einzelne Formulierungen des meisterhaft abgefaßten Textes, sondern gegen die ganze Sache: Pompeius wurde wesentlich mächtiger dadurch. Eben das mochte aber kaum einer offen aussprechen. Gewiß gab es entschiedenen Widerspruch, nicht zuletzt von Caesars Collegen Bibulus. Im ganzen aber scheinen sich die Väter in der Debatte schwergetan zu haben. Sie werden das Gesetz in ihrer Mehrheit nicht gewollt haben, aber sie hatten auch nicht viel dagegen vorzubringen. Manche haben sich positiv ausgesprochen, andere nicht negativ. Sie suchten die Debatte hinauszuzögern. Das Ende war offen. Vermutlich bestand wirklich eine gewisse Aussicht, daß Caesar mit seiner großen Beredsamkeit, seinen glänzenden Argumenten und angesichts des Fehlens durchschlagender Gegenargumente die Mehrheit zu sich hinübergezogen hätte. Da trat ihm wieder, wie einst bei der Debatte um die Catilinarier, Cato entgegen. Er machte keine langen Umschweife, ging auf keine Einzelheit ein, sondern versteifte sich bündig auf den Grundsatz, es in allem beim Bestehenden zu belassen und in nichts darüber hinauszugehen. Und über dieses Thema setzte er zu einer großen Rede an. Der Tag war kurz – bei Sonnenuntergang war die Sitzung, wie üblich, abzubrechen –, ein Ende nicht absehbar. Cato wollte offenkundig wieder die restliche Redezeit verbrauchen. Eine gute Weile lang scheint Caesar zugehört zu haben. Dann riß ihm die Geduld. Er beauftragte einen Amtsdiener, Cato festzunehmen und ins Gefängnis abzuführen. Ob er gehofft hat, in dessen Abwesenheit einen Senatsbeschluß zu seinen Gunsten zu erwirken? Oder ob ihm mit einem Schlag deutlich geworden war, daß er mit seiner überlegen-rücksichtsvollen Politik nicht zum Zuge kommen konnte? Oder hatte er nur einen Vor-
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wand gesucht, um ein nicht ehrlich gemeintes Spiel abzubrechen? Ließ er jetzt also gleichsam die Maske fallen? Man sollte die Dinge nicht vom Ausgang her für eindeutiger halten, als sie vermutlich waren. Vieles sprach dafür, das Mögliche zu tun, um die Zustimmung des Senats zum Ackergesetz zu erreichen. Wenn Cato filibusterte, so scheint er damit gerechnet zu haben, daß sich die Mehrheit für das Gesetz aussprach. Manche werden es für gut gehalten, viele angesichts der Entschlossenheit Caesars und der Drohungen seiner Helfer eine Niederlage befürchtet haben, die sie vermeiden wollten. Wieder andere mochte es drängen, sich auf die Seite der Stärkeren zu stellen. Es mußte auffallen, daß Pompeius’ Rivale Crassus sich für das Gesetz aussprach – was zwar nicht bezeugt, womit aber zu rechnen ist. Und unabhängig davon, was der Senat endlich beschloß: Es war für Caesar jedenfalls gut, die sachliche Berechtigung des Gesetzes, die Überlegenheit der eigenen Argumente und den Wunsch, mit dem Senat zusammenzuarbeiten, möglichst deutlich zu machen. Auch Pompeius sollte – und wollte vielleicht – sehen, wie sehr Caesar um eine versöhnliche Lösung rang. Er hatte dann wenigstens alles versucht. Wenigstens war so die Starrheit und Unversöhnlichkeit der Gegner offenbar geworden. Ob Caesar freilich wirklich auf die Zustimmung des Hauses gehofft hat, ist unklar. Wenn ja, so hätte er sich vermutlich mit einer bescheideneren Provinz, mit einer im wesentlichen normalen Fortsetzung seiner Laufbahn zufriedengeben müssen. Denn nur, wenn es galt, sich mit Gewalt und Rechtsbruch gegen den Senat durchzusetzen, hatte er Aussicht, auch das für ihn vorgesehene außerordentliche Kommando zu erhalten. Es gibt für uns kein Mittel, um zu ergründen, welche dieser beiden Möglichkeiten ihm lieber war. Wir wissen nicht einmal, ob die Frage sich ihm so stellte; vielleicht ließ er es darauf ankommen, wie die Dinge liefen. Vielleicht sprach ihm durchaus die Vernunft dafür, die einvernehmliche, aber bescheidenere Lösung zu versuchen. Dann hätte er gar keine Maske getragen, sich freilich anstrengen müssen, um sich in aller
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Freundlichkeit auf lange, wenig ersprießliche Erörterungen einzulassen. Denn rasch entschlossenes Handeln lag ihm viel mehr, und sein ganzes Consulat war auf Handeln angelegt. So kann er denn, was immer seine Präferenz war, mindestens vom Temperament her nicht unglücklich gewesen sein, als Cato seine Diplomatie vereitelte. Sein Wille, sein Zorn brachen durch, und er ließ sie sich in aller Ungebärdigkeit austoben. Cicero, so berichtet Plutarch, habe der Freundlichkeit Caesars so mißtraut wie der Stille des Meeres. Er empfand sie als trügerisch und fürchtete »die in der freundlich-heiteren Art verborgene Ungeheuerlichkeit des caesarischen Wesens«. Deinótes ist das griechische Wort dafür, das bedeutet das Ungeheure, Unheimliche, Gewaltige. Sophokles gebraucht das zugrunde liegende Adjektiv im berühmten Chorlied der Antigone, um die ganze Spannweite des Menschen, seine im Positiven wie im Negativen ungeheuren Möglichkeiten zu bezeichnen. Ein fürchterlicher Wille also muß nicht hinter, sondern in Caesars arrogant-souveräner Heiterkeit spürbar gewesen sein; weithin zwingend in seiner gebändigten Kraft. Da war nicht einfach eine Maske aufgesetzt, sondern es hatte sich einer aus seinem distanzierten, verachtungsvollen Innern heraus eine tätig-überlegene Heiterkeit anerzogen, hatte die Abgründe seiner Seele sorgfältig überdeckt. Konzentration lag darin, Disziplinierung, äußerste Anstrengung. Der Stil des großen Staatsmanns. Der Glanz persönlicher Souveränität. An dieser entscheidenden Stelle aber, als es galt, die Voraussetzungen für den weiteren, außerordentlichen Weg zu schaffen, als er da in diesem Stil nicht weiterkam, brach sein ungeheurer Wille wohl zum ersten Mal in aller Öffentlichkeit durch. Zahlreiche Senatoren erhoben sich und verließen mit Cato den Saal. Als der Consul einen von ihnen darauf hinwies, daß die Sitzung noch nicht zu Ende sei, antwortete der, er sitze lieber mit Cato im Gefängnis als mit ihm im Senat. Darauf ließ Caesar Cato frei, vermutlich indem er einen Tribunen bat, Einspruch gegen dessen Verhaftung zu erheben. Er löste die Senatssitzung auf, wobei er bemerkte, wenn sie den Antrag
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nicht mit ihm beraten wollten, werde er ihn so, wie er sei, zur Abstimmung stellen. Er war jetzt nicht mehr gewillt, weiter um die Senatsmehrheit zu werben. Was als Alternative längst geplant war, ging nun in rascher Folge über die Bühne: Pompeius hatte seine Veteranen zur Abstimmung über das Ackergesetz nach Rom kommen lassen. Aus ihnen und anderen wurden Mannschaften gebildet, die das öffentliche Leben der Stadt terrorisieren konnten. Vatinius war ihr Anführer. Bald beherrschten sie die Straße. In einer der Versammlungen setzte Caesar Bibulus mit insistierenden Fragen zu. Ob er gegen einzelne Bestimmungen des Gesetzes etwas einzuwenden habe? Als der nichts zu erwidern wußte, als daß während seines Amtsjahres nichts geneuert werden sollte, verlegte sich Caesar aufs Bitten und rief der Menge zu, sie solle sich anschließen. Sie bekämen das Gesetz, wenn nur Bibulus einwillige. Doch der antwortete bloß: »Ihr werdet das Gesetz in diesem Jahr nicht bekommen, auch wenn ihr es allesamt wollt.« Bei einer anderen Auseinandersetzung, die nicht genau zu datieren ist, ließ Vatinius den Consul verhaften. Rechte dieser Art hatten sich auch frühere Volkstribunen angemaßt. Sie gehörten zum Kräftemessen zwischen Senat und Volkstribunen. Vatinius hatte die Sache schon vorbereitet. Seine Helfer hatten Holzbänke von den Gerichtstribunalen aneinandergereiht, so daß ein langer schmaler Gang von der Rednertribüne zum Gefängnis entstand. Bibulus mußte ihn in einer Art Spießrutenlaufen allein unter dem Gejohle der Menge zurücklegen. Endlich griffen andere Volkstribunen ein und befreiten ihn. Caesar aber hatte mit dem ganzen Treiben seines wichtigsten Helfers natürlich gar nichts zu tun. Er war ja ein milder, großzügiger Mann. Dann berief Caesar eine Volksversammlung auf das Forum, auf der er Pompeius und Crassus sprechen ließ. In gesetzten Worten erläuterte Pompeius, was alles für das Gesetz, für die wohlverdiente Landversorgung seiner Soldaten spräche. Er ging Bestimmung für Bestimmung durch. Schließlich fragte ihn Caesar, ob er ihn auch unterstützen werde, wenn die Gegner
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das Gesetz mit Gewalt bekämpften. Dabei blickte er zugleich auf die Menge und vergewisserte sich ihrer Unterstützung. Pompeius erwiderte: »Wenn einer mit dem Schwert kommt, werde ich zum Schwert auch den Schild mitbringen.« Das wirkte wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Der vorsichtige, zurückhaltende, seinen eigenen Helfern gegenüber stets ängstlich distanzierte und so sehr auf sein Prestige bedachte große Herr war bereit, sich im vorhinein mit offener Gewaltanwendung zu identifizieren! Caesar dürfte Pompeius schwer zugesetzt haben. Aber er war ja auch kein kleiner Tribun, der mit seinem Antrag durchkommen oder auch scheitern konnte. Wenn er sich dazu bereit fand, die gemeinsamen Interessen durchzusetzen, mußte er Erfolg haben, dann konnte er keine Rücksicht nehmen; nur mußte dann klar sein, daß Pompeius ihn deckte. In der Nacht vor der Abstimmung besetzten Caesars Anhänger das Forum. Als die Gegner, der Consul Bibulus und drei Volkstribunen mit ihrem Gefolge dort anlangten, konnten sie sich nur mit Mühe durchkämpfen. Die Quellen sind nicht eindeutig. Aber es scheint, daß die Herren den Castortempel erreichten, von dessen Podium aus Caesar die Abstimmung leiten wollte. Aber ihre Intercession konnten sie jedenfalls nicht vorbringen, da sie die Stufen hinuntergestoßen wurden. Den Liktoren wurden die Rutenbündel zerbrochen, die Symbole der consularischen Gewalt. Für Bibulus hatte man einen Korb voll Mist bereitgestellt, der über seinem Kopf geleert wurde. Der Lächerlichkeit sollte er preisgegeben sein. Zwei Volkstribunen und mehrere andere Personen wurden verwundet. Im Laufe des Handgemenges wurde die Gruppe über die Via Sacra nach Osten abgedrängt. Bibulus soll dabei seinen Hals entblößt haben. Sterbend wollte er auf Caesar den Fluch des Mordes herabziehen. Aber seine Freunde retteten ihn in das Heiligtum des Juppiter Stator (gleich neben der Stelle, an der heute der Titusbogen steht). Caesar hat sich durch diese Vorgänge nicht stören lassen. Anscheinend hielt er gerade eine Ansprache, als sein Consulatscollege von den Stufen zum Tempel gestoßen wurde. Mag
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sein, daß er sich kurz unterbrach oder seine Stimme hob. Die Versammlung nahm jedenfalls ihren vorgesehenen Ablauf; alles war aufs Beste organisiert; das Gesetz wurde ratifiziert. Am folgenden Tag versammelte Bibulus den Senat. Er beklagte sich über die unerhörten Gewalttätigkeiten. Aber bei der Umfrage wollte keiner einen Antrag stellen. Was sollte man auch beschließen? An ein senatus consultum ultimum war nicht zu denken. Nur wenn Aussicht auf Überlegenheit bestand, konnten die Bürger zu einer Polizeiaktion versammelt werden. Die Empörung war groß, aber der Schrecken, die Lähmung waren es auch. Und für eine Kassation des Gesetzes fehlten die Rechtsgrundlagen. Daß Caesar die Intercession vereitelt hatte, mochte Gegenstand einer Anklage gegen ihn sein. Doch war das Gesetz, nachdem die Intercession nicht hatte erfolgen können, gültig. So diente die Senatssitzung offenbar nur dazu, das Unrecht, die Niederlage der res publica wie ein Menetekel an die Wand zu schreiben und eine zweite Phase der Opposition gegen Caesar einzuleiten. Man hatte eine ganz neue Taktik entworfen: den Boykott der Politik. Bibulus zog sich in sein Haus zurück und verließ es nicht mehr. Übrigens hatte ihn Vatinius dort zeitweise auch mit seinen Banden belagert, hat ihn einmal durch seinen Amtsdiener auch herauszerren lassen wollen. Aber er war gut bewacht, und zum Äußersten wollte – oder durfte – es Vatinius nicht kommen lassen. Auch drei Volkstribunen gaben ihre Amtsgeschäfte auf. Wohl die Mehrheit der Senatoren, darunter ein so regelmäßiger, pflichtbewußter Besucher aller Sitzungen wie Cato, blieb künftig dem Senat fern. Sie demonstrierten, daß in Rom das Recht nicht mehr herrschte; daß man sich nicht mehr sicher fühlen konnte; daß es keine Freiheit mehr gab. Angesichts des Schreckens, den Caesar verbreitete, war das ja nicht ganz falsch. So meinten sie, mit der eigenen Niederlage werben zu können. Schon bei den Überlegungen darüber, ob Bibulus gegen das Ackergesetz intercedieren sollte, war ihm der Rat gegeben worden, es lieber auf den Ruf der Niederlage anzulegen als auf den der man-
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gelnden Aufmerksamkeit und Pflichttreue. Wenn man jetzt die eigene Handlungsunfähigkeit geradezu inszenierte, so verließ man sich auf die Verwurzelung der alten Ordnung in der Bürgerschaft, auf ihre Kraft und Selbstverständlichkeit. Man rechnete damit, daß sich so am ehesten und raschesten die allgemeine Empörung nähren ließ. Früher hatte man nach ähnlichen Niederlagen – etwa zur Gracchenzeit – zunächst nur abgewartet; jetzt nutzte man die Zeit für eine so stille wie wirksame Werbung. Noch etwas anderes war neu: Bibulus beobachtete an jedem Tag, an dem ein Gesetz zur Abstimmung stand, den Himmel und ließ dem Abstimmungsleiter melden, daß er einen Blitz gesehen habe. Anders als die Intercession blieben religiöse Einsprüche dieser Art wirksam, auch wenn sie mißachtet wurden. Hier hatte man es mit den Göttern zu tun. Es gab Präzedenzfälle, in denen der Senat Gesetze aufgehoben hatte, weil sie unter Mißachtung von Himmelszeichen gegeben worden waren. Man arbeitete also auf die Annullierung der gesamten Gesetzgebung hin. Früher hatte man bei großen Gesetzgebungsprogrammen vielleicht einmal intercediert, und wenn man damit nicht durchkam, weiter nichts unternommen, um das Instrument des Vetos nicht zu verschleißen. Jetzt verfuhr man, offenbar unter Catos Einfluß, genau umgekehrt: Man legte Obstruktion ein, obwohl man genau wußte, daß Caesar und Vatinius sie mißachten würden. Man wagte bewußt ein hohes Risiko. So sicher war man sich seiner Sache. Und früher hatte man meistens intercediert, nicht »obnuntiiert« – also Himmelsbeobachtung gemeldet. Nur mußte die Intercession persönlich vorgebracht werden, während Obnuntiation durch Amtsdiener zu erledigen war. Das war ein zweiter Vorteil. Dafür war in Kauf zu nehmen, daß die Verabsolutierung dieses Mittels zur kontinuierlichen Verhinderung von Gesetzen, die Vermeidung der offenen Konfrontation zwischen Gesetzgeber und Himmelsbeobachter die Sache einigermaßen lächerlich machte. Bibulus gab außerdem ständig neue Bekanntmachungen heraus, höchst polemische Kommentare zu den Taten seines
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Collegen. Im übrigen wurde fast keine Opposition mehr geleistet. Das war zu gefährlich, und eben dies sollte demonstriert werden. Caesar ließ sich dadurch allerdings einstweilen nicht beeindrucken. Er wäre lieber legal ans Ziel gelangt. Da das aber nicht ging, wird es ihm um die geheiligten Institutionen nicht leid gewesen sein. Wenn die Gegner die Verfassung gebrochen haben wollten, sollten sie sie gebrochen haben. Er machte künftig alles allein. Man lebte, wie Spötter bemerkten, unter den Consuln Julius und Caesar. In sein Ackergesetz hatte Caesar nach schon älterem Muster eine Klausel eingefügt, wonach alle Senatoren einen Eid auf dessen Einhaltung und Bewahrung schwören, andernfalls ins Exil gehen mußten. Cato und andere zögerten lange, beugten sich aber am Ende der bitteren Notwendigkeit. Die Mitglieder der Ackerkommission wurden bestellt, in erster Linie Pompeius und Crassus. Bis Anfang April wurde das verabredete Gesetzgebungsprogramm erledigt. Pompeius’ Verfügungen im Osten wurden ratifiziert. An dieser Stelle wagte es der alte Lucullus noch einmal, Widerspruch einzulegen. Aber der Consul Caesar fuhr ihn so herrisch an und drohte ihm mit Anklage vor Gericht, daß Lucullus sich ihm erschrocken zu Füßen warf und um Gnade bat. Die Steuerpächter Asiens erhielten einen Pachtnachlaß um ein Drittel, wurden bei der Gelegenheit allerdings vom Consul ernsthaft vermahnt, sich nicht wieder zu hoch zu steigern. Auf Wunsch des Pompeius und gegen hohe Zahlungen wurde Ptolemaios XIII. als ägyptischer König anerkannt. Zahlreiche einzelne Vergünstigungen wurden vorgenommen. Schließlich erhielt Caesar durch ein Gesetz des Vatinius die Provinz Gallia Cisalpina mit Illyrien (dem dalmatinischen Küstenstreifen) für fünf Jahre zugesprochen. Dieses Kommando war inzwischen notwendiger, als es vielleicht am Anfang hatte scheinen wollen. Nachdem er so vielfach gegen das Recht verstoßen hatte, mußte man ihm Sicherheit bieten, daß er in nächster Zeit nicht belangt werden könnte; und die Gelegenheit zu Eroberungen, damit er anschließend nach Möglichkeit unangefochten nach
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Rom zurückkehren könnte. In Illyrien hätte es vieles zu holen gegeben. Aber den Krieg mußte Caesar vom Zaune brechen. Dort herrschte nämlich Frieden. Als Cicero sich im März bei einer Prozeßrede offen über die politischen Zustände beklagte, ließ Caesar drei Stunden später dessen Feind Clodius vom Patriciat zur Plebs überführen. Angehörige des alten patricischen Adels durften nicht Volkstribunen (tribuni plebis) werden. Eben dies aber wollte Clodius seit dem Bona-Dea-Skandal von 62/61. Er verband damit viele Absichten, unter anderem die Rache an Cicero. Der hatte ihm seinerzeit das Alibi bestritten und noch einigen Spott obendrein gegeben. Es hatte zwar nichts gefruchtet, aber Clodius zürnte ihm. Publius Clodius Pulcher hatte zwar besonders wenig Respekt vor den Idealen der Republik und den stolzen, doch häufig schwachen alten Herren, die sie repräsentierten. Er scheute so wenig wie seine besonders großzügigen, vielgeliebten Schwestern Skandale. Aber das heißt zugleich: Er war höchst empfindlich. Was immer er andern antat, er mochte es gar nicht, wenn man ihm unfreundlich begegnete. Gewiß war er hochbegabt, aufgeschlossen, von starker Energie und höchst anspruchsvoll; aber ohne Stetigkeit, ohne Bereitschaft, sich konsequent anzustrengen, ohne wirklichen Willen, ohne ein Ethos. Ein anarchisches Temperament, frei sich entfaltend, da kaum Widerstand es hielt, da es bewundert wurde; faszinierend für Roms Jugend, zumal es wagte, was die meisten sich nur zu gern getraut hätten – schließlich zunehmend sich selbst verzehrend. Seine wichtigste Antriebskraft neben dem Ehrgeiz scheint der Haß oder doch eine maßlose Aggressivität gewesen zu sein. Er suchte die Auffälligkeit und das Anstößige. Clodius hatte irgendein Bedürfnis, um sich zu schlagen. Die Ziele waren sekundär, sie konnten wechseln. Darauf kam es nicht an. Da war er frei. Aber Aktivität und Aggression mußte er entfalten. Insoweit war er nicht frei. Er lebte aus Verneinungen. Und er hatte ein Gespür dafür, wo Potenzen des Protests bereitlagen. Schon 68 hatte er als Offizier
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im Heer seines Schwagers Lucullus, weil er sich zurückgesetzt fühlte, Hetzreden gehalten und eine Meuterei entfesselt. 58 sollte er dann ganz neue, ungeahnte Möglichkeiten popularer Politik entdecken, wieder aus der Negation heraus; indem er starke Ressentiments der stadtrömischen Masse aufspürte und geradezu in sich sog, welche bis dahin eher latent geblieben waren. Er war popular, aber alles andere als wohlmeinend. Ein abgründiger Charakter. Bezeichnend die Schilderung, die Cicero im Juni 59 von ihm gibt: »Er rennt umher, gebärdet sich wie ein Rasender; noch weiß er nicht, was er will, droht vielen, scheint zupacken zu wollen, wenn ihm der Zufall eine Gelegenheit bietet. Sieht er die Erbitterung über die jetzigen Zustände, so tut er so, als wolle er auf die losgehen, die sie verursacht haben. Hält er sich dann wiederum deren Stärke, ihre finanziellen und militärischen Machtmittel vor Augen, wendet er sich gegen die Guten.« Die Überführung zur Plebs mußte in einem besonderen Akt der Adoption geschehen, der die Form eines Gesetzes hatte. Der Antrag mußte vom Collegium der Pontifices geprüft, danach ausgehängt werden. Drei Wochen später konnte dann eine altertümliche, rein formal gewordene Form der Volksversammlung stattfinden, vor der der Betreffende sich an Sohnes Statt einem Plebeier unterwarf, worauf die Versammlung zustimmte. In diesem Fall ist mit einer Prüfung durch die Pontifices nicht zu rechnen, mit der Einhaltung der Antragsfrist schon gar nicht. Der Pontifex Maximus handelte aus eigener Machtvollkommenheit, und er inszenierte das Ganze als einen Akt des Hohns auf die alten Bräuche. Kein anderer »Vater« fand sich für den gut dreißigjährigen Sohn aus höchstem patricischen Adel als ein gleichgültiger Mann von zwanzig Jahren – der den »Sohn« dann natürlich gleich wieder emanzipierte. Pompeius mußte bei der Posse den Augur spielen. Die Eile des Verfahrens deutet darauf, daß man die Adoption ursprünglich nicht vorgehabt hatte. Vielleicht waren alle drei Machthaber, mindestens aber Pompeius und Caesar, dagegen gewesen. Vielleicht war der Widerstand aber doch nur
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von Pompeius ausgegangen, der in seiner eher braven Art den unberechenbaren, ungebärdigen jungen Mann offenbar nicht mochte, überdies nicht wollte, daß er gegen Cicero vorginge. Rechnet man mit dieser Möglichkeit, so ist die Erklärung einfach. Caesar hätte dann Ciceros Klagen zum Anlaß genommen, um Pompeius zu überrumpeln. Jetzt war es doch ganz deutlich, daß sie einen tüchtigen Mann im Volkstribunat brauchten, der nach Caesars Consulat dessen Gesetze verteidigte. Andernfalls müßte man annehmen, daß schon die Tatsache der offenen Kritik Caesar zu viel war. Dann hätte ihn eine wilde Entschlossenheit beseelt, die Gegner nicht nur niederzuwerfen, sondern auch niederzuhalten. Die unverhältnismäßige Wut dessen, der mit aller Gewalt und Verbissenheit etwas schaffen wollte, was nicht zu schaffen war. Möglicherweise ist von beidem etwas in Caesars Handeln enthalten; zumal es ihn auch wütend machen konnte, wie vorsichtig Pompeius trotz allem immer noch war. Übrigens ließ Pompeius sich von Clodius die Zusage geben, daß er gegen Cicero nichts unternehmen werde. Anfang April schienen die Machtverhältnisse umgestülpt zu sein. »Glaub mir, sacht und mit weniger Geräusch, als ich dachte, hat sich das Rad im Gemeinwesen gedreht, schneller jedenfalls, als es hätte sein dürfen«, schrieb Cicero damals an Atticus. Anschließend waren Ferien. Zwischen dem 4. und 24. April konnten keine Gesetze verabschiedet werden. Die Veteranen des Pompeius scheinen Rom zum guten Teil verlassen zu haben. Man atmete auf und kam zum Nachdenken. Der Ärger über das Geschehene war groß und verbreitet. Auch Pompeius scheint bemerkt zu haben, wie sehr er an Ansehen eingebüßt hatte. Wahrscheinlich begann es ihn zu gereuen. Clodius, der zunächst damit geliebäugelt hatte, eine lukrative Gesandtschaftsreise zu unternehmen, dachte daran, sofort für das Volkstribunat zu kandidieren: Er hatte die Absicht, die Gesetze Caesars zu bekämpfen. Das schien politisch den größeren Gewinn zu versprechen.
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Ende April aber wurde auf einmal alles durch die Nachricht erschüttert, es sei ein neues Ackergesetz geplant. Jetzt sollten auch die campanischen Ländereien, gleichsam der Augapfel des römischen Gemeindeeigentums, verteilt werden. Bürger mit drei und mehr Kindern sollten dort siedeln. Unmittelbar darauf wurde bekannt, daß Pompeius Caesars Tochter Julia heiraten wollte – sie war etwa dreißig Jahre jünger als er. Offensichtlich hatten die beiden Herren neue Abmachungen getroffen. Caesar scheint Pompeius davon überzeugt zu haben, daß er nicht mehr zurückkonnte. Jedenfalls vollzog Pompeius eine scharfe Wendung. Was er in den ersten Monaten getan hatte, war aus Not geschehen. Er mußte seine Gesetze durchbringen; Caesar hatte ihn in der Hand. Gleichwohl hatte er noch eine gewisse Distanz zu seinem gewalttätigen Verbündeten gehalten. Und inzwischen scheint er dazu geneigt zu haben, mehr davon zu gewinnen. Nun langte er freiwillig zu, ging ungenötigt und wesentlich offener auf das Ziel einer neuen erheblichen Mehrung seiner Macht los. Bei der Ackerverteilung sind vor allem seine Veteranen bedacht worden. Er selbst war führend beteiligt, vor allem aber identifizierte er sich nun vollends mit Caesar. Daß er es dazu gebracht hatte, muß eine diplomatische Meisterleistung Caesars gewesen sein. Vielleicht hatte er Clodius angestachelt, sich gegen seine Gesetze zu stellen, um in Pompeius Sorgen wegen deren Zukunft zu erwecken; jedenfalls hat er ihm klargemacht, daß ihm die Verständigung mit dem Senat so leicht nicht mehr möglich war. Caesars anmutige Tochter könnte das Ihre dazu beigetragen haben. Caesar selbst handelte sich bei den neuen Abmachungen die Provinz Gallia Transalpina heraus, die geographisch ungefähr Provence und Languedoc entspricht. Sie bot vermutlich wesentlich größere Möglichkeiten zur Eroberung als Illyrien. Angesichts einiger Unruhe und Völkerbewegungen in den angrenzenden Gebieten konnte es auch nicht schwer sein, einen Anlaß zur Kriegführung zu finden. Außerdem wurden zahlreiche kleinere Gesetze beschlossen, durch die die Verbündeten nach vielen Seiten Geschenke austeilten, für
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ihre Freunde, um sich neue Freunde zu schaffen und um die eigenen Mittel zu vergrößern. Schließlich und vor allem baute Caesar der Gefahr einer Verständigung zwischen dem Senat und Pompeius vor, die wohl trotz allem nicht auszuschließen war. Daß Crassus an den neuen Abmachungen beteiligt gewesen wäre, hört man nicht. Man sieht auch nicht, was ihm dabei hätte zufallen können. Wider alle Sitte änderte Caesar im Mai auch die Reihenfolge des Aufrufs im Senat: Künftig fragte er Pompeius zuerst. Im Juli begegnen wir Crassus unter dessen Gegnern. Wahrscheinlich hatte er schon die Schwenkung von Ende April nicht mitgemacht. Die neue Provinz ließ Caesar sich vom Senat verleihen, von jenem Restgremium derer, die noch die Sitzungen besuchten. Sie meinten, so sei die Entscheidung wenigstens bei ihnen, nicht wieder beim Volk. Pompeius selbst stellte den Antrag. Gaius Calpurnius Piso, dessen Tochter Caesar kurz zuvor geheiratet hatte, unterstützte ihn. Cato fluchte über den Kuhhandel mit Töchtern und Provinzen. Der Senat setze sich den Tyrannen selber in die Burg. Wenige Tage später hat Caesar sich gebrüstet, er habe gegen den Willen und unter dem Stöhnen seiner Gegner erreicht, was er gewünscht habe; jetzt könne er ihnen allen auf den Köpfen herumtanzen. Es soll dann einer der Senatoren, unter Anspielung auf das behauptete Verhältnis zu Nikomedes dazwischengerufen haben, das sei aber für eine Frau nicht einfach. Caesar habe es schlagfertig aufgenommen, indem er erklärte, auch in Syrien habe einst Semiramis geherrscht und die Amazonen hätten einen großen Teil Asiens besessen. Das war etwa im Juni. Um diese Zeit mehrten sich die Kundgebungen gegen die neuen Machthaber, deren Gesetze in Rom nur wenigen zugute kamen. Der Rückzug und die stille Opposition so vieler führender Senatoren machten zunehmend Eindruck. Trauben von Menschen umringten die Anschläge des Bibulus. Der Terror, die Einschüchterungen, die Willkür der Machthaber hatten nun auch bei der breiten Masse zu einem Stimmungsumschwung geführt. »Nichts ist so popular wie der Haß auf
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die Popularen«, schrieb Cicero. Tatsächlich war die Fähigkeit, den Machtgewinn oder gar die Tyrannis einer Oligarchie im Namen des Volkes zu genießen, in der Antike kaum ausgebildet. Damals hatten nicht nur Lügen, sondern auch Ideologien kurze Beine. Man konnte im konkreten römischen Alltag sehr rasch merken, wer nun die Macht hatte und mit ihr machte, was er wollte. Und man konnte sich von ungreifbaren Vorteilen nichts erhoffen. Caesar hatte nichts veranstaltet, was der Menge zugute gekommen wäre; kein neues Getreidegesetz, keine Spiele. Nur Reden; und im übrigen der Druck der Veteranen, der Banden des Vatinius. Cicero schildert weiter, »niemand ist einverstanden mit dem, was vorgegangen ist, alles jammert, ist empört; man ist sich völlig einig, spricht es offen aus und schimpft schon ganz ungeniert; aber zu raten weiß keiner. Setzen wir uns zur Wehr, so kommt es wahrscheinlich zu Mord und Totschlag; aber dies ewige Nachgeben, das sieht jeder, kann schließlich doch auch nur zum Untergang führen.« Die Machthaber wurden, wo sie auftraten, mit Pfeifkonzerten empfangen. Im Juli kamen auch viele Bürger von außerhalb zu den großen Spielen. Als Caesar das Theater betrat, blieb alles still. Als der junge Curio aber hereinkam, der einzige leidenschaftliche, offene Opponent, erntete er so emphatischen Beifall wie einst Pompeius in seiner guten Zeit. Caesar fühlte sich aufs äußerste brüskiert, beschwerte sich, drohte den Rittern, die in ihren gesonderten Sitzreihen stehend geklatscht hatten, drohte in seiner ohnmächtigen Wut auch dem Volk, er werde die Getreideverteilung abschaffen. Gleichwohl erntete ein Schauspieler für den auf Pompeius den Großen anwendbaren Vers »durch unser Elend bist du groß« solchen Beifall, daß er ihn mehrfach wiederholte. Als Pompeius auf Vorwürfe des Bibulus offen antworten wollte, war er so hilflos, daß er fast Mitleid erregt hätte. Langsam schien sich das Rad wieder zu wenden. Doch noch lag alle Macht bei Pompeius und Caesar. Die Gegner hofften einerseits, bei den Wahlen geeignete Männer durchzubringen, die im folgenden Jahr die Sache des Senats energisch vertreten konnten. Um Zeit zu gewinnen,
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verschob Bibulus die Wahlen vom Juli in den Oktober. Aber andererseits scheinen sie sich klargemacht zu haben, daß es nicht mehr möglich war, alle Ergebnisse des caesarischen Consulats einfach zu annullieren, etwa auf Grund eines senatus consultum ultimum. So kamen sie darauf, Caesar ein Kompromiß-Angebot zu unterbreiten: er solle alle seine Gesetze noch einmal einbringen, und zwar so, wie es rechtens war: unter Respektierung der Auspicien. Sie waren offenbar bereit, dabei von jeder Obstruktion abzusehen. Alle Gesetze wollten sie hinnehmen, wenn Caesar nur durch deren neuerliche Einbringung praktisch anerkannte, daß er unrechtmäßig gehandelt habe, daß derart eingebrachte Gesetze ungültig, daß also die überkommenen Institutionen unbedingt zu beachten seien. Gegen Wiedergutmachung der Rechtsbrüche boten sie Sicherheit für die Gesetze und selbstverständlich auch Indemnität für Caesar. Die führenden Senatoren waren damals also bemerkenswert elastisch und entgegen ihrer sonstigen Starrheit bereit, über ihren Schatten zu springen. Sie sahen ein, daß sie ihre Opposition überzogen hatten. Es wird dabei hilfreich gewesen sein, daß ihr Angebot die Fortsetzung alter senatorischer Politik unter neuen Umständen darstellte: inhaltliche Konzessionen gegen Wahrung oder Wiederherstellung, gegen Bekräftigung der überkommenen Regeln und Beispiele. Der Vorschlag muß für alle Nutznießer der caesarischen Gesetzgebung verlockend gewesen sein, insbesondere für Pompeius, der sich in seiner Haut zunehmend unwohl fühlte. Ganz fraglos bot er auch für Caesar große Vorteile: Er behielt, was er gewollt hatte; und alles, was er angerichtet, wodurch er sich strafbar gemacht hatte, war erledigt. Freilich hätte er dafür zu Kreuze kriechen und zugeben müssen, daß er unrechtmäßig gehandelt hatte. Außerdem hätte er Bibulus mit seinen lächerlichen täglichen Himmelsbeobachtungen recht gegeben. Nicht, daß sonst einer in Rom an die Blitze geglaubt hätte, die Bibulus sich melden ließ. Das ist kaum wahrscheinlich. Die Geltung dieses Obstruktionsmit-
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tels beruhte nicht auf religiöser Überzeugung, sondern auf der senatorischen Sanktion, die dahinterstand; darauf nämlich daß eine Macht bereitstand, um seine Verletzung zu ahnden. Und eben diese Macht sollte Caesar anerkennen und stärken, sollte dazu beitragen, daß künftig die Möglichkeiten zur Verhinderung von Gesetzen besser und sicherer funktionierten. Man sollte sich künftig nicht mehr so einfach gegen den Senat durchsetzen können. Schon aus diesen beiden Gründen wird Caesar das Angebot zurückgewiesen haben, obwohl es ihm mehrmals unterbreitet wurde. Vermutlich hat er auch den Gegnern nicht genug Vertrauen entgegengebracht. Was geschah, wenn er Miene machte, alles neu einzubringen, und sie hielten sich nicht an die Zusage? Es wäre interessant zu wissen, was Caesar mehr von einem Einlenken abhielt, sein Mißtrauen, sein Stolz oder die Abneigung gegen eine Stärkung der Senatsautorität. Insbesondere fragt es sich bei dieser Gelegenheit, wie er zu Roms Ordnung stand. Einerseits grundsätzlich: Ob er etwa meinte, mit seiner Mißachtung, seinem Hohn gegen geheiligte Institutionen eine wichtige Bresche in deren Mauern geschlagen zu haben. Und andererseits pragmatisch: wie er sie in Gedanken an seine eigene Zukunft beurteilte, wie er sich überhaupt seine Zukunft in der römischen Republik dachte. Soweit wir urteilen können, ist nicht zu sehen, daß Caesar ein grundsätzlicher Gegner der römischen Ordnung gewesen wäre. Wenn er dagegen verstieß, so stellte er nur die eigene Sache über die Beachtung ihrer Regeln. Es mag Zorn angesichts hinderlicher Beengungen hinzugekommen sein. Daß so geheiligte Rechte wie das der Intercession und der Obnuntiation, wie es ihm scheinen mußte, so willkürlich gebraucht werden konnten und daß sie, wie er dann fand, sowohl galten wie nicht galten, war seinem Respekt gegen sie abträglich. Überhaupt hatte er nicht viel Sinn für Institutionen. Da müssen ihm auch tiefe Jugendeindrücke im Wege gewesen sein; jene Eindrücke, die ihn dazu brachten, die Institutionen nicht ohne diejenigen denken zu können, die sie vertraten. Durchsetzung der eigenen Ansprüche, Freundschaft und Gegnerschaft sowie
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sachliche Bewährung – das waren die Kategorien, in denen er dachte. Was zwischen allen Bürgern war, die rechtliche Ordnung, der sie sich verpflichtet fühlten, das Lebenselement der Republik, eben die Institutionen, konnte sich ihm nicht in seiner Eigenständigkeit, in seiner Realität darstellen. Da ging sein scharfer Blick hindurch. Entsprechend hat Caesar auch die senatorische Verfassungspolitik nicht verstanden, zumal sie sich auch gegen ihn richtete; was er wohl ebenfalls nicht verstand. Die Obstruktionsmittel und die Politik Catos und seiner Verbündeten, das war ihm gleich viel. Catos Stärke war seine Schwäche; und umgekehrt. Darum ging es ihm. Wenn er sich künftig mit irgendetwas durchsetzen wollte, wären ihm die Gegner wieder im Weg gewesen. Kurz, er hatte vermutlich nichts gegen Roms herkömmliche Ordnung. Zwar war er Außenseiter, aber nicht im grundsätzlichen Sinn. Es gab ja auch keine Sache, der er sich im Streben nach einer neuen Ordnung hätte verknüpfen können. Nur sollten seine Gegner nicht die Macht haben, ihn beliebig zu behindern, noch dazu bei sachlich so evidenten Forderungen und auf so lächerliche Weise. Insoweit muß er sich an den Auswirkungen seines Sieges auf die römische Ordnung gefreut haben. Insofern muß ihm auch der Gedanke an ein Zurück ferngelegen haben. Nachdem er die Gegner einmal so schwer geschlagen hatte, sollte er da alles wiedergutmachen? Manch anderer hätte es wohl getan. Pompeius wäre glücklich gewesen, wenn man ihm so goldene Brücken gebaut hätte – vermutlich hat er Caesar gedrängt, sie zu begehen. Caesar aber dachte anders. Zwar muß man sich sehr hüten, von den weiteren Phasen seiner Laufbahn auf diese Zeit der Weichenstellung zurückzuschließen. Allein, die Art, wie er seinen Kurs wählte – unbeirrbar und unversuchbar, mit höchstem Einsatz, zielbewußt und mutwillig der ihm aufgezwungenen Rolle sich fügend –, das alles spricht doch sehr dafür, daß er entschlossen war, seinen eigenen Weg zu gehen, zunächst für sich, in seiner Provinz; und dann mußte man weiter sehen. Er war bereit, viel zu leisten, und er muß gehofft haben, daß sich das aus-
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zahlte. Sowenig wie die Institutionen verstand er die Macht, die die Gegner im Rahmen der Republik und im Kampf um deren Recht noch aufbieten konnten. Und zunächst hatte er sie ja auch schwer geschlagen. Eine besondere Probe seines Leistungsvermögens für die Republik hat Caesar auch 59 abgelegt. Das war die Formulierung des Repetundengesetzes, das er etwa im August einbrachte. Es regelte die gesamte Materie der Provinzialverwaltung nicht grundsätzlich neu, aber schärfer und strenger, als das bis dahin geschehen war. Offenbar war es ein Glanzstück römischer Gesetzgebung, es blieb die ganze Kaiserzeit hindurch in Kraft. Bald nach der Mitte des Jahres war Caesar politisch so sehr in die Enge geraten, daß er auf einen höchst fragwürdigen Weg verfiel, um sich daraus zu befreien. Lucius Vettius, ein notorischer Denunziant, spann in seinem Auftrag eine Intrige. Er schlich sich in das Vertrauen von Caesars leidenschaftlichem jungen Opponenten Curio ein und eröffnete ihm eines Tages, er wolle mit seinen Sklaven ein Attentat auf Pompeius verüben. Offenbar hatte er wirklich vor, sich bei solch einem Angriff ergreifen zu lassen. Doch Curio meldete es seinem Vater, und der warnte Pompeius. Die Sache kam vor den Senat. Vettius wurde vorgeladen und beschuldigte einen ganzen Kreis von jungen Adligen, ein Komplott angestiftet zu haben. Unter anderem Servilias Sohn Brutus. Bibulus habe ihm durch seinen Privatsekretär einen Dolch gesandt. Das war alles recht unwahrscheinlich, zumal Bibulus selbst Pompeius vor einem Anschlag gewarnt hatte. Einige Aussagen waren auch offenkundig falsch und widersprüchlich. Der Senat ließ Vettius deswegen verhaften. Tags darauf führte Caesar ihn dem Volk vor, damit er ihm ausführlich berichte. Nun nannte er zum Teil andere Namen. Brutus, den er zunächst stark belastet hatte, überging er. Cicero kommentiert: »Es lag eben eine Nacht dazwischen, in der sich jemand für ihn verwandt hatte.« Er befürchtete eine ganze Reihe von politischen Prozessen. Allein, die Sache war so fadenscheinig, daß Caesar sie aufgab und Vettius im Gefängnis umbringen ließ – natürlich war es Selbst-
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mord. Auf eine uns nicht bekannte Weise hat Caesar es dann im Oktober geschafft, bei den Wahlen zum Consulat zwei befreundete Kandidaten durchzusetzen, Lucius Calpurnius Piso, seinen Schwiegervater, und Aulus Gabinius, Pompeius’ alten Gefolgsmann. Damit war ein senatus consultum ultimum gegen ihn nach Beendigung seines Consulats schon so gut wie ausgeschlossen. Wer nämlich hätte es ausführen sollen? Clodius war schon vorher zum Volkstribunen gewählt worden. Bei den Praetorwahlen aber hatten zwei sehr engagierte Gegner Caesars Erfolg, Lucius Domitius Ahenobarbus und Gaius Memmius. Vermutlich hat Caesar damals neuerdings alle Hebel politischer Pression in Bewegung gesetzt. Dafür spricht, daß gleich nachher keiner der Praetoren bereit war, eine Anklage gegen Gabinius wegen Wahlbestechung anzunehmen. Als der Ankläger in einer Volksversammlung Pompeius einen »unbestallten Dictator« nannte, wäre er fast gelyncht worden. In seinem Consulat habe Caesar, schreibt Plutarch, sich wie der frechste Volkstribun aufgeführt. Vielleicht war es schlimmer noch als bei den Gracchen und bei Saturninus. Jedenfalls hatte er, anders als alle Volkstribunen, die Sicherheit eines Provinzialkommandos. Und er konnte auch schon fast gewiß sein, daß er es ungestraft erreichte. Damit hatte Caesar etwas geschafft, was es bis dahin in Rom noch nie gegeben hatte: Ein großes Gesetzgebungsprogramm durchsetzen – unter Mißachtung der Obstruktion – und sich der senatorischen Strafaktion entziehen. Er hatte den Senat schwerer und nachhaltiger geschlagen als alle anderen. Der Senat war nicht mehr die Macht, die letzten Endes die stärkste war, die im Zweifel für Ordnung sorgen konnte. Das bedeutete eine ungeheuerliche Veränderung in Rom. Caesar hatte sie herbeiführen können, weil er mit ungeahnter Rücksichtslosigkeit verfuhr, weil er im Gegensatz zu allen anderen schon zu Anfang keinen sonderlichen Respekt gegenüber der römischen Ordnung hegte. Voraussetzung für sein Wirken war aber auch gewesen, daß die führenden Kreise
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des Senats alles aufboten, um ihn zu bekämpfen – und nicht das »Vorüberziehen des Unwetters abwarten« wollten, wie Cicero das alte Rezept formulierte. Die Situation war neu, und ebenso war es Caesars Verfahren. Nicht daß er in unserem Sinne ein Neuerer gewesen wäre. Aber alles, was er tat und vor allem: wie er es tat, war anders als bis dahin üblich. Und das Handeln der Gegner war es entsprechend. Die Krise der Republik hatte die Möglichkeiten produziert, die Caesar nutzte. Daß Pompeius für die Erledigung auswärtiger Probleme gebraucht, daß er mächtig, daß er vor allem je mehr er gebraucht und mächtig, um so mehr bekämpft wurde, gab Caesar die Sache, gab seinem Sieg den Sinn. Die Weise, in der er sich aus der Krise heraus ausgebildet hatte, bestimmte sein Vorgehen. So produzierte – und steigerte – die Krise sich selbst. Daher bildete dieses Jahr einen außerordentlich tiefen Einschnitt in der römischen Geschichte; aber auch in Caesars Biographie. Jetzt hatte er alle Chancen zu ungewöhnlichem Machtgewinn. Andererseits hatte er es mit der römischen Gesellschaft verdorben. Inzwischen waren auch die Senatsmehrheit und große Teile der Ritterschaft gegen ihn. Cato hatte Recht behalten: Jedermann sah, wie Caesar bis dahin so viele getäuscht hatte und wer er in Wirklichkeit war. So mußte es scheinen, auch wenn er der, der er war, erst im Jahre 59 recht geworden war. Doch was eine Gesellschaft sieht und was sie tut, ist zweierlei, vor allem wenn sie schwer angeschlagen ist. Vielleicht war es doch erst eine Frage der künftigen Politik, wie Caesar auf die Dauer von den Römern wahrgenommen wurde; wie er sich ihnen präsentierte, wie er sich wieder unter sie fand. Jedenfalls mußte er von nun an darauf hinarbeiten, in Rom wieder angenommen zu werden; mit aller Kraft gewiß, aber nicht unbedingt mit Zugeständnissen, die seinem Stolz zu teuer gekommen wären. Es konnte ihm kaum aussichtslos erscheinen, und vielleicht war es auch nicht unmöglich. Noch mußte sich die Frage: »Caesar oder die Republik?« nicht stellen, obwohl sich für die Gegner beides bereits ausschloß. Doch
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bestand Rom ja nicht nur aus Caesar und seinen Widersachern. Wir wissen nicht, wie viele Sorgen sich Caesar um seine Zukunft machte. Aber die Problematik, vor der er sich fand, muß ihm bewußt gewesen sein; wenn ihn auch eine gewisse Nonchalance und seine Verachtung für die Gegner dagegen gewappnet haben mögen, sie gleich in ihrer ganzen Schwere wahrzunehmen.
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Bewährung in Gallien Caesars Statthalterschaft sollte keineswegs nur Mittel sein für innenpolitische Zwecke. Im Gegenteil: Nirgends konnte Caesar seine Leidenschaft, Großes zu leisten, so gut bewähren. Übrigens hat er sich, scheint es, dann nirgends so wohl gefühlt wie unter seinen Soldaten, auf seinen Feldzügen. Das wurde zunehmend zu seinem Element. Gleichwohl konnte Caesar von der Innenpolitik keinen Augenblick lang absehen. Seine Zukunft hing daran, daß er das Geschehen in Rom mitformte; daß er sich den Rücken freihielt, alles tat, um seinen politischen Kredit wiederherzustellen, und darauf hinwirkte, seine Gegner nicht so leicht wieder erstarken, sie vor allem nicht mit Pompeius sich aussöhnen zu lassen. Caesar hat also immer zugleich Krieg geführt und an der Innenpolitik teilgenommen. Seine strategischen Entscheidungen hatten folglich vielfach einen innenpolitischen Aspekt. Und was er in Rom bewirkte, war oft Funktion seiner militärischen Lage. Vor allem war er in außerordentlichem Maße gegenwärtig in der Stadt. Überhaupt äußert sich Caesars politisches Volumen nicht zuletzt darin, daß er sich vielerorts gleichzeitig präsent zu machen wußte. Er multiplizierte seine Wirkungen. Er unterhielt ein wohlorganisiertes, dichtes Botensystem, das es ihm ermöglichte, in kurzer Zeit von allen Wendungen der römischen Politik zu erfahren und seine eigenen Direktiven dort wissen zu lassen. Er schrieb unzählige Briefe, auf seinen Märschen in der Sänfte, im Lager. Dadurch war er ständig mit zahlreichen Römern – auch Römerinnen – in Verbindung, kannte ihre Nöte, bot Hilfen, großzügige Darlehen, sandte exotische Aufmerksamkeiten, knüpfte und befestigte vielerart Beziehungen. Übrigens verwandte er für besonders vertrauliche Mitteilungen eine Geheimschrift, in der die Buchstaben in bestimmter Weise vertauscht waren; sie war mit seinen Sekretären Oppius und Balbus verabredet.
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Caesar sah darauf, daß er unter den Magistraten jeweils Freunde hatte; und dafür war ihm keine Summe zu hoch. Zugleich vertrat eine hervorragend organisierte Kanzlei in der Stadt seine Interessen. Ständig war Caesar mit seinen Gedanken, seinen Befehlen und Ratschlägen, seinen Geschenken und Wünschen in Rom anwesend. Kein Vergleich zu anderen Statthaltern, die zwar auch brennend an allem interessiert waren, was dort geschah, doch eher Zuschauer blieben. Er dagegen wollte – und mußte – eingreifen. Er legte größten Wert darauf, daß er zu allem Wichtigen befragt wurde, erklären konnte, was er jeweils meinte und wollte, daß seine Verbündeten nichts ins Werk setzten, worüber sie sich nicht vorher mit ihm verständigt hatten. Sie sollten keinen Vorteil haben, den sie ihm nicht kompensierten. Sie sandten denn auch mehrfach Unterhändler zu ihm, und er wird mit seinen genauen Wünschen und Forderungen nicht hinter dem Berg gehalten haben. Weil er so vieles im voraus berechnen und Stellung nehmen konnte und alles tat, um rasch unterrichtet zu werden, konnte er beanspruchen, daß man ihn hörte. Er ließ ihnen nicht die Ausrede, sie hätten seine Meinung nicht einholen können. Es kam ihm zugute, daß er größere Teile seiner Zeit in der Gallia Cisalpina in relativer Nähe zu Rom verbringen konnte. Übrigens hatte er es zunächst keineswegs eilig, in seine Provinz aufzubrechen. Bis zum Abgang in die Provinz Kampf um Caesars Gesetze • Cicero und Cato werden aus Rom entfernt • Cicero • Clodius’ populare Politik • Angriffe auf Caesars Gesetze Bald nach Beginn des Jahres 58 referierten die beiden caesarfeindlichen Praetoren über seine Gesetze. Es sei zu untersuchen, ob sie rechtmäßig eingebracht worden seien; andernfalls sollten sie für ungültig erklärt werden. Caesar stellte sich
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der Debatte und erklärte, der Senat solle darüber entscheiden. Aber die Väter verloren sich in endloses Gerede. Nachdem sich das drei Tage hingezogen hatte, verließ der Proconsul die Stadt. Das heißt, er holte die Auszugs-Auspicien ein, legte mitsamt seinen Liktoren das Kriegskleid an, die Hörner bliesen zum Abmarsch, Freunde und Schaulustige gaben das Geleit, er überschritt die geheiligte Stadtgrenze und trat damit sein Proconsulat förmlich an. Weiter aber tat er nichts. Er blieb vielmehr vor Rom oder besser gesagt: in Rom, nur eben außerhalb des Pomeriums. Man kann kaum annehmen, daß Caesar die Senatsdebatten gefürchtet hätte, sie gingen ihm nur auf die Nerven. Vor allem fand er es damals schon unter seiner Würde, sich auf die Dauer geduldig mit all den unsäglichen Bedenklichkeiten und Einwänden, mit all dem Mißtrauen auseinanderzusetzen. Nach den drei Tagen mußte ihm klar sein, daß er die Senatoren nicht hätte überzeugen können – oder jedenfalls nur um einen Preis, den sein Stolz nicht zahlen wollte. Er hätte sie am Ende doch nur angeherrscht. Auf die Reden der Praetoren antwortete er schriftlich, in aller Heftigkeit. Als darauf ein Tribun Caesar vor das Volksgericht zitierte, appellierte er an das Tribunen-Collegium und erwirkte den Beschluß, solange er im öffentlichen Interesse abwesend sei, könne er nicht angeklagt werden. Man möchte annehmen, diese ohnmächtigen Angriffe seien um des Prinzips willen vorgetragen worden. Aber die Situation könnte mehr Möglichkeiten enthalten haben, als es den Anschein hat. Caesar wenigstens war nicht der Ansicht, daß man die Dinge schon sich selbst überlassen könnte. Sonst wäre er nicht monatelang vor der Stadt stehengeblieben. Clodius hatte bereits am 3. Januar eine Reihe von Gesetzen durchgebracht. Zunächst ließ er beschließen, daß die Getreideverteilung an das Stadtvolk künftig ganz unentgeltlich sein sollte. Auch den Kreis der Berechtigten zog er sehr weit. Die Plebs Urbana nahm daraufhin sehr zu, teils durch Zuwanderung, teils durch Freilassung von Sklaven; die Freigelassenen gelangten ja unmittelbar ins römische Bürgerrecht. 56 soll
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schon ein Fünftel der öffentlichen Einkünfte in die Getreideverteilungen gegangen sein. Ein zweites Gesetz ließ die Bildung städtischer Vereine wieder zu. Da diese oft Instrumente der Unruhe und Korruption gewesen waren, hatte der Senat sie 64 verboten. Die neuen Vereine, die Clodius organisierte, setzte er denn auch in großem Stil als Knüttelgarden ein, um die Stadt Rom immer wieder zu terrorisieren. In einem dritten Gesetz beschränkte er die Möglichkeiten der religiösen Obstruktion durch Himmelsbeobachtung. Vermutlich schrieb er vor, daß diese nicht mehr durch einen Amtsdiener, sondern nur mehr durch den betreffenden Magistrat gemeldet werden konnte. Der hätte sich dann wie jeder Intercessor dem Druck der am Gesetz interessierten Volksversammlung direkt aussetzen müssen. Das erschwerte die Obstruktion, mindestens in Fällen leidenschaftlich unterstützter Anträge. Interessant, daß selbst Clodius die Obnuntiation als solche nicht antastete! Ein viertes Gesetz erschwerte den Censoren die Streichung von Senatoren aus der Senatsliste, was einigen eher umstrittenen Senatoren zugute kam. Kein Widerspruch erfolgte, obwohl ein Volkstribun sich dazu angeboten hatte. Aber man wollte Clodius offenbar nicht reizen. Cicero überzeugte sich zum Beispiel, es sei nützlich für ihn, daß das Gesetz über die Vereine durchginge. Ob die Hoffnung bestand, daß Clodius gegen statt für Caesars Gesetze Stellung bezog? Ausgeschlossen ist es keineswegs. Aber es kann auch sein, daß man befürchtete, die Obstruktionsmittel erneut zu verschleißen. Die vier Gesetze muten an wie die Einleitung zu einem großen Gesetzgebungswerk, als seien die Waffen geschmiedet worden, um Bedeutenderes durchzusetzen. Noch nie war ja ein großzügiges Getreidegesetz aus anderen Gründen erlassen worden. Noch im Januar, wohl gegen dessen Ende, folgte dann die Veröffentlichung eines Antrags, wonach derjenige der Ächtung verfallen sollte, der einen römischen Bürger ohne Gerichtsurteil töte oder getötet habe. Der Grundsatz nulla poena sine lege ist nicht römisch. Außerdem gab es ein entsprechendes Gesetz
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schon seit Gaius Gracchus. Ob Clodius mehr tat, als es neu zu formulieren, ist unbekannt. Vielleicht sorgte er dafür, daß er einen willfährigen Gerichtshof bekam. Am gleichen Tag wurde ein weiterer Gesetzesantrag ausgehängt, wonach die beiden Consuln mit besonders günstigen Provinzen aufs großzügigste ausgestattet werden sollten. Gelder, die an sich für die Ackeransiedlung nach Caesars Gesetzen bestimmt waren, wurden ihnen gegeben, und mindestens der eine soll sie gar nicht mitgenommen, sondern zinsgünstig angelegt haben. So brach Clodius im voraus deren möglichen Widerstand. Denn der Consul Piso hatte Cicero am 1. Januar im Senat ehrenvollerweise an dritter Stelle, nach Pompeius und Crassus, aufgerufen, und Gabinius war Pompeius’ Anhänger. Nun tat sich Gabinius hervor, indem er erklärte, endlich müsse die Hinrichtung der Catilinarier geahndet werden. Man solle nicht glauben, der Senat habe noch etwas zu sagen. Piso zog sich darauf zurück, daß er kein tapferer Mann sei. Cicero möge weichen; man werde ihn schon bald zurückholen. Das Gesetz stellte, für sich genommen, keine neue Gefahr für Cicero dar. Nur ein Gericht konnte ihn verurteilen. Doch er legte sofort Trauerkleidung an und veranlaßte Senatoren und Ritter, für ihn einzutreten. Clodius’ Banden verfolgten ihn, sie pöbelten ihn an und warfen auf ihn mit Dreck und Steinen; und der Consul Gabinius bedrohte die Ritter, die sich für ihn einsetzten. Clodius berief sich auf das Einverständnis mit Caesar, Pompeius und Crassus. Pompeius hatte sich in sein Landhaus zurückgezogen. Einer Gesandtschaft erklärte er, als Privatmann könne er gegen einen bewaffneten Tribunen nichts unternehmen. Gäbe es ein senatus consultum ultimum, so würde er zu den Waffen greifen. Das war offenbar ein Wink, daß sich der Senat ja mit ihm vertragen könne. Er kostete nicht viel, da an einen solchen Beschluß kaum zu denken war. Cicero gegenüber gab Pompeius zu, daß er gegen Caesars Willen machtlos sei. Seine Schutzversprechen waren vergessen. Er mußte sie vergessen, sonst hätte er sich entweder als Schwächling oder als Verräter erscheinen müssen. Crassus versprach privat Hilfe und identifizierte sich
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öffentlich mit Clodius. Caesar aber äußerte sich in einer Volksversammlung, die der Tribun auf dem Marsfeld im Circus Flaminius abhielt. Er verwies darauf, daß er sich von vornherein gegen die Hinrichtung der Catilinarier ausgesprochen habe. Aber, fügte er hinzu, er sei kein Freund von Gesetzen, die vergangene Taten nachträglich unter Strafe stellten. Wie fast immer, war er staatsmännisch, edel und großzügig, voller Unschuld; ganz anders als seine Gegner ihn hinstellten. Manch einen wird er wieder irritiert haben. Anfang März verließ Cicero freiwillig die Stadt, um sich ins Exil zu begeben. Kurz darauf brach Caesar eilends in seine Provinz auf. Er hatte Meldungen von einem geplanten Durchmarsch der Helvetier erhalten. Dieser keltische Stamm wollte seine Wohnsitze in der heutigen Schweiz verlassen und im Westen Galliens neue suchen. Caesars Anwesenheit war dringend erforderlich. Er gebot die Legion, die in der Transalpina stand, an den Genfer See, ließ zudem in aller Eile bundesgenössische Truppen aufbieten. Aber seine Hauptstreitmacht, drei Legionen, die in der Cisalpina, und zwar bei Aquileia standen, nahm er zunächst nicht in Anspruch. Die sollten weiterhin in Italien bleiben, gleichsam ante portas, um auf Rom Druck auszuüben. Erst Ende April wurden sie in Marsch gesetzt, um schleunigst den Helvetiern entgegengeworfen zu werden. Um diese Zeit war wohl schon ein zweiter gefährlicher Mann aus Rom entfernt worden, Marcus Cato. Den Anlaß schuf man sich in Form einer außenpolitischen Affäre. Clodius beschloß nämlich, das Königreich Cypern einzuziehen. Diese Insel hatte an sich zu Ägypten gehört und wurde damals – aufgrund eines umstrittenen Testaments – von einem Angehörigen der Ptolemaier-Dynastie regiert. Gegen den hegte der Tribun einen alten Groll, da er, als Clodius einmal in die Hand von Seeräubern gefallen war, am Lösegeld geknausert, zwar eine hohe, aber keine genügend hohe Summe gesandt hatte. Die Seeräuber sollen sich verhöhnt gefühlt, die Summe zurückgewiesen und Clodius großzügig freigelassen haben. Aber die Herausforderung, die er von Ptolemaios erfahren zu haben meinte,
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konnte er gleichwohl nicht verwinden. Außerdem brauchte die Gemeindekasse neue Einnahmen, nachdem Clodius den Consuln so viel hatte anweisen lassen. Er ließ also kurzerhand durch ein Gesetz Cypern einziehen und durch ein weiteres Cato mit der Exekution des Beschlusses betrauen. Cato folgte, weil er ein gesetzestreuer Mann war. Caesar gratulierte brieflich – Clodius teilte das der Volksversammlung mit –, daß er sein Tribunat von Cato befreit und diesem zugleich den Mund gestopft habe: Denn da er einen außerordentlichen Auftrag angenommen hätte, könnte er nun nicht mehr gegen die Einrichtung außerordentlicher Kommandos polemisieren. Es ist durchaus fraglich, ob die Entfernung Catos und Ciceros wirklich nötig war, um Caesars Gesetze von 59 zu sichern. Zwar wurde behauptet, die drei Machthaber könnten es mit einem so populären Tribunen nicht verscherzen, wo die eigene Sache so sehr in Gefahr sei. Doch was hätten die Gegner tun wollen? In Wirklichkeit sieht alles danach aus, daß Caesar dem Senat vor allem weitere schwere Schläge erteilen und zugleich Pompeius schwächen wollte. Er betrieb langfristigere Pläne: Die Gegner durften nicht wieder stark werden; es durfte nicht dazu kommen, daß Pompeius und sie sich verbündeten. Jede Stabilisierung der Lage in Rom mußte verhindert werden. Marcus Tullius Cicero bildete für Caesar eine gewisse Gefahr. Er war nicht eigentlich mächtig, aber ein bedeutender, mitreißender Redner von großer Überzeugungskraft. Zwar stand er eher am Rande der führenden Senatskreise, aber er genoß bei der Mehrheit hohes Ansehen; seine Leistungen gegen Catilina waren unvergessen. Er war nicht mutig, aber er konnte sich im Eifer des Gefechts durch sein Pflichtgefühl oder auch durch seinen Unwillen hinreißen lassen zu leidenschaftlichen Protesten. Er war unberechenbar. Und er war ein überaus treuer Anhänger des Senats. Ein homo novus, aus ritterlicher Familie vom Lande stammend – also in einem inzwischen schon altmodischen Sinne den Idealen der Republik anhängend –, außerordentlich fleißig, tüchtig, geschickt. Glücklich, was die Bewerkstelligung seines Aufstiegs anging;
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36 Er war nicht mutig, aber er konnte sich im Eifer des Gefechts durch sein Pflichtgefühl oder seinen Unwillen hinreißen lassen zu leidenschaftlichen Protesten. Marcus Tullius Cicero. Rom, Kapitolinisches Museum. Kaiserzeitliche Kopie nach einem Ehrenporträt des mittleren 1. Jahrhunderts v. Chr. bis hin zum Consulat, das er an erster Stelle, von allen Centurien und so früh wie möglich verliehen bekam. Im Consulat dann war er genau an der rechten Stelle. Selten hat das, was einer ist, und das, was von ihm verlangt wird, so gut ineinander gepaßt. Senatsanhänger und in einer recht gemäßigten Weise auch der stadtrömischen Menge verbunden, Rittersohn und Consul: Gerade diese Kombination war damals gefragt. Ob es der Kampf gegen populare Gesetze oder der gegen Catilina war, überall konnte er sich für große Koalitionen einsetzen. Das war ihm wichtig, denn er liebte es nicht, parteiisch zu sein, es sei denn, es habe gegolten, Männer zu bekämpfen, die er für die Feinde der ganzen Republik hielt. So trat er für
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die Eintracht ein, diejenige der Stände – Senat, Ritter und alle »Guten« – und diejenige zwischen Senat und Pompeius. Das ergab sich aus seiner Situation und aus der politischen Theorie. Als Neuling legte er großen Wert darauf, gegen die großen Herren, die ihn nur ungern als ihresgleichen annahmen, sich auf andere Kräfte stützen zu können. Gerade zu Pompeius fühlte er sich als Außenseiter hingezogen. Und da er die Philosophie nicht nur – neben der Rhetorik – studiert hatte, sondern sie auch zur Legitimation und zur Balance seiner Identität brauchte, hielt er sich gern an die politischen Lehren der Theoretiker. Während die übrigen Principes die Republik eher darstellten, standen für ihn deren Aufgaben im Vordergrund, die zu lösen waren. Während jene aus dem Zentrum der Macht die bisherige Form der Machtausübung bedroht sahen, sah er, eher von außen, die ganze Republik in Gefahr. Um so notwendiger schien ihm denn auch eine Philosophie zu sein, die das Gemeinwesen im Ganzen im Blick hatte. Und das verstärkte sich, je mehr er sich seit der Hinrichtung der Catilinarier mit der Republik identifizierte. Es wurde unterstützt durch seine Eitelkeit – oder das, was normalerweise so firmiert. Diese Eigenschaft ist ja keine absolute Größe, sondern das Empfinden einer Knappheit. Damit sie sich bei Cicero so stark ausbildete, mußte große persönliche Empfindlichkeit mit tatsächlicher Knappheit sich treffen, mit dem Fehlen nämlich eines respektierten Aufgehobenseins in einem politischen Zusammenhang. Das Bedürfnis nach Lob und die Einsamkeit, welche daraus folgte, daß er faktisch mit der Sache der Republik oft alleinstand, verhakten sich bei Cicero also zu einem Syndrom, das wir als Eitelkeit empfinden und das um so mächtiger war, als es dann immer wieder politische Bestätigung fand. Da sich daraus eine recht abstrakte politische Position ergab, war Cicero sicher und unsicher zugleich. Er traf die falschen Scheidungen. Ein Bürgerschreck wie Catilina stand für ihn ganz außerhalb der Gesellschaft. Ein Nobilitätsschreck wie Caesar konnte vielleicht »gebessert« werden. In dem Moment aber, da Caesar im Begriff war, die Pläne des Dreibunds in
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die Tat umzusetzen, gab es für Cicero nur mehr seine Ehre, er mußte sich selbst treu bleiben. Es durfte nicht als Zufall erscheinen, daß er der Sieger über Catilina war. Folglich mußte er Caesar bekämpfen; freilich nur so weit, wie es vernünftig schien. Weil er aber sensibel, nervös und schwankend war, weil er meinte, er vertrete die Republik besser als alle anderen und weil er das den anderen auch zu zeigen neigte, mußte Caesar trotzdem darauf gefaßt sein, daß Cicero ihn irgendwann in vorderster Front bekämpfte. Außerdem unterhielt Cicero eine nie ganz abgerissene Bindung zu Pompeius. Er konnte ihn, wenn sich die Gelegenheit gab, bestärken, sich mit dem Senat wieder zu vertragen. Schickte man ihn jetzt in die Verbannung, war das zudem für Pompeius eine rechte Blamage. Es wurde nur allzu deutlich, wie wenig verläßlich, wie schwach er war. Schließlich, und das war das Wichtigste, wurde auf diese Weise gezeigt, daß der Senat denjenigen nicht zu schützen vermochte, der den Äußersten Senatsbeschluß in seinem Sinne ausgeführt hatte. Das fügte den schweren senatorischen Niederlagen von 59 eine weitere hinzu. Caesar hat sich nach außen hin ganz zurückgehalten. Er nahm keinen Einfluß; begegnete Cicero sogar freundlich, bot ihm eine Legatenstellung in seiner Statthalterschaft an, gab sich verzweifelt über Clodius, der sich freilich nicht zurückhalten ließ. Merkwürdig ist, daß er den Antrag erst Ende Januar einbrachte. Vielleicht brauchte man erst noch einen Anlaß, um Pompeius zu zeigen, wie nötig Cicero und Cato entfernt werden mußten. Vielleicht auch war Clodius selbst sich zunächst nicht im klaren darüber, gegen wen er sich wenden sollte. Dann hat ihn Caesar, in dem die Gegner den »Helfer und Anstifter« sahen, erst drängen müssen. Jedenfalls wird sich Caesar auch Pompeius gegenüber als den Getriebenen dargestellt haben, der Cicero so gerne verschont hätte. Es war ein schamloses, ein arges Stück Politik, das er in diesen Wochen trieb. Danach konnte er Rom ruhig sich selbst überlassen. Clodius beherrschte mit seinen Banden die Straße. Er war der Held des
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Pöbels und vielleicht der breiten Menge überhaupt. Sie genossen die unentgeltlichen Getreideverteilungen und überdies die Weise, in der Clodius den Mächtigen zusetzte. Er entwikkelte ganz neue Formen der Artikulation eines »Volkswillens«. Wo früher Gewalt in der Regel angewendet worden war, um Gesetze in der Volksversammlung durchzubringen, diente sie jetzt dazu, eine Art »Volksjustiz« zu praktizieren. Zunächst gegen Cicero, also für die Freiheitsrechte, die er verletzt hatte, dann auch gegen andere. Immer neue Aktionen, Angriffe, Besetzungen des Forums, Vereitlungen magistratischen Handelns wurden in Szene gesetzt. Die »Freiheit« des Volkes wurde in Gewalttätigkeit erfahren. Und die Weisen, in denen das geschah, deuten darauf hin, daß hier nicht nur der Aktionismus des Clodius am Werk war, sondern daß zugleich gewisse Bedürfnisse der stadtrömischen Menge dabei befriedigt wurden. Wo Clodius den Skandal brauchte, wollte sie die Unzufriedenheit mit ihren Lebensumständen in Taten – und nicht in Beschlüsse – umgesetzt sehen. Immer hatten Volkstribunen in ihrer Agitation die Macht des römischen Volkes beschworen: Es war Herr über den ganzen Mittelmeerraum. Und Teile der städtischen Menge hatten sich stets in politischen Kundgebungen engagiert: Die Politik vollzog sich unter ihren Augen, sie war interessant, sie nahmen daran teil. Aber zugleich war spürbar, daß sie vielfach in Armut lebten und vor allem, daß die eigentlichen Herren der römischen Welt Senat und Magistrate waren. Damit konnte man sich abfinden, man war längst daran gewöhnt; es war ja auch herkömmlich und also natürlich; nur ausnahmsweise gab es Auflehnung dagegen. Allein, diese Verteilung von Regel und Ausnahme setzte voraus, daß Senat und Magistrate ihre Autorität und Überlegenheit regelmäßig zur Geltung bringen konnten. Neu war jetzt, daß Protest und »Volkszorn«, die Clodius so unvergleichlich inszenierte, ungestraft geübt werden konnten. Die Kräfte, die Widerstand hätten leisten können, waren zu schwach oder sie hielten sich gegenseitig in Schach. Caesars
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Consulat wirkte vielfältig nach. Der Senat war geschlagen, den Magistraten waren die Hände gebunden, eine Polizei gab es nicht. Zwar hatte man gewisse Ordnungskräfte, aber die waren nur dazu gedacht, die Straßen der Stadt gegen Landstreicher und Diebe zu sichern. Was darüber hinaus ging, war gleichsam der steten Fürsorge der Magistrate anheimgestellt, und die suchten sich ihre Helfer bei Freunden und Clienten; im äußersten Fall stellten sie aus diesen eine Art Hilfspolizei auf. Dieses System setzte aber die Energie und Sicherheit voraus, mit der man Anfängen wehren kann, damit Weiterungen gar nicht erst eintreten. Da diese einstweilen verbraucht waren, hatte Clodius freie Bahn: Er konnte seine ganze Leidenschaft austoben. Und die städtische Menge genoß ihre – scheinbare – Macht, manche, indem sie sie übten, andere, indem sie sich damit identifizierten. Die Desintegration der römischen Gesellschaft schritt fort. Den Banden war einstweilen nur durch Aufstellung anderer Banden zu begegnen; das geschah im Jahre 57. Und bis 52, als Clodius ermordet, sein wichtigster Gegenspieler verbannt und die Senatsautorität mit Pompeius’ Hilfe wiederhergestellt wurde, sind immer von neuem Straßenkämpfe in Rom aufgeflammt. Nicht lange nach Caesars Abgang in die Provinz geriet Clodius mit Pompeius aneinander. Als er auch noch einen Attentatsversuch oder etwas, was danach aussah, veranstaltete, zog der sich, wie im Jahr zuvor Bibulus, aus dem öffentlichen Leben zurück. Am 1. Juni nahm der Senat, wohl mit Pompeius’ Einverständnis, einen Antrag auf Rückberufung Ciceros an. Ein Volkstribun intercedierte. Wenig später vollzog Clodius eine kühne Wendung und begann, die Gesetze Caesars anzugreifen. Er führte Bibulus vor das Volk und ließ ihn bezeugen, daß er jeweils den Himmel beobachtet habe. Hortensius und andere Principes verbanden sich mit ihm in der Hoffnung, von der Straße her zu erreichen, was der Senat nicht riskierte. Es war eine eigenartige Verkehrung der Fronten; und eine seltsame Allianz, die die führenden Senatoren auf einmal mit dem terroristischen Volksführer verband. Aber es stellten sich
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ihnen zwei wichtige Aufgaben: Ciceros Rückberufung und die Wiedergutmachung der Niederlage durch Caesar. Zu jener gab es, gegen Clodius, einstweilen keine Möglichkeit. Diese konnten sie, mit Clodius, betreiben. Vermutlich lief der Plan darauf hinaus, daß Clodius nach einer Annullierung der caesarischen Gesetze deren Inhalt neu auf legale Weise ratifizieren lassen sollte. Das hätte ihm sehr großen Machtgewinn eingebracht. Er erklärte sogar, wenn der Senat die Gesetze Caesars aufhebe, werde er Cicero auf seinen Schultern nach Rom zurückbringen. Es wäre ein neuer, diesmal für den Senat angenehmer Skandal gewesen. Aber die Senatsmehrheit wollte nicht darauf eingehen. Eine solche Art der Verfassungspolitik mit dem Bandenführer gegen Caesars Rechtsbrüche war wohl zu kühn, ihre Konsequenzen zu wenig absehbar, um die Senatoren aus der Reserve zu locken. Vielleicht waren sie wegen der Verbannung Ciceros auch wirklich zu stark gegen Clodius eingenommen. Pompeius drehte den Spieß dann um: Am 1. Januar 57 trat er im Senat offen für die Rückberufung Ciceros ein. Kaum einer außer Clodius konnte ihm widersprechen. So hatte er erstmals wieder die Senatsmehrheit auf seiner Seite, konnte vielleicht sogar hoffen, sie dauerhaft für sich zu gewinnen. Das hätte die römische Innenpolitik grundlegend verwandelt. Caesar hatte nach einigem Sträuben in Ciceros Rückberufung eingewilligt – freilich gegen das Versprechen, daß der sich gegen ihn loyal verhielte.
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Die ersten gallischen Feldzüge (58/57 v. Chr.) Absicht, ganz Gallien zu erobern • Helvetier-Krieg • Feldzug gegen Ariovist • Panik im römischen Heer: die römischen Soldaten und ihre Affekte • Selbstverständlichkeit und Rechtfertigung des Krieges • Feldzug gegen die Belger • »Ganz Gallien ist befriedet« • Ehrenvolle Senatsbeschlüsse Caesars Commentarien, in denen er im Jahr 51 Rechenschaft ablegte über seine gallischen Feldzüge, beginnen mit dem Satz: Gallia est omnis divisa in partes tres;... »Gallien, im umfassenden Sinne genommen, zerfällt in drei Teile; davon bewohnen einen die Belger, den zweiten die Aquitaner, den dritten aber die Völker, die in ihrer eigenen Sprache Kelten, in unserer Gallier heißen.« Damit ist das gesamte Land bezeichnet, um dessen Unterwerfung es in Caesars Commentarien geht. Und diese Unterwerfung hat Caesar von Anfang an vorgehabt. Bezeichnend übrigens, daß er mit dem Raum beginnt statt mit der Zeit, mit der unsere Geschichtswerke eher einsetzen. Aber er beschreibt »Zeitgeschichte«. Und der Raum stellt ihm die Aufgabe. Einen Auftrag zur Eroberung hatte er nicht; er hatte nicht einmal die Vollmacht dazu. Denn es gab Gesetze – und sein eigenes Repetundengesetz von 59 gehörte dazu –, die es einem Statthalter verboten, aus eigenem Antrieb Krieg zu führen. Wohl kann Caesars Auftrag miteingeschlossen haben, daß er, sofern Roms Interesse das gebot, jenseits der Grenzen seiner Provinz bewaffnet eingriff. Dergleichen mußte römischen Statthaltern wohl zugestanden werden. Das konnte sich aber nur auf einzelne Gefahrenherde beziehen, nicht auf die Eroberung ganzer Länder oder gar eines Territoriums von der Größe Galliens. Wie also kam Caesar dazu, wie war es möglich, daß er ohne Auftrag und Erlaubnis, ja ohne jede Not entgegen den Grundsätzen römischer Außenpolitik und trotz der Tatsache,
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37 Gallien zur Zeit Caesars. Die ursprüngliche römische Provinz Gallia Transalpina (oder Narbonnensis), die sich zwischen Pyrenäen und Alpen erstreckte, ist nicht eigens mit ihrem Namen versehen, das selbständige Gebiet der Stadt Massilia nicht aus ihr ausgegrenzt. Östlich der Alpen lag Caesars Provinz Gallia Cisalpina. daß Rom damals längst an der Größe seines Herrschaftsbereichs litt, eine Eroberung ins Werk setzte, wie sie in solchem Ausmaß kein römischer Feldherr vor ihm gemacht hatte? Die die Grenze Roms bis an den Atlantik, an die Nordsee, an den Rhein verschob und sie erheblich verlängerte; die es mit zahlreichen tapferen Stämmen aufzunehmen hatte; die Rom zum Nachbarn der Germanen machte und eine riesige, nicht
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mehr dem Mittelmeer zugewandte Landmasse für die antike Kultur erschloß, vergleichbar etwa der Erschließung von Teilen Asiens für die griechische Kultur durch Alexander. Wie kommt ein römischer Proconsul dazu, vier, dann sechs, dann acht, schließlich zehn Legionen, deren erste ihm die Gemeinde übergab, deren weitere er selbstherrlich aushob, samt Hilfstruppen in einen solchen aus eigenem Antrieb unternommenen Krieg zu engagieren? Aussagen darüber hat man am ehesten aus Caesars eigenem Werk de bello Gallico zu entnehmen. Denn die sonstige Überlieferung enthält zwar Urteile über seinen Krieg, aber nichts über dessen Zustandekommen. Cicero preist Caesar in einer Rede aus dem Jahre 56. Er hat damals gerade die politische Seite gewechselt, mit schlechtem Gewissen zwar, aber mit dem ganz entschiedenen Willen, ein gutes zu haben, also das Gute an Caesars Werk zu sehen. Und da erklärt er nun vor dem Senat: »Der gallische Krieg, versammelte Väter, ist erst unter dem Kommando Gaius Caesars wirklich geführt, vorher ist er bloß zurückgedämmt worden. Unsere Feldherren haben nämlich die dort beheimateten Völker stets nur in die Schranken weisen, nicht aber herausfordern zu müssen geglaubt... Gaius Caesar hat sich, wie ich feststelle, von ganz anderen Grundsätzen leiten lassen. Er glaubte nämlich, nicht nur diejenigen, die er schon in Waffen gegen das römische Volk sah, bekämpfen, sondern ganz Gallien in unsere Gewalt bringen zu sollen. So hat er die verschiedenen Stämme der Germanen und der Helvetier in gewaltigen Schlachten aufs glücklichste besiegt und die übrigen eingeschüchtert, zurückgedrängt, niedergezwungen und daran gewöhnt, die Herrschaft des römischen Volkes zu ertragen. Gegenden und Stämme, von denen wir bisher durch kein Literaturwerk, keine Nachricht, kein Hörensagen etwas wußten, haben unser Feldherr, unser Heer und die Waffen des römischen Volkes nach allen Richtungen durchzogen. Wir haben bisher nur einen Saum von Gallien besessen, versammelte Väter, die übrigen Gebiete waren in der Hand von Stämmen, die Feinde unserer Herrschaft oder unzuverlässig oder unbekannt oder jedenfalls furchtbare krie-
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gerische Barbaren waren. Nie kam es jemandem in den Sinn, diese Völkerschaften zu bezwingen und zu unterwerfen. Seit Bestehen unserer Herrschaft hat jeder, der klug über unser Gemeinwesen nachdachte, geglaubt, daß kein Land unserer Herrschaft so gefährlich sei wie Gallien. Doch wegen der Stärke und der Zahl der dort beheimateten Stämme haben wir nie zuvor gegen alle Krieg geführt; wir haben nur stets Widerstand geleistet, wenn wir angegriffen wurden. Jetzt endlich haben wir erreicht, daß sich unsere Herrschaft ebenso weit erstreckt wie die dort liegenden Landstriche.« Kein Wort verliert Cicero über den Kriegsgrund Caesars. Dabei hat er zwei Jahre später in seiner Schrift Über das Gemeinwesen die Grundsätze formuliert, die in Rom für die Eröffnung von Kriegen galten: »Das sind ungerechte Kriege, die ohne Grund unternommen worden sind. Denn nur dann kann ein Krieg als gerecht gelten, wenn es sich darum handelt, Rache an den Feinden zu üben und diese abzuwehren; sonst nicht.« Hier dagegen setzt er einen lang anhaltenden »gallischen Krieg« voraus, den es gar nicht gab. Er tut so, als hätte die Frage nur gelautet, wie man den Krieg gegen verfeindete Stämme fortsetzen sollte. Cato hingegen übte offen Kritik an Caesar. Spuren davon finden wir bei Sueton, wo es heißt, Caesar habe keine Gelegenheit zu einem Krieg, und sei er ungerecht und gefahrenreich, vorübergelassen, habe verbündete wie feindliche Stämme von sich aus herausgefordert. Im Unterschied zu Cicero vermochten Caesars Gegner keinen einheitlichen langandauernden gallischen Krieg zu sehen, sondern nur eine neu eröffnete Reihe von Feldzügen. Und mindestens für mehrere davon galt fraglos, daß sie nach herkömmlichen Begriffen ungerecht, gegen die Regel des Völkerrechts eröffnet worden waren. Caesars eigene Version setzte bei einzelnen Ereignissen an, durch die er Schritt für Schritt in einen großen Krieg verwickelt wurde; und zwar in gewissenhafter Wahrnehmung seiner Aufgaben als Statthalter Roms. Das Zustandekommen der ersten Kriegshandlungen legt er sehr ausführlich dar. Den äußeren Anlaß und die Legitimation dafür leitete er aus eini-
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gen Machtverschiebungen und Völkerbewegungen ab, die zum Teil in den Jahren 61/60 Aufregung in Rom verursacht hatten. Allerdings hatte sich in der Zwischenzeit alles beruhigt. Westlich der Alpen hatte Rom seit dem Ende des 2. Jahrhunderts einen »Amtsbezirk« eingerichtet, die Provinz Gallia Transalpina – auch Narbonnensis. Sie stand unter direkter Verwaltung. Von ihr aus beobachtete und beeinflußte man zugleich das nähere und weitere Vorfeld. Die Gallier waren nach Stämmen organisiert. Unter diesen gab es anscheinend ein lockeres Zusammengehörigkeitsgefühl, das auf gemeinsamer Sprache und Religion beruhte. Ein enger Zusammenhang bestand offensichtlich unter den Priestern, den Druiden, welche sich einmal im Jahr an einem geweihten Ort im Zentrum Galliens trafen. Dort wurden auch zahlreiche Streitigkeiten geschlichtet. Die politische und gesellschaftliche Ordnung war aristokratisch; das Machtgefüge anscheinend labil. Kriege zwischen den Stämmen und Bündnisse zwischen Adligen verschiedener Stämme sorgten weithin für Unruhen. Aber die scheinen zumeist nur lokale Bedeutung gehabt zu haben. Von außen wurde das System gelegentlich gestört durch die Folgen von Stammesbewegungen jenseits des Rheins: Druck von Norden und Osten veranlaßte zum Beispiel die Helvetier, aus Südwestdeutschland in das Gebiet der heutigen Schweiz auszuweichen. Mehrfach kamen kleinere oder größere Gruppen von Germanen, gerufen oder nicht, ins Land, um dort Eroberungen oder auch nur Beute zu machen. Doch auch das hatte nur selten Konsequenzen für größere Teile Galliens. Das Geschehen in diesem Teil der Welt brauchte die Römer also in der Regel nicht zu interessieren, auch wenn die Gallier sie zuweilen in ihre Angelegenheiten hineinzuziehen suchten. Rom unterhielt allerdings zahlreiche Freundschaftsverhältnisse zu gallischen Stämmen, Beziehungen auch zu prominenten Adligen in ihnen. Besonders enge Freundschaft – und, nach der gallischen Formulierung, Blutsbrüderschaft – verband Rom mit den Haeduern, die eine gewisse Vormacht-
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stellung unter den Stämmen in den der Provinz angrenzenden Teilen und darüber hinaus besaßen. Diese Stellung wurde ihnen von den benachbarten Sequanern streitig gemacht. Die Sequaner hatten, da sie die Haeduer ausstechen wollten, einen germanischen Fürsten aus dem Stamm der Sueben über den Rhein zu Hilfe geholt, der sich eine große Gefolgschaft sammelte und dafür Gebiete im Elsaß angewiesen bekam. Er hieß Ariovist. Er hatte die Haeduer besiegt; im Jahre 61 hatte man in Rom überlegt, ob man zu Gunsten der Freunde eingreifen sollte. Aber der Senat konnte sich nicht recht entschließen und einigte sich auf eine dilatorische Formel: Dem Statthalter der Transalpina wurde aufgegeben, »die Haeduer und die anderen Freunde des römischen Volkes zu schützen, soweit es ohne Nachteil für die Republik möglich ist«. Damit konnte er alles oder nichts machen. Überdies hatte man den siegreichen Ariovist in Caesars Consulat als »König und Freund« anerkannt. Wenn, wie anzunehmen, Caesar dabei entscheidend mitgewirkt hatte, so wollte er dadurch möglicherweise schon einen Konflikt zwischen den Haeduern und Ariovist vorbereiten, der sich später nutzen ließ. Jedenfalls waren solche Anerkennungen regelmäßig mit Geschenken verknüpft. Doch zunächst drängte sich ein anderer Anlaß zum Eingreifen auf. Ende März wollten die Helvetier ja durch die römische Provinz marschieren. Sie wollten sich im Westen Galliens (am Golf von Biscaya) neues Land erobern. Zwei Jahre lang hatten sie das diplomatisch und militärisch vorbereitet. Jetzt vernichteten sie ihre Siedlungen und machten sich zum Aufbruch bereit. Der bequemste Weg führte durch die römische Provinz, in die sie bei Genf eintreten wollten. Als Caesar dort rechtzeitig nach langen Eilmärschen angelangt war, ersuchten sie ihn um Erlaubnis zum Durchzug. Er erbat sich Bedenkzeit, Mitte April sollten sie wiederkommen. Die Rhône-Brücke hatte er schon abreißen lassen. Jetzt mußten die eilig herankommandierten Soldaten zwischen See und Berg einen knapp dreißig Kilometer langen, nahezu fünf Meter hohen Wall mit Graben und Wachtürmen anlegen. Als die
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Gesandten zurückkamen, erklärte Caesar, nach Recht und Herkommen des römischen Volkes könne er keinem den Durchzug durch die Provinz gewähren. Jeden Versuch werde er gewaltsam vereiteln. Die Helvetier suchten daraufhin durch das Gebiet der Sequaner und das der Haeduer an ihr Ziel zu gelangen. Caesar befand, daß ihr Vorhaben außerordentlich gefährlich für Rom sei, und begann eilends mit neuen Rüstungen. Jetzt setzte er endlich die drei Legionen von Aquileia in Marsch. Außerdem hob er auf eigene Faust zwei weitere in der Provinz Cisalpina aus, vermutlich nicht nur aus römischen Bürgern, wie es sich gehörte. Doch hatte er ja schon 65 den dortigen Einwohnern das römische Bürgerrecht verschaffen wollen. Zwar setzte die Aushebung von Legionen eigentlich einen Senatsbeschluß voraus, aber die Dinge drängten. Schon waren die Gebiete der Haeduer von den Helvetiern verwüstet worden. Caesar sah sich genötigt, ihnen wirksame Hilfe zu bringen. Denn den Senatsbeschluß, der den Statthalter der Transalpina dazu aufforderte, wollte er sehr ernst nehmen. In einem Gewaltmarsch führte er sein Heer über die Alpen. Er überraschte die Helvetier beim Übergang über die Saône. Das letzte Viertel des Stammes, das sich noch auf der linken Seite des Flusses befand, rieb er auf. Darauf ließ er eine Brücke schlagen. Innerhalb eines Tages überschritt seine Armee den Fluß. Die Helvetier, die zwanzig Tage damit verbracht hatten, sahen es mit Schrecken und versuchten, sich mit ihm ins Benehmen zu setzen. Sie sandten einen Unterhändler: Wenn Rom bereit sei, mit ihnen Frieden zu schließen, wollten sie dort wohnen, wo Caesar es ihnen anweise. Andernfalls würden sie sich zur Wehr setzen. Und stolz wies der Unterhändler darauf hin, daß sie die Römer früher schon besiegt hätten. Der Überraschungserfolg am Fluß solle Caesar nicht verleiten, sie zu unterschätzen. Er möge verhüten, daß der Name des Ortes, an dem sie sich befänden, den traurigen Ruhm einer erneuten römischen Niederlage annähme. Caesar aber rechnete den Helvetiern ältere und neueste Rechtsbrüche vor. Er fand es unverschämt, wie sie sich ihres
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früheren Sieges brüsteten, wie sie sich sicher fühlten. »Die unsterblichen Götter nämlich«, so führte er nach eigener Aussage aus, »pflegten den Menschen, die sie für ihre Verbrechen strafen wollten, zuweilen günstige Umstände und längere Straffreiheit zu gewähren, damit sie durch die Wendung der Dinge dann um so schmerzlicher litten«. Gleichwohl war er zum Frieden bereit, aber nicht von gleich zu gleich, sondern nur, wenn sie Geiseln stellten und eine Wiedergutmachung für den angerichteten Schaden leisteten. Das war gut römisch argumentiert. Die anderen waren immer im Unrecht, mindestens hatten sie Roms Freunden immer etwas angetan. Denn Rom hatte weit über seine Grenzen hinweg überall Freunde. »Unser Volk hat sich«, schrieb Cicero, »indem es seine Verbündeten verteidigte, schon aller Länder bemächtigt.« Caesar legte auch, hier wie sonst in seinem Bericht, Wert darauf, sich als den Proconsul zu präsentieren, der ganz nach herkömmlicher Art Roms Interessen wahrnahm, übrigens getreu den Richtlinien senatorischer Politik. Dabei ließ er beiseite, daß der Krieg, den er führen wollte, nicht dem Willen der Senatsmehrheit entsprach. Der helvetische Unterhändler antwortete, bei ihnen sei es von den Vorfahren her überliefert, Geiseln zu nehmen, nicht zu geben. Zeuge dafür sei das römische Volk. Dann entfernte er sich, anderntags zog der Stamm weiter nach Westen. Caesar folgte etwa fünfzehn Tage lang mit seinen Soldaten in kurzem Abstand. Auf einen Kampf ließ er sich nicht ein, bis er eine günstige Gelegenheit fand, die Helvetier zu schlagen. Ein ausgeklügelter Schlachtplan scheiterte an einer Fehlmeldung. Aber wenig später kam es dann doch nahe der Stadt Bibracte zum Kampf. »Caesar ließ zunächst sein eigenes Pferd, dann alle anderen außer Sichtweite bringen, damit die Gefahr für alle gleich sei und niemand an Flucht denken könne. Nach anfeuernden Worten an seine Soldaten eröffnete er den Kampf.« Die Helvetier leisteten erbitterten Widerstand. Als sie sich auf eine Anhöhe zurückzogen und die Römer nachrückten, griffen weitere Teile des Stammes ein und versuchten, die Römer einzukreisen. Kein einziger Helvetier sei in dem Gefecht, das einen
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halben Tag lang tobte, bei der Flucht gefunden worden; selbst der Troß habe sich mutig verteidigt. Nach Ende des Kampfes zogen die Helvetier ab. Sie marschierten ohne Pause drei Tage und Nächte hindurch nach Norden in das Gebiet der Lingonen. Die Römer konnten nicht folgen, weil sie ebenso lange brauchten, um die Verwundeten zu versorgen und die Toten zu bestatten. Als Caesar die Lingonen unter Kriegsdrohung anwies, die Helvetier weder mit Getreide noch mit irgendetwas anderem zu versorgen, kapitulierten diese schließlich. Sie mußten die Geiseln – die sie von gallischen Stämmen erhalten hatten –, Waffen und Überläufer ausliefern, wurden angewiesen, in ihr Gebiet zurückzukehren und ihre Siedlungen wieder aufzubauen. Den benachbarten Stamm der Allobroger beauftragte Caesar, sie mit Getreide zu versorgen. Denn sie hatten ja alle Vorräte vernichtet. Er fügte an, er habe verhindern wollen, daß die verlassenen, fruchtbaren Gebiete die Germanen angezogen und zu Nachbarn der römischen Provinz gemacht hätten. Die Helvetier sollten also außerhalb des Bereichs direkter römischer Herrschaft verbleiben. In ihrem Lager habe man genaue Aufstellungen gefunden, wonach insgesamt 368.000 Menschen am Wanderzug teilgehabt hätten. Nach einer neuerlichen Zählung, die Caesar anordnete, seien 110.000 Menschen an die alten Sitze heimgekehrt. Vermutlich waren diese Zahlen weit übertrieben, wie üblich in römischen Feldherrnberichten. Aber es kann durchaus sein, daß das römische Heer, das sechs Legionen samt Hilfstruppen, also höchstens 35.000 Mann, umfaßte, zahlenmäßig unterlegen war. Für die eigenen Verluste gibt Caesar keine Zahlen. Doch daß sie hoch waren, macht er hinreichend deutlich. Zugleich gibt er zu verstehen, daß mit dem Sieg die Niederlage, die die Helvetier den Römern im Jahre 107 beigebracht hatten, wettgemacht sei. Als Hintergrund ist hinzuzuhalten, daß Rom die Völker aus dem keltisch-germanischen Raum stets als besonders gefährliche Gegner empfunden hat. Nur Galliern war es – im Jahr 387 – gelungen, Rom zu erobern, die Stadt zu verbrennen. Das »vae victis«, mit dem ihr Anführer damals römische Klagen abgeschmettert hatte, war
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den Römern noch gut im Ohr. Dann hatten ihnen im letzten Jahrzehnt des zweiten Jahrhunderts die Cimbern und Teutonen schwere Niederlagen zugefügt und die Stadt in Schrekken versetzt, bis Marius sie rettete. Jetzt hatte Caesar eines ihrer tapfersten Völker, von dem Teile am Cimbernzug beteiligt gewesen waren, besiegt, trotz zahlenmäßiger Überlegenheit. Das sprach für seinen Feldzug. Die Frage nach dem Kriegsgrund mochte dahinter zurückbleiben. Der Sieg über die Helvetier nötigte die übrigen Gallier, sich mit dem Proconsul zu arrangieren. Die führenden Männer der meisten Stämme kamen, um ihm zu gratulieren. Sie wüßten, so legten sie ihm dar, daß er in erster Linie die früheren Rechtsbrüche der Helvetier habe bestrafen wollen. Aber sie fänden, er habe zugleich in ihrem Interesse gehandelt. Denn die Helvetier hätten ganz Gallien unter ihre Herrschaft bringen wollen. Dann baten sie um die Einberufung einer Versammlung aus den Vertretern ganz Galliens. Es ging ihnen wohl darum, durch eine Art von Huldigung Caesar davon zu überzeugen, daß er die Gallier sich selbst überlassen könnte. Diese Versammlung fand auch statt, aber Caesar berichtet nichts darüber. Vermutlich brachte sie nicht das für ihn erwünschte Ergebnis. Er schreibt nur, daß sich anschließend die gleichen Männer insgeheim mit ihm trafen, um ihn zu bitten, sie gegen Ariovist zu schützen. Denn der hole immer mehr Germanen über den Rhein, fordere immer mehr Land für sich. Es drohe die Gefahr einer großen Invasion. Außerdem sei der König ein jähzorniger, unberechenbarer Barbar, seine Herrschaft unerträglich. Und er habe viele Gallier, insbesondere Haeduer zu Geiseln. Wenn Caesar ihnen nicht helfe, bliebe ihnen allen nichts anderes übrig, als gleich den Helvetiern auszuwandern und sich neue Sitze fern von den Germanen zu suchen. Caesar versprach, sich der Sache anzunehmen und gab sich zuversichtlich, Ariovist werde sich von weiteren Übergriffen abhalten lassen. Während die Gallier das Schlimmste befürchten, baut er auf die Vernunft des Königs, daß er Caesars Autorität und die Freundlichkeit, die Rom ihm erwiesen habe, respektiere.
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Caesar berichtet dann, was ihn bewogen habe, Ariovist in die Schranken zu weisen. Die alte Freundschaft Roms zu den Haeduern habe es ihm als unerträglich erscheinen lassen, daß diese unter die Gewalt von Germanen geraten waren. Angesichts der Größe der römischen Herrschaft sei dies höchst schmählich für ihn wie für die Republik. In dieser Überlegung steckte zugleich Kritik am Senat, der jene Freundschaft so oft besiegelt und es nun so weit hatte kommen lassen. Außerdem habe er gefunden, daß der Zustrom der Germanen über den Rhein nicht enden wolle: Diese wilden und barbarischen Menschen würden, wenn sie erst Gallien besetzt hätten, wie die Cimbern und Teutonen in seine Provinz und nach Italien einfallen. Daher habe man ihnen so schnell wie möglich entgegentreten müssen. Schließlich sei Ariovist unerträglich anmaßend gewesen. Die Lokalaffäre einiger gallischer Stämme mit einem Germanenfürsten wurde damit in den Zusammenhang einer großen Gefährdung Roms gerückt. Ob Caesar wirklich daran geglaubt hat, ist unklar. Und vollends unklar ist, woher er seine Kenntnis von Ariovists Anmaßung bezog. Denn außer im vorangehenden Jahr, als er ihn zum Freund und König hatte ernennen lassen, hatte er keinen Kontakt mit ihm gehabt. Jetzt ließ Caesar ihn durch Gesandte um eine Unterredung bitten. Den Ort sollte er selbst bestimmen, irgendwo in der Mitte des Weges. Ariovist antwortete, wenn er etwas von Caesar wollte, würde er ihn aufsuchen, entsprechend solle Caesar es halten; schließlich frage er sich, was Caesar oder gar das römische Volk in »seinem Gallien«, das er im Krieg besiegt habe, zu schaffen hätten. Stolz und von gleich zu gleich also tritt er dem römischen Proconsul entgegen. Darin eben lag die unerhörte Anmaßung. Caesar schickte darauf nochmals Gesandte. Wenn Ariovist für den Titel des Freundes und Königs nicht einmal so viel Dankbarkeit aufbringe, daß er seiner Einladung zum Gespräch folge, so müsse er ihm Forderungen übermitteln: Er solle keine weiteren Germanen ins Land holen, die Geiseln herausgeben, die Haeduer und deren Bundesgenossen nicht abermals herausfordern. Unter Berufung auf den
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Senatsbeschluß zum Schutz der Haeduer schloß er damit, Ariovist habe es in der Hand, ob er Roms Freund oder Feind sein wolle. Der König berief sich auf das Recht des Siegers gegenüber den Haeduern und fügte drohend hinzu, wenn Caesar ihn angreife, werde er sehen, »was die unbesiegten, in höchstem Maße waffenerprobten Germanen, die vierzehn Jahre lang kein Dach über dem Kopf gehabt hätten, durch ihre Tapferkeit vermöchten«. Wenig später wird Caesar gemeldet, neue germanische Haufen schickten sich an, den Rhein zu überschreiten. Daraufhin bricht er das Lager ab und zieht gegen Ariovist. Nach drei Tagen erhält er Nachricht, daß der sich seinerseits gegen ihn in Marsch gesetzt habe. Kurz vor ihm besetzt er Vesontio (das heutige Besancon). Dort kommt es zu einer Panik im römischen Heer. Caesar schreibt, sie sei von jungen Offizieren ausgegangen. Nach allem, was sie inzwischen durch Reisende von der ungeheuren Körpergröße, Tapferkeit und Ausbildung der Germanen gehört hätten – nicht einmal die Mienen und den scharfen Blick ihrer Augen könne man aushalten –, hätte sie eine schreckliche Angst erfaßt. Einige hätten die Armee verlassen, die anderen seien verzweifelt gewesen. Im ganzen Lager habe man Testamente verfaßt. Die jungen Herren seien zu Caesar gelaufen, um ihm die Unsicherheit der weiten Wälder, die Schwierigkeit der Getreideversorgung vor Augen zu stellen; eine Meuterei sei zu befürchten. Und in der Tat scheint die Verwirrung auf die Soldaten übergegriffen zu haben. Caesar berief daraufhin einen Kriegsrat ein. Alle Offiziere, auch die Centurionen, die aus dem Mannschaftsstand hochgedienten Subalternen, wurden geladen. Er machte ihnen schwere Vorwürfe, weil sie glaubten, es sei ihre Sache, darüber nachzudenken, wohin und nach welchem strategischen Plan sie geführt würden. Es bestünde kein Grund zur Furcht. Selbst die Helvetier hätten ja die Germanen besiegt. »Wer dagegen seine Furcht unter dem Vorwand der Sorge um den Getreidenachschub oder die schlechten Wegverhältnisse verberge, handle
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anmaßend, denn er mißtraue entweder der pflichtgemäßen Amtsführung seines Feldherrn oder wage es, ihm Vorschriften zu machen.« Hinweise auf eine drohende Meuterei rührten Caesar nicht. So etwas käme nur gegen einen glücklosen oder habsüchtigen Feldherrn vor. Seine Uneigennützigkeit sei jedoch an seinem ganzen Leben, sein Glück am Sieg über die Helvetier abzulesen. Entgegen seiner ursprünglichen Absicht werde er noch in dieser Nacht abmarschieren, um zu sehen, ob Pflicht und Schuldigkeit oder Furcht bei ihnen überwögen. Notfalls breche er nur mit der zehnten Legion auf, die er zu seiner persönlichen Schutztruppe machen werde. Denn auf die könne er sich verlassen. Nach dieser Rede sind seine Offiziere wie umgewandelt: Kampfeseifer beseelt sogleich die ganze Armee. Caesars Schilderungen seines Umgangs mit den Soldaten muten zuweilen auffällig an. Oft lobt er ihre Tapferkeit, ihren Mut, auch ihre Erfahrung und ihre Standfestigkeit. Daneben jedoch begegnet es immer wieder, daß sie sich fürchten und erst durch sein Dazwischentreten wieder Mut fassen. Er erwähnt verschiedene Heeresversammlungen, in denen er sie wieder aufgerichtet hat. Nach solchen Reden pflegen sie gleich einen bemerkenswerten Kampfeseifer an den Tag zu legen. Wie Caesar sie behandelt, erscheinen sie ein wenig wie große Kinder. Diese Berichte dienen der Darstellung seiner eigenen distanziert-beherrschten Souveränität. Aber sie spiegeln wohl zugleich die viel offenere Weise, Affekte zu äußern, richtig wider, die den römischen Soldaten, wie den Römern überhaupt, eigen war. Gemütsbewegungen haben, wie man seit Elias weiß, eine Geschichte. Jene besondere Affektkontrolle, die uns aus der Neuzeit überkommen ist, die gleichsam einen Instanzenweg zwischen der – guten wie schlimmen – Emotion und ihrer Äußerung einschaltet, ist erst mit dem neuzeitlichen Staat und seiner besonderen Zivilisation entstanden. Da ist dann wohl auch die Furcht auf den »inneren Schweinehund« zurückgeschnitten worden. In den römischen Soldaten dage-
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gen wird Mut wie Furcht unvermittelter hervorgetreten sein; sie brauchten diese Gemütsbewegungen nicht zu drapieren; reagierten insoweit natürlicher. So konnte man sie darauf auch offener ansprechen. Das gehörte vermutlich zur Gegenwärtigkeit der antiken Bürgerschaft, wie sie sich zugleich in der öffentlichen Ordnung und der Erledigung unzähliger öffentlicher Funktionen zeigt. Schließlich fühlt eine größere Menge von Soldaten, die auf engem Raum gemeinsam Mann gegen Mann zu kämpfen hat, anders als eine moderne Armee. Daß aber Caesars Darstellung der jungen adligen Offiziere so gehässig ist, hängt damit zusammen, daß sie offenbar politische Zweifel gegen seine Kriegsabsicht geäußert hatten. Caesar führte den Krieg allein aus persönlichem Ehrgeiz, haben sie nämlich nach dem Bericht anderer Quellen eingewandt. Ariovist schickte angesichts des heranrückenden Gegners nochmals Gesandte. Endlich war er zu einer Unterredung bereit, Termin und Ort wurden festgelegt. Man befand sich im oberen Elsaß. Er bestand darauf, daß beide nur in Begleitung von Berittenen kommen sollten. Caesar betont, er habe das Gespräch an dieser Bedingung nicht scheitern lassen, sein Geschick aber auch nicht den gallischen Hilfstruppen anheimgeben wollen. Daher ließ er die zehnte Legion auf deren Pferde aufsitzen. Dann treffen der römische Proconsul und der germanische König zusammen. Je zweihundert Schritt entfernt postieren sich die Berittenen. An den Vorhaltungen, die Caesar dem Germanen macht, ist interessant, daß er wieder von den großzügigen Ehrungen spricht, die ihm zuteil geworden seien. Das Nachsuchen um den Titel eines Freundes und Königs sowie dessen Verleihung hatte nach römischer Auffassung seine Abhängigkeit begründet. Das wiederum hatte Ariovist nicht verstanden. Denn er fand, die Freundschaft mit Rom müsse ihm Ehre und Schutz bringen; wenn sie ihm zum Nachteil sei, verzichte er lieber darauf. Außerdem hätten ihn die Gallier in ihr Land gerufen, die germanischen Verstärkungen brauche er zu seiner Verteidigung. Er sei früher gekommen als Caesar: dieses Gallien sei deswegen seine Provinz wie die
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Transalpina die der Römer. Schließlich hätten die Haeduer in den letzten Kriegen weder von Rom Hilfe erlangt noch hätten sie ihrerseits der Stadt geholfen. Daher nähme Caesar das Freundschaftsverhältnis zu ihnen wohl nur zum Vorwand, um ihn, Ariovist, zu vernichten. Der König schließt, wenn Caesar sein Gebiet nicht verlasse, werde er ihn als Feind ansehen. Und er fügt hinzu, er wisse von führenden Römern, daß es denen sehr gelegen käme, wenn er ihn beseitige. Überlasse Caesar ihm aber Gallien, so werde er in ihm einen treuen Bundesgenossen finden. Caesar bringt noch vor, daß Rom schon früher auf die Unterwerfung Galliens verzichtet, also ältere Rechte auf das Land habe. Nach dem Willen des Senats sollten die Gallier frei sein. Da sollen Ariovists Reiter Caesars Gefolge unter Beschuß genommen haben, das Gespräch wurde also abgebrochen. Bald darauf begannen die militärischen Operationen. Zunächst Reitergefechte. Ariovist versucht, Caesar vom Nachschub abzuschneiden. Der sichert sich, indem er ein zweites, kleineres Lager in dessen Rücken anlegt, das Ariovist erfolglos zu stürmen versucht. Da Ariovist eine Schlacht verweigert, führt Caesar seine Truppen bis vor das feindliche Lager. Endlich rücken die Germanen ins Feld; ihr König umsäumt die Schlachtordnung mit Karren und Wagen, auf denen die Frauen stehen, die die Kämpfer beim Aufbruch mit ausgebreiteten Armen unter Tränen anflehen, sie nicht in die Knechtschaft geraten zu lassen. Beide Heere prallen so heftig und schnell aufeinander, daß die Wurfspieße nicht mehr geschleudert werden können. Man ist sofort im Handgemenge begriffen. Unter Caesars Führung wird der linke Flügel der Germanen geschlagen, der rechte dagegen bedrängt die Römer. Der Einsatz der römischen Reserven bringt die Wendung. Das germanische Aufgebot flieht und macht erst halt am Rhein, der etwa siebeneinhalb Kilometer vom Schlachtort entfernt war. Wenige entkommen über den Fluß, darunter der König. »Die übrigen«, berichtet Caesar lakonisch, »holten unsere Reiter ein und töteten sie.« »Nachdem er zwei so große Kriege siegreich beendet hatte«,
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ließ Caesar noch im Spätsommer die Legionen in die Winterlager abrücken, die er ihnen im Gebiet der Sequaner anwies. Er selbst begab sich in die Gallia Cisalpina, um Gericht zu halten – und wieder engeren Kontakt zur römischen Innenpolitik zu gewinnen. Er empfing zahlreiche Besucher aus Rom und gab oder versprach jedem, was er verlangte. Die Beutegelder ermöglichten ihm schon damals einige Großzügigkeit. Die Darstellung des Kampfes gegen Ariovist ist bei Caesar nicht ganz so kurz, wie sie hier gegeben wurde. Aber sie steht in einem auffallenden Mißverhältnis zur Wiedergabe der Verhandlungen, die etwa doppelt so lang ist. Dabei ist es eigenartig, wie Ariovist in Caesars Darstellung dessen Argumente entkräftet. Die vielbeschworene Freundschaft zu den Haeduern hatte in der Tat bis dahin keine große Rolle gespielt, und es war recht willkürlich, wie Caesar nur sie – und nicht auch die zu Ariovist – respektierte. Nur das wohl stärkste mögliche Argument, das der germanische Fürst gewiß auch gebraucht hat, versagte er ihm in seiner Darstellung: daß Rom bei Ariovists Krieg gegen die Haeduer nichts für diese unternommen und bald nach deren Niederlage ihn, den Sieger, durch den Freundestitel geehrt, also seinen Sieg doch wohl anerkannt hatte. Wahrscheinlich hat Caesar in seiner Darstellung die Gefahr, die von den Germanen drohte, absichtlich stark übertrieben. Die Weise, in der er die Meldungen darüber in seinen Bericht einflicht, deutet auf ein höchst geschicktes Arrangement. Besonders rätselhaft mutet auf den ersten Blick an, wie Caesar einerseits die Auseinandersetzung um die Legitimität seiner Forderungen an Ariovist und des Krieges gegen ihn ausführlich mit allem Für und Wider darlegt und wie andererseits nach den Kriterien, die er zugrunde legt, ohnehin klar zu sein scheint, daß er im Recht ist. Aber die Art, wie er seine Auffassung vom gallischen Kriege darstellt, wie er uns überhaupt in seinem Bericht entgegentritt, verdient im Zusammenhang behandelt zu werden. Anfang 57 hat Caesar dann Meldung von einem Bündnis
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aller belgischen Stämme erhalten. »Erstens fürchteten sie, daß nach der Befriedung ganz Galliens unser Heer gegen sie geführt würde; zweitens wurden sie von einigen Galliern dazu angespornt.« Die seien nämlich darüber empört gewesen, daß die Römer im Lande überwinterten und sich dort auf Dauer festsetzten. Damit wäre ihnen, wie Caesar hinzufügt, auch die Möglichkeit genommen worden, in ihrem Gemeinwesen die Macht an sich zu reißen. Gegen diesen Ehrgeiz, wie überhaupt gegen die Politik einzelner ambitionierter Adliger, die sich auf das Volk stützten, hatte der Populare Caesar große Einwände. Erstmals spricht er bei dieser Gelegenheit von der Befriedung und das heißt zugleich Unterwerfung ganz Galliens (Gallia omni pacata); freilich noch nicht in eigener Aussage, und es ist nicht klar, ob diese Befriedung schon erreicht oder erst zu erwarten ist. Für den drohenden Krieg hob er neuerdings zwei Legionen aus, womit er die ihm von Senat und Volk übergebenen verdoppelt hatte. In Gallien befahl er dann den an der Grenze zu den Belgern wohnenden Stämmen, auszukundschaften, was dort geschähe. Nachdem er Vorsorge für die Fourage getroffen hatte, setzte er seine Armee gegen die Belger in Bewegung. Der erste der Stämme, auf den er stieß, die Remer, ergab sich ihm friedlich. Da die belgischen Stämme sehr stark und tapfer, überdies durch Germanen verstärkt waren, veranlaßte er die Haeduer zu einem Entlastungsangriff, um einen Teil des riesigen Aufgebots abzulenken. Wenig später scheint er selbst Feindberührung bekommen zu haben. Eine Schlacht suchte er allerdings zunächst zu vermeiden, um erst einmal in kleinen Scharmützeln die Tapferkeit der Feinde und den Mut der eigenen Soldaten zu erproben. Dann ließ er sein Heer ausrücken. Die Flanken sicherte er durch Schleudermaschinen – große Geschütze, deren Kraft auf der Elastizität zusammengedrehter Tiersehnen beruhte. Aber es kam nicht zur Schlacht. Die Römer zogen sich ins Lager zurück, und nachdem die Belger vergeblich versucht hatten, sie von ihren Zufuhren abzuschneiden, löste sich deren Armee auf, da ihnen das Getreide knapp wurde. Ihre Stämme beschlossen, jeder in sein Gebiet heim-
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zukehren, um sich dort neu zu versorgen und dann wieder zu vereinen, wenn Caesar sich gegen einen von ihnen wende. Als er daraufhin in das belgische Gebiet einrückte, ergaben sich ihm mehrere Stämme. Die Nervier aber waren gewillt, ihm zu trotzen. Das war ein wilder und verwegener Stamm. Sie lebten für sich, ließen keine Kaufleute in ihr Gebiet; Wein und Luxusgüter waren bei ihnen verpönt, weil sie fürchteten, davon verweichlicht zu werden. Das Aufgebot der Nervier, verstärkt durch einige andere Stämme, lagerte jenseits des Sabis (Sambre) in großen Wäldern. Sie hatten von Belgern, die sich in Caesars Gefolge befanden, gehört, die römische Armee marschiere jeweils Legion für Legion, und jeder Legion folge zunächst ein langer Troß mit Gepäck und Kriegsgerät (es waren schätzungsweise 1000 Lasttiere, dazu einige Wagen). Die Nervier wollten die erste Legion überfallen und den Troß plündern. Die anderen, hofften sie, würden dann keinen Widerstand mehr leisten. In der Nähe des Feindes marschierte das römische Heer jedoch stets in anderer Ordnung. Caesar ließ, nach der Reiterei, sechs Legionen kampfbereit vorausmarschieren, dann folgte der gesamte Troß unter Bedeckung der zuletzt ausgehobenen zwei Legionen. Die Reiter überschritten die Sambre und verwickelten sich in Gefechte mit der feindlichen Reiterei, die sie aber immer nur bis an den Rand der großen Wälder verfolgten. Derweil setzte eine Legion nach der anderen über den Fluß, und sie begannen, auf einer schon vorher ausgesuchten Anhöhe ihr Lager zu errichten. Die Abschnitte für den Bau wurden vermessen, die Soldaten schwärmten aus, um Material für den Wall zu sammeln. Als der Troß herankam – diesen Zeitpunkt hatten sie verabredet – brachen die Belger plötzlich in breiter Front aus dem Wald hervor, wo ihr Heer bereits in Schlachtordnung formiert gewesen war. In unglaublicher Geschwindigkeit seien sie herangerannt gekommen. Ehe man es sich versah, stürmten sie schon den Hügel herauf, auf dem die Römer mit der Befestigung ihres Lagers beschäftigt waren. In diesem Moment, berichtet Caesar, hätte er alles auf einmal
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tun müssen: die Fahne hissen, die Tuba blasen, das Heer in Schlachtordnung aufstellen, die Soldaten anfeuern und das Zeichen zum Angriff geben. Aber das sei bei der Kürze der Zeit nur zum geringsten Teil möglich gewesen. Er mußte – und konnte – sich darauf verlassen, daß seine kampferfahrenen Soldaten das Notwendige auch von sich aus taten. Immerhin war er vorsichtig genug gewesen, den Legionskommandeuren zu verbieten, sich vom Lager zu entfernen, solange die Befestigungsarbeiten nicht abgeschlossen waren. Noch in dem späteren Bericht Caesars wird die Verwirrung greifbar, die unter dem unerwarteten Ansturm der Feinde über das römische Heer gekommen sein muß. Die Soldaten hatten nicht einmal Zeit, ihre Helme aufzusetzen, die Lederbezüge von den Schilden zu lösen, geschweige denn, daß sie die besonderen Kampfabzeichen – etwa den Helmbusch – hätten anlegen können. Caesar selbst konnte nur die dringendsten Anweisungen geben und dann nach vorne eilen, um die Männer, wo er gerade hinkam, anzufeuern, die Weichenden aufzuhalten und die Reihen notdürftig zu ordnen. Das Gelände war unübersichtlich, die Legionen weit auseinandergezogen. Der Kampf verlief wechselhaft. Einigen Einheiten war es gelungen, die Feinde zum Fluß hinabzudrängen, teilweise über ihn hinweg zu verfolgen; andere hatten Mühe, die Stellung zu halten. Das Lager war nach zwei Seiten ganz ungedeckt, und dorthin konzentrierte sich jetzt der Angriff der Nervier. Einige drangen direkt auf das Lager zu, andere suchten es von der Flanke zu umgehen. Bei der römischen Reiterei und den Troßknechten brach eine Panik aus. Die Soldaten der zwölften Legion hatten sich so eng um ihre Feldzeichen gedrängt, daß sie sich gegenseitig beim Kampf behinderten. Zahlreiche Offiziere waren gefallen oder verwundet. Der Widerstand begann abzubröckeln, während die Nervier unermüdlich heranstürmten und die Soldaten schon von zwei Seiten bedrohten. »Caesar sah, daß die Lage dort höchst gefährlich war, er hatte jedoch keine Reserven zur Verfügung, die er zu Hilfe hätte schicken können. Da nahm er einem Soldaten aus den hinteren Reihen den Schild weg – er selbst war
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ohne Schild gekommen –, drang bis zur vordersten Linie vor, rief die Centurionen bei Namen, feuerte die übrigen Soldaten an und befahl, zum Angriff überzugehen und die Einheiten auseinanderzuziehen.« Die Soldaten hätten darauf neuen Mut gefaßt; dem Angriff sei etwas von seiner Stoßkraft genommen worden. So konnte Caesar zur siebten Legion hinübereilen, die neben der zwölften kämpfte und ebenfalls von beiden Seiten zugleich angegriffen wurde. Er ließ die beiden Legionen sich allmählich zusammenziehen, danach befahl er ihnen zu schwenken, um Rücken an Rücken zu kämpfen. Als schließlich die zwei Legionen in Sicht kamen, die den Troß gedeckt hatten, und gleichzeitig eine der erfolgreichen Legionen an den bedrohten Stellen Hilfe brachte, wandte sich endlich die Schlacht. Viele, die den Kampf schon aufgegeben hatten, begannen ihn von neuem. Die Lage der Nervier war ausweglos. Caesar rühmt ihnen nach, sie hätten auch, als kaum noch Hoffnung auf Rettung bestand, »solche Tapferkeit bewiesen, daß sich, wenn die erste Reihe gefallen war, die folgende auf die am Boden liegenden Soldaten stellte und auf deren Leichen stehend weiterkämpfte. Als auch diese Soldaten fielen und die Leichen sich türmten, warfen die Überlebenden gleichsam von einem Grabhügel aus Wurfgeschosse auf unsere Soldaten und schleuderten die Speere zurück, die sie von uns auffingen.« In dieser Schlacht, berichtet Caesar, sei fast der ganze Stamm der Nervier vernichtet worden, nur die Alten hätten überlebt; sie ergaben sich. »Damit deutlich würde, daß er gegen Unglückliche und Demütige Barmherzigkeit walten lasse«, habe Caesar nicht nur Anordnung gegeben, sie zu schonen, sondern auch die Nachbarstämme angewiesen, ihr Gebiet zu respektieren. Wenige Jahre später aber finden wir die Nervier schon wieder einen Aufstand gegen ihn unternehmen. Ihre Verluste können also bei weitem nicht so hoch gewesen sein, wie Caesar hier behauptet. Offenbar konnte er sich der alten römischen Feldherrnsitte nicht entziehen, die Verluste des Gegners weit zu übertreiben. Es war ein seltsamer Ehrgeiz, aber er gehörte wohl in diese
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Zeit, in der kriegerischer Ruhm noch so viel und Menschenleben vergleichsweise viel weniger galt. Anschließend besiegte Caesar die Atuatucer, die Reste der Cimbern und Teutonen, die Anstalten gemacht hatten, den Nerviern zu Hilfe zu kommen. Sie wohnten an der Eifel. Hier kam es zu keiner Feldschlacht. Der Stamm hatte sich in einer gut befestigten Stadt verschanzt. Caesar trieb, nachdem er sie eingeschlossen hatte, nach oben geschützte Gänge vor, sogenannte Weinlauben, und ließ einen Damm zur Mauer hin aufwerfen. Außerdem befahl er, einen Belagerungsturm zu bauen, eine auf Walzen fahrbare, mehrere Stockwerke hohe Holzkonstruktion. Unten befand sich ein schwerer Mauerbrecher, oben waren Geschütze aufgestellt und wohl auch Stege zum Entern der Mauer vorbereitet. Die Belagerten verfolgten diese Anstalten mit offenem Hohn, da sie sich nicht vorstellen konnten, wie die – im Vergleich zu ihnen – kleinwüchsigen Römer solch ein gewaltiges Bauwerk an ihre Mauer bringen wollten. Als es jedoch wider Erwarten und relativ schnell auf dem Damm vorgerollt wurde, schien ihnen die Kunstfertigkeit der Apparatur ein Beweis dafür zu sein, daß die Römer mit den Göttern im Bunde stünden. Daher wollten sie sich und ihre Habe ausliefern. Caesar war bereit, ihre Kapitulation anzunehmen, obwohl sie es nicht verdient hätten. Aber ihre Bitte, der kriegerischen Nachbarn wegen ihre Waffen behalten zu dürfen, schlug er ab. Er werde jedoch, erklärte er, »das tun, was er auch bei den Nerviern getan habe, nämlich den Nachbarn befehlen, Menschen, die sich Rom unterworfen hätten, kein Unrecht zu tun«. Daraufhin warfen sie Unmengen von Waffen von der Mauer in den Graben. Während der Nacht aber versuchten sie einen Ausfall. Die Römer drängten sie in die Stadt zurück und brachen am nächsten Morgen die Tore auf. Caesar überließ die Stadt seinen Soldaten und verkaufte die gesamte Beute. »Die Käufer gaben ihm eine Zahl von 53 000 Menschen an.« Offenbar kam die Hinterlist der Atuatucer Caesar sehr gelegen.
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Um die gleiche Zeit erhielt er von Publius Crassus, dem Sohn seines Freundes, die Nachricht, daß alle Stämme in der Bretagne und der nördlichen Normandie sich den Römern unterworfen hatten. Ganz Gallien, erklärt Caesar, war befriedet. Die Formel klingt merkwürdig. Noch gab es weiteste Teile des Landes, die nie ein römischer Soldat betreten hatte. Wir hören auch nicht, daß sie unfriedlich gewesen wären, und wenn doch, so fragt sich immer noch, was Caesar damit zu schaffen hatte. »Befriedet« waren nur die Stämme, die sich gegen Caesar gestellt hatten. Sie erscheinen in seiner Formel als die Störer eines allgemeinen Friedens. Und Caesar erscheint als derjenige, dem der Frieden des ganzen Gallien aufgegeben war. Eine unerhörte Anmaßung, ein Anspruch auf das Ganze, demgegenüber jede Regung der hergebrachten Selbständigkeit als Aufruhr, als Friedensbruch dastehen mußte. Der Eroberer stellt sich nachträglich hin, wie wenn er nur um des Friedens willen Krieg geführt hätte! Er nimmt in seinem Anspruch etwas vorweg, was es gar nicht gab: die pax Romana – oder Caesariana – in ganz Gallien. Denn Caesars Feldzüge von 58 und 57 hatten ja – um von allem anderen abzusehen – nicht zur Unterwerfung Galliens geführt. Sie stellten im Wesentlichen eine kurze Serie von Überraschungsschlägen dar: Caesar drang plötzlich viele Hunderte von Kilometern ins gallische Land vor; sandte einen Unterfeldherrn noch darüber hinaus. Er demonstrierte die Macht Roms, die Tapferkeit und die Leistungsfähigkeit seiner Armee. Viele Stämme ergaben sich ihm; die wenigen, die sich zur Wehr setzten, wurden besiegt. Er vollbrachte große militärische Taten, meisterte die beachtlichen Nachschubprobleme, die damit verbunden waren, siegte auch in mehreren Schlachten. Sicher hatte er mit all dem auch seine Eroberungsabsicht hinreichend deutlich gemacht. Aber weder 58, als viele Gallier meinten, mit seiner Hilfe ihre eigenen Ziele zu erreichen, noch 57, als die meisten Belger und die gallischen Stämme an der Nordküste sich Caesar ergaben, war wirklich erkennbar für sie, was hier im Gange war. Ein so großes Land
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mit so stolzen Einwohnern war nicht erobert, solange die weit überwiegende Mehrzahl der Stämme sich mit Caesar gar nicht gemessen hatte, solange sie bloß überrumpelt worden waren; solange sie nicht für wahr nehmen konnten, was ihnen widerfuhr und bevorstand. Alle bisherigen Unternehmen waren punktuell gewesen. Wo Caesar hinkam, war er überlegen. Aber in die meisten Gegenden war er ja noch nie gekommen oder er war nur rasch durchgezogen. Vom Aufbau eines neuen politischen Systems war schon gar keine Rede. Freilich könnte es durchaus sein, daß Caesar meinte, der militärische Teil seiner Unterwerfung Galliens sei erledigt. Er hätte sich dann vom Überraschungserfolg seines kühnen Vordringens täuschen lassen. Und jedenfalls war der Erfolg so eindrucksvoll, daß selbst einige Germanenstämme jenseits des Rheins sich der römischen Herrschaft unterstellen wollten. Allein, im Herbst 57 hatte Caesar dafür keine Zeit. Er beschied die Gesandten auf den nächsten Sommer. Auf Caesars Bericht hin beschloß der Senat ihm eine Supplicatio von fünfzehn Tagen. Supplicatio war sowohl Bitt- wie Dankfest. Sie stellte ursprünglich eine besonders intensive Weise dar, die Götter anzuflehen oder ihnen Dank zu sagen. Alle Tempel waren geöffnet. Männer wie Frauen waren aufgefordert, dort zu beten und zu opfern; die Männer mit Kränzen und Lorbeerzweigen in der Hand, die Frauen mit gelösten Haaren. Mit der Zeit hatte sich das abgeschliffen. Die Supplicatio hatte sich zu einer Art Siegerehrung entleert. Und speziell in der nachsullanischen Zeit war die Zahl der Tage zum Indikator von Erfolg und Ansehen des Feldherrn geworden. Im zweiten Jahrhundert hatte man höchstens fünf Tage gewährt, so zuletzt noch bei Marius. Pompeius hatte im Jahre 63 zehn zugebilligt bekommen. Nun ehrte man Caesar mit fünfzehn. Cicero nannte das später einen Tribut an dessen Dignitas, seine Ehre, sein Ansehen. Der Senat zollte Respekt für die Eroberung ganz Galliens. Er bestätigte zugleich indirekt Caesars Kommando und die Rechtmäßigkeit seiner Kriege. Er ehrte ihn in einer Weise,
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daß dahinter die Rechtsbrüche von 59 verblassen mußten. Der Beschluß stellt also, so wenig er materiell besagte, einen ganz außerordentlichen Erfolg Caesars dar. Rasch, vielleicht rascher als vermutet, schien seine Hoffnung in Erfüllung zu gehen, daß er durch große kriegerische Erfolge alle Einbußen an Ansehen wieder gutmachen, alle Einwände gegen ihn widerlegen könnte. Die früher führenden Senatskreise werden Widerstand geleistet haben. Aber sie litten noch immer an der schweren Niederlage ihrer Politik gegen Caesar; es konnte nicht unbedingt als vorteilhaft erscheinen, sie fortzusetzen. Zahlreiche Senatoren waren dem Proconsul persönlich verpflichtet; von seinen ganz ungewöhnlich großen Erfolgen ging eine starke Suggestion aus; Crassus wird ihn unterstützt haben; Pompeius tat alles, um ihm entgegenzukommen. Darin wiederum muß ein Erfolg der caesarischen Diplomatie gesehen werden. Da Pompeius sich in letzter Zeit einige Vorteile verschafft hatte, muß Caesar ihm klargemacht haben, daß er dafür eine Kompensation schuldig sei. Aber es mag auch sein, daß Pompeius durch neue Pläne, die er hegte, dazu bestimmt wurde, Caesar bei der Supplicatio mehr Tage zu bewilligen, als ihm selbst zuteil geworden waren. Denn Pompeius versuchte seinerseits, vom Odium des Jahres 59 loszukommen und war dabei, im Senat wieder an Terrain zu gewinnen. Caesar mag zu seinem Erfolg aber auch durch die Weise beigetragen haben, in der er seine Berichte an den Senat abfaßte. Einen ungefähren Eindruck davon vermittelt sein Buch ›Über den gallischen Krieg‹, das er zwar erst 51 verfaßte, in sehr viel schwierigerer Situation. Doch ist anzunehmen, daß er sich, seine Probleme und Leistungen in diesem Buch nicht grundsätzlich anders darstellte als in seinen Berichten. Dieses Buch – neben dem noch ein weiteres über größere Teile des Bürgerkriegs erhalten ist – ist für uns als Selbstdarstellung Caesars von größtem Interesse.
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Caesar und der Krieg im Spiegel seiner Commentarii Absicht und Stil • Besondere Wahrheit der Darstellung • Ungerechter Krieg • Maßstab des Handelns • Begriff vom Zustandekommen von Ereignissen • Die Souveränität des Feldherrn Caesars Schrift über den gallischen Krieg stand zwar in der Tradition von Feldherrn-Berichten, aber sie war durchaus ungewöhnlich, indem sie in einem Stil abgefaßt war, der höchsten literarischen Ansprüchen genügte. Sie gab sich als Feldzugsbericht, aber sie war auch ein eigenwilliger Ausdruck der gründlichen Besonderheit ihres Autors. Natürlich hat solch eine Selbstdarstellung eine apologetische Tendenz. Entsprechend hat Caesars Erinnerung – und haben die bewußten und unbewußten Wünsche, die sie lenkten – manches nicht richtig wiedergegeben, ist anderes verschwiegen oder verkürzt und alles irgendwie einseitig dargestellt. Das läßt sich oft schwer kontrollieren, weil Caesar über weiteste Strecken unsere einzige Quelle ist. Wo es sich ausmachen läßt, bietet er fast immer selbst die Anhaltspunkte zu seiner Entlarvung. Denn er hat vieles Widersprüchliche stehenlassen; ganz anders, als das ein kleinlicher, also konsequenter Betrüger getan hätte. Und er hat überdies vieles berichtet, was heute – und wohl auch damals schon – gegen ihn zu sprechen scheint. Gerade der Nachweis, wie gut Caesar die Fakten zu seinen Gunsten wenden konnte, wenn er wollte, läßt es als bemerkenswert erscheinen, daß er vielfach darauf verzichtet hat; übrigens gerade auch an Stellen, an denen er nach ethischen Motiven angreifbar war. Das scheint kein Zufall zu sein. Strasburger spricht von der »Immoralität«, die sich in Caesars Aufzeichnungen niedergeschlagen habe. Neben der propagandistischen Absicht steht die dokumentarische. Caesar präsentiert seine Taten zugleich der Nachwelt. Ruhm war für die römischen Adligen ein gewichtiger
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Beweggrund, für Caesar eher mehr als für die anderen. Der Vergänglichkeit wollte er sich entgegenstemmen. Und wenn andere dafür schreiben lassen mußten, so konnte er es selber tun. Und er wollte kein falsches Bild von sich zeichnen. Er war sicher, das Urteil der Nachwelt nicht scheuen zu müssen. Caesars Darstellung erweckt den Anschein vollkommener Objektivität. Er spricht von sich selbst stets in der dritten Person, außer wenn er sich als Schriftsteller äußert – daß er etwas nicht wisse oder wie er etwas beurteile. Seine Sprache fand die Bewunderung Ciceros, des Kompetentesten unter den Zeitgenossen, und das besagt um so mehr, als der stilistisch einer ganz anderen Richtung zuneigte. Danach waren die Commentarii »schmucklos, geradeheraus und anmutig, wobei alles rednerische Beiwerk wie ein Kleid abgelegt ist. Aber während er nur das Material bereitstellen wollte, aus dem andere dann für ihre historische Darstellung schöpfen sollten, hat er vielleicht den Dummköpfen einen Gefallen getan, die daran ihre Haarkräuslerkünste praktizieren möchten, die Vernünftigen aber hat er vom Schreiben abgeschreckt. Nichts nämlich ist in der Historie angenehmer als reine, lichtvolle Kürze.« Caesars Anhänger Aulus Hirtius, der das achte Buch des Bellum Gallicum nachträglich schrieb, beruft sich auf dieses Urteil und fügt hinzu: »Unsere Bewunderung ist allerdings noch größer als die der übrigen; die wissen nämlich nur, wie gut und fehlerfrei, wir auch, wie leicht und rasch er sie schrieb.« Wie die Schlichtheit dieser Berichte in Wirklichkeit ihre Vollkommenheit ist, in der Kunstlosigkeit ihre Kunst besteht, so verbinden sich in ihnen, wie Otto Seel bemerkt hat, Einfalt und Raffinesse der Diktion; distanzierte Spröde und vibrierende Intensität; Eleganz und Trockenheit, die keine Wiederholung scheut; gleitende Übergänge und scharfe Brüche. Kein lateinischer Autor hält sich so genau wie Caesar an die Regeln der Grammatik. »Und doch, trotzdem und erst recht, hat kaum ein lateinischer Stil soviel eigene Physiognomie, soviel Individualcharakter wie der seine.« Die Sprache ist stark rationalisiert. Caesar benutzt weniger als dreizehnhundert Wörter – wenn man von den gelegentlich
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gebrauchten technischen Termini absieht. Alle sind sie aus der Umgangssprache. »In gewöhnliche und fast dürftige Sprache sind die ungewöhnlichen Taten eingefangen, deren Größe nicht in einer Art von Originalität liegt, sondern in dem instinktiv sicheren Ergreifen des einfach Richtigen, in der Kühnheit des vollen Einsatzes, in der blitzartigen Schnelligkeit des Handelns und der unablässig drängenden Stetigkeit« (Fränkel). Was eigentlich interessiert, ist, wie Caesar die Ereignisse und Zustände schildert und wie er sich selbst darstellt. Mit dem kunstvoll-kunstlosen Charakter des Berichts ist schon eine bestimmte Stilisierung gegeben, eine Stilisierung freilich, der er sich zugleich selber unterwarf. Denn zu dem, was wir als seine Größe empfinden, gehört vermutlich, daß er der war, der er sein wollte. Weil er sich aus seinem Willen heraus formte, weil er das Feld fand, in dem er ausleben konnte, was er dann war. Wille und Schicksal griffen bei ihm in höchst besonderer Weise ineinander, wobei der Wille der Stärkere von beiden gewesen zu sein scheint. Indem er nicht nur sich und seine Taten, sondern auch seinen Bericht formt, eigenwillig und herrisch, liegt in diesem Bericht eine besondere Wahrheit. Caesar tritt uns im Bellum Gallicum, um es auf eine Formel zu bringen, in aller Unschuld entgegen als der Statthalter Roms, der seine vielfältigen Aufgaben nach hergebrachter Weise gewissenhaft, umsichtig, vorbildlich erfüllt, wie es seine Pflicht ist. Zu verteidigen scheint er sich nicht. Im Gegenteil. Natürlich verlautet nichts davon, daß Caesar, wie Sallust schreibt, »sich sehnlichst ein großes Kommando, eine Armee, einen neuen Krieg wünschte, wo seine Tatkraft sich glänzend bewähren konnte«. Aber man liest auch nichts von den vom bisherigen Verfahren völlig abweichenden Grundsätzen, die Cicero ihm nachrühmt: Nicht nur auf Angriffe zu reagieren und die römische Provinz zu verteidigen, sondern ganz Gallien in Roms Gewalt zu bringen, um einen dauerhaften Frieden zu sichern. Caesar läßt zwar mehrfach den Zusammenhang ganz Galliens in seinem Bericht durchblicken, daß er
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aber daraus die Konsequenz einer so ungeheuren Eroberung abgeleitet hätte, sagt er nicht. Vielmehr ließ er es ja eben anfangs so scheinen, als habe er von Fall zu Fall ganz entsprechend der defensiven Grundhaltung und den sonstigen Maximen der römischen Außenpolitik gehandelt. Die Bundesgenossen waren zu schützen, gefährliche Nachbarn zu bekämpfen. Jenes tat er selektiv, sofern es nämlich seinem Interesse entsprach. Dieses tat er vorbeugend gegen die Helvetier – und setzte die mangelnden Geographie-Kenntnisse seiner Leser voraus, denn das Gebiet, das diese erobern wollten, grenzte gar nicht an Roms Provinz. Auf den ersten Blick also scheint es, als sei er durch lauter Verteidigung im einzelnen zur Eroberung des Ganzen gekommen – wie es nach Cicero mit dem römischen Herrschaftsbereich überhaupt der Fall gewesen ist. Man kann sagen, daß Caesar seine Eroberungsabsicht verhüllt habe. Richtig wäre: Er hat sie nicht ausdrücklich erklärt. Er machte nämlich kein Hehl daraus, daß er sie hatte. Wie auch immer es sich mit den Helvetiern und Ariovist verhalten haben mag, spätestens im ersten Winter, als er die Legionen im eroberten Gebiet ihr Lager beziehen ließ, machte Caesar deutlich, daß er es behaupten wollte. Er läßt dies die Belger auch erklären. Weiterhin bestand zur Unterwerfung der Bretagne und der Normandie überhaupt kein Anlaß. Unverhüllt zeigt sich Caesars Absicht im Jahr 56: Dort schreibt er, in seiner typischen Satzfugung, mit dem Verbum am Ende: »Um die gleiche Zeit hat Caesar, obwohl der Sommer fast zu Ende war, weil nach der Befriedung ganz Galliens die Moriner und Menapier als letzte unter Waffen standen und noch nie an ihn Gesandte wegen eines Friedens geschickt hatten, in der Meinung, daß er diesen Krieg rasch vollenden könnte, sein Heer dorthin geführt.« Charakteristisch, wie die Umstände als Motive eingeführt werden, in die Dynamik der Handlung eingehen, wie der Leser durch die Spannung des Satzes in die Bewegung mit hineingenommen wird, bis sich alles löst im Beginn der Aktion. Doch das betrifft den Stil. Weder Moriner noch Menapier hatten vorher an einem Krieg teilgenommen.
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Daß sie noch unter Waffen standen, war nur die bedrohliche Formulierung dafür, daß sie noch frei waren, sich nämlich Caesar noch nicht ergeben hatten. Daß alle Gallier dies tun sollten, tritt in Caesars Darstellung offen zutage. Er sandte allen Befehle, alle hatten zu gehorchen. Jeder Stamm, dem er begegnete, hatte sich ihm zu unterwerfen. Eine Ausnahme machten nur die alten Freunde Roms. Jeder hatte dann Geiseln zu stellen. Dafür gewährte Caesar in der Regel Schonung. Darin zeigte sich seine Gnade. Lehnte ein Fürst oder Stamm das ab, war er schon im Unrecht, und Caesar hatte einen Grund, ihn zu bekriegen. Das alles widersprach den römischen Maximen, nach denen nur gerechte Kriege geführt werden durften. Und gerecht war ein Krieg nur, wenn es um Wiedergutmachung von Unrecht ging. Unrecht aber konnte es kaum sein, wenn eine auswärtige Macht nicht tat, was Caesar von ihr verlangte. Auch war die römische Außenpolitik aus gutem Grund defensiv. Schließlich enthielt der Senatsbeschluß, der den Statthalter anwies, den Haeduern zu helfen, die Bedingung: falls dies nicht gegen Roms Interesse sei. Allerdings waren Ansprüche, wie Caesar sie stellte, gegenüber Grenzvölkern in Rom nicht unbedingt selten. Aber außerhalb großer Kriege wurden sie nur gelegentlich, hier oder dort gestellt, und höchstens kleine Kriege folgten daraus. Keiner bewegte sich wie Caesar im großen Stil außerhalb seiner Provinz und beanspruchte überall Gehorsam und Unterwerfung. Caesar läßt jedoch nicht nur diesen Anspruch ganz deutlich werden. Er berichtet auch mehrfach, daß die Gallier frei sein wollten. Einmal schreibt er, daß »allgemein die menschliche Natur von Freiheitsdrang erfüllt ist und Sklaverei haßt«. Er zeigt auch Verständnis für den Stolz, mit dem sich die so oft siegreichen, tapferen Stämme gegen ihre Niederlage aufbäumten. Seine im ganzen faire Schilderung erweckt beim Leser, wenigstens dem heutigen, viel Sympathie für die Gallier. Aber offenbar waren Stolz und Freiheitsdrang nur ein Grund mehr zur Härte. Die Notwendigkeit, sie zu unterjochen, setzt
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Caesar allemal voraus, obwohl es der Wille des Senats war, daß die Gallier frei bleiben sollten. Da er seine Eroberungsabsicht deutlich macht, aber nicht erklärt, kann er auch keine Gründe dafür vorbringen, sondern höchstens welche andeuten. Gelegentlich läßt er durchblicken, daß es in Gallien vor seinem Eingreifen recht ungeordnet zuging. Außerdem spricht er von der Gefahr, die von den Helvetiern und den Germanen droht, und davon, daß er ihr vorbeugt oder sie pflichtbewußt eindämmt. Aber es bleibt bei Andeutungen. Natürlich darf man Caesars Eroberungswillen nicht unter modernen Gesichtspunkten sehen. Er war ganz und gar Römer, unangefochten, ohne viele Zweifel und Legitimationsbedürfnisse, was Roms Expansion anging. Und darin unterschied er sich nicht von seinen Zeitgenossen. Aber er fühlte sich andererseits auch nicht durch die Auffassungen gebunden, die Roms Expansion stets gehemmt oder doch von besonderen Gründen abhängig gemacht hatten. Und vor allem: Wenn man sich vielleicht nicht um der Unterworfenen willen zu rechtfertigen hatte, so verstand sich doch die Abweichung von den Regeln römischer Statthalterschaft keineswegs von selbst. In Caesars Schrift tritt also doch, auch für damalige Verhältnisse, eine Ungeheuerlichkeit fast unverblümt zutage: Daß ein Mann ganz Gallien eroberte, ohne Auftrag, nur weil er fand, daß es erobert werden sollte. Mit einer Armee, die ihm nur zur Hälfte von Senat und Volk übergeben war, die er zur anderen Hälfte willkürlich ausgehoben hatte. Später fügte er noch eine neunte und zehnte Legion dazu. Aber was sollte er tun? Zugeben, daß dies alles seiner Willkür entsprang, und begründen, warum er meinte, daß es richtig sei? Hätte das nicht geheißen, sich gänzlich freizumachen von allen Bindungen an Senat und Volk? So erschien es ihm wohl als das Beste, seinen Eroberungswillen weder zuzugeben noch zu leugnen, sondern als selbstverständlich zu implizieren. Selbstverständlich wenigstens von dem Moment an, in dem Caesar durch die Kämpfe gegen die Helvetier und
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Ariovist tiefer in die gallischen Angelegenheiten verwickelt worden war. Wenn einer nach weiteren Begründungen fragt, verweist Caesar ihn indirekt in die gleiche Lage wie die Offiziere in Vesontio: So wenig wie sie an seiner Umsicht und Sorgfalt als Feldherr zu zweifeln hatten, durfte es sonst einer an seiner Pflichttreue und rechten Aufgabenerfüllung. Gegen alle Fragen und Einwände setzt Caesar also sich selbst in seinem Handeln und Wirken. Eben darin will er überzeugen. Eben davon ist die Rede. Darauf bezieht sich seine Werbung. Dies ist letztlich sein Thema. Und indem er auf seine Weise davon spricht, zwingt er dem Leser seine Perspektive auf. Übrigens hat er gewiß nicht daran gedacht, seine Gegner zu überzeugen. Die Leser, an die er sich richtete, waren die noch nicht festgelegten, vergleichsweise offenen, beeindruckbaren Senatoren und Ritter. Nicht indem er sein Handeln rechtfertigt also, sondern indem er es vorführt, verteidigt er sich. Das aber heißt: Er greift an. Er zeigt, wie ein umsichtiger, verantwortungsvoller Statthalter zu handeln hat. Fern von der Beschränkung in Kleinlichkeit, vom Durchwursteln, das vieles hinnimmt, vieles übersieht und nur gelegentlich eingreift. Fern von jener Haltung, die gar nicht imposant war, dafür den römischen Verhältnissen angemessen. Mangels eines Verwaltungsapparats, mangels größerer Truppenkontingente und einfach auf Grund der Tatsache, daß mit Zwang nicht viel auszurichten war, war Roms Administration ja in der Regel auf vielfache Rücksichtnahmen, vielseitige Kontakte und ein allmähliches Sich-Annähern an die Probleme angewiesen. Freilich wurde auch das oft nachlässiger und eigennütziger betrieben als nötig. Gerade dagegen hebt Caesar sich äußerst entschieden ab: Er praktiziert eine zupakkende, umfassende Aufgabenerledigung; und zwar anscheinend von Fall zu Fall, wie sich die Dinge gerade bieten, ganz konzentriert auf die Gegenwart, aber nicht einfach reagierend, sondern vorbeugend, im Blick auf größere Zusammenhänge. Aufmerksam auf jedes Problem, überall, wo es nottat, durchgreifend, er richtete also neue, hohe Ansprüche auf, um sich an ihnen zu bewähren und dadurch über alle anderen weit hin-
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auszuragen. So, meinte er, mußte man es machen, rücksichtslos und ganz auf durchschlagenden Erfolg ausgerichtet. Übrigens wenn es anging, auch großzügig und schonend. Aber daneben mitunter auch von erschreckender Härte und Grausamkeit, vor allem in den späteren Feldzügen. Auch das aber muß ihm als pflichtgemäß erschienen sein. Im äußersten Fall war jedes Mittel recht. Caesar konnte sich gewiß nicht vorstellen, daß diese Amtsführung unvoreingenommenen Römern nicht als richtig erscheinen konnte. Sonst hätte er an sich zweifeln müssen. Sein hoher Maßstab hätte dann nicht gestimmt. Stolz betont er immer wieder, daß dies oder jenes für ihn und das römische Volk unerträglich sei oder seiner und des römischen Volkes Gewohnheit widerspreche. Da werden keine Kompromisse geschlossen, da wird nicht zurückgesteckt; da gilt, was die Ehre gebietet. Ein griechischer Historiker legt Caesar den Ausspruch in den Mund, daß so auch die Vorfahren gehandelt hätten, wagemutig, kühn planend und alles riskierend, um die Pläne auszuführen. Als Glück sei ihnen nichts anderes erschienen, denn das Notwendige zu tun, als Unglück hätten sie die Untätigkeit betrachtet. Durch diese Art der Amtsführung also, die ebenso erschrekkend von vielen gutbegründeten Regeln wie wohltuend von der damals vorherrschenden Nachlässigkeit und Indolenz abstach, rechtfertigte Caesar sich in einer Weise, daß jeder, der ihm Vorwürfe machen wollte, schon fast beschämt sein mußte. Wieder und von Neuem, wie in so mancher Rede, doch diesmal für uns nachlesbar, zeigte er sich in voller Überlegenheit. Übrigens erscheint er in seinen Berichten stets souverän. Er ist umsichtig, ein guter Organisator. Immer wieder hören wir davon, daß er rechtzeitig für den Nachschub sorgt. Nichts bringt ihn aus der Ruhe, immer weiß er Rat. Zwar kann er vieles nicht voraussehen; aber er ist sich dessen bewußt und rechnet mit verschiedensten Möglichkeiten, daher ist er vorsichtig, gegen vieles gewappnet und kann auf alles überlegen reagieren. Natürlich ist er zugleich auf seine Unterführer und Soldaten angewiesen, rühmt sie auch; sie erfüllen durchaus und vorbildlich ihre Pflicht und gelegentlich müssen sie ja
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auch eine Schlacht wesentlich von sich aus schlagen. Caesar und seine Soldaten – das sind besondere Aktivposten in Roms Bilanz. Dabei ist Caesar bei der Schilderung seines eigenen Anteils am Kriegsgeschehen nie aufdringlich. Es ist gewiß nicht falsch, wenn man in seiner Selbstdarstellung die Behauptung impliziert findet, daß Rom gerade deswegen, weil seine Statthalter normalerweise anders handelten als Caesar, einen Puffer brauchte gegen den gefährlichsten und nächsten Gegner im Norden, die Germanen. Die politische Isolation also, aus der er zu seinen Eroberungen gedrängt wurde, und das Ungenügen am normalen Gang der Dinge trafen sich. Beidem lag Caesars ungemeiner Durchsetzungswille zu Grunde. Die These vom Ungenügen gab der höchst subjektiven Eroberungsabsicht einen objektiven Gehalt. Seine Schwäche wurde zur Stärke. Die Weise, in der Caesar das Geschehen wiedergab, und das heißt doch wohl wesentlich: in der er es auffaßte, entsprach vermutlich seinem Begriff vom Zustandekommen politischer und militärischer Ereignisse. In extremer Konzentration – und Beschränkung – ist fast ausschließlich vom Handeln verschiedener Subjekte die Rede. Der ganze Zwischenraum, der sich normalerweise zwischen Handelnden spannt und ihr Handeln bedingt, ist ausgespart. Selten nur gibt Caesar eine allgemeine Orientierung über die Lage, über die Aufgaben, Möglichkeiten, Schwierigkeiten, Aporien, bevor er sich den Aktionen der Subjekte zuwendet. Gegebenheiten, Zustände, Situationen kommen zumeist nur als handlungsbedingende Modalitäten vor: Caesar sieht, daß es so und so ist, und tut das und das. Selbst die Schilderungen der Landschaft sind als Handlungen gegeben: man folgt dem Auge Caesars, der ein Terrain mustert und es dabei immer mehr in den Griff bekommt, bis er schließlich seine Maßnahmen trifft: Das Gebiet wird in die Aktion einbezogen. Schwierigkeiten begegnen als Aufgaben. Die Handelnden erscheinen umso größer, je weniger sie eingelassen sind in die Verhältnisse. Sie werden so klar und
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scharf auf die Leinwand der caesarischen Commentarii projiziert, daß sie dort fast allein sind, daß alles andere hinter ihnen bis zur Unkenntlichkeit verschwimmt. Da ist kaum eine Gesamtheit vielfältig verursachten und höchst kontingent sich zusammenfügenden Geschehens, sondern eben vor allem die Begegnung weniger Subjekte gezeichnet. Jeder Satz ist auf ein Ziel gespannt, auf eine Handlung, die alles Voraufgehende anzieht. Von Zeiten der Ruhe ist kaum die Rede. Alles ist Bewegung. Die ungeheure Dynamik dieser raschen, wagemutigen, weiträumigen Feldzüge ist unmittelbar im Bericht widergespiegelt. Aber so sehr das Handeln vordergründig erscheint, kaum anschaulich, kaum plastisch, so übersichtlich ist es zugleich. Die Konstellationen sind in ihrem Kern klar erfaßt; in jener besonderen »Anschaulichkeit, die etwa eine Schachpartie für das innere Gesicht eines Kenners, ein klar gesehenes Problem, eine elegante Verfahrensweise für den Mathematiker hat« (Klingner). Man spürt nicht den Betrachter, sondern den Täter, von Schritt zu Schritt, von Situation zu Situation. Auch die Gegner sind nach seinem Bild gezeichnet, sie haben vernünftige, verständliche Motive, es werden bei ihnen die klügsten Absichten vorausgesetzt. Und in hohem Maße wird auch auf der Gegenseite das Handeln Einzelner beachtet und als Motor des Geschehens angesehen. Übrigens ist auch das Herrschaftssystem, das Caesar aufbaut, eine Summe personaler Beziehungen. Wie Person sich zu Person verhält, das zählt. Institutionen, Überzeugungsversuche, die nicht ein Handeln, sondern nur ein Meinen, eine Bemühung um Versöhnung etwa zum Ziel gehabt hätten, administrative Probleme, der Aufbau einer Herrschaftsstruktur – von all dem ist nicht die Rede. Der Zustand, auf den die Eroberungen hinauslaufen, wird nur ganz allgemein als imperium in Gallia bezeichnet, Befehlsgewalt in Gallien. Allgemeine Tendenzen, prozessuale Abläufe, die sich gleichsam in der Tiefe vollziehen, fehlen. Es wird marschiert, Lager werden gebaut, dann wird gefordert oder gekämpft, erobert. Es wird befohlen; auch die Fürsorge für Sicherheit und Ernährung begegnet als Befehl an die, die dafür aufzukommen haben.
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Klingner spricht von einem »rücksichtslos vereinfachten, aber in seiner Art auf das Höchste gesteigerten Verhältnis zu den Dingen. Was nicht zum Planen und Handeln des Heerführers, des Politikers gehört, ist ausgeschieden.« So kommt es zu der ungemeinen Klarheit und Durchsichtigkeit der Darstellung. »Da ragen keine halbdeutlichen Hintergründe hinein. Immer ist nur die Sache im Blick, die Caesar jeweils in der Hand hat.« Und indem alles so ganz aufs Handeln hindrängt, darin besteht, tritt die Tatsache, daß die Aufgabe, die er da so mustergültig meistert, sich Caesar an sich gar nicht stellte, daß keiner sie ihm übertragen hatte, ganz in den Hintergrund. Wie seine Soldaten, so hat Caesar auch seine Leser gleich in den Vollzug dessen, was er sich vorgenommen hatte, engagiert. Nur an einer Stelle durchbricht er die engen Grenzen seines Kriegsberichts: im sechsten Buch, wo er eine vergleichende Völkerkunde der Gallier und der Germanen gibt. Diese Kapitel scheinen auf den ersten Blick keine Funktion zu haben. Aber ohne daß Caesar das sagte, erklären sie, warum er seinen Feldzug nach Germanien abbrach, ohne die Germanen unterworfen zu haben: Im Gegensatz zu den geläufigen Auffassungen nämlich, so liest man da, ist Germanien etwas völlig anderes als Gallien. Es ist zu schwierig – und lohnt auch nicht –, es zu unterwerfen. Wiederum impliziert Caesar. Aber hätte er sagen sollen, daß er eigentlich auch Germanien erobern wollte? Auch hier wird weder zugegeben noch geleugnet. Ein besonderer Aspekt der caesarischen Darstellung ist das weitgehende Ausschließen aller Affekte. Nur bei den Soldaten darf Angst aufkommen. Caesar selbst ist davon, soweit man sieht, nie berührt. Man hat gesagt, die Commentarien verdankten die unfehlbare Sicherheit ihrer Form den gleichen Kräften, aus denen Caesars Taten hervorgingen. Daran ist gewiß viel Wahres, wenn auch diese Kräfte in der Wirklichkeit kaum so weit gereicht haben wie in deren Darstellung. Da kann er nicht so übermenschlich-souverän gewesen sein, wie er sich hier präsentiert. Der quellenkundige Historiker kann auf eine schwierige Situation im Bürgerkrieg hinweisen, für die wir,
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38 Bildniskopf Caesars. Detail der kolossalen Panzerstatue von Abbildung 45. wohl auf Grund des Berichts eines Mannes aus Caesars Stab, eine Parallelüberlieferung besitzen. Dort hören wir, daß Caesar nach einer Niederlage eine schlaflose Nacht verbrachte, von düsteren Gedanken gequält, von der Einsicht, daß er den Feldzug falsch angelegt hatte. Er fand sich vor einer Aporie, bis er sich schließlich zu einem Entschluß durchrang. In seiner eigenen Darstellung heißt es dagegen nur: »Caesar gab seine bisherigen Pläne auf und meinte, daß er seine gesamte Kriegführung ändern müsse.« Er scheint sich nur auf eine neue Lage einzustellen. Ähnlich erfährt man beim Übertritt über den Rubicon von den Zweifeln und Skrupeln, denen in seinem eigenen Bericht kein Platz eingeräumt ist. Aber es widerspricht wohl auch jeder menschlichen Erfahrung, eine solche Form der Selbstdarstellung in all ihren Verkürzungen ernst zu nehmen. Dafür, daß solcher Zweifel
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auch Großen der Geschichte gegenüber angebracht ist, ließe sich anführen, was wir über verschiedene Situationen Friedrichs des Großen oder Napoleons wissen. Wohl kann man annehmen, daß Caesar sich nach außen mit dem Mantel der Heiterkeit und Souveränität umgab. Einmal beschreibt einer seiner Offiziere zum Beispiel, wie die Soldaten in einer fast ausweglosen Lage Ermutigung »am Gesichtsausdruck, an der Frische und an der wundervollen Heiterkeit ihres Feldherrn fanden. Er zeigte sich nämlich voller Selbstvertrauen und Zuversicht.« Und das war gewiß nicht die Ausnahme, sondern die Regel. Diese überlegene Heiterkeit machte ihn für einfachere Gemüter so faszinierend, wie sie ihn anderen als undurchdringlich und daher auch als unheimlich erscheinen ließ, zumal sie mit großer Konzentration gepaart war. Und was er nach außen darbot, wird auch seinen inneren Gestus ein gutes Stück weit bestimmt haben. Eine im letzten Sinne spielerische Gesinnung, ein Schuß Mutwille und der Glaube an sein von Venus bestimmtes Glück mögen daran mitgewirkt haben. Aber dahinter sollte doch auch oder vielleicht gerade bei ihm einige Sensibilität gesteckt haben, Unsicherheiten, Zweifel, Schwanken; Strecken der Ratlosigkeit, des gebannten Wahrnehmens von Aporien und Nöten. Im 7. Buch, in dem er die große Krise des gallischen Krieges schildert, läßt er sogar selber durchblicken, daß er gelegentlich nahe daran war, alles aufzugeben, weil er fürchtete, sonst könnte selbst die alte römische Provinz dem Ansturm der Gallier erliegen. Überhaupt gibt er gegen Ende seines Berichts mehr Einblick. Er schreibt mit mehr innerer Bewegung und Freiheit. Die Frage nach dem Sinn seiner rastlosen Tätigkeit, seiner Unterwerfung Galliens und vielleicht auch der Opfer, die seine Soldaten dafür zu bringen hatten, konnte er schlecht ganz unterdrücken. Nur konnte sie kaum je aufkommen gegen die Freude so voller Bewährung, die ihn ausfüllte: seine Kraft und seine Möglichkeiten waren der ungeheuren Materie, der er sich hingab, letztlich gewachsen. Über alle denkbaren Kompliziert-
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heiten des Charakters hinweg fand er sich stets in die Aktion zurück und gewann darin Konzentration und eine Wirkung, die ihm zunehmend eine eigene Wirklichkeit schuf. Eine Wirklichkeit, in der er eine Fülle von Möglichkeiten genießen, von großen Leistungen vollbringen konnte – die ihn aber auf die Dauer vielleicht auch abschirmte gegen andere Wirklichkeiten, gegen diejenige insbesondere, in der seine Standesgenossen lebten, die führende Schicht Roms, einschließlich Pompeius. Doch wie es damit werden sollte, mußte man sehen. 57 stand die eigentliche Probe politisch und militärisch noch bevor. »Ich verwundere mich oft«, so heißt es einmal bei Stifter, »wenn ich in der Lage bin, zu entscheiden, welchem von beiden ich den Preis geben soll, Caesars Taten oder Caesars Schriften, wie sehr ich im Schwanken begriffen bin und wie wenig ich es weiß. Beides ist so klar, so stark, so unbeirrt, daß wir wenig dergleichen haben dürften.« Und beides tritt uns in den Commentarii in einer Selbstverständlichkeit entgegen, die bei genauerem Zusehen geradezu unwirklich anmutet; und das in einem Stil, der ein äußerstes Maß an Objektivität suggeriert.
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Innenpolitische Erfolge, spektakuläre Feldzüge, erste Rückschläge (56 bis Anfang 52 v. Chr.) Neue Vollmachten für Pompeius • Milo • Wendung der senatorischen Politik • Bündnis in Luca • Krieg im Westen Galliens • Verlängerung des caesarischen Kommandos • Rheinübergang • Landung in Britannien • Theater in Rom: Demonstrative Politik • Zum zweiten Mal in Britannien • Gallischer Aufstand • Clodius’ Ermordung: Der Senat verbindet sich mit Pompeius • Zusammenbruch der Hoffnungen Die römische Innenpolitik, der sich Caesar seit dem Herbst 57 von Oberitalien aus wieder ganz zuwenden konnte, war bestimmt durch den Versuch des Pompeius, seine herausgehobene Stellung auszubauen, durch den Widerstand einer immer breiter werdenden Phalanx von Gegnern und durch die allmähliche Wiederbelebung und Erstarkung senatorischer Politik. Caesars Anteil daran bleibt zunächst im Dunkeln – bis er dann plötzlich eine gründliche Wende herbeiführt. Pompeius meinte offenbar, nach seinem großen Erfolg bei der Rückberufung Ciceros freie Bahn zu haben für eine weiter ausgreifende Politik. Er hatte gesiegt, hatte den Senat auf seiner Seite, die Gegner waren geschwächt. Und er verspürte vermutlich um so stärkeren Antrieb dazu, diese Lage auszunutzen, als Caesar durch seine unverhofft großen Erfolge in der Bilanz von Leistung, Macht und Volksgunst einen beachtlichen Anstieg verzeichnen konnte. Für Pompeius war er im Grunde der – außerordentlich befähigte – »junge Mann« gewesen und sollte es noch lange bleiben. Aber wenn er aufzuholen schien, war es allemal gut, die eigene Position zu verbessern. Pompeius war der Erste. Das sollte klar sein und immer klarer werden.
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39 Der eminent politische, propagandistische und polemische Charakter der römischen Münzprägung zeigt sich besonders deutlich in Prägungen aus den 50er Jahren, die für oder gegen Pompeius Partei ergreifen. Unmittelbar im Dienst der pompeianischen Propaganda stehen zwei Münzen des Faustus Sulla aus dem Jahr 56. Die erste Münze zeigt auf der Vorderseite einen Herculeskopf im Löwenhelm. Auf der Rückseite: in der Mitte der Globus als Zeichen der Weltherrschaft; daneben und darunter: drei Kränze als Zeichen der drei Triumphe des Pompeius; der vierte, etwas anders gestaltete Kranz oben im Bild meint den goldenen Kranz (corona aurea), den der Senat einige Jahre zuvor Pompeius als besonderes Ehrenzeichen zugesprochen hatte; neben dem untersten Kranz sind schließlich noch rechts und links der Heckaufsatz eines Schiffes (aplustre) und eine Kornähre zu sehen: damit wird auf die Getreideversorgung der Stadt angespielt, die seit 57 von Pompeius organisiert wurde; das entsprechende Amt kam in seiner Wichtigkeit einem militärischen Kommando gleich.
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Als es zur Zeit der Rückkehr Ciceros eine Getreideknappheit gab – die wohl durch interessierte Kreise, nicht zuletzt durch Pompeius selbst, heraufgeführt worden war –, als Clodius die entstehende Unruhe zu großen Demonstrationen des Volkszorns entfaltete, ließ Pompeius sich mit einer Cura Annonae betrauen, das heißt, mit außerordentlichen Vollmachten auf fünf Jahre, um im ganzen Herrschaftsbereich Getreide zu organisieren und nach Rom zu schaffen. Die Senatsmehrheit stimmte zu. Pompeius’ frisches Ansehen, der Wunsch, in schwieriger Situation ein Ärgernis zu beseitigen, und die Drohung, daß man, wenn der Senat nicht wollte, ein viel weitergehendes Volksgesetz erwirken konnte, kamen zusammen, um sie willfährig zu machen. Die führenden Senatoren konzentrierten sich darauf, die Vollmachten eng zu halten. So gewann Pompeius die Möglichkeit, seine Macht in den Provinzen auch in Rom geltend zu machen. Er dokumentierte seine Wichtigkeit. Es bot sich ihm die Chance, sich dem römischen Volk neuerdings durch Leistung zu empfehlen, möglicherweise auch: Druck auf Rom auszuüben. Wahrscheinlich war es wegen dieser Vorteile, daß Pompeius dann dazu neigte, oder besser: gebracht werden konnte, eine so großzügige Supplicatio für Caesar zu befürworten. Die Cura Annonae war rasch und ohne Verständigung mit Caesar beschlossen worden. Caesar durfte sich überrumpelt fühlen und hat das sicher wissen lassen. Pompeius wird froh gewesen sein, als sich ein Vorschlag zur Güte fand. Cicero mußte den Antrag einbringen, seine Dankbarkeit beweisen gegenüber Caesar, der seiner Rückberufung schließlich zugestimmt, und vor allem gegenüber Pompeius, der sie bewirkt hatte. Er hatte auch schon in der Getreidefrage die Initiative ergreifen müssen. In der ganzen Zeit von September 57 bis April 56 wurde Pompeius immer wieder durch Clodius und dessen Spießgesellen angegriffen. Lebhafte Agitation wurde entfaltet, Sprechchöre, Schmähungen, Pfeifkonzerte, die Pompeius teilweise – als er etwa in einem Prozeß für einen seiner Anhänger Stellung nehmen wollte – kaum zu Worte kommen ließen. Aber er war ja
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mutig und schlachterprobt und ließ sich so leicht nicht unterkriegen. Außerdem genoß er die Unterstützung eines anderen Bandenführers. Titus Annius Milo war ein sehr energischer, ehrgeiziger Mann von einer bornierten, kühnen Entschlossenheit. Da Clodius die Straße beherrschte, hatte er erkannt, daß es nützlich, ja notwendig war, seinerseits eine Truppe aufzustellen.’ Er hatte sich Gladiatoren gekauft und wußte sie vortrefflich einzusetzen. Wo Clodius mit seinen Mannschaften einem – von ihm entfalteten und geweckten – Volkszorn gewaltsam und demonstrativ Ausdruck gab, war für Milo die Gewalt nur ein Instrument. Wo Clodius aus einem anarchischen Temperament, in eher dumpfer Wut handelte, nahm Milo die Sache eher technisch. Er isolierte die Gewalt zum reinen Mittel der Durchsetzung. Wie so viele damals war er rücksichtslos, nur auf seinen Vorteil bedacht, weithin losgelöst von den selbstverständlichen Voraussetzungen des republikanischen Lebens. Aber wie wenige sonst war er darin konsequent, sah er nicht links noch rechts, sondern nur darauf, daß man mit offener Gewalt die Straße beherrschen konnte, und damit wollte er seinen Weg machen, als Gewaltspezialist und Gewalthaber. Milos ausgezeichnet geschulte Truppe war der des Clodius verschiedentlich überlegen, aber ihr fehlten die Reserven und der Rückhalt in der breiten Masse, auf die jener sich stets stützte. So hielten die beiden sich die Waage; waren sie übrigens auch aufeinander fixiert, befestigten sie sich gegenseitig in ihren Rollen. Milo also focht auf Seiten des Pompeius. Er hatte entscheidend zu Ciceros Rückberufung aus dem Exil beigetragen. Jetzt suchte er Clodius vor Gericht zu ziehen. Ohne Erfolg, weil der sich auf eine breite Koalition von Freunden und Verwandten, Crassus und jenen führenden Senatoren stützte, die schon 58 mit ihm verbündet gewesen waren. Schließlich, Anfang Januar 56, konnte er sich durch die Wahl zum Aedilen gegen alle Anklagen sichern. Er versuchte dann umgekehrt, Milos Verurteilung zu erreichen. Es entstand damals ein ganzer Prozeßkrieg, einerseits gegen
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Clodius’ Helfer, andererseits gegen Pompeius’ Anhänger. Die Pompeianer hatten in der Verteidigung durchweg, in der Anklage mehrfach Erfolg. Das hing damit zusammen, daß in den Gerichten, in denen die Ritter eine wichtige Rolle spielten, die Erinnerung an den Kampf um Ciceros Heimkehr noch wach war. Immerhin wurde Clodius’ wichtigster Helfer freigesprochen, wie es heißt aus Ärger über Pompeius. Unbeschadet seiner Erfolge wurde dessen Situation in den ersten Monaten des Jahres 56 überhaupt immer schwieriger. Er hatte gleich Anfang 56 neuerdings versucht, ein Kommando zu erlangen; und zwar sollte der von seinen Untertanen vertriebene ägyptische König in sein Reich zurückgeführt werden. Pompeius wollte das ins Werk setzen, wollte seine Clientelen im Osten vermehren und seine Einnahmen auch. Dagegen formierte sich eine breite Front der Ablehnung. Die Sache zog sich lange hin. Im Senat wurde erfolgreich Widerstand geleistet. Dessen Mehrheit schlug sich damals zum ersten Mal wieder zu Pompeius’ Gegnern. Schon vorher, nämlich im Dezember 57, hatte Pompeius versucht, im Senat dadurch an Boden zu gewinnen, daß er durch einen Volkstribunen eines der Gesetze Caesars zur Debatte stellen ließ: die Lex Campana, durch die die campanischen Äcker zur Verteilung bestimmt worden waren. Bislang war nur ein Teil davon aufgesiedelt worden. Daran sollte nichts geändert werden. Aber der Rest sollte offenbar, darin bestand das Angebot, von der Verteilung ausgenommen werden. Der Senat hatte stets großen Wert darauf gelegt, daß die dortigen Ländereien im öffentlichen • Eigentum blieben. Pompeius dachte also daran, ihm entgegenzukommen. Er hätte sich damit nicht direkt gegen Caesar gewandt. An der Rechtsgültigkeit von dessen Gesetzen hätte er nicht gerüttelt. Aber er hätte doch einige inhaltliche Ärgernisse abgebaut, wäre vorsichtig gegenüber seinem Verbündeten auf Distanz gegangen. Der Vortrag des Tribunen enthielt deutliche Spitzen gegen Caesar. Es kann sogar sein, daß die noch nicht aufgesiedelten Stücke für dessen Soldaten bestimmt gewesen waren. Als die Sache im Senat vorgetragen wurde, war Pompeius
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nicht da. Die Senatoren nahmen es schweigend auf. Sie wollten sich auf ein so vages Angebot hin nicht engagieren. Anfang April 56 stellte Cicero dann in einer äußerst erregten Sitzung den Antrag, am 15. Mai über die campanischen Äcker zu verhandeln. Der Senat sollte wegen der Wichtigkeit der Materie möglichst vollzählig erscheinen. Alles spricht dafür, daß Cicero das Einverständnis des Pompeius voraussetzen durfte. Er handelte freilich auch im eigenen Interesse, denn es lag ihm daran, Pompeius mit der Senatsmehrheit auszusöhnen. Aber dazu war es schon zu spät oder noch zu früh. Die Senatsmehrheit war für Pompeius nämlich um diese Zeit verloren. Es kam Verschiedenes zusammen. Zuvörderst war es die Widersprüchlichkeit seiner Politik. Einerseits wollte er Distanz zu Caesar gewinnen und sich dem Senat annähern, andererseits seine Sonderstellung nach Kräften weiter befestigen, sich also dessen Autorität immer mehr entziehen. Was er mit jenem vielleicht erreichte, machte er mit diesem wieder zunichte. Das war eine Schwierigkeit, die seiner ganzen Laufbahn anhaftete. Das Ziel, eine Sonderstellung zu gewinnen, und dasjenige, bei Senat und guter Gesellschaft beliebt, angesehen, einflußreich zu sein, lagen ja unvereinbar weit auseinander. Vielleicht meinte er allerdings, sie hätten sich inzwischen angenähert, weil die Senatoren eingesehen hätten, daß sie ihn brauchten. Aber Mißtrauen, Furcht und Ablehnung gegen ihn waren im Senat noch recht stark. Ob Pompeius bei der Lösung der großen inneren Probleme helfen konnte, war durchaus unklar. Gegen die Anarchie auf Roms Straßen etwa konnte er nicht nur nichts ausrichten, sondern er verschlimmerte sie sogar. Denn seine alte Popularität bei der städtischen Menge hatte er zum guten Teil eingebüßt. Und gegen Clodius konnte er nur Milo setzen, Gewalt gegen Gewalt. Das war konsequent, solange man nicht mit Legionen Ordnung schaffen wollte. Es gab keine Polizei. Kein politisches Zentrum war mehr stark genug, um Gewalttätigkeit zu verhüten. So wurde sie zur Sache streitender Parteien. Sie war eine Funktion der Gegensätze, die inzwischen so intensiv geworden waren, daß keine Instanz mehr wirksam das Ganze zu verfechten ver-
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40 Die zweite zeigt auf der Vorderseite Venus als die persönliche Schutzgöttin des Pompeius, hinter ihr ein Szepter als Zeichen der Herrschaft. Auf der Rückseite: drei Siegestrophäen zwischen Opferkanne und Lituus; das Bild entspricht dem literarisch überlieferten Siegelzeichen des Pompeius, steht aber zugleich – und gewiß nicht zufällig – in der Tradition der sullanischen Münzpropaganda aus den 80er Jahren: vgl. oben Abbildung 15. mochte. Aber das konnte man sich damals kaum so klar vorstellen. Im Gegenteil, im Frühjahr 56 verstand man noch nicht, warum die Gewalt überhaupt geduldet werden mußte. Man war gleichsam abstrakt gegen sie, weil sie einem geordneten Regiment widersprach. Wenn man Erwartungen an Pompeius richtete, waren es die, daß er die Gewalttätigkeit durch seine Autorität, zusammen mit Consul und Senat, unterdrückte. Da er das nicht vermochte, war man enttäuscht. Wozu also brauchte man ihn? Und schließlich, wenn er dem Senat Avancen machte und sich von Caesar distanzierte, war das nicht ein Zeichen seiner
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Schwäche? Einer Schwäche, die sich auch in seinem sinkenden Ansehen dokumentierte? War es dann nicht geboten, sich ihm zu widersetzen? Wohl war die Senatsmehrheit seit 59 gegen eine zu starre Abwehrpolitik gewesen. Was die führenden Consulare empfohlen hatten, hatte sich nicht bewährt. Sie hatten die Niederlage gegen Caesar erst provoziert und dann wirklich schlimm gemacht. Aber die drängenden Forderungen, die Pompeius nach der Rückkehr aus dem Osten gestellt hatte, waren ja erfüllt, die Rivalität zwischen Crassus und Pompeius war voll wieder aufgelebt, und eine zusätzliche Rivalität zwischen Pompeius und Caesar kündigte sich an. Worauf sollten die Drei sich jetzt noch einigen, da sie nicht allesamt Wünsche hatten, die sie dringend erfüllt haben wollten? Wo war Stoff zu einer neuen Gemeinsamkeit? So etwa muß man sich damals im Senat gefragt haben. Crassus und Clodius wirkten aufs engste mit den Verfechtern einer entschiedenen Senatspolitik zusammen. Einer der Consuln von 56, Gnaeus Lentulus Marcellinus, trieb eine energische, klare Politik, nicht extrem im Sinne der ehemals führenden Kreise, aber deutlich und erfolgreich darauf bedacht, den Senat wieder zum Zentrum der Politik zu machen. Angesichts der Rivalität der Machthaber konnte man hoffen, wieder die alte Führungsstellung zu gewinnen. Es war ein hergebrachtes Axiom, daß die Autorität des Senats von dessen Entschiedenheit und Einigkeit abhing. Und das war nicht falsch, sofern wenigstens nicht die Macht anderer die Überlegenheit des Hauses in Frage stellte; und das schien ja nicht mehr der Fall zu sein. Als im März Volkstribunen Anträge zu Caesars Gunsten vorbrachten, vor allem wohl auf Übernahme des Soldes der eigenmächtig ausgehobenen Legionen durch das Aerarium, schloß der Consul durch geschickte Schachzüge jede Gesetzgebung aus. Für 55 bewarb sich Lucius Domitius Ahenobarbus um das Consulat, einer der aussichtsreichsten Nobiles, der zu den engsten Verbündeten Catos zählte. Es war zu erwarten, daß er
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Marcellinus’ Politik fortsetzte. Er hatte schon angekündigt, er werde dafür sorgen, daß Caesar sein Kommando verliere. Und noch vor den Wahlen, wenn der Senat die Provinzen für die Consuln von 55 festlegte, konnte man die beiden Gallien dafür vorsehen. Gegen den Senatsbeschluß über die Provinzen war Intercession ausgeschlossen. Es stand also in der Macht des Senats, Caesar 54 abzulösen. Eben das wollte man. Wenn Pompeius die Lex Campana zur Debatte stellte, konnte man darauf eingehen und die Kluft zwischen ihm und seinem Schwiegervater vergrößern. Wahrscheinlich war es ihm nicht einmal unlieb, wenn Caesars erfolgreiche Feldzüge ein Ende fänden. Caesar aber hatte die römische Innenpolitik in diesen Monaten nicht nur beobachtet, er hatte auch eingegriffen. Die Nachrichten aus Rom müssen ihm schwer zu schaffen gemacht haben: Sein Werk bedroht, seine Pläne scheitern sehen, mehrere Tagereisen entfernt sein, trotz aller Erregung nur aus der Ferne wirken können! Aber er wußte sich ja anwesend zu machen: Er war auf dem Laufenden und schrieb, empfing Boten und hohe Gäste, zum Beispiel Clodius’ Bruder Appius, plante und gab Aufträge, Kommentare, Ratschläge, bestach und forderte. Er insinuierte und intrigierte. So hat er vermutlich Clodius und Crassus insgeheim angespornt, Pompeius zu bedrängen, vielleicht auch die Senatoren in Sicherheit zu wiegen über ihre künftige Zusammenarbeit mit ihnen. Vielleicht hat er die Anträge zu seinen Gunsten auch nur stellen lassen, um damit zu scheitern. Jedenfalls wollte er Pompeius weich machen für ein neues Abkommen. Offenbar hatte Caesar nämlich den Wunsch, sein Kommando verlängern zu lassen bis zu der Zeit, in der er, zehn Jahre nach seinem ersten Consulat, sich um ein zweites bewerben konnte. Seine Rückkehr in die Innenpolitik war trotz aller Erfolge wohl wesentlich einfacher, wenn er gleich danach Consul werden konnte. Denn er wußte nicht, ob die Gegner, die neuerdings wieder erstarkten, ihn nicht vor Gericht zu ziehen versuchten. In der Zwischenzeit plante er neue Feldzüge: Er konnte Britan-
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nien erobern und über den Rhein ins germanische Gebiet vordringen. Er konnte aber auch von Illyrien aus auf dem Balkan Krieg führen, wo es viele Bodenschätze und Reichtümer gab und wo sich gerade ein neues Reich zu bilden schien. Während des Winters 57/56 war er erstmals in diesem Teil seiner Provinz, um sich, wie er selbst schreibt, dort umzusehen. Eine Verlängerung des Kommandos aber konnte Caesar nur durch ein neues Bündnis mit Pompeius und Crassus erreichen. Daß er damit den Kredit, den er inzwischen bei Senat und guter Gesellschaft gewonnen hatte, aufs Spiel setzte, wird er gesehen und in Kauf genommen haben. Vielleicht hat er gemeint, daß er mit neuen spektakulären Erfolgen auf Dauer wettmachen konnte, was er zunächst verlor. Jedenfalls sollten die Herren Senatoren ihn nicht klein kriegen; und nicht behindern. Sie sollten überhaupt nicht wieder das Sagen haben. Mindestens nicht, solange sie nicht die wertvollsten und bewährtesten Männer Roms samt ihren Ansprüchen anzuerkennen bereit waren. Gerade wenn sie jetzt wieder ihre Köpfe reckten, trotz der schweren Schläge von 59, mußte man ihnen neue Niederlagen beibringen. Alles andere mußte sich finden. Im März 56 hat Caesar Crassus in Ravenna getroffen. Dann reiste er nach Luca (dem heutigen Lucca), an jenen Punkt seiner Provinz, der Rom am nächsten lag, um dort Mitte April mit Pompeius zusammenzutreffen. Denn der wollte gerade nach Sardinien, um wegen des Getreides nach dem Rechten zu sehen, und nahm den kurzen Umweg in Kauf. Caesar hatte Crassus schon für ein neues Bündnis gewonnen. Nun machte er Pompeius Vorhaltungen. Er führte ihm seine ungünstige Lage in grellen Farben vor Augen: Schwäche und keine Aussicht, mit den sich nun schon wieder mächtig fühlenden Senatoren fertigzuwerden. Er wandte all seinen Charme auf, um ihn mit Crassus wieder auszusöhnen. Die Trübungen zwischen Pompeius und ihm wird er ohnehin als bloße Mißverständnisse ausgegeben haben. So bereitete er den Boden vor, auf dem er dann seine Vorschläge präsentierte: Die Drei sollten ihre Kräfte wieder vereinen, ein neues Bündnis schließen. Caesars Kommando sollte verlängert, seine
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zusätzlichen Aushebungen sollten legalisiert und die Zahl seiner Offiziere, entsprechend der Vergrößerung des Heeres, erhöht werden. Zum Ausgleich sollten auch Pompeius und Crassus Provinzialkommandos mit großen Armeen auf fünf Jahre erhalten. Um dies alles durchzusetzen, sollten sie im Jahre 55 zum zweiten Mal Consul werden. Ob von Caesars zweitem Consulat die Rede war, steht dahin. Er gewann durch ein solches Abkommen die Möglichkeit, neuerdings sehr viel Ruhm und Reichtum zu ernten. Crassus bekam seinen Wunsch erfüllt, endlich auch eine Gelegenheit zu großen Eroberungen zu erhalten. Denn vermutlich wurde für ihn schon in Luca die Provinz Syria vorgesehen, von der aus er einen Feldzug gegen die Parther unternehmen konnte. Pompeius jedoch hätte ein großes militärisches Betätigungsfeld nur auf dem Balkan gewinnen können. Aber es ist die Frage, ob er in seinem Alter einen großen Krieg vom Zaun brechen wollte, ob Caesar dies Gebiet nicht für sich beanspruchte, und nicht zuletzt: wer dann in Rom die Interessen des Dreibunds hätte wahrnehmen sollen. Im Endeffekt verfiel man auf die beiden spanischen Provinzen. Der Gedanke war offenbar, daß Pompeius eine Militärmacht in Caesars Rücken haben sollte. Dort gab es wenig zu tun, und dank seiner Cura Annonae hatte er jederzeit die Möglichkeit, sich vor Rom und in Italien aufzuhalten. Umgekehrt erhielt Crassus ein Gebiet, in dem Pompeius große Clientelen hatte: Die Drei verschränkten also ihre Machtbereiche, um sich gegeneinander abzusichern. Wenn Pompeius und Caesar 60/59 sich auch allein hätten verbinden können, war jetzt Crassus unentbehrlich. Pompeius konnte seinen Vorteil darin erblicken, daß er in Rom saß und sich dort innenpolitisch ungestört durch die beiden anderen immer besser etablieren konnte. Und Caesar wird ihm sichtlich den Vorrang eingeräumt haben. Er sollte erkennen, daß er nur im Bündnis mit ihm zum Ziel kam. So schlossen sich die Drei von neuem zusammen. Sie schnitten tief in die römische Politik ein. Es wurde ein neuer Rang geschaffen: Drei Herren hoben sich dadurch über alle anderen hinaus, daß sie ein langjähriges Kommando und große Armeen
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besaßen. Und zwei von ihnen, um Kriege zu führen, die nur ihrem höheren Ruhm und ihrer Macht dienten. Der Prozeß der Auflösung der ständischen Homogenität des römischen Adels war einen großen Schritt weitergediehen. Gleichzeitig war für Pompeius die alte Scheidung zwischen Provinzialkommando und stadtrömischer Machtstellung aufgehoben. Die Provinzen rückten näher – und mächtiger – an Rom heran. Caesar war ein diplomatisches Meisterstück gelungen. Woran seine Gegner gar nicht gedacht hatten, das hatte er verwirklicht: Auf einer ganz neuen Basis, um ganz neuer Ziele willen hatte er die Rivalität zwischen Roms mächtigsten Politikern überwunden, indem er sie auf eine neue Stufe hob. Hatte man im Jahre 60 den Dreibund um der Erreichung alter Ziele willen geschlossen, unternahm man jetzt gemeinsam einen Durchbruch nach vorn. Wie sehr den beiden anderen ihr zweites Consulat und ihr neues Kommando gefallen mochten: Caesar war es, der das Gesetz des Handelns bestimmte. Weil er seine Provinz behalten wollte, mußten sie ebenfalls welche bekommen. Und weil er nur gegen die Senatsmehrheit sich durchsetzen konnte, mußten sie ebenfalls mit dem Senat brechen. Crassus wird das nicht schwergefallen sein, wenn er nur endlich zu seinen Eroberungen kam. Für Pompeius aber bedeutete es die Abwendung von mancher Hoffnung, die Vereitlung mancher Bemühungen. Ob man auch darüber gesprochen hat, wie dieser rücksichtslose Ausbau der eigenen Position, diese Dreierherrschaft über größte Teile der römischen Welt, sich auf die Zukunft des Gemeinwesens auswirkte, wissen wir nicht. Man kann wohl annehmen, daß die drei Machthaber vor allem an sich und ihre Gegner dachten, befangen waren in eine Auseinandersetzung, die sie nun, von Caesar angetrieben, in ganz neuen Dimensionen führen wollten. Mit brutaler Gewalt wollten sie sich abermals durchsetzen. Sie vereinbarten noch, daß jeder von ihnen seine Freunde und Verbündeten in die gemeinsame Politik einzubringen habe. Clodius hatte sich mit Pompeius zu vertragen. Cicero
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hatte seine Finger von der Lex Campana zu lassen und sollte sich offen für die Drei einsetzen. Unmittelbar nach den Verhandlungen brach Caesar nach Gallien auf, wo eine Erhebung stattgefunden hatte. Sie ging aus von den Venetern, einem Stamm in der südlichen Bretagne, der den Handel zwischen Britannien und dem Festland vermittelte, also sehr wohlhabend war und eine große Seemacht unterhielt. Die Veneter, die in relativ geschützten Städten wohnten, hatten römische Offiziere, welche Getreide requirieren sollten, gefangengesetzt und wollten im Austausch dafür die Geiseln zurückbekommen, die sie den Römern hatten stellen müssen. Zahlreiche andere Stämme im Norden Galliens (bis an die Rheinmündung) schlossen sich ihnen an; und aus Britannien kamen Hilfstruppen. Caesar gab noch von Italien aus Befehl, auf der Loire Schiffe zu bauen, und ließ in der Provinz Ruderer und Steuerleute anwerben. »Sobald es die Jahreszeit erlaubte«, so schreibt er pflichtbewußt, habe er sich selbst an Ort und Stelle begeben. Dabei ist zu bedenken, daß das Treffen in Luca nach unserem Kalender nicht erst Mitte April, sondern schon Mitte oder Ende März stattfand. Caesar schildert die großen Schwierigkeiten, vor die die Veneter ihn stellten; er sieht sich sogar genötigt, zu erklären, warum er es trotzdem mit ihnen aufnahm. Es war kein Leichtsinn, kein mutwilliges Sich-Einlassen auf Abenteuer und AufsSpiel-Setzen seiner Soldaten. Vielmehr bewog ihn eine sehr ernsthafte Überlegung: Wenn er den Venetern nachgab, konnten andere sich an ihnen ein Beispiel nehmen. Alle Gallier seien wankelmütig, stets zu Aufständen geneigt, von großer Freiheitsliebe durchdrungen. Das klingt, als hätte Caesar ernsthaft erwogen, das den römischen Offizieren angetane Unrecht hinzunehmen und einen gallischen Stamm aus der Reihe der Unterworfenen ausscheiden zu lassen. In Wirklichkeit dienten diese Überlegungen aber wohl nur dazu, um nebenbei die Notwendigkeit der Unterwerfung ganz Galliens zu belegen. Nachdem Caesar einige Truppen zur Sicherung der kriti-
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schen Gegenden Galliens abkommandiert hatte, begab er sich zum Kriegsschauplatz. Aber er sah rasch, daß er zu Lande wenig ausrichten konnte. Zur See aber war er den Venetern nicht gewachsen, denn die römischen Schiffe waren auf die Verhältnisse des Mittelmeers eingerichtet. Insbesondere ragten die venetischen hoch auf, weit höher als die römischen, so daß sie für Wurfgeschosse kaum erreichbar waren, kaum zu entern und zu stabil gebaut, als daß man sie mit dem Rammsporn hätte verletzen können. Nicht einmal wenn man Türme auf den römischen Schiffen errichtet hätte, schreibt Caesar, hätte man die Höhe der feindlichen erreicht, deren Soldaten hätten also die römischen von oben her unter starken Beschuß nehmen können. Doch wieder einmal, wie so oft in diesen gallischen Feldzügen, gab die überlegene römische Kriegstechnik den Ausschlag. Man übertrug Erfahrungen aus der Belagerungstechnik auf See, befestigte nämlich scharfe große Sicheln an langen Stangen auf den eigenen Schiffen. In der Schlacht fuhren diese dann dicht an den Feind heran, und sobald die Sicheln fast die Taue berührten, die die Rahen an den Masten hielten, steigerte man die Ruderbewegung zu einem kraftvollen Ruck, so daß die Taue zerschnitten wurden und die Rahen herabstürzten. Danach nahmen je zwei oder drei römische Schiffe das feindliche in die Mitte, und die Soldaten enterten es. Erschrocken suchten die übrigen Schiffe der Veneter das Weite. Doch trat eine Windstille ein, so daß die Römer ein Schiff nach dem anderen stürmen konnten. So wurde die gesamte feindliche Flotte vernichtet. Der Kampf spielte sich unter den Augen Caesars und seines Heeres ab. Von der Steilküste aus konnten sie das Geschehen genau beobachten. Caesar legt Wert auf die Feststellung, daß die Soldaten auf der Flotte sich dadurch zu höchster Tapferkeit anspornen ließen. Als sich die Veneter ergaben, beschloß Caesar, »sie mit aller Härte zu bestrafen, um zu erreichen, daß die Barbaren in Zukunft das Gesandtenrecht gewissenhafter beachteten. Er ließ daher ihren gesamten Senat hinrichten und verkaufte die übrige Bevölkerung«.
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Diese Äußerung gehört zu den merkwürdigsten in Caesars Werk. Hatte er vergessen, daß er selbst berichtet hatte, daß es sich bei den »Gesandten« in Wirklichkeit um Offiziere handelte, die für Nachschub hatten sorgen sollen? Oder wollte er ihnen nachträglich den Gesandten-Status zusprechen? Jedenfalls ist die Begründung für seine Härte durchaus fadenscheinig, an den Haaren herbeigezogen. Vermutlich war es ihm gleichgültig. Dabei geben die Überlegungen, mit denen er die Eröffnung des Krieges rechtfertigte, eine viel plausiblere Erklärung auch für dessen Abschluß: Den übrigen Galliern sollte eine Lehre erteilt, ein Exempel statuiert werden. Aus den immer wieder aufflackernden Aufständen jener unruhigen Volksstämme scheint Caesar den Schluß gezogen zu haben, daß sie bloß durch Verträge nicht zu binden waren. Dann wäre die Grausamkeit der Maßnahmen jenem Unterwerfungswillen entsprungen, unter den er seine gallische Statthalterschaft gestellt hatte. Im gleichen Jahr veranlaßte Caesars Legat Crassus die meisten Stämme in Aquitanien, sich Rom zu ergeben. Einen Feldzug gegen die Moriner und Menapier an der Nordseeküste mußte Caesar abbrechen, weil die Zeit vor Einbruch des Winters dazu nicht mehr ausreichte. In Rom war der Abschluß des Bündnisses von Luca rasch bekannt geworden, wenn auch die einzelnen Abmachungen zunächst wohl verborgen blieben. Während des Frühsommers wurden die ersten Anträge zu Caesars Gunsten durchgepeitscht. Seine eigenmächtigen Aushebungen wurden legalisiert. Es wird berichtet, daß viele Senatoren für Caesar stimmten, weil er sie vorher mit großen Geschenken bedacht hatte; nachdem er ihre Kasse aufgefüllt, brachten sie den Senat dazu, einen Teil seiner Kosten auf das Gemeinwesen zu übernehmen. Aber allzu mechanisch darf man das nicht sehen. Ein Großteil der Senatoren wird zähneknirschend für den Beschluß gewesen sein, weil andernfalls – angesichts des erneuerten Dreibundes – die Sache gewiß durch Volksgesetz beschlossen worden wäre. Das hätte eine zusätzliche Niederlage bedeutet. Die
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prominenteren Senatoren mögen der Sitzung ferngeblieben sein, der Protest anderer verhallte wirkungslos. Dann wurden Caesar zehn Legaten bewilligt. Beim Beschluß über die Provinzen für die zu wählenden Consuln ließ man ihm die beiden Gallien. Cicero war gezwungen worden, für Caesar zu sprechen. Er traf im Senat auf wütende Vorhaltungen. Wie kam er dazu, für den Mann einzutreten, der so wesentlich zu seiner Verbannung beigetragen hatte? Mühsam mußte er den ihm aufgezwungenen Stellungswechsel teils bagatellisieren, teils rechtfertigen. Bald darauf kam es noch schlimmer. Denn dann mußte er sich mit verschiedenen seiner Feinde vertragen, mußte Caesars Helfer Vatinius, den er so schwer angegriffen und verurteilt hatte, und schließlich sogar seinen Erzfeind Gabinius vor Gericht verteidigen. Aber Pompeius und Caesar kannten kein Erbarmen. Brutal verlangten sie dem weichen, erpreßbaren, angesehenen und redegewaltigen Mann ab, was sie brauchten. Und er konnte sich von Mal zu Mal weniger wehren. Die Wahlen, die im Juli fällig gewesen wären, wurden durch Einsprüche verschoben. Pompeius und Crassus wagten es nicht, regulär zu kandidieren. Angesichts ihrer so großen Clientelen und des Ansehens, über das sie wohl trotz allem noch geboten, erscheint das als kaum begreiflich. Es muß damals eine mächtige Strömung gegen sie in der gesamten Bürgerschaft aufgekommen sein. Anders als in aller Regel stand zu erwarten, daß die Wahlen in hohem Grade politisiert wurden. Die Frage stellte sich, ob Rom den allmächlich als unerträglich empfundenen Machtansprüchen Caesars und seiner beiden Verbündeten nachgeben wollte oder nicht. Cato erklärte überall, die Freiheit des Gemeinwesens stünde auf dem Spiel, und er fand Glauben damit. Als die Wahlen wieder einmal durch Einspruch verhindert worden waren, fragte der Consul Marcellinus Pompeius und Crassus, ob sie Consuln werden wollten. Pompeius antwortete: Vielleicht ja, vielleicht nein. Schließlich bequemte er sich auf insistierendes Bohren zu der Auskunft, um der Rechtschaffenen willen wolle er beileibe nicht Consul werden, aber um der Störer der öffentlichen
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Ordnung willen wolle er es sehr. Crassus erklärte so vieldeutig wie unmißverständlich, er werde tun, was dem Gemeinwesen fromme. Die beiden wollten wohl als Retter gerufen werden. Da die Frist zur Anmeldung der Kandidatur verstrichen war, weigerte sich der Consul aber, sie zu berücksichtigen. So ließen sie die Wahlen weiter verschieben. Im November legte der Senat Trauerkleidung an. Seine Mitglieder führten in der Öffentlichkeit Klage, sie blieben den Spielen und auch den Senatssitzungen fern. Sie demonstrierten ihre Machtlosigkeit oder anders gesagt: Sie vermochten keine Politik mehr zu treiben, sondern nur noch zu demonstrieren, zu appellieren an eine Öffentlichkeit, die es unter den neuen Umständen als Macht nicht mehr gab. Als dann im Januar schließlich die Wahlversammlung zusammentreten konnte, war die Opposition so stark, daß die Wahl der beiden Verbündeten durchaus unsicher war, trotz größerer Gruppen von Urlaubern, die von Caesar nach Rom geschickt worden waren. So mußten die Mitbewerber durch Terror dazu gebracht werden, ihre Kandidatur aufzugeben. Einzig Domitius hielt, von Cato gestützt, bis zum Wahltag durch. Als er aber – vorsichtshalber noch während der Nacht – sich auf das Marsfeld begab, wurde der vor ihm gehende Fackelträger ermordet, ein Handgemenge entstand, es gab mehrere Verletzte, bis er sich nach Hause zurückzog. Dann endlich konnte die Wahl geschehen. Unmittelbar darauf wollte die Versammlung Cato zum Praetor wählen. Pompeius verhinderte es, indem er vorgab, einen Blitz gesehen zu haben. Bei den Aedilen-Wahlen gab es neue Zusammenstöße, wobei Pompeius’ Toga mit Blut bespritzt wurde. Bald nach der Wahl ging man daran, das verabredete Programm zu verwirklichen. Die Consuln bekamen das Recht, in ihren Provinzen soviel Truppen auszuheben, wie sie für nötig hielten. Als das Gesetz auf der Tagesordnung stand, wurde den Gegnern die Redezeit beschnitten; als Cato sich nicht daran hielt, riß ihn ein Amtsdiener von der Tribüne herab; als er unten weiterredete, wurde er vom Forum entfernt. Aber er kehrte zurück und sprach von neuem, auch noch als er ver-
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haftet wurde. So verschob man die Abstimmung. Am nächsten Tag war das Forum besetzt. Cato und seinen Freunden wurde der Weg versperrt. Da einige ihn sich bahnten, Cato selbst und ein Tribun auf die Schultern von Freunden gehoben wurden und von dort laut ungünstige Zeichen verkündeten, kam es zu einer neuen Schlägerei mit vier Toten und zahlreichen Verwundeten. Der eine Volkstribun, der, um nicht vom Forum ferngehalten zu werden, im Senat übernachtet hatte, wurde dort eingesperrt und anschließend mißhandelt. Nach der Abstimmung führte ihn ein Freund blutüberströmt heraus und zeigte ihn den Umstehenden. Einem Senator versetzte Crassus höchstpersönlich einen Faustschlag ins Gesicht. So rücksichtslos, wie sie, nur auf ihre eigenen Positionen bedacht, Magistrate und Provinzen unter sich verteilt hatten, so gewaltsam setzten sich die Machthaber durch. Der Widerstand Catos und anderer war zwar heftig, aber er konnte nur mehr demonstrativ sein. Caesars Kommando wurde nicht nur verlängert, sondern man vereinbarte auch, daß der Senat über seine Provinzen nicht vor dem 1. März 50 verhandeln dürfe. Nach der gängigen Praxis konnten sie deswegen erst den Consuln von 49 verliehen werden. Cato war vor dem Beschluß zu Pompeius gegangen und hatte ihm eindringlich vor Augen geführt, daß er sich Caesar auf den Hals lade. Noch merke er es nicht, doch wenn der erst zu drücken anfange, werde er, da er ihn weder mehr abwerfen noch ertragen könne, mit ihm zusammen auf die Stadt stürzen. Ein eindrucksvolles Bild, die beiden in riesigem Format über der Stadt sich erhebend. Aber es war vergebens: Pompeius war sich seiner Überlegenheit zu sicher. Caesar gewann also Zeit und konnte mit seinen neuen, weit ausgreifenden Eroberungsplänen ernst machen. Zunächst freilich war ein überraschender Angriff abzuschlagen. Zwei germanische Stämme, die Usipeter und Tencterer hatten den Rhein nahe seiner Mündung überschritten. Caesar schildert, wie sie dem Druck der sehr starken Sueben ausgesetzt gewesen und erst nach zielloser Wanderschaft an den Rhein
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gelangt waren. Er fürchtete, daß aus diesem Einfall wegen der »Unzuverlässigkeit« der Gallier ein großer Krieg entstehen könne. Einige Stämme hätten die Germanen zu sich gerufen, um sich ihrer Hilfe zu versichern. Caesar brach also früher als gewöhnlich zu seinem Heer auf, rief die führenden Männer Galliens zu sich, gab ihnen seinen Entschluß zum Krieg bekannt und befahl ihnen, Kavallerie zu stellen. Als die Germanen Gesandte schickten, um mit Caesar zu verhandeln, forderte er sie auf, sich jenseits des Rheins im Gebiet der Ubier anzusiedeln. Er gewährte auch einen Waffenstillstand. Unterdessen muß es, wenn man Caesar glauben darf, zu einer Attacke germanischer Reiterei auf die römische gekommen sein. Obwohl die Römer oder, genau gesagt: ihre gallischen Bundesgenossen, welche die Reiter stellten, den Germanen weit überlegen waren, wurden sie besiegt. Caesar fand, man habe ihm eine Falle gestellt, und fühlte sich an seine Zusagen nicht mehr gebunden. Er wollte die Germanen möglichst rasch schlagen, da das Gros ihrer Reiterei auf Getreidesuche abwesend war. Am nächsten Tag erschien eine wesentlich größere Gesandtschaft, der alle Führer und Ältesten der Germanen angehörten. Sie wollten sich wegen des Reiterangriffs rechtfertigen. Und sie wären wohl kaum alle zusammen gekommen, wenn sie es nicht ernst gemeint hätten. Allein, Caesar behauptet, sie hätten damit »ihre schon bekannte Perfidie und Verstellung bewiesen«. Er »freute sich, sie in seine Gewalt zu bekommen, und befahl, sie festzuhalten«; unter offensichtlichem Bruch des Gesandtschaftsrechts, das Caesar doch gegenüber den Venetern so sehr am Herzen gelegen hatte. Er ließ die führerlosen Germanen in größter Eile angreifen. Sie vermochten sich kaum zur Wehr zu setzen, ergriffen kopflos mitsamt Frauen und Kindern die Flucht. An der Mündung der Mosel in den Rhein, so Caesar (dem die dortige Geographie wohl nicht ganz klar war), kamen sie nicht weiter. Ein Teil wurde am Ufer niedergemacht, der Rest stürzte sich ins Wasser und kam darin um. Zwei Stämme waren ausgelöscht. Nur die Reiterei überlebte; und die Gesandten, die Caesar jetzt freiließ, wie zum Hohn und um sich nicht an ihnen zu ver-
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greifen. Der Zorn darüber, daß erneut Germanen in das von ihm eroberte Gebiet eindrangen, der Ärger, daß seine Herrschaft dort noch durchaus unsicher war, der Wille, seine neuen Eroberungspläne rasch in die Tat umzusetzen – das alles mag den Überfall auf die Germanen erklären. Aber es steht zugleich dafür, daß Caesars Kriegführung ungeduldiger, härter, grausamer wurde. Der unbedingte Wille, der ihn beherrschte, ließ ihn zuschlagen, aber offenbar nicht so rasch gewinnen, wie er wollte. Er ließ ihn erobern, aber nicht sichern, jedenfalls nicht politisch. So konnte er gelegentlich dazu kommen brutal zu vernichten. Es sollte nicht zur Regel werden, aber es könnte kennzeichnend für Caesars Situation gewesen sein. Kann damals nicht jene Ungeduld in ihm hochgekommen sein, wie sie mitunter den anfällt, der mit ungeheurer Anstrengung einem Ziel zustrebt, Erfolg zu haben meint; dessen Mut daher immer weiter greift, hastiger wird, sich nicht aufhalten lassen will, um sich nicht zu verlieren, und der dann, je länger es dauert, um so weniger warten, nichts wachsen lassen kann, sondern alles zu zwingen sucht? Caesars Handeln wäre dann gewissenlos, treulos, grausam aus solcher Ungeduld gewesen. Es würde dadurch um nichts besser – aber es wäre anders zu verstehen; weniger ein Vernichtungstrieb, sondern eine innere Beschleunigung hätte die Hemmungen durchbrochen, die ihn hätten halten müssen. Gleich nach dem Sieg über die beiden Stämme beschloß Caesar, den Rhein zu überschreiten. Er wollte, so schreibt er, den Germanen die Macht Roms in ihrem eigenen Bereich demonstrieren, auf daß sie sich künftig nicht mehr dazu verleiten ließen, in Gallien einzufallen. Außerdem hatte er, wie üblich, einen Hilferuf vorzuweisen: Die Ubier, die Roms Freunde geworden waren, brauchten ihn gegen die Sueben. Schließlich sah er sich veranlaßt, die Sugambrer zu bestrafen, welche nämlich die Reiterei der Usipeter und Tencterer bei sich aufgenommen und trotz seiner Forderung nicht ausgeliefert hatten. Als anmaßend dürfte er empfunden haben, daß sie seine Argumentation gegen ihn kehrten, nach der der Rhein die Grenze
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der römischen Herrschaft sei: Wenn Caesar es für unrecht halte, daß die Germanen den überschritten, hätte er seinerseits auch jenseits des Flusses nichts zu befehlen. Die Ubier erboten sich, das römische Heer über den Rhein zu setzen. Aber Caesar hielt das nicht für sicher genug und vor allem fand er, das sei unter seiner und des römischen Volkes Würde. Wie sah das aus, wenn das römische Heer abteilungsweise auf germanischen Fischerkähnen den Rhein überquerte? Er erkannte wohl, daß die Breite, Tiefe und die starke Strömung größte Schwierigkeiten bereiteten. Aber entweder gelang es, eine Brücke zu bauen oder man führte das römische Heer besser nicht hinüber. Den Plan, um das beispiellose technische Problem zu lösen, habe er selbst entworfen. Sein Bericht darüber ist aber so knapp, daß man ihn nicht verstehen kann. Jedenfalls fand er Wege, um die dicken, mit Kränen in den Fluß versenkten und dann schräg festgerammten Balken so miteinander zu verbinden, daß sie sich gegenseitig um so kräftiger hielten, je stärker die Strömung war. Dann ließ er Querbalken darüber legen und das Gerüst mit Stangen und Flechtwerk bedecken. Flußaufwärts ließ er weitere Pfähle zum Schutz der Brücke einrammen. Seinem Bericht zufolge »sollten sie gegen Baumstämme oder Schiffe Schutz bieten, die die Barbaren vielleicht stromabwärts schickten, um die Brücke zum Einsturz zu bringen«. Zehn Tage nach dem Beginn der Bauarbeiten sei die Brücke vollendet gewesen: wie lange die Planung und das Vorbereiten der Werkzeuge dauerten, sagt Caesar nicht. Der genaue Ort ist ebenfalls unbekannt. Da die Sugambrer sich in die Tiefe ihrer Wälder zurückgezogen hatten, konnten die Römer nur ihre Dörfer anzünden und das Getreide mähen. Einigen germanischen Stämmen gewährte Caesar auf ihre Bitte gegen Stellung von Geiseln Frieden und Freundschaft. Als er erfuhr, daß sich auch die Sueben in ihren Wäldern versteckt hielten, »stellte er fest, daß er alles erreicht hatte, um dessentwillen er das Heer über den Strom geführt hatte: den Germanen Schrecken eingejagt, die
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Sugambrer bestraft, die Ubier vom Druck der Sueben befreit«. Für das Ansehen und das Interesse des römischen Volkes sei genug geschehen. Er kehrte nach achtzehn Tagen zurück. Hinter sich ließ er die Brücke abreißen. Es mag sein, daß Caesar im Jahre 55 keinen großen Feldzug in Germanien vorhatte: vermutlich wollte er sich vor allem den Rücken sichern für eine ganz andere Unternehmung. Doch daß er so ins Leere stieß, muß seinem dynamischen Temperament zuwider gewesen sein. Vom Rhein führte er seine Truppen unmittelbar an die Kanalküste. Denn trotz der vorgeschrittenen Jahreszeit plante er eine Expedition nach Britannien, für die offenbar die Vorbereitungen schon getroffen waren. Auch hier sei es ihm um die Sicherung Galliens gegangen, da während der letzten Jahre die Gallier immer wieder britische Hilfstruppen gegen ihn ins Feld geführt hatten. Andere Berichte lassen jedoch durchblikken, daß er auf der unbekannten Insel große Reichtümer vermutete. Zinn kam von dort, von Gold-, Silber- und Eisenvorkommen wurde berichtet. Perlen von ganz ungewöhnlicher Größe sollte es geben, dazu Sklaven und anderes. Zunächst einmal wollte er die Lage erkunden: denn keiner konnte ihm recht Auskunft über Land und Leute geben. Offensichtlich sollte seine Expedition die Ouvertüre für einen späteren, größeren Feldzug darstellen. Denn es kann ihm kaum genug gewesen sein, nur in unbekannte Gegenden vorzustoßen; obwohl auch das wichtig war: denn er tat es darin Pompeius gleich. Als Caesar an der Südostküste Britanniens landen wollte, stieß er am Steilufer auf heftigen Widerstand. Die Briten waren nämlich auf seine Ankunft vorbereitet. Er segelte deswegen weiter und ließ die Schiffe vor einem flachen Strand vor Anker gehen. Aber die Barbaren, wie er sie nennt, waren gefolgt und hinderten die Römer daran, die Schiffe zu verlassen. Das Wasser war ziemlich tief, die Waffen waren schwer; die Briten konnten aus dem Trockenen oder dem Flachen kämpfen. Auf der römischen Flotte brach eine Panik aus. Darauf sandte
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Caesar die Kriegsschiffe in die Flanke der Feinde. «Die Form der Schiffe, die Bewegung der Ruder und die ungewohnten, schweren Geschütze beeindruckten diese so sehr, daß sie stehen blieben, und, wenn auch nur wenig, zurückwichen.« In dem Moment flehte der Adlerträger der bewährten zehnten Legion die Götter laut um einen glücklichen Ausgang an und rief: »Springt herab, Kameraden, wenn ihr den Adler nicht den Feinden ausliefern wollt. Ich jedenfalls werde meine Pflicht gegen Republik und Feldherrn erfüllen.« Die ersten folgten ihm, denen folgten die nächsten. Der Impuls, der durch die römischen Reihen ging, reichte, um sie in Bewegung zu setzen. Aber der Kampf war hart, sie konnten keinen festen Stand gewinnen, sich nicht formieren. Die Schlacht stockte, Verwirrung griff um sich. Die Feinde attackierten zu Pferde, sie umringten hier diesen, dort jenen und warfen sie nieder. Während der ungleiche, durch das Wasser immer wieder erschwerte Kampf sich hinzog, ließ Caesar die Rettungsboote der Kriegsschiffe und die leichten Aufklärungsschiffe mit Soldaten bemannen und sandte sie an die Stellen, wo die Seinen am stärksten bedrängt wurden. So konnten sich die Römer behaupten und von neuem, erst hier, dann dort, schließlich auf breiter Front zum Angriff übergehen. Sie kamen an Land, schlugen die Feinde, konnten sie freilich nicht weit verfolgen, weil die Schiffe mit den Reitern nicht übergekommen waren. »Dies war das einzige«, bemerkt Caesar zum Schluß, »was zum alten Kriegsglück Caesars fehlte.« Die Britannier baten um Frieden. Caesar machte ihnen Vorhaltungen, man sieht nicht recht warum. Zwar hatte er berichtet, daß einige britische Stämme sich ihm unterworfen hatten, aber nicht, daß es alle oder daß diejenigen darunter gewesen wären, die ihn gerade bekämpft hatten. Immerhin verzieh er ihnen. Sie sollten Geiseln bringen, aber das zog sich hin. Dann wurde die römische Flotte durch eine Sturmflut teils zerstört, teils schwer beschädigt. Die Soldaten fürchteten, abgeschnitten zu sein, ohne Versorgung. Wahrscheinlich fanden damals die Unruhen im römischen Heer statt, von denen eine andere Quelle berichtet. Die Britannier aber beschlossen, den Kampf
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wieder aufzunehmen. Wenn sie die Römer jetzt besiegten, so hatten sie sich ausgerechnet, würden sie auf Dauer von ihnen verschont sein. Caesar hatte schon zuvor Verdacht geschöpft gehabt. Er war auf alles gefaßt und traf die notwendigen Maßnahmen, um dem Feind zu begegnen. Die Flotte ließ er wieder herstellen, wobei er das Material dazu von den beschädigten Schiffen nahm: der Rest mußte schnellstens vom Festland jenseits des Kanals herbeigeschafft werden. Nachdem er in zwei Gefechten gesiegt und in weitem Umkreis alle Gehöfte in Brand gesetzt hatte, baten die Briten erneut um Frieden. Caesar war froh, den Feldzug abbrechen zu können. Er verdoppelte die Zahl der Geiseln, befahl, sie aufs Festland zu schicken und zog sich dann mit dem Heer nach Gallien zurück. Außer dem Ruhm, daß er eine Insel bewaffnet betreten hatte, die bis dahin kaum bekannt, ja deren Existenz umstritten gewesen war, brachte er nichts mit. Nur zwei britische Stämme sandten die versprochenen Geiseln, die übrigen unterließen es. Als der Senat im Herbst 55 Caesars Bericht diskutierte, wurde dort erstmals, soweit wir wissen, heftige Kritik an dessen Kriegführung geübt. Cato erklärte, man müsse den Göttern Opfer darbringen, damit sie die Soldaten nicht für die gegen Treu und Glauben verübten Verbrechen ihres Feldherrn bestraften; damit sie überhaupt die Bürgerschaft verschonten. Er beantragte, Caesar den von ihm so schmählich behandelten Germanen auszuliefern. Das war ein altes Rezept: einen Feldherrn hinzugeben, damit Rom nicht für Vertragsbruch die Strafe der Götter auf sich zöge. 135 war es zuletzt befolgt worden, als ein Consul mit spanischen Stämmen einen Vertrag abgeschlossen hatte, den der Senat dann nicht ratifizieren wollte; als Vertragsbrecher wurde er deswegen den Betrogenen übergeben. Die Sorge vor der Strafe der Götter war in irgend einer Schicht des römischen Bewußtseins stets lebendig. Sie mußte in den Unregelmäßigkeiten der damaligen Zeit zunehmend Nahrung finden: Je unsicherer man lebte, um so mehr waren
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die Götter zu fürchten. So lag es für Cato besonders nahe, an die religiösen Bedenken zu appellieren. Er mag sie durchaus geteilt haben; aber auch seine philosophischen Überzeugungen konnten ihn zu keinem anderen Ergebnis führen: Die Kriegführung Caesars war ein Verbrechen; schon die Kriegseröffnung, dann die stets neuen Überfälle auf gallische oder germanische Stämme. Der Vertragsbruch gegenüber den Germanen war nur besonders eklatant. Aber so ernst er es nahm, so sehr er den Senat beschwor, auf einen Erfolg kann er kaum gehofft haben: Es ging also wieder vornehmlich um eine Demonstration. Die Senatsmehrheit beschloß für Caesar wiederum eine Supplicatio von zwanzig Tagen. Caesar selbst beschwerte sich über Cato in einem Brief voller Schmähungen. Cato hat darauf so ernst und überzeugend geantwortet und neuerdings so schwere Vorwürfe gegen Caesar vorgebracht, daß dessen Freunde bereuten, daß sie den Brief hatten im Senat verlesen lassen. Um die gleiche Zeit, im Spätherbst 55, brach der Consul Crassus auf, um seine Provinzen zu übernehmen. Es war kein Geheimnis, daß er gegen die Parther zu Felde ziehen wollte. Auch Caesar hatte ihn brieflich zum Krieg ermuntert. Ein Volkstribun aber beobachtete unheilvolle Vorzeichen und verbot ihm den Abgang in die Provinz. Es dürfe kein Krieg ohne jeden Anlaß eröffnet werden. Als Crassus sich über die Intercession hinwegsetzte, wollte der Tribun ihn verhaften lassen, was nur durch einige seiner Collegen vereitelt wurde. Da lief der Tribun zum Stadttor voraus, stellte dort ein Becken mit glühender Kohle auf; als Crassus daran vorbeizog, zündete er Räucherwerk an, brachte ein Trankopfer und sprach furchtbare, grausige Flüche über ihn aus. Wieder eine Demonstration, höchst eindrücklich und scheinbar machtlos. Immerhin wurden die Götter in diesem Fall nicht umsonst angerufen. Im übrigen war Pompeius’ und Crassus’ Consulat außer durch kleinere Reformen im Gerichtswesen und zur Einschränkung der Wahlmißbräuche nur durch ein großes Fest ausgezeichnet: Pompeius eröffnete das Theater, das er auf dem Marsfeld aus Beutegeldern des östlichen Krieges erbaut hatte.
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Zwar war noch nicht der ganze dazugehörige Gebäudekomplex fertig, aber er wollte sein Werk als Consul mit den herrlichsten Spielen seit Menschengedenken einweihen. »Das römische Volk haßt den privaten Luxus, die öffentliche Freigebigkeit aber liebt es«, heißt es bei Cicero. Seine Großen bauten sich also keine Paläste – obwohl sie sich auf dem Lande prächtige Villen anlegten. Dafür errichteten sie Tempel oder Hallen, sofern sie sich nicht damit zufrieden gaben, sich durch fulminante Schaustellungen oder Spiele ins Gedächtnis ihrer Landsleute einzutragen. Keiner aber hatte sich etwas so Großes und Großartiges einfallen lassen wie Pompeius. Er hatte ja auch sein über alle hinausragendes Format zu manifestieren. Er mußte alles Dagewesene übertreffen, und das war schon nicht leicht. Im Jahre 58 hatte nämlich der Stiefsohn Sullas, Marcus Aemilius Scaurus als Aedil alle Maßstäbe verdorben. Er baute für seine Spiele ein Theater von größter Pracht, das Halbrund für die Zuschauer wie üblich aus Holz, vermutlich relativ hoch aufragend; aber da konnte er schon auf vorhandenes und immer wieder zu verwendendes Material zurückgreifen. Neu und unerhört war, daß er die Bühnenwand in drei großen Stockwerken errichtete, das unterste aus Marmor, das mittlere aus Glas, was damals ein besonderer Luxus war, das dritte mit vergoldeten Tafeln geschmückt. Prächtigste, riesige Marmorsäulen, angeblich 360, waren herantransportiert worden. Und Scaurus hatte, gemäß einem schon mehrfach, auch von Caesar praktizierten Brauch, zugleich eine Kunstausstellung veranstaltet, und zwar auf der Bühnenwand, indem er zwischen den Säulen zahlreiche, vielfach aus Griechenland geholte Statuen aufstellte. Pompeius hat das nachgeahmt, und es ist eine Tradition daraus geworden. Kostbare Vorhänge, Gemälde, Requisiten gab es zu bewundern. Große Mengen von Tieren waren für die Kämpfe sowie zu einer Ausstellung von Naturwundern herbeigeholt, so fünf Krokodile und ein Nilpferd. Mit dem Stiefsohn Sullas, einem der Erben und Nutznießer der Bürgerkriegsgewinne, konnte es so leicht keiner aufneh-
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men. Als der junge Gaius Scribonius Curio später große Leichenspiele zu Ehren seines Vaters veranstaltete, konnte er ihn nur ausstechen, indem er sich etwas ausdachte, was noch unerhörter, aber gleichwohl billiger zu bezahlen war: Er baute nebeneinander zwei ausladende Theater, ebenfalls aus Holz, und die konnten sich drehen. Sie ruhten vermittels einer kräftigen Achse in einer Angel und waren gewiß zugleich auf Rollen montiert. Maultiere oder Pferde werden das Ganze herumgezogen haben. Beiden Aufführungen waren jeweils am Vormittag die Bühnen voneinander abgewandt, dann wurden die Theater um einhundertachtzig Grad gedreht, vielleicht anschließend auch geschoben. Jedenfalls bildeten sie dann zusammen ein Amphitheater. Darin fanden Gladiatorenspiele statt. Der Autor, dem wir diese Nachricht verdanken, der ältere Plinius, fragt sich, was man daran mehr bestaunen solle, den Erfinder oder das Erfundene, den Ingenieur oder den Auftraggeber – daß einer so kühn war, so etwas zu ersinnen, einer so kühn, es zu unternehmen, oder einer so kühn, es anzuordnen. Vor allem aber jage einem die Vorstellung Schrecken ein, daß die Zuschauer es gewagt hätten, auf so unverläßlichem Sitz Platz zu nehmen. Im Grunde sei hier das Volk selbst engagiert gewesen, sei es selbst das Risiko des Lebens eingegangen – wie sonst die Gladiatoren. Das Volk, das die Welt besiegt und unterworfen hatte, schwebte auf einem künstlichen Gebilde und klatschte zu seiner eigenen Gefahr Beifall. Ob man es damals in seiner Hintergründigkeit durchschaute? Alle Welt kam zusammen. Es muß große Aufregung darum in Rom gegeben haben, das Stadtgespräch, die Neugier, schließlich das Gedächtnis des Volkes werden lange davon beansprucht gewesen sein. Als die Angel ausgeleiert war, bot sich am letzten Tag eine neue Abwechslung: Man beließ es beim Amphitheater. Die beiden Bühnen waren getrennt, und es gab Athletenkämpfe, dann wurden plötzlich die Wände hochgezogen und die Sieger der Gladiatorenspiele traten gegeneinander an.
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41 Theater und Porticus des Pompeius: Vogelschau von Nordwesten aus (nach der Rekonstruktion im Museo della Civilta Romana in Rom; modifiziert). Mit dieser 55 eingeweihten Anlage erhielt Rom sein erstes in Stein gebautes Theater. Der Zuschauerraum diente gleichzeitig als getreppter Aufstieg zu einem Tempel der Venus Victrix, Pompeius’ persönlicher Schutzgöttin. Hinter der Bühnenfront erstreckte sich ein öffentlicher, von Hallen eingefaßter Garten; an dessen westlicher Schmalseite und in axialer Entsprechung zum Tempel befand sich ein erhöhter, besonders repräsentativer Saal, den man seit 52 auch für Senatssitzungen verwendete. Sechs Jahre später wurde Caesar hier ermordet. Pompeius dagegen dokumentierte seine Besonderheit darin, daß er ein dauerndes, ein steinernes Theater errichtete. 154 hatten die Censoren einmal solch ein Theater in Auftrag gegeben, aber es hatte sich scharfer Widerspruch erhoben; der Bau mußte abgebrochen werden. Schädlich sei solch ein Gebäude für die guten Sitten. Man dachte wohl an die zahlreichen Volksbeschlüsse, die die Griechen in Theatern zu fassen pfleg-
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ten. Pompeius begegnete dieser Art Einwänden, indem er im Scheitel des für die Zuschauer bestimmten Halbrunds der Venus Victrix, der Göttin seiner Siege, einen Tempel baute. Die Stufen, auf denen die Zuschauer sitzen sollten, bildeten gleichsam den Aufgang zum Tempel. Er konnte sich dafür auf gewisse Entsprechungen in einem Heiligtum der sullanischen Zeit in Praeneste (Palestrina) berufen. Ob er überzeugte oder nicht, von einem Widerstand gegen seinen Bau hören wir nichts. Er wird etwa 60/59 mit den Arbeiten begonnen haben. Anders als die griechischen Theater, anders als alle festen Theaterbauten bis dahin stand das pompeianische völlig frei. In ihm war das alte Holzgerüst gleichsam in Stein umgesetzt. Ein kunstvolles System von Substruktionen wurde errichtet, einerseits umlaufende, andererseits zur Mitte hin ansteigende Tonnengewölbe, nach außen Arkaden, Halbsäulen dazwischengesetzt, die wohl Architrave trugen, drei Ordnungen übereinander, so daß die äußeren Fassaden ein zugleich regelmäßiges und im Spiel von Licht und Schatten belebtes monumentales Bild boten: Es muß ganz ähnlich wie später beim Marcellus-Theater gewesen sein. Die Bühnenwand war gleich hoch wie der Zuschauerraum, reich gegliedert, mit zahlreichen Statuen geschmückt. Die Bühne selbst wohl überdeckt. Von oben konnte für die Aufführungen vermutlich ein Vorhang herabgelassen werden. Hinter der Bühne eröffnete sich ein großer Hof mit Grünanlagen, von Säulenhallen umgeben, welche die Requisiten bargen, gegebenenfalls Schutz gegen Regen bieten konnten, vor allem aber alltäglich dem angenehmen Aufenthalt, der Erfreuung und Beeindruckung der Römer dienten. Sie waren reich mit Gemälden und Statuen geschmückt, unter anderem mit Meisterwerken alter griechischer Maler. Ein großer Raum, vermutlich der in der Achse der Anlage gelegene, diente später als Senatssitzungssaal. Hier fand die tragische Sitzung an den Iden des März 44 statt, in der Caesar ermordet wurde. In dem Raum stand ein Bild des Pompeius. Vielleicht befand sich hier zugleich die Gruppe von vierzehn Statuen, die die von Pompeius im Osten besiegten Nationen darstellten. Jedenfalls ist bezeugt, daß es im Komplex der
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Säulenhalle ein Bild des Pompeius inmitten der Nationen gab. Die Anlage war etwa dreihundertvierzig Meter lang, bis zu einhundertsiebzig Meter breit, der Innenhof maß mehr als siebzehntausend Quadratmeter. Das Theater faßte mehr als zehntausend Menschen. Das Marsfeld war damals noch fast unbebaut. Weithin sichtbar also ragte der große Bau aus der Ebene hoch empor, fast als hätte er es mit dem Capitol aufnehmen wollen: Pompeius setzte sich unverkennbar großartig ins Stadtbild. (Heute sind nur noch die Fundamente vorhanden. Die Gebäude an der Via di Grotta Pinta folgen aber teilweise noch dem alten Rund des Zuschauerraums.) Zur Eröffnung gab Pompeius Aufführungen im Theater, die vor allem durch ihre überreiche Ausstattung ausgezeichnet waren. In einer Tragödie traten zum Beispiel gleich sechshundert Maultiere auf. Daneben gab es fünf Tage lang im Circus je zwei Tierhetzen. Fünfhundert Löwen wurden verbraucht, über vierhundert Panther. Die besondere Attraktion folgte am letzten Tag: achtzehn Elefanten kämpften gegen Schwerbewaffnete. Die Masse staunte, aber in diesem einem Fall ergötzte sie sich nicht: Die großen Tiere erregten vielmehr Mitleid. Einige, die verwundet waren, trompeteten so herzzerreißend, daß die zutiefst erschrockenen Zuschauer sie vom Tode freibaten – nicht zur Freude des Pompeius, wie es heißt. Cicero kommentiert, die Elefanten hätten etwas Menschenähnliches. Er fragt zudem: »Wie kann ein kultivierter Mann sich daran ergötzen, wenn ein schwacher Mensch von einer gewaltigen Bestie zerrissen wird oder ein herrliches Tier vom Spieß durchbohrt?« Aber so empfanden und dachten wohl nicht sehr viele. Für die meisten muß es ein grausig-schönes Schauspiel gewesen sein, wohl anstehend einem weltbeherrschenden Volk, und um so erwünschter, je weniger es in Wahrheit ausrichten konnte. Hier mochte es sich in seiner Macht zu erfahren meinen. Was Goethe vom Amphitheater sagt, trifft genau darauf zu, es sei nämlich »recht gemacht, dem Volk mit sich selbst zu imponieren, das Volk mit sich selbst zum Besten zu haben«. Übrigens zeigte Pompeius auch ein Naturwunder: das erste Nashorn in Rom.
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Caesar hatte bis 55 noch nichts gebaut. Vielleicht wollte er Pompeius sein Theater erst vollenden lassen. Aber selbstverständlich hegte er längst den Plan, sich ebenfalls in Rom große Denkmäler zu setzen. 55/54 war ihm dann klar, was es sein sollte: Er wollte ein ganzes Forum bauen, einen von Säulenhallen umringten Platz, gleich angrenzend an das Forum Romanum, wesentlich kleiner als das Pompeius-Theater, dafür nicht irgendwo vor der Stadt, sondern direkt an ihrem Zentrum; so wie er auch, im Gegensatz zu Pompeius, stärker auf Rom konzentriert war als auf dessen Peripherie. Dort, wo die Entscheidungen fielen, wollte er durch Bauten gegenwärtig sein. Entsprechend wollte er es bei den Volksversammlungen. Er begann, für sie auf dem Marsfeld ein großes überdachtes, marmornes Abstimmungsgebäude zu bauen, das mit einer Säulenhalle umgeben sein sollte, die sich über eine Meile (1,4 Kilometer) erstreckte. Damit hätte er dann Pompeius’ Theater auch im Umfang übertroffen. Im Jahre 54 finden wir seine Beauftragten bei den Vorbereitungen. Allein der Kauf der Grundstücke für das Forum hatte schon sechzig Millionen gekostet. Insgesamt wurden es hundert Millionen. Für all das mußte Gallien bluten. Daß der Wettkampf zwischen Roms Großen solche Opfer forderte, wird Caesar nicht viel zu denken gegeben haben. Er mußte einfach auch im Bauen siegen. Sueton berichtet, er habe oft Städte mehr um der Beute willen zerstört als wegen eines Vergehens. Was sich an Weihgeschenken jahrhundertelang in den Heiligtümern Galliens angesammelt hatte, machte er zu Geld, um es in den römischen Machtkampf zu werfen. Das kam zu der sonstigen Beute, unter anderem aus dem Verkauf der Versklavten, hinzu. Auf diese Weise kam allein an Gold so viel nach Rom, daß der Goldpreis dort um fünfundzwanzig Prozent fiel. Lange schon war das öffentliche Bauen in Rom ein Politikum gewesen, normalerweise aber im politischen Wettstreit zwischen mehreren Adligen, die übrigens wohl mehr die Standesgenossen, die sie ausstechen, als das Volk, das sie gewinnen wollten, im Auge hatten. Jetzt spitzte sich das zu auf die
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Rivalität zwischen Pompeius und Caesar sowie darauf, daß beide ihren höheren Rang gegen den Senat manifestierten. Sie gingen daran, ihn unübersehbar zu machen. Und insofern zielten sie darauf, daß die veränderten Machtverhältnisse sich etablierten. In der Politik dieser Jahre hatte das einen besonderen Sinn. Denn sie war ja durch einen ungewöhnlich hohen Gehalt an Demonstrativem bestimmt. Wie die breite Masse ihr Unbehagen in symbolischen Volkszorn umsetzte, die führenden Senatoren sich darauf kaprizierten, ihre Ohnmacht, ihr Recht und den Willen der Götter an die große Glocke zu hängen, so verlegten Pompeius und Caesar einen besonderen Akzent ihres Wirkens in die ästhetische Demonstration ihrer Größe. Das war symptomatisch für die eigenartige Zwischenlage, in der Rom sich damals befand. Die seit alters Maßgeblichen waren nicht mehr stark genug, um ihre politischen Ansprüche durchzusetzen, und die neuen Machthaber waren noch nicht legitimiert genug, um für die ihren Anerkennung zu finden. Derart »Nicht Mehr« von »Noch Nicht« zu sondern, ist freilich erst eine Sache des historischen Urteils, und zwar im doppelten Sinne: Wir sind nicht nur klüger, weil wir im Unterschied zu den Zeitgenossen den Ausgang kennen, sondern wir haben auch andere Kategorien, weil wir historisch zu denken gelernt haben. Für diese Perspektive ist jeder Zustand ein Übergang, und er ist es doppelt in kritischen Phasen eines Systems. Auch wenn man sich im Einzelfall darüber täuscht, ist heute die Bereitschaft groß, Nicht Mehr und Noch Nicht zu sondern. Davon kann in der Antike kaum und in der römischen Republik schon gar nicht die Rede sein. Damals galt das Überkommene durchaus noch als das dauerhaft Normale, Rechte, auch wenn es im Moment unbegreiflicherweise sehr schwach und untüchtig war. Wenn Cicero klagt, res publica amissa est, so heißt das nicht, die Republik sei untergegangen, sondern nur, sie sei in dem Sinne verloren, in dem etwas im Moment nicht anwesend ist. Sie war gleichsam wiederzufinden, wieder voll in Kraft zu setzen. Wenn er ganz verzweifelt war, befürchtete er damals – etwa Anfang 55 –, daß sich an der Übermacht von Pompeius und dessen Verbündeten zu seinen
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Lebzeiten nichts mehr ändern werde. Und er war damals einundfünfzig Jahre alt. Daß die alte Republik nicht wieder erstehen könnte, daran dachte er nicht. Aber wenn auch die Perspektiven des Nachlebenden von denen der Zeitgenossen scharf zu unterscheiden sind, so muß der zu Grunde liegende Tatbestand, abgesehen von seiner zeitlichen Komponente, doch spürbar gewesen sein. Von heute gesehen, ist er so zu formulieren: Macht und Legitimität waren auf zwei Seiten verteilt. Und daran ließ sich bemerkenswerterweise direkt nichts ändern. Beschlüsse, Gesetze, Vollmachten ließen sich erwirken, doch nur mit Gewalt, und jede Gewaltanwendung bedeutete einen Rückschlag auf dem Weg zu einer anerkannten Machtstellung. Für Pompeius wurde das um so unbefriedigender, je mehr Macht er besaß: Was zu erreichen war, hatte er und war doch von seinem Ziel einer gesicherten Vormachtstellung weiter entfernt als zuvor. Er vermochte sehr viel, aber sein Handeln stieß ins Leere, weil er in der römischen Bürgerschaft keinen Grund dafür fand. Was sollte er durch neue Gesetze noch anstreben? An eine offene Usurpation war nicht zu denken. Caesar und Crassus hätten es kaum zugelassen, und Pompeius selbst kann es nicht gewollt haben. Dann blieb ihm nur, sich in Senat und Bürgerschaft auf irgendeine Weise um Zustimmung zu bemühen, um seine Macht mit Autorität zu verbinden. Dafür sprachen Pompeius’ gar nicht streitbares Temperament, seine Eitelkeit, aber auch die Vernunft. Er hätte einiges um diese Zustimmung gegeben. Aber eben dagegen kämpfte Cato mitsamt seinen Verbündeten. Auf ihrer Seite standen viele andere, die mehr oder weniger resigniert waren, zu Zugeständnissen bereit, aber nicht willens, Pompeius’ Übermacht als legitim anzuerkennen. Selbst Cicero, der sich mit Pompeius verbündet hatte, wußte zu dessen Gunsten nicht mehr anzuführen, als daß er mächtig war und aller Widerstand gegen ihn die Stadt nur daran hinderte, zur Ruhe zu kommen. Und so sehr die zunehmende Anarchie, Korruption und Gewalttätigkeit weite Kreise der »guten Gesellschaft« stören mochten, dies war kein Argument für, sondern eines gegen Pompeius und dessen Verbündete.
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Das ist sehr merkwürdig und stellt gerade für die vergleichende historische Betrachtung ein großes Problem dar. Als erste kurze Antwort kann einerseits gelten, daß man im damaligen Rom auf Ruhe und Ordnung noch nicht so angewiesen war wie in einer spezialisierten Gesellschaft, die an eine ausgebildete Staatlichkeit gewöhnt ist. Andererseits war man sich, angesichts der Gewißheit über die Richtigkeit der überkommenen Ordnung, sicher, daß die rechte Normalität irgendwann wieder eintreten mußte. Und diese Gewißheit war in einer geradezu erstaunlichen Weise in der Person Catos konzentriert. Die Macht, die dieser Mann – bei allem Unvermögen, positiv etwas auszurichten – damals gehabt hat, gehört zu den eigenartigsten Phänomenen der politischen Weltgeschichte. Er übte sie, ähnlich wie Pompeius und Caesar die ihre, wesentlich als Einzelner aus, zwar mit einigen prominenten Verbündeten, dafür ohne die zahlreichen Druckmittel, die jene besaßen. Für sich hatte er lediglich die allgemeine Überzeugung, daß legitim nur war, was Catos Anerkennung fand. Die herkömmliche Autorität, die Verantwortlichkeit des Senats, wurde noch so stark empfunden, daß keiner dem, der sie mutig, entschieden und vorwurfsvoll wahrnahm, wirksam widersprechen konnte. Was immer die Senatoren Cato zum Trotz beschlossen, es änderte im allgemeinen und auch in ihrem Denken nichts daran, daß er recht hatte. Das aber war nicht so sehr auf seine Person zurückzuführen wie vielmehr darauf, daß sich in ihm in höchst eigentümlicher Weise die Republik verkörperte. Gegen die Republik aber konnte, wo es um Legitimität ging, keiner etwas ausrichten. In dieser Lage gab es also für Pompeius kein Vorankommen. So viele Erfolge er im einzelnen auch erzwingen konnte, er konnte nichts tun, um für die von ihm beanspruchte Vorzugsstellung eines Ersten Mannes Legitimität zu erwerben. Denn es gab keine Sache, keine allgemeine Forderung, die er hätte verfechten können, um damit zugleich seine eigene Position in Rom zu verwurzeln. Er konnte nur für sich selber sprechen, für seine Leistungen, sein Können, für all das, was er für die Republik getan hatte und tun wollte. Eben das tat er mit dem
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Denkmal, das er sich und seinen Leistungen in seinem Theater errichtete. Darüber hinaus konnte er nur indirekt wirken. Anders gesagt, das eigentliche Problem der damaligen römischen Republik war nicht Gegenstand des politischen Kampfes: Um die Frage einer legitimen Sonderstellung des Pompeius konnte nicht wirklich gestritten werden; was in Rom als rechtens angesehen werden sollte, stand nicht zur Disposition. Man konnte nur dafür oder dagegen demonstrieren – und vielleicht hoffen und darauf hinarbeiten, daß der unbefriedigende Zustand, in dem man lebte, bald ein Ende fände. So lag auf der römischen Politik dieser Zeit eine bleierne Lähmung. Im Jahre 53 drückt Cicero das aus, als er seinem jungen Freund Curio – der gerade von seiner Quaestur nach Rom zurückkehren will – schreibt: »Du wirst kaum mehr ein Feld finden, auf dem du dich betätigen kannst. So sehr ist alles gelähmt und schon fast erloschen.« Alle hielten sich gegenseitig in Schach. Daran hatte Pompeius besonderen Anteil. Denn er ließ das politische Leben durch Volkstribunen weithin blockieren. Die Consulwahlen für 53 wurden zum Beispiel ein ganzes Jahr lang hintertrieben, bis schließlich, schon Mitte 53, der Senat Pompeius beauftragte, für die Sicherung der Wahlen zu sorgen. So tat jeder, was er wollte und wie er es wollte; und darin übertraf man sich. Die Wählerbestechungen nahmen ein solches Ausmaß an, daß das Geld knapp wurde: Der Zinsfuß stieg von vier auf acht Prozent. Zwei der Kandidaten versprachen der zuerst stimmenden Centurie zehn Millionen für die Wahl. Sie versicherten sich dadurch der Unterstützung der Consuln, daß sie ihnen vier Millionen zusagten, wenn es ihnen nicht gelänge, prominente Zeugen dafür beizubringen, daß Beschlüsse für ihre Ausstattung mit Provinzen gefaßt worden seien, die es gar nicht gab. Die Gerichte arbeiteten zwar noch, aber sie sprachen ja ohnehin zumeist frei. Immerhin schickten sie einen der wichtigsten Freunde des Pompeius ins Exil. Ähnlich wurden auch sonst der normale Geschäftsgang, die Willensbildung und die Fähigkeit der Magistrate zu entschiedenem Handeln stark beeinträchtigt. Die Rechnung des Pom-
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42 Polemisch gegen Pompeius gerichtet ist die Prägung des Marcus Junius Brutus (des späteren Caesarmörders) aus dem Jahr 54. Gegen die dictatorischen Ambitionen, die Pompeius damals von vielen unterstellt wurden, führt Brutus Gründerfiguren republikanischer Freiheit ins Feld. Die erste Münze trägt auf der Vorderseite eine Darstellung der Libertas (gewissermaßen als Erwiderung auf die pompeianische Venus von Abb. 40). Auf der Rückseite: Lucius Iunius Brutus, der bei der Befreiung Roms von der Königsherrschaft eine entscheidende Rolle gespielt hatte und danach im ersten Jahr der Republik zum Consul gewählt worden war; als Consul wird er im Bild von einem Wegbereiter und zwei Liktoren begleitet. peius ging offensichtlich dahin, die Anarchie so weit treiben zu lassen, daß der Senat gar nicht mehr anders konnte, als ihn mit der Wiederherstellung der Ordnung zu betrauen. Indem er ihm diente und sich als vertrauenswürdig erwies, wollte er die Anerkennung des Senats finden.
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Im Juni 54 wurde erstmals der Ruf nach Einsetzung eines Dictators laut, und das »Geraune von einer Dictatur« wollte so bald nicht verstummen. Es muß daran gedacht gewesen sein, Pompeius ähnlich wie einst Sulla mit einem Sonderauftrag zur Wiederherstellung der öffentlichen Ordnung zu betrauen. Das Gefühl, daß man solch einer Gewalt bedürfe, hatte damals auch Cicero. In seiner Schrift De re publica beschrieb er die Rolle des verantwortlichen Staatsmanns, der in der Not als Dictator oder jedenfalls auf unkonventionelle Weise dem bedrohten Gemeinwesen zu Hilfe kommt. Er besaß nicht die Sicherheit Catos, nach der es vor allem darauf ankam, die Republik gegen jede Übermacht zu verteidigen, also gleichsam jeden Angriff abzuschlagen, damit sie dann wieder rechtmäßig arbeite. Vielmehr suchte er, da er in der Parteiung zwischen Cato und Pompeius nicht festgelegt war, theoretisch und distanziert das Ganze der Republik zu bedenken. Und in seiner weichen, empfindlichen, nervösen Art schien ihm, daß man dringend eingreifen müsse, um Abhilfe zu schaffen. Aber Cicero konnte nur theoretische Konzepte anbieten. Und bei jenem verantwortlichen Staatsmann dachte er auch nicht an Pompeius, sondern eher an sich selbst. Denn am wichtigsten war ihm die philosophische Bildung, wobei ihm Plato Pate gestanden hatte. Die entscheidende Schwierigkeit war, daß die altrömische Dictatur mit ihren umfassenden Vollmachten die Macht der republikanischen Institutionen vorausgesetzt hatte, das selbstverständliche Vertrauen – und Selbstvertrauen – der Gesellschaft, deren Mißbrauch ausschließen zu können. Gerade daran fehlte es jetzt. Eben aus dem Grunde, aus dem man an einen Einzelnen als Retter hätte denken können, kam also kein Einzelner dafür in Frage: War er machtlos, so konnte er nichts bewirken. Hatte er Macht, so begegnete er größtem Mißtrauen. Und man stand auch nicht, wie bei Sulla, vor der Aufgabe, einen Sieger im Bürgerkrieg mit dem von ihm gewünschten Magistrat zu versehen. So brachte der Ruf nach der Dictatur nur böses Blut. Pompeius selbst – mit dem »rechtschaffenen Gesicht«, dessen er
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sich erfreute und das nach Sallust seinen »schamlosen Sinn« verbarg – wies es öffentlich weit von sich, danach zu streben. Aber keiner glaubte ihm. Und keiner wollte ihn. Er verlor nur weiter an Kredit. Der rumor dictatoris war der guten Gesellschaft unangenehm. Während man sich in Rom ergebnislos stritt, fuhr Caesar fort, seine militärischen Leistungen zu demonstrieren. Im nächsten Jahr sollte offenbar Britannien erobert werden. Die Römer verfolgten es gespannt; zahlreiche junge Adlige fuhren zu Caesar, um als Offiziere an der Invasion teilzunehmen. Auch eine große Zahl von Kaufleuten wollte ihn begleiten. Unersättlich schien Caesar zu sein; die Eroberung Galliens reichte ihm offenbar nicht. Seine und seiner Soldaten Anstrengungen und Erfolge führten nur dazu, daß er seine Ziele weiter steckte. Rom hatte gegenüber gefährlichen Rivalen nie seine Sicherheit in einem Gleichgewicht der Kräfte gesucht, sondern stets darin, daß es diese Rivalen beseitigte. Im übrigen jedoch ließ man es an den Grenzen gern dabei, die verschiedenen Kräfte gegeneinander auszuspielen. Aber mit diesen Grundsätzen hatte Caesars Politik nichts zu tun; sein Ausgreifen konnte nur kein Ende finden. Mit einer großen Armada aus mehr als achthundert Schiffen, die privaten der römischen Kaufleute eingerechnet, setzte er über. Den ganzen Winter über hatten die Soldaten in Gallien zusammen mit Ingenieuren und Handwerkern an einer neuen Flotte gebaut. Denn Roms Soldaten mußten sich auch auf solche Arbeiten verstehen. Caesar selbst hatte Formen und Maße der Schiffe festgesetzt: niedriger, breiter und manövrierfähiger sollten sie sein. Um Unruhen vorzubeugen, nahm er die führenden Gallier mit Ausnahme der wenigen, bei denen ihm die Treue gesichert schien, mit. Fünf Legionen und zweitausend Reiter umfaßte die Expeditionsarmee. Drei Legionen und ebensoviele Reiter mußten zurückgelassen werden, um die Häfen zu schützen, für Nachschub zu sorgen und die Vorgänge in Gallien zu beobachten.
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43 Auf der zweiten Münze findet sich ein Bildniskopf des Lucius Brutus. Ihm gegenübergestellt wird das Porträt eines anderen Ahnen des Münzmeisters: Gaius Servilius Ahala; auch dieser ein Freiheitsheld, der einen angeblich nach Alleinherrschaft strebenden Plebejer auf offenem Forum eigenhändig erschlagen hatte. Die gegen Pompeius gerichtete Drohung ist bei aller Verschlüsselung der Aussageform unverkennbar. Die Landung bereitete diesmal keine Schwierigkeit. Der Anblick der achthundert Schiffe, welche nahezu gleichzeitig am Horizont erschienen, hatte den Briten solchen Schrecken eingejagt, daß sie sich vom Ufer zurückzogen. Als die Armeen sich begegneten, brachten sie aber die Römer durch ihre höchst bewegliche Kampfesweise in große Bedrängnis. Ihre Hauptwaffe bildeten Streitwagen, welche anfangs schnell und mit fürchterlichem Getöse über das Schlachtfeld jagten und von denen aus sie die Römer zunächst beschossen, danach bald hier bald dort angriffen. Die Kämpfer wurden jeweils abgesetzt und nach Bedarf in rascher Fahrt wieder aufgenommen, um an eine andere Stelle gebracht zu werden. Die römischen Cohorten waren viel zu schwerfällig, um es mit ihnen aufnehmen
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zu können. Aber auch die Reiterei geriet durch die geschickten feindlichen Operationen in Verwirrung. In der folgenden Nacht scheint Caesar in aller Eile eine neue Taktik entworfen und seine Offiziere entsprechend instruiert zu haben. Jedenfalls gelang es dann, die Briten durch elastische Kampfführung sowie durch eine heftige Attacke zu schlagen. Fortan wichen sie den Römern aus, sie verschwanden von der Bildfläche, um überraschend irgendwo aufzutauchen und bei günstiger Gelegenheit über die Römer herzufallen. Caesars Armee erreichte die Themse und überquerte sie. Doch siegen konnte sie nicht. Es gab keine Beute; einige Stämme ergaben sich, weil sie mit dem von der Mehrzahl gewählten Führer Cassivellaunus verfeindet waren; aber die mußten natürlich besonders schonend behandelt werden. Als ein Sturm die Flotte stark mitnahm und Caesar für die Wiederherstellung der Armada sorgen mußte, ging viel Zeit verloren. Ohnehin hatte sich die Abfahrt nach Britannien wegen widriger Winde um drei Wochen verzögert. Ständig lag die Furcht über der Armee, überfallen und vom Festland abgeschnitten zu werden. Ein Angriff auf den Hafen konnte zwar abgeschlagen werden, aber man hatte Angst vor einer Wiederholung. Und im Rücken lag das unruhige Gallien, in dem es gerade eine Mißernte gegeben hatte. Der Feldherr selbst endlich war beunruhigt über Pompeius’ Dictaturpläne. So nahm Caesar einen militärischen Erfolg und ein Friedensgesuch des Cassivellaunus zum Anlaß, den Feldzug abzubrechen. Er erlegte den Briten eine Steuer auf, ganz als wären sie schon römische Provinz. Sie haben sie gewiß nie entrichtet. Um den 20. September kehrte das römische Expeditionskorps nach Gallien zurück. Nicht nur ein Feldzug und ein Jahr waren verloren. Vielmehr hatte Caesars sieghafte Gewißheit immer weiteren Ausgreifens einen ersten schweren Rückschlag erlitten. Er mag gehofft haben, im nächsten Jahr zum Ziel zu kommen, mag sich aber auch vorgenommen haben, sich zunächst nach Germanien oder gegen die Illyrer zu wenden. Wahrscheinlich drängte ihn seine Ungeduld, sein Suchen nach spektakulären Erfolgen, seine Hoffnung auf Beute noch immer weiter. In Wirklichkeit
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hatte er sich übernommen. Nur ist unklar, ob er es damals schon wußte. Andernfalls hat es ihn die Lage in Gallien bald gelehrt. Zu dem Rückschlag kam die Nachricht, daß Caesars einzige Tochter, Julia, im Wochenbett gestorben war. Er hatte offenbar sehr an ihr gehangen; jedenfalls war er tief getroffen. Von Julia wissen wir so gut wie nichts. Sie wird zu den wenigen Vertrauten gehört haben, die er hatte. Vielleicht war sie gar die wichtigste unter ihnen; oder die einzige. Denn wir hören von keinem Freund Caesars. Wohl hatte er politische Verbündete und vor allem Getreue und Anhänger. Aber wann immer wir Näheres von denen erfahren, finden wir sie wenig eingeweiht in das, was ihn beschäftigte oder was er vorhatte. Vielmehr sind sie immer nur mit gewissen politischen Richtlinien und Aufträgen versehen. In seinem Innern war Caesar wohl immer einsam, und er wurde es durch den Tod der Tochter noch mehr. Wer sollte ihn auch verstehen? Seine Trauer hat Caesar sich, wie berichtet wird, kaum anmerken lassen. Was ihn erschütterte, gehörte nicht an die Oberfläche. Nach drei Tagen übte er das Kommando wieder aus. Einer unserer späteren Autoren berichtet, er habe den Schmerz so schnell besiegt, wie er alles zu tun pflegte. Caesars Zeitgenosse Cicero war nicht dieser Meinung. Und sie gibt, sofern sie mehr meint als die äußere Disziplin, wohl eher ein Klischee wieder. Pompeius wollte Julia auf einem seiner Güter beisetzen. Aber »das Volk«, wer immer das gewesen sein mag, entführte sie von der Leichenfeier und verbrannte sie auf dem Marsfeld. Dort wurde sie wie ein hochverdienter Bürger auch beigesetzt. Caesar revanchierte sich, indem er wider das Herkommen für die Tochter Gladiatorenspiele und ein Festessen versprach. Zu der Trauer kam ein politisches Problem. Denn Caesars Einvernehmen mit Pompeius hatte zum guten Teil an Julia gehangen. In der Liebe zu ihr trafen sich beide, und sie scheint viele Konflikte und Schwierigkeiten ausgeräumt zu haben. Auch Caesars politische Isolation wuchs also. Das war besonders schlimm angesichts der innenpolitischen Anarchie und
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der Bemühungen des Pompeius um eine Dictatur. Jetzt mochte es so scheinen, wie wenn die Schwäche von Senat und Magistraten, auf die Caesar bisher so kräftig hingearbeitet hatte, zu einem Sondervorteil seines Verbündeten und Rivalen umschlagen konnte. Vielleicht war Caesar selbst überrascht, wie schnell es so gekommen war. Was er in dieser Situation erhoffte und anstrebte, wissen wir nicht. Gegen Pompeius hatte er kaum etwas zu setzen, zumal auch Crassus abwesend war. Vermutlich verlegte er sich darauf, ihm für jeden möglichen Fortschritt Gegenleistungen abzuverlangen. Er versuchte übrigens, wohl im Jahre 53, Pompeius für ein neues Heiratsbündnis zu gewinnen. Seine Großnichte Octavia, die Schwester des späteren Augustus sollte in Julias Rolle eintreten; er selbst wollte sich scheiden lassen und Pompeius’ Tochter zur Frau nehmen. Aber Pompeius lehnte ab. Im Herbst 54 brach in Gallien ein Aufstand los. Die Gallier hatten inzwischen unter Schmerzen wahrzunehmen gelernt, was ihnen so überraschend widerfahren war, was es bedeutete, nicht mehr frei zu sein; Steuern zahlen und Truppen stellen zu müssen, Einmischungen in ihre inneren Verhältnisse zu dulden. Vor allem konnten sich, wie Caesar schreibt, gerade die Stamme, die wegen ihrer Tapferkeit alle anderen übertrafen, »nicht damit abfinden, daß sie sich der römischen Herrschaft beugen mußten«. Sie begannen zu begreifen, daß sie ein gemeinsames Interesse gegen Rom hatten. Wegen der Getreideknappheit hatte Caesar die Winterlager der Legionen auf verschiedene Gegenden Galliens verteilen müssen. Er selbst hatte vor, sich wie üblich nach Oberitalien zu begeben. Da ermordeten die Carnuten den von ihm eingesetzten König. Die Eburonen lockten unter ihrem Fürsten Ambiorix die in ihrem Gebiet einquartierten eineinhalb Legionen in eine Falle, in der sie sie bis auf wenige Männer aufrieben. Das war ein beispielloser Verlust in Caesars Kriegen. Auf die Nachricht hin beschloß er, sich Bart und Haar nicht eher scheren zu lassen, als bis er sich gerächt hätte. Dann bestürmten die Eburonen zusammen mit den Nerviern und den Atuatucern
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44 Antipompeianisch ist auch eine Münze des Marcus Valerius Messalla aus dem Jahr 53. Dessen Vater war gerade amtierender Consul, worauf die Münze inschriftlich Bezug nimmt: Messa[lla] F[ilius] Patre Co[nsule]. Vorderseite: Brustbild der Roma, mit einem Speer über der Schulter. Rückseite: der magistratische Amtsstuhl, die sella curulis, und darunter ein Szepter (vgl. Abbildung 40); das Herrschaftssymbol wird unmißverständlich dem Wahrzeichen legitimer magistratischer Amtsgewalt untergeordnet. das im Gebiet der Nervier gelegene Legionslager. Sie wandten die römische Belagerungstechnik, die sie inzwischen gelernt hatten, vorzüglich an. Ihre Türme, Schilddächer und Belagerungswerke fanden nachher Caesars Bewunderung. Als ein Sturm aufkam, sandten sie glühende Wurfspieße auf die Barakken im römischen Lager, so daß die in Flammen aufgingen. Währenddessen griffen sie an: In Hitze und Qualm und unter einem Hagel von Geschossen mußten die Römer sich gegen eine Übermacht verteidigen. Aber sie leisteten ausdauernd Widerstand, bis Caesar sie entsetzte; nicht einmal jeden zehnten fand er ohne Verwundung.
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Zum Auftakt des Feldzugs hatte Caesar die Gallier, die seinen Anmarsch bemerkt hatten und mit großer Übermacht herangerückt waren, überlistet. Er hatte nämlich sein Lager enger bauen lassen, um noch schwächer zu erscheinen. Die Reiter hatte er im Gefecht vor den Feinden weichen lassen. Bei der Befestigung des Lagers hatten die Soldaten aufgeregt hin und her laufen müssen, wie wenn Angst sie triebe. So hatten die Gallier geglaubt, gewonnenes Spiel zu haben und sich auf ein ungünstiges Gelände vorgewagt. Durch einen Ausfall aus allen Toren hatte Caesar sie dann besiegt. Damit brach der Aufruhr fürs erste zusammen. Aber Caesar konnte nicht wagen, Gallien zu verlassen. Er überwinterte mit drei Legionen bei Samarobriva (dem heutigen Amiens). Dort befanden sich große römische Arsenale mit dem gesamten schweren Kriegsgerät, ferner die Geiseln, das Archiv und sehr viel Getreide. Den ganzen Winter über gingen beunruhigende Meldungen ein. Caesar berief die führenden Männer aller Stämme zu sich und konnte erreichen, daß viele Rom treu blieben. Aber Einige waren gar nicht erst gekommen, und fast allen Anwesenden gegenüber hegte Caesar Verdacht. Die Treverer erhoben sich noch während des Winters. Ihr Fürst Indutiomarus berief einen »bewaffneten Landtag« ein. Das bedeutete Kriegseröffnung. Jeder Wehrfähige hatte sich bewaffnet einzufinden, und zwar sofort; wer zuletzt kam, wurde vor allen anderen unter Marterqualen getötet. Der römische Kommandeur aber, dessen Lager Indutiomarus stürmen wollte, wandte dieselbe Taktik an wie Caesar: Er reizte den Feind durch vorgetäuschte Furchtsamkeit und konnte ihn schlagen. Der Fürst selbst wurde gefangengenommen und getötet, sein Haupt stolz ins römische Lager gebracht. »Danach hatte Caesar etwas mehr Ruhe in Gallien.« Im Frühjahr 53 ließ Caesar dann »in Erwartung eines größeren Aufstands« neue Aushebungen vornehmen. Zwei Legionen wurden aufgestellt, eine weitere lieh er sich von Pompeius. Die verlorenen Truppen waren damit doppelt ersetzt. Die Gallier sollten sehen, wie rasch Rom eine neue Armee
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aufzubieten vermochte. Noch während des Winters erfolgte ein Überraschungsschlag gegen die Nervier. Bevor sie sich versammeln konnten, hatte Caesar schon große Mengen von Menschen und Vieh in seine Hand gebracht und die Felder verwüstet, so daß sie sich ergaben. Ähnlich unverhofft überfiel er die Senonen und Carnuten, um sich dann gegen Ambiorix und dessen Verbündete zu wenden. Zunächst wurden die Menapier überrumpelt, danach die Treverer besiegt. Weil die Germanen den Aufständischen Hilfstruppen gesandt hatten, ging Caesar ein zweites Mal über den Rhein. Da aber die Sueben, die er bekriegen wollte, sich weit zurückgezogen hatten, kehrte er wiederum rasch um, ließ jetzt aber von seiner Brücke nur die ersten zweihundert Fuß am rechten Ufer abbrechen, um den Rest als ständige Drohung stehen zu lassen. An seinem Ende errichtete er einen vier Stockwerke hohen Turm, zwölf Cohorten (etwa sechstausend Mann) ließ er hinter starken Befestigungen zurück. Unmittelbar darauf rechnete er mit den Eburonen ab. Es ging wieder so rasch, daß er sie unvorbereitet traf. Ambiorix floh, seine Stammesgenossen versteckten sich überall im Land. Darauf lud Caesar die Umwohner ein, das Land zu plündern. Die Eburonen sollten, wie er schreibt, »für ihr Verbrechen mit Stumpf und Stiel ausgerottet werden«, und seine eigenen Soldaten wollte er diese Arbeit nicht verrichten lassen. So waren die Gefallenen gerächt. Ein Feldzug war auf den anderen gefolgt; die Gallier hatten Caesar offenbar immer noch nicht genügend kennengelernt. Sie konnten wohl auch ihre Kräfte nicht recht zusammenfassen, konnten sie nicht so gut versorgen und waren zu naiv, um die ganze Raffinesse der caesarischen Blitzkriege zu begreifen. Im Herbst stellte Caesar auf einem Landtag eine Untersuchung gegen die Senonen und Carnuten an. Den Anführer ihres Aufstands verurteilte er: er wurde zu Tode geschlagen und dann enthauptet. Nachdem er die Legionen ins Winterlager geschickt und versorgt hatte, begab Caesar sich nach Italien. Ob er wirklich sicher war, daß Gallien ruhig bliebe, ist unklar. Aber er mußte sich jedenfalls um Rom kümmern.
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Die Zeit der großen Erfolge war vorbei. In Gallien ging es nur noch um die Behauptung des Gewonnenen, und die war schwierig genug. Weitere Eroberungen konnte er sich kaum mehr erhoffen. Nur drei Jahre standen ihm noch zur Verfügung. Inzwischen war Crassus nach einer schweren Niederlage im nördlichen Mesopotamien, bei Carrhae (heute Haran an der türkisch-syrischen Grenze) umgekommen. Die von ihm überfallenen Parther hatten seine Armee vernichtend geschlagen. Die feierliche Verfluchung beim Auszug hatte sich erfüllt. Caesar verlor damit seinen wichtigsten Verbündeten. Er hatte Crassus stets als Gegengewicht gegen Pompeius gebraucht. Weil die Beziehungen zwischen den beiden gespannt waren, war Caesar ihnen gegenüber mächtig gewesen. Wäre Crassus in Rom geblieben, hätte Caesar den Dictatur-Plänen des Pompeius viel besser Paroli bieten können; auch vom Osten her aber hatte Crassus dazu beitragen können, die schwierige Balance zwischen den dreien zu erhalten. Jetzt konnte Pompeius jede Schwäche Caesars zum eigenen Vorteil ausnützen. Und die Gelegenheit dazu bot sich bald. Anfang 52 hatten sich nämlich die innenpolitischen Kämpfe erneut zugespitzt. Wieder hatten keine Magistrate gewählt werden können. Man hatte nicht einmal einen Interrex, weil selbst dessen Einsetzung durch Freunde des Pompeius verhindert worden war. Die Wahlkämpfe waren diesmal besonders heftig, ja gewaltsam, weil Clodius und Milo sich bewarben, der eine um die Praetur, der andere um das Consulat; und beide setzten ihre Banden ein. Milos Mitbewerber hatten sich ebenfalls Söldnertruppen zugelegt. Am 18. Januar schließlich wird Clodius bei einem bewaffneten Zusammenstoß verwundet und dann auf Befehl des Milo ermordet. Die große Menge seiner Anhänger in der Stadt ist aufs äußerste erregt. Zwei Volkstribunen lassen den Toten, blutverschmiert wie er ist, auf das Forum bringen und auf der Rednertribüne aufbahren. Sie beklagen seine Ermordung; unter der Führung des bekanntesten der clodianischen Bandenführer trägt die Menge den Leichnam dann in das
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Senatshaus, die Curia Hostilia. Dort türmen sie die Bänke auf, bringen aus der Nachbarschaft Holz zusammen, die Podien und Bänke der Tribunale, die Tische der Buchhändler auf dem Argiletum, nehmen noch die Bücher dazu. Clodius wird mitsamt der Curie verbrannt. Das war ein Fanal. Der Senat diente als Scheiterhaufen für den Volksführer. Die Menge feierte einen symbolischen Vernichtungssieg, demonstrierte ihre ohnmächtige Macht, einen großen Moment lang genoß sie ihre Herrschaft, die nur noch negativ sein konnte. Es muß wie ein Rausch gewesen sein – zumal auch die benachbarte Basilica Porcia Feuer fing. Weil sein Regiment nicht mehr in der Lage war, der Gewalttätigkeit zu wehren, ging der Senat in Flammen auf, als die Gewalt in der Ermordung des populären Bandenführers kulminierte. Es brannte das Haus, von dem aus Rom und die ganze Welt regiert worden waren. Rom hatte in der Spannung von Kräften und Gegenkräften gelebt. Jetzt, da diese Spannung stark nachgelassen hatte, wucherte die freigesetzte Gewalt aus und konzentrierte sich mit einer gewissen Notwendigkeit, nunmehr vernichtend, auf das alte Zentrum. Doch leiteten Clodius’ Ermordung und der Brand des Senats zugleich eine Wendung der römischen Politik ein. Es konnte gar kein Zweifel darüber bestehen, daß der Senat jetzt auf die Macht und die Fähigkeit des Pompeius zurückgreifen mußte, um die Ordnung in der Stadt wieder herzustellen. Das aber sollte zugleich auf eine wesentliche Stärkung des Senatsregimes hinauslaufen. Selbst Cato fand, jede Regierung sei besser als die Anarchie. Noch im Januar wurde ein senatus consultum ultimum erlassen, das Pompeius mit der Sicherung der öffentlichen Ordnung betraute. Weil das nicht mit einem Schlag zu erledigen war, begann er mit größeren Aushebungen: Die Sicherheit Roms sollte mit militärischen Mitteln hergestellt werden. Daran schlossen sich lange Verhandlungen. Denn Pompeius wollte endlich die schon länger angestrebte Dictatur erhalten, die Gruppe um Cato aber sperrte sich dagegen. Zeitweise stell-
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ten Caesars Anhänger ein gemeinsames Consulat der beiden Verbündeten zur Debatte. Aber sie können das schwerlich ernst gemeint haben: Alle gallischen Eroberungen hätten auf dem Spiel gestanden, wenn Caesar nach Rom gegangen wäre. Übrigens spekulierten die Aufstandsplanungen der Gallier darauf, daß er es täte. Wohl hätte er den Krieg auch als Consul weiterführen können. Aber viel wichtiger war etwas anderes: Er mußte sehen, daß er am Ende seiner Statthalterschaft, ohne Privatmann zu werden, direkt ins Consulat übergehen konnte, um dem ihm drohenden Prozeß zu entgehen. Das Recht der Bewerbung in absentia war also die Kompensation, die er sich schließlich ausbedang. Dafür stimmte er zu, daß Pompeius erneut die oberste Magistratur erhielt. Die Form, in der das geschah, wurde vor allem mit Cato und dessen Freunden ausgehandelt. Angesichts der kollidierenden Interessen kam man auf den Ausweg, Pompeius zunächst zum Consul ohne Collegen zu wählen. Er hatte dann zwar ebenfalls einen ungewöhnlich großen Handlungsspielraum – und erfuhr eine besondere Ehre –, aber er hatte nicht die Vollmachten des Ausnahmemagistrats. Cato selbst konnte sich nicht dazu verstehen, es vorzuschlagen, aber Bibulus tat es, und Cato erklärte dazu, da es einmal vorgeschlagen sei, wolle er es gutheißen. Fast genau zwei Monate nach Clodius’ Ermordung konnte endlich Pompeius’ Wahl stattfinden. Er war am Ziel. Endlich wurde seine Sonderstellung von der Senatsmehrheit anerkannt. Nun war Pompeius entschlossen, alles zu tun, was in seiner Macht lag, um Sicherheit, Ordnung und Recht wiederherzustellen. Und er wollte es möglichst im guten Einvernehmen mit dem Senat tun. Er dankte Cato und beschloß, ihn zu seinem Ratgeber zu machen. Die Senatoren dachten allerdings zugleich daran, Pompeius auf die Dauer so weit zu sich herüberzuziehen, daß sie auf ihn auch gegen Caesar zählen konnten. Ob sie ihn dann später noch brauchten, mußte man sehen. Der Senat hatte schon beschlossen, den Wiederaufbau der Curie Sullas Sohn Faustus zu übertragen. Sie sollte nach dem Dictator Sulla die Cornelische heißen. Darin äußerten sich die
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Hoffnungen und der Anspruch des Hauses: Man wollte gegen die Anhänger des Clodius an den Mann wieder anknüpfen, der nach dem Sieg im Bürgerkrieg ein konsequentes Senatsregime hergestellt hatte. Es traf sich, daß Faustus mit Pompeius’ Tochter verheiratet war. Die Sitzung, auf der der Beschluß gefaßt wurde, fand im Pompeius-Theater statt. Der dortige Versammlungsraum mußte dazu erst durch eine religiöse Zeremonie vorbereitet werden: Denn gültige Senatsbeschlüsse konnten nur in einem entsprechend eingerichteten Raum gefaßt werden. So beugte sich der Senat dem Pompeius, indem er in dessen Curie tagte. Und er wollte gemeinsam mit ihm an Sulla anknüpfen. Ein neuer Anfang wurde gemacht. Trotz der Konzession, die Pompeius Caesar zunächst gemacht hatte, bedeutete diese Einigung eine große Erschwerung für den gallischen Statthalter. So großen Wert Pompeius noch lange auf das gute Einvernehmen mit Caesar legte – denn es machte ihn stärker gegenüber dem Senat –, so war er doch nicht mehr unbedingt darauf angewiesen. Caesar war in einer höchst schwierigen, wenn nicht verzweifelten Lage. Sechs Jahre lang hatte er nun unter großen Anstrengungen Krieg geführt. Stets hatte er zugleich die römische Innenpolitik im Auge behalten und auf sie einwirken müssen. Längst hatte er ganz Gallien erobert und weitere Eroberungen eingeleitet. In Rom hatte er sich unter größten Schwierigkeiten bedeutenden Einfluß erkämpft. Jetzt schien alles, was er sich aufgebaut hatte, zusammenzubrechen. Während er innenpolitisch unter großen Mühen rettete, was noch zu retten war, war in ganz Gallien von neuem, und diesmal in größtem Ausmaß, ein Aufstand entbrannt. Seit Ende 54 war seine Armee ruhelos hin- und hergezogen. Wohl hatte Caesar die Gegner, wo er hinkam, noch schlagen können. Aber oft nur mehr durch die unerhörte Schnelligkeit eines Überraschungsangriffs oder durch die äußerste Konzentration, in der er mit Intelligenz sowie dank der Tapferkeit und Disziplin seiner Soldaten einen weit überlegenen Gegner überlistete. Er hatte nur mehr bedingt die Initiative. Vor allem war gar nicht abzusehen, wo dieser Kampf enden
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sollte. Caesar konnte zwar manche harten Exempel statuieren, aber er mußte dabei gewisse Grenzen respektieren, um nicht alle gegen sich aufzubringen. So mußte er immer wieder Aufständische, die sich ihm ergaben, in Gnaden aufnehmen, obwohl vielfach unverkennbar war, daß es sich nur um eine Waffenpause handelte. Es fragt sich, wie Caesar diese ungeheuren Belastungen aushielt. Siebenundvierzig Jahre war er inzwischen alt, unendliche Anstrengungen hatte er auf sich nehmen, hatte längst meinen können, in Gallien am Ziel zu sein und in Rom sich dem Ziel zu nähern. Jetzt schien ihm alles zu entgleiten. Die Gallier triumphierten angesichts seiner innenpolitischen Schwierigkeiten, sie glaubten schon, er könne sich von Italien so bald nicht mehr abwenden. Man sollte annehmen, daß er oft der Verzweiflung mindestens recht nahe war, daß er das Äußerste aufbieten mußte, um sich zu behaupten. Voll Bitterkeit scheint er sich damals immer tiefer in die Welt eingegraben zu haben, die er, ganz auf sich gestellt, in seiner Statthalterschaft um sich aufgebaut hatte: die Welt seiner Armee, seines Wirkens, die Welt seiner Sache und wohl auch seiner Gedanken. Caesars Welt in Gallien Die Leidenschaft der Leistung erfüllt sich • Feldherrnkunst • Caesar und seine Soldaten • Diplomatie in Gallien • Gewöhnung an den großen Stil des Handelns • »Genialität der Selbstbezogenheit«: Gedanken an das angerichtete Unheil? • Verständnislosigkeit und Verdächtigungen in Rom Caesars Leben während seiner gallischen Statthalterschaft war ungemein intensiv und erfüllt. Es rastete gleichsam ein in eine Aufgabe, die ungeheuer groß war und die er doch meistern, an der er sich bewähren, an der er wachsen und in hohem Ausmaß das sein konnte, was zu sein er sich lange vorgenom-
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men hatte. Er nahm es mit einer riesigen Materie auf und bezwang sie in einer Form von Handeln und Leben, die seinem Selbstverständnis entsprach, es festigte und steigerte. Er schuf sich eine Welt, die ganz die seine war, auch wenn ihm nicht alles darin gehorchte, auch wenn er darin Schwierigkeiten und Nöte genug hatte, verzweifelt und gelegentlich gar versucht sein mochte, alles aufzugeben. Auch wenn sich seine Energie mit der Zeit öfter in Rastlosigkeit verlieren mochte. Das alles mochte sein Leben daran hindern, glücklich zu sein, mochte es ihm oft genug als Plage erscheinen lassen, mochte immer wieder Abgründe vor ihm eröffnen. Aber indem er dann stets neue Einsätze riskierte und zuletzt immer gewann, mußte er vor diesem Hintergrund sich selbst um so mächtiger erfahren. Und wie immer er es empfand, es war etwas Einzigartiges, wie er in dieser seiner Welt sich in seiner ganzen anspruchsvollen Art entfalten und ausleben konnte. Er kam in die Lage, daß er den ganzen Reichtum seiner Begabung nicht aufzusplittern brauchte zwischen Handeln und Verneinung, zwischen Selbstbewußtsein und Neid, zwischen Triumph und Jammer. Wohl mag er geklagt und geneidet haben, und gewiß hat er vieles negiert. Aber das war zunehmend nur mehr die Kehrseite seiner Bewährung, seiner Leistung, wie Ermüdung diejenige von Anstrengung ist, das heißt: Es lähmte, blockierte ihn nicht, er brauchte nicht zu dem geistvoll-zynischen Consular zu werden, als der er sich unter anderen Umständen vielleicht hätte bescheiden müssen, sondern er konnte nahezu alles verwirklichen, was in ihm steckte. Die Aufgabe hatte er sich selbst gesetzt. Sie war seine Sache. Darin lagen Freiheit und Bindung, denn sie gewann sehr rasch Eigengesetzlichkeit. In ihrer Erfüllung verfügte Caesar über sehr großen Spielraum, der ihm teils offenstand, teils von ihm gewonnen war. Der Erfolg war groß genug, um Anstrengung und Opfer zu lohnen, auch wenn Caesar zunächst gehofft hatte, es leichter zu haben und zudem weiter ausgreifen zu können. Und alles hing in höchstem Maße von ihm ab. So sehr er auf andere angewiesen war: Wie sie sich ihm fügten, wie sie für seine Sache wirkten, kämpften, sich hingaben, das
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war wesentlich sein Werk. Es bewährte sich darin seine Feldherrnkunst, Soldatenführung, seine Diplomatie; seine unermüdlichen Anstrengungen; sein Glück. Was Caesars Feldherrnkunst ausgemacht hat, ist schwer zu benennen. Jedenfalls besaß er große organisatorische Fähigkeiten, vermochte vorausschauend zu planen, verfügte über geniale Wachheit und Umsicht. »Entsetzlich rege, schnell und umsichtig« nennt Cicero ihn. Der griechische Historiker Cassius Dio rühmt ihm nach, daß er alles, was notwendig war, mit äußerster Schärfe erkannte, überzeugend zu interpretieren wußte, um es dann höchst geschickt anzupacken. Auch wenn er es in seiner Selbstdarstellung übertrieben haben mag, muß Caesar es recht weitgehend vermocht haben, jeweils die verschiedensten Möglichkeiten einzukalkulieren und sich auf sie zu wappnen. Er kannte die Macht des Zufalls und hatte Einbildungskraft genug, um sich jeweils vorzustellen, was alles passieren konnte. Er plante sehr genau. Nicht den geringsten Raum dürfe man dem Zufall lassen, war eine seiner Devisen. Einmal nennt er es einen Fehler, der der menschlichen Natur allgemein eignet, daß in uns das Überraschende mehr Vertrauen oder auch heftigeres Erschrecken erregt als das Bekannte. Diesen Fehler suchte er bei sich zu vermeiden und bei anderen zu nutzen. Durch die Intelligenz seiner Kriegführung war er gerade den Galliern weit überlegen, die zwar sehr tapfer, aber nicht listig waren und vor allem nicht Distanz genug zum Geschehen besaßen, um je die Fülle der Möglichkeiten einzuschätzen und um nicht auf den ersten Eindruck hereinzufallen, den Caesar ihnen vermittelte. Caesar muß aber auch den Mut, den Takt des Urteils, die Entschlossenheit und Besonnenheit besessen haben, durch die Clausewitz den »kriegerischen Genius« ausgezeichnet sieht; die Fähigkeit zum »schnellen Treffen einer Wahrheit, die einem gewöhnlichen Blick des Geistes gar nicht sichtbar ist oder es erst nach langem Betrachten und Überlegen wird«; die Entschlossenheit, die »eine Gewohnheit der Seele« werden kann,
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des Mutes nicht nur »gegen körperliche Gefahr, sondern ... gegen die Verantwortung, also gewissermaßen gegen Seelengefahr«; Geistesgegenwart, Festigkeit und Gemütsstärke, nicht zuletzt die Präzision im Einsatz der Unterführer. Hinzu kam die große Phantasie im Finden und im Einsatz technischer Mittel. Nicht zuletzt war Caesar aufmerksam, wendig und lernfähig genug, um das Kriegsgeschehen stets neu zu überdenken und seine eigene Strategie und Taktik auch grundsätzlich immer wieder umzustellen. Wir beobachten jedenfalls große Veränderungen in der Art seiner Kriegführung. Insgesamt scheint er die römische Militärtechnik, Taktik und Strategie auf eine neue Stufe gebracht zu haben. Und er hat sein Wissen offenbar auch in Können umzuwandeln gewußt. Denn »die geistige Reaktion, die ewig wechselnde Gestalt der Dinge macht« ja, »daß der Handelnde den ganzen Geistesapparat seines Wissens in sich tragen, daß er fähig sein muß, überall und mit jedem Pulsschlag die erforderliche Entscheidung aus sich selbst zu geben. Das Wissen muß sich also durch diese vollkommene Assimilation mit dem eigenen Geist und Leben in ein wahres Können verwandeln« (Clausewitz). Die Abläufe des Krieges lassen vermuten, daß Caesar seine Unternehmungen selbst dort, wo er es nur mit einzelnen Stämmen zu tun hatte, nach allen Seiten sichern, daß er in Planung und Vorbereitung stets große Teile Galliens im Auge haben mußte. Es ist kaum zu bezweifeln, daß er sich auch in der Anlage der Feldzüge und Kriege als bedeutender Feldherr erwies. Er konnte weiträumig disponieren und wußte gewaltige militärische Mittel einzusetzen. Wo wir genauer informiert sind, etwa bei den großräumigen Operationen gegen Ambiorix im Jahre 53 sowie bei der umfassenden Strategie, die Caesar dann gegen den Aufstand des Vercingetorix ins Werk setzte, bestätigt sich das. Dabei spielt seine berühmte Schnelligkeit, die Strategie der Überraschungsschläge, des »Blitzkriegs«, eine wesentliche Rolle. Sie half ihm, sich in der Weite des gallischen Raums durchzusetzen. Die Schwierigkeit, der er sich dabei auf die Dauer konfrontiert sah, muß außerordentlich gewesen sein. Dank der
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großen Freiheitsliebe der Gallier mußte er an sehr vielen Orten gleichzeitig mit tapferen, gefährlichen Feinden rechnen. Sie zu besiegen, war oft nicht möglich, wenn sie nämlich den Kampf frühzeitig abbrachen und um Frieden baten. Denn den konnte Caesar ihnen zumeist kaum verweigern. Aber er hatte keinerlei Gewähr, daß sie nicht bei nächster Gelegenheit wieder losschlugen. Zwar ließ er sich stets Geiseln geben. Merkwürdigerweise sagt er nie, was er mit denen machte. Oft genug hätte er Grund gehabt, sie hinzurichten. Vielleicht hat er es verschiedentlich auch getan, genützt hat es dann aber wenig. Durch diese Schwierigkeiten unterschied sich Caesars Krieg sehr von den Feldzügen etwa Alexanders oder des Pompeius, bei denen ein König die Seele des Widerstands war und man sein Reich, sobald man ihn wirklich besiegt hatte, unterwerfen konnte. Er unterschied sich auch von zahlreichen Kriegen der Römer, in denen eine Macht gegen die andere stand. Hier handelte es sich um eine Vielzahl von Mächten, ein insgesamt unruhiges Gebiet und, um es zu wiederholen, um sehr tapfere Feinde. Wie Caesar Gallien unter diesen Umständen bezwang, überlegen, kühn, schnell, energisch und beharrlich, das erweist ihn als einen der großen Feldherrn der Antike und der Weltgeschichte. Nicht umsonst hat er die uneingeschränkte Bewunderung Friedrichs des Großen, Napoleons und vieler anderer gefunden. Zu dieser Leistung hat dann aber wesentlich auch beigetragen, daß Caesar ein begnadeter Soldatenführer war. Seine Armee stellte ein hervorragendes militärisches Instrument dar. Seine Soldaten waren tapfer, ausdauernd und erfahren. Sie konnten zur Not auch ohne Befehle das Nötige tun. Aber sie konnten das nicht alles von vornherein, sondern sie mußten es erst lernen. Manches davon hat Caesar ihnen beigebracht, indem er mit ihnen exerzierte, die Geschehnisse und Eigenarten der Feinde durchsprach und sie immer neue Taktiken und Techniken lehrte. Er muß sie aber auch mit seinem Willen beseelt haben, im einzelnen, indem er sie anfeuerte, im ganzen, indem er in ihnen mächtigen soldatischen Stolz und die Lei-
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denschaft der Aufgabe hervorrief. Dafür sprechen zahlreiche Zeugnisse bewundernswerten Einsatzes und treuer Hingabe. Die Anforderungen, die Caesar an seine Armee stellte, waren hoch. Aber in einer »bis zur höchsten Anstrengung getriebenen Tätigkeit« lernt ja, um noch einmal Clausewitz zu zitieren, »der Krieger seine Kräfte kennen. Je mehr ein Feldherr gewohnt ist, von seinen Soldaten zu fordern, um so sicherer ist er, daß die Forderung geleistet wird. Der Soldat ist ebenso stolz auf überwundene Mühseligkeit als auf überstandene Gefahren«. Indem Caesar diesen Stolz mit seinen Soldaten teilte, waren die schweren Kämpfe, langen Märsche, die unendlichen Erdbewegungen, die bei Lagerbau wie Belagerung ständig zu bewältigen waren, nicht nur beschwerlich, sondern gingen sie als Bewußtsein siegreichen Könnens ein in die Ehre dieser Armee. Um dazu ein letztes Mal Clausewitz anzuführen: »Von allen großartigen Gefühlen, die die menschliche Brust in dem heißen Drange des Kampfes erfüllen, ist, wir wollen es nur gestehen, keines so mächtig und konstant wie der Seelendurst nach Ruhm und Ehre, den die deutsche Sprache so ungerecht behandelt, indem sie ihn in Ehrgeiz und Ruhmsucht, durch zwei unwürdige Nebenvorstellungen, herabzusetzen strebt.... Ihrem Ursprunge nach sind diese Empfindungen gewiß zu den edelsten der menschlichen Natur zu zählen, und im Kriege sind sie der eigentliche Lebenshauch, der dem ungeheuren Körper eine Seele gibt.« Alle möglichen anderen Motive sind unter Umständen bedeutsam, allein, »sie machen nicht, wie der Ehrgeiz tut, den einzelnen kriegerischen Akt zum Eigentum des Anführers« und, wie zu ergänzen, der Armee. Indem die Soldaten sich die kriegerische Leistung derart zu eigen machten, bildete diese den Maßstab, an dem sie gemessen werden wollten. Allen Wert, den Bewährung und Erfolg für den Menschen haben können, suchten sie im Metier des Krieges. Da Caesar mindestens den Sommer über jeweils mit seinem Heer lebte, kannte er nicht nur die höheren, sondern auch die
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45 Caesar. Kolossale Panzerstatue des frühen 2. Jahrhunderts n. Chr. Rom, Kapitolinisches Museum. Über die Schulter trägt er den Feldherrnmantel.
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Subalternoffiziere und Unteroffiziere. Ständig war er unterwegs, um seine Truppen zu inspizieren. Trotz seiner keineswegs kräftigen körperlichen Konstitution teilte er Gefahren, Strapazen und Entbehrungen mit allen. Er soll sogar versucht haben, durch lange Märsche und karge Kost, ständigen Aufenthalt unter freiem Himmel und harte Anforderungen an seinen Körper seine Kränklichkeit zu überwinden. In sengender Hitze marschierte er vor der Armee, begab sich, wenn es not tat, während der Schlacht in die vordersten Reihen; hat seine Soldaten, wenn sie einmal wichen, zum Stehen gebracht, indem er sie einzeln anhielt und wieder gegen den Feind wandte. Für sich nahm er keine Privilegien, sondern nur höhere Pflichten und, allerdings, bessere Einsicht in Anspruch. Aber gerade an der Einsicht ließ er die Soldaten teilnehmen. Denn er hat ihnen keineswegs nur befohlen, sondern sie auch zu überzeugen gewußt. Er orientierte sie über die Lage, teilte ihnen in wichtigen Situationen seine Überlegungen mit. Er nahm sie bei aller Sicherheit und Überlegenheit seines Auftretens und Befehlens als Kameraden. Sie hatten das Gefühl, daß er sie kannte und daß sie sich auf ihn verlassen konnten. Von Caesars Führung gingen Kraft und Sicherheit aus. Man wußte, daß er seinen Soldaten nichts Unnötiges zumutete. Durch sein Vorbild, durch die mitreißende, überzeugende Art, in der er ihnen höchste Leistungen abverlangte, scheint er erreicht zu haben, daß sie alles taten, um sich vor ihm zu bewähren. »Zeigt unter unserer Führung dieselbe Tapferkeit, die ihr so oft unter eurem Feldherrn bewiesen habt. Stellt euch vor, er sei hier und sehe allen zu«, so feuert einer seiner Legaten, nach Caesars Bericht, seine Soldaten an. Und im Notfall, wenn die Umstände schwierig wurden, war Caesars Zuversicht stark genug, um die Moral seiner Soldaten wieder aufzurichten. Dann gingen seine »Tatkraft und wundervolle Heiterkeit« auf sie über. Sie müssen wohl, wie er selbst, an Caesars Glück geglaubt haben. Die Weise, in der Caesar seine Soldaten ansprach, war souverän. Nie buhlt er um sie; je mehr er auf sie angewiesen ist,
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um so weniger läßt er es sie merken. So stellt er es jedenfalls in seinen Schriften dar. Aber die Umstände seiner Feldzüge und seine Erfolge lassen den Schluß zu, daß das Bild im ganzen wohl nicht falsch ist. Als einmal der Mangel an Nahrung den Soldaten arg zusetzte, bot Caesar ihnen an, die Unternehmung abzubrechen, wenn sie ihnen zu schwer würde. Schamlos und mit ungemeinem Raffinement forderte er ihren Stolz heraus, so daß sie über seine Zumutung empört waren. Als Pompeius später im Bürgerkrieg das aus Kräutern gebackene Brot sah, mit dem sich Caesars Soldaten ernähren mußten, fand er, er habe es anscheinend mit wilden Tieren zu tun. In heiklen Situationen machte Caesar sich den Korpsgeist der einzelnen Einheiten und deren natürlichen Wetteifer zunutze, indem er an die Bewährtesten appellierte, um die anderen mitzureißen. Vermutlich hat er nie vergessen, die Tapferen zu ehren. Er war mit Belohnungen und Beförderungen großzügig. Er soll seine Soldaten auch mit silber- und goldverzierten Waffen ausgestattet haben. Denn es war ihm auch um ihr Äußeres zu tun. Außerdem wollte er, daß sie im Kampf auf ihre Waffen achteten und sie nicht verloren. Großen Wert legte Caesar auf den Nachschub, sorgte, so gut er konnte, für seine Soldaten. Wenn einmal genügend Getreide vorhanden war, verteilte er es unter sie ohne Rücksicht auf das festgesetzte Maß. Er war streng und nachsichtig zugleich. Bei Meutereien und Desertionen gab er kein Pardon; in der Nähe des Feindes achtete er auf genaueste Disziplin. Dann erwartete er ständige Alarmbereitschaft, gab etwa den Zeitpunkt für Gefecht oder Abmarsch vorher nicht bekannt, sondern befahl den Aufbruch plötzlich. Oft ließ er die Soldaten auch ohne Grund ausrücken, mit Vorliebe bei Regen und an Feiertagen. Im übrigen drückte er gern ein Auge zu. »Manchmal, nach einer großen Schlacht befreite er seine Leute von jeder Dienstleistung und erlaubte ihnen, herumzustreifen und sich jedem Vergnügen hinzugeben, indem er sich zu brüsten pflegte, seine Soldaten könnten auch gut kämpfen, wenn sie parfümiert seien« (Sueton). Er verdoppelte ihren Sold und sah darauf, daß sie hohen Anteil an der Beute hatten. Zuweilen gab er auch
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jedem Mann aus der Beute einen Sklaven. Das verstärkte das gemeinsame Interesse an Krieg und Sieg, war aber beileibe nicht das einzige Band zwischen Caesar und seiner Armee. Diese Legionen, so soll er einmal gesagt haben, können den Himmel einreißen. Er war damals gerade in Südspanien, »wo die Säulen des Herakles das Ende der Welt bezeichneten und der Weg zum Himmel, der auf den Schultern des Atlas ruhte, nicht mehr weit war« (Sattler). Neben Strategie und Soldatenführung stand die Fülle der politisch-diplomatischen Bemühungen, durch die Caesar seine Herrschaft über Gallien sowie seine militärischen Operationen absichern mußte. Er stützte sich teilweise auf einzelne Vertraute, die er als Könige einsetzte oder förderte, teilweise auf die Gesamtheit der Aristokratie, indem er sie gegen einzelne Mächtige stärkte. Zum Teil machte er sich auch die Vormachtstellung einzelner Stämme, besonders der Haeduer, zunutze und festigte sie, um sie an sich zu binden und durch ihre Vermittlung andere zu beherrschen. Im wesentlichen beruhte sein System auf persönlichen Beziehungen zu Einzelnen oder kleinen Gruppen. Das entsprach seinem Denken, da er Politik vornehmlich unter dem Aspekt persönlicher Beziehungen betrachtete. Da waren Freund und Feind zu unterscheiden, verschiedene Mächtige und potentiell Mächtige zu umwerben. Und solche Beziehungen sollten dann die Macht ergänzen, die auf den Legionen beruhte; ein dünnes Netz über ein Land gelegt, das von Norden nach Süden mehr als neunhundert Kilometer maß. Die Geschichte der gallischen Feldzüge zeigt aber, daß Caesar damit gute Erfolge hatte, solange nicht die Stimmung in großen Teilen Galliens gegen ihn umschlug. Dann riß die antirömische Strömung seine Freunde weithin mit sich, wenn sie nicht die Flucht ergriffen oder beseitigt wurden. Das System der persönlichen Beziehungen reichte also zwar eine Weile lang, um Caesars Willen in Gallien zur Geltung zu bringen, aber es reichte nicht dazu, eine Anerkennung der römischen Herrschaft in den gallischen Stämmen zu verwurzeln. Freilich wäre das wohl auch dann nicht so rasch zu bewir-
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ken gewesen, wenn Caesar mehr davon verstanden hätte, feste institutionelle Beziehungen zu den Galliern zu knüpfen. Doch wie auch immer, dieses System erforderte ein besonders hohes Maß an Aufmerksamkeit. Durch ein gutes Nachrichtenwesen mußte Caesar ständig auf dem Laufenden sein, nicht jedem konnte er trauen. Überall war zu vermitteln, auszugleichen, zu erklären, anzuordnen. Er mußte Treue fördern und mit eigenen Diensten lohnen, auf Untreue reagieren, ohne sie immer bestrafen zu können. Man darf wohl annehmen, daß er auch hier mit großer Virtuosität und viel Aufwand am Werk war. In diesem so ungemein tätigen Leben konnte sich die dämonische Kraft, die unter Caesars Heiterkeit gesteckt haben soll, ganz nach außen wenden. Man hat vermutet, er habe sich auf seinen Feldzügen zu sehr ans Befehlen gewöhnt, um in Rom noch überzeugen zu können. Aber so einfach war es nicht: Woran er sich gewöhnte, worin er aufging, war eine Welt, die ihm eine unerhört freie Entfaltung ermöglichte und abverlangte. Neben dem Befehlen gehörte dazu das Planen, das Lernen über die fremden Gegebenheiten, das Verfügen, das Sorgen für die Soldaten, die Bemühung um die gallischen Verbündeten, das ständige Reagieren auf neue Situationen und vieles andere mehr. Gemeinsam war all diesen Tätigkeiten der große Stil, in dem Caesar wirken, die Freiheit, in der er dirigieren und bestimmen konnte, was zu geschehen hatte; ungehemmt, ohne sich in zeitraubende, zermürbende Verhandlungen versenken zu müssen, vielmehr gar nicht angewiesen darauf, die Zustimmung anderer zu seinem Handeln einzuholen. Wohl mußte Caesar immer aufs neue besorgt darum sein, daß er seine Soldaten auch innerlich gewann – darin bestand ja seine Art, sie zu führen –, gewiß mußte er viel verhandeln, um gallische Adlige an sich zu binden und sich die Treue einzelner Stämme durch geschickte Diplomatie zu sichern. Und wenn er auch die Zustimmung seiner Unterführer nicht brauchte,
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so hat er sie doch wohl öfter vom Sinn seiner Anordnungen überzeugen müssen. Doch das gehörte zu seiner Aufgabe selbst, zu dem, was ihn an diesem Wirkungsbereich fasziniert haben muß. Der Umgang mit den Soldaten war unkompliziert, der mit den Unterführern muß im ganzen nach Caesars Wunsch gelaufen sein. Die Verhandlungen mit den Galliern gaben ihm Gelegenheit, seine ganze diplomatische Kunst spielen zu lassen. Wenn diese und andere Tätigkeiten auch Mittel zum Zweck der Eroberung und Sicherung Galliens waren – und damit indirekt den Zwecken von Caesars außerordentlich ehrgeiziger Laufbahn dienten –, so entsprachen sie doch zugleich den Vorstellungen des in hohem Maße aktiven Lebens, das Caesar sich gewählt hatte: Er war der Herr des Geschehens, mindestens auf römischer Seite. Den Rhythmus, das Tempo, in dem gehandelt wurde, bestimmte er; trotz der vielfach von außen kommenden Anforderungen und obwohl die Feinde zeitweilig die Initiative gewannen. Die Relation zwischen Mitteln und Zwekken muß im ganzen so günstig gewesen sein, daß die Mittel, so viel Last sie gelegentlich bereiten mochten, nicht das Belastende bloßer Mittelhaftigkeit hatten, daß sich ein Höchstmaß an bewirkender Aktivität herausstellte. Gewiß gelang nicht immer alles, aber das Vergebliche konnte nie Überhand gewinnen; oder wenn es dies tat, sah Caesar sich dadurch bald zu neuem Einsatz veranlaßt. Es wurde vermutlich nie ermüdend. Schließlich war Caesar mit dem vollen existentiellen Ernst eines großen Kriegs konfrontiert. Er hatte die Unterwerfung eines so weiten Landes vor, wie noch nie ein römischer Feldherr eines erobert hatte. Er hatte Spielraum genug, um sich zu bewähren – oder zu versagen; das lag bei ihm. Er fand sich vor einer bedeutenden Herausforderung. Die Kraft, sie zu bestehen, wird ihm zugleich aus der Freude, dem Stolz vielfältigen Bewirkens zugewachsen sein. Zum guten Teil war sie der Herausforderung selbst zu verdanken. Die, wie sich vermuten läßt, im ganzen hochgestimmte Aktivität Caesars in diesen Jahren war jedenfalls nicht nur Sache einer inneren Motorik, sondern wesentlich der äußeren Gegebenhei-
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ten, denen diese so angemessen war und mit denen sie sich verquickt hatte. Dabei kamen noch all die Notwendigkeiten der Einwirkung auf die römische Innenpolitik hinzu. Außerordentliches also wurde Caesar abverlangt, und alles schien er leisten zu können. Eine ungeheure Dynamik ging von ihm aus. Cicero berichtet, daß auch die Mitglieder seines Stabes kaum Zugang zu ihm hatten, nicht weil er hochmütig gewesen wäre, sondern wegen seiner starken Beanspruchung. Wer soviel leistete, stand weit über allen anderen. Nur Pompeius kam ihm darin nahe. Bei allen Leistungen beseelte ihn vermutlich wirklich, wie er es in seiner Schrift immer wieder durchblicken läßt, das Bewußtsein, seiner Vaterstadt zu dienen. Er verstand sich als Roms Statthalter, war stets auf Roms Ehre bedacht. Eben das mußte Rom doch anerkennen. Das Ausmaß von Caesars Leistung ging gewiß weit über das hinaus, was auch hervorragende, stark beanspruchte römische Feldherrn und Statthalter zu erbringen hatten; schon der Größe seiner Eroberungen und seines innenpolitischen Engagements wegen. Vor allem war er in ganz ungewöhnlicher Intensität angespannt: weil er, um in Rom anerkannt zu werden, weit mehr ins Werk setzen mußte als alle anderen und weil er den Krieg selbst vom Zaun gebrochen hatte. Und schließlich wußte er seine so ausgreifende, angespannte Tätigkeit in höchstem Maße als Selbstbestätigung zu erfahren, da er den Maßstab der Leistung – angesichts des allgemeinen Versagens, aber auch auf Grund des Anspruchs, mit dem er seinen Standesgenossen begegnete – besonders hoch aufgerichtet hatte. Das war eine ganz andere Tätigkeit, als sie in der römischen Innenpolitik möglich war, wo es ständig um Kleinigkeiten ging, in der man es mit den unsäglichen Bedenken und dem Widerstand gleichberechtigter Standesgenossen zu tun hatte, in der man Bedeutendes nur ins Werk setzen konnte, wenn man den Senat oder die Volksversammlung davon überzeugte, einen Senat aber, der sich von fast nichts mehr überzeugen ließ, eine Volksversammlung, bei der man nur als Magistrat Anträge stel-
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len konnte. Dort gab es kaum Spielräume, wurde es kaum wirklich ernst. Da wurden bedeutende Handlungen erstickt, bevor es zu ihnen kam. Das Ausmaß des Vergeblichen, Ermüdenden war ganz außerordentlich groß. Man konnte kaum etwas für Rom tun. In der Regel lag man in einem Kampf um Positionen, die nur für den, der unmittelbar darin befangen war, etwas bedeuteten. Da bedurfte es unendlich großer Aufwendungen an Kraft, Geschick, Phantasie, um Weniges zu erreichen. Es fragte sich, ob die Zwecke die Mittel lohnten. Man konnte sich dem Spiel nur anheim geben oder daran leiden. Nichts Ruhmvolles, nichts Großes, nichts, was noch der Nachwelt imponieren konnte. Nicht einfach das Befehlen also, sondern das Herausgefordertsein seiner ganzen Person war es, was Caesar die freie Luft dieser Feldzüge genießen ließ. Da er sich in vollen Zügen darin entfalten konnte, gewann sein Leben einen großen Atem; erhielt es für ihn einen hohen Sinn. Mit solchen Möglichkeiten, in solcher Leistung und Bewährung hatte er sich gewollt. Hier vollendete sich die Genialität des Selbstvertrauens und der Selbstbezogenheit, die Strasburger Caesar zuspricht: »Das für ihn selbst und das für die Welt Wünschbare waren ihm offenbar so natürlich identisch, daß es für ihn vielleicht von Mensch zu Mensch, aber nicht in seinen politischen (einschließlich der militärischen) Planungen irgendeinen Konflikt mit dem Sittengesetz geben konnte«. Strasburger spricht in diesem Zusammenhang von der »einzigartigen Immoralität..., mit der Caesar nicht nur handelte, sondern sich auch in eigener Aufzeichnung dieser Handlungen zur Darstellung brachte«. Denn er habe das »furchtbare Geschehen mit einem Hochgefühl schriftstellerisch gestaltet, das ertragbar nur wird, wenn man ihm die höhere Unschuld vollkommener dämonischer Besessenheit zubilligt«. Allein, die Furchtbarkeit des Geschehens war damals die Selbstverständlichkeit des Krieges. Daß Caesar ihn veranlaßt hatte, war nach den Maßstäben der Zeit zu verurteilen. Es könnte ihm durchaus zu schaffen gemacht, könnte ihn verfolgt haben, daß Hunderttausende dann dem um seines Ruhmes,
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und vielleicht noch um Roms Herrschaft willen entfesselten Kriege zum Opfer fielen – um von allen Verwüstungen zu schweigen. Wer kann sagen, daß die lauten und die stummen Fragen, Vorwürfe, Anklagen und die unendlichen Leiden dieses tapferen, edlen Volkes sein Inneres nicht getroffen hätten? Schließlich hatte er nicht nur am Tage mit ihnen zu tun, sondern zugleich in der Nacht – denn seine Soldaten wußten von seinen Liebschaften zu singen, und später rühmte sich ein Lingone, von Caesar abzustammen. Wir wissen lediglich, daß er über eigene Empfindungen in seinen Schriften nicht sprach. Allenfalls kann man sie aus der Sorgfalt erschließen, mit der er dort seine anfängliche Verwicklung in die gallischen Angelegenheiten rechtfertigt. Im übrigen gehörten solche Erwägungen nicht in eine Darstellung des Krieges. Und Caesar scheint sie auch, soweit sie ihn beschäftigten, mit sich selbst abgemacht zu haben. Er war eher verschlossen, trug seine Gründe nicht auf der Hand. Vielleicht hat er sich damit getröstet, daß er Umfang und Länge des Krieges nicht hatte voraussehen können. Der Gedanke an die Folgen des Bürgerkriegs, der ihn am Rubicon quälte, könnte sich ihm aus dieser Erfahrung besonders aufgedrängt haben. Er versuchte, nach Möglichkeit großzügig zu sein. Die grausamen Befehle blieben Ausnahmen und lassen sich wohl aus der römischen Kriegspraxis erklären. Vor allem aber nahm ihn dann der Kampf selbst gefangen, von einem Tag, einer Woche, einem Monat zum anderen: Da war meist wenig Gelegenheit zu distanzierter Betrachtung. Nach römischer Auffassung konnte ein einmal begonnener Krieg nicht aufgegeben werden, bevor der Sieg errungen worden war. Roms Ehre stand da auf dem Spiel. Und Caesar hatte sich zu bewähren. Die Weise, in der er es tat, spiegelt sich im Hochgefühl seiner Darstellung. Dabei bildete er Seiten aus, die im damaligen Rom wenig galten, und ließ andere verkümmern, die dort notwendig gewesen wären. Gemessen an den Gepflogenheiten der römischen Oligarchie handelte er rücksichtslos und eigenmächtig. Nicht nur als Kommandeur, sondern gebieterisch. Nicht nur als Beauftragter der römischen Republik, sondern als Herr einer
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Welt. So gut er vielleicht Roms Interessen wahrnahm, so sachlich er jedenfalls den selbst gesetzten Auftrag erfüllte, sein Ich stand doch bei allem Tun im Mittelpunkt. Er hob sich in einer Weise aus allen Zusammenhängen heraus, die der römischen Aristokratie zutiefst verdächtig war. Öfter soll er damals gesagt haben, es sei schwieriger, ihn, den Ersten der Bürgerschaft, von der ersten auf die zweite Stelle als von der zweiten in die letzte hinabzudrücken: Es ging ihm also inzwischen so sehr um den ersten Rang, daß, wenn er ihn verlor, gleich alles für ihn unwichtig wurde. Indem er seine Statthalterschaft viele Jahre hindurch in solch ungeheurer Intensität führte, wurde ihm dieses Leben allmählich zur Natur, das gallische Kriegstheater zur eigenen Welt. Es war ein geschlossener, großer Wirkungsraum, in dem sich seine Art so sehr bestätigen, befestigen und stärken konnte, daß sie ihm zunehmend selbstverständlich wurde. Umgeben von Bewunderung, Anhänglichkeit, Diensteifer und Respekt, durch Fortuna unterstützt, brauchte er seinen Willen nicht nur aufzuzwingen, sondern er konnte ihn auch einfach geschehen lassen, unter Umständen in aller Großzügigkeit. Widerspruch wird kaum aufgekommen sein und wenn doch, so hat Caesar ihn nicht geduldet. Als Beispiel dafür kann der Dichter Catull dienen, der ihn in Spottgedichten aufs Korn genommen hatte. Mamurra, Caesars Adjutant, so hieß es da, habe jetzt, was vorher Gallien und das ferne Britannien hatten. Mamurra lebte auf großem Fuß, baute sich einen Palast in Rom, der wegen seiner ungeheuren Kostspieligkeit noch später berühmt war; er hatte Catull seine Geliebte ausgespannt. Der fragte also Caesar: »Warst Du zu diesem Zweck, einzigartiger Feldherr, auf der äußersten Insel des Westens?« Er nennt ihn einen Wüstling, schamlos, gefräßig, dem Spiel verfallen; sagt ihm erotische Beziehungen zu Mamurra nach: »Ausgebildet sie beide auf einem Lager, Buhler der eine nicht gieriger als der andere, bei den Mädchen Genossen und Rivalen.« Der Proconsul beschwerte sich darauf bei Catulls Vater, einem der Honoratioren von Verona, in Caesars Provinz. Der Dichter mußte sich entschuldigen. Als das geschehen war, wurde er sofort
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in Gnaden wieder aufgenommen, noch am gleichen Tag zum Essen eingeladen, und Caesar blieb darauf auch mit dem Vater in alter Gastfreundschaft verbunden. Die Aura von Erfolgsgewöhnung, die sich um Caesar bildete, schirmte ihn ab gegen die Fragen, Zweifel und Zumutungen, gegen Ansprüche und Erwartungen seiner Standesgenossen. Er konnte sich nur mehr an dem abstrakten Pathos der Leistung orientieren, dem er sich hingab. Darin bestand seine Größe und seine Grenze. Man hatte Caesar in Rom nie ganz verstehen können. Jetzt wurde es schlimmer damit. Zu Beginn des Bürgerkriegs nennt Cicero ihn dann ein téras, also eine wunderbare, erschrekkende, monströse, undurchschaubare Erscheinung höherer Ordnung. So fremd war er seinen Standesgenossen geworden. In dieser Entfremdung entfaltete er seine Freiheit. Wohl stellte Caesars starke Aktivität etwas Römisches dar. Man hatte dort bei Muße immer ein schlechtes Gewissen. Wenn Caesar es als sein Ziel bezeichnete, »durch Taten voranzugehen« (operibus anteire), war dies nur die römische Formulierung des alten homerischen Ideals, an das auch Cicero sich hielt: »der Beste zu sein und hervorzuragen über alle«. Cicero rechtfertigte selbst seine philosophische Schriftstellerei damit, daß die Einbürgerung der griechischen Philosophie in Rom ein Akt öffentlicher Wirksamkeit sei. Caesar hat es ähnlich aufgefaßt, wenn er im Jahr 54 auf der Fahrt von Oberitalien nach Gallien auch auf diesem Gebiet Aktivität entfaltete: Damals schrieb er sein Buch de analogia, ein Plädoyer für ein möglichst exaktes und reines Latein. Aber diese Aktivität war fraglos übermäßig, sie reichte bis ins Ruchlose. Denn neben dem Leistungsethos hatte es immer das der Disziplin, der Einfügung in den Stand und der Gleichheit gegeben und geben müssen, das Caesar so völlig hinter sich ließ. In der anderen Welt dagegen, derjenigen Roms wußte Caesar zwar viele für sich einzunehmen, erwies und empfing
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Gefälligkeiten, formulierte seine Wünsche und Forderungen und setzte sie durch. Aber er konnte nicht von sich überzeugen; man mißtraute ihm; man brauchte ihn nicht; mit anderen Worten: er fand keinen Grund für sich. Caesar war freilich äußerst liebenswürdig. Cicero rühmt seine feine, noble, gebildete Art (humanitas) und sein großes Entgegenkommen. Als er Caesar bat, einen seiner Freunde in seinen Stab aufzunehmen, antwortete der, er wolle ihn zum König von Gallien machen und Cicero möge ihm gleich noch einen zweiten senden. Der empfahl ihm darauf den Juristen Trebatius Testa und erhielt die geistvolle Antwort, das käme Caesar sehr gelegen, denn unter all seinen höheren Offizieren sei keiner, der eine Bürgschaft ausfertigen könnte (womit er doppeldeutig auf deren schlechte Vermögensverhältnisse anspielte). Die Schrift de analogia widmete er Cicero, indem er ihn als den Vater und Meister des lateinischen Prosastils pries. Er habe sich dadurch um den Ruhm und die Ehre des römischen Volkes verdient gemacht. Was wir von Cicero hören, weil ein gut Teil seiner Schriften erhalten ist, muß ähnlich auch vielen anderen begegnet sein: Caesar wandte sich nicht nur in einer Unzahl von Briefen nach Rom, sondern er pflegte sie auch sehr persönlich, elegant und geistvoll zu formulieren. Er bevorzugte dabei das Understatement. Als er Cicero ein hohes Darlehen gewährte, fügte er hinzu, er helfe ihm gern, soweit es ihm seine Bedürftigkeit erlaube. Wenn Cicero im Empfehlungsbrief für Trebatius schreibt, er übergebe ihn in Caesars »sieggewohnte, zuverlässige Hand«, fügt er gleich hinzu: »Laß mich ein wenig dick auftragen, obwohl du das nicht schätzt.« Wenn Caesar über all seine Dynamik die Heiterkeit des scherzenden Gesprächs zu breiten vermochte, so erleichterte das den Umgang. Aber man merkt an Ciceros Briefen auch, wie mühsam und bedrängend es gleichwohl war, dem großen Imperator spöttisch und elegant zu entgegnen. Im Grunde hatte er mit seiner Dynamik längst Barrieren um sich aufgebaut, die den Zugang zu ihm erschwerten. Scharfsichtige Beobachter befürchteten damals – und nicht
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erst damals –, daß Caesar eine Tyrannis anstrebte. »Freilich«, so soll Cicero das kommentiert haben, »wenn ich sehe, mit welch übertriebener Sorgfalt er sein Haar pflegt und wie er sich mit nur einem Finger kratzt, dann scheint es mir doch wieder unmöglich zu sein, daß dieser Mensch in seinen Gedanken einem solchen Verbrechen wie der Zerstörung der römischen Republik Raum geben könnte.« Die Äußerung ist nicht datiert, aber sie könnte sehr wohl in diese Situation gehören; Cicero hatte Caesar gerade in Ravenna erlebt. Unabhängig von seinem Erscheinungsbild ist aber sehr entschieden zu fragen, ob die Gegner ihm mit ihrem Verdacht nicht Unrecht taten. Wenn er in Gallien eigenmächtig ein Höchstmaß an Wirksamkeit entfaltete, mußte er noch nicht in Rom nach der Alleinherrschaft streben. Tyrannis war in Rom immer nur Vorwurf, nie Rolle gewesen, und mit dem Vorwurf war man schnell bei der Hand. Ob die führenden Senatoren, die Häupter der Republik, sich Caesars Lage je klargemacht haben, ist ebenso unklar, wie ob Caesar wußte (oder ob es ihn überhaupt interessierte), warum er ihnen so fremd war. Vermutlich genügte ihnen, was sie von ihm, und ihm, was er von ihnen zu wissen glaubte, zur gegenseitigen Ablehnung. Seine heitere Liebenswürdigkeit und urbane Eleganz machte ihn ihnen als Ausdruck seiner Überlegenheit nur noch verdächtiger. Vielleicht haben sie ihn durch ihre Befürchtungen nicht weniger an den Rand der Republik gedrängt, wie er sie durch seine Art dazu brachte, solche Befürchtungen zu hegen. »Übrigens«, so könnte man hier einen Satz, den Thomas Mann über Friedrich den Großen schrieb, zitieren, »meinte er es vielleicht redlich – und täuschte sich nur über seine eigene Gefährlichkeit? Der allen ein Geheimnis war, vielleicht war er sich selber eins?« Die Auswirkungen der Isolation, in die Caesar damals zunehmend geriet, waren unübersehbar: Daß er nämlich in Rom trotz aller Leistungen, welche er für die Stadt vollbrachte, eher an Boden verlor. Er konnte das allerdings auf die innenpolitischen Veränderungen schieben. Aber wie dem auch sei, zu vermuten ist, daß er, dessen Aktivität wohl stets eine gewisse
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Isolation kompensiert hatte, um so rastloser wurde, je weniger Erfolg er hatte. Und den Erfolg bemaß er nach seinen gestiegenen Erwartungen. Sowohl in Gallien wie in Rom ergaben sich Rückschläge. Insbesondere für Rom fragt sich aber auch, ob er nicht um so weniger Erfolg hatte, je rastloser, je dynamischer er wurde. Entfernte er sich nicht von der römischen Gesellschaft durch eben das, wodurch er sich ihr nähern, aber eben auch aufdrängen wollte? Die Krise der Statthalterschaft (bis Anfang 49 v. Chr.) Wendung gegen Caesar • Vercingetorix • Durchbruch zu den eigenen Truppen • Niederlage bei Gergovia • Umbruch bei den Haeduern • Belagerung von Alesia • Die Entscheidungsschlacht • Gesetzgebung zu Caesars Ungunsten • Die Bilanz des Krieges • Senat und Pompeius • Kampf um Caesars Absetzung • Lähmung der Innenpolitik • Schwertübergabe • Beschluß gegen Caesar • Paradoxe Situation So groß Caesars Anstrengungen, so angespannt seine Kriegführung und seine Politik in den ersten sechs Jahren des gallischen Krieges gewesen waren, die eigentliche Probe auf sein Können hatte noch nicht stattgefunden. In Rom wie in Gallien hatte er dadurch einen so großen Spielraum gehabt, oder besser: sich zu eröffnen gewußt, daß dort eine bestimmte Machtlagerung herrschte, die durch verminderte Machtpräsenz gekennzeichnet war. Die gallischen Stämme hatten sich noch nicht daran gewöhnt, daß die Politik jetzt im großen Raum ganz Galliens spielte. Caesar hatte die Grenzen in diesem Raum niedergerissen, vermochte dort in großem Stil seine Politik und Kriegführung zu entfalten, und das hatte ein gut Teil seiner Überlegenheit aus-
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gemacht. Die Gallier dagegen hatten in den kleineren Räumen ihrer Stämme und von deren engerer und weiterer Nachbarschaft her gedacht und gehandelt, hatten sich gegeneinander ausspielen lassen. Was sie an Macht aufzubieten hatten, hatten sie kaum gewußt. In Rom war es die gegenseitige Blockade der Kräfte, die Caesar große Möglichkeiten zum Eingreifen gegeben hatte. Die Schwäche des Senats, die Schwäche dann aber auch des Pompeius. Auch hier hatte seine Überlegenheit zum Teil darin bestanden, daß er der Politik neuen Raum zu verschaffen vermochte, indem er bei Luca die Provinzen wesentlich stärker in sie einbezog. Cato und seine Freunde hatten die Kräfte, über die sie in der römischen Bürgerschaft noch verfügten, nicht mobilisieren können. Pompeius konnte nur negativ wirken, indem er auf die Anarchie setzte. Seit Anfang 52 wandten sich dann die Dinge in Rom zu Caesars Ungunsten. Da Pompeius begonnen hatte, mit seinen Gegnern zusammenzuarbeiten, drohte nicht nur das Senatsregime wieder zu erstarken, sondern Caesar mußte auch damit rechnen, über kurz oder lang einer breiten geschlossenen Front in Rom gegenüberzustehen. Die Möglichkeiten, Forderungen in Rom durchzusetzen, und die guten Aussichten auf günstige Bedingungen für seine Rückkehr schwanden. Der Aufstand, zu dem sich die Gallier verbunden hatten, erfaßte in kürzester Zeit das halbe Land. Er hatte bei den Carnuten begonnen, die in der Stadt Cenabum alle römischen Bürger umbrachten. Durch eine Art Lauffeuer erreichte die Nachricht davon noch am Abend desselben Tages die Arverner. Unter dem Eindruck dieser Meldung wählten sie einen jungen Adligen, Vercingetorix zu ihrem König. Vercingetorix war damals etwa dreißig Jahre alt, ein stattlicher, imponierender Mann, hochbegabt, ehrgeizig und tapfer. Er haßte die Römer, hatte sie aber genau beobachtet, um ihre Taktik zu studieren und herauszufinden, wie man sie besiegen konnte. Voller Feuer scheint er für den Aufstand geworben zu haben, unermüdlich im Land umherfahrend, mitreißend,
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überzeugend. Gallien mußte wieder frei werden. Und alle mußten sich anschließen. Er stand für die Sache. Er entwarf die Strategie. Ihm gebührte, als es soweit war, ganz selbstverständlich die Führung. So sehr war er die Seele, die Mitte der verbreiteten Empörung. Zahlreiche Stämme, so die Senonen, Parisier, Pictonen, Cadurcer, Turonen, Aulercer, Lemovicer, Anden und alle, die am Atlantik wohnten, schlossen sich an. Vercingetorix wurde der Oberbefehl über das Ganze übertragen. Er setzte genau fest, welche Kontingente jeder Stamm zu stellen hatte, ließ jeden auch eine bestimmte Menge Waffen bis zu einem festgesetzten Termin herstellen. Als wichtigste Streitmacht galt ihm die Reiterei. Alles war gedanklich aufs beste vorbereitet. Vercingetorix verband, wie Caesar schreibt, »höchste Gründlichkeit mit größter Strenge in der Ausübung seines Oberbefehls«. Unter anderem setzte er drakonische Strafen fest. Bei größeren Delikten drohten alle Arten von Folter, anschließend die Verbrennung, bei geringeren sollten die Ohren abgeschnitten oder ein Auge ausgestochen werden, dann wurde der Betroffene in seine Heimat zurückgesandt, damit jeder sah, wie ernst der Kampf war. Ein sehr großes Aufgebot kam zusammen. Vercingetorix brachte die Bituriger dazu, sich ihm anzuschließen. Andere gewannen die Rutenen, Nitiobroger und Gabaler. Von dort aus brach ein gallischer Heerhaufen in die römische Provinz Transalpina ein. Narbo (Narbonne) war ihr Ziel. Soweit waren die Dinge in etwa gediehen, bevor Caesar in den Verhandlungen mit Pompeius das Nötige erreicht hatte, so daß er von Italien über die Alpen aufbrechen konnte. Mit eiserner Ruhe muß er unterdes alle Meldungen von dort entgegengenommen haben. Inzwischen waren sogar die Wege versperrt, auf denen er zu seinen Legionen hätte gelangen können. Kaum kamen noch Nachrichten durch. Das Schicksal der Armee war ganz ungewiß. Aber die Verhandlungen waren sehr schwierig gewesen, zumal Pompeius jetzt offenbar nicht mehr willens war, gegen
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das herkömmliche Recht zu verstoßen. Caesars Bewerbung in absentia sollte durch ein tribunicisches Gesetz gestattet werden. Cicero mußte zur Vermittlung nach Ravenna reisen und Caesar zusagen, daß er alles tun werde, um seinen Freund, den Tribunen Caelius davon abzuhalten, sein Veto einzulegen. Zwei Jahre sollte Caesars Statthalterschaft noch dauern. War das genug, um Gallien endgültig zu befrieden? War es zu lang, um das drohende Bündnis zwischen Pompeius und dem Senat aufzuhalten? Was jetzt folgte, brachte Caesar jedenfalls an den Rand seiner wahrhaft großen Kraft und Zuversicht. Als er in die Provence kam, war es noch Winter, nach unserem Kalender Anfang Februar. Caesar hatte frische Rekruten aus Italien mitgebracht, ließ jetzt mehrere tausend Mann in der Provinz ausheben – gewiß ohne sich darum zu kümmern, ob es römische Bürger waren oder nicht – und sicherte in aller Eile die Transalpina. Dann mußte er sehen, wie er zu seinen Legionen gelangte. Die Lösung fand er in zwei kühnen Gewaltmärschen. Zunächst überschritt er, vom Gebiet der Helvier kommend, die Cevennen, obwohl diese noch tief verschneit waren. Die Soldaten mußten angeblich bis zu zwei Meter Schnee beiseite räumen. Dann stand Caesar völlig überraschend im Gebiet der Arverner und ließ es durch seine Reiter verwüsten. Vercingetorix mußte schleunigst in die Heimat zurückkehren. Das alles aber war nur ein großes Ablenkungsmanöver gewesen, denn während seine Truppe zunächst dort verblieb, entfernte sich Caesar heimlich mit kleinem Gefolge, um sich in größter Eile – wieder über die Berge – nach Vienna (dem heutigen Vienne) zu begeben, welches ganz im Norden der alten Provinz lag. Dorthin hatte er vorher Reiterei beordert, er fand sie ausgeruht vor und drang nun mit ihr in einem bei Tag und Nacht nicht unterbrochenen Marsch zu den Lingonen durch, wo zwei seiner Legionen standen. Sofort nach der Ankunft – und bevor die Arverner noch davon gehört hatten – zog er dort seine gesamte Armee zusammen. Vercingetorix aber marschierte ins Gebiet der Boier, um dort eine den Haeduern tributpflichtige Stadt zu belagern.
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46 Münze des Lucius Hostilius Saserna. Die Darstellungen beziehen sich unmittelbar auf Caesars militärische Erfolge. Vorderseite: Kopf eines Galliers mit der charakteristischen Halskette (torques); dahinter ein gallischer Schild. Auf der Rückseite ein Streitwagen mit einem rückwärts kämpfenden Barbaren. Noch standen diese treu zu Rom. Wenn Caesar die Stadt der Boier nicht zu retten vermochte, drohte aber Gefahr, daß ganz Gallien von ihm abfiele. Was war von einer Macht zu halten, die ihre eigenen Freunde nicht zu schützen vermochte? Trotz größter Versorgungsschwierigkeiten kam er nicht umhin, das risikoreiche Unternehmen zu wagen. Unterwegs eroberte er Cenabum, ließ die Stadt anzünden, nachdem seine Soldaten sie geplündert hatten. Vercingetorix gab die Belagerung auf und zog Caesar entgegen. Bei Noviodunum – demjenigen südlich Cenabum – kam es zu einem Reitergefecht. Zum ersten Mal hören wir davon, daß Caesar germanische Kavallerie einsetzt. Vercingetorix wurde geschlagen. So konnte Caesar sich nach Avaricum (dem heutigen Bourges) wenden, um es zu erobern und dadurch die Bituriger wieder in seine Gewalt zu bekommen.
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Der Gallier ändert darauf seine Taktik. Von jetzt an läßt er in weitem Umkreis um die römische Armee Gehöfte, Dörfer und sogar Städte, die nicht zu verteidigen sind, in Brand setzen. Es ist das gleiche Verfahren, mit dem Cassivellaunus in Britannien Erfolg gehabt hat. Die Haeduer, die für den römischen Nachschub aufkommen sollen, liefern so gut wie nichts. Den Römern geht das Korn aus, sie können sich nur mehr helfen, indem sie sich von weiter entfernten Dörfern Vieh verschaffen – Fleisch gehörte normalerweise nicht zur römischen Heeresverpflegung, vielmehr bot man dort vornehmlich Getreide, das als Brot oder Brei mit Zusatz von Öl und verschiedenen Gemüsesorten und Kräutern genossen wurde. Damals bietet Caesar seinen Soldaten an, die Belagerung von Avaricum aufzugeben, wenn der Hunger sie zu sehr quäle. Stolz lehnen sie ab; noch nie seien sie unverrichteterdinge irgendwo abgezogen. Kein Wort fällt, bemerkt ihr Feldherr, »das der Hoheit des römischen Volkes und ihrer voraufgegangenen Kriege unwürdig gewesen wäre«. Die Belagerungsarbeiten sind äußerst schwer, zumal die Gallier inzwischen gelernt haben, die römischen Praktiken zu parieren. Fünfundzwanzig Tage lang bauen die Römer an ihrem Damm, dann ist er einhundertzehn Meter breit, siebenundzwanzig Meter hoch. Über hölzerne Laufstege ist er aufgeschüttet worden, durch Balken wird er gestützt. Die Gallier unterminieren ihn und zünden das Holz an. Einen Ausfall können die Römer aber abwehren. Schließlich, als ein Unwetter aufkommt, überaus heftiger Sturm und peitschender Regen, und als die Gallier sich von der Mauer zurückziehen, gelingt es, die Stadt zu erobern. Wie üblich sind sie im Extremfall nicht diszipliniert genug. Die Römer veranstalten ein furchtbares Gemetzel. Alle Einwohner, die sie fassen können, werden erschlagen, auch Greise, Frauen und Kinder. Caesar verzeichnet achthundert Gerettete aus einer Bevölkerung von Vierzigtausend. Vielleicht mußte er seinen Kämpfern nach ihren ungeheuren Strapazen freie Bahn lassen. Vermutlich setzten sich seine und ihre verzweifelte Schwäche in grausame Gewalt um. Das Beispiel sollte wohl auch abschreckend wirken.
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Aber das Gegenteil geschah. Vercingetorix, der gleich für die Aufgabe und Zerstörung der Stadt gewesen war, vermochte in seinen Mannschaften so geschickt und überlegen den Willen zum Kampf zu beleben, daß in dem Maße, wie sonst die Niederlage die Autorität des Feldherrn beeinträchtigt, die seine infolge der Niederlage von Tag zu Tag zunahm. Caesar hat es selbst so berichtet, und die Worte spiegeln einen gewissen Respekt für den bedeutenden Feind wider. Vercingetorix bot neue Truppen auf, um die Verluste zu ersetzen, und bemühte sich, weitere Stämme zum Abfall zu bewegen. Caesar wandte sich darauf nach Gergovia (Gergovie), sieben Kilometer südlich von Clermont-Ferrand, der Hauptfestung der Arverner. Die Stadt lag auf einem hohen Berg, war nur schwer zugänglich, so daß es unmöglich schien, sie zu stürmen. Die Römer belagerten sie also; Vercingetorix hatte sein Lager nahe der Stadt errichtet; er beherrschte überall die Höhen, unangreifbar und im Fall eines Kampfes überlegen. Zu allen Schwierigkeiten kamen Meutereien von Hilfstruppen der Haeduer, die sich im Anmarsch befanden. Als Caesar ihnen mit einem Teil der Armee entgegenrückte, griff Vercingetorix den Rest an und hätte ihn fast besiegt. Mit der Zeit wurde immer deutlicher, daß auch mit dem Abfall der restlichen Stämme zu rechnen war. Daher schien es Caesar unumgänglich zu sein, daß er sich mit dem anderen Teil seiner Armee vereinte, der unter Labienus das Gebiet um Paris wieder unterwerfen sollte, wohl damit der Aufstand der belgischen Stämme sich nicht ausdehne. Nur sollte Caesars Aufbruch nicht nach Flucht aussehen. Aus diesem Grund versuchte er einen Handstreich auf eine der von Vercingetorix besetzten Anhöhen. Drei Lager konnten eingenommen werden, aber gegen seinen Befehl verfolgten die Soldaten die Feinde in der Leidenschaft des Kampfes bis an die Stadtmauer. Dort trafen sie erschöpft auf frische gallische Truppen und wurden unter beträchtlichen Verlusten den Abhang hinunter gejagt. Sechsundvierzig Centurionen fielen, nahezu jeder siebte Subalternoffizier. Die Verluste der Solda-
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ten sollen sich dagegen auf nur siebenhundert Mann belaufen haben. Es war gleichwohl eine der schwersten Niederlagen, die Caesar je erlitten hatte. Er suchte zu retten, was zu retten war. In einer Heeresversammlung machte er seinen Soldaten schwere Vorhaltungen wegen ihrer Disziplinlosigkeit und Anmaßung – als ob sie besser als ihr Feldherr urteilen könnten –, lobte aber schließlich ihre Tapferkeit und sprach ihnen Mut zu. Als er dann die Armee zwei Tage lang in Schlachtordnung aufgestellt und Vercingetorix es nicht gewagt hatte, die Stadt zu verlassen, konnte Caesar ohne allzu große Schande abziehen und sich ins Gebiet der Haeduer begeben. Auch dort nämlich war inzwischen das gesamte Land in Aufruhr, selbst die Römerfreunde schlossen sich der anscheinend siegreichen Sache an. Vor allem war das haeduische Noviodunum (das heutige Nevers) den Römern verlorengegangen, ein besonders empfindlicher Verlust, denn Caesar hatte alle gallischen Geiseln, seine Getreidevorräte, die Kriegskasse, den größten Teil der Bagage und die aus Spanien und Italien beigeschafften Remonten dort untergebracht. Mit Hilfe der Geiseln setzten die Haeduer jetzt die Stämme, die Caesar noch treu waren, unter Druck. Sie brachten sie in ihre Festung Bibracte (das heutige Autun). Das Getreide vernichteten sie, sofern sie es nicht fortschaffen konnten. Überall wurde Caesars Armee vom Proviant abgeschnitten. Um die gleiche Zeit fielen die Bellovacer ab, so daß sich Labienus nach Süden auf Agedincum (das heutige Sens) zurückziehen mußte. Caesars gesamte Kriegführung schien zusammengebrochen, ganz Gallien verloren. Es stellte sich ihm die Frage, ob er nicht umkehren müsse, sich in die alte römische Provinz durchschlagen, um wenigstens die zu halten. Er selbst stellt es so dar, wie wenn nur einige furchtsame Männer in seiner Umgebung das für unvermeidlich gehalten hätten. Lapidar setzt er fort: »Dagegen sprachen nicht nur die Schmach und die Würdelosigkeit der Sache sowie das vor ihm liegende Cevennengebirge und die schwierigen Wegeverhältnisse, sondern
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vor allem, daß er um Labienus und die mit ihm ausgesandten Legionen fürchtete, die dann abgeschnitten gewesen wären.« Da tritt er wieder in aller Überlegenheit vor den Leser hin und gibt nur den Gedanken wieder, der ihn am Ende bestimmte. Aber so rasch wird sich diese Klarheit nicht eingestellt haben. Caesar müßte aus Stein gewesen sein, wenn ihn die Niederlage, die reißende Auflösung seiner Herrschaft in Gallien, der drohende Zusammenbruch seines Werks und die akute Gefahr für seine Armee und für die Provinz nicht zunächst einmal niedergeschlagen und in verzweifelte Regungen bald der Hoffnungslosigkeit, bald der wilden Entschlossenheit gestürzt hätten – bis er dann wußte, was er zu tun hatte. Er erzwang den Übergang über die Loire und marschierte nach Norden, so daß er sich bald darauf mit Labienus vereinigen konnte. Als die Gallier einen Landtag in Bibracte einberiefen, kamen alle bis auf die Remer und Lingonen, die weiter zu Caesar hielten, und die Treverer, die gerade mit den Germanen im Kampf lagen. Vercingetorix wurde als Oberbefehlshaber bestätigt. Er befahl neue Aufgebote. Ringsum sollte verbrannte Erde geschaffen werden. Schließlich ließ er verschiedene Stämme an drei Stellen in die Provinz Transalpina einfallen. Vercingetorix verfügte nicht nur über eine außerordentlich große Streitmacht, sondern er war insbesondere auch an Reiterei weit überlegen. Da Caesar aus Italien und der Provinz keinen Nachschub mehr bekommen konnte, forderte er von den Germanen, welche sich ihm ergeben hatten, größere Kontingente an Reitern und Leichtbewaffneten, welche gewohnt waren, zusammen mit den Reitern zu kämpfen. Dann rückte er ostwärts in Richtung auf das Gebiet der Sequaner (nördlich des Jura) vor, um der Provinz Hilfe bringen zu können. Er traf Vercingetorix auf dem Marsch. Es kam zu einem Gefecht, bei dem die Römer anfangs stark bedrängt wurden – die Gallier konnten sogar Caesars Kurzschwert erbeuten –, bei dem aber schließlich die ungestümen germanischen Reiter den Sieg sicherten. Die Gallier hatten schon gemeint, die Römer verließen das Land, hatten ihnen nur einen letzten schweren
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Schlag versetzen wollen. Alle ihre Reiter hatten sich in einem heiligen Schwur verpflichtet, zweimal durch die römischen Kolonnen hindurchzureiten. Die Niederlage traf sie umso schwerer. Vercingetorix zog sich deshalb fürs erste mit angeblich achtzigtausend Mann Fußvolk und zahlreichen Reitern nach Alesia zurück. Dort sollte dann die Entscheidung fallen. Aber es war nicht nur der schwerste Kampf, der den Römern bevorstand, sondern zuvor auch die schwerste Arbeit. Denn hier wurden die gewaltigsten Erdbewegungen des ganzen Krieges ins Werk gesetzt. Alesia lag auf der Kuppe eines sehr schwer zugänglichen Hügels, konnte also im Sturm nicht genommen werden. Daher ging Caesar daran, einen Belagerungswall zu errichten. Er hatte aber auch das Erscheinen eines Entsatzheers zu befürchten, mußte sich folglich mit einer den Galliern weit unterlegenen Armee auch nach außen absichern. Bald nach der Einschließung hatte Vercingetorix die Reiterei bei Nacht aus der Stadt geschickt mit dem Auftrag, die gallischen Stämme aufzufordern, alle Wehrfähigen zu den Waffen zu rufen und heranzuführen. Für dreißig Tage reiche das Getreide in der Stadt, bei strenger Rationierung noch etwas darüber hinaus. Eine offene Schlacht gegen das römische Feldheer wagte er nicht. Der Belagerungswall, den die römischen Soldaten zu bauen hatten, erstreckte sich über eine Länge von vierzehn Kilometern; als Stützpunkte wurden dreiundzwanzig Kastelle angelegt. Da Caesars Armee nicht ausreichte, um diese Befestigung in der gehörigen Dichte zu besetzen, suchte er das Vorfeld durch technische Vorkehrungen zusätzlich zu sichern. Zur Stadt hin legte er zunächst einen tiefen, nahezu sieben Meter breiten Graben an, den er senkrecht ausheben ließ. Knapp vierhundert Meter davon entfernt mußten noch zwei weitere, je fünf Meter breite und tiefe Gräben angelegt werden, in deren vorderen das Wasser des nahen Flusses geleitet wurde. Dahinter ließ er einen Damm mit einer vier Meter hohen Mauer hochziehen. Sie wurde mit Brustwehren und Zinnen versehen, alle siebenundzwanzig Meter wurde ein Turm gebaut.
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Während dieser Arbeiten unternahmen die Gallier immer neue Ausfälle, und die Römer, die mit dem Heranschaffen von Getreide und Baumaterial beschäftigt waren, hatten große Schwierigkeiten, ihnen standzuhalten. So ersann Caesar weitere Hindernisse. Er ließ Baumstämme und kräftige Äste tief in den Boden stemmen; die Zweige ragten spitz nach oben heraus und wurden zum Teil untereinander verflochten. Davor wurden Gräben ausgehoben und mit zugespitzten, im Feuer gehärteten Pfählen derart versehen, daß die Spitzen nur vier Finger breit aus der Erde ragten. Unten wurden sie festgestampft, darüber füllte man Strauchwerk, so daß eine Falle entstand. Davor wurden Pflöcke mit Widerhaken befestigt. Dann wurde eine entsprechende Befestigungsanlage nach außen angelegt. Jeder Soldat mußte Getreide und Futter für dreißig Tage beischaffen. In dieser Stellung hoffte Caesar, den Galliern standzuhalten. Es war ihm gewiß, daß sie Vercingetorix entsetzen mußten, und hier wollte er ihnen, gestützt auf all diese Zurüstungen, begegnen. Nur so konnte er ihre zahlenmäßige Überlegenheit ausgleichen. Inzwischen hatten die Gallier einen Landtag einberufen und festgesetzt, welche Kontingente jeder Stamm zu stellen hatte. Es herrschte Einmütigkeit darüber, daß sie alles daransetzen mußten, Alesia zu befreien. Keiner widersprach, auch die Römer-Freunde nicht. Zweihundertfünfzigtausend Mann und achttausend Reiter kamen nach Caesars Bericht zusammen. Voller Zuversicht marschierten sie auf die Stadt. Dort sollte die Macht ganz Galliens in Erscheinung treten und siegen. Die Rüstungen hatten allerdings mehr als dreißig Tage in Anspruch genommen; in der Stadt ging die Verpflegung zur Neige. Man überlegte, was zu tun sei. Einer der adligen Arverner, Critognatus, riet, nach einem Vorbild aus früherer Zeit »sich mit den Körpern derer am Leben zu erhalten, die auf Grund ihres Alters für den Krieg nicht mehr tauglich schienen«. Damit kam er zwar nicht durch, aber die Versammlung beschloß immerhin, alle unnützen Esser, also die Alten, Kran-
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ken, Frauen und Kinder fortzusenden. Die Rettung der achtzigtausend Männer für den Endkampf um die Freiheit Galliens ging jeder anderen Rücksicht vor. In einem langen Zug kamen die Ausgewiesenen zu den römischen Wällen und flehten, wenigstens als Sklaven aufgenommen zu werden. Aber Caesar befand, sie sollten nach Alesia zurückkehren, damit dort die Nahrung um so rascher ausgehe. Er hoffte, die Belagerung beenden zu können, bevor das Entsatzheer da war. Er hatte nicht mehr Menschlichkeit und nicht weniger Siegeswillen als die Gallier in Alesia. Freilich kämpfte er um die Herrschaft, während sie ihre Freiheit wiedererringen wollten. Aber das konnte nichts daran ändern, daß die militärischen Gesichtspunkte für ihn an erster Stelle standen; dazu gehörte die Rücksicht auf seine Soldaten. Sein Entschluß war hart; aber wir wissen nicht genug, um beurteilen zu können, ob er auch verwerflich war. Da sie auch in ihrer Stadt nicht wieder aufgenommen wurden, lagerten sich die Männer, Frauen und Kinder elend unterhalb der Stadtmauern; dort sind sie wohl fast alle umgekommen. Wenig später langt das riesige Aufgebot der Gallier an. Etwa eineinhalb Kilometer vom äußeren Wall der Römer entfernt bauen sie ihr Lager. Schon am folgenden Tag rücken sie zum Kampf aus. Gleichzeitig führt Vercingetorix seine Männer aus der Stadt und beginnt, den ersten römischen Graben mit Flechtwerk und Erde aufzufüllen, um den Ausbruch vorzubereiten. Caesar hat die Schlacht ausführlich geschildert; sachlich, wie es seine Art war, aber die Sache barg die ganze Spannung einer höchst wechselreichen Folge von Gefechten, in denen die Entscheidung erst im letzten Moment fiel. Er »hatte das gesamte Heer auf beiden Seiten des Befestigungsgürtels so verteilt, daß, wenn es so weit wäre, jeder auf seinem Platz stünde und ihn kennte«. Vor den Augen aller entwickelt sich das erste Reitergefecht. Caesar beschreibt, wie die Gallier »von allen Seiten den Mut der Ihren durch Geschrei und Kampfesrufe« anstacheln; wie man sich beiderseits mit höchster Tapferkeit einsetzt, da »weder heldenhaftes noch schmähliches Ver-
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halten verborgen bleiben konnte«. Die Gallier kämpfen in ihrer bewährten Taktik, Leichtbewaffnete und Reiter so gruppierend, daß jeweils die Leichtbewaffneten die eigenen Reiter in ihren Schutz nehmen und die Angriffe der römischen abwehren helfen können. Zunächst gewinnen sie auch die Oberhand. Nach langen erbitterten Kämpfen attackieren Caesars Germanen kurz vor Sonnenuntergang noch einmal, auf einen einzigen Punkt konzentriert; der Durchbruch gelingt, die Schlacht wendet sich zu Gunsten der Römer. Am nächsten Tag herrscht Ruhe; aber um Mitternacht greifen die Gallier wiederum von beiden Seiten an. Von außen ertönt lautes Kampfgeschrei, innen läßt Vercingetorix die Drachentrompete blasen, um das Angriffssignal zu geben. Die Römer wehren sich mit schweren Steinen, angekohlten Spitzpfählen und Schleuderkugeln. Bei Tagesanbruch brechen die Gallier, die in die Fallen des römischen Vorfeldes geraten waren, den Angriff ab. Dann erst studieren sie die Lage genauer. Sie erkennen, daß die römische Befestigung an einer Stelle im Norden schwach ist. Denn dort zieht sich eine Anhöhe so lang hin, daß sie nicht voll in die Linien hatte einbezogen werden können. Das römische Lager befindet sich auf halber Höhe des Berges. Dorthin also senden die Gallier bei Nacht ein Kontingent von angeblich sechzigtausend ausgesuchten Kriegern und beginnen am Mittag, ausgeruht, die Römer von oben herab anzugreifen; Vercingetorix attackiert von der anderen Seite. Kampfgeschrei ertönt von vorne wie von hinten und macht die römischen Soldaten, die sich nach vorn zu wehren haben und von hinten die Gefahr näherrücken hören, unsicher. Gleichzeitig beginnen an anderen Teilen der Front neue Angriffe. Von beiden Seiten wird mit äußerster Anstrengung gekämpft. Alle wissen, daß jetzt die Entscheidung fallen muß. Die Gallier müssen die römischen Wälle durchbrechen, ein nochmaliges Scheitern würde die Niederlage bedeuten. Die Römer müssen sie halten, dann haben sie fürs erste gewonnen. Durch ihre große Überzahl sind die Gallier in der Lage, ihre erschöpften Soldaten immer wieder durch frische abzulösen. Unmengen
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47 Von außen ertönt lautes Kampfgeschrei, innen läßt Vercingetorix die Drachentrompete blasen, um das Angriffssignal zu geben. Münze des Decimus Junius Brutus Albinus (48 v. Chr.). Vorderseite: Kopf des Kriegsgottes Mars. Rückseite: zwei gallische Drachentrompeten (carnyces) über Kreuz und zwei Schilde. von ihnen sind dabei, die Gräben zuzuschütten, alle komplizierten römischen Anlagen werden unbrauchbar gemacht. Unter dem Schutz von Schilddächern dringt man an die römische Mauer heran. Den Römern beginnt die Kraft, beginnen die Waffen auszugehen. Caesar hat der am meisten bedrängten Abteilung auf der Anhöhe sechs Cohorten zur Hilfe gesandt und Auftrag gegeben, im äußersten Notfall nach unten auszubrechen. Dann fliegt er durch die Befestigung, um überall die Soldaten anzufeuern. Alle Früchte ihres jahrelangen Kampfes, ruft er ihnen zu, stünden auf dem Spiel. Ein verzweifelter Wille, das Letzte einzusetzen und sich gegen alle Übermacht zu behaupten, erfaßt ihn. Aber die Feinde sind zu stark, von der Anhöhe herab überfallen sie die römischen Soldaten mit einem Hagel von Wurfgeschossen, die Römer räumen ihre Türme, die Gallier
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machen sich daran, mit Mauersicheln Wall und Brustwehren einzureißen. Darauf zieht Caesar anderswo Soldaten ab, um sie dorthin zu werfen. Es reicht nicht aus. Er rafft neue Cohorten zusammen und schickt sie. Schließlich eilt er selbst an der Spitze der letzten Reserve an den Platz. Die Schlacht beginnt von neuem. Aber auch die Gallier greifen neuerdings an. Caesar schreibt, sie hätten ihn »an der Farbe seiner Kleidung, die er gewöhnlich als Erkennungszeichen im Kampf trug«, erkannt. Die Formulierung ist auffällig: wenn er den üblichen römischen Feldherrnmantel (paludamentum) getragen hätte, hätte er das eigentlich sagen müssen. Offenbar hat er sich auch im Feld etwas Besonderes umgeworfen. Und die Farbe dieses Umhangs muß dann wohl – zusammen mit den Truppen, die er heranführte – den Galliern angezeigt haben, wie ernst es jetzt wird, wenn sie den Kampf so heftig erneuern. Nochmal erhebt sich Kampfgeschrei von beiden Seiten. Da taucht im Rücken der Feinde die römische Reiterei auf, die Caesar von einer wenig umkämpften Stelle aus dorthin gesandt hatte. In diesem Augenblick endlich wendet sich die Schlacht. Die Gallier der Ersatzarmee werden durch den plötzlichen Schrecken übermannt, brechen den Angriff ab und geraten in Flucht. Als sie das sehen, ziehen sich auch die Männer des Vercingetorix zurück. Die Römer sind inzwischen zu erschöpft, um den Fliehenden zu folgen. Nur die Reiterei erreicht noch die Nachhut und tötet viele der Gegner. Das gallische Heer löst sich auf. Die Schlacht ist verloren, das Land hat seine Freiheit verwirkt. Vercingetorix erklärt in Alesia, man müsse sich Fortuna beugen. Er fordert seine Männer auf, ihn zu töten oder lebend auszuliefern. Man schickt zu Caesar. Der befiehlt, die Waffen abzugeben und ihm die führenden Männer vorzuführen. Auf der Befestigung vor seinem Lager sitzt er, als diese in einem langen Zug herankommen. Die Waffen werden vor ihm niedergelegt. Vercingetorix kommt in glänzender Rüstung, noch als Unterlegener imponiert der stattliche, tapfere Mann den Römern. Er wirft sich Caesar schweigend zu Füßen und streckt
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seine Hände vor zum Zeichen der Kapitulation. Manch einen der Umstehenden erfaßt Mitgefühl. Doch Caesar hält ihm kalt den Bruch der alten Freundschaftsbindung vor und läßt ihn in Ketten legen. Sechs Jahre muß er im Gefängnis warten, bis er den Römern im Triumph vorgeführt werden kann. Dann wird er im Mamertinum (am Forum Romanum) gnadenlos hingerichtet. Die Haeduer und Arverner dagegen läßt Caesar schonen, er gibt ihnen die Gefangenen zurück und nimmt sie in Gnaden wieder auf. Er braucht sie als Stützen seiner Herrschaft über Gallien. Aus der Reihe der übrigen Gefangenen spricht er jedem seiner Soldaten einen Mann als Beute zu – den Rest wird er auf eigene Rechnung verkauft haben. Wenige Schlachten, sagt Plutarch, sind mit so verwegener Tapferkeit und solchem Aufwand an technischer Findigkeit, an »kriegerischem Genie«, geschlagen worden. Caesar hatte in der Tat einen großen Sieg erfochten. Aber der Krieg war noch nicht zu Ende. Immerhin hatten die Römer zentrale Teile Galliens wieder in der Hand, die Verbindungen zur alten Provinz und nach Rom waren gesichert. Wie schon mehrfach, gewährte der Senat Caesar auch Ende 52 eine zwanzigtägige Supplicatio. Nur scheinen viele dabei den Hintergedanken gehabt zu haben, zu dokumentieren, daß der gallische Krieg jetzt endlich beendet sei: dann konnte man Caesar einen Nachfolger schicken. Während Caesar in Gallien abgeschnitten gewesen war, hatte sich in Rom einiges zugetragen, was seine Position erheblich verschlechterte. Zwar war das Gesetz durchgegangen, nach dem ihm die Consulatsbewerbung in absentia erlaubt sein sollte. Dann aber hatte Pompeius mehrere Anträge eingebracht, um verschiedenen Mißbräuchen zu steuern. Es waren nützliche Reformen; sie hatten nur den Nachteil, daß sie die Rechte Caesars berührten. Man verfügte nämlich unter anderem, daß Bewerbungen in absentia künftig grundsätzlich ausgeschlossen sein sollten. Weshalb Caesars Freunde dagegen keinen Einspruch erhoben, wissen wir nicht. Vermutlich waren sie es gar nicht gewohnt,
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aus eigener Initiative umsichtig zu handeln, weil sie in der Regel durch Anweisungen aus Gallien gelenkt wurden. Erst spät bemerkten sie die Unterlassung, wenn sie es überhaupt taten. Als die Kuriere Caesar wieder erreichten, war das Gesetz schon in Erz gegossen und im Archiv deponiert. Pompeius ging hin und brachte eine nachträgliche Korrektur an; ob das ausreichte, um einen Rechtsanspruch zu begründen, war aber ganz offen. Schlimmer noch war, daß ein anderes Gesetz – das der Eindämmung von Wahlbestechungen diente – bestimmte, daß zwischen Consulat und Statthalterschaft künftig fünf Jahre verstreichen sollten; in der Zwischenzeit sollten Magistrate früherer Jahre in die Provinzen gesandt werden. Das bedeutete, daß Caesar unmittelbar nach dem 1. März 50 einen Nachfolger erhalten konnte. Sein Kommando war dann abgelaufen. Man konnte ihm nun also rechtzeitig genug einen Nachfolger schicken, um ihm den Prozeß zu machen, bevor er sich durch ein neues Consulat hätte absichern können. Freilich konnte Caesar sich politisch zur Wehr setzen; noch war Pompeius nicht endgültig im Lager der Gegner. Außerdem ließen sich Senatsbeschlüsse durch tribunicisches Veto verhindern. Aber es konnte nicht einfach sein, da in Rom wieder Ordnung eingekehrt war. Milo war verurteilt und in die Verbannung geschickt worden. Pompeius hatte dabei das Forum mit Soldaten gesichert, und die traten so bedrohlich auf, daß der Verteidiger Cicero nicht den Mut zu einem entschiedenen Plädoyer fand. Zahlreiche andere Prozesse hatten sich angeschlossen, viele mit Verurteilungen geendet. Noch 52 wurde Pompeius’ spanisches Kommando verlängert. Caesar konnte im folgenden Winter Gallien nicht verlassen. Die Gefahr neuer größerer Aufstände bestand. Mehrere Stämme rüsteten zum Krieg; sie hatten beschlossen, jetzt wieder getrennt zu operieren, und wollten die römischen Legionen, die Caesar weit über das Land verteilt hatte, einzeln schlagen. Der Winter war überaus hart, die Kälte kaum zu ertragen, die Soldaten waren überanstrengt. Trotzdem mußte Caesar, der in Bibracte sein Winterlager aufgeschlagen hatte, zunächst nach Westen in das Gebiet der Bituriger marschie-
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ren, nach kurzer Pause dann nordwestlich gegen die Carnuten, schließlich nach Norden gegen die Bellovacer. Offenbar konnte er diese Kämpfe seinen Unterführern nicht überlassen. Um die Soldaten möglichst zu schonen, führte er jedesmal andere Legionen mit sich, außerdem versprach er hohe Belohnungen aus der Beute. Der Krieg gegen die Bellovacer zog sich besonders lange hin. Sie hatten im weiten Umkreis andere Stämme gewonnen, auch germanische Hilfstruppen zugezogen. Die Kämpfe verliefen wechselhaft. In Rom, so hören wir, hoffte man wieder auf Caesars Niederlage. Aber auch diesmal konnte Caesar, im Frühjahr oder Frühsommer des folgenden Jahres, schließlich siegen. Doch war Gallien auch dann nicht befriedet. Unruhe und Rüstungen hielten an. Caesars Legaten mußten gegen verschiedene Stämme ziehen, stießen allerdings nur selten auf Widerstand. Die Gallier rechneten damit, daß es der letzte Sommer der caesarischen Statthalterschaft wäre, meinten, nur noch den überstehen zu müssen und warteten ab, um dann gegen einen Nachfolger Caesars leichteres Spiel zu haben. Um so härter schlug Caesar hier und da zu, ließ sich immer mehr Geiseln stellen und führende Persönlichkeiten der unruhigen Stämme hinrichten. Als die Cadurcer-Stadt Uxellodunum fiel, in die sich ein aufständischer Haufen zurückgezogen hatte, ließ er allen, die Waffen getragen hatten, beide Hände abhakken. Das Leben schenkte er ihnen, »damit die Strafe für ihre Schlechtigkeit um so augenfälliger werde«. Aulus Hirtius, der die beiden letzten Kriegsjahre beschreibt, bemerkt dazu, da Caesar gewußt habe, daß seine Milde allgemein bekannt war, habe er nicht zu furchten brauchen, daß man dieses Vorgehen einer Grausamkeit seiner Natur zuschreibe. Er habe nicht gesehen, wie er ohne solch abschreckende Maßnahmen andere davon abhalten könne, sich ihrerseits zu erheben. Eine schöne Erklärung! Auf den Ruf der Milde legte Caesar also auch damals großen Wert. Wir hören, daß Besiegte an seine Clementia und Humanitas appellieren. Und im ganzen verfuhr er mit den Unterworfenen nach Möglichkeit wohl rücksichtsvoll. Er war zu
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beherrscht, um seinem Zorn freien Lauf zu lassen, zu aufmerksam, um gleichgültig zu sein und Mißbräuche zu dulden. Vielleicht auch bestimmte ihn in irgendeiner Weise noch das Bewußtsein, daß der Krieg seinem Ehrgeiz, eine große Eroberung zu machen, entsprungen war, so daß er im Rahmen dessen, was der Krieg forderte, möglichst schonend vorging. Caesar liebte es ja ohnehin, großzügig zu sein; wie zu den Soldaten, wie zu allen, die ihm untergeben waren; das war ein Ausdruck seiner Überlegenheit; er schloß Genauigkeit und Strenge nicht aus, aber er überwölbte sie. Und Grausamkeit lag gewiß nicht in seiner Natur. Wenn er sie gelegentlich übte, so war es, weil sein hoher Anspruch, seine wachsende Ungeduld, sein unbedingter Durchsetzungswille ihn dazu veranlaßten. Auch wußte er sehr wohl, daß er viele an sich binden mußte, wenn er Gallien behaupten wollte. Wollte er aber führende Persönlichkeiten und Stämme auf seine Seite bringen, so durfte er deren Anhänger nicht schlecht behandeln. Gerade wenn er einmal hart zuschlug, mußte er das bei anderer Gelegenheit wieder ausgleichen. So hat Caesar in den Jahren 51 und 50 den Eindruck seines Sieges bei Alesia und die Kraft und Umsicht seiner militärischen Operationen bewußt und sorgfältig mit Milde und Freundlichkeit ergänzt. Ganz Gallien war, wie Aulus Hirtius schreibt, noch immer jederzeit bereit, den Krieg wiederzueröffnen. Angesichts des nahen Endes seiner Statthalterschaft, mußte Caesar aber den Ausbruch neuer Feindseligkeiten unter allen Umständen vermeiden, um nicht bei der Rückkehr nach Rom einen Kriegsschauplatz zu hinterlassen. »Er erwies daher den Stämmen alle möglichen Ehren, ließ den führenden Männern bedeutende Belohnungen zukommen und legte dem Land keine neuen Lasten auf, so daß er dem durch so viele Niederlagen erschöpften Gallien eine Unterwerfung vorteilhafter erscheinen ließ und auf diese Weise mühelos den Frieden erhalten konnte« (Hirtius). Die Bilanz des Kriegs war furchtbar, auch wenn die Zahlenangaben weit übertrieben sind, wonach Caesar achthundert
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Städte einnahm, dreihundert Völkerschaften unterjochte und drei Millionen Wehrfähige schlug, von denen ein Drittel den Tod gefunden und ein weiteres in Gefangenschaft und Sklaverei geraten sei. Das Land hatte jedenfalls unendlich viele Menschen und Mittel eingebüßt. Gallien war deswegen nicht wehrlos. Wenn es aber zur Ruhe kam, konnte es wohl veranlaßt sein, sich fürs erste in die neue Lage zu fügen. Eben dazu hat Caesar es gebracht. Die Kämpfe von 51 blieben Nachklänge des großen Vercingetorix-Aufstands. So fügte Caesar seinen bedeutenden militärischen Leistungen zum Schluß noch diejenige einer politischen Befriedung hinzu, weiträumig angelegt, mit größtem Aufwand an intellektueller Energie und Entgegenkommen. Im Herbst 51 hatte er sich nach Aquitanien begeben, das er noch nicht kannte. Er inspizierte es und vollendete seine Unterwerfung. Danach fuhr er in die Transalpina, um Gericht zu halten und außerdem diejenigen zu belohnen und enger an sich zu binden, die ihm und Rom während des großen Krieges die Treue gehalten hatten. Schließlich fuhr er ins belgische Gebiet zurück und ging nach Nemetocenna (dem heutigen Arras) ins Winterlager. In dieser Zeit hat er, nach Hirtius, »sich als einziges Ziel gesetzt, die Stämme in ihrem freundlichen Verhältnis zu Rom zu erhalten und weder Hoffnung auf eine bewaffnete Auseinandersetzung aufkommen zu lassen noch Anlaß dazu zu geben«. Im Jahre 50 blieb in Gallien alles ruhig. Das Land war so gut gesichert, daß seine Stämme dann auch den Bürgerkrieg nicht nutzten, um Caesar in den Rücken zu fallen oder sich gegen das nach außen wehrlose Rom zu stellen. Caesar hatte es jetzt wirklich erobert. Aber wenn Caesar so das eine seiner großen Probleme unter entsetzlichsten Mühen und Opfern – und unter großen Verlusten auch an römischen Soldaten – gelöst hatte, so türmte sich das andere nur um so höher auf, je dringender es wurde: die Rückkehr in die römische Innenpolitik. In Rom nämlich war eine mächtige Gruppe am Werk, um ihm die Statthalterschaft
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zu nehmen und, wie Cato immer wieder erklärte, wie er sogar schwor, ihm dann den Prozeß zu machen. Der Plan ging offenbar dahin, daß das, wie im Falle Milos, unter militärischem Schutz geschehen sollte. Einer der Consuln von 51, Marcus Claudius Marcellus, erklärte, da der gallische Krieg beendet sei, solle man Caesar sofort einen Nachfolger senden. Der Senat entzog sich längere Zeit seinen Anträgen, zumal Pompeius sich an die Zusage gebunden fühlte, vor dem 1. März 50 über Caesars Provinzen nicht beraten zu lassen. Am 29. September 51 wurde dann aber beschlossen, die Sache am 1. März auf die Tagesordnung zu setzen; es sei den Consuln aufgegeben, alles daranzusetzen, einen Entschluß darüber herbeizuführen. Schließlich sollte über die Soldaten in Caesars Armee, die ausgedient oder andere Gründe zur Entlassung hätten, im Senat berichtet werden. Man dachte wohl, dadurch Caesars Stellung in seiner Armee erschüttern zu können. Vier Volkstribunen hatten gegen diese Beschlüsse intercediert. Aber der Wille des Senats war offenkundig: Es war damit zu rechnen, daß die neuen Consuln ihn befolgten. Pompeius hatte öffentlich erklärt, wenn im März gegen die zu fassenden Beschlüsse ein Veto eingelegt würde, so wäre das als Ungehorsam Caesars gegen den Senat anzusehen. Auf die Frage, was denn sei, wenn Caesar während seines Kommandos sich um das Consulat bewerben wollte, hatte er geantwortet: »Was ist, wenn mein Sohn mit einem Stock auf mich einschlägt?« Das hieß offenbar: das sei unmöglich, und wenn es doch geschehe, so sei es so schlimm, daß er es sich nicht bieten lassen könne. Marcellus beging überdies einen Affront gegen Caesar, indem er einen Bürger der von ihm gegründeten Colonie Novum Comum (heute Como) auspeitschen ließ. Er wollte damit zeigen, daß dieser Mann kein römischer Bürger sei, obwohl Caesar ihm und anderen dieses Recht, in ungebührlicher Auslegung von Gesetzesbestimmungen, verliehen hatte. Die Striemen, so ließ er den Mann wissen, solle er Caesar vorweisen. Die Seele dieser Politik war Cato, ihre wichtigsten Verfechter drei Herren aus dem Geschlecht der Claudii Marcelli –
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zwei Brüder und ein Vetter, denen es gelang, in den Jahren 51, 50 und 49 je eine Consulstelle zu gewinnen. Sie und ihre Verbündeten waren der Überzeugung, daß Caesars Rückkehr in die Innenpolitik mit allen Mitteln verhindert werden müsse. Das allerdings konnte den Bürgerkrieg bedeuten. Cicero bezeugt, daß der zweite Consul von 51, der Jurist Servius Sulpicius Rufus, immer wieder den Bürgerkrieg der achtziger Jahre in Erinnerung gerufen und hinzugefügt hätte, ein neuer würde noch schlimmer. Denn wofür es ein Vorbild gebe, das gelte leicht schon als rechtmäßig; und aus eigenem täte man immer noch Einiges hinzu. Nichts also dürfe geschehen, so hat er immer wieder erklärt, was zu einem Bürgerkrieg führen könnte. Auch sonst begegnet die Möglichkeit eines Kriegs in den Erwägungen guter Beobachter des damaligen politischen Geschehens. So wurde deutlich, was man von Caesar erwartete. Aber wie Sulpicius annahm, daß er sich gegen seine, vom Senat rechtmäßig zu beschließende, Abberufung bewaffnet zur Wehr setzen würde, so befürchtete Cato eben auch, daß er als Consul in Rom wieder, wie in seinem ersten Consulat, willkürlich und rechtswidrig verführe und daß das auf die Begründung seiner eigenen Herrschaft hinausliefe. Caesar oder die Republik, so stellte sich diesen Senatoren die Alternative. Eines schloß das andere aus. Wenn die alte, allgemein anerkannte, vom Willen der gesamten Bürgerschaft getragene Ordnung fortbestehen sollte, mußte Caesar beseitigt werden. Mit Pompeius hatten sie sich vertragen können, so sehr und so lange sie ihn bekämpft hatten. Sie wußten, daß er die alte Ordnung letztlich respektierte. Daher war er ja in seiner Politik so schwankend und heuchlerisch gewesen. Seine Macht, sein Anspruch waren so groß, daß Cato und dessen Freunde ihn für gefährlich hielten. In seinem Wesen aber war er brav, seine Natur fügte sich letztlich in den Rahmen der Aristokratie. So konnten sie sich, als sie keinen anderen Ausweg mehr sahen, mit ihm vertragen. Vermutlich wußten sie damals schon, daß seine Macht, sobald sie ihn einmal anerkannt hatten, ihnen nicht mehr schaden konnte; dann stand seinem Respekt
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gegenüber dem Senat nichts mehr im Weg. Caesar jedoch war ohne Respekt, fremd, und er paßte nicht in die Republik. Seine kalte, unverhohlene Rücksichtslosigkeit und Verachtung der überkommenen Institutionen und ihrer Träger, seine Selbstbezogenheit, die völlige Bedenkenlosigkeit seiner Kriegseröffnung in Gallien, seine Überfälle auf andere Völker, nicht zuletzt auch die unerhörte Überlegenheit, in der er allen begegnete – das alles ließ ihn außerhalb der Aristokratie stehen, machte ihn unheimlich, um vom Dämonischen seines Wesens zu schweigen. Es war nicht zu erwarten, daß er sich einfügte, sich dem Urteil des Standes, wenn es nottat, beugte. Alles römische Handeln war dadurch bestimmt, daß Roms Gesellschaft sich über ihre Ordnung letztlich einig und daß diese Einigkeit so stark war, daß sie sich gleichsam unmittelbar in das Denken ihrer Mitglieder einprägte. Die wollten dann gar nicht erst, was sie nicht zu wollen hatten. Das galt auch für Pompeius. Es gab Spielräume und Freiheiten für den Einzelnen sowie die Möglichkeit, gegen den Stachel zu löcken. Doch bewegte sich das innerhalb von Grenzen, welche bei aller Elastizität um so fester wurden, je mehr einer dagegen stieß. Und das wußte jeder, weil jeder auf ungewöhnlich starke Weise am allgemeinen Wissen teilhatte. Man lebte geistig gleichsam in engster Tuchfühlung, und das machte die gemeinsame Wirklichkeit aus. Eben der aber, das spürte Cato, gehörte Caesar nicht an; er lebte in einer anderen Wirklichkeit. Wenn Pompeius, so sehr man ihn aus der Aristokratie herauszuhalten suchte, doch stets an sie gebunden blieb, war Caesar von ihr frei. Er war es in gewissem Sinne immer gewesen, hatte sich dann 59 deutlich aus ihr entfernt; inzwischen war er sein eigener Herr geworden, und es war wohl in der Tat damit zu rechnen, daß er sich bedenkenlos in Rom durchsetzte. Unklar freilich ist, ob Cato und seinen Verbündeten wirklich bewußt war, worauf sie sich mit ihrer unerbittlichen Ablehnung Caesars einließen. Meinten sie wirklich, ohne einen Bürgerkrieg zum Ziel zu kommen und wenn nicht, wußten sie, was das bedeutete? Soweit man aus ihrem späteren
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Denken zurückschließen kann, haben sie die Gefahren, die sie heraufbeschworen, nicht ermessen können. Sicher verließen sie sich auf Pompeius, überschätzten seine Macht und seine Möglichkeiten. Wahrscheinlich unterschätzten sie Caesar auch, so sehr sie ihn fürchteten, weil sie ihn haßten. Vermutlich gehörte es zu ihrer festen Überzeugung von der Richtigkeit der alten Republik, daß sie sich gar nicht vorzustellen vermochten, daß deren Gegner so stark sein konnte. Sie sahen in Caesar mehr das Fremde als das Vermögen, mehr das Böse als die Macht. Offen war einerseits, ob sich Pompeius wirklich voll auf die Seite Catos stellen wollte, und andererseits, wohin die Senatsmehrheit und mit ihr die der Bürgerschaft neigte. Nicht zuletzt davon hing es ab, wie Caesar sich gegen seine Gegner wehren, ob er sich am Ende sogar gegen sie durchsetzen konnte. Im Jahre 51 wird das nicht ganz deutlich. Caesars Plan war es, sich um ein zweites Consulat – wohl dasjenige von 48 – zu bewerben. Dann hätte er mit Hilfe seiner Veteranen ein Ackergesetz durchsetzen wollen, und der Senat hätte sich ihm entweder gefügt oder wäre neuerdings schwer geschlagen worden. Voraussetzung dafür war, daß Caesar sich bewerben konnte, ohne seine Statthalterschaft aufzugeben. Nur so ließ sich ein Prozeß vermeiden. Seine Politik bewegte sich in dieser Lage in drei Richtungen. Erstens bemühte er sich, unter den Magistraten des Jahres 50, vor allem den Consuln und Volkstribunen, Männer zu haben, die seine Sache kraftvoll und entschieden vertraten. Zweitens versuchte er, die Senatsmehrheit für sich einzunehmen. Drittens tat er alles, um seine Macht in Gallien zu befestigen, damit er für den Notfall des Bürgerkriegs gerüstet sei. Schon 51 hatte er eine Legion in die Cisalpina verlegt, angeblich, um die dortigen Colonien gegen Überfalle zu sichern. 50 bereiste er bereits im Frühsommer die ganze Provinz und wurde mit großen Ehren empfangen. »Es fehlte nichts, was sie zum Schmuck der Tore, der Straßen, überhaupt aller Plätze, die Caesars Weg berührte, ausdenken konnten. Die ganze
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Bevölkerung kam ihm jeweils mit ihren Kindern entgegen, überall wurden Opfertiere geschlachtet, und in Tempeln sowie auf den Marktplätzen standen mit Teppichen bedeckte Speisediwans für öffentliche Gastmähler« (Hirtius). Die Pracht und Begeisterung, mit denen Wohlhabende wie die breite Menge Caesar begegneten, galten dem erfolgreichen Feldherrn, dem Statthalter, aber auch dem Mann, der sich schon lange dafür eingesetzt hatte, daß die Bewohner dieser Provinz das volle römische Bürgerrecht erhielten. Caesar wird von der Möglichkeit eines Krieges nicht gesprochen haben, jedenfalls nicht öffentlich. Aber er wird ihnen sehr deutlich zu verstehen gegeben haben, daß keiner ihre Interessen, aber auch diejenigen Roms so gut wahrnahm wie er. Und er hat sich gewiß auch nicht versagt, wissen zu lassen, welches Unrecht ihm seine Gegner in Rom antun wollten. Danach eilte er ins belgische Gebiet zurück, nahm eine Heerschau vor, versicherte sich weiterhin der Treue und Ergebenheit seiner Soldaten und seiner Freunde im Lande. Außerdem ließ er neue Waffen herstellen, neues Kriegsgerät, veranstaltete auch Aushebungen, um die Reihen seiner Soldaten aufzufüllen. Erst im Herbst, nachdem er die Legionen zu Belgern und Haeduern ins Winterlager geschickt hatte – zu den tapfersten und den angesehensten der Gallier, damit diese durch sie in Schach gehalten würden –, kehrte er über die Alpen in die Cisalpina zurück und schlug sein Hauptquartier in Ravenna auf. Dem Senat gegenüber erwies er sich als betont loyal. »Er glaubte nämlich, seine Sache könne leicht verfochten werden, wenn es im Senat die Möglichkeit zu freier Meinungsäußerung gebe.« Das eben scheint das Problem für ihn gewesen zu sein. Wenn die Senatoren nicht für ihn waren, so konnte es nur daran liegen, daß sie von der kleinen, mächtigen Clique seiner Gegner unter Druck gesetzt wurden. So wie die sich nicht vorstellen konnten, was Caesar alles einzusetzen hatte, konnte er sich nicht vorstellen, daß die Senatsmehrheit nicht an sich ihm zuneigte.
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Schon vor 58 hatte er sie ja gelegentlich fast gewonnen. Inzwischen aber hatte er sich als Feldherr bewährt wie kein römischer Feldherr vor ihm, hatte für die Stadt die größten Anstrengungen auf sich genommen. Der Feldherrnruhm war in Rom seit alters • am höchsten geschätzt. Caesar hatte also Anerkennung zu beanspruchen, hohe Ehren. Daß seine Gegner sie ihm versagten, konnte er sich mit deren Verstocktheit, Voreingenommenheit und Eigensucht erklären. Aber daß die Senatsmehrheit freiwillig zustimmte, wenn man ihn absetzen und ihn zum Prozeß nach Rom zitieren wollte, war ihm vermutlich wirklich undenkbar. Wie standen seine Gegner da? Indessen er die halbe Welt gewonnen, was hatten sie getan? Außerdem hatte Caesar viele Senatoren reichlich mit Geschenken, Darlehen und anderen Aufmerksamkeiten bedacht. So wenig er aber Cato und dessen Verbündeten gerecht wurde, seine Beurteilung der Senatsmehrheit war jedenfalls nicht ganz falsch. Seine Leistungen werden vielen imponiert haben, und es fiel ihnen nicht leicht, den Besieger Galliens zu verurteilen. Zu oft hatten sie ihm ja hohe Ehren verliehen. Aber deswegen war vielen von ihnen die Aussicht auf seine Rückkehr noch nicht angenehm, und sie waren noch lange nicht dafür, daß er, ohne sein Kommando aufzugeben, zum Consul gewählt würde. Wenn sie sich sträubten, einen Beschluß über seine Absetzung zu fassen, so vermutlich in erster Linie, weil sie ihn fürchteten. Sie urteilten insoweit kaum anders als Cato. Nur fanden sie, daß man jedenfalls keinen Krieg riskieren sollte. Mit Caesar war nicht zu scherzen, also mußte man ihm seinen Willen lassen. Caesars Sache wurde in Rom während des Jahres 50 vor allem durch den Volkstribunen Gaius Scribonius Curio und den Consul Lucius Aemilius Paullus verfochten. Beide hatte er mit Beträgen, die hoch in die Millionen gingen, für sich einzunehmen gewußt. Von einem Wahleinfluß allerdings, den er zu ihren Gunsten ausgeübt hätte, hören wir nichts. Paullus hatte eine große Basilica am Forum prächtig wieder aufgebaut und sich dabei in große Schulden gestürzt. Curio hatte seine Schulden vor allem von seinem großartigen Theaterbau und seinen
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Spielen her. Caesar aber war kein Preis zu hoch, obwohl er damals trotz seiner riesigen Reichtümer selber an die Grenze seiner Möglichkeiten gelangt sein soll; Curio brauchte zehn Millionen, Paullus sechsunddreißig. Die Jahrestribute Galliens beliefen sich auf vierzig Millionen; aber die Mittel aus der Beute gingen wohl ein gut Stück darüber hinaus. Pompeius soll wiederholt gesagt haben, Caesar müsse den Bürgerkrieg schon deshalb beginnen, weil er sonst weder seine Bauwerke vollenden noch die Erwartungen auf seine Rückkehr erfüllen könnte. Gaius Scribonius Curio war ein »genialer Taugenichts« (ingeniosissime nequam). Ein hochbegabter, feuriger, ungemein charmanter, bislang wenig zuverlässiger junger Mann, damals etwa vierunddreißig Jahre alt. Er stammte aus dem plebeischen Adel, sein Vater zählte zu den hervorragendsten Consularen, war übrigens ein relativ unabhängiger Politiker, wir sehen die beiden verschiedentlich zusammen wirken. Unter Roms Jeunesse dorée war Curio immer der Erste gewesen. Er führte 61 die »milchbärtigen Jünglinge« an, die sich übermütig-eifrig in der Volksversammlung für Clodius einsetzten, um zu verhindern, daß dessen Skandal geahndet würde. Er war dann aber auch der einzige, der 59 auffällig, lautstark und frech den Consul Caesar öffentlich angriff, als der nach dem Rückzug seiner Gegner aus der Politik die Stadt terrorisierte. Entsprechend wird er auch in seinen Extravaganzen unübertroffen gewesen sein, hingegeben an alle Freuden des Weins und der Liebe, großzügig in allen Dingen, verschwenderisch auch mit dem, was ihm nicht gehörte; tonangebend unter den Altersgenossen, unter denen uns vor allem der geistvolle Marcus Caelius und der späterhin berühmte Marcus Antonius bekannt sind. Sie alle machten nach, was die ältere Generation ihnen vorzumachen schien, ohne doch die Skrupel zu haben, die dieser – von Caesar abgesehen – zuletzt doch Grenzen setzten. Cicero rühmt seine rhetorischen Fähigkeiten, die er nicht einer Ausbildung, sondern seiner Natur verdankt habe. Er
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habe leicht und ungezwungen gesprochen, mitunter scharf pointiert, immer gedankenvoll. Nichts scheint ihm Schwierigkeiten gemacht zu haben. Ob er mehr aus Mut oder aus Leichtsinn zu handeln pflegte, ist nicht zu entscheiden. Sein Freund Caelius sagte ihm noch 51 nach, er tue nie etwas mit Überlegung. Es war ein solch überschäumender Reichtum an Lebensmut in ihm, eine solche Lust an seiner Freiheit, daß er sich höchst unbekümmert bewegte, sich nirgends einfügen, nirgends Teil, sondern immer nur Ganzes sein wollte. Nicht wie die Andern ihn haben wollten, sondern wie es ihm selbst gefiel, das heißt: ganz besonders wollte er sein. Nur flog ihm ja alles zu. Er brauchte sich nicht anzustrengen, war gewiß nicht fleißig, und imponieren konnte ihm so leicht nichts. So lebte er aus dem Impuls heraus, erfreute sich seiner Leichtigkeit, seiner Wendigkeit und nahm die Dinge, wie es ihm gerade beliebte, ohne irgendwo Anker zu werfen. Eduard Meyer bemerkt: »Wie Caesar verband er mit völliger Erhabenheit über die Gebote der politischen Moral und mit der größten, ostentativ zur Schau getragenen Nonchalance in seinem Auftreten einen feinen politischen Blick und das begründete und adelnde Bewußtsein, daß er etwas zu leisten vermöge; er steht Caesar weit näher als etwa dem Clodius, als dessen Erbe er sonst erscheint, wie er denn auch dessen Witwe Fulvia geheiratet hatte.« Schon Mommsen hatte von Curios »anmutiger Offenherzigkeit« gesprochen und gefunden, es sei ein Funke von Caesars Geist in ihm gewesen. Er war freilich nicht als Außenseiter aufgewachsen, hatte nicht Caesars Energie, nicht sein Ethos und seine Zielstrebigkeit, jedenfalls bis zum Jahre 50 nicht. Wenn Caelius von sich sagt, er liebe es zumeist, sich um nichts zu kümmern, so trifft das für weite Teile der Biographie Curios ebenso zu. Dafür bewahrte er sich lange die ungeschmälerte Fülle seiner reichen Möglichkeiten. Das machte seinen Glanz aus und hatte wohl auch für manch einen etwas Beneidenswertes, so bedenklich es ernsten Gemütern erscheinen mochte. Caesar scheint besonderen Gefallen an ihm gefunden zu haben. Er schildert ihn in seinem Buch über den Bürgerkrieg mit großer Sympathie. Übrigens betraute er
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ihn dann trotz oder gar wegen des Leichtsinns – oder weil er wußte, was dahinter steckte – im Bürgerkrieg mit den wichtigsten Aufgaben. Curio hatte zunächst nicht beabsichtigt, Volkstribun zu werden, vielmehr erst bei einer Nachwahl kandidiert. Er hatte auch nicht unbedingt vor, auf Caesars Seite zu treten. Wie sein Freund Caelius hätte er ebensogut die Sache des Senats vertreten können. Die Jugend fühlte sich damals weder im Ganzen noch in ihren interessantesten und aufgewecktesten Teilen zu Caesar hingezogen. Nur wollten sie sich gern hervortun; Curio brauchte außerdem Geld, und das war nur bei Caesar zu bekommen. Der aber schien anfangs von ihm nichts wissen zu wollen. Ob er ihm die Opposition von 59 noch nachtrug, ob er ihn unterschätzte, ob Curio ihm zu teuer war oder ob er sich insgeheim schon mit ihm geeinigt hatte, wissen wir nicht. Jedenfalls bekämpfte Curio ihn zunächst nach Kräften und schwenkte erst Ende Februar 50 zu ihm über. Fortan fehlte es ihm weder an Kraft und Phantasie noch an Stetigkeit und an Begeisterung. All sein Tun straffte sich in diesem Bündnis. Als der Senat am 1. März über Caesars Provinzen verhandelte und der Consul Marcellus für die sofortige Entsendung von Nachfolgern eintrat, verhinderte Curio jeden Beschluß. Der Consul Paullus half, die Beratungen zu verschleppen. Den genauen Ablauf kennen wir nicht. Aber die Taktik der Caesarianer ist klar: Curio widersprach der Ablösung des Statthalters nicht unbedingt. Er meinte nur, wenn Caesar sein Kommando niederlege, müsse Pompeius das seine auch abgeben. Dann wäre die Republik wieder frei. Er machte sich zum Anwalt der herkömmlichen Ordnung, die wiederherzustellen sei. Daß das Kommando des einen abgelaufen war, das des anderen noch mehrere Jahre dauern sollte, daß eine Verkürzung wider die Ehre war, kümmerte ihn nicht. Wozu hatte Pompeius seine spanischen Provinzen, wenn er doch in Italien blieb? Wenn gewisse Senatoren sich durch Caesars Legionen bedroht fühlten, wandte er ein, daß die des Pompeius doch ebenso
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gefährlich wären. War es nicht besser, wenn keiner mehr auf eine große Armee gestützt Druck ausüben konnte, wenn das Gemeinwesen also wieder wie ehedem regiert wurde, von Senat und Volk, im freien Spiel der Kräfte? Indem Curio zugleich für den Frieden agitierte, sprach er in allen Bürgern lebhafte Wünsche an, Schwächen, welche um so größer waren, als die Bürgerschaft als solche sich militärisch kaum mehr zu wehren vermochte. Curio stellte also den Antrag, der Senat möge beschließen, daß Caesar und Pompeius ihre Kommandos niederlegten. Offensiv also und mit viel Phantasie verteidigte er Caesars Sache. Um dessen Absetzung zu verhindern, wechselte er das Thema: Es ging nicht mehr um Caesar, sondern um die Republik. Die Veränderungen von 55, ja von 59 sollten rückgängig gemacht werden. Damit war Pompeius in die Defensive gedrängt. Er war allerdings wohl auch stärker als vorher auf die Seite von Caesars Gegnern verwiesen. Aber es ging Curio – wie Caesar – ja in der Hauptsache um die Senatsmehrheit. Die soll auch bereit gewesen sein, den Antrag anzunehmen; die Gegner hätten dann die Abstimmung verhindert. Die Nachricht davon verdanken wir allerdings nur einer caesarianischen Quelle. Gleichwohl kann sie zutreffen. Die meisten Senatoren waren an sich auf Seiten des Pompeius. Sie können sich auch nicht darüber getäuscht haben, daß Caesar im Fall einer beiderseitigen Niederlegung der Kommandos innenpolitisch weit überlegen war, dank seiner taktischen Fähigkeiten wie der großen Anhängerschaft seiner Veteranen; vielleicht vermochte er sogar, Pompeius wieder zu sich herüberzuziehen. Was Curio als Freiheit von Senat und Volk verfocht, war also Caesars Stärke. Aber so schwach wie die Republik in seinen und Caesars Augen war, so schwach waren eben auch die Senatoren. Sie müssen sich gesagt haben, daß sich durch Curios Antrag wenigstens der Bürgerkrieg vermeiden ließe. Wir wissen nicht, wie viele Senatoren auf der fraglichen Sitzung anwesend waren, was Curios Rhetorik ausgemacht hat; vielleicht hat er den Senat auch überrumpelt. Pompeius war sehr aufgebracht. Um Curio besser entgegentreten zu können,
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soll er auf seine alten Tage sogar noch einmal Rhetorikunterricht genommen haben. Er sah sich zu einer Konzession genötigt: Caesar solle sein Kommando noch für den Sommer behalten und erst Mitte November abgelöst werden. Vielen Senatoren war auch das recht. Aber Caesars Problem war dadurch nicht gelöst. Curio legte also sein Veto ein. Der Senat brauchte sich das nicht unbedingt bieten zu lassen. Es gab dagegen das Mittel des »Verhandelns mit dem Tribunen«: Man setzte den Betreffenden unter starken Druck, drohte, ihm äußerstenfalls seine Amtsführung zu untersagen. Dafür gab es Präzedenzfälle. Aber angesichts der Eigenständigkeit des Tribunats ließ sich nicht unbedingt behaupten, daß solche Suspendierung rechtens sei. Und jedenfalls konnte dieses Vorgehen nur Erfolg haben, wenn der starke Wille des Senats dahinterstand. Da man Curio nicht leicht imponieren konnte, mußte man zum Äußersten entschlossen sein. Eben daran fehlte es dem Senat. Er lehnte also den Antrag, mit dem Tribunen zu verhandeln, ab. Ciceros scharfsinniger Freund Caelius zog daraus in einem Brief den Schluß: »Sie haben sich dahin entschieden, man müsse ihn zur Wahl zulassen, ohne daß er Heer und Provinzen abgegeben hätte.« Er hatte allerdings kurz vorher schon festgestellt: »Wenn sie Curio mit allen Mitteln bedrängen, wird Caesar den Intercessor verteidigen; schrecken sie, wie wahrscheinlich, davor zurück, wird Caesar bleiben, solange er will.« Mit einem Wort: Die stärksten Druckmittel nützten nichts, wenn eine Armee bereitstand, um die Verletzung der geheiligten Rechte der Volkstribunen zu ahnden. Was Caesar, wenn es ihn hinderte, in seinem Consulat schlicht beiseite geschoben hatte, war er jetzt bereit, mit einer Armee zu verteidigen. Und da jeder das wußte, entzog sich die Senatsmehrheit der Machtprobe. Die römische Politik war wieder gelähmt. Ein Smog von Lethargie und ängstlicher Spannung lag in der Luft: Im April kamen Nachrichten von einem drohenden Partherkrieg – der Antwort auf den Einfall des Crassus. Pompeius stellte im Senat den Antrag, zwei Legionen in den Osten zu senden; je eine
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solle aus Caesars und seiner Armee genommen werden. Der Senat stimmte zu. Darauf gab Pompeius bekannt, er werde die Legion zur Verfügung stellen, die er Caesar im Jahre 53 ausgeliehen hatte. Der verlor also gleich zwei Legionen, die er übrigens durch neue Aushebungen ersetzt zu haben scheint. Er zahlte jedem Soldaten ein großzügiges Geldgeschenk. Der junge Appius Claudius, der die Truppen im Auftrag des Senats in Gallien übernahm, berichtete, der Proconsul sei bei seinen Soldaten höchst unbeliebt, sie fluchten über die unendlichen Strapazen, die lange Dauer der immer neuen Kriege und verlangten, entlassen zu werden. Wenn Pompeius sich nur zeige, so meinte er, würden sie zu ihm überlaufen. Wahrscheinlich hatte er gehört, was er hatte hören wollen, und vermutlich hatten sie wirklich geklagt und geflucht; nur hatte er nicht verstanden, daß sie Caesar trotz und wegen der bestandenen Strapazen ergeben waren, daß sie jedenfalls bereitwillig seinem Befehl gehorchen würden, sofern sie ihm weiter unterstanden. Damals war Pompeius gerade von einer schweren Krankheit genesen. Er hatte erlebt, wie zunächst Neapel – wo er sich aufgehalten hatte – und dann eine der italischen Städte nach der anderen deswegen Dankfeste ausrichtete. Auf der Rückreise nach Rom wurde er überall feierlich empfangen, mit Blumen beworfen, im Fackelschein geleitet. Er gewann den Eindruck allgemeiner Zustimmung und fühlte sich gegenüber Caesar stark. Auf ängstliche Fragen, wie er sich im Fall eines Bürgerkriegs zur Wehr setzen wolle, entgegnete er, er brauche nur aufzustampfen, dann wüchsen Streitkräfte zu Fuß und zu Pferde aus dem Boden. Aber die wohlhabenden Schichten, die »Guten«, wie Cicero sie nannte und wie sie sich wohl selber verstanden, mochten zwar mächtige Kundgebungen für Pompeius veranstalten, doch waren sie keineswegs bereit, für ihn oder für die Republik mit Waffen einzutreten. Vom Krankenlager hatte Pompeius übrigens einen Brief an den Senat gesandt, in dem er seine Bereitschaft erklärte, sein Kommando vor der Zeit zurückzugeben. Welch ein Unterschied zu Caesar, der das seine nicht einmal, nachdem es abge-
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laufen, niederlegen wollte. Pompeius sagte allerdings nicht dazu, wann er es zu tun gedenke; Curio wies darauf hin und beschwerte sich darüber. Im übrigen geschah lange Zeit nichts. Aber je länger die Dinge dahintrieben, desto mehr wuchs die Entschlossenheit des Consuls und seiner Verbündeten, den Knoten durchzuhauen. Der Austrag des Gegensatzes zwischen Caesar und der Gruppe um Cato ließ sich ein Stück hinausschieben, aber nicht aufhalten. Marcus Caelius hatte schon Mitte 50 davon gesprochen, daß ein Bürgerkrieg demnächst bevorstünde. Er fügte, an Cicero gewandt, hinzu: »Es wird dir nicht entgehen, daß man bei inneren Streitigkeiten, solange auf zivile Weise, ohne Waffen gestritten wird, auf der anständigeren Seite stehen muß; sobald es aber zum Krieg kommt, auf der stärkeren. Dann muß man für das Beste halten, was das Sicherste ist.« Und der Stärkere, das war ihm bald klar, war Caesar. Caelius sah auf das, was zählte, das war Caesars Armee. Auf der Gegenseite vermißte er zudem Kraft und Entschlossenheit. Caesar war derselben Meinung. Er rechnete auf die Schwäche des Pompeius und des Senats. Daher erschöpfte sich sein Entgegenkommen darin, daß er seinen Rücktritt anbot, wenn Pompeius das gleiche täte. Wir hören von keinerlei weitergehenden Vermittlungsangeboten. Caesar scheint im Gegenteil eine harte Linie verfolgt zu haben. Ende November kam es zu einem Tumult, als der Censor Appius Claudius, der Onkel des eben Genannten, Curio aus dem Senat ausstoßen wollte. Auf Einspruch seines Collegen Piso, Caesars Schwiegervaters, und des Consuls Paullus mußte er nachgeben, aber er teilte sein Urteil im Senat in so verletzenden Worten mit, daß der Volkstribun auf ihn zusprang und ihm die Toga zerriß. Der Consul Marcellus referierte deswegen seinerseits über Curio und verlangte, daß der gerügt oder gar von seinem Amt suspendiert werde. Curio erklärte nur, er habe das Beste für Rom erstrebt, und unterwarf sich dem Urteil des Hauses. Die Mehrheit der Senatoren entschied zu seinen Gunsten.
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Als kurz darauf Marcellus in einer Brandrede gegen Caesar endlich eine Entscheidung erzwingen wollte und verlangte, daß man ihn zum Feind erkläre, wenn er das gallische Kommando nicht sogleich niederlege – sein Consulat näherte sich jetzt dem Ende, es war Anfang Dezember –, da forderte Curio den Senat erneut auf, über seinen Antrag auf Beendigung der beiden Statthalterschaften abzustimmen. Diesmal hatte er Erfolg. Marcellus scheint nur verlangt zu haben, daß auch gesondert über die Teile des Antrags abgestimmt werde. Die Einzelheiten sind unbekannt. Jedenfalls votierte eine Mehrheit für die Ablösung Caesars und gegen die des Pompeius. Und der Antrag auf Ablösung beider fand auch eine Mehrheit, und zwar von dreihundertsiebzig gegen zweiundzwanzig Stimmen. Das eine war akademisch, das andere zählte. Stellte sich die Frage Caesar oder Pompeius, so waren sie für Pompeius. Vor allem aber waren sie für den Frieden, und das hieß, da Caesar zu allem entschlossen schien, für Caesar. Sie hatten, genau besehen, recht, wenn sie gegen einen Bürgerkrieg waren; denn dadurch konnte alles nur schlimmer werden. Doch stimmten sie wohl weniger dafür, weil es richtig, als weil sie feige waren, weniger weil sie politisch gedacht hätten, als weil sie schwach waren. Mit Entschiedenheit und Entschlossenheit und wenn sie das Problem wirklich politisch angegangen wären, hätten sie Caesar vielleicht rechtzeitig zu Konzessionen bewogen. So aber konnte der sie nur verachten. Und auf der anderen Seite wurde Marcellus zunehmend besorgter. Die Senatsmehrheit hat also, indem sie für den Frieden war, nur den Krieg befördert. Als Curio den Senat verließ, feierte ihn die Menge der Umstehenden mit lautem Beifall. Marcellus rief in die Unruhe des Aufbruchs hinein, nun hätten sie sich Caesar selbst zum Herrn bestellt. Er war aufs höchste alarmiert. Daher griff er die seit Wochen umlaufenden Gerüchte auf, wonach Caesar mehrere Legionen über die Alpen führte; jetzt drohe unmittelbare Gefahr. Aber Curio wies diese – in der Tat falsche – Behauptung zurück,
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und die Senatoren mochten auch jetzt Caesar nicht zum Feind erklären. Statt dessen legten sie Trauerkleider an. Marcellus aber erklärte, wenn der Senat seine Pflicht nicht erfülle, müsse er als Consul auf eigene Faust handeln. Er ging in Begleitung der beiden designierten Consuln von 49 und einiger anderer Senatoren zu Pompeius, der sich am Rande der Stadt aufhielt. Vor sich trug er ein Schwert, und das überreichte er ihm mit der Aufforderung, den Schutz der Stadt zu übernehmen. Er übertrug ihm gleichzeitig das Kommando über die zwei Legionen, die noch immer nicht in den Partherkrieg aufgebrochen waren, und gab ihm Vollmachten für weitere Aushebungen. Marcellus handelte aus der allgemeinen Verantwortung des Bürgers, speziell des Consuls für das Gemeinwesen, ohne Auftrag, ohne Vollmacht. Er sah sich dazu verpflichtet. Es war ein fait accompli, berechnet darauf, die Senatsmehrheit, insbesondere Pompeius selbst, festzulegen auf die Absetzung Caesars und auch auf die Bereitschaft zum Krieg, falls der sich nicht beugte. Pompeius’ Haltung aber war wie üblich unklar. An sich wäre ihm mit der Beseitigung Caesars nicht gedient gewesen, denn dann hätte der Senat ihn nicht mehr so dringend gebraucht. Andererseits mußte auch er die Rückkehr Caesars in die Innenpolitik fürchten. Wohl blieb ihm die Möglichkeit, sich neuerdings mit ihm zu verbünden. Aber die Gewichte wären dabei stark zu seinen Ungunsten verschoben gewesen. Er hätte kämpfen müssen, wäre von Caesar abhängig geworden und hätte vor allem mit Sicherheit die allgemein respektierte Stellung verloren, an der ihm so viel lag. So neigte er wohl eher dazu, gegen Caesar Stellung zu nehmen. Außerdem machte ihm Curio das Lavieren schwer, indem er ihn als eigentliches Hindernis einer Verständigung mit Caesar hinstellte. Die Auseinandersetzung hatte sich so weit auf die Frage Pompeius oder Caesar zugespitzt, daß schon gemeint wurde, wenn nicht der eine von ihnen in den Partherkrieg gesandt würde, müsse es zu einem gewaltsamen Austrag zwischen ihnen kommen. Gleichwohl hatte Pompeius bis dahin eine entschiedene Stellungnahme vermieden. Er ließ sich hinhalten, scheute gewiß
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auch das Risiko eines Krieges. »Ich glaube«, schreibt Montesquieu, »daß das, was Pompeius am meisten schadete, die Beschämung war, die er bei dem Gedanken empfand, daß er es an klarer Voraussicht hatte fehlen lassen, als er Caesar emporhalf. Er gewöhnte sich so spät wie möglich an diesen Gedanken; er begab sich nicht in die Verteidigung, um nicht eingestehen zu müssen, daß er sich selbst in Gefahr begeben hatte. Er versicherte dem Senat, daß Caesar nicht wagen würde, Krieg zu beginnen. Und weil er es schon so oft gesagt hatte, sagte er es immer wieder.« Auch jetzt war Pompeius nicht gleich entschlossen, aber er lehnte auch nicht ab; zumindest mußte der Eindruck entstehen, daß er den Auftrag angenommen hatte. Darüber aber hat sich dann Caesars Abgesandter, der am 6. Dezember nach Rom kam, wohl um angesichts der drohenden Zuspitzung noch einmal mit ihm zu verhandeln, so erregt, daß er umgehend nach Ravenna zurückeilte. Das wiederum veranlaßte Pompeius endlich dazu, mit den Rüstungen zu beginnen. Er übernahm das Kommando über die zwei Legionen. Am 10. Dezember, gleich nach Beendigung seines Tribunals, begab sich auch Curio zu Caesar. Er soll ihm zum Krieg geraten haben. Unter den neuen Volkstribunen übernahm Marcus Antonius die Rolle Curios als Vorkämpfer Caesars. Am 21. Dezember hielt er eine flammende Rede gegen Pompeius. Wenn Caesars Gefolgsleute schon so sprächen, fand Pompeius, wie würde er dann selber erst handeln? So festigte sich in ihm die Überzeugung von der Unvermeidlichkeit des Krieges. Antonius dagegen erließ ein Edikt, in dem er es untersagte, den Einberufungsbefehlen des Pompeius Folge zu leisten. Zusammen mit den Senatoren um Cato massierte Pompeius dann alle Anstrengungen, um den Senat am 1. Januar 49 zu einer Entscheidung gegen Caesar zu bewegen. Anhänger, darunter zahlreiche alte Soldaten, wurden nach Rom geholt, Truppen in die Vorstädte beordert, eine starke, suggestive Stimmung erzeugt, einschüchternd für die einen, bestärkend für die anderen. Viele Senatoren wurden vor der Sitzung noch einmal bearbeitet.
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Caesar hatte am 26. Dezember Curio mit einem Schreiben an den Senat abgesandt. Am Morgen des 1. Januar 49 wurde es den Consuln am Eingang des Juppiter-Tempels übergeben. Zwei Volkstribunen nötigten den Leiter der Sitzung, Lucius Cornelius Lentulus Crus, es zu verlesen. Caesar zählte darin noch einmal all seine Verdienste auf, berief sich darauf, daß das Volk sie ihm mit dem Recht auf abwesende Bewerbung gelohnt habe. Wohl sei er bereit, sein Kommando niederzulegen. Aber nur, wenn Pompeius ebenfalls das seine abgebe. Andernfalls werde er seine Legionen behalten, denn er wolle sich nicht seinen Gegnern ausliefern. Vielmehr stehe er bereit, um das Gemeinwesen von der Herrschaft jener Clique zu befreien, die ihm offenkundig seine Freiheit nähme. Caesar muß darauf gerechnet haben, den schwachen Senat endgültig einschüchtern zu können. Aber der Consul ließ keine Diskussion zu, begann vielmehr nach Verlesung des Briefes sogleich mit seinem Referat. Er erklärte, er sei bereit, dem Senat zu gehorchen, aber nur unter der Bedingung, daß die Senatoren eine klare Entscheidung fällten, ohne sich von Caesar beeinflussen zu lassen. Andernfalls werde er sich seinerseits um Caesars Gunst bemühen. In der Tat hätte er es gekonnt, denn Caesar hatte dem hochverschuldeten Mann finanzielle Unterstützung angeboten. Gleich darauf erhob sich Pompeius’ Schwiegervater, Quintus Caecilius Metellus Scipio, um für Pompeius das gleiche zu erklären. Wenn der Senat jetzt weiter zögere, werde er später dessen Hilfe vergeblich erbitten. Sie appellierten an die anticaesarische Meinung der Senatsmehrheit und wollten, falls der Senat sich jetzt nicht zur Ablösung des Proconsuls entschlösse, die Konsequenz ziehen, sich mit ihm zu verständigen. Einige Senatoren sprachen dagegen, sogar Marcellus, der Consul des Vorjahres, welcher befand, man müsse erst die Aushebungen fortsetzen, damit der Senat im Schutz eines pompeianischen Heeres frei entscheiden könne. Es wird nicht deutlich, ob ihm der Ausgang der Verhandlung zu unsicher war, oder ob er in der Tat inzwischen erkannt hatte, welche Schwierigkeiten es im Augenblick bereitete, Caesar militärisch ent-
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gegenzutreten. Denn Caesar hatte, alles in allem gerechnet, etwa elf Legionen, von denen er einen großen Teil binnen einiger Wochen nach Italien werfen konnte. Pompeius dagegen hatte zwar sieben Legionen in Spanien, die Caesar eventuell in den Rücken fallen konnten; aber erst nach relativ langer Zeit. Zudem hatte er die zwei Legionen in Italien, die, weil sie unter Caesar gekämpft hatten, nur bedingt zuverlässig waren. Aushebungen in größerem Stil aber konnte er erst beginnen, wenn er dazu ermächtigt war. Und eben dann drohte auch schon die Gefahr, daß Caesar auf Rom marschierte. Dort freilich war das wirkliche Kräfteverhältnis nicht bekannt, zumal sich Pompeius aus taktischen Gründen siegessicher gab. Der Senat beschloß auf Antrag des Metellus Scipio, Caesar solle sein Heer zu einem bestimmten Termin, offenbar zum 1. Juli, entlassen; weigere er sich, so sei das als Handlung gegen das Gemeinwesen zu verstehen. Die Volkstribunen intercedierten dagegen. Der Senat war dafür, Trauerkleider anzulegen. Die Tribunen intercedierten wieder. Trotzdem verließen die Senatoren die Sitzung, begaben sich nach Hause und kehrten dann in Trauergewändern zurück. Am Abend lud Pompeius sie alle zu sich in die Vorstadt, lobte die Entschlossenen, tadelte die Schwankenden. Die Stadt füllte sich mit seinen alten und neuen Soldaten. Einige Herren, unter anderem Caesars Schwiegervater Piso, erklärten, sie wollten nach Ravenna fahren, um noch einmal mit Caesar zu verhandeln. Obwohl sie nur acht Tage Zeit erbaten, fanden sie keine Zustimmung. Es war auch nicht nötig, denn es gab bereits einlenkende Vorschläge Caesars. Curio hatte nämlich nicht nur dessen Brief mitgebracht, sondern auch Anweisungen, wie er zu verfahren habe, falls der Senat sich nicht einschüchtern lasse. Cicero übernahm die Vermittlung. Es stellte sich heraus, daß Caesar bereit war, die Provinz Gallia Transalpina und acht Legionen abzugeben. Die Forderung, daß Pompeius seine Statthalterschaft niederlege, ließ er fallen, erwartete aber, daß er sich nach Spanien begebe. Schließlich erreichte Cicero sogar das Zugeständnis, daß Caesar auch die Cisalpina mit weiteren zwei Legionen her-
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geben und nur Illyricum und eine Legion behalten sollte. Dies freilich verlangte er. Und als Gegenleistung sollte zugleich sein Privileg der abwesenden Bewerbung anerkannt werden. Falls man auf dieses Angebot eingegangen wäre, hätte Caesar sich der Möglichkeit eines Bürgerkriegs weitgehend begeben. Jedenfalls wäre es für ihn schwierig geworden, die dann unter anderem Kommando stehenden Legionen zu mobilisieren. Der Senat hätte freilich wohl über seinen Schatten springen und den Soldaten eine angemessene Versorgung zusagen müssen, damit sie in dieser Hinsicht nicht mehr auf Caesar angewiesen gewesen wären. Im entscheidenden Punkt aber blieb Caesar hart: Er bestand weiterhin darauf, Consul zu werden, ohne sein Kommando ganz aufzugeben, so daß man ihn nicht zur Rechenschaft hätte ziehen können. Pompeius war bereit, auf dieses Angebot einzugehen. So sehr er auch ein erneutes Consulat Caesars fürchtete, der Bürgerkrieg erschien ihm schlimmer. Caesar mag ihm zusätzliche Zusagen für eine künftige Zusammenarbeit, vielleicht gar für eine rücksichtsvolle Amtsführung gegeben haben. Aber die entschiedenen Gegner um Cato beharrten darauf, daß er sich als Privatmann bewerbe, und daran sind dann alle Vermittlungen gescheitert. Cato erklärte, man müsse eher den Tod suchen als dulden, daß ein Bürger der Republik Bedingungen stelle. Am 7. Januar trat der Senat erneut zusammen und faßte den Äußersten Beschluß: »Die Consuln, Praetoren, Volkstribunen und wer als Proconsul vor der Stadt stehe, mögen dafür sorgen, daß dem Gemeinwesen kein Schade erwachse.« Dagegen war Intercession unmöglich. Im Gegenteil: Auf Grund dieses Beschlusses konnte sie künftig unterdrückt werden. Die beiden caesarischen Volkstribunen sahen sich bedroht und verließen mit Curio die Stadt. Es lief alles ab, wie man es hatte voraussehen können. Pompeius begann sofort mit Aushebungen, befahl die Lieferung von Waffen und ließ von überall her Geld eintreiben. In der Nacht vom 10. zum 11. Januar, gleich nachdem er die Nachricht erhalten, überschritt Caesar den Rubicon.
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Er hat, wie Cicero später feststellte, den Krieg nicht gewollt, sondern nur nicht gefürchtet. Die Gegner waren es vielmehr, die ihn gewollt hatten. Es war eine eigenartige Situation: Der von der Mehrheit der Bürger mit Antipathie, Mißtrauen und Furcht Angesehene war weniger auf den Krieg angewiesen, war viel entschiedener und ernsthafter für den Frieden als die Gegner, die für ihre Sache die Sympathien eben dieser Mehrheit auf ihrer Seite hatten. Die Forderungen, die von beiden Seiten erhoben wurden, betrafen die Existenz Caesars und der Republik. Sie waren jede durchaus berechtigt; aber sie schlossen sich aus. Auf der Seite Catos stand das Werk von Jahrhunderten, eine der größten Erbschaften der Weltgeschichte: Die Verpflichtung, die von den Vorfahren überkommene Republik zu erhalten. Wenn Caesar in ihnen ausschließlich eigennützige Motive am Werk sah – und Cicero ihm gelegentlich darin zustimmte –, so war das nicht ganz falsch. Wo fehlen solche Motive schon? Sie identifizierten sich mit dem Gemeinwesen. Aber das ändert nichts daran, daß sie sich ihm verpflichtet fühlten. Und sie wußten, daß sie jetzt oder nie zu siegen hatten, wenn sie Caesars bedenkenlose, zerstörerische Kraft oder gar seine Alleinherrschaft verhindern wollten. Nur mußten sie dann einen Bürgerkrieg riskieren, dessen Ausgang in der Tat sehr ungewiß war, zumal er ihnen am Ende statt Caesars Herrschaft die des Pompeius bringen mochte. Andererseits konnte Caesar sich nach allem, was er geleistet hatte, nicht in die Hand seiner Gegner geben. Pompeius hatte gut reden, wenn er ihm ausrichten ließ, er selbst handle nur im Interesse der Republik und Caesar möge sich dem ebenfalls beugen. Wer war denn damals die Republik, wenn nicht Pompeius und dessen Verbündete? Wohl hat auch Caesar einmal erklärt, er sei bereit, »alles auf sich zu nehmen um des Gemeinwesens willen«. Einiges konnte die Republik also auch von ihm verlangen. Aber konnte das Risiko seiner Existenz dazu gehören? Nach allem, was er aufgebaut hatte, war es in der Tat verständlich und subjektiv – für seine starke Subjektivität
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– auch berechtigt, wenn er dieses Opfer nicht auf sich nehmen wollte. Nur mußte er dann eben den Bürgerkrieg um seiner Person willen eröffnen. In dieser Situation klafften also auf der einen Seite das Notwendige und das Praktische, auf der anderen das Notwendige und das Erlaubte weit auseinander. Was die gegnerischen Parteien tun mußten, durften sie nicht tun. Es kam hinzu, daß die Mitte zwischen diesen Extremen zu schwach war. Und letztlich ist es diese Schwäche, die sich in ihrer Unentschiedenheit ausdrückt. Für Pompeius sind sie, für Caesar handeln sie, indem sie für den Frieden sind. Da sie sich über die Parteien stellen wollen, geraten sie zwischen die Stühle. Da sie nicht auf derjenigen Seite Stellung beziehen wollen, auf die sie gehören, bringen sie es dazu, daß diese um so unbeweglicher wird. Die Vermittlungsbemühungen vom Anfang Januar mußten jedenfalls dadurch erschwert werden, daß sich der Consul Lentulus und dessen Verbündete nicht auf die Senatsmehrheit verlassen konnten. Angesichts einer primär aus Schwäche zum Frieden neigenden Senatsmehrheit wurden Friedensverhandlungen vielleicht erst völlig unmöglich, wurde der Krieg befördert, wurden zugleich die Aussichten der Seite geschwächt, auf der die meisten Senatoren standen. Und damit, daß sie dort standen, trugen sie wesentlich zur Autorität Catos und seiner Freunde bei. Insofern stärkten sie dessen Sache – und traten doch praktisch für die seiner Gegner ein. Dabei ist nicht auszuschließen, daß bei vielen von ihnen wirklich Einsicht in die Unmöglichkeit mitsprach, einen Bürgerkrieg zu gewinnen, wer immer der Sieger blieb. Nur konnten sie den Krieg mehr fürchten als verhindern. Und an ihrer Schwäche war gewiß auch politischer Masochismus beteiligt. Sie wäre sonst schwer erträglich gewesen. Auf diese Weise vollendete sich hier jener so erstaunliche Prozeß, in dem die Republik ihrem Untergang zutrieb, ohne daß ihn einer gewollt hätte; indem es nun nicht mehr möglich war, anders als falsch zu handeln. Jetzt standen sich in Caesar und seinen Gegnern zwei verschiedene Wirklichkeiten
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gegenüber – eine Situation, zu der es gar nicht erst hätte kommen dürfen. Wohl kann man sich fragen, ob es nicht doch einen Ausweg hätte geben können, Anfang 49 oder Ende 50 oder noch vorher. Und man soll die Möglichkeit von Menschen, auch die schwierigsten Situationen noch zu meistern, nicht gering veranschlagen. Aber es bleibt doch bestehen, daß die Lage höchst wahrscheinlich keine Wahl ließ, zumal seit Ende 50. Die Gesetze des Handelns wurden wesentlich mehr aus den Positionen innerhalb der Konstellation als aus einem freien Willen der Handelnden bestimmt. Auch das gehört zu dieser Situation. Sie erscheint uns damit als paradox, widerspricht allen Erwartungen, die wir an die Handlungsfähigkeit von Menschen richten. Aber wie jeder weiß, gibt es gelegentlich Situationen dieser Art. Wie es dazu kam, macht der Hergang der Dinge äußerlich klar, und mit dem Hinweis darauf, daß in der römischen Aristokratie ein herausragender Außenseiter Chancen hatte, ein ganzes Land gegen den Senat zu erobern und sich die Ergebenheit seiner Soldaten zu sichern, sind auch einige strukturelle Hintergründe dieses Geschehens verständlich. Und doch hat man damit nur die Hälfte des historischen Prozesses begriffen. Selbst in der Politik vollzieht sich ja vieles nicht nur von den Handelnden her, sondern durch sie hindurch. Die Summe der Wirkungszusammenhänge ist stets sehr viel umfassender als das, was die Handelnden unter sich austragen. Man muß also doch, aus weiterer Distanz, den Prozeß der Krise auch als solchen studieren, wenn man sein – scheinbar paradoxes – Ergebnis verstehen will, die Aporie der Jahreswende 50/49 und die Persönlichkeit und Position dessen, der damals den Bürgerkrieg aus höchstpersönlichen Gründen eröffnete; eine Persönlichkeit und eine Position, die um so rätselhafter erscheinen, je mehr mit ihrer Besonderheit erklärt werden muß. Schon Montesquieu hat gefunden, daß hier eine allgemeinere Gesetzmäßigkeit waltete: »Wenn Caesar und Pompeius wie Cato gedacht hätten, so würden andere wie Caesar und
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Pompeius gedacht haben.« Es lagen gleichsam die verschiedenen Rollen bereit, und wenn sie gespielt wurden, so war das nicht nur eine Frage persönlicher Schuld, sondern zugleich eine Wahrnehmung der damaligen Struktur.
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Der Prozeß der Krise ohne Alternative, Caesars Recht zum Bürgerkrieg, seine Größe Von den Konstellationen hängt es ab, wie Handlungen wirken • Korruption • Schwungkraft der großen Auseinandersetzungen • Verantwortung und Schwäche des Senats: Die beschränkte Kapazität der Republik • Tendenz zur Vereinseitigung • Caesars mangelnder Sinn für politische Institutionen • »Hier verlasse ich die Basis des Rechts« • Größe und Unbefangenheit Wie ist es möglich, daß eine Ordnung untergeht, welche alle an ihr Beteiligten für die rechte halten? Genauer: daß sie von den Beteiligten selbst zerstört wird, nämlich ohne irgendeine mächtige Einwirkung von außen? Daß sie zerstört wird, ohne daß einer sie hätte angreifen wollen, vernichtet, ohne daß einer sie verneint hätte? Nur durch unbeabsichtigte, durch Nebenfolgen des Handelns kann eine solche Wirkung erreicht werden. Was immer die Beteiligten tun, indem sie ihre großen Ehrgeize und ihre kleinen Interessen im Auge haben, irgendwelche Impulse müssen von diesen Handlungen eingehen in den größeren Zusammenhang des Prozesses, den sie alle nicht wollen, der aber dennoch aus ihrem Handeln entstanden sein muß, da nichts sonst ihn verursacht haben kann. Wenn dies aber geschieht, so müssen die Konstellationen des Handelns so geartet gewesen sein, daß sie solche Nebenfolgen hervortrieben. Denn was aus einer Handlung – über den unmittelbaren Erfolg oder Mißerfolg hinaus – an Wirkungen hervorgeht, hängt ja nicht von ihr selbst ab. Etwas so Unschuldiges wie die Zeugung eines Kindes kann im Europa des achtzehnten Jahrhunderts demographisch relativ gleichgültig, in einem modernen Entwicklungsland Teil eines tief eingreifenden Wandels sein; dieselbe Bestechung eines Richters kann so gut eine
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unbedeutende Ausnahme wie Teil eines Prozesses zunehmender Korruption wie auch diejenige Handlung sein, die aus irgendeinem Zufall in einer hochbrisanten Situation ein ganzes Faß öffentlichen Unwillens zum Überlaufen bringt. So können Banalitäten innerhalb von Wandlungsprozessen in der Kumulation viel folgenreicher sein als illustre politische Taten, deren Wirkung nicht über die Ereignisgeschichte hinausgeht. Dies alles hängt ganz von den Konstellationen ab, in denen Handlungen sich vollziehen. Menschen tun an sich wohl immer das gleiche, indem sie etwa ihr Leben zu sichern und zu genießen, ihre Pflichten und Interessen wahrzunehmen, ihre Möglichkeiten auszuschöpfen trachten, indem sie verwalten, Politik machen, Gegner bekämpfen und sich auszuzeichnen versuchen. Wenn aber die Römer der späten Republik dies taten, wie es vor ihnen die der klassischen getan hatten, trieben sie den Prozeß der Auflösung ihrer Ordnung voran, während jene damit ihre Ordnung nur bewährt hatten. Denn inzwischen waren die Konstellationen verändert. Verteidigung des Bestehenden wirkte sich dabei nicht anders aus als Reform, die Versuche, Ordnung und rechtmäßiges Verfahren wiederherzustellen, bildeten sogar einen kräftigeren Impuls zur Auflösung als die Hingabe an den Schlendrian. Zum Schluß stellte Livius in klassischen Worten fest: »Nec vitia nostra nec remedia pati possumus« – weder unsere Gebrechen noch die Heilmittel vertragen wir mehr. Gerade indem die Römer damals gegeneinander handelten, riefen sie Nebenwirkungen hervor, die allesamt in die gleiche Richtung zielten. Man beobachtet zum Beispiel, um mit dem Einfachsten zu beginnen, verschiedene circuli vitiosi, genauer gesagt: vitiöse Spiralen, denn die Bewegung steigerte sich. Aus der Ausbeutung der Provinzen zum Beispiel resultierte mannigfache Korruption. Diese bildete auf verschiedene Weise einen Ansporn einerseits zu weiterer Ausbeutung, andererseits zu Bestrebungen, sie einzudämmen: Einrichtung von Gerichten, Verschärfung von Strafen. Die jedoch hatten ihrerseits die Wir-
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kung, daß die Ausbeutung gesteigert wurde. Denn nun mußten auch noch die Richter bestochen werden. Cicero macht schon im Jahre 70 die boshafte Bemerkung, er sehe voraus, daß die Provinzialen die Abschaffung der zu ihrem Schutz ersonnenen Gesetze erbitten werden. Dann nämlich werde jeder Statthalter oder Angehörige von dessen Stab nur noch soviel wegtragen, wie er für sich und seine Kinder als genug erachte. Man ist an den bekannten Fall jener Gesetze erinnert, die denen, deren Lage sie auf kurze Sicht verbessern wollen, auf lange Sicht eher schaden. Mit den Worten »corruptissima re publica plurimae leges« – bei höchster Verdorbenheit der Republik gibt es die meisten Gesetze – deutet Tacitus den Zusammenhang zwischen zunehmenden Mißständen, zunehmender Gesetzgebung und zunehmender Wehrlosigkeit der Gesetze an. Mit der Summe der Übertretungen erschlaffte vor allem die Eindeutigkeit des gesellschaftlichen Urteils im Ganzen, auf dem die Bewahrung der überkommenen Ordnung beruht hatte. Es veränderten sich die Preise. Wer etwa gewählt werden wollte, hatte zunehmend mehr aufzuwenden. An sich ging es ihm nur um die Wahl, um die Laufbahn, die ihm nahezu vorgeschrieben war. Aber davon wurde als Nebenwirkung ein Beitrag zur zunehmenden Korrumpierung, zu wachsenden Erwartungen und steigender Ausbeutung abgezweigt. Der Prozeß verlief freilich nicht geradlinig, 52 etwa besserten sich die Sitten wieder. Wachsende Korruption muß auch, wie die Weltgeschichte zeigt, nicht tödlich sein für ein politisches System. Doch in Rom fügte sie sich ein in einen weiteren Zusammenhang. Da wurde zum Beispiel innerhalb der Oligarchie die zunehmende Korruption dadurch virulent, daß sie sich mit der Lust des Volkes an immer großartigeren Theaterbauten und Spielen verband und daß aus der bis dahin vorherrschenden Solidarität des Adels zunehmend der Ehrgeiz einzelner Männer und Geschlechter freigesetzt wurde. Wenn Syme es »eine große Wahrheit« nennt, »daß nämlich Korruption eine Bürgschaft für politische Freiheit sein kann«,
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so mag dies grundsätzlich wohl stimmen, nur darf sie dann nicht zum Movens eines Veränderungsprozesses werden. Hier jedoch wurde ein lebhafter Wettbewerb entfesselt, der Caesar schließlich die Möglichkeit bot, wichtige Helfer zu kaufen. Dies wiederum war letzten Endes ein Teil jenes inneren Wandels der Aristokratie, der zu einer Verengung der senatorischen Norm und zugleich dazu führte, daß sich einzelne außerordentliche Persönlichkeiten ihr entzogen. Da keiner auch nur den Ansatzpunkt zu einer Machtposition gewinnen sollte, die ihn über die grundlegende oligarchische Gleichheit hinausgehoben hätte, wurden fast alle Regungen besonderer Eigenart, Phantasie, Selbständigkeit, fast alle Versuche, auf neue Lagen mit neuen Mitteln zu reagieren, mit Argwohn und Verdacht verfolgt; Mittelmäßigkeit, Starrheit, Borniertheit prämiert. Die Folge war einerseits vielfältiges Versagen, andererseits, daß immer wieder ein Mann einzuspringen hatte, der anders war, nämlich Pompeius, und daß der einen ungewöhnlichen Aufstieg nahm, weil sonst keiner unkonventionell zu handeln, besonders auch mit den neuen Berufsarmeen umzugehen wußte. Aber die Dialektik zwischen dem Gros des Senats und Einzelnen, die sich ihm außenseiterhaft entgegenstellten, war älter. Sie hatte sich seit den Gracchen immer wieder eingestellt. Zu Grunde lag ihr die Tatsache, daß in Rom politische Aufgaben anstanden, die mächtiger waren, als daß sie innerhalb der hergebrachten senatorischen Solidarität hätten erledigt werden können. Dahinter stand die Unmöglichkeit, der Menge und Schwere derjenigen Probleme, die Rom aus seiner Weltherrschaft direkt oder indirekt erwuchsen, noch mit den institutionellen, geistigen und moralischen Mitteln eines »Gemeindestaats« zu begegnen. Letztlich war es der Widerspruch zwischen gemeindestaatlichen Formen und Weltherrschaft, an dem Rom damals zerbrach. Schon Montesquieu hat das gesehen. Der Sittenverfall, auf den die Römer ihren Niedergang zurückführten, und die Unfähigkeit, so viele Mißstände unter Kontrolle zu bringen, hatten hier ihre wirkliche Ursache. Aber aus den vielfältigen ungelösten Problemen erwuchsen
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zwar mannigfache politische Kräfte, nicht jedoch solche, die es in irgendeiner Weise mit der bestehenden Ordnung aufzunehmen versucht hätten. Vielmehr bewegten sich alle Gegensätze innerhalb dieser Ordnung und blieben letztlich vereinzelt. Auf die überkommene Ordnung wirkten sie sich nur indirekt aus, dadurch nämlich, daß sie einzelnen Adligen zugute kamen, die auf irgendeine Weise in Außenseiter-Positionen geraten waren. Denn die großen Gegenspieler der Senatsmehrheit vertraten allesamt Forderungen, die direkt oder indirekt aus der unbewältigten Weltherrschaft resultierten. In ihnen verkörperte sich die Sorge um die sachlichen Probleme des Gemeinwesens. Die eigentliche Schwungkraft – und zugleich den zentralen Schauplatz – fand der republikanische Niedergang wider Willen in den Auseinandersetzungen zwischen Pompeius und dem Senat während der späten sechziger und der fünfziger Jahre. An deren Anfang standen die Forderungen, die Pompeius auf Grund der Erledigung der Seeräuberplage wie der Schwierigkeiten mit Mithridates zu stellen hatte. Ihm ging es um die Aufgabe. Dem Senat aber war die Macht ausschlaggebend, die Pompeius dabei gewinnen mußte, die Furcht, er könnte sich der oligarchischen Gleichheit nicht mehr einfügen. Er setzte daher das Veto und die Senatsautorität gegen ihn ein, und das Ergebnis war, daß der Schaden für die Republik erst recht groß wurde. Jetzt wurden nämlich zum einen auch ihre Institutionen zerschunden, und zum anderen mußte Pompeius versuchen, mehr zu erreichen als eine allgemein anerkannte Vorzugsstellung. Indem er dann aber eine eigenständige Position gegen den Senat aufbaute, ergab sich eine dauerhafte Parteiung zwischen ihm und den dort maßgebenden Kreisen. Der Senat stand also in Hinsicht auf den wichtigsten politischen Gegensatz dieser Jahre nicht mehr, wie bis dahin fast immer, über den Parteien. Damit fehlte Rom die Instanz, die letztlich entweder ausgleichend wirken oder ihren Willen durchsetzen konnte. Der Senat erlitt statt dessen stets neue Niederlagen, bis Pompeius schließlich dazu kam, die Anarchie zu fördern, um
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sich ihm aufzuzwingen. Der Zusammenhang eines Prozesses nimmt ja nicht nur Nebenfolgen von Handlungen in Anspruch, sondern er erzeugt auch »Folge-Handlungen«, »AnschlußHandlungen«. Indem also der Senat, genauer: die in ihm Maßgebenden die Republik verteidigten, brachten sie Pompeius überhaupt erst dazu, sie anzugreifen. Als sie schließlich im Jahre 52 bereit waren, sich mit ihm zu arrangieren, war ein neuer wesentlich tieferer Gegensatz unausweichlich. Damit wird die eigentliche Motorik des Niedergangsprozesses durchsichtig. Sie besteht darin, daß auf Grund der Verteidigung der Republik bestimmte Gegensätze solche Intensität und solchen Umfang annahmen, daß ihr Austrag die Ordnung der Republik tief in Mitleidenschaft zog. Die verschiedenen Kräfte waren derart in ein Mißverhältnis geraten, daß sie jenen Prozeß antrieben. Früher hätte man es wohl als Verhängnis bezeichnet, daß hier alle, indem sie erhalten wollten, vernichteten. Es ist offenbar ein Fall jenes Verwickeltseins in die Geschichte, das Konservative dazu bringen kann, Revolutionen heraufzuführen, das Reformer daran arbeiten läßt, Neuerungen unmöglich zu machen; wodurch Friedensliebe zum Krieg beitragen und Kräfte, die das Böse wollen, das Gute schaffen können. In solcher Verwicklung können die Impulse von Gegnern, die sich auf den Tod bekämpfen, gemeinsam eingehen in eine gleichgerichtete Bewegung, so daß diese unter dem einen Blickwinkel Gegner, unter dem anderen Partner sind; wenn etwa die historisch bedeutendste Wirkung ihres Kampfes die Vernichtung der Institutionen eines Gemeinwesens ist. Mit dem Satz »Der Mensch denkt, Gott lenkt« hat man solche Erfahrungen früher beschrieben – und für manche Zeiten, zu denen die römische Republik allerdings nicht zählt, scheint die reimende Imperfekt-Version »Der Mensch dachte, Gott lachte« zusätzlichen Sinn zu geben. Doch muß diese Wahrheit nicht immer ganz so paradox, also wider die gewöhnlichen Erwartungen sich auswirken. Wie es auskommt, ist vielmehr eine Sache der Umstände. Nur, wenn eine Ordnung alle
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möglichen Gegensätze, statt sie in sich zu fassen, in einen starken Widerspruch geraten läßt, dann wirkt sich das in den Folgen – und irgendwie natürlich auch in den Motiven – der Handlungen innerhalb dieser Ordnung aus. Aber es war wohl selten, wenn nicht einzigartig in der Weltgeschichte, daß ein solches Geschehen derart imposant ablief wie in der römischen Republik. Statt zwischen geriet deren Ordnung unter die Parteien, statt zum Thema wurde sie zum Objekt der Auseinandersetzungen. Es gab keine Konflikte um die Ordnung, sondern um den Preis der Ordnung. An der Oberfläche ging der Streit um zahlreiche Einzelfragen, dahinter um Pompeius’ und Caesars Stellung im Gemeinwesen. Seine eigentliche Auswirkung aber bestand in der Kumulation seiner Nebenwirkungen, die darauf zielte, daß die überkommene Ordnung immer mehr geschwächt wurde. Es war sehr viel weniger strittig als veränderlich. Es klaffte sogar eine bemerkenswerte Diskrepanz zwischen dem, worum es ging, und dem, was sich damals wandelte. Entsprechend wenig war die damalige römische Gesellschaft Herr über ihre Dinge, sie brachte keine Opponenten gegen ihre bisherige Ordnung, sondern höchstens Außenseiter hervor; keine Neuerer, die ihr neue Wege, neue Formen gezeigt hätten, sondern nur Männer von neuer, anderer Art. Nicht indem sie Veränderungen eingeführt hätten, sondern indem sie sich auf neue Weise zu bewähren suchten und in nicht vorgesehene Positionen gerieten, gingen sie ein in die Motorik des Prozesses. Aber der eigentliche Anlaß dafür, daß er die Republik im ganzen so stark erfaßte, lag mindestens ebenso sehr bei denen, die das Alte verteidigten. Diese Lage konnte nur entstehen, weil man allgemein noch der Überzeugung war, daß die überkommene Ordnung der Republik die rechte war. Sonst hätten doch bei so vielfachem Versagen und bei so bemerkenswerter Schwäche des Senats irgend nennenswerte Zweifel an der Güte seines Regimes aufkommen müssen. Es fehlte die Alternative zum Bestehenden, das heißt der Zusammenschluß der Benachteiligten, Notleidenden, potenti-
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ellen Empörer zu einer geistigen und politischen Gegenkraft. Es fehlte am Aufkommen neuer Gedanken über Roms Regierung, geschweige denn, daß sich solche Gedanken mit vielerlei Interessen zu einer gerichteten Bestrebung auf etwas Neues hin verknüpft hätten. Statt dessen herrschte, was die Ordnung betraf, Zufriedenheit aller auch nur potentiell Mächtigen und Machtlosigkeit aller Unzufriedenen. Und die Zufriedenheit jener war nicht zuletzt dadurch bedingt, daß sie sich zur Not gegen den Senat durchsetzen konnten. Gerade dessen Schwäche machte ihnen sein Regime beliebt. Es gab noch nicht einmal die Möglichkeit, den intellektuellen Abstand zur bestehenden Ordnung zu gewinnen, der diese als eine Möglichkeit neben anderen hätte erscheinen lassen können. Man kann nicht ausmachen, ob die weiteren Teile der wohlhabenden Bürgerschaft der bestehenden Ordnung mehr deswegen anhingen, weil sie sich der Freiheit bewußt waren, die sie darin genossen, oder mehr deswegen, weil sie die Verhältnisse als Teil einer stark empfundenen gesellschaftlichen Identität verstanden; oder schließlich weder aus diesem noch aus jenem Grunde, sondern einfach weil sich die Frage nach der Aufgabe dieser Ordnung ihnen gar nicht stellte. Jedenfalls wußten sie es nicht anders, als daß es neben der überkommenen Ordnung nur eine unrechte oder gar keine geben konnte. Die Einmütigkeit aller Guten, also der Wohlhabenden, die zugleich dem Senat anhingen, war ja so stark, daß Cicero gute Politik als diejenige definieren konnte, die den Guten gefällt. Wenn aber die überkommene Ordnung die rechte war, so mußten die führenden Senatoren sich auch mit aller Kraft dafür einsetzen, daß sie bestehen blieb oder wieder hergestellt wurde. Dieser Antrieb war es, der der Position Catos starke überpersönliche Kräfte verlieh. Es war nicht nur sein Charakter, der ihn zu starrem Widerstand veranlaßte, sondern es waren auch die Erwartungen, die den führenden Senatoren allgemein entgegengebracht wurden, diejenigen zugleich, mit denen sie im übrigen Senat rechneten, auf die sie sich einstellten, um ihre Haltung danach auszurichten. Immer hatte sich
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die maßgebende Rolle der führenden Senatoren dadurch legitimiert, daß sie das Interesse des Senats und der Republik im Ganzen verfochten. So mußten sie auch jetzt, gerade in der so gefährdeten Situation der Republik dafür eintreten. Die Senatsmehrheit mochte zur Resignation neigen. Und man kann von heute her sagen, daß dies das beste Mittel war, um die Republik zu erhalten, solange es ging. Jeder Versuch, das Senatsregime strenger zu handhaben, hat jedenfalls immer nur schlafende Kräfte geweckt und alles am Ende schlimmer werden lassen, als es vorher gewesen war. Nur konnten die Zeitgenossen das beim besten Willen nicht wissen. Sie hätten sonst an ihrer Ordnung verzweifeln müssen. Je weniger also die alten Institutionen arbeiteten, um so sicherer hielten sie an ihnen fest. Und das hieß zugleich: Je notwendiger die Republik – schließlich sogar für die Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit – Pompeius brauchte, um so entschiedener mußte der Senat ihn bekämpfen – bis die Anarchie unerträglich wurde. Denn die senatorische Verantwortung stand im Widerspruch zur Schwäche des Senats; daher die Verengung der eigenen Normen. Daher aber auch die Furcht, die jede Gefahr als wesentlich größer erscheinen ließ, als sie war, die Furcht also vor der Übermacht des Pompeius. Aber eben angesichts eigener Schwäche scheinen ja Gefahren nicht nur größer zu sein, sie sind es auch. So kam es denn zu dem Kampf, der um so notwendiger erschien, je aussichtsloser er wurde. Schließlich lag der Versuch, Caesars politische Existenz zu vernichten, in der Logik dieser Mischung von Schwäche und Verantwortungsgefühl des Senats. Man soll gewiß den Einfluß einzelner Persönlichkeiten, gerade von Männern wie Cato, Pompeius und Caesar, nicht gering veranschlagen, soll auch die Zufallsgeladenheit einzelner Situationen nicht unterschätzen. Aber in den Positionen, die sie einnahmen, lag ein gewisser Druck, der sie dazu brachte zu handeln, wie sie es taten; der sie fatalerweise in eine Konstellation einspannte, in der ihr Handeln durch seine Nebenwirkungen den Prozeß des Niedergangs der Republik antrieb.
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Die politische Kapazität des damaligen Gemeinwesens reichte nicht aus, um die Konstellationen selbst, aus denen da so folgenreich gehandelt wurde, zum Gegenstand politischen Handelns zu machen. Man war in ihnen zu sehr befangen. Es gab keinen Gegensatz, von dem her man das System hätte erweitern können. Es konnte also nicht genügend Macht an einer Stelle versammelt werden, um Institutionen welcher Art immer einzuführen, die es erlaubt hätten, die Gesamtheit der Handlungen und Prozesse wieder irgendeiner Ordnung konform zu machen. So daß, was die Politiker taten, wieder Teil einer Ordnung und nicht mehr eines Auflösungsprozesses von Ordnung gewesen wäre. Es gab also keine »Reformreserven«. Man hatte keine Möglichkeit mehr, Freiheit und aktive politische Beteiligung auszuweiten. Demokratie war nur in Gemeindestaaten erreichbar. Weltreiche waren nur aristokratisch oder monarchisch zu regieren. Die Aristokratie konnte es nicht mehr, eine Monarchie aber wollte man nicht. Denn keiner war bereit, die vorhandene Freiheit oder die Ordnung, deren Teil sie war, aufzugeben. Dazu war man zu republikanisch. Höchstens die arme, elende städtische Menge war es nicht, aber die zählte nichts; außerdem wußte sie auch nichts besseres als großen Männern zuzujubeln. Die Gesellschaft wurde in der überkommenen Freiheit mit ihren Problemen nicht mehr fertig, sie wollte auf ihre Freiheit aber nicht verzichten. Darin bestand letztlich die Krise ohne Alternative. Da aber eine Alternative zum Bestehenden nicht möglich war, mußte dieses an sich selbst – im Kampf um seine Verteidigung – zugrunde gehen: Nicht weil einer es hätte vernichten wollen, und auch nicht obwohl, sondern geradezu: indem alle es erhalten wollten, rieben sie es auf. Nur Caesar bildete dabei vielleicht eine Ausnahme; was seine Absicht angeht. Es trat eine geradezu grandiose Vereinseitigung der verschiedenen Kräfte ein. Indem Cato sich auf die Verteidigung des Überkommenen konzentrierte und Pompeius sich der dringenden sachlichen Probleme annahm, geriet in ihnen die Sorge um die Verfassung in Widerspruch zu der um die Erfüllung
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der anstehenden Aufgaben. So wie die politischen Verhältnisse waren, schloß das eine das andere aus. In dieser Tendenz zur Vereinseitigung mag der ungemeine Reichtum jener Zeit an ausgeprägten Charakteren seinen Grund haben. Crassus konnte das Ideal des Reichtums absolut setzen, Lucullus das – stets praktizierte, freilich nie anerkannte – des Luxus. Cato verwirklichte das alte Ideal des Ernsts und der Konsequenz in unrömischer Starrheit, Caesar das der Leistung in unrömischer Freiheit. Die junge Generation der Clodius, Curio, Caelius, Antonius und der dazugehörigen Damen war einseitig in der Weise, wie sie all ihre Möglichkeiten so reich wie rücksichtslos entfaltete, wie sie dem Genuß lebte, ihre Besonderheit in Ungebundenheit suchte – schwer einzufangen in die Pflicht steter Aufmerksamkeit und Sorge. Andere waren charakteristisch, indem sie die unerhörte Weite der damaligen Möglichkeiten überspannten. So Cicero diejenige zwischen der römischen Wirklichkeit und der griechischen Theorie, zwischen besonders ernst genommener Norm und besonders weitgehendem Opportunismus, zwischen entschiedener Verfechtung der Republik und großer Distanz zu ihren Verfechtern. Im Hintergrund stand bei allen, daß sie Aristokraten waren, Angehörige der mächtigsten Adelsschicht der Weltgeschichte, daß in ihnen die bis dahin gebändigte römische Kraft und Disziplin sich zu hohen Ansprüchen umsetzte, daß die Krise sie forderte, ohne sie in der Gewißheit der Ordnung – also innerlich – zu erschüttern, und daß sie zugleich dank der frisch übernommenen griechischen Formen vielfältige neue Möglichkeiten sich erschlossen. Pompeius’ Charakteristikum war, daß er die ganze Widersprüchlichkeit des ›Gemeindestaats‹, der ein Weltreich beherrschte, in sich aufgenommen hatte. In ihm mischten sich Leistung und Anspruch dessen, der zahlreiche Probleme des Herrschaftsbereichs erledigt hatte, der vom Mittelmeerraum her denken konnte, mit dem Respekt des Römers gegen Senat und gute Gesellschaft. Daraus ergaben sich seine Schwierigkeiten, seine höchst unerfreuliche Politik. Daher mußte er sich und
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seine Freunde immer wieder verleugnen, um den Anschein des völligen Respekts gegen das Herkommen zu wahren; nur indem er sich in Dunst hüllte, stets aufs neue anders sprach als dachte, konnte er sich darüber hinweghelfen. Unschlüssiges Schwanken und Widersprüchlichkeit scheinen ihm geradezu zur Natur geworden zu sein. Caesar dagegen verlagerte die Widersprüchlichkeit der damaligen römischen Welt zwischen sich und den Senat. Er nahm ganz einseitig auf der Seite der Leistung, gegen die des Respekts und der Disziplin Stellung. Er meinte auch nicht, daß die Guten gut waren. Ob er aber etwas besseres wußte als das Bestehende, ist durchaus unklar. Offensichtlich ist nicht, daß er etwas Neues gedacht oder bewirkt hätte, sondern nur, daß er auf neue Weise dachte und handelte. Er hob sich glanzvoll vom dunklen Horizont des damaligen Rom ab. Er war nicht verquickt in die Rücksichten und Verflochtenheiten jener Gesellschaft, bewahrte dadurch gleichsam die Reinheit und Freiheit, die Unschuld des konsequenten Außenseiters. Zugleich hatte er jene bestechende Klarheit des Urteils, die intelligenten Außenseitern eigen sein kann. Politische Intelligenz ist ja – abgesehen von ihren taktisch-instrumentellen Seiten – wesentlich positionsgebunden. Wie es sich etwa aus der Mitte einer Gruppe und bei vorgegebenen, eingeführten Axiomen leichter urteilt, als wenn man der ganzen Komplexität politischer Möglichkeiten ausgesetzt ist, so hat auch das Urteil von außen seine speziellen Erleichterungen: Man kann vieles besser durchschauen. Aber die Klarheit, die damit entstehen kann, hat, indem sie besticht, etwas Täuschendes. Das Durchschauen wird allzu leicht zum Hindurchschauen – und damit zu einer anderen Art der Wirklichkeitsverfehlung. So hatte Caesar keinen Sinn für politische Institutionen und deren kompliziertes Spiel. Schon zu Sullas Zeiten war er dazu gekommen, in den Senatoren vor allem Sullaner zu sehen; nicht die Verfechter des Ganzen, sondern die Erben der siegreichen Bürgerkriegspartei. Sie haben ihm den Respekt, den
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er im Grunde nicht hatte, auch später nicht abfordern können. Das ganze System war ja auch vielfach gestört und wenig effizient. Spätestens seit seinem Consulatsjahr sah Caesar dann in den Institutionen Roms überhaupt keine eigenständigen Größen mehr. Er maß sie an hohen Ansprüchen, denen sie nicht genügen konnten. So blieb ihm nur übrig, sie als bloße Instrumente im Spiel der Kräfte zu betrachten. Durch all das, was die römische Gesellschaft noch glaubte, lebte, werthielt und verteidigte, das insofern noch objektiv war, ging sein Blick kalt hindurch. Er empfand nicht die Recht und Sicherheit gewährleistende Kraft der Institutionen, sondern nur, was ihm daran nützlich oder lästig war. Entsprechend konnte er aufs spitzfindigste und sinnwidrigste mit den Grundsätzen der Ordnung argumentieren. Nicht nur, wenn er plötzlich das Veto-Recht der Volkstribunen bedroht sah, sondern auch beim Äußersten Senatsbeschluß. Er warf etwa Anfang 49 seinen Gegnern vor, daß dieser Beschluß früher nur eingebracht worden sei bei gefährlichen Gesetzesanträgen, bei Gewaltanwendung und Volksaufruhr. Nichts davon sei jetzt erfolgt. Als sei seine Unbotmäßigkeit nicht weit über alles dies hinausgegangen. So nahm er am Senat vor allem wahr, daß seine Gegner ihn beherrschten. Daß er die Verantwortung für das Gemeinwesen hatte, scheint Caesar kaum gesehen zu haben. So fand er bei seinen Gegnern nur eigennützige Motive. Daß sie zugleich und sehr wesentlich um die Erhaltung der überkommenen Republik und des Senatsregimes besorgt waren, hat er anscheinend nicht denken können. So schien ihm bei der Eröffnung des Bürgerkriegs das Ganze der Bürgerschaft nicht beteiligt zu sein. Daß er es – samt allen Institutionen, in denen es präsent war – völlig beiseite schob, war ihm wohl kaum bewußt. Für Caesar gab es vor allem sich und seine Gegner. Alles war für ihn ein Spiel zwischen Personen. Die Kategorien, nach denen er urteilte, waren Bündnis und Anhängerschaft, Gegnerschaft oder Neutralität. Der Platz war gleichsam leergeräumt von allem Überpersönlichen. Oder wenn etwas davon da war, so waren es Requisiten, hinter denen man Deckung suchte, mit
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denen man fechten konnte. Die Politik war nur mehr der Kampf um sein Recht. Von daher sah Caesar die Positionen bestimmt. Von daher bekamen sogar Senat und Bürgerschaft ihre Rolle zugeteilt: als diejenigen, die ihm sein Recht gewähren mußten – und gewährt hätten, wenn nicht die Gegner sie mit List und Gewalt davon abgehalten hätten. Er konnte es sich nicht anders vorstellen, als daß seine außerordentlichen Verdienste um Rom, sein Anspruch auf Ehre (Dignitas) unter normalen Umständen die ihnen gebührende Anerkennung gefunden hätten. Wären Senat und Volksversammlung frei, so hätte er nichts zu befürchten. »Sich und das römische Volk«, so sagte er folglich, wollte er »von der Herrschaft jener kleinen Clique (seiner Gegner) befreien«. In der Tat hinderten Pompeius’ Soldaten das Gemeinwesen daran, so frei zu sein, daß Caesar sich darin durchsetzen konnte. In der Tat war die Senatsmehrheit von sich aus schwach genug, um ihm zu willfahren. So konnten es nur die »Machenschaften der Gegner« sein, die ihn nötigten, in Italien einzumarschieren. Wer die Dinge so sah, lebte nicht mehr in der gleichen Wirklichkeit wie seine Gesellschaft. Daß er sich aber daraus abgesondert und eine eigene Teil-Wirklichkeit aufgebaut hatte, war nicht pathologisch, oder wenn es das war, so war es Teil einer Krankheit, die das ganze Gemeinwesen erfaßt hatte. Das ergibt sich schon daraus, daß auch die Gegner nur noch in einer Teil-Wirklichkeit lebten. Sie handelten zwar in der Konsequenz alter, allgemein anerkannter Überzeugungen, aber die Voraussetzungen – die vorausgesetzte Ambiance – dieser Überzeugungen war nicht mehr gegeben. Folglich waren sie ihrerseits einseitig, indem sie ihre Verantwortung absolut setzten. Sie handelten so sehr entsprechend der überkommenen Ordnung wie dawider. Denn Roms Ordnung hatte zwar vorgesehen, daß der Senat das oberste Organ der Republik war, aber niemals hatte sie vorgesehen, daß man, um dessen Regime zu sichern, Unmögliches oder äußerst Riskantes wagen sollte. Diese Ordnung hatte im Gegenteil wesentlich in der Realität geruht, ihre Tüchtigkeit hatte vom Realitätssinn ihrer Verfech-
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ter abgehangen. Angesichts der vom Senat längst und verschiedentlich anerkannten Wirklichkeit des Eroberers Galliens war das Vorgehen Catos und seiner Verbündeten mithin so berechtigt wie unberechtigt. Sie verkannten, wie absurd es war, einen Mann, der für Rom neun Jahre lang soviel ins Werk gesetzt hatte, vor Gericht zu stellen. Das war, was den Wirklichkeitsgehalt anging, nicht anders, als wenn Caesar verkannte, wie lebendig die Republik noch in den Sinnen der Bürger war; daß das, was er im Hintergrund wahrnahm, nur seine Außenseiter-Wahrheit war und nicht die Wahrheit schlechthin. Es war eine Wahrheit, deren Erkenntnis einem Macht zu handeln gab, nicht diejenige, die er seiner Gesellschaft hätte evident machen können. Der Epiker Lucan (39 bis 65 nach Christus) hat Caesar am Rubicon die Worte in den Mund gelegt, hier verlasse er die »Basis des Rechts, angeschlagen und geschändet, wie sie ist« – temerata iura relinquo. Gleichgültig, ob er es gesagt oder gedacht hat, es traf zu, daß das gemeinsame, das verbindende Recht des Ganzen, das Caesar und seine Gegner umfangen hatte, nicht mehr gegeben war. Die Voraussetzungen rechtmäßigen Handelns waren durchlöchert – weil beide sich zu weit auseinander bewegt hatten. Die Mehrheit der Bürgerschaft, die zwischen ihnen stand, hatte keine Kraft mehr, diese Kluft zu überbrücken. Wenn beide Seiten sich vom gemeinsamen Wirklichkeitsgrund entfernt hatten, wenn die gemeinsame Wirklichkeit sich aufsplitterte, beide Seiten recht hatten und sich ausschlossen, so entstand damit eine neue, gespaltene Realität. Eigentümlich daran war einerseits, daß soviel Macht gegen die Verantwortlichen formiert werden konnte, ohne daß ein Zweifel an ihrem Regime hatte aufkommen können. Nur deswegen konnten diese ja so sicher sein und den Senat mit sich reißen. Die andere Eigentümlichkeit war, daß zu jener Macht keine Sache gehörte, sondern nur ein persönlicher Anspruch, freilich einer, der sich in den ungeheuerlichsten Anstrengungen Caesars und seiner Armee in Gallien schon nahezu objektiviert hatte. Strasburger hat geschrieben, man fühle sich angesichts Cae-
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sars in die Welt eines Achilleus oder Coriolans zurückversetzt, in jene archaische Zeit, als man sich aus persönlichen Gründen den Ansprüchen der Allgemeinheit versagt und gar gegen die eigene Vaterstadt Krieg geführt hatte. Denn man könne in Caesar nicht den Vorläufer der Kaiser Augustus, Traian oder Hadrian erkennen. Aber er war genau der Sohn seiner Zeit, einer Zeit freilich, die man, wie jede, nicht von einer sogenannten Entwicklungsstufe, sondern nur von ihrer Struktur her begreifen kann: Caesar konnte sich so, wie er es tat, nur aus der Krise ohne Alternative entfalten. Es löste sich damals jene fruchtbare Spannung, die die römische Republik von Anfang an bestimmt hatte. Das alte archaische Adelsstreben nach Ehre und Ruhm war dort nie gebrochen oder aufgehoben, es war nur durch eine kräftige Solidarität auf das Gemeinwesen bezogen worden. Und Roms Aristokratie hatte es in höchst beachtlicher Weise fertiggebracht, das Gewicht des Standes gegen den Ehrgeiz der Einzelnen stark zur Geltung zu bringen. Sobald dieses Gewicht aber nachließ, gewann das Dignitas-Streben wieder an Autonomie und Macht, zumal bei den Außenseitern. Sulla und Catilina bieten Beispiele dafür. Auch bei Sulla war die Wahrung der ihm auf Grund seiner Leistung zukommenden Ehre schon ein wesentlicher Grund zum Bürgerkrieg, wenn auch nicht der einzige. Der römische Adlige war nie Objekt, sondern immer nur Teilhaber der Republik gewesen. Mangels einer Alternative, die unter anderen Umständen eine Sache hätte liefern können, blieb also einem willensstarken, kraftvollen Außenseiter wie Caesar nichts anderes übrig, als den alten Anspruch auf Dignitas zu übersteigern und zu pervertieren. Das war nicht nur eine Sache seiner Person, sondern auch die der widersprüchlichen Natur des damaligen Rom, die die Bedingungen setzte, unter denen er sich ausbildete und eine eigene Welt sich schaffen konnte. Was er tat, hatte er zu verantworten. Aber was er war, reichte über die persönliche Verantwortung hinaus. Der Widerspruch, in den er und seine Welt zur Republik gerieten, hatte etwas Tragisches.
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Die Ungeheuerlichkeit des Entschlusses zum Bürgerkrieg wird dadurch nicht vermindert; doch wird sie verständlicher. Wenn sie aber nicht pathologisch ist, so muß sie ein Ausdruck der Größe von Caesars Persönlichkeit sein. In seiner ganzen Laufbahn und zumal in diesem Beschluß bezeugen sich nicht nur ganz außerordentliche Leistungsfähigkeit und Ethos, sondern eine Durchhaltekraft, Unerschütterlichkeit und ein derartiges persönliches Volumen, daß man, wenn irgend, hier mit dem Begriff der Größe etwas Wesentliches trifft. Nur darf man dabei nicht übersehen, daß in der Größe, wie in allen, oder vielleicht gar mehr als in allen anderen menschlichen Dingen, Ambivalenz steckt. Bewunderns- und Verabscheuenswertes mischen sich in ihr. Seel hat das sehr schön ausgedrückt: »Was er war, ist nicht mehr als das, was ein Mensch sein kann, aber dies war er nicht nur mit Erfolg und Wirkung besonderer Art, sondern zugleich mit einer Spannweite und Fallhöhe, mit einem Ductus von Art und Stil, der ihn heraushebt aus der amorphen Pluralität und Anonymität des Gewesenen.« Er läßt es dahingestellt, ob man das »Größe« nennen kann, fügt nur hinzu: ›»Erhebend‹ ist es jedenfalls nicht, aber es hat dafür sehr viel humane Valenz, und so wird es instruktiv und lehrreich wie nicht vieles sonst aus dem Bereich der Weltgeschichte.« Ich finde, daß man gerade wegen der Ambivalenz von Größe sprechen soll. Man soll sie nicht leugnen, aber man darf sie auch nicht einfach für gut und heilsam halten. In der Feststellung solcher Eigenschaften wird immer verallgemeinert. Irgend ein Übergewicht an Großem wird für Größe gehalten. Da wirkt sich gleichsam jene Gravitation aus, die so oft Wahrnehmung bestimmt, indem sie sei es dieser, sei es jener Seite – etwa dem Alten oder dem Neuen, der Jugend oder dem Alter, dem Guten oder dem Bösen – den Zuschlag der Verallgemeinerung verleiht. Nur, geschieht Ähnliches nicht auch im tatsächlichen Wechselspiel zwischen der Persönlichkeit und ihrer Umgebung? Ganz konkret also in dem, welches zwischen Caesar, seinen Offizieren und Soldaten sowie den Unterworfenen in Gallien stattfand und in dem das Überragende am Feldherrn und Soldatenführer dann als Überragen schlecht-
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hin erschien – ohne daß das freilich mit einem Begriff, der unserer »Größe« entsprochen hätte, zu bezeichnen gewesen wäre. Entsprechendes hat sich später während der Siege im Bürgerkrieg in weiteren Kreisen eingestellt, wobei die einen mehr das Glänzende, die anderen mehr das Schreckliche wahrnahmen. Alle trafen sie sich aber in der Feststellung des Außerordentlichen und der ungeheuren persönlichen Kapazität, die sie so auf Caesar projizierten, wie er sie an sich selbst erlebt und bestärkt haben muß. Hingegen ist nicht zu beobachten, daß Caesar der Geschäftsführer irgendeiner höheren Instanz wie des Weltgeistes gewesen wäre. Er war auch, mindestens bis zur Eröffnung des Bürgerkriegs, nicht Herr des Geschehens, sondern ein Teil davon. Er war sogar ganz besonders befangen im Prozeß wechselseitiger Vereinseitigung, der sich durch ihn hindurch vollzog und zu dem seine Biographie und die so außerordentliche Ausbildung seiner Persönlichkeit ganz wesentlich hinzugehörten. Man kann höchstens mit Jacob Burckhardt feststellen: »Die großen Männer sind zu unserem Leben notwendig, damit die weltgeschichtliche Bewegung sich periodisch und ruckweise freimache von bloßen abgestorbenen Lebensformen und von reflektierendem Geschwätz.« Aber ob Caesar von seiner Zeit insofern eine Ausnahme machte, als er die überkommene Republik nicht erhalten wollte, ist deswegen noch nicht gesagt. Es könnte sehr wohl sein, daß auch er nichts Besseres wußte, als sie zu erhalten, nur daß das in der Ökonomie seiner Absichten hintangestanden hätte. Denn es war ja nicht ganz zufällig, daß schließlich die Alternative Caesar oder die Republik hieß.
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Der Bürgerkrieg (49 bis 46 v. Chr.) Wenn Caesar vor dem Übergang über den Rubicon der Gedanke an das Unglück schwer zu schaffen machte, das der Bürgerkrieg allen Menschen bringen konnte, so wird darin deutlich, daß ihm wenigstens die menschliche Seite seines Aufstands gegen Rom schmerzlich bewußt war: die möglichen Opfer, die Leiden, die Zerstörungen. Daß er dagegen die Mitbürger nicht als Bürger ernstzunehmen wußte, bezeugte schon sein Ausspruch: »Was steht einem anständigen Mann und ruhigen und anständigen Bürger mehr an, als bürgerlichen Streitigkeiten fernzubleiben.« Das Geschick der res publica ging sie nach seiner Meinung gerade in deren äußerster Not nichts an. Es paßt zum Apparat seiner Rechtfertigung, wonach die Republik unter die Herrschaft eines kleinen Klüngels geraten war und davon befreit werden müsse. Erst dann konnte dort wieder Recht einkehren, konnte die res publica wieder gemeinsame Sache aller – und in der Hand von Senat und Volksversammlung sein. Diese Befreiung mußte, wenn es denn anders nicht ging, Caesars Armee bewirken. Nur, wie so häufig, die zu Befreienden wollten diese Freiheit gar nicht gebracht haben, und Caesar hat von seiner Befreiungs-These auch bald nicht mehr viel Gebrauch gemacht. Stets sprach er vor allem von dem Unrecht, das er von sich abwenden müsse. Ausschließlich darin bestand der Kriegsgrund. Es hat keinen Sinn, daran herumzudeuteln. Caesars Anspruch war kein Programm, sondern die Berufung auf ein persönliches Recht: die Ehre, die ihm auf Grund seiner Leistungen gebührte. DignitasAnspruch hier – Verteidigung der Republik dort: das waren die Sachen. Entsprechend behauptete Caesar, es nur mit »Gegnern« zu tun zu haben: Er nannte sie konsequent inimici. Die jedoch sahen in ihm den Feind, der von außen über das Gemeinwesen herfiel, hostis: Das waren die Feindschaften. Er
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meinte, »bürgerliche Auseinandersetzungen« zu führen, für sie war es »Bürgerkrieg«. Cicero bemerkte, der Krieg sei so bürgerlich, daß er nicht aus Auseinandersetzungen der Bürger, sondern aus der Verwegenheit eines einzigen verworfenen Bürgers entstanden sei. Und nicht Bürger gegen Bürger, sondern zwei Feldherren mit den ihnen ergebenen Soldaten: Das war die Wirklichkeit dieses Krieges, soweit er militärisch ausgefochten wurde. Insofern verhielt sich das Gros der Bürgerschaft genau entsprechend Caesars These: Es beteiligte sich nicht am Kriege. Und auch Cicero wußte das damit zu entschuldigen, daß letztlich Pompeius gegen Caesar und beide um die Alleinherrschaft kämpften. Freilich bestand da, wie Cassius Dio formuliert, der Unterschied, daß Caesar, während Pompeius nur hinter keinem anderen zurückstehen wollte, Erster von allen zu sein bestrebt war. Hinter allem stand allerdings die Politik, deren Fortsetzung unter Beimischung anderer Mittel dieser Bürgerkrieg war. Da lagen die Dinge komplizierter. Der Übertritt über den Rubicon besiegelte das Scheitern von Caesars neunjährigen Bemühungen um die Wiedergewinnung politischen Kredits. Der Sieg seiner Gegner im Senat war zwar knapp gewesen, aber Caesar hätte andernfalls nicht Kredit, sondern nur die widerwillige Anerkennung seiner Macht und seiner Leistungen geerntet. Jenes war ihm klar, dieses wird er kaum gewußt haben. Vielleicht war es ihm auch nicht wichtig. Sein Scheitern an der Republik war, wie sich dann herausstellte, zugleich das Scheitern der Republik an ihm. Aber dies wie alle anderen Überlegungen über die damalige Doppelung der Realität gehört in die Perspektive des Historikers. Den Zeitgenossen waren sie fremd. Für sie war Caesar einfach der unbotmäßige Statthalter, der mit seinen Truppen gegen die Vaterstadt zog und von dem man nichts Gutes zu erwarten hatte. Durch die Eröffnung des Bürgerkriegs geriet Caesar vollends in die Isolierung. Alle Befürchtungen schienen sich zu bestätigen. Sein eigener Schwiegervater verurteilte den Kriegsbeginn öffentlich als verbrecherisch. Cicero fügte dem noch
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hinzu, daß er ein Akt des Wahnsinns sei. Allgemein herrschten Empörung und Feindseligkeit. Und was immer daran momentane Stimmung sein und sich nach kurzer Frist legen mochte, das Odium, daß er Rom in einen blutigen Bürgerkrieg gestürzt hatte, konnte Caesar so leicht nicht wieder loswerden. Cicero fragt sich in einem Brief vom Januar 49, ob man es eigentlich mit einem Feldherrn des römischen Volkes oder mit Hannibal zu tun habe. »Dieser wahnsinnige, elende Kerl, der niemals auch nur einen Hauch des Guten verspürt hat! Und da sagt er noch, er tue dies alles um seiner Ehre willen! Aber wo ist Ehre, wenn nicht dort, wo auch ehrenhaftes Verhalten ist? Und kann es ehrenhaft sein, ein Heer in der Hand zu behalten ohne Zustimmung des Senats oder Bürgerstädte zu besetzen, um leichteren Zugang zur Vaterstadt zu gewinnen?« In der Tat: wie kann es erlaubt sein, um der eigenen Ehre willen einen Bürgerkrieg zu beginnen? Caesar konnte siegen; darüber besteht kein Zweifel, so sehr die Gegner ihm überlegen waren. Ob er die römische Bürgerschaft für sich gewinnen konnte oder ob er sich gar durch seine Siege von diesem Ziel nur um so weiter entfernte, ist eine andere Frage. Aber wir wissen gar nicht, ob er dieses Ziel überhaupt verfolgte, ob ihm mindestens bewußt war, daß er es verfolgen sollte. Es spricht mehr dafür, daß er statt an die mühsame Arbeit des Gesprächs, des Hinhörens und Antwortens, des Überzeugens an die einfache Gleichung von Leistung und Rang dachte. Dann hätte er sich zugleich die Stellung des Ersten in Rom erkämpfen wollen, ein Principat. Principes gab es in Rom an sich nur im Plural, es waren die Consulare, die Ersten der Bürgerschaft. Aber Pompeius war es dann zugleich in einem singularischen Sinn geworden, als der Erste, der allen anderen ein gut Stück voraus war. Und ähnlich wollte offenbar Caesar seit längerem ein Principat erkämpfen. Er ließ zu Anfang des Bürgerkriegs zwar ausstreuen, nichts sei ihm lieber, als ohne Furcht unter Pompeius’ Principat zu leben. Aber er hatte ja auch schon mehrfach erklärt, es sei schwieriger, ihn vom ersten auf den zweiten als vom zweiten auf den
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letzten Platz zu bringen. Jedenfalls hätte er eine Rivalität zu Pompeius nie ausschließen können. Wie sich solch ein Principat mit der überkommenen Ordnung vertrug, war eine andere Frage. Und noch eine andere Frage ist, ob Caesar sich darüber überhaupt Gedanken machte. Da ihm Institutionen nicht wichtig waren, hatte er vermutlich nichts gegen die überkommene Ordnung, es mußte in ihr nur möglich sein, Anerkennung zu gewinnen und sich, wenn es Not tat, durchzusetzen. Und da eine »Genialität des Selbstvertrauens und der Selbstbezogenheit« ihn beseelte, so daß ihm das »für ihn selbst und das für die Welt Wünschbare ... natürlich identisch« wurden, wie Strasburger schreibt, drängten sich ihm weitere Fragen vielleicht gar nicht auf. Die Möglichkeit, die Macht, Notwendiges durchzusetzen, wollte er jedenfalls haben. Ob er an eine Alleinherrschaft gedacht hat, ist dagegen ganz unklar. Jedenfalls hat er den Bürgerkrieg deswegen nicht eröffnet. Er wollte sich nur das Recht, das ihm der Senat zuletzt nicht hatte gewähren wollen, mit Gewalt nehmen. Und so mußte er um eine Dignitas, auf die er sich in neun Jahren einen Anspruch erworben zu haben glaubte, viereinhalb Jahre lang zu Felde ziehen. Danach war alles gründlich anders. Italischer Feldzug und Clementia-Politik Einfall in Italien, Flucht aus Rom • Friedens-Verhandlungen • »Gnade von Corfinium« • Milde als Konsequenz der persönlichen Sache, so freundlich wie herrscherlich • Stimmungsumschwung in Italien • Pompeius entkommt • Caesar in Rom • »In Zukunft wird alles von mir ausgehen« Von Ariminum sandte Caesar einige Cohorten der Küste entlang in Richtung Ancona, andere über den Apennin nach Arretium (heute Arezzo). In einem Radius von gut hundert Kilo-
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metern ließ er rasch mehrere Städte besetzen, um einerseits unmißverständlich zu demonstrieren, daß er zu allem entschlossen war, andererseits die Ausgangspositionen für den weiteren Feldzug zu sichern. Noch wußte er nicht, ob Pompeius Rom halten oder sich nach Griechenland zurückziehen würde. Je nachdem mußte er entweder durch die Toscana auf Rom oder an der Adria entlang in Richtung Brindisi marschieren. Bevor er das aber tat, wollte er offenbar die Ankunft weiterer Truppen aus Gallien abwarten. Außerdem hoffte er auf den Erfolg neuer Verhandlungen. Pompeius hatte ihm privatim einige Abgesandte geschickt. Sie sollten ihm sagen, daß er, Pompeius, nicht aus irgendeiner persönlichen Feindschaft gegen ihn handle, sondern das Gemeinwesen über alles stelle. Caesar solle das gleiche tun. Der aber nutzte die Gelegenheit, um Pompeius neue Vorschläge zu unterbreiten: Er sei jetzt bereit, sein Kommando sogleich niederzulegen, auch wenn Pompeius das seine behielte; wolle sich auch als Privatmann in Rom um das Consulat bewerben. Damit beugte er sich den Beschlüssen, die der Senat über die Beendigung seiner Statthalterschaft gefaßt hatte. Nur verlangte Caesar dafür, daß Pompeius nach Spanien gehen sollte und in Italien alle Armeen aufgelöst würden. Das hätte wohl die Aufhebung des Äußersten Senatsbeschlusses eingeschlossen und damit wiederum wäre jenes Machtvakuum herbeigeführt worden, in dem Caesar damit rechnen konnte, einen Prozeß, falls er überhaupt noch angestrengt worden wäre, zu bestehen. Die Consulwahl selbst wird ihm kaum zweifelhaft gewesen sein. Schließlich regte Caesar ein Treffen mit Pompeius an, um alle Streitigkeiten beizulegen und die Abmachungen durch Eide zu besiegeln. Es ist eigenartig, daß Caesar diese Vorschläge, in denen bei aller Zurückhaltung die Substanz seiner Interessen gewahrt war, erst jetzt vorbrachte. Hatte er die allenfalls mögliche Entschlossenheit seiner Gegner Ende Dezember doch noch unterschätzt? War ihm erst jetzt ganz deutlich geworden, was ein Krieg bedeuten und wie lang er sich hinziehen konnte? Jedenfalls tat er noch einmal sein Möglichstes, um den Frieden
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48 Es lag ihm, in großem Stil zu befehlen und zu walten, den Anspruch Roms auf Weltherrschaft glanzvoll zu vertreten. Pompeius. Münze aus einer Prägung des pompeianischen Bürgerkriegsheeres in Spanien (46-45 v. Chr.) unter dem Oberbefehl von Pompeius’ Sohn Gnaeus: Cn(aeus) Magnus Imp(erator) F(ilius). zu bewahren. Pompeius war auch geneigt, auf alle Vorschläge einzugehen. Nur dem Treffen mit Caesar scheint er nicht zugestimmt zu haben. Das Mißtrauen, das noch immer zwischen ihm und seinen senatorischen Verbündeten waltete, ließ es nicht zu. Man befürchtete eine erneute Verständigung zwischen Pompeius und Caesar. Im übrigen aber waren selbst Cato und dessen Verbündete fast ausnahmslos bereit, Caesars Vorschläge anzunehmen. Sie stellten nur die Bedingung, daß er sich in seine Provinz Gallia Cisalpina zurückziehe, damit der Senat in Rom frei und ohne Druck beraten und entscheiden könne. Pompeius, die meisten Magistrate und zahlreiche Senatoren hatten auf die Nachricht von Caesars raschem Vormarsch
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hin, am 17. und 18. Januar, Rom geräumt. Pompeius hatte erklärt, daß er die Stadt nicht verteidigen könne. Als Caesars Vorschläge am 23. Januar in seinem Hauptquartier anlangten, befand er sich schon in Campanien, nördlich Capuas. Die Räumung Roms hatte in ganz Italien einen Schock ausgelöst. Daß Magistrate und Senat vor Caesar zurückwichen, war ein schlimmes Zeugnis gegen ihn. Vor allem aber wuchs die Angst. Und da man gegen Caesar nichts ausrichten konnte, wandten sich Ärger und Enttäuschung gegen Pompeius. Man fühlte sich von ihm betrogen. Er hatte, wie Eingeweihte wußten, schon lange mit dem Plan gespielt, nicht nur Rom, sondern auch Italien aufzugeben, um Caesar mit einer großangelegten strategischen Operation aus dem Westen und Osten des Mittelmeerraums zugleich und mit überlegener Seemacht zu begegnen. Wo Caesar gut elf Legionen hatte, standen in Spanien unter Pompeius’ Oberbefehl sieben, in Italien hatte er ganze zwei, wenn er auch hoffte, weitere ausheben zu können. Im Osten schließlich konnte er bei seinen Clienten riesige Kontingente aufbieten. Pompeius ging in seinen Überlegungen von den für ihn maßgebenden Erfahrungen des Bürgerkriegs der achtziger Jahre aus. Wieviel stärker mußte er im Vergleich zu Sulla sein, der damals gleichwohl vom Osten her gesiegt hatte. Für die damaligen Senatoren jedoch, denen Rom die Welt und Strategie ein böhmisches Dorf war, waren diese Überlegungen gar nicht nachvollziehbar. Sie sahen nur, daß die Stadt aufgegeben wurde, daß sie militärisch mehr und mehr von Pompeius abhingen, und sie hatten noch im Ohr, daß er sich vorher über seine Stärke und Caesars Schwäche so zuversichtlich geäußert hatte. Er hatte ihnen Mut machen wollen, und er war ja auch auf längere Sicht von seiner Überlegenheit überzeugt und hatte es wohl wirklich für unwahrscheinlich gehalten, daß Caesar mit nur einer Legion den Krieg eröffnen werde. Denn alle seine anderen Legionen waren im Januar ja noch im gallischen Winterlager, drei davon übrigens in Narbonne und dessen Umgebung, zum Schutz gegen Pompeius’ spani-
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sche Truppen. Mit der eiligen, kopflosen Flucht aus Rom – die Consuln versäumten sogar, die Auszugsopfer an die Götter darzubringen und die öffentlichen Gelder mitzunehmen – wurde dann die militärische Situation mit einem Schlag für alle klar. So hatten es die Senatoren um Cato nicht gemeint. Jäh wurden sie aus ihren Illusionen gerissen. In ihrer Ernüchterung war ihnen jetzt der Friede lieber als die so ungewiß gewordene oder nur mit ungemein hohem Einsatz erreichbare Vernichtung Caesars. Pompeius seinerseits kannte den Krieg gut genug und hatte, da er inzwischen sechsundfünfzig Jahre alt war, mehr als vorher Schwierigkeiten mit dem Fassen kühner Entschlüsse. Nur befanden Pompeius, Cato und ihre Freunde, daß es nicht ihre Sache, sondern die des Senats sei, über die Entlassung der Armeen, die Beendigung der Aushebungen zu entscheiden. Nach dem alten Grundsatz konnte man sachliche Konzessionen machen, die Ordnung der Republik aber, die Verantwortlichkeit des Senats mußten dabei gewahrt bleiben. Sie wollten also die Niederlage, die sie im Grunde schon erlitten hatten, hinter sich lassen und Caesar scheinbar freiwillig gewähren, was er ihnen abgetrotzt hatte. Der Senat aber konnte nur in Rom, in den dafür vorgesehenen Räumen Beschlüsse fassen. Pompeius antwortete also auf Caesars Vorschläge, es gebühre ihm zweifellos für seine großen Taten ein Triumph und ein zweites Consulat. Wenn er sein Kommando an die vom Senat schon bestimmten Nachfolger übergebe, sei er, Pompeius, bereit, nach Spanien zu gehen. Caesar möge zunächst die besetzten Teile des Bürgergebiets räumen. Dann werde der Senat sich in Rom versammeln und die Entlassung der Heere in Italien beschließen. Damit waren Caesars sachliche Forderungen erfüllt. Nichts war ihm abgeschlagen, alles großzügig bewilligt worden. So war der Anlaß zum Bürgerkrieg eigentlich entfallen, der Kampf überflüssig. Wie ernsthaft Pompeius und seine Verbündeten ihre Antwort meinten, ergibt sich daraus, daß sie sie sogleich publik machten. »Er müßte wahnsinnig sein, wenn er nicht
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annähme, zumal seine Forderungen an sich schamlos sind«, schrieb Cicero. Gleichwohl lehnte Caesar ab. Die Begründung, die er in seinem Buch Über den Bürgerkrieg gibt, überzeugt nicht. Da beschwert er sich, daß Pompeius keinen Termin für seinen Abgang nach Spanien angegeben habe und vor allem, daß er, Caesar, sich hätte zurückziehen sollen, während die Gegner ihre Rüstungen einstweilen nicht abbrechen wollten. Insbesondere sei er tief enttäuscht gewesen, daß Pompeius mit ihm nicht habe zusammentreffen wollen. Das ist vermutlich, was Pompeius’ Abgang betrifft, an den Haaren herbeigezogen – jedenfalls hätte man sich darüber doch wohl verständigen können. Indem die Pompeianer mit den Rüstungen fortfuhren, taten sie vermutlich nichts anderes, als was Caesar selbst bis dahin getan hatte: Noch war ja nichts abgemacht, und Caesar mußte in Kürze, wenn weitere seiner kriegserprobten Legionen herangekommen waren, der Überlegene sein. Es war allerdings schwierig, die Gleichzeitigkeit des Verzichts auf die jeweiligen strategischen Positionen herzustellen. An dieser Stelle wirkte sich nicht nur das Mißtrauen zwischen Caesar und seinen Gegnern, sondern auch das zwischen Pompeius und dessen Verbündeten aus. Denn vermutlich hätten die genaueren Bedingungen nur in einem Treffen zwischen Pompeius und Caesar ausgehandelt werden können; und gerade das war unmöglich. Freilich scheint Caesar das nicht gesehen zu haben. Aber das gehörte zu seiner Verkennung der Lage in Rom. Caesars falsche Darstellung spiegelt die Schwierigkeit, in die er durch seine Ablehnung politisch geriet. Daß er der Entscheidung des Senats mißtraute, konnte er kaum zugeben, da er sich doch immer darauf berufen hatte, der Senat sei ihm an sich wohlgesonnen. Nun stand er vollends als Friedensbrecher da. Ende Januar wird er Pompeius’ Antwort in der Hand gehabt haben. Kurz vorher war sein wichtigster Unterfeldherr, Titus Labienus, zu Pompeius übergegangen, vermutlich weil er seit alters dessen Gefolgsmann gewesen war. Labienus soll Pom-
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peius dargelegt haben, daß er seine eigene Stärke unterschätze, und daraufhin ist Pompeius’ Strategie Cicero zufolge entschiedener geworden. Da außerdem eine zweite Legion bei Caesar nahezu angelangt war, setzte der seinen Vormarsch fort. In den ersten Februartagen nahm er ganz Picenum in Besitz, eine Landschaft, in der Pompeius große Clientelen besaß. Widerstand wurde nicht geleistet. Die Städte öffneten bereitwillig die Tore; nicht weil sie Caesar zugeneigt hätten, sondern weil seine militärische Überlegenheit offenkundig war. Soweit die in aller Eile ausgehobenen pompeianischen Truppen nicht rechtzeitig hatten zurückgezogen werden können, liefen sie über. Erst in Corfinium, einer Stadt in den Abruzzen, stand eine größere Heeresabteilung, mehr als dreißig Cohorten – also achtzehntausend Mann – unter Caesars altem Feind Domitius Ahenobarbus und war offenbar entschlossen zum Kampf. Domitius hatte die Hoffnung, Caesar dort abschneiden und mit seinen zwei Legionen – zwölftausend Mann zuzüglich Reiterei – vernichten zu können. Er sandte deswegen dringende Aufforderungen an Pompeius, der sich im Norden Apuliens aufhielt: Er möge sogleich mit seinen Truppen kommen. Pompeius aber forderte ebenso dringend – kommandieren konnte er nicht, da er nicht den Oberbefehl hatte –, daß Domitius zu ihm stoße. In den Abruzzen könne man Caesar nicht mit Aussicht auf Erfolg begegnen. Offenbar hatte Domitius gar keine Vorstellung davon, was für eine Militärmacht er vor sich hatte, was für ein Unterschied zwischen Caesars Legionen und seinen frisch ausgehobenen, kaum ausgebildeten und unerfahrenen Truppen bestand. Mitte Februar hatte Caesar Corfinium eingeschlossen. Als Domitius die Meldung erhielt, daß Pompeius nicht käme, machte er Anstalten zur Flucht, jedenfalls berichtet Caesar das. Seine Soldaten hätten daraufhin die Kapitulation angeboten. Am nächsten Morgen ließ sich Caesar aus Corfinium alle Senatoren, Senatorensöhne und Ritter vorführen; erstmals nach neun Jahren sah er seinen Feind Domitius wieder. Auch ein zweiter Consular befand sich in der Reihe der Gefangenen.
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49 Münze des Decimus Junius Brutus Albinus (48 v. Chr.): Handschlag als Sinnbild der Eintracht (concordia) und Heroldsstab (caduceus) als Zeichen des friedlichen Glücks (felicitas). Das Bild bezieht sich auf Caesars Versöhnungspolitik gegenüber den Gegnern im Bürgerkrieg: der Friede soll nicht durch Waffengewalt, sondern durch bürgerliche Eintracht garantiert werden. Sie befürchteten, Caesar werde mindestens die prominenteren unter ihnen über die Klinge springen lassen. Doch will er sie vor Übergriffen und Beschimpfungen seiner Soldaten in Schutz genommen haben. Er beklagte sich, daß einige von ihnen seine Gefälligkeiten so schlecht erwidert hätten, entließ sie dann aber. Auch die Kriegskasse des Domitius, die ihm von den Beamten Corfiniums übergeben worden war, lieferte er aus, »um nicht maßvoller zu erscheinen gegenüber Menschenleben als gegenüber Geld, obgleich feststand, daß es sich um öffentliche Gelder handelte, die Pompeius für Soldzahlungen gegeben hatte«.
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Das war die berühmte »Gnade von Corfinium«, der erste Akt der Clementia Caesaris im Bürgerkrieg. Weithin hatte man befürchtet, daß nun nach dem Beispiel Sullas ein großes Morden beginnen werde, wobei man daran dachte, was für Männer sich in seinem Gefolge befanden, die ganze »verrufene Jugend«. Auch wenn Caesar selber es vermeiden wollte, würde er ihnen darin nachgeben müssen. Zusammen mit der Besorgnis wegen eines allgemeinen Schuldenerlasses und der Rückführung der Verbannten ergab das einen Komplex von bedrückenden, tristen Erwartungen. Es kursierten aber auch Gerüchte, wonach Caesar selbst seinen Zorn nur mühsam bändigen könne und beim kleinsten Anlaß seine Beherrschung verlieren werde. Neun Jahre war er jetzt aus dem Lande gewesen, keiner kannte ihn recht, Schlimmes war über ihn verbreitet worden und durch die Eröffnung des Kriegs schien er das Schlimmste zu bestätigen. Dagegen setzte er nun seine Milde. Anfang März formulierte er das Programm in einem Brief an die beiden Männer, die seiner Kanzlei in Rom vorstanden: Er sei entschlossen, größte Milde walten zu lassen. »Versuchen wir auf diese Weise, wenn wir können, die allgemeine Meinung wiederzugewinnen und einen dauerhaften Sieg zu erlangen. Denn alle anderen haben wegen ihrer Grausamkeit dem Haß nicht entgehen und ihren Sieg nicht länger behaupten können, abgesehen allein von Sulla; und den werde ich nicht nachahmen. Das sei die neue Art zu siegen, daß wir uns durch Erbarmen und Großmut sichern!« Der Brief war offenbar zur Verbreitung bestimmt. Der zitierte Passus ist höchst interessant, zumal er eingebettet ist in die Mitteilung, daß Caesar gerade einen neuen Versuch unternehme, die Versöhnung mit Pompeius zu erreichen. Pompeius solle lieber ihm freund sein als denen, die ihnen beiden stets die erbittertsten Feinde gewesen seien und durch deren Machenschaften die Republik in diese Lage geraten sei. Auch im Moment der versuchten und erhofften Versöhnung also spricht Caesar nicht einfach davon, daß er durch Großmut einen Ausgleich vorbereiten oder erleichtern wolle, sondern er
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50 Caesars Versöhnlichkeit und Milde im Umgang mit seinen Gegnern während und nach Ende des Bürgerkrieges wurde als besonderer Ruhmestitel gepriesen. Die Clementia Caesaris wurde endlich sogar als Göttin verehrt, und man baute ihr einen Tempel: dargestellt ist er auf einer 44 geprägten Münze des Publius Sepullius Macer. spricht vom Sieg und von dessen dauerhafter Sicherung. So stark, so durchschlagend war sein Wille dazu. Man kann vermuten, daß seine Versöhnungsgeste Pompeius’ politische Existenz und Ehre einschloß. Mit den übrigen hatte er nichts im Sinn, alle seine Friedensangebote richteten sich ausschließlich an Pompeius, erst Mitte 48 wandte er sich einmal an dessen Schwiegervater Metellus Scipio. Aber wie er sich hier äußerte, war Pompeius’ Ehre eine Funktion von Caesars Sieg, abhängig, gewährt von ihm. Die Formulierung war nicht sehr geschickt für einen offenen Brief, obwohl Cicero ihn »bei aller Unvernunft noch vernünftig« nannte. Doch so sah Caesar die Dinge.
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Seine Milde war ein Mittel zum Sieg. Versöhnung und Sieg, Milde und Triumph sollten offenbar aufs gleiche hinauslaufen. Curio behauptete damals, Caesar sei nur deswegen so milde, weil er das für populär halte. An sich sei er grausam, und die Grausamkeit werde sich durchsetzen, sobald deutlich werde, daß er mit der Milde nicht gleich zum Ziel komme. Das ist kein zuverlässiges Zeugnis, und wir haben keinen Anlaß, Caesar für grausam zu halten. Aber daß er sehr ungehalten und zornig sein konnte, ist gut bekannt; es entsprach seiner Ungeduld, seinem unbedingten Durchsetzungswillen. Und nach all dem, was seine Gegner über ihn gesagt und gegen ihn getan hatten, hatte er Anlaß genug, sich über sie zu erregen. Wie hätte sich Domitius wohl im umgekehrten Fall verhalten, wenn Caesar ihm in die Hand gefallen wäre? Es kann Caesar also oft nicht leicht gefallen sein, Gegner freizulassen, die möglicherweise unverzüglich ins gegnerische Lager zurückkehrten. Er hätte sie doch mindestens gefangenhalten können. Gleichwohl hat er fast stets seine Milde geübt, selbst bei einigen, die er dann ein zweites Mal gefangennahm; kaum einen hat er hingerichtet, wenige verbannt. Cicero rühmte ihn später, weil er noch seinen Sieg besiegt habe. Er reiche dadurch nahe an die Gottheit heran. Jedenfalls ist die seelische Leistung dieser Milde hoch zu veranschlagen. An der Stelle, wo Montesquieu das Beleidigende an Caesars Milde herausstreicht und erklärt: »Man sah, daß er nicht verzieh, sondern nur zu strafen verschmähte«, hat Friedrich der Große angemerkt: »Diese Überlegung ist übertrieben! Wenn man die Handlungen der Menschen alle mit der gleichen Strenge richtet, gibt es keine heroische Tat mehr.« Gleichwohl gab es Einiges, was diese Milde erleichterte, was sie veranlaßte, was sie vermutlich sogar aufhob in größere Zusammenhänge. Sie war nämlich keineswegs nur Taktik, sondern auf verschiedene Weise auch Konsequenz und Äußerungsform der Größe Caesars und, so gesehen, zwiespältig, ja mehrdeutig.
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Zunächst zog Caesar mit ihr eine Konsequenz aus seiner Sache. Wer nur um seinetwillen, um Unrecht von sich abzuwenden, Krieg führt, kann dafür schlecht morden. Dem ersten Consular, der um Caesars Gnade bat, erklärte er denn auch, er sei nicht aus seiner Provinz herausgegangen, um Unrecht zu tun, sondern um sich gegen schmachvolle Behandlung seitens seiner Gegner zu verteidigen und sich und das römische Volk zu befreien. Die Begnadigungen lagen also in der Konsequenz jenes Kriegsentschlusses aus höchstpersönlichem Anlaß. Im einen wie im anderen äußerte sich die gleiche Größe; die gleiche Ungeheuerlichkeit. Denn in der Milde wirkte ein gewaltiges Überlegenheitsbewußtsein. »Wie er in Taten voranzugehen«, also der Erste zu sein, »bestrebt war, so wollte er auch in Gerechtigkeit und Billigkeit obsiegen«, das hat Caesar nach eigenem Zeugnis vor dem Senat erklärt. Als die ersten Begnadigten ins feindliche Lager zurückgingen, schrieb er an Cicero, dadurch lasse er sich nicht irremachen: »Denn nichts ist mir lieber, als daß ich mir und jene sich gleich bleiben.« Wollte er sie gar nicht gewinnen? Oder war er enttäuscht, daß er es nicht mit einem Schlage konnte? Jedenfalls wollte er sie nicht nur an Großmut übertreffen, sondern durch Großmut überwinden. Die neue Art zu siegen ging so tief in seinen Willen ein, über alle hinauszuragen, daß er zumeist imstande war, Grausamkeiten, zu denen sein Zorn ihn anstacheln mochte, niederzuhalten. Caesar war überlegen, indem er Milde walten ließ. Es scheint sich sogar Caesars Soldaten etwas davon mitgeteilt zu haben. Als einer der Pompeianer einmal ein caesarisches Schiff in Besitz nahm, die Besatzung als Beute betrachtete, den Quaestor aber freigab, soll dieser sich das Schwert in die Brust gestoßen haben, denn »Caesars Soldaten seien es gewohnt, Pardon zu geben, nicht zu nehmen«. In dieser Clementia kündigte sich, ob bewußt oder unbewußt, ein monarchischer Zug an. Sullas Morde hatten neben dem Terror auch Respekt enthalten. Sie waren, wenn auch aus der Position des Siegers heraus, von gleich zu gleich erfolgt. Insofern entsprachen sie dem alten aristokratischen Freund-Feind-
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Denken, wenn man es jedenfalls in archaisch-ungebrochener Weise praktizieren wollte. Clementia war bis dahin für Rom nur ein außenpolitisches Programm gewesen: Die Milde der siegreichen, der herrschenden Stadt gegenüber den Unterworfenen, wie sie Caesar selbst mehrfach in Gallien geübt hatte. Sie hatte die Verzeihung eines Vergehens, den Verzicht auf das Recht zur Bestrafung impliziert. Vielleicht hat Caesar deshalb den Begriff Clementia in seinen Schriften stets rücksichtsvoll vermieden; er sprach von Erbarmen (misericordia), Großmut (liberalitas) und Milde (lenitas). Clementia, was wir mit Milde übersetzen, hatte damals dagegen einen Beigeschmack von Gnade. Welcher Anspruch darin steckte, wird nicht zuletzt deutlich in der Ungehaltenheit, mit der Caesar auf den Freitod seines Hauptgegners Cato reagiert haben soll: »Ich neide dir diesen Tod, denn du hast mir deine Rettung geneidet.« Viele alte Gegner haben das Ärgerliche dieser Gnade genau empfunden. Sie waren verletzt, beleidigt. Caesar siegte dadurch gleichsam ein zweites Mal über sie: nämlich über ihre Ehre, indem er ihnen ihr Leben und ihre politische Stellung zum Geschenk machte. Das Bewußtsein, seine Gnade angenommen zu haben, war äußerst schmerzlich. Doch haben fast alle Überlebenden darum gebeten; und die Vorwürfe, die sie sich deswegen zu machen hatten, wandten sie gegen Caesar. All dieser Unwille folgte letztlich aus der Niederlage, die Caesars Gegner erleiden sollten, und aus der Eröffnung des Bürgerkriegs. Das war das eigentlich Schlimme. Daran konnte Caesar nichts ändern. Seine Clementia konnte nur deren Konsequenzen mildern, nicht versöhnen. Insofern waren ihre Wirkungsmöglichkeiten begrenzt. Doch hing auch viel an den Formen, in denen Caesar die Clementia übte. Er scheint das ungeheure Überlegenheitsbewußtsein, dessen Ausfluß seine Gnade war, nicht gerade versteckt zu haben. So war sie so menschenfreundlich wie herrscherlich, eben ein Ausdruck der Größe, die er mit der Zeit angenommen hatte. Und sehr viel davon wird schon bei Corfinium wirksam und deutlich geworden sein. Caesars eigener,
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wenig später abgefaßter Brief spricht dafür. »Hast Du jemals von jemandem gelesen oder gehört, der schärfer im Zupacken und maßvoller im Siege gewesen wäre?«, fragte Caelius damals in einem Brief an Cicero. Die Entlassung der gefangenen Gegner scheint in Italien rasch zu einem Stimmungsumschwung geführt zu haben. Da man sah, daß es weder Morde noch Konfiskationen gab, da Caesar sich »aufrichtig, maßvoll und klug« verhielt, fielen die Befürchtungen, die man gehegt hatte, um so bereitwilliger in sich zusammen, als Caesar so große Erfolge hatte. »Was auch immer er an Bösem unterläßt, wird so dankbar empfunden, wie wenn er jemand anderen daran gehindert hätte, es zu tun«, schrieb Cicero von dieser »hinterhältigen Clementia«. Ganz Italien begann sich mit ihm zu arrangieren. Wir wissen, daß die »Guten« weiterhin innerlich auf der Seite des Pompeius und des Senats standen, aber sie wollten in Italien nichts verlieren und möglichst so weiterleben wie bisher. Und was sollten sie tun? Zu den Waffen wollten sie nicht greifen, zu sagen hatten sie nichts. Was immer sie dachten, da sie sich nicht wehren wollten, waren sie machtlos. Und so spiegelte sich in ihrer Handlungsweise, daß sich die Republik der Bürger überlebt hatte. Sie mochten freilich hoffen, Pompeius werde später siegreich zurückkehren; einstweilen aber war Caesar der Stärkere. Und wenn man sich vor dem Stärkeren immer vorsehen muß, so gilt dies ganz besonders in einem Bürgerkrieg. Hinzu kam, daß Pompeius und vor allem einige seiner vornehmen Verbündeten in ihrer ohnmächtigen Wut kräftige Drohungen gegen alle, die sich nicht auf ihre Seite schlugen, ausstießen; man sprach sogar von Proscriptionen. Grausamkeit war das Signum der Verfechter der alten Republik. Cicero formulierte die Situation sehr scharf: »Gibt es etwas Erbärmlicheres, als daß der eine in einer überaus unanständigen Sache Beifall sucht, der andere in der besten von der Welt es darauf anlegt, Anstoß zu erregen; der eine für den Bewahrer seiner Feinde, der andere für den Verräter
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seiner Freunde angesehen wird?« Höchst merkwürdig ist das. Wohl kann man erklären, daß die Pompeianer von den Bürgern Opfer forderten, da sie ja für die Sache der Republik kämpften. Aber die kaum mehr überbrückbare Kluft zwischen dem, was sie verlangten, und dem, was die Bürgerschaft bot, weist doch darauf, daß es zwar noch die Sache der Republik war, die auf ihrer Seite stand, aber nicht mehr die Republik selber. Das deutet auf andere Weise darauf hin, wie in Caesar nicht nur ein Einzelner, sondern eine neue Wirklichkeit gegen die alte antrat. Caesar stellte die Truppen, die sich ihm in Corfinium ergeben hatten, in sein Heer ein und rückte rasch nach Süden vor. Am 9. März langte er mit sechs Legionen, drei aus Gallien und drei neu aufgestellten, vor Brindisi an. Pompeius befand sich noch in der Stadt. Die Consuln waren schon über die Adria nach Griechenland gefahren. Er wartete nur noch auf die Rückkehr der Schiffe. Noch einmal gingen Unterhändler hin und her. Aber wieder weigerte sich Pompeius, in Abwesenheit der Consuln mit Caesar zusammenzutreffen. Caesar hatte mit den Belagerungsarbeiten bereits begonnen, als am 17. März Pompeius die Ausfahrt gelang. Damit war Italien Caesar fast kampflos in die Hände gefallen. Seine Absicht, den Krieg, wenn er sich nicht vermeiden ließ, einer raschen Entscheidung zuzuführen, war jedoch gescheitert. Bei aller Kühnheit war er zu schwach gewesen, um rasch genug vordringen zu können. Nun sah er sich vor der Notwendigkeit, die Pompeianer über den ganzen römischen Herrschaftsbereich hinweg zu bekriegen. Außer seinen Statthalterschaften in Gallien und Illyricum waren alle Provinzen in ihrer Hand. Überdies beherrschten sie die Meere, während Caesar nicht einmal eine Flotte besaß. So konnte Caesar Pompeius nicht verfolgen, und seine Gegner gewannen Zeit, ihre Legionen auszubilden, auf den Krieg vorzubereiten und vor allem zu verstärken. In Labienus hatten sie einen Militär, der Caesars Strategie und Taktik genau
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kannte. Auch Pompeius selber war ja ein bedeutender Feldherr. Alles lief auf schwere und lange Kämpfe hinaus. Caesar mußte es künftig mit anderen Gegnern zu tun haben als mit den zwar sehr tapferen, aber doch letztlich naiven und immer wieder zu überlistenden Galliern. Durch zwei Unterfeldherrn ließ er Sardinien und Sizilien in Besitz nehmen; vor allem das letztere war ihm als Kornkammer wichtig, da Pompeius die Zufuhren abzuschneiden drohte. Einer der beiden Kommandeure war Curio. Caesar überließ ihm drei Legionen und gab ihm den Befehl, nach der Gewinnung Siziliens nach Afrika überzusetzen. Er beschloß, selber zunächst nach Spanien zu ziehen, um das große pompeianische Heer, das Gallien und Italien von dort aus bedrohte, niederzuwerfen oder zu gewinnen. Er soll gesagt haben, er gehe zu der Armee ohne Führer, um sich dann dem Führer ohne Armee zuzuwenden. Auf dem Wege wollte er für wenige Tage in Rom Station machen. Dort gaben seine Anhänger schon den Ausschlag. Mitte Februar hatte der Praetor Lucius Roscius den Antrag eingebracht, allen freien Einwohnern der Gallia Cisalpina das volle Bürgerrecht zu verleihen. Caesar hatte das lange angestrebt. Längst hatte man sich dort romanisiert, zahlreiche Söhne der Provinz dienten in seinen Armeen. Und er legte großen Wert auf die Gefolgschaft, die er durch dieses Gesetz gewann. Am 11. März wurde es erlassen und war im Grunde Caesars erste Maßnahme in Rom, Wochen vor seiner Ankunft. Dann suchte er die Unterstützung des Senats, eine mindestens bedingte Legitimation seiner Sache. Viele Senatoren waren Pompeius gefolgt. Er hatte alle aufgefordert, nach Saloniki zu kommen, wo sich Magistrate und Senat aufhielten, da Rom in der Hand des Feindes sei. Mehr als die Hälfte des Senats war jedoch in Italien geblieben. Nicht weil sie gegen Pompeius oder gar für Caesar gewesen wären, sondern weil sie nicht außer Landes gehen wollten. Zumeist saßen sie auf ihren Gütern und warteten, worauf es hinausliefe. Caesar ließ überall anschlagen, er wolle, daß der Senat sich am 1. April zahlreich zu wichtiger Sitzung versammle;
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besonderen Wert legte er auf die Anwesenheit der in Italien verbliebenen Consulare. In erster Linie ging es um Cicero. Schon Anfang März hatte Caesar ihm geschrieben: »Vor allem begehre ich, weil ich bald in die Stadt zu kommen gedenke, Dich dort zu sehen, damit ich mich Deines Rats, Deines Einflusses, Deines Rangs und Deiner Hilfe in allen Dingen bedienen kann.« Nun traf er ihn auf dem Weg nach Rom. Cicero berichtet, er hätte erwartet, Caesar werde konzilianter sein. Aber er war recht direkt. Als Cicero erklärte, daß er nicht nach Rom kommen könne, meinte er, das käme einer Verurteilung gleich: Nun würden auch die anderen eher zögern. Schließlich forderte er ihn auf: »Komm also, und sprich für den Frieden!« Darauf Cicero: »Wie ich es für richtig halte?« Caesar: »Soll ich dir etwa Vorschriften machen?« Cicero: »Ich werde vorschlagen, dem Senat gefalle es nicht, daß Truppen nach Spanien gehen und eine Armee nach Griechenland übergesetzt werde; und ich werde Pompeius’ traurige Lage ausgiebig beklagen.« Da wurde Caesar kurz: »Ich aber wünsche nicht, daß so etwas gesagt wird.« »Das«, antwortete Cicero, »habe ich mir gedacht; aber eben deswegen will ich ja nicht da sein. Entweder muß ich so sprechen und vieles vorbringen, was ich keinesfalls verschweigen kann, oder ich darf nicht kommen.« Man fand dann ein Ende, indem Caesar Cicero bat, es noch einmal zu überdenken. Zum Abschied drohte er, wenn Cicero ihm keinen Rat und Beistand leihe, werde er ihn bei denen holen, bei denen er ihn finden werde; er sei bereit, sich auf alles einzulassen. Was diese Worte bedeuteten, konnte Cicero vor der Tür seines Hauses sehen: Caesar hatte eine »Höllenmeute« von Gefolge. »Alles, was in ganz Italien nichts taugt, war dabei.« Lauter Desperados; erschütternd, sie alle auf einem Haufen zu sehen. Natürlich übte Caesar auf diejenigen, die in Rom nach herkömmlichen Maßen nicht gut taten, eine magische Anziehungskraft aus; das Bedenkliche war, daß er dieses Gelichter nicht von sich wies.
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Dann betrat Caesar nach neun Jahren gallischer Statthalterschaft und Kriegführung zum ersten Mal wieder die Stadt. Ein Fremder inzwischen und zudem in großer Eile, höchst aktiv, präsent, in gesammelter Energie, wenn auch nicht unbedingt wirklich anwesend. Ein ungewohnter Anblick: der machtvolle Feldherr, siegreich, vielleicht auch herrisch in einer Stadt, die von allen Mächtigen verlassen war. Von Brindisi kommend, wo die Consuln, Pompeius und zahlreiche Senatoren vor ihm Italien verlassen hatten, umgeben von einer Schar eifriger Bewunderer und Gefolgsmänner, spürbar im Besitz seiner Legionen. Und er war viel zu rasch, um rücksichtsvoll zu sein. Caesar sprach zum Volk, rechtfertigte sich, suchte alle zu beruhigen, daß er für die Ernährung der Stadt sorgen werde, versprach auch eine Geldverteilung. Antonius und Cassius Longinus, die beiden Volkstribune, die am 7. Januar aus der Stadt geflohen waren, beriefen den Senat ein. Der Besuch war dürftig, drei Consulare nur hatten sich aufraffen können: Kein Senat, sondern die Versammlung mehrerer Senatoren. Caesar hielt eine Rede, verweilte lange bei der Schilderung der Beleidigungen und Zumutungen, die er von seinen Gegnern erfahren hatte; legte dar, daß er nichts Ungewöhnliches gewollt habe, daß er zu vielen Zugeständnissen bereit gewesen sei. Insbesondere verwies er auf seine vielfältigen Bemühungen um den Frieden, die die anderen alle abgewiesen hatten. Höchst gemäßigt soll er gesprochen haben, freilich mit schweren Ausfällen, ja Verwünschungen gegen die, die den Krieg gegen die eigenen Bürger führen wollten. Er forderte dann, daß die Senatoren »sich des Gemeinwesens annähmen und es mit ihm zusammen verwalteten.« Aber er fügte auch gleich hinzu, »wenn sie sich dem aus Furcht entzögen, werde er ihnen nicht weiter zur Last fallen und von sich aus das Gemeinwesen verwalten«. Seinem eigenen Bericht zufolge beantragte er, an Pompeius eine Friedensgesandtschaft zu schicken. Der habe zwar gesagt, solche Gesandtschaften seien ein Zeichen von Schwäche; das schiene ihm, Caesar, kleinmütig geurteilt. »Er aber wolle, wie er in Taten voranzugehen bestrebt war, so auch in Gerechtigkeit
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und Billigkeit obsiegen.« Von seinen weiteren Anträgen spricht Caesar nicht. Aber er wollte den öffentlichen Schatz ausgeliefert, die Kommandos Curios und anderer bestätigt haben, möglicherweise auch einen Beschluß, daß er, falls die Gegner nicht zum Frieden bereit wären, berechtigt sei, seinerseits zu rüsten. Die Senatoren ließen sich jedoch nicht überzeugen. Einige mögen seine Gegner gewesen sein, obwohl unklar ist, warum sie dann überhaupt gekommen waren. Viele dürften darüber aufgebracht gewesen sein, wie ihnen der unbotmäßige Statthalter entgegentrat, gemäßigt im Ton vielleicht, aber doch mit unverhüllten Drohungen. Hochmütig, wie er dem Senat anbot, ihn unterstützen zu dürfen, und offenbar doch ohne Bereitschaft, wirklich auf ihn zu hören. Es ist auch die Frage, ob Caesar nach neun Jahren Abwesenheit den richtigen Ton zu den Vätern fand. Zwar wurde die Gesandtschaft an Pompeius beschlossen, aber keiner wollte sie übernehmen. Pompeius hatte ja erklärt, er erachte die als Feinde, die in Rom blieben. Vielleicht mißtraute man auch der Ernsthaftigkeit Caesars. Im übrigen fand der den Senat so, wie er ihn schon kannte: Es wurde viel und lange geredet. Drei Tage dauerten die Verhandlungen; nichts sonst wurde beschlossen. Einmal scheint eine Mehrheit bereit gewesen zu sein, Caesar die Gemeindekasse auszuliefern. Aber ein Volkstribun, Lucius Caecilius Metellus, legte sein Veto ein. Zornig brach Caesar schließlich die Verhandlungen ab. Er hatte weder Zeit noch Meinung, sich aufhalten zu lassen. Vielleicht hatte er gute Vorsätze gehabt, aber dann war wieder alles wie im Jahre 59. Trotz allem, was er inzwischen geleistet hatte, hatte sich seine Stellung gegenüber dem Senat nicht geändert. Und inzwischen waren zehn Jahre ins Land gegangen. Er schien aus seiner Außenseiterstellung nicht herauszukommen; hatte sich vielmehr in ihr nur befestigt. Wenn er wirklich geglaubt haben sollte, daß der Senat im Falle freier Entscheidung für ihn sein würde, so muß er bitter enttäuscht gewesen sein. Aber lange können ihn die Gedan-
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ken darüber nicht beschäftigt haben. Wenn der Senat nicht wollte, galt es ihm letztlich gleichviel. Er konnte seinen Willen auch anders haben. »In Zukunft wird alles von mir ausgehen«, erklärte er. Es galt das Kriegsrecht, und er war der Herr. Er überschritt mit einem Trupp Soldaten die geheiligte Stadtgrenze – an der an sich sein militärisches Kommando endete, um nicht wiederaufzuleben –, begab sich aufs Forum zum Saturn-Tempel. Als der Volkstribun Metellus ihm den Weg versperrte, drohte er, der ausgezogen war, die Rechte der Tribunen zu verteidigen, ihn zu töten. Es käme ihn schwerer an, das auszusprechen als es zu tun, fügte er hinzu. Dann ließ er das Tor zum Tempel aufbrechen und nahm den Schatz an sich, den die Consuln in der Panik ihrer Abreise dort zurückgelassen hatten. Die Stimmung in Rom war so feindlich, daß er nicht einmal wagte, eine geplante Rede zum Volk zu halten. Wie schlecht Caesars Gewissen war, zeigt sich darin, daß er den Vorfall nicht nur verschwieg, sondern an anderer Stelle seines Berichts sogar behauptete, die Consuln seien so eilig aufgebrochen, daß sie den Saturntempel zwar noch aufgeschlossen, aber das Geld nicht mehr mitgenommen hätten. Voller Zorn auf den Senat und verbittert über die Intercessionen, brach er nach Spanien auf. »Was er sinnt und redet, ist nichts als Wut und Grausamkeit«, berichtet Caelius. Aber um die gleiche Zeit schrieb Caesar an Cicero schon wieder freundliche Briefe, sah ihm seine Abwesenheit nach und suchte ihn in seiner Neutralität zu bestärken. Sehr rasch also hatte er seine Überlegenheit auch über seine ungehaltene Natur wiedergewonnen. Bei den Soldaten war Caesar wieder in seinem Element. Der Praetor Marcus Aemilius Lepidus regierte in seinem Namen künftig die Stadt, Antonius hatte er das Kommando über Italien und die dort zurückgelassenen Legionen übergeben. Für ihn war alles wieder wie vorher: Er konnte einen neuen Feldzug beginnen.
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Erster spanischer Feldzug und zweiter Aufenthalt in Rom (April bis Dezember 49) Belagerung von Massilia • Kapitulation der spanischen Legionen • Die Pflicht, Bürger zu schonen • Meuterei bei Placentia • Wirtschaftliche Maßnahmen und Wahlen in Rom Mitte April erreichte Caesar auf dem Landweg Massilia (Marseille). Die Stadt erklärte dem bisherigen Statthalter der Provinz Gallien, sie sei ihm so gut wie Pompeius verpflichtet und wolle neutral bleiben. Sie verschloß ihm ihre Tore; aber Domitius Ahenobarbus, den der Senat Anfang Januar zu Caesars Nachfolger bestellt hatte, durfte bald darauf in ihren Hafen einfahren. Während er die Verteidigung übernahm, begann Caesar die Belagerung. Als aber ein rascher Erfolg ausblieb, übergab er das Kommando an Trebonius und zog mit einem großen Teil des Heeres weiter. Mitte Juni langte Caesar in Spanien an; die Pyrenäen-Pässe hatte einer seiner Unterführer schon freigekämpft. Bei Ilerda (heute Lérida) traf er auf das pompeianische Heer, das zwei der bewährtesten Kommandeure führten. Es umfaßte fünf Legionen und sehr viele Hilfstruppen. Caesar verfügte zwar über sechs Legionen, war aber an Hilfstruppen schwächer; immerhin war er an Reiterei überlegen, zumal er aus den vornehmsten und tapfersten gallischen Stämmen neue Schwadronen gebildet hatte. Zum ersten Mal seit der Eröffnung des Bürgerkriegs war mit schweren Kämpfen zu rechnen. Caesar hielt es deswegen für angebracht, bei seinen Offizieren ein Darlehen aufzunehmen, das er dann an die Soldaten verteilte. So band er alle an sich. Eine Weile standen sich die Armeen gegenüber. Endlich kam es zu einer Schlacht, in der die Pompeianer Caesars Truppen fast geschlagen hätten, und zwar dank der lockeren Kampfordnung, die sie von den Spaniern übernommen hatten. Der
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Ausgang blieb unentschieden. Dann zerstörte Hochwasser im nahegelegenen Fluß Sicoris (dem heutigen Segre, einem linken Nebenfluß des Ebro) die Brücken, über die Caesars Truppen sich versorgten. Die Gegner, die ihrerseits keinen Mangel hatten, konnten seinen Nachschub von allen Seiten blockieren. Sie hielten ihren Sieg für sicher. Als ihre Nachrichten nach Rom gelangten, feierte man ihn schon. Aber Caesar wußte einen Ausweg: Er ließ Schiffe besonderer Art bauen, wie er es in Britannien gelernt hatte, schaffte sie heimlich auf zusammengekoppelten Wagen an eine einunddreißig Kilometer entfernte Stelle, setzte auf ihnen dann seine Reiterei hinüber und ließ einen Brückenkopf bilden, schließlich eine Brücke bauen. Gleichzeitig trafen Meldungen von einem ersten Erfolg vor Massilia ein. Das Glück wandte sich, einige spanische Gemeinden ergaben sich Caesar. Er ließ dann durch mehrere Gräben einen Teil des Sicoris ableiten, um eine Furt zu schaffen. Die Pompeianer fürchteten, ihrerseits durch Caesars Reiter von der Versorgung abgeschnitten zu werden und zogen sich südwärts zurück. Caesar folgte ihnen und verlegte ihnen durch außerordentlich verwegene und überraschende Operationen den Weg. Verschiedene günstige Gelegenheiten, eine Schlacht zu beginnen, ließ er bewußt verstreichen, da er so wenig Blut wie möglich vergießen wollte. Dabei drängten ihn die Soldaten zum Kampf; sie zeigten sich verärgert und aufsässig, als er ihn ihnen verweigerte. Wenn er sich eine solche Gelegenheit zu siegen entgehen lasse, würden sie auch nicht kämpfen, wenn Caesar es wolle. Sie wollten den greifbar nahen Lohn aller Anstrengungen, Beute und Sieg. Einmal geschah es bei Abwesenheit der feindlichen Führer, daß die Soldaten der beiden Heere ins Gespräch kamen. Alte Freunde und Bekannte besuchten sich gegenseitig. Einer der pompeianischen Kommandeure griff schließlich mit seiner spanischen Leibwache ein und ließ alle Caesarianer, deren er habhaft werden konnte, hinrichten. Seine Soldaten mußten einen Eid schwören, daß sie das Heer und seine Führer nicht im Stich ließen und verrieten. Caesar dagegen schickte die pompeianischen Soldaten zurück,
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ohne ihnen etwas anzutun. Wenig später hatte er die Gegner an ungünstiger Stelle eingeschlossen; ihre Lage war verzweifelt. Nach vier Tagen ohne Wasser und Getreide, ohne Futter für jene Lasttiere, die noch nicht geschlachtet waren, bat Lucius Afranius, einer der Kommandeure um eine Zusammenkunft. Doch gewährte Caesar sie nur als offene Aussprache in Hörweite beider Heere. Er berichtet selbst ausführlich darüber. Danach sagte Afranius, sie hätten ihrer Pflicht ihrem Befehlshaber Pompeius gegenüber genügt; nun aber seien sie besiegt, und er bäte um Erbarmen. Caesar antwortete mit heftigen Vorwürfen gegen die beiden Feldherren. Er sprach von einer anderen Pflicht, die er und seine, ja sogar die gegnerischen Soldaten erfüllt hätten, nur eben die beiden Generale nicht: Das sei die Pflicht, die Bürger zu schonen und darauf zu sehen, daß »alles möglichst offen zum Frieden bliebe«. Caesar spielte, wie in seinen Begnadigungen, den Part der gesamten Bürgerschaft, was das Leben der Bürger und den Ausgleich unter ihnen anging. Wieder vermochte er sein Interesse als das des Ganzen auszugeben, die Gegner als parteiisch hinzustellen. Im übrigen beschwerte er sich laut über das ihm widerfahrene und zugedachte Unrecht. Ihm allein solle nicht gewährt werden, was allen Feldherrn Roms bisher zuteil geworden war: »nach glücklich vollbrachten Taten ehrenvoll oder doch ohne Schande nach Hause zurückzukehren«. Doch auf die Bitterkeit ließ er wieder die Größe folgen: Das alles werde er ertragen; er denke auch nicht daran, seine Macht um die pompeianischen Legionen zu erweitern; ja, ohne allen Anlaß verbürgte er sich sogar dafür, daß er keinen gegen dessen Willen in seine Reihen aufnehmen werde. Er wollte nur eines: daß seine Feinde aus der Provinz abreisten und die Legionen entließen. Darauf gingen die Pompeianer bereitwillig ein. Dann veranlaßte Caesar seine Soldaten, alles, was sie von den Pompeianern erbeutet hatten, diesen zurückzugeben; er ließ den Wert der Sachen schätzen und in Geld vergüten. So genau achtete er auf das Eigentum der römischen Bürger.
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Nach vierzig Tagen hatte er die beste Armee, über die die Pompeianer verfugten, fast ohne Blutvergießen vernichtet. Ohne weitere Kämpfe konnte er jetzt die spanischen Provinzen in Besitz nehmen. Im Jenseitigen Spanien (Ulterior) hatte er von Quaestur und Praetur her noch beste Verbindungen; jetzt rief er zwei große Landtage in Corduba (Cordoba) und Tarraco (Tarragona) zusammen. Er dankte seinen Anhängern und belohnte sie; auch gab er die von den Pompeianern konfiszierten Gelder zurück. Freilich erlegte er seinerseits anderen hohe Kontributionen auf. Dann setzte er in Hispania Ulterior den Volkstribunen Quintus Cassius Longinus als Statthalter ein und überließ ihm vier Legionen. Der schaffte es in Kürze, die Caesar so freundliche Provinz zur Empörung zu bringen. Schon Cicero hatte sich einmal gefragt: »Welcher Genossen oder Gehilfen soll sich Caesar bedienen? Sollen diejenigen die Provinzen und das Gemeinwesen leiten, von denen keiner zwei Monate lang sein Erbe in Ordnung halten konnte?« Auf dem Rückmarsch dann kapitulierte nach langer, tapferer Gegenwehr Massilia. Die Stadt mußte alle Waffen und Schiffe sowie den Gemeindeschatz ausliefern. Sie behielt aber formell die Unabhängigkeit. In Norditalien, bei Placentia (Piacenza) kam es dann erstmals zu einer Meuterei. Die Soldaten teilten mit, sie seien erschöpft; vor allem aber waren sie unzufrieden, daß es keine Beute gab. Sie warfen Caesar vor, er verlängere den Krieg absichtlich, um ihnen nicht die versprochene Belohnung aushändigen zu müssen. Ein Krieg, der nichts brachte als unendliche Anstrengungen, ein Krieg bloß für Caesar und unter größtmöglicher Schonung der Gegner; ein Krieg, dessen Lohn ungreifbar in der Ferne lag, war ihnen zu abstrakt. Hunderte von Kilometern hatten sie schon wieder zurückgelegt, waren über Pyrenäen und Alpen marschiert, alles in größter Eile; jetzt sollten sie nach Brindisi im Süden Italiens aufbrechen, um von dort in den Osten überzusetzen. Man kann verstehen, daß es ihnen zuviel wurde. Caesar habe sich nicht anmerken lassen, wie sehr er auf sie angewiesen war. Er trat vor seine Soldaten und erklärte, er
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werde nach altem Brauch die neunte Legion, von der die Meuterei ausgegangen war, dezimieren, das heißt jeden Zehnten hinrichten lassen; die übrigen werde er als untauglich nach Hause schicken. Darauf waren sie nicht gefaßt gewesen, so hatten sie es nicht gemeint. Letztlich hingen sie doch an ihm und die schimpfliche Entlassung war ihnen wider die Ehre. Sie baten also, im Dienst bleiben zu dürfen; erst nach längerem Sträuben gab Caesar nach. Aber er verlangte, daß ihm die am meisten Schuldigen, und zwar einhundertzwanzig Männer, benannt würden. Von denen ließ er jeden zehnten, wie gerade das Los es traf, hinrichten. Unter ihnen war einer, von dem sich herausstellte, daß er in der fraglichen Zeit gar nicht im Lager gewesen war. An seiner Statt wurde der Offizier getötet, der seinen Namen gemeldet hatte. In Rom war Caesar inzwischen auf Grund eines besonderen Gesetzes vom Praetor Lepidus zum Dictator ernannt worden, vornehmlich mit der Aufgabe, die Wahlen abzuhalten. So begab er sich etwa Mitte Dezember rasch in die Stadt, wiederum zu einem Blitzbesuch, für nur elf Tage. Seine Anhänger hatten sein Programm weitgehend vorbereitet. Die Wahlen verliefen dann wie geplant, zu Consuln wurden er selbst und Publius Servilius Isauricus gewählt, der Sohn des Mannes, unter dem er einst im Osten gedient hatte. Für 48 hatte Caesar sich erstmals wieder rechtmäßig bewerben dürfen. Schon vorher waren die Söhne der von Sulla Proscribierten durch ein Gesetz wieder zur Kandidatur zugelassen worden. Erstmals durften alle Transpadaner – die neuerdings zu Bürgern gewordenen Einwohner der Poebene – teilnehmen und sie werden in großer Zahl gekommen sein, um ihren alten Statthalter und Wohltäter zu ehren. Vermutlich ebenfalls vorher hatte Caesar für die seit 52 unter der strengen Ägide des Pompeius verurteilten Politiker Straffreiheit und Rückkehr nach Rom beschließen lassen. Auch feierte er als Dictator das Latinerfest, was die Consuln bei ihrem eiligen Aufbruch unterlassen hatten; vorwurfsvoll und, was dem Pontifex Maximus gut anstand, korrekt. Das war das alte
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Fest des latinischen Bundes. Die Consuln pflegten es gleich nach Amtsantritt anzusagen, und sie durften nicht eher zum Heer abgehen, als bis sie es abgehalten hatten. Alle Magistrate hatten teilzunehmen. Das Fest fand außerhalb Roms bei Alba Longa – der Heimat der Julier – statt und dauerte mehrere Tage. Vor allem ging es darum, Juppiter einen Stier zu opfern, ursprünglich einen weißen; später erlaubte ein Senatsbeschluß auch rötliche Tiere, aber wir wissen nicht, ob vor 49. Die besondere Sorge Caesars galt den zerrütteten Wirtschaftlichen Verhältnissen. Es wurden keine Schulden mehr bezahlt, kein Geld mehr ausgeliehen, da man ja einen Schuldenerlaß befürchtete. Der Dictator verfügte, daß der Grundbesitz der Schuldner von Schiedsrichtern zu schätzen sei. Die Gläubiger verpflichtete er, ihn zum Vorkriegswert in Zahlung zu nehmen, so daß sie die Schuldner, sofern diese Grundbesitz besaßen, nicht zwingen konnten, ihn billiger herzugeben. Er ordnete auch eine Zinssenkung an. Die Maßnahmen waren ein Kompromiß, vor allem aber eine deutliche Absage an einen Schuldenerlaß. Diesmal ließ Caesar eine Friedensgesandtschaft an Pompeius, wie sein Schwiegervater sie im Senat vorschlug, nicht zu. Da seine Lage sich wesentlich verbessert hatte, brauchte er den Senat dafür nicht mehr. Um den Finanzbedarf für seinen bevorstehenden Feldzug zu decken, beschlagnahmte er die letzten noch übrigen Weihgeschenke in Roms Tempeln; an die Menge ließ er Getreide verteilen. Ende Dezember legte er dann die Dictatur nieder und brach auf. Sein Consulat scheint er auf dem Wege angetreten zu haben, denn am 4. Januar stieß er bereits von Brindisi aus in See. Die Lage hatte sich wesentlich gewandelt: Jetzt war Caesar der Consul. Die Gegner konnten sich nicht mehr darauf berufen, die legitime Regierung zu sein. Bei ihm war die Republik. Einer seiner jungen Gefolgsmänner schrieb wenig später, als er Cicero nach Caesars ersten Erfolgen jenseits der Adria zu Parteiwechsel oder wenigstens Neutralität überreden wollte: Du hast deiner Pflicht genügt, deiner Partei »und derjenigen
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Republik, die du gutheißt; jetzt geht es darum, daß wir lieber dort sind, wo jetzt die Republik ist, als daß wir, indem wir jener alten folgen, in keiner wären«. Es war ein kühner Sprachgebrauch, die Republik derart zu lokalisieren; und nur von der Legitimität der Magistrate hing das ja auch nicht ab. Doch der Anspruch, den Caesar jetzt erhob, spiegelt sich sehr gut in diesen Worten. Diesen Anspruch, für das Ganze zu stehen, erleichterten ihm seine Gegner, die zahlreiche auswärtige Potentaten herangeholt hatten, mit denen sie Italien wie ein Feindesland erobern wollten; selbst mit Proscriptionen drohten sie; einzig Cato versuchte das Mögliche an Schonung römischer Bürger. Als sich zweihundert Senatoren zu einer Senatssitzung in Saloniki – an einer für die Einholung der Auspicien hergerichteten Stelle – versammelt hatten, ließ er den Beschluß fassen, kein Römer dürfe außerhalb der Schlacht getötet und keine Rom unterworfene Stadt ausgeplündert werden. Die Pompeianer hielten sich nicht unbedingt daran; Caesar dagegen tat alles, um die Auswirkungen des Krieges einzugrenzen. Freilich hatte er den großen Vorzug, politisch und militärisch alles in der Hand zu haben. Griechischer Feldzug (bis September 48) Übergang über die Adria • Verhandlungsangebot • »Du fährst Caesar und sein Glück« • Belagerung des Pompeius bei Dyrrhachium • Niederlage • Schlacht bei Pharsalos • »Das haben sie gewollt« • Göttliche Zeichen für die Wendung der Dinge • Caesars Religion: Das Glück und die Götter Inzwischen war die westliche Hälfte des römischen Herrschaftsbereichs in Caesars Hand, neben Spanien auch Sardinien, Korsika und Sizilien. Die Provinz Africa hatte Curio
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allerdings nicht gewinnen können. In tapferem Kampf war er gefallen, nachdem er seine drei Legionen verloren hatte. Auch hatte die pompeianische Flotte Caesars Schiffen in der Adria eine empfindliche Niederlage beigebracht, und vor allem waren seine Truppen in Illyrien zur Kapitulation gezwungen worden. Pompeius, der inzwischen vom Senat in Saloniki zum Oberbefehlshaber aller Streitkräfte ernannt worden war, hatte im Osten nahezu ein Jahr Zeit gehabt, zahlreiche Truppen zusammenzuziehen. Fünf Legionen hatte er aus Italien mitgebracht, vier kamen aus den östlichen Provinzen, zwei weitere befanden sich im Anmarsch aus Syrien. Bogenschützen, Schleuderer, Reiter hatten die Verbündeten gestellt, große Summen Geldes waren eingetrieben. Nun nutzte Pompeius die Zeit, um mit seiner Armee zu exerzieren; es wird berichtet, daß er an den Waffenübungen persönlich teilnahm. Mit seinen achtundfünfzig Jahren führte er bald als Infanterist die Waffen, bald zog er als Reiter in vollem Galopp mit leichter Hand das Schwert, um es ebenso gewandt wieder in die Scheide zu stekken. Und im Speerwerfen übertraf er die meisten Jungen nicht nur an Zielsicherheit, sondern auch an Kraft und Weite des Wurfs. Schließlich hatte er eine große Flotte gebaut und in den Häfen Vorräte angelegt: Er wollte in den Küstenstädten auf Caesar warten, während seine Schiffe die See beherrschten. Als Caesar in Brindisi eingetroffen war, hatten dort schon zwölf Legionen und mehr als tausend Reiter bereitgestanden. Später berichtete er, auf dem Marsch von Spanien her seien viele Soldaten ausgefallen, auch sei der Krankenstand hoch gewesen: Das ungesunde Herbstwetter um Brindisi habe ihnen zugesetzt, nachdem das gallische und spanische Klima ihrer Gesundheit so zuträglich gewesen sei. Der altrömische Kalender war dem unseren etwa zwei Monate voraus, Anfang Januar hieß also Mitte November. Bevor sie sich einschifften, erklärte Caesar den Soldaten, daß sie jetzt fast am Ende ihrer Mühen und Gefahren angelangt seien. Deshalb sollten sie unbesorgt ihre Sklaven und ihr Gepäck in Italien zurücklassen und leichtbepackt an Bord
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gehen, dann könne nämlich eine größere Zahl von ihnen in den Schiffen Platz finden: Vom Sieg und von seiner Freigebigkeit sollten sie sich alles erhoffen. Die Soldaten sollen das mit Jubel aufgenommen haben. Er hatte nicht genügend Schiffe zur Verfügung. Sieben Legionen konnte er verladen. Der Wind war günstig, und im Vertrauen auf seine Schnelligkeit und sein Glück setzte er über. Es war ein Wagnis, denn er besaß nur zwölf Kriegsschiffe zur Deckung, während die gegnerische Flotte einhundertzehn umfaßte. Aber die pompeianischen Befehlshaber rechneten wohl so schnell nicht mit der Ankunft der Caesarianer und so hielten sich ihre Schiffe im Hafen auf. Pompeius selbst war erst im Anmarsch, er wollte in den Küstenstrichen um Apollonia (im Süden des heutigen Albanien) und Dyrrhachium Winterquartier nehmen. Durch die Schnelligkeit seiner Operationen kam ihm Caesar teilweise zuvor und nahm Oricum und Apollonia in Besitz; den Weg nach Dyrrhachium allerdings schnitt ihm Pompeius ab. In der Nähe von Apollonia bezogen die beiden Heere einander gegenüber ihr Lager; Pompeius recht gut, Caesar schlecht versorgt. Pompeius’ Flotte, die jetzt ihre Lektion gelernt hatte, schnitt Caesar von der Adria ab. Gleich nach der Landung hatte er noch einmal Vorschläge zum Frieden gemacht. Beide Feldherrn sollten sich eidlich verpflichten, innerhalb von drei Tagen ihre Armeen zu entlassen. Dann sollte die volle Gewalt wieder an Senat und Volk übergeben werden. Pompeius ließ sich die Vorschläge nicht einmal vortragen. »Was brauche ich Leben und Bürgerrecht, wenn es aussieht, als verdankte ich sie Caesars Gnade?« Nach seiner Flucht und Caesars Siegen konnte es in der Tat kaum anders erscheinen. Die Dinge hatten sich gegenüber dem Frühjahr 49 erheblich verändert; für beide war nebeneinander kein Platz mehr. Kein Argument konnte mehr dafür sprechen, den Krieg gegen Caesar abzubrechen, zu dem die Pompeianer sich aus guten Gründen entschlossen hatten. Als die Armeen dicht beieinander lagerten, ließ Caesar Vatinius die Forderung nach Friedensverhandlungen laut zur
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anderen Seite hinüberrufen. Warum sollten Bürger nicht mit Bürgern reden und Gesandtschaften austauschen? Am nächsten Tag wollten die Pompeianer Antwort geben. Auf beiden Seiten strömten Soldaten zusammen, und Labienus begann bereits mit Vatinius zu diskutieren. Da hagelte es plötzlich Wurfgeschosse auf die Caesarianer. Vatinius entging ihnen, andere aber wurden verwundet. Labienus rief den sich Zurückziehenden nach: »Reden wir also nicht mehr von Versöhnung; denn nur, wenn uns Caesars Kopf gebracht wird, ist ein Frieden möglich.« So wurde auch Caesars Werbung bei den gegnerischen Soldaten ein Riegel vorgeschoben. Im übrigen geschah lange nichts. Pompeius war zwar überlegen, aber er zögerte, Caesar anzugreifen. Offenbar hoffte er, ihn von den Zufuhren abschneiden zu können. Caesar dagegen wartete immer ungeduldiger auf die übrigen Legionen: Längst hätten sie, so fand er, bei günstigem Wind übersetzen können, trotz der Überlegenheit der gegnerischen Flotte. Zeitweilig beschlich ihn Mißtrauen, ob Antonius und dessen Collegen überhaupt noch zuverlässig auf seiner Seite stünden. Er beschloß, als Sklave verkleidet in einem kleinen Boot überzusetzen, um selbst seine Soldaten zu holen. Das Boot geriet in einen überaus heftigen Sturm. Der Kapitän wollte umkehren. Caesar aber bestand darauf, daß er unbedingt weiterführe: »Keine Angst! Du fährst Caesar und sein Glück«, schrie er ihm ins Ohr. Die Szene ist zuverlässig überliefert. Längst wußte Caesar, daß Fortuna in allen Dingen, besonders aber im Krieg, die größte Macht hatte. Immer wieder spricht er in seinen Büchern davon. Er fühlte sich vom Glück begünstigt und war es auch. »Soll er sein Glück haben!« stellte Cicero Anfang 49 fest und zeigt damit, daß diese Beziehung auch in Rom bekannt war. Sie war ja schon durch die Abstammung von Venus gegeben und in Liebe und Krieg vielfältig bestätigt. Aber natürlich konnte man sich nicht einfach auf das Glück verlassen. »Das Glück hilft den Tapferen«, fortes Fortuna adiuvat, hatte schon Terenz in einer seiner Komödien gedichtet,
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und die lateinische Sprache schien den Zusammenhang zu bezeugen. Man konnte, ja man mußte dem Glück nachhelfen. »Wenn nun nicht alles glücklich ablaufe, so müßten sie dem Glück durch ihren Eifer zu Hilfe kommen«, sagt Caesar einmal zu seinen Soldaten; und auch das stand ähnlich schon bei Terenz. Caesar wußte zudem, daß nicht nur Fortuna, sondern viel mehr noch der Verstand dem Tapferen beisteht. »Es ist schwer zu sagen, ob er bei seinen Unternehmungen mit mehr Vorsicht oder mehr Kühnheit vorging«, schreibt Sueton, und Caesar war gewiß ein großer, genialer Erkunder und Planer. Aber er konnte eben auch alles auf eine Karte setzen. Es war schon am Anfang etwas Abenteuerlich-Spielerisches in ihm, zunächst oft eher mutwillig, dann aber nährte es sich zunehmend aus der Erfahrung, wie wenig Widerstand die Wirklichkeit oft leistete, wenn man das Gegebene zupackend formen konnte. In Gallien hatte es sich vollends so gezeigt. Das Glück war zwar ungewiß, aber es konnte einem auch treu sein. Den Würfel zu werfen, lag ihm. So gehörte es zu ihm; ängstlichzögernd hätte er sich nicht haben wollen. Da er auf die Legionen aus Italien angewiesen war, riskierte er das Äußerste. Schließlich aber waren Sturm und Wellen so stark, daß das Schiff trotz allem umkehren mußte. Doch ein Brief mit seinem strikten Befehl, ihm die Legionen zuzuführen, erreichte bald darauf seine Heerführer. Um den 10. April gelang ihnen mit viel Glück die Überfahrt. Nun hatte Caesar elf Legionen und etwa 1500 Reiter zusammen, war Pompeius zahlenmäßig zwar noch immer unterlegen, aber das Spiel konnte gewagt werden. Erst einmal schickte er Truppen nach Griechenland hinüber, um seine Versorgung zu sichern. Dann setzte er andere in Marsch, die die aus Syrien heranmarschierenden Legionen des Pompeius daran hindern sollten, sich mit dessen Armee zu vereinigen. Die Kämpfe verliefen wechselvoll. Nun verlegte Pompeius sein Lager. Caesar folgte ihm, bot ihm die Schlacht an, und als der Gegner einer Entscheidung auswich, versuchte Caesar ein äußerst kühnes Manöver. Er marschierte nach Dyrrhachium, und zwar brach er zunächst
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in die entgegengesetzte Richtung auf, um sich dann auf engen Pfaden durch schwieriges Gelände seinem Ziel zu nähern. Pompeius ließ sich tatsächlich täuschen, und als er Caesars Operationen endlich entdeckte und ihnen auf dem kürzeren Weg zuvorzukommen suchte, war Caesar dank eines fast ununterbrochenen, mit aller Willenskraft vorangetriebenen Nachtmarsches schon vor Dyrrhachium angelangt. Damit war Pompeius von der Stadt abgeschnitten, in der seine Vorräte und sein gesamtes Kriegsmaterial lagerten. Er setzte sich daraufhin auf einer Anhöhe fest, zu deren Füßen sich ein leidlich günstiger Anlegeplatz befand. So konnte er sich aus der Nähe wie aus der Ferne gut versorgen, während Caesar nach wie vor von jeder Zufuhr über See abgeschnitten blieb. Auch die Schiffe, die er währenddessen in Sizilien, Gallien und Italien hatte bauen lassen, blieben aus. Aus der Umgebung aber konnte er kaum etwas beziehen. Es herrschte ohnehin überall Getreidemangel, zudem hatte Pompeius den ganzen Landstrich plündern lassen. In dieser einigermaßen verzweifelten Lage entwickelte Caesar abermals eine ganz ungewöhnliche, kühne Strategie. Die Gegend war hügelig; so nahm er verschiedene Höhen im weiten Umkreis um Pompeius’ Lager in Besitz, befestigte sie, zog Verbindungslinien zwischen ihnen und begann, den Gegner einzuschließen. Caesar wollte verhindern, daß die gegnerische Reiterei die Wege blockierte, auf denen noch Nachschub erhofft werden konnte, wollte die Reiterei überhaupt lahmlegen, indem er sie von ihren Futterquellen abschnitt, wollte vor allem einen schweren Schlag gegen Pompeius’ Ansehen führen: Der berühmte Feldherr, Patron weltweiter Clientelen mit seiner großen, zahlenmäßig weit überlegenen Armee war eingeschlossen, belagert und vielleicht wagte er es nicht einmal, es zur Schlacht kommen zu lassen. Da Pompeius die Zernierung nicht verhindern konnte – außer eben durch eine große Schlacht –, beschränkte er sich darauf, seinerseits zahlreiche Höhen zu besetzen, um ein möglichst großes Gebiet kontrollieren zu können. Fünfzehn Meilen, gut einundzwanzig Kilometer, umfaßten seine Befe-
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stigungen schließlich, Caesars dagegen siebzehn Meilen, also vierundzwanzig Kilometer. Dabei hatte Pompeius den Vorteil der inneren Linie; mit Hilfe seiner Bogenschützen und Schleuderer konnte er die Schanzarbeiten der Caesarianer erheblich erschweren. Es gelang ihm auch, diese an verschiedenen Punkten zurückzuwerfen. Caesar legt selber dar, wie »neu und ungewöhnlich« diese Art der Kriegführung war. Nicht nur wegen der Größe der Anlagen. Die Regel sei doch, daß der zahlenmäßig und vor allem an Reiterei überlegene Gegner den anderen belagere und daß der Belagerte, nicht der Belagerer Hunger litte. Allerdings hatte er vor Avaricum und vor Alesia schon Ähnliches bewerkstelligt und auch durchgestanden. Seine Soldaten erinnerten sich daran, und sie ließen sich von seinem Willen und Trotz anstecken; so schwer die Arbeit sie ankam, denn auch sie waren ein Stück älter geworden, verbraucht von unendlichen körperlichen Strapazen. Oft mußten sie mit Gerste und Hülsenfrüchten statt des Brotgetreides vorlieb nehmen, und das ungeliebte Fleisch, das Caesar in großen Mengen heranschaffen konnte, erschien ihnen inzwischen als Delikatesse. Anstelle des Korns nahmen sie Wurzeln, um daraus eine Art Brot zu backen, und wenn die Pompeianer sie ob ihres Hungers verhöhnten, warfen sie ihnen ein paar Fladen hinüber. Damals war es, daß Pompeius fand, er habe es nicht mit Menschen, sondern mit wilden Tieren zu tun. Er achtete darauf, daß dieses Brot sofort verschwand, damit keiner es sehe. Doch wie der Stolz einer Truppe sich versteifen kann, je schlechter es ihr geht, meinten die Soldaten, sie wollten sich eher von Baumrinden ernähren als Pompeius entkommen lassen. Vor allem wollten sie endlich den Krieg zu Ende bringen. Die Versorgung der Armee Caesars mußte sich bessern, sobald das neue Getreide reif war, aber nach damaligem Kalender befand man sich erst im Mai/Juni/Juli, nach heutigem also erst im Frühjahr. Doch auch die Pompeianer, so gut ihre Versorgung an sich war, konnten bald nicht mehr ihr Zugvieh ernähren. Freilich scheinen sie es auch nicht geschlachtet zu haben, so daß es im Lager nach Kadavern stank. Da Caesar
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alle Bäche abgedämmt oder umgeleitet hatte, mangelte es an Wasser. Die Pompeianer mußten Brunnen graben, und da sie schon das Schanzen nicht gewohnt waren, wuchs die Mißstimmung. Die Überläufer mehrten sich. Eine besondere Schwierigkeit bestand für Caesar darin, daß er sich auch nach außen sichern mußte. Denn Pompeius konnte ihm über See in den Rücken fallen. Der Belagerungsring hatte eben an der Küste eine riesige Lücke, und das war um so schlimmer, als Caesar ohnehin für die Länge seiner Linien viel zu wenig Soldaten besaß. Davon spricht er, wo er die Ungewöhnlichkeit seiner Strategie schildert, bezeichnenderweise nicht, aber es ist offensichtlich. Er wolle nichts vom Kriegshandwerk verstehen, erklärte Pompeius damals, wenn sich Caesars Legionen ohne schwerste Verluste aus dieser Stellung zurückziehen könnten, in die sie unvorsichtigerweise eingerückt wären. Wohl kannte er Caesar immer noch nicht richtig, wußte nicht, daß der in seiner Kühnheit, in der Schärfe seines Kalküls manches möglich machte, was schier unmöglich schien. Aber ganz unrecht hatte er nicht: Mindestens der Verdacht war berechtigt, daß er sich zu weit vorgewagt hatte. Einmal hat Caesar die Hoffnung gehabt, Dyrrhachium durch Verrat einnehmen zu können, aber das Unternehmen scheiterte. Dann gelang es Pompeius, seine Reiterei, die er in der Einschließung kaum mehr ernähren konnte, nach draußen zu bringen. Sie sollte Caesar in den Rücken fallen, vor allem seine Zufahrtswege abschneiden. Aber Caesar sperrte die Wege von der Stadt ins Land, so daß Pompeius die Reiter schließlich zurückholte. Doch waren die Pferde kaum noch zu ernähren. Nach wochenlanger Belagerung und verschiedenen kleineren Gefechten entschloß Pompeius sich daher zu einem großen Ausbruchsversuch. Es kam ihm zugute, daß während der Vorbereitungen zwei vornehme Gallier zu ihm überliefen und ihn über die Gepflogenheiten der caesarischen Armee und die Schwächen ihrer Befestigung orientierten. Zum Meer hin war Caesars Wall an einer Stelle noch nicht geschlossen. Es war zugleich der Teil, der am weitesten von seinem Lager entfernt
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war. In einer wohlorganisierten Operation ließ Pompeius dort sechzig Cohorten, also etwa 36.000 Mann, zugleich von außen und von innen angreifen, setzte schließlich an der Lücke im Wall weitere Truppen an, unzählige Schleuderer und Bogenschützen deckten seine Truppen. Caesars Soldaten konnten nicht standhalten, wandten sich schließlich aufgelöst zur Flucht. Die schnell herangeführten Reserven konnten sie nicht aufhalten; es entstand ein wildes Gewoge ohne klare Richtung. Der Feind stieß unmittelbar nach. Als die Pompeianer sich bereits dem nächstgelegenen Lager Caesars näherten, führte Marcus Antonius neue Cohorten heran und brachte die Front endlich zum Stehen. Rauchzeichen von Höhe zu Höhe hatten Caesar selber alarmiert. Eilig kam er mit etwa fünfundzwanzig Cohorten, die er an anderer Stelle hatte abziehen müssen. Aber Pompeius schlug bereits am Meer ein großes Lager für mehrere Legionen auf; die Einschließung war aufgebrochen. Caesar konnte nur mehr in der Nähe neue Befestigungen errichten lassen. Während er mit diesen Schanzarbeiten beschäftigt war, wurde ihm gemeldet, daß nicht weit entfernt, durch ein Waldstück gedeckt, eine pompeianische Legion ein altes, inzwischen aufgegebenes Lager besetzte. Der Platz lag dreihundert Schritt vom Meer, fünfhundert von Pompeius’ neuem Lager entfernt; offenbar wollte er die Bresche, die er geschlagen hatte, verbreitern. Diese Legion hoffte Caesar überwältigen zu können. Er nahm dreiunddreißig Cohorten und führte sie auf einem Umweg heimlich an das Lager heran. Dann ließ er sie in zwei Abteilungen angreifen. Die linke, die er selber kommandierte, warf die Pompeianer vom Wall, wandte sich dann auf das mittlere Tor, schlug den »Igel« – den mit eisernen Spitzen beschlagenen Balken – heraus und drang ins Lager ein. Die rechte Abteilung aber verlief sich. Sie wollte zum seitlichen Tor einbrechen, wurde aber durch einen Wall abgelenkt, der das Lager mit dem nahegelegenen Fluß verband. Am Fluß schütteten die Soldaten schließlich einen schmalen Damm über den Graben, rissen den Wall ein, den keiner verteidigte, und drangen vor. Die gesamte Reiterei folgte ihnen.
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Inzwischen jedoch war Pompeius mit fünf Legionen in geschlossener Schlachtordnung angerückt. Seine Soldaten im Lager faßten neuen Mut und unternahmen einen Gegenangriff, seine Reiter attackierten diejenigen Caesars, die gerade auf jenem schmalen Damm die Befestigung überquerten. Ohne Möglichkeit, sich zu entfalten, und in der Furcht, daß ihnen der Rückweg abgeschnitten würde, wandten sie sich zur Flucht. Das Fußvolk folgte; kopflos hastete alles rückwärts. Weil die Dämme schmal waren, sprangen viele von der zehn Fuß hohen Befestigung in den Graben, zahlreiche Soldaten wurden zu Tode getreten. Nun zog sich auch die andere Abteilung zurück. Caesar stellte sich den Fliehenden in den Weg, ergriff die Feldzeichen und gebot Halt, aber alles flutete an ihm vorbei nach hinten. Fast wäre er erschlagen worden. Die Schlacht war verloren. Pompeius jedoch war von seinem eigenen Erfolg überrascht und wagte aus Furcht vor einem Hinterhalt keine Verfolgung. Er schloß zwar Caesars Befestigungen noch ein, zog sich dann aber zurück. »Heute wäre der Sieg bei den Feinden gewesen, wenn sie einen gehabt hätten, der zu siegen verstünde«, kommentierte Caesar. Neunhundertsechzig Soldaten, zweihundert Reiter hatte er verloren. Die meisten waren nicht gefallen, sondern auf der Flucht erdrückt oder zu Tode getrampelt worden. Zweiunddreißig Feldzeichen hatten Caesars Truppen in der Schlacht gelassen. Pompeius wurde zum Imperator ausgerufen, gemäß der alten Sitte, nach der die Truppen dem Sieger mit diesem Titel akklamierten. Labienus erreichte, daß Pompeius ihm die Gefangenen übergab. Er redete sie als Kameraden an, fragte sie höhnisch, ob es bei alten Soldaten Sitte sei zu fliehen, und ließ sie dann alle niedermachen, wie wenn sie für Caesars Niederlage hätten bestraft werden müssen. Hier wie verschiedentlich sonst brach der schreckliche Haß der Gegner auf Caesar durch und traf seine Soldaten, da er ihn nicht erreichen konnte. Er war um so bösartiger, als Caesar selbst den seinen in Überlegenheit umwandelte. Wie wenn sie darin ihre Schwäche schon gespürt hätten.
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Im pompeianischen Lager feierte man den Sieg. Die Soldaten schrieben ihn ihrer Tapferkeit zu. Viele meinten, daß nun auch der endgültige Sieg nur noch eine Frage der Zeit sei. So taten es auch verschiedene Senatoren, und um so mehr, je weniger sie vom Krieg verstanden. Pompeius selbst war vorsichtig; die anderen aber wußten nicht, bemerkte Caesar, wie unberechenbar das Kriegsglück ist. In einer schlaflosen Nacht traten Caesar vom Ende her alle Fehler des Anfangs vor Augen. Warum führte er an für ihn so ungünstiger Stelle Krieg, einen überlegenen Feind belagernd, wo die gegnerische Flotte das Meer beherrschte, während es ihm selbst an so vielem fehlte? Die Niederlage setzte ihm zu: Das Glück war ihm nicht mehr treu. Er konnte nicht weiter planen wie bisher, denn es erschien ihm als unsicher, ob die Soldaten nach Rückschlägen solcher Art verläßlich genug waren, um schwierige Situationen durchzustehen. Er beschloß daher, die Belagerung aufzuheben und sich möglichst schnell vom Feind zu lösen. In der Heeresversammlung, die er nun abhielt, ermahnte er die Soldaten, die Ereignisse des Vortags nicht zu schwer zu nehmen. Er führte ihnen alle Schlachten vor Augen, die sie glücklich geschlagen hatten. Sie müßten Fortuna dankbar sein und ihr, wenn nun nicht alles glücklich abliefe, durch ihren Eifer zu Hilfe kommen. Er nahm die Sache gleichsam statistisch, rechnete einen Unglücksfall gegen die vielen Glücksfälle und suchte daraus sich und seinen Soldaten die Überzeugung zu vermitteln, daß das Glück weiter mit ihnen sei. Es war ja mit den Tapferen. So legte er ihnen dar, daß die Niederlage viele Ursachen gehabt haben möge, zum wenigsten aber sei ihr Versagen daran schuld; und durch ihre Tapferkeit könnten sie sie wettmachen – wie einst bei Gergovia. Danach rügte Caesar öffentlich einige Adlerträger und degradierte sie. Caesars Bericht zufolge wollten die Soldaten sofort angreifen. Aber er hatte noch nicht wieder genügend Vertrauen in ihre Kampfkraft. Daher habe er das Heer nach Apollonia marschieren lassen. Pompeius nahm sofort die Verfolgung auf,
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doch war die Bewegung der Caesarianer so geschickt, daß seine Vorhut deren Nachhut nur mehr kurz berühren konnte. Dann hatte Pompeius Schwierigkeiten, weil seine Soldaten in der Eile des Aufbruchs viel persönliches Gepäck im alten Lager zurückgelassen hatten, sich unerlaubt dorthin entfernten und fehlten, als es weitergehen sollte. In Apollonia ließ Caesar dann seine Verwundeten versorgen. Er selbst wandte sich mit dem Gros der Armee ostwärts, nach Thessalien. Er wollte sich mit seinen früher dorthin gesandten Truppen vereinen und Pompeius fern von der Adria zur Schlacht zwingen. Falls der aber nach Italien übersetzte, wollte er mit seinen anderen Truppen durch Illyrien dorthin aufbrechen. In der Tat wurde Pompeius von seinen senatorischen Verbündeten zur Rückkehr nach Rom gedrängt, aber er wollte nicht abermals über die Adria wechseln, ohne Caesar geschlagen zu haben. So blieb er ihm also auf den Fersen, suchte die Schlacht jedoch zu vermeiden, um ihn vielmehr durch großangelegte Manöver zu zermürben. Caesars Niederlage hatte die Griechen veranlaßt, wieder dem Pompeius zuzuneigen. Daher ließ er an der ersten Stadt in Thessalien, die ihm die Tore verschloß, einem Ort namens Gomphi, ein Strafgericht vollziehen. Nachdem seine Soldaten sie im Sturm genommen hatten, überließ er sie ihnen zur Plünderung. Man kann sich vorstellen, was dort vorging. Überliefert ist nur eine überraschende und eher erheiternde Nebenfolge der Plünderung: In Caesars Heer hatte sich eine Seuche ausgebreitet. Der ausgiebige Genuß der geplünderten Weinvorräte aber habe die Männer gesunden lassen. Anfang August lagen sich die beiden Heere in der Ebene von Pharsalos wieder gegenüber. Caesar bot die Schlacht an, stellte sein Heer zuerst in besonders günstiger Position auf, dann näher an Pompeius’ Lager. Pompeius wagte sich aber nicht aus dessen Schutz. Er wollte die Zermürbungstaktik fortsetzen, nahm wohl auch mit Recht an, daß die Zeit für ihn arbeitete. Aber er war nicht mehr ganz Herr seiner Entschlüsse. Die
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hohen Senatoren in seinem Lager verstanden in ihrer alten Verachtung für Caesar nicht, warum Pompeius ihn nicht besiegen wollte; sie verdächtigten ihn, es gehe ihm nur darum, den Oberbefehl möglichst lange zu behalten. Schließlich forderten sie im Kriegsrat, die Schlacht anzunehmen. Pompeius, der immer die Ärzte gepriesen hatte, die den Wünschen ihrer Patienten nicht zu Willen waren, gab endlich nach. Caesar wollte – es war der 9. August 48 – gerade abmarschieren, um seinerseits das feindliche Heer durch eine Taktik täglicher Gewaltmärsche zu zermürben, da sah er, daß es sich zum Kampf bereit machte. Sofort formierte er seine Truppen und führte ihnen in einer Ansprache noch einmal vor Augen, wie sehr er sich um den Frieden bemüht hätte, um Bürgerblut zu schonen und dem Gemeinwesen seine Heere zu erhalten. Aber da seine Gegner es nicht anders wollten, müsse die Schlacht geschlagen werden. Endlich sei der Tag da, an dem sie gegen Männer, nicht gegen Hunger und Mangel kämpfen könnten. Pompeius’ Armee war weit stärker als diejenige Caesars. Gut siebenundvierzigtausend Mann standen gegen zweiundzwanzigtausend. Auf dem linken Flügel war die Reiterei postiert, die der caesarischen siebenfach überlegen war; darüber hinaus waren ihr alle Bogenschützen und Schleuderer beigegeben. Caesar hatte sein Heer in drei Schlachtreihen geordnet. Als er die gegnerische Aufstellung übersah, löste er rasch sechs Cohorten heraus und bildete aus ihnen eine vierte Schlachtreihe, die er der gegnerischen Reiterei entgegenstellen konnte. Denn er vermutete richtig, daß die seinen rechten Flügel umgehen und ihm in den Rücken fallen sollte. Zwischen den Heeren lag soviel Raum, daß beide gegeneinander vorstürmen konnten. Aber Pompeius hatte die Absicht, Caesars Angriff in Ruhe abzuwarten: Er hoffte, ihm so besser standzuhalten, in geschlossener Reihe und wenn die Caesarianer vom doppelten Weg außer Atem geraten wären. Caesar kritisierte das in seinem Bericht, »weil allen von Natur so etwas wie ein seelischer Drang und eine Lust zu Taten angeboren ist, welche durch den Kampfeseifer angefacht wird. Das sollen
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die Heerführer nicht hemmen, sondern mehren; nicht umsonst pflegen seit alters die Feldzeichen zu ertönen und alle ein Feldgeschrei zu erheben; man glaubte, daß dadurch die Feinde geschreckt, die eigenen Männer angespornt würden.« Erfahren, wie sie waren, stürmten Caesars Soldaten zunächst vor, machten dann aber noch einmal Halt, bevor sie sich auf die pompeianischen Reihen stürzten. Allen voraus soll ein Veteran, der sich freiwillig noch einmal in Caesars Dienst gestellt hatte, die alten Kameraden angefeuert haben: »Folgt mir und setzt euch, wie ihr es euch vorgenommen, für euren Feldherrn ein. Nur diese eine Schlacht ist noch übrig; danach wird jener seine Ehre und wir unsere Freiheit wiederhaben.« Der Gegner leistete harten Widerstand. Pompeius’ Reiter drängten diejenigen Caesars zurück, aber die sechs Cohorten der vierten caesarischen Schlachtreihe stürmten kampfeswütig gegen sie an. Caesar hatte ihnen befohlen, die Speere nicht abzuschießen, sondern auf die Gesichter und Augen der Reiter zu stoßen; dem würden die feinen und eleganten Tänzer, um ihre Schönheit besorgt, nicht standhalten. Und genauso kam es. Die Reiter wandten sich zur Flucht. Dann warfen sich die Cohorten auf die Bogenschützen und Schleuderer; die meisten wurden niedergemacht. Anschließend umgingen sie die übrige Schlachtordnung und faßten sie im Rücken. Gleichzeitig ließ Caesar die frischen Truppen der dritten Schlachtreihe in die vorderste Linie rücken. Da wichen die Pompeianer auf der ganzen Front, gegen Mittag war die Schlacht gewonnen. Pompeius hatte schon, als seine Reiter flohen, einen Schock erlitten und sich ins Lager zurückgezogen. Aber trotz der Mittagshitze gab Caesar keine Ruhe. Er ließ das Lager stürmen. Pompeius war kurz vorher zum Hintertor herausgeritten. Am Abend dieses Tages, als er das von Leichen und Verwundeten übersäte Schlachtfeld überblickte, stellte Caesar dann fest: »Das haben sie gewollt; nach so großen Taten wäre ich, Gaius Caesar, verurteilt worden, wenn ich nicht bei meiner Armee Hilfe gesucht hätte.« Man sollte über der Antwort nicht übersehen, daß ihn offensichtlich die Frage umtrieb, wer schuld am Tod so vieler Bürger sei.
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Am nächsten Tag ergab sich der Rest der feindlichen Armee. Natürlich ließ Caesar wieder Milde walten. Keinem sollte etwas angetan werden, keiner seine Habe verlieren. Nur diejenigen, die ihm zum zweiten Mal in die Hand gefallen waren, ließ er jetzt töten. Jedem der Seinen gab er allerdings das Recht, einen Gefangenen freizubitten. Die Soldaten forderte er auf, in seine Armee einzutreten. Zwar hatte er in der Schlacht geringe Verluste gehabt, aber seine Legionen waren doch schon sehr zusammengeschmolzen. Marcus Brutus, den Sohn seiner Geliebten Servilia, ließ Caesar, so heißt es, eigens suchen; er habe sich Sorgen um ihn gemacht. Schließlich nahm er ihn mit großer Freude auf. Daß Brutus sich ihm anschloß, war Caesar besonders wichtig, weil er Catos Neffe und ein sehr überzeugender Verfechter der alten Republik war. Die erbeutete Korrespondenz des Pompeius ließ Caesar verbrennen, ohne sie anzusehen. Man fand auch viel Silbergeschirr, gedeckte Tische, großzügig ausgeschmückte Zelte und Hütten. Die hohen Senatoren hatten sich mehr auf die Feier des Siegs als auf dessen Erringung vorbereitet. Sie hatten auch die Beute schon verteilt, bevor sie sie gemacht hatten. Der Streit war um die künftigen Consulstellen gegangen, insbesondere aber um Caesars Oberpontifikat. Caesar dagegen, dessen Soldaten sich wie wilde Tiere zu nähren vermochten, hatte offenbar eher wie ein Gleicher unter Gleichen gelebt, hatte sich eher mehr denn weniger zugemutet als seinen Soldaten. Wenn auch bei Pharsalos die Entscheidung im Bürgerkrieg gefallen war, so war der Krieg deswegen noch lange nicht zu Ende. Pompeius’ Flotten beherrschten noch weite Teile des Mittelmeers, und gerade war die vor der Hafeneinfahrt von Brindisi gelegene Insel wieder in ihre Hand gefallen. Eine andere Flotte hatte die Schiffe Caesars in der Straße von Messina vernichtet. Auch Africa war weiterhin in der Hand der Gegner. Pompeius selbst mochte versuchen, im Osten – oder auch in der Provinz Africa – eine neue Streitmacht zu sammeln. In Rom und Italien selber hatte es Unruhen gegeben, die
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Caesars Gefolgsleute zwar unterdrückt hatten, die sich aber wiederholen konnten. Wie entscheidend die Schlacht war, sucht Caesar in seinem Bericht anzudeuten. Es ergab sich, als man den Ausgang der Schlacht erfuhr, daß genau am gleichen Tage bemerkenswerte Zeichen erfolgt waren. In Elis auf der Peloponnes hatte sich die Statue der Victoria, welche der der Athena gegenüber aufgestellt gewesen war, nach Tür und Schwelle des Tempels umgedreht. Im syrischen Antiochia hatte man zweimal Feldgeschrei und Trompetenton eines Heeres so laut vernommen, daß die Bürgerschaft bewaffnet zu den Mauern gestürzt war. Das gleiche war in Ptolemais, dem heutigen Akko in Israel geschehen. In Pergamon waren in den entlegensten Räumen des Tempels die Pauken erklungen. In Tralles, in Kleinasien, zeigte man im Tempel der Victoria eine Palme, die in diesen Tagen aus den Fugen der Steine emporgewachsen war. Vor der Schlacht, als Caesar dem Mars und der Venus ein Opfer darbrachte, hatte der Opferschauer einen Umsturz aller Verhältnisse vorausgesagt. Kurz vor Morgengrauen soll über Caesars Lager ein starkes Licht aufgeglänzt sein, aus dem sich wie eine Fackel ein Flammenschein erhob, der dann auf Pompeius’ Lager niederging. Caesar selbst soll es gesehen haben, als er die Wachen inspizierte. Auf diese Weise pflegte man in der Antike ja »historische Ereignisse« wahrzunehmen. Caesar berichtet nur das Faktische. Aber sollte er bei Pharsalos nicht doch die Gunst nicht nur Fortunas, sondern auch seiner Stammutter Venus, wenn nicht der Götter überhaupt verspürt haben? Wir haben kein Zeugnis für seinen Glauben. Blitzeszeichen konnten ihn nicht stören, wenn sie ihm nicht paßten. Sueton berichtet, daß er, als während eines Opfers das Opfertier entfloh, seinen Marsch gleichwohl fortsetzte. Als er später bei der Landung in Africa ausglitt, kehrte er die ungünstige Vorbedeutung zu einer günstigen um, indem er sagte: »Ich halte dich, Africa!« Und da er hörte, daß dort der Name Scipio unbesiegbar sei – und der Oberbefehlshaber der Feinde hieß so –, ließ er zum Scherz einen besonders übel beleumundeten
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51 Das älteste unter den erhaltenen Porträts Caesars: 48-47 geprägte Münze der Stadt Nicaea in Bithynien; auf der Rückseite trägt die Münze den Namen des Gaius Vibius Pansa, der zu dieser Zeit als Praetor im Auftrage Caesars Bithynien und Pontus verwaltete. Mann dieses Namens, der in seiner Armee diente, holen und im Kampf stets an seiner Seite sich aufhalten. Andererseits nahm er sich die Zeit, in Rom das Latinerfest zu feiern. Sollte das nur der guten Ordnung wegen geschehen sein? Warum berief er sich so oft auf die unsterblichen Götter? Wenn er 69 in der Leichenrede für Julia meinte, die Könige seien in der Gewalt der Götter, war das nur eine Redensart? Und wenn er »Venus Victrix« zu Beginn der Schlacht bei Pharsalos als Parole ausgab, tat er es aus Aberglauben oder wegen des Glaubens seiner Soldaten? Gehörte es zu seiner Nüchternheit, daß er über allen Aberglauben zur Tagesordnung übergehen konnte? Nahm er im übrigen das Zeremoniell ernst, eventuell mit einem Sinn für Parodie, vielleicht aber eben auch, damit die Dinge ihre gute
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Ordnung hatten? Gehörte es zu seinem Glück, daß er in ihm die Hand freundlicher Götter erkannte, denen er dann auch das Ihre zu erweisen bereit war? Als ihm der Opferschauer einmal meldete, die Eingeweide des Tiers seien betrüblich und ohne Herz, erklärte Caesar, wenn er wolle, würden sie künftig erfreulich sein; man dürfe es nicht als ein Wunder ansehen, wenn einem Tier das Herz fehle. Wenn er sich in seiner Jugend an dem Bewußtsein gestärkt hatte, von Venus abzustammen, wurde dann im Alter Religion für Caesar das Bewußtsein seiner Macht, indem es eine Macht war, die mit Fortuna, Venus und den andern Göttern im Einklang stand? Was in seiner Jugend ein Gedankenspiel gewesen sein mag, wurde dann vielleicht zu einer Erfahrung: Mußte es nicht Götter geben, da ihre Gunst und tätige Hilfe für ihn so unverkennbar waren? Er hatte allen Anlaß, sich auf sie zu berufen und sie zu verehren. Freilich sprach nichts dafür, daß er sich dem üblichen Aberglauben über sie hingäbe. Vielleicht nahm er sie dazu sogar zu ernst? Vielleicht war seine Religion durchaus rational – so rational, wie es seine Erfahrung ihn lehrte? Seel spricht von Caesars »Immediatverhältnis zum Numinosen, zum Dämonischen, zu Glück, Wagnis und hohem Spiel«. In der Tat spricht vieles für eine sehr persönliche Religiosität Caesars. Vielleicht fühlte er sich den Göttern um so näher, je einsamer er war?
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Feldzug im Osten und ägyptischer Aufenthalt (September 48 bis September 47) Ernennung zum Dictator • Ephesos ehrt Caesar als »Gott und Retter« • Ungeduld, Leichtsinn • Fahrt nach Alexandria • Das ptolemaische Ägypten • Kleopatra • Belagerung im Palast-Viertel • Entsatz und Sieg • Ausflug auf dem Nil • »Ich kam, sah, siegte« Nach der Schlacht bei Pharsalos hielt es Caesar für das Dringendste, Pompeius zu verfolgen, damit der den Krieg nicht wieder erneuern könnte. Die anderen Führer der gegnerischen Partei fürchtete er weniger; sie verfügten ja auch nicht über solche weiten, mächtigen Clientelbeziehungen. Er hatte aber auch die Absicht, seine Herrschaft im Osten zu sichern. Nicht, daß schon ausgemacht wäre, er habe damals nach der Monarchie gestrebt. Davon wissen wir nichts. Aber nachdem einmal der ganze Herrschaftsbereich in den Kampf einbezogen war, lag es einfach in der Logik des Bürgerkriegs, daß Caesar, wo bisher Pompeius alle Verhältnisse auf sich eingerichtet hatte, nun seinerseits versuchte, die Mächtigen teils beiseite zu schieben, teils an sich zu binden und eigene Anhänger zu gewinnen oder zu stärken. Auch hier mußte er seine Macht spürbar machen und etablieren: Übrigens mußte er viele bestrafen, um seine Kasse zu füllen. Da die verbleibenden Monate des Jahres 48 dazu schwerlich ausreichen konnten, hatte Caesar seinen Anhängern in Rom zugleich mit der Siegesnachricht den Auftrag gesandt, der Senat möge beschließen, daß er für ein Jahr zum Dictator zu ernennen sei. Das verlängerte ihm die legale Macht, ohne daß er sich – gegen die Ordnung – schon wieder um das Consulat hätte bewerben müssen. Der Senat konnte sich dem jetzt nicht mehr entziehen. Er gewährte ihm sogar die Vollmacht, nach Belieben Krieg zu eröffnen und Frieden zu schließen. Ferner
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sollte Caesar mit den Bürgern und Bundesgenossen, die gegen ihn zu Feld gezogen waren, nach eigenem Urteil verfahren dürfen, ohne Rechenschaft dafür zu schulden. Ob der Senat ihm damals auch das Recht verlieh, fünf Jahre hintereinander das Consulat zu bekleiden, ist unklar. Jedenfalls hat Caesar davon keinen Gebrauch gemacht. Schließlich soll ihm die Ehre zuteil geworden sein, auf der Bank der Volkstribunen Platz zu nehmen, um so seine besondere Verbundenheit mit der Plebs und deren Vorkämpfern zu dokumentieren. Im übrigen wartete man in Rom ab. Öffentlich sprach keiner gegen Caesar, man fürchtete seine Spitzel, aber er scheint wenig Anhänger gehabt zu haben, bestenfalls in der breiten Menge. Vorsichtshalber schaffte man allerdings die Statuen Sullas und des Pompeius beiseite. Caesar selbst rückte mit seiner Reiterei täglich so weit vor, wie es irgend ging. In kleineren Tagesmärschen folgte ihm eine Legion. Andere Truppen ließ er gleich nach Kleinasien übersetzen. Er selbst gelangte durch Makedonien Anfang September an den Hellespont. Als er über die Meeresenge setzte, soll plötzlich ein pompeianisches Geschwader aufgetaucht sein. Anstatt die Flucht zu versuchen, habe er auf das Flaggschiff zuhalten lassen und den feindlichen Kommandeur zur Übergabe aufgefordert; natürlich hat der um Gnade gebeten, so daß Caesar zugleich sein Leben rettete und eine ganze Flottille gewann. Solche Geschichten von Geistesgegenwart gepaart mit Wagemut in höchst gefährlicher Situation erfährt man von allen Großen. Sie gehören zu dem Bild, das man sich von ihnen macht. Doch ist es nie ganz auszuschließen, daß sie sich wirklich zugetragen haben. Als Caesar nach Ilion (Troja) kam, der Stadt, aus der sein vermeintlicher Ahn Aeneas einst aufgebrochen war, verlieh er der Stadt Abgabenfreiheit; ganz ähnlich hatte es einst Alexander der Große getan. Überall wurde er festlich empfangen, Städte, die nicht am Wege lagen, schickten Gesandtschaften. In Ephesos ehrte man ihn als »Gott und Retter der Menschheit«. Das läßt sich jedenfalls aus dem Denkmal schließen, das dort wenig später gesetzt wurde. Die Inschrift ist erhalten:
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»Für Gaius Julius Caesar, des Gaius Sohn, Pontifex Maximus, Imperator, Consul zum zweiten Mal, den von Ares und Aphrodite abstammenden in Erscheinung getretenen Gott (theos epiphanes) und gemeinsamen Retter der Menschheit«. Dem Mars und der Venus hatte er vor der Schlacht bei Pharsalos geopfert. Beide sind im griechischen Mythos miteinander vereint, und gerade Caesar mußte das sehr einleuchten. Als Kriegsgott war Mars ihm offenkundig wohlgesonnen – wie Venus, die inzwischen zunehmend in die Rolle der Erfolggewährenden eingerückt war. Von Mars stammten aber auch die Gründer Roms, Romulus und Remus; und Caesar vertrat jetzt die Stadt. So mochte sich den Griechen, wenn sie den Nachfahren der Venus ehren wollten, aus verschiedenen Gründen dessen Abstammung auch von Mars nahelegen. Göttliche Ehren waren seit dem Hellenismus im Osten wohlfeil; auch verschiedenen römischen Statthaltern waren sie schon zuteil geworden. Religiös besagten sie nur, daß der Geehrte die Stadt gleichsam wie ein Gott mit Wohltaten versehen hatte oder daß er mehr als menschliche Fähigkeiten zu besitzen schien. Eben dies konnte man bei dem Rebellen durchaus vermuten, der mit geringer Truppenmacht den – nach dem Wissen der Griechen – weitaus mächtigsten Römer und die ganze römische Republik besiegt hatte. Sein Sieg war wie ein Wunder, und die religiösen Termini waren dazu gemacht, es zu begreifen und auszusprechen. Wie solche Ehren auf Caesar wirkten, ist nicht zu sagen. Nahm er sie spöttisch? Waren sie ihm gleichgültig? Erschienen sie ihm als nützlich oder angemessen als Ausdruck der Unterwerfung? Spürte er in ihnen eine Wahrheit, wie auch immer er sie auffaßte, so daß etwa das Übermenschliche, das sie ihm attestierten, seiner so stark empfundenen Überlegenheit korrespondierte? Es könnten alle diese Momente sich zu einem Komplex verschlungen haben; vielleicht gar mit einem Schuß von Andacht durchsetzt? Aber wie immer dem gewesen sein mag, in irgendeiner Weise bestimmten solche Ehren, wie man ihm künftig begegnete, wie man ihn nahm und damit in gewisser Weise auch, wie er dann wurde.
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Für die Griechen war es übrigens auch günstig, sich durch solche Ehrungen mit dem neuen Herrn gutzustellen. Schließlich erwies er sich auch als Wohltäter der Provinz. Denn er erleichterte ihr die Steuerlast, nachdem die Pompeianer große Konfiskationen bei ihnen vorgenommen hatten. Caesar weist stolz darauf hin, daß er das große Artemis-Heiligtum bei Ephesos vor der Beschlagnahme der kostbaren Weihgeschenke gerettet habe. Aber die Wahrscheinlichkeit spricht dafür, daß er sie selbst mitnahm; der Krieg war teuer, seine Soldaten hatten sich Belohnungen verdient. Wenige Tage nur hielt sich Caesar in der Provinz Asia auf; sobald er Meldung erhielt, daß Pompeius nach Ägypten aufgebrochen war, setzte er nach Rhodos über, um von dort nach Alexandria zu segeln. Zwei ganze Legionen und achthundert Reiter hatte er bei sich. Die Legionen umfaßten nur mehr ein knappes Drittel ihrer ursprünglichen Stärke, beide zusammen wenig mehr als dreitausendzweihundert Mann. Aber Caesar meinte, wie er schreibt, der Ruhm, der von seinen Taten ausginge, erlaube es ihm, auch mit so schwachen Kräften auf die weite Fahrt zu gehen. Nach seiner Ansicht war für ihn »jeder Ort gleichermaßen sicher«. Eine leichtsinnige Meinung, die dann auch bald Lügen gestraft wurde. Gewiß hatte er schon manches Mal alles auf eine Karte gesetzt; als er etwa beim Vercingetorix-Aufstand zu seinen Truppen durchbrach, als er über die Adria fahren wollte, um seine Soldaten zu holen; zuletzt könnte er auf dem Hellespont den Feinden fast in die Hände gefallen sein. Manches war überscharf kalkuliert, anderes leichtfertig; es hatte, wie so vieles bei ihm, etwas Spielerhaftes. Aber nur von dem Kalkulierten hatte er in seinen Berichten gesprochen; das andere ist lediglich in anderen Quellen überliefert. Hier dagegen scheint er sich frei zu seinem Leichtsinn zu bekennen. Man fragt sich, ob der Erfolg, der Ruhm ihn inzwischen übermütiger gemacht hatten, ob er der Vorsicht, des Rechnens mit einer Fülle von Möglichkeiten, wie sie Fortuna nach seiner Ansicht stets bereithielt, nach all den unendlichen Anstrengungen überdrüssig geworden war. Oder ob mehr Fatalismus in ihm
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sich breit machte. Wollte er vielleicht gar ausprobieren, was Fortuna noch mit ihm vorhatte? Begann es ihn bei seinem Glück zu langweilen? Jedenfalls hatte er es eilig. Der Krieg hatte sich immer weiter ausgedehnt, er mußte zu einem Ende kommen. Zweiundfünfzig Jahre war Caesar inzwischen alt, nahezu elf Jahre führte er jetzt Krieg, von Schlacht zu Schlacht, von Lager zu Lager. Viele Male war er durch Gallien gezogen, zu Fuß, zu Pferd, in der Sänfte, immer wieder nach Italien, nach Illyricum, hatte dann ganz Italien, Spanien erobert, größere Teile Griechenlands; jetzt mußte er im Osten nach dem Rechten sehen. Wann endlich sollte das ein Ende nehmen? Die Ungeduld, die ihm ohnehin eigen war, muß ihn angetrieben, muß Einwände im Blick auf seine Sicherheit übertönt haben. Als Caesar am 2. Oktober in Alexandria landete, brachte man ihm den Kopf des Pompeius. Die Höflinge des Königs Ptolemaios XIII. waren bei seiner Ankunft, drei Tage zuvor, übereingekommen, es sei das Beste, ihn zu beseitigen. Caesar wandte sich ab. Als ihm Pompeius’ Siegelring überbracht wurde, sollen ihm die Tränen gekommen sein. Er mag der ehemaligen Freundschaft, des alten Glanzes des Mannes, der so viele Siege erfochten, so viele Völker unterworfen hatte, gedacht, und dessen tragisches Ende mag ihn erschüttert haben. Aber es war wohl auch das jähe Abbrechen der Gegnerschaft, die ihn bald zwei Jahre lang in Atem und Spannung gehalten hatte, was ihn die Fassung kostete. Er hatte seinen Feind verloren; plötzlich schien alles erledigt. Caesar hatte gewiß gehofft, Pompeius begnadigen zu können. Jetzt erwies er ritterlich dessen Überresten alle Ehren und kümmerte sich um die Überlebenden aus seinem Gefolge. Dann hielt er Einzug in die Stadt, vermutlich ohne lange zu fragen, ob es recht sei, in der purpurgesäumten Toga des Consuls, seine Liktoren mit Rutenbündeln und Beilen voran. Er wollte im königlichen Palast Quartier nehmen. Die Bevölkerung der Stadt begegnete ihm feindselig. Ein solcher Aufzug, so rief man, verletze die königliche Würde. Es kam zu
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verschiedenen Zusammenstößen, bei denen mehrere Soldaten Caesars getötet wurden. Ägypten war damals selbständig und unselbständig zugleich, und je unselbständiger es war, um so mehr pochte es – oder pochten wenigstens die Bürger seiner Hauptstadt Alexandria – auf Eigenständigkeit und Freiheit. Außer dem Partherreich in Mesopotamien und östlich davon war das Land am Nil das letzte größere Reich, das in der Mittelmeerwelt übriggeblieben war, nachdem Rom alle anderen zerschlagen und in Besitz genommen hatte. Die Dynastie der Ptolemaier stammte aus Makedonien; der erste von ihnen hatte das Land beim Tod Alexanders des Großen verwaltet, hatte sich später dort zum König gemacht. Ihre Herrschaft hatte zeitweilig weit über Ägypten hinausgereicht, Teile Kleinasiens und der griechischen Inselwelt waren ihr damals unterworfen gewesen. Noch zu Anfang des letzten vorchristlichen Jahrhunderts hatten große Partien des heutigen Libyen (Kyrene) und Zypern dazugehört. Aber die Monarchie war damals schon durch strukturelle Schwächen, außenpolitische Verwicklungen und vor allem durch eine Reihe von Prätendentenkämpfen sehr mitgenommen. Nachdem das Königtum ursprünglich jeweils vom Vater auf den ältesten Sohn übergegangen war, hatten die Ptolemaier dann die altägyptische Sitte der Geschwisterehe übernommen; der älteste Bruder und die älteste Schwester erbten jeweils die Herrschaft. Aus Hofintrigen entwickelten sich schwere, teilweise blutige und kostspielige Auseinandersetzungen. Außerdem neigte die, formell selbständige, griechische Kolonie Alexandria stets zur Aufsässigkeit. Sie wollte nicht nur eine besondere Rolle unter der im übrigen absolutistischen Herrschaft der Ptolemaier spielen, sondern sie scheint auch, indem sie griechische Traditionen verkörperte und ein Zentrum griechischen Geisteslebens war, einen besonderen Stolz entwickelt zu haben, der die Bevölkerung auch beseelen konnte, sofern sie nicht griechisch war und dem kulturellen Leben der Stadt relativ fern stand. Die ersten PtolemaierKönige hatten es sich angelegen sein lassen, sich im fremden Ägypten ganz besonders griechisch darzustellen, sie hatten
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eine Bibliothek gegründet, die dann die größte der klassischen Antike war, eine Art Akademie, in der griechische Dichter und Gelehrte unmittelbar angrenzend an den Königspalast leben und arbeiten konnten. Zunehmend war das Land dann während des zweiten und der ersten Hälfte des letzten vorchristlichen Jahrhunderts unter den Einfluß Roms geraten. Der Senat wollte dort freilich die Verantwortung nicht übernehmen, aber er mischte sich in die Thronstreitigkeiten ein, wurde zum Teil auch direkt in sie hineingezogen. Eben deswegen waren speziell die Alexandriner nicht gut auf die Römer zu sprechen. Der letzte König hatte viele Millionen aufwenden müssen, um vom Senat anerkannt und dann, als er von seinen Untertanen vertrieben worden war, zurückgeführt zu werden. Das Land hatte für alles aufkommen müssen. In den Jahren vor 49 hatte es verschiedentlich Mißernten gegeben. Trotzdem hatte Pompeius beachtliche Getreidelieferungen verlangt und erhalten. Und nun trat Roms Consul – wie im Krieg – mit allen Anzeichen römischer Macht auf; demonstrierte, indem er einfach einen Teil des Palasts mit Beschlag belegte, die Abhängigkeit des Landes von der Großmacht Rom. Da er aber einmal da war, konnte Caesar sich derart aufrührerisches Benehmen nicht bieten lassen. Auch standen die Winde nicht günstig zur Abfahrt. Dann wollte er noch große Summen eintreiben, die ihm der letzte König schuldete. Schließlich meinte er, es sich und seiner Stellung schuldig zu sein, daß er in Ägypten die politische Ordnung wieder herstellte und die Herrschaftsverhältnisse, wie im Osten überhaupt, zu seinen Gunsten einrichtete. Vielleicht wollte er es sogar für Rom erobern. Er sah jedenfalls einen längeren Aufenthalt vor und befahl, Verstärkungen zu schicken. Gemäß dem Testament des letzten Königs waren drei Jahre zuvor dessen Tochter Kleopatra VII. und deren Bruder Ptolemaios XIII. an die Regierung gekommen. Im Jahre 48 war Kleopatra einundzwanzig, Ptolemaios dreizehn Jahre alt; an der Stelle des Königs herrschten praktisch drei Höflinge. Kurz
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zuvor waren sie in einen Konflikt mit der Königin geraten und hatten sie aus dem Land vertrieben. Nun versuchte Kleopatra, mit Waffengewalt von Syrien her ihre Rückkehr zu erzwingen. Das Heer ihres Bruders stand ihr in der Grenzfestung im Osten, in Pelusium gegenüber. Es war dieser Konflikt, den Caesar erklärte schlichten zu wollen. Er wies beide an, ihre Heere zu entlassen und zu ihm zu kommen. Aber Alexandria war in der Hand des Königs, Kleopatra konnte bestenfalls, und auch das vermutlich nur heimlich, Unterhändler schicken. Dies wiederum schien ihr nicht genug zu sein. Sie beschloß daher, Caesar persönlich unter die Augen zu treten. Eines Abends also fuhr ein kleines Schiff in den Hafen von Alexandria ein, legte bei beginnender Dunkelheit nahe dem Palast an. Ihm entstieg ein Grieche aus Sizilien mit einem langen, mit Riemen verschnürten Bettsack, den er in den Palast trug, um ihn dem römischen Consul zu übergeben. Und diesem Sack entstieg dann zu Caesars Füßen die junge Königin, reizvoll gekleidet, wie man sich denken kann – eine Quelle spricht von ihrer zugleich majestätischen und mitleiderregenden Aufmachung –, charmant sich entschuldigend ob der ungewöhnlichen Methode, zu ihm zu kommen. Aber was schließlich war ihr übriggeblieben? Und hatte Caesar sie nicht vor sein Gericht geladen? Schon der listige Einfall, berichtet Plutarch, gewann Caesars Herz, und vollends erlag er ihrer Anmut und dem Reiz ihres Umgangs. Kleopatra hat seitdem die Phantasie der Menschheit, zu ihren Lebzeiten vor allem der Sensationslüsternen, dann der Dichter beschäftigt. Es ist schwer, sich ein verläßliches und begründetes Bild von ihr zu machen. Aber Einiges scheint jedenfalls festzustehen: Sie war nicht eigentlich schön, wenn man nach den überlieferten Porträts urteilen darf, die Nase in der Tat beachtlich, an der Spitze etwas eingebogen, die Lippen sehr voll. Aber sie muß Caesar bezaubert haben, wie später seinen bedeutendsten Gefolgsmann Marcus Antonius. Was unter den Römerinnen Servilia, ist Caesar nach Sueton
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52 Unwiderstehlicher Reiz sei von ihr ausgegangen und habe jeden in Bann geschlagen. Bildnis der Kleopatra VII. Im Haar trägt sie das königliche Diadem, dessen Enden auf ihre Schultern herabfallen. In Alexandria geprägte Münze, um 40. unter den Nicht-Römerinnen Kleopatra gewesen: Er liebte sie am meisten. Und er tat es so sehr, daß er sich ihretwegen nicht nur in einen monatelangen höchst gefährlichen Krieg verwickelte – das mag er nicht vorausgesehen haben –, sondern daß er auch danach, als er höchst dringend hätte abreisen müssen, wochenlang bei ihr blieb. Damals fuhr er auf ihrer großen, prächtig ausgerüsteten und mit herrlichen Fresken geschmückten Luxusjacht über den Nil, und sie wären bis Äthiopien gekommen, wenn sich Caesars Soldaten nicht geweigert hätten, weiterzuziehen. Auch hatte es gewiß nicht nur politische Gründe, wenn Caesar Kleopatra 46 nach Rom rief, wo sie sich dann fast zwei Jahre aufhielt. »Er gestattete auch, daß ein ihrer Verbindung entsprossener Sohn seinen Namen trug« (Sueton). Kleopatra war aber zugleich eine hochgebildete Frau, sprach viele Sprachen wie ihre Muttersprache. Sie war politisch von
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überragender Klugheit, verschlagen, zu jeder Intrige fähig. Als Kind schon hatte sie die Demütigungen und Schwierigkeiten, die verzweifelten, oft skrupellosen Bemühungen ihres Vaters, seine Herrschaft zu behaupten, mit angesehen; mit allen Hunden war sie gehetzt. Mit achtzehn übernahm sie das Regiment. Sie wußte, was sie wollte, war allerdings bei ihrem Volk wenig beliebt und hatte Schwierigkeiten, die erfahrenen Höflinge ihres Bruders zu überspielen. Sie scheint den Herrscherstolz der Ptolemaier besessen zu haben, und es war ihr, gewiß nicht nur äußerlich, die hochverfeinerte Kultur Ägyptens zu eigen, die die Ptolemaier übernommen hatten. Alle modische Raffinesse stand ihr zu Gebote; einer Schrift über Kosmetik wurde deswegen ihr Name zum Titel gegeben. Aber hinter der Tochter des Neuen Dionysos – wie sich ihr Vater nannte –, die sich selbst als Göttin Isis feiern ließ, muß auch etwas vom ganzen Reiz und Geheimnis der Jahrtausende alten Kultur zu ahnen gewesen sein. Selbst und gerade dann, wenn sie das schauspielerisch aufnahm. Unsere Quellen, die freilich auch zu wissen meinen, daß sie schön gewesen sei, berichten, sie habe eine anmutige Stimme gehabt, »eine Wonne war es, ihren Klang zu hören. Ihre Zunge glich einer vielbesaiteten Leier«. Bestrickend seien ihre Umgangsformen gewesen, unwiderstehlicher Reiz sei von ihr ausgegangen und habe jeden in seinen Bann geschlagen. Alle ihre körperlichen Vorzüge stellte sie in den Dienst ihrer Politik. Und Caesar gegenüber scheinen sich bei ihr Politik und Liebe innigst durchdrungen zu haben. Vermutlich ist es das gewesen, wodurch sie ihn bezauberte und fesselte: Die Politik des Charmes, die zugleich zum Charme einer Politik wurde. Darin konnten sie sich begegnen, erkennen und verstehen. Vielleicht war diese damals zweiundzwanzigjährige Königin die erste und einzige seit Caesars Tochter Julia, die ihn verstand, die ihn nicht nur unterhielt und ihm die Chance gab, sie zu erobern, sondern die wirklich in die wachsende Einsamkeit des Zweiundfünfzigjährigen einzudringen, ihn dort herauszulocken und zu befreien wußte: klug und anschmiegsam, listig und reizvoll, vielleicht so sehr,
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daß er von ihr etwas lernen konnte, daß er seine Freude daran hatte, sich von ihr – und nur von ihr – in diesem oder jenem besiegen zu lassen. Er war mehr überlegen, sie mehr berechnend; beide hatten sie schwer zu arbeiten, um sich zu behaupten, waren sie rücksichtslos, eingeschlossen in stolze Gehäuse; offensichtlich konnten sie sich als Verwandte entdecken – und vermutlich genossen sie die Verwandtschaft so sehr wie die Entdeckung. Bei Caesar wird es zusätzlich von hohem Interesse gewesen sein, nachdem er gerade die ersten göttlichen Ehren genossen hatte, der Angehörigen einer Dynastie zu begegnen, die seit Generationen in dieser Weise verehrt wurde. Die Göttlichkeit mag ihm zu lachen, aber auch zu denken gegeben haben. Sie bildete einen weiteren Punkt des Suchens und Sich-Verstehens. Es könnte hinzugekommen sein, daß sich Caesar damals schon zu fragen begann, welches der Sinn all der Anstrengungen war, die er zu unternehmen hatte. Das müßte ihn dann für eine verständige Freundin zusätzlich geöffnet haben. Nicht als Letztes ist zu berichten, daß Kleopatra für Caesar ein festliches Leben inszenierte, Symposien bis zum Morgengrauen, wie Sueton schreibt. »Nie war es lustiger in seinem Lager hergegangen als während dieser alexandrinischen Rast«, meint Mommsen. Aber man weiß nicht, wie weit die Männergesellschaft des Lagers daran teilnehmen durfte. Es ist eher unwahrscheinlich. Denn Caesar geriet in Alexandria bald in eine äußerst schwierige Lage. Als Ptolemaios erfuhr, daß seine Schwester Caesar für sich eingenommen hatte, wiegelte er die Menge auf, und schnell entbrannte die Volkswut; man stürmte den Palast; nur mühsam hielten Caesars Soldaten stand. In einer Volksversammlung erklärte er dann, daß entsprechend dem Testament des verstorbenen Königs die beiden älteren Geschwister, eben Kleopatra und Ptolemaios Ägypten regieren sollten, die beiden jüngeren Zypern. Die Insel hatte früher den Ptolemaiern gehört, 58 hatte Clodius sie für Rom eingezogen. Jetzt gab Caesar sie wieder preis: So schlecht war seine Lage. Aber er konnte sie durch seinen Schiedsspruch nicht verbessern.
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Fast ein halbes Jahr lang wurde Caesar im Viertel um den Palast belagert. Er hatte zwar Ptolemaios gefangengenommen, aber gleich darauf ließ dessen Militärbefehlshaber die königliche Armee auf die Stadt marschieren. Mit knapper Not konnte sich Caesar wenigstens die Einfahrt in den Hafen freihalten, indem er den Leuchtturm auf der Insel Pharos besetzte. Die ägyptischen Kriegsschiffe, die im Hafen lagen, ließ er anzünden. Das Feuer vernichtete zugleich die am Wasser liegenden Speicher, Schiffsarsenale und die berühmte Bibliothek der Ptolemaier; mehr als vierhunderttausend Papyrosrollen verbrannten. Mehrfach gerieten die Römer in eine verzweifelte Lage. Einmal wären sie fast vom unterirdischen Trinkwassersystem abgeschnitten worden; aber Caesar wußte einen Ausweg, indem er Brunnen graben ließ. Als die Alexandriner darauf in aller Eile – und aus dem Holz, das sie in Säulenhallen und öffentlichen Gebäuden fanden – eine neue Flotte bauten und Caesar auch diese besiegt hatte, versuchte er die dem Ufer gegenüberliegende Insel sowie den mehr als einen Kilometer langen Damm zu erobern, durch den sie mit dem Festland verbunden war. Er hatte gerade am südlichen Ende des Dammes einen Brückenkopf gebildet, als die Ruderer seiner Schiffe an Land gingen, um sich steinewerfend und lärmend am erfolgreichen Gefecht zu beteiligen. Da entstand eine schwierige Lage, denn die Gegner packten die Ruderer in der Flanke, so daß sie in panischem Schrecken auf ihre Schiffe flohen und begannen, vom Land abzustoßen. Fast gleichzeitig wandten sich Caesars Soldaten zur Flucht, um noch rechtzeitig die Schiffe zu erreichen. Es kam nicht nur ein starkes Gedränge auf, sondern die Schiffe wurden auch überlastet; einige gingen unter. Auch Caesars Schiff war nicht mehr manövrierfähig und konnte deswegen das Ufer nicht verlassen. Damals rettete er sich schwimmend auf eines der schon auf See befindlichen Schiffe. Dabei verlor er seinen Feldherrnmantel, den die Feinde als Trophäe behielten. Die Ägypter waren zunächst von Kleopatras jüngerer Schwester Arsinoë geführt worden. Ptolemaios befand sich ja in Caesars Gewahrsam. Nun verlangten sie die Freigabe ihres
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Königs, ließen durchblicken, daß dies der erste Schritt zu einer Verständigung sein solle. Caesar gab den Jungen frei, der erst in einer großen Szene unter Tränen bat, bei ihm bleiben zu dürfen, sich dann aber natürlich an die Spitze seiner Armee stellte. Gleich darauf kam endlich Entsatz: Hilfstruppen aus Kilikien und Syrien, darunter übrigens dreitausend Juden. Ptolemaios zog ihnen entgegen, Caesar folgte über See auf einem Umweg. In der sich entspinnenden Schlacht wurde der König geschlagen und fand anschließend den Tod im Nil. In aller Eile nutzte Caesar die Stunde, ritt mit seiner Kavallerie nach Alexandria und zog als Sieger durch den Teil der Stadt ein, der in der Hand seiner Feinde war. Alexandria war damals eine der größten Städte der Welt, mehr als eine halbe Million Einwohner zählte es; eine sehr unruhige Stadt, von Griechen, Ägyptern, Juden und anderen bewohnt. Fraglos war es eine Herausforderung und ein Wagnis, dort mit wenigen Schwadronen einzuziehen. Aber die Stadt ergab sich: Caesar zog unbehelligt durch die Befestigung der Feinde in seinen Teil der Stadt. Es war ein triumphales Ereignis. Kleopatra wird ihm einen herrlichen Empfang bereitet haben, denn auch sie hatte gesiegt. Das war am 27. März 47. So lange also hatte der alexandrinische Krieg gedauert, der Krieg, den Caesar sich wesentlich der Königin wegen zugezogen hatte. Lange Zeit war er von der Außenwelt abgeschnitten gewesen. Cicero berichtet am 14. Juni 47, er habe seit dem 13. Dezember 48 keinen Brief mehr nach Rom geschickt. Cato und andere hatten in Africa wieder eine Armee aufgestellt; Spanien war unruhig; einer der Söhne des Pompeius begann damals oder wenig später, dort den Aufstand zu organisieren. In Rom wurde heftig, wie schon im Vorjahr, wegen eines Schuldenerlasses agitiert. Die Veteranenlegionen in Campanien drohten zu meutern. Antonius, der Caesars Vertreter als Dictator war, wurde der Unruhen nicht Herr, zögerte vielleicht auch, sie entschieden zu unterdrücken. Man rechnete mit der Landung des
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pompeianischen Heers aus Africa. In Illyrien war Caesars Heer vernichtend geschlagen worden. Die Nachrichten davon müssen ihn nicht gleich im März oder April erreicht haben. Immerhin mußte er sich denken können, daß bei seiner langen Abwesenheit sehr vieles nicht so war, wie es sein sollte. Noch waren die Pompeianer ja nicht endgültig geschlagen. Vor allem aber war Roms Herrschaft in Kleinasien zusammengebrochen. Der Sohn des Königs Mithridates, Pharnakes war nämlich bald nach Caesars Abfahrt von Rhodos aufgebrochen, das Reich seines Vaters zurückzuerobern. Im Dezember 48 stellte sich ihm Caesars Legat bei Nikopolis in Armenien zur Schlacht und wurde besiegt. Der König drang auf die Provinz Asia vor. Mindestens das mußte dem Kommandeur der syrischen Hilfstruppen bekannt sein, als er nach Alexandria kam. Und Caesar mußte sich auch fragen, warum von den Legionen, die er aus Kleinasien so dringend herbeibeordert hatte, nur eine gekommen war. Trotzdem blieb er den April und Mai über in Ägypten, um mit Kleopatra jenen sehr langen Ausflug auf dem Nil zu machen. Mit der gleichen Ruhe – oder mit der gleichen Fähigkeit, sich trotz aller Not auf anderes, ihm im Moment einzig Wichtiges zu konzentrieren –, mit der er etwa 52 den gallischen Aufstand hatte gewähren lassen, bis er von Italien aufbrach. Nur aus anderen Gründen. Es war eine Ruhe oder Konzentrationsfähigkeit, die übermenschlich anmutet, noch dazu bei einem so rastlos tätigen Mann; aber sie war erfüllt von neuen Eindrücken, von der Politik der Kleopatra und Caesars Teilnahme daran. Er wird die Pause genossen haben, einmal fern dem Lager, fern der ständigen Anspannung, in göttlich-menschlicher Gesellschaft. Er muß fasziniert und auf eine ganz neue Weise in Anspruch genommen gewesen sein; in der Mischung aus Hochstimmung, Erschlaffung und freiem Schweifen der Gedanken, die einzutreten pflegt, wenn uns das, was uns jahrelang gespannt, gehalten und bestimmt hat, plötzlich losläßt. Da mochte Caesar Kleopatra besonders brauchen. Zugleich hatte er die Gelegenheit, sich auf die Aufgaben,
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die vor ihm lagen, zu sammeln. Um diese Zeit scheint er auch sein Buch über den Bürgerkrieg abgefaßt zu haben, mit dem er speziell die Absicht verfolgte, die höhere römische Gesellschaft von seiner Sache und seinen Friedensbemühungen zu überzeugen. Ende Mai oder Anfang Juni brach er nach Syrien auf. Er hinterließ drei Legionen zu Kleopatras Schutz. Zum Kommandeur setzte er einen bewährten, tapferen Offizier namens Rufio ein, der aber Sohn eines Freigelassenen, von dem also kein politischer Ehrgeiz zu erwarten war. In Syrien traf Caesar in aller Eile seine Verfügungen, belohnte oder strafte, setzte Herrscher ein oder ab, knüpfte Beziehungen, gewährte Privilegien oder erlegte Abgaben auf; sah darauf, seine Kasse zu füllen; schlichtete auch Streitigkeiten. Die Juden durften die Mauern Jerusalems wieder aufrichten. Antipatros, der Vater des späteren Königs Herodes, erhielt zum Dank für die Entsendung von Hilfstruppen nach Ägypten das römische Bürgerrecht. Dann setzte Caesar nach Kilikien über, regelte auf einem Landtag in Tarsos alle Angelegenheiten der dortigen Provinz und zog anschließend in gewaltigen Märschen durch Kappadokien nach Pontos. In Zela traf er auf Pharnakes und dessen Armee. Am 2. August kam es zur Schlacht. Pharnakes führte seine Truppen so unüberlegt an den Hügel heran, auf dem die Caesarianer schanzten, daß Caesar es zunächst nicht ernstnahm und seine Soldaten nicht zu den Waffen rief. Dann begannen die Truppen des Königs bergan zu stürmen. Jetzt endlich formierten sich die Römer, und nur mit großer Anstrengung gelang es dem schwachen römischen Heer, den Gegner vernichtend zu schlagen. Der Feldzug kam so rasch zu seinem Ende, daß Caesar ihn einem Freund mit den Worten mitteilte: Ich kam, sah, siegte – »veni vidi vici«. Am nächsten Tag schon brach er nach Bithynien auf, danach in die Provinz Asia, überall ordnete er die Verhältnisse in größter Eile. Schließlich fuhr er über Athen und Patras nach Italien. Am 24. September landete er in Tarent. Zunächst begab
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er sich nach Brindisi. Dort begegnete ihm Cicero. Er war nach Pompeius’ Niederlage dorthin übergesetzt, hatte die Stadt aber nicht verlassen dürfen, bevor Caesar die Erlaubnis dazu erteilt hätte. Voller Sorge ging Cicero ihm entgegen, nicht wegen der Begnadigung, aber wegen der Umstände, unter denen sie erfolgen mochte. Doch sobald Caesar ihn sah, stieg er ab, begrüßte ihn und ging lange mit ihm zusammen in freundschaftlichem Gespräch. Er hatte wohl zunächst die Absicht gehabt, sich gleich nach Sizilien zu begeben, um von dort nach Africa aufzubrechen, in die von den Gegnern besetzte römische Provinz, die nach Lage und Umfang etwa dem heutigen Tunis entsprach. Einige Legionen hatten sich schon an der sizilianischen Küste versammelt. Aber inzwischen war Caesar klar geworden, daß seine Anwesenheit in Rom aus verschiedenen Gründen dringend erforderlich war. Zwei Monate in Rom (Oktober bis November 47) Caesars Gefolgschaft • Antonius • Caesar setzt auf anderes Personal • Das Schuldenproblem • Die Finanzierung des Krieges • Meuternde Legionen vor Rom Die Probleme, deretwegen Caesar nach fast zweijähriger Abwesenheit so dringend nach Rom gehen mußte, waren teils Folgeerscheinungen des Bürgerkriegs, teils war ihre Lösung notwendig zur Vorbereitung des africanischen Feldzugs. Dahinter lag aber zugleich eine Schwierigkeit, die ihm von jetzt an schwer zu schaffen machen mußte: Er hatte kaum Anhänger, die sowohl ihm loyal als auch in der Lage waren, die Aufgaben der Politik und des Bürgerkriegs selbständig und wirksam zu erledigen. In Gallien hatte er nur militärische Unterführer gebraucht; denen mußte er lediglich wohlüberlegte, klare Befehle geben. In Rom war es vor 49 genug, wenn sich
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geschickte Volkstribunen für ihn einsetzten, notfalls auch einmal ein Consul. Diese bekamen Caesars Wünsche mitgeteilt, vielleicht in einer Form, die auf die verschiedenen Möglichkeiten zu reagieren erlaubte. Sie hatten dann nur über die rechte Taktik zu entscheiden, zum Teil auf Rückfrage bei ihm, zum Teil nach Beratung mit anderen Parteigängern. Der Rest war Sache seiner Diplomatie gewesen. Jetzt hingegen ging es darum, meuternde Legionen zu befrieden, wirtschaftliche Probleme zu lösen, die Ordnung in Rom aufrecht zu erhalten und schließlich all die Fragen der Personalpolitik mit Geschick und Takt anzupacken, ohne die Caesars Stellung in Rom in der Luft hing. Es galt nicht allein, Neutrale zu gewinnen und zu bedenken, sondern vor allem auch die Ansprüche seiner Anhänger selbst zu berücksichtigen und untereinander auszugleichen. Dies alles konnte Caesar nur selbst erledigen. Er hatte es sich vielfach wohl auch vorbehalten. Ansonsten konnte er sich am ehesten noch auf die unabhängigen Senatoren verlassen, die sich ihm zur Verfügung stellten, wie etwa der Consul von 48, Servilius. Sie waren in der Lage, gemäß dem hergebrachten Verständnis ihrer Aufgabe, gestützt auf den Senat, soweit er anwesend war, seine Sache vergleichsweise selbständig zu führen; vielfach sogar besonders pflichtbewußt. Denn es war häufig nicht Opportunismus, wovon sie sich leiten ließen, sondern der Wunsch, dem Gemeinwesen zu dienen. So paradox es klingt: Unter den ehemaligen Pompeianern und Neutralen hatte Caesar seine besten Stützen bei der Verwaltung und hätte sie beim Wiederaufbau des Gemeinwesens gehabt. Aber je näher er seinem Sieg kam, um so reicher mußte er seine Parteigänger belohnen. Sie forderten unerbittlich, was er ihnen versprochen hatte und was sie verdient zu haben meinten. Und er wäre der letzte gewesen, der die Berechtigung ihrer Forderung nicht eingesehen hätte. Öffentlich erklärte er einmal, daß er sich auch gegen Banditen und Mörder, falls er deren Hilfe zur Verteidigung seiner Stellung gebraucht hätte, erkenntlich zeigen würde. Eben das war es ja, was ihn für seine Freunde so ungemein anziehend machte und was zugleich
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viele seiner seriösen Parteigänger so beängstigte, wenn sie an die »Höllenmeute« seines Gefolges dachten. Unter diesen Anhängern aber gab es – abgesehen von den Soldaten und allen anderen auf Gewinn Bedachten – einerseits die subalternen Geister, die Caesar treu dienen wollten, aber nicht gerade einfallsreich und zu selbständigem Handeln, für größere und vor allem: für außerordentliche Aufgaben geeignet waren. Andererseits gab es diejenigen, die sich letztlich als kleine Caesares fühlten: Von ähnlichem Ehrgeiz getrieben, aufführende Positionen aus, hochbegabt, zum Teil auch hochbefähigt, aber eben in einer Weise selbständig, wie Caesar sie nicht unbedingt schätzte. Sie waren rechte, wenn auch außenseiterische Söhne von Roms Aristokratie, und wenn sie sich Caesar angeschlossen hatten, so dachten sie nicht zuletzt daran, mit seiner Hilfe das zu werden, was römische Adlige immer hatten werden wollen: Principes, also Erste der Bürgerschaft, Führer des Senats und der Republik. Aristokratische Souveränität war ihnen eigen, je nach den Umständen, unter denen sie gerade lebten. Aber sie hatten es viel leichter gehabt als Caesar, hatten sich nicht einsam gegen alle anderen behaupten müssen, sondern ihm sich anschließen können. Ihr Aufstieg war kaum ihr Verdienst. Und um so weniger konnten sie sich einfügen. Die Rechte lagen ihnen mehr am Herzen als die Pflichten. Marcus Antonius war – nach dem Tod seines Freundes Curio – der Hervorragendste unter ihnen. Ein großer, stattlicher Mann: »Der wohlgeformte Bart, die Breite der Stirn und die Krümmung der Nase gaben ihm das männliche Aussehen, welches ihn dem Antlitz des Herakles, wie man ihn auf Gemälden und Statuen darstellt, ähnlich erscheinen läßt« (Plutarch). Er war im Grunde ein hervorragender Zweiter Mann, obwohl er sich offenbar für einen Ersten hielt. Seine Fähigkeiten waren sehr groß, aber er war zu weich, zu gutmütig, auch zu lasziv und hatte jedenfalls zu wenig eigene Initiative, zu wenig innere Sicherheit, Konzentrationsfähigkeit und Stetigkeit, um eine eigenständige, souveräne Rolle zu spielen. Vielleicht bestanden
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53 Er war im Grunde ein hervorragender Zweiter Mann, obwohl er sich offenbar für einen Ersten hielt... Vielleicht bestanden sein Reiz und seine Schwäche darin, daß er nie ganz erwachsen geworden ist. Marcus Antonius. Bildnisbüste aus grünem Schiefer. Ägyptische Arbeit aus den 30er Jahren des 1. Jahrhunderts v. Chr. Kingston Lacey (Dorset). sein Reiz und seine Schwäche darin, daß er nie ganz erwachsen geworden ist. Schon in den Ausschweifungen seiner Jugend war Marc Anton anscheinend der Zweite gewesen, neben Curio. Nachdem der ihn einmal auf die Bahn gebracht hatte, stürzte er sich in immense Schulden; er wollte es wohl besonders gut und toll treiben. Eine Weile scheint er Clodius angehangen zu haben, aber, so heißt es, das habe ihm nicht behagt. Wahrscheinlicher ist wohl, daß seine Mutter, die eine der besten und sittsamsten Frauen Roms gewesen sein soll, ihn aus der schlechten Gesellschaft entfernen wollte. Jedenfalls ging er nach Griechenland, um Rhetorik zu studieren und sich für den Kriegsdienst zu schulen. Dann wurde er Reiterführer in Syrien, bewährte sich als kühner Draufgänger, als Verächter von Gefahren; taktisch sehr geschickt, außerordentlich beliebt bei den Soldaten. Und das war auch weiterhin seine eigentliche Stärke. Er diente Caesar in Gallien und im Bürgerkrieg, war seit 49 sein bester Offizier; brachte zweimal auf bravouröse Weise die in die Flucht gejagte
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Truppe zum Stehen, kommandierte dann bei Pharsalos den linken Flügel. Vorher war es ihm gelungen, die zweite Hälfte des caesarischen Heeres über die Adria zu bringen. Vollblütig wie er war, glaubte Antonius sich nichts zu vergeben, wenn er mit den Soldaten die Nächte durchzechte, groß daherredete, prahlte, in vielem wie ein großer Junge. Seine Freigebigkeit, seine Verschwendung imponierten. Aber dann wußte er auch zu befehlen und mitzureißen. Politisch konnte er sich massiv durchsetzen, als Volkstribun im Jahre 49 und sonst. Aber »das starke langsame Bohren von harten Brettern mit Leidenschaft und Augenmaß« war nicht seine Sache, dazu war er zu zerfahren und ablenkbar; als Caesars Statthalter in Italien hatte er offenkundig versagt. Er war einerseits indolent und nachgiebig, andererseits rücksichtslos und willkürlich gewesen, hatte sich um Vieles nicht gekümmert. Sein Hauptinteresse scheint seinen Vergnügungen gegolten zu haben. Er war der Herr und er genoß es, wie ein Potentat zu leben; die Nächte mit Theateraufführungen, Wein und Liebe ausgefüllt, tagsüber schlafend oder mit schwerem Kopfe herumgehend; eines Morgens erbrach er sich in der Volksversammlung. Komödianten, Musiker und großzügige Damen bildeten sein Gefolge, und es war schockierend, daß sie dann auch in den Häusern der städtischen Honoratioren einquartiert werden mußten. Besonders bemerkenswert war das goldene Geschirr, auf dem Antonius servieren ließ, und daß er gelegentlich Löwen vor seinen Wagen spannte, um wie der Gott Bacchus daherzukommen. Cicero fand einmal, er habe es mehr auf Festlichkeiten abgesehen, als daß er Böses im Schilde führte. Übrigens war er ritterlich, wenn er sich nicht gerade vergaß oder bis aufs Blut gereizt war. So wie Antonius in der Jugend von Curio abhängig gewesen war, war er es dann von Caesar, seit etwa 47 auch von Fulvia, der Witwe des Clodius und des Curio, die er damals heiratete, einer ehrgeizigen Frau, die einen führenden Mann, wie es heißt, führen und einen General kommandieren wollte. Kleopatra, die Antonius später nach Caesars Tod im Osten
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stark beeinflußte, hat ihn, so schreibt Plutarch, schon gezähmt übernommen. Nicht sicher ist, wie treu Antonius Caesar ergeben war. Bei aller Abhängigkeit war er wahrscheinlich – vielleicht nicht selbständig, aber doch: – eigenwillig und ungebunden genug, um sich auch für eine andere Politik entscheiden zu können. Als der Volkstribun Publius Cornelius Dolabella, ein anderer aus der Reihe der glänzenden, frechen jungen Parteigänger Caesars, 47 für einen Schuldenerlaß zu agitieren begann, als Unruhen und zuletzt Straßenschlachten in Rom aufkamen, zögerte Antonius lange einzugreifen. Man weiß nicht, ob er nur zu bequem war oder sich politisch alles offen lassen wollte. Dann allerdings schlug er mit seinen Soldaten so brutal zu, daß er sich die Sympathien der städtischen Menge verscherzte. Als Caesars Legionen in Campanien aufsässig wurden, Disziplinlosigkeit um sich griff, ließ er es zunächst hingehen. Für das Jahr 46 gibt es Andeutungen darüber, daß er an Plänen zu einem Anschlag auf Caesar beteiligt gewesen sei. Später finden wir ihn in schwer deutbarer Weise zugleich in die Politik um Caesars Etablierung oder Entlarvung als Tyrann engagiert. Bei dessen Rückkehr im Jahre 47 fiel er jedenfalls in Ungnade, während Dolabella freundlich aufgenommen wurde. Caesar setzte jetzt auf anderes Personal. Für 46 ließ er sich und Marcus Aemilius Lepidus zu Consuln wählen. Lepidus sollte seine Sache in Rom und Italien führen; da konnte Caesar zwar sicher sein, daß er einen loyalen, braven, fleißigen Statthalter hatte, aber es durfte nichts Ungewöhnliches eintreten. Denn Lepidus, Sohn des zaghaften Aufrührers von 78, scheint ein schwacher, farb- und energieloser Mann gewesen zu sein. »Einen der hohlsten Menschen, der durch keine Tugend die Nachsicht verdiente, die das Glück ihm so lange zuteil werden ließ«, nennt ihn der Historiker Velleius Paterculus. Im übrigen vermehrte Caesar die Praetoren-, auch die Priesterstellen, gewiß nicht nur aus sachlichen Gründen, sondern wesentlich auch, um mehr Anhänger damit belohnen zu können. Aus dem gleichen Grunde hatte er Anfang Oktober noch für den Rest
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des Jahres 47 Wahlen abhalten lassen. Publius Vatinius und ein anderer seiner getreuen Gefolgsleute wurden Consuln; beide waren in seinem Consulat 59 die wichtigsten Helfer gewesen. Um dem Problem der Verschuldung der breiten Menge zu steuern, erließ Caesar bis zu einer bestimmten Höhe eine volle Jahresmiete. Soweit mußten die Hausbesitzer Verluste hinnehmen. Aber er machte wiederum deutlich, daß er an einen Schuldenerlaß nicht dachte. Er konnte es gar nicht, und zwar nicht nur, weil er die Oberschicht politisch für sich einnehmen wollte, sondern auch weil er ihre Angehörigen als Gläubiger brauchte. Denn seine wichtigste Sorge galt der Auffüllung seiner Kriegskasse. Mehrfach soll er damals erklärt haben, zum Herrschen gehörten nur zwei Dinge, Soldaten und Geld; und Armeen könnten nur mit Geld unterhalten werden. Jedenfalls war die Kriegführung außerordentlich teuer, und an die Auszahlung der am Beginn des Bürgerkriegs verhießenen Belohnungen war auch nach zwei und einem halben Jahr noch gar nicht zu denken. Daher forderte Caesar einerseits von den Gemeinden Italiens die Stiftung goldener Kränze und Statuen, wie man sie einem Sieger darzubringen pflegte; beides sollte wohl in bar entrichtet werden. Außerdem warb er überall um Darlehen. Sein gesamtes Vermögen habe er für den Krieg ausgegeben, jetzt müßten die Bürger ihm zur Seite stehen – wie wenn es ihr Krieg gewesen wäre. Sie konnten sich seinem Wunsch kaum entziehen, obwohl die Aussicht auf Rückzahlung verschwindend gering war; diese ist denn auch nie erfolgt. Dann ging Caesar daran, das Eigentum der nicht begnadigten Gegner zu versteigern. Antonius und andere sollen in der Annahme, sie brauchten den Preis nicht zu erlegen, besonders hoch geboten haben. Aber sie hatten sich verrechnet: Das Geld wurde unerbittlich eingezogen. Nur Servilia soll große Güter zu billigstem Preis zugeschlagen bekommen haben. Cicero meinte, der Preis sei um Tertia reduziert worden, das hieß einerseits: um ein Drittel, andererseits um Servilias Tochter dieses Namens, die die Mutter Caesar zugehalten haben soll. Besondere Schwierigkeiten machte die Bereitstellung des
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Heeres. Die Legionen in Campanien wollten nicht nach Sizilien übersetzen. Sie wollten vielmehr entlassen werden, Caesar sollte die versprochenen Bürgerkriegsprämien auszahlen lassen. Randalierend belästigten sie die Umwohnenden. Als Beauftragte von ihm erschienen, empfingen sie sie mit einem Steinhagel, zwei Senatoren wurden sogar getötet, Versprechungen wollten sie nicht mehr entgegennehmen. Hatte Caesar nicht zuletzt Ende 49 erklärt, der Krieg stünde unmittelbar vor seinem Abschluß? Und die Schlacht, die die Entscheidung hatte bringen sollen, Pharsalos, lag inzwischen länger als ein Jahr zurück. Schließlich setzten sie sich in Bewegung und marschierten auf Rom. Die zehnte Legion war darunter, seine liebste und tapferste, auf die er immer am meisten gesetzt, die er an den schwierigsten Stellen postiert hatte. Als sie auf dem Marsfeld ankamen, trat Caesar ihnen entgegen. Betretene Stille breitete sich aus. Der Anblick ihres alten Feldherrn, der da äußerst beherrscht, kalt, schweigend – vielleicht auch einsam und gealtert – vor sie hintrat, fuhr ihnen in die Glieder. Kleinlaut erklärten ihre Wortführer, sie seien nur gekommen, um ihre Entlassung zu erbitten. In Wirklichkeit rechneten sie darauf, daß er ihnen alles bewilligen müsse; denn er brauchte sie ja. Caesar aber redete sie statt als Kameraden (commilitones) als Mitbürger (quirites) an. Er gewährte ihnen großzügig ihre Entlassung. Selbstverständlich sollten sie auch die versprochene Belohnung erhalten, aber erst, wenn er aus Africa zurück sei und mit anderen Soldaten den Triumph feiere. Die Reaktion war ähnlich wie bei Placentia im Jahre 48. Die Soldaten waren, so heißt es, voll Reue und Scham, sie bestürmten Caesar, sie mitzunehmen. Schließlich habe er eingewilligt. Anders als bei der letzten Meuterei verzichtete er aber auf die Bestrafung der Rädelsführer. Man wüßte gern, ob aus Schwäche oder weil er einsah, daß er den Soldaten schon sehr viel zugemutet hatte. Gewiß wollte er den Bogen nicht überspannen. Vielleicht aber war er seit Placentia doch auch nachgiebiger geworden, war sein gebieterischer Wille nicht mehr so stark wie damals? Am Ende entwickelte er ihnen seinen Ansiedlungsplan: Er
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wollte nicht wie Sulla ganze Gemeinden enteignen, sondern nur einzelne Güter verteilen. Die wohlhabenden Kreise der römischen Gesellschaft nahmen die Szene zum Anlaß, Caesars Großzügigkeit zu kritisieren. Auch Dolabella und Antonius hatten ihren Unwillen hervorgerufen. Anfang Dezember verließ Caesar Rom, nach unserem Kalender war es Mitte September. Am 1. Januar 46 begann dann sein drittes Consulat.
Africanischer Feldzug, Catos Tod Überfahrt nach Africa • Schwierigkeiten des Krieges • Sieg bei Thapsus • Epilepsie? • Die Wut der Soldaten • Catos Abschied von seinem Sohn • Einer der bemerkenswertesten Politiker der Weltgeschichte • Rückkehr über Sardinien nach Rom • »Die Schwierigkeiten wachsen, je näher man dem Ziel kommt« Als Caesar in Lilybaeum auf Sizilien (heute Marsala) eintraf, wäre er am liebsten sofort mit einer neu ausgehobenen Legion nach Africa aufgebrochen. Nur widrige Winde hinderten ihn daran, denn die Mahnung des Opferschauers, er dürfe nicht vor Wintersonnenwende hinüberfahren, wird ihn kaum gestört haben. Er schlug sein Zelt unmittelbar am Strand auf, wie wenn er dem künftigen Kriegsschauplatz so nahe wie möglich sein wollte. Dabei hatte er Nachrichten über die außerordentliche Übermacht der Feinde; zehn römische Legionen, vier des numidischen Königs Juba, ungezählte Reiter und Leichtbewaffnete, einhundertzwanzig Elefanten und große Flottenverbände hatten sie zusammengebracht. Aber er war äußerst ungeduldig, die gegnerische Armee bedrohte Italien, ermutigte seine Feinde, schon gab es auch in Spanien Unruhen. Sein Sieg sollte endlich vollständig sein, damit alle sich darauf einrichte-
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ten. Da er militärisch unterlegen war, setzte er wieder auf das Überraschungsmoment. Sechs Legionen und zweitausend Reiter hat er schließlich auf Schiffe verladen lassen. Da er nicht wußte, wo er landen konnte, erhielten die Kapitäne keine klaren Anordnungen; so segelte man auf gut Glück los. Ein verwegenes, leichtfertiges, verlustreiches Unternehmen, wider alle Regeln, die Caesar selbst sonst streng befolgte. Mit dem Mut der Verzweiflung, aus Verachtung der Gegner oder in blindem Vertrauen auf das Glück: fast wie wenn er es hätte herausfordern wollen. Der größte Teil der Schiffe wurde im Wind zerstreut. Caesar selbst landete mit ganzen dreitausend Mann und einhundertfünfzig Reitern in der Gegend von Hadrumetum (heute Sousse). Angesichts der außerordentlichen feindlichen Übermacht und der Schwierigkeiten der eigenen Versorgung, sandte er sogleich nach Sardinien und in die benachbarten Provinzen um Truppen, Kriegsgerät, Getreide und befahl seinen Kriegsschiffen auszufahren, um die versprengten Teile seiner Flotte einzusammeln. Es lohnt sich nicht, den gesamten Feldzug genauer zu schildern. Man bewegte sich nur auf kleinem Raum; das meiste verlief mit geringen Abwandlungen ähnlich wie sonst. Aber einige Einzelheiten sind interessant. Wir besitzen für diesen Krieg eine Schilderung, das Bellum Africum, aus der Feder eines hohen Offiziers, der ihn miterlebt und Caesar aus nächster Nähe beobachtet hat, ohne unbedingt in seine Pläne eingeweiht gewesen zu sein. Darin erfahren wir von der ganzen Angst und Verzweiflung, die die wenigen jungen Soldaten anfangs bedrückten, und wie sie Trost nur in der »wundervollen Heiterkeit« ihres Feldherrn fanden. Denn er habe sich voller Zuversicht und Selbstvertrauen gezeigt. Wir lesen, wie Caesar, als die Gegner vor seinem Lager aufmarschierten, nicht etwa vom Wall, sondern vom Feldherrnzelt aus seine Truppen dirigierte. Es reichte ihm, daß Boten ihn ins Bild setzten und seine Befehle austrugen. Auch meinte er, daß die Feinde nicht genug Siegeszuversicht hätten, um sein Lager
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anzugreifen. Allein sein Name und sein Ansehen müßten ihren Mut vermindern. Wieder stellte die Versorgung Caesar vor große Probleme. Doch waren seine Soldaten findig genug, um etwa die Pferde in der Not mit Tang zu ernähren, den sie vorher in Süßwasser gespült hatten. Mit größter Unruhe sandte Caesar immer aufs neue nach den übrigen Truppen aus. Einmal befahl er, sie sollten ohne Rücksicht auf Jahreszeit und Wetter sofort übergesetzt werden. Schon am Tage, nachdem der Kurier aufgebrochen war, beschwerte er sich, daß Heer und Flotte so säumig seien; richtete den Blick ungehalten stets von neuem auf das Meer. Einmal soll er selbst, wie im Jahre 48, sich aufgemacht haben, um die Legionen zu holen; traf dann aber auf See schon auf einigen Nachschub. Liegt es am Berichterstatter, daß Caesar hier so viel unruhiger erscheint als in seiner eigenen Darstellung? Oder an den Schwierigkeiten der Planung eines Feldzugs über See? Oder ist er wirklich, wie es schon beim ägyptischen Feldzug scheint, rastloser geworden, unvorsichtiger, weil es ihn immer mehr zu einem Ende des Krieges drängte? Später schreibt Cicero, Caesar habe gegen die Verursacher des africanischen Krieges besonderen Zorn gehegt, weil sie seine Kriegsmühen so sehr verlängert hätten. Schließlich kamen die Schiffe nach und nach. Caesar hatte angeordnet, daß nur die Soldaten und deren Waffen, »weder Gepäck noch Sklaven noch irgendetwas von dem, was die Soldaten sonst in Gebrauch hatten, auf die Schiffe verladen werden dürfe«. Da fand er, daß einer seiner höheren Offiziere ein Schiff allein für seine Sklaven und seine Zugtiere mit Beschlag belegt hatte. Der Verfasser des Bellum Africum nennt dies einen »geringfügigen Vorfall«: ein bezeichnendes Schlaglicht auf die damaligen Armeen. Da jener Offizier aber die Meuterei in Italien mit angezettelt hatte, entließ Caesar ihn und andere und sandte sie nach Italien zurück, wobei er ihnen nur je einen Sklaven gestattete. Mit Mühe und äußerst geschickten taktischen Manövern hatte Caesar die Gegner davon abgehalten, ihn mit ihrer weit
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überlegenen Armee anzugreifen. Einmal wurde sein Heer sogar eingeschlossen, aber er konnte den Ring wieder aufbrechen. Es kam Caesar zugute, daß sein Onkel Marius in Africa noch in bestem Ansehen stand und daß die gegnerischen Feldherren ihren Soldaten offenbar kaum Versprechungen machten, so daß sich viele Überläufer bei ihm einfanden. Auch ergaben sich ihm eine Reihe von Gemeinden. Mit großen Anstrengungen suchte er das Heer auf den neuen Gegner einzustellen. »Er exerzierte«, wie es heißt, »mit seinen Truppen nicht wie ein Feldherr mit einem in schwersten Kämpfen siegreichen Veteranenheer, sondern wie ein Gladiatoren-Fechtmeister mit Neulingen, auf wieviele Schritte sie sich vor dem Gegner zurückzuziehen und wie sie sich den Feinden entgegenzustellen hatten, wie sie auf kleinstem Raum Widerstand leisten, bald vorgehen, bald zurückweichen und dann wieder Angriffe vortäuschen sollten, schließlich schrieb er ihnen fast vor, aus welcher Entfernung und in welcher Weise die Wurfgeschosse zu gebrauchen seien.« Mit ihrem Geschick und ihrer höchst wendigen, listigen, fallenreichen Kampfführung nötigten die Gegner Caesar, wider seine Gewohnheit langsam und bedächtig zu operieren. Um den kriegerischen Umgang mit Elefanten zu üben und auch die eigenen Pferde an deren Geruch, Aussehen und Trompeten zu gewöhnen, ließ er sich solche Tiere aus Italien holen. Am 6. April 46 kam es zur Entscheidungsschlacht bei Thapsus. Sie unterschied sich von allen seinen anderen Schlachten dadurch, daß die Soldaten gegen seinen Willen den Kampf eröffneten, weil ihnen der Sieg sicher schien. Im Bellum Africum wird nicht deutlich, warum Caesar selber zögerte. Es heißt weiter, als Caesar gesehen habe, daß die Soldaten nicht aufzuhalten waren, habe er die Parole »Felicitas« ausgegeben und sei im Galopp unter den Ersten gegen den Feind geritten. Auch das war wider die Regel. Plutarch weiß von anderen Quellen, nach denen Caesar am Kampf gar nicht teilgenommen habe. »Während er sein Heer aufstellte und zur Schlacht ordnete, habe ihn seine gewohnte Krankheit überrascht.« Er habe es sofort gespürt und sich wegtragen lassen.
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Die »gewohnte Krankheit« war die Epilepsie, an der Caesar nach dem Bericht verschiedener Quellen litt. Auch für andere Gelegenheiten sind plötzliche Anfälle bei ihm bezeugt. Eine Diagnose läßt sich nach zweitausend Jahren nicht mehr stellen, über die genaue Natur und die psychischen und physischen Folgen seiner Krankheit ist schlechterdings nichts auszumachen. Mit einem solchen Anfall aber könnte man erklären, warum Caesar bei Thapsus die Kontrolle über seine Armee verlor. Der Verfasser des Bellum Africum könnte sich über seinen Abgang getäuscht haben. Vielleicht war der Reiter, der da so stürmisch im Feldhermmantel nach vorn galoppierte, gar nicht Caesar selbst; und daß dem nicht so war, mag eines der bestgehüteten Geheimnisse gewesen sein; freilich nicht unbedingt für jeden und nicht für immer. Denn hinter Plutarchs Gewährsmännern könnte ein guter Vertrauter Caesars gesteckt haben. Die Soldaten stürmten so vehement vor, daß sie bald den Sieg errungen hatten. Die gegnerischen Elefanten wurden mit einem wahren Geschoßhagel bedeckt, sie gerieten vom Pfeifen der Schleudern und dem Aufprall der Steine und Bleigeschosse in Panik, machten kehrt und trampelten die hinter ihnen in dichten Reihen stehenden Einheiten nieder. Als ein großer Teil der gegnerischen Soldaten kapitulierte, ließen sich Caesars Veteranen in ihrer Wut nicht davon abhalten, über sie herzufallen. Jene flehten, wie es im Bellum Africum heißt, zu Caesar. Da also war er jedenfalls anwesend; vielleicht eben nach einem Anfall und also geschwächt. Er beschwor seine Soldaten. Aber umsonst. Sie machten alle nieder, ja sie wandten sich sogar gegen mehrere der eigenen höheren Offiziere und töteten und verwundeten auch sie. Es heißt, sie hätten sie als auctores, Urheber beschimpft – wovon, steht nicht dabei. Sie könnten den Krieg gemeint haben, aber eher meinten sie wohl die Tatsache, daß er nicht enden wollte, die Strapazen, die Leiden. Und hingen die – für den einfachen Soldaten – nicht mit der Großzügigkeit, der Milde zusammen, die ihnen jetzt schon wieder von ihren Offizieren befohlen wurde? So wandten sie sich gegen sie, da sie sich an Caesar
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selbst nicht heranwagten. Wir wissen, daß Caesars Soldaten mit seiner Clementia nicht einverstanden waren: Schadenfroh verhöhnten sie etwa seine Güte, als der damit bedachte ägyptische König Ptolemaios ihn zum Narren zu halten schien. Der Unterschied zwischen bürgerlichen Auseinandersetzungen und Krieg war ihnen zu fein. Sie konnten Caesars Politik nicht verstehen, sahen vielmehr nur, daß sie stets von Neuem ihren Kopf hinzuhalten hatten. Sie fanden keinen Gefallen an einem Krieg ohne Beute – so ganz anders als in Gallien –, einem Krieg, der sich immer länger hinzog. Und daß er strapaziös war, war vermutlich noch schlimmer, als daß er blutig war. Sie waren zumal Soldaten, nicht Bürger. Unendlich viel hatten sie mitgemacht, hatten zuletzt lange in der Etappe gelegen; Caesar hatte sie überfordert. Caesar hat die Veteranen dann auch bald, noch in Africa, entlassen. Eine ganze Reihe von ihnen scheint er dort in zwei Colonien angesiedelt zu haben. Zunächst aber begab er sich nach der Schlacht bei Thapsus in den Norden, nach Utica. Dort besaßen die Gegner eine mit allem wohlversorgte Festung, in der Cato kommandierte. Cato hatte sich, seit Pompeius 49 Italien hatte räumen müssen, Haupthaar und Bart nicht mehr schneiden lassen. Im Januar 49 war ihm das Kommando in Sizilien zugefallen. Als die Caesarianer heranrückten, hatte er freiwillig das Feld geräumt, denn er fand, daß er die Provinz nicht halten konnte und daß ein längerer Krieg sie nur zugrunde richte. Nach der Niederlage von Pharsalos hatte er ein weiteres Zeichen seiner Trauer beschlossen: Nur mehr im Sitzen zu essen; einzig zum Schlafen legte er sich dann noch nieder. Er war nach Kyrene (im heutigen Libyen) übergesetzt, von dort in einem Marsch von siebenundzwanzig Tagen in die Provinz Africa gezogen, Esel hatten das Wasser geschleppt, Leute aus dem Stamm der Psyller waren mitgekommen, um eventuelle Schlangenbisse durch Aussaugen des Gifts zu heilen. Cato selbst war stets zu Fuß an der Spitze gezogen. Als die Pompeianer ihm in Africa den Oberbefehl geben wollten, trat er hinter Metellus Scipio, Pom-
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54 Wo Caesar nur mehr Menschenleben und vielleicht Wohlfahrt achtete, gehörte für ihn die Freiheit des republikanischen Gemeinwesens zu einem menschenwürdigen Dasein. Mutmaßliches Bildnis des Cato. Münze des Gaius Numonius Vaala. Stadtrömische Prägung aus dem Jahr nach Caesars Ermordung. peius’ Schwiegervater zurück. Der war Consular, er selbst hatte es nur bis zur Praetur gebracht. Auf die Meldung von der Niederlage von Thapsus hin besprach Cato sich mit den Römern in Utica. Er war bereit zu kämpfen, aber er wollte keinen nötigen, es zu tun. Als sich herausstellte, daß kaum Wille zum Widerstand vorhanden war, sorgte er dafür, daß alle Pompeianer, die es wollten, sich auf Schiffen in Sicherheit begeben konnten. Er sah auch darauf, daß nicht geplündert wurde: In seiner Stadt hielt er alles in peinlichster Ordnung. Er selbst war entschlossen, sich Caesar nicht auszuliefern. Nur dem Besiegten tue es not, sich aufs Bitten zu verlegen,
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erklärte er, nur dem Übeltäter, Abbitte zu leisten. Er aber sei unbesiegt geblieben sein Leben lang, und soweit er Caesar habe überwinden wollen, habe er ihn auch jetzt überwunden und stehe als der Überlegene da, überlegen nämlich durch die Reinheit und Gerechtigkeit seiner Sache. Caesar sei besiegt und schuldig gesprochen, denn jetzt könne er sein der Vaterstadt feindliches Treiben nicht mehr leugnen. Cato urteilte, wie wenn ein Prozeß zu führen gewesen wäre, in dem es ums Rechthaben ging. War es, weil er sich schon immer mehr am Recht als an der Macht orientiert hatte – welche dann, da er sie im Herkömmlichen zusammenzuzwingen suchte, immer weiter auseinanderdrifteten? Dann gehörte es so in die gespaltene Wirklichkeit der Zeit. Oder dachte er nur mehr an die Rechenschaft für sein Leben? Seinen Sohn, den er bei sich hatte, forderte er auf, Caesar um Gnade zu bitten. Auf die Frage, warum er es nicht selber tue, soll er geantwortet haben: »Ich bin in Freiheit, mit dem Recht freier Rede aufgewachsen. Ich kann mich nicht auf meine alten Tage verwandeln und statt dessen Knechtschaft lernen. Aber für dich, der du in solchen Verhältnissen geboren und aufgewachsen bist, ist es richtig, der Gottheit zu dienen, die über deinem Geschick waltet.« Er war sich also offenbar der Relativität der Zeiten bewußt, scheint gesehen zu haben, daß die Generation, die in der Zeit der Niederlagen, der Schwäche des Senats und der Republik herangewachsen war, weniger klar geformt und ausgeprägt, dafür an Möglichkeiten reicher, also auch anpassungsfähiger war. Da mochte sie mit ihrem Leben etwas anderes anfangen. Das war ihre Sache. Er wollte und konnte ihr jetzt nicht mehr hineinreden, mußte ihr ihr Recht lassen, das er als Recht jener höheren Instanz ansah, die das Leben lenkt. Für ihn jedoch wäre es eine Reduktion auf das bloße Überleben gewesen, wenn er sich gebeugt hätte. Dazu war seine Vorstellung vom Leben zu hoch und zu bestimmt. Wo Caesar nur mehr Menschenleben und vielleicht Wohlfahrt achtete, gehörte für ihn die Freiheit des republikanischen Gemeinwesens zu einem menschenwürdigen Dasein. Er war zu aufrecht, zu charaktervoll, zu lauter und zu mutig, um darauf ver-
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zichten zu wollen. Aber auch für seinen Sohn blieb mindestens etwas zu respektieren, mindestens eines hatte der Vater von ihm zu erwarten. Er riet ihm von der Politik ab: »Die Verhältnisse erlauben nicht mehr, dies so zu tun, wie es einem Cato wohl ansteht. Und anders Politik zu treiben, ist eine Schande.« Der junge Cato ist dann in der Schlacht bei Philippi – der Niederlage der Caesar-Mörder – gefallen. Cato endete sein Leben, indem er sich das Schwert in den Leib stieß. Als sein Sohn hereinstürzte und der Arzt ihm seine Wunden verbunden hatte, riß er sich, sobald er wieder allein war, den Verband ab und verblutete. Lucan hat geschrieben: victrix causa diis placuit, sed victa Catoni, die siegreiche Sache gefiel den Göttern, aber die besiegte dem Cato. Die außerordentliche Autorität, die er bei Lebzeiten als Verkörperung der Republik genoß, war durch sein Sterben bekräftigt. Keiner hat das so gespürt wie Caesar; dafür spricht der unbändige, wehrlose Haß, mit dem er ihn über den Tod hinaus in zum Teil unflätigen Kundgebungen verfolgte. Ein Haß, der vermutlich damit zu tun hatte, daß er so gar kein Verständnis dafür besaß, woher Cato seine Autorität bezog. Pompeius war durch seine Leistung groß und in vielem schwach; die führenden Senatoren ließen sich alle irgendwie besiegen, und Caesar konnte sie letztlich sogar verachten. Wenn er aber Cato verachtete, so muß diese Verachtung gewissermaßen auf ihn zurückgeprallt sein; so hart, so römisch war das Material, aus dem der gemacht war, so unheimlich sicher war er sich der Republik, der er diente. Einer der bemerkenswertesten Politiker der Weltgeschichte: Bis ins Bizarre hinein prinzipientreu, ein Don Quichotte in vielem, und doch für den Senat, den Träger einer Tradition unerhörter politischer Weisheit der angesehenste, in vielem mächtigste Politiker, auch im zweiten Rang ein Mann erster Autorität. Ohne daß er es gewußt hätte, muß Caesar gespürt haben, daß er in Cato auf Rom traf, daß Cato ihn in Frage stellte. Kein Gemeinwesen außer dieser res publica hat so einen Mann hervorbringen können; aber das zeigte auch, welchen Schwierigkeiten Caesar konfrontiert war. Vielleicht hat Cato mehr
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als Caesar die Geschichte dieser Jahre bestimmt – indem er Caesar bestimmte. Es hatte seine Logik und spiegelte vermutlich Caesars Empfindungen bei der Nachricht von Catos Tod, wenn er erklärte – und, den Quellen zufolge, gar in direkter Anrede, wie wenn er ihn vor sich gesehen hätte –: »Ich neide dir diesen Tod, denn du hast mir deine Rettung geneidet«. Endlich hatte er triumphieren wollen; da merkte er, daß der andere es getan hatte. Welche Macht Cato über seinen Tod hinaus hatte, sollte sich aber erst später herausstellen. Als Caesar nach Utica kam, hatten die Einwohner ihm schon ein feierliches Leichenbegängnis ausgerichtet. Nach dem Aufenthalt in Utica zog Caesar in aller Eile nach Numidien und kassierte das Reich des Königs Juba, der ihn heftig bekämpft, der im Jahre 49 Curio besiegt hatte und schon seit alters sein Gegner gewesen war. Juba war im Zweikampf mit einem führenden Pompeianer gefallen; das hatte ihre Art des Freitods sein sollen. Aus Numidien, oder einem Teil davon, bildete Caesar dann die Provinz Africa Nova. Als Statthalter setzte er Sallust ein. Der beutete das Land dann derart aus, daß er nur gegen sehr hohe Bestechungssummen in Rom freigesprochen wurde. In seinem Geschichtswerk präsentiert er sich als Vertreter der altrömischen Moral. Vermutlich machten Caesar in Numidien auch die Könige der angrenzenden Gebiete ihre Aufwartung. Wir hören jedenfalls, daß er an Eunoë, der Gattin des Bogud, Königs des westlichen Mauretanien (im heutigen Marokko) Gefallen gefunden hat und ihr wie ihrem Mann zahlreiche kostbare Geschenke machte. Danach ordnete er die Verhältnisse in der alten Provinz. Allen, die es mit seinen Gegnern gehalten hatten, Einzelnen und Städten, erlegte er hohe Geldstrafen auf. Die Gegner begnadigte er zum guten Teil, doch ließ er auch mehrere hinrichten, andere kamen auf eine Weise ums Leben, daß nicht recht klar war, ob es wirklich gegen seinen Willen geschah. Einigen gelang die Flucht. Die Korrespondenz Scipios, die er
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in dessen Lager erbeutet hatte, ließ er wie einst die des Pompeius ungelesen verbrennen. Mitte Juni begab sich Caesar nach Sardinien, »dem einzigen seiner Landgüter, das er noch nicht in Augenschein genommen hatte«, wie Cicero sarkastisch bemerkte. Auch dort gab es einiges zu strafen. Den größten Teil der Flotte schickte er von da nach Spanien, denn die Unruhen auf der Halbinsel hatten um sich gegriffen, und einer der Söhne des Pompeius hatte sich inzwischen an die Spitze der Empörer gestellt. Außerdem hatte ein pompeianischer Abenteurer Caesars Statthalter in Syrien ermordet und die Provinz an sich gebracht. Aber Caesar mochte hoffen, dieser Störungen durch Beauftragte Herr zu werden. Für ihn war der Krieg zu Ende. Am 25. Juli war er zurück in Rom. »Die Schwierigkeiten wachsen, je näher man dem Ziele kommt«, heißt es in Goethes Wahlverwandtschaften. Einstweilen war jedenfalls Caesars Ungeduld gewachsen, das Ende des Krieges zu erreichen. Könnte es solche Ungeduld sein, was, wenn das Ziel hochgespannt ist, die Schwierigkeiten erst recht sich auftürmen läßt? Aber was ist, wenn man sich fragen muß, ob das Ziel, die Sicherung der eigenen Ehre, wirklich den Aufwand so langer, blutiger Kriege gelohnt habe? In seiner Welt in Gallien mag der Aufwand zugleich Ziel gewesen sein, wenn Caesar denn die Anstrengungen wenig bedeutet hätten gegenüber dem Bewußtsein, höchsten Ansprüchen zu genügen. Souverän wie dort hatte er auch jetzt noch jede Situation bestehen können; hatte das auch nötig angesichts mancher Leichtfertigkeiten. Aber muß es ihm nicht schal geworden sein, dieses ewige Kriegführen? Waren nur seine Veteranen so verbissen, endlich ans Ziel zu kommen? Und vor allem: Mußte vom Aufwand her nicht auch das Ziel steigen, aus dem bewußten oder unbewußten Bedürfnis, Aufwand und Ziel in eine angemessene Relation zu bringen? Doch mochte ihn auch Müdigkeit überkommen, wie es eben geschieht, wenn man am Ende unendlicher Mühen angelangt, wenn, was einen so lange beseelt hat, erledigt ist; wenn man
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am Ziel ist, ohne sich dessen gleich freuen zu können. »Lange genug habe ich gelebt, sowohl für die Natur als auch für den Ruhm«, hat Caesar wenig später in Rom erklärt. Er hat es, wie wir hören, »allzuoft« gesagt, vielleicht also auch schon vorher, bei der Rückfahrt, vor der Rückfahrt; und er mag Ähnliches schon empfunden haben, als seine Ungeduld drängender wurde. Man würde dann den langen Aufenthalt in Ägypten noch besser verstehen; auch daß er jemand brauchte, mit dem er sich in aller Intimität wieder darüber besprechen konnte, wozu er alle jene Anstrengungen unternehmen mußte; wozu er lebte. Denn auch das mußte dann offen sein. Und Kleopatra hätte darauf dann nicht nur theoretisch zu erwidern gewußt. Um diese Zeit lud er sie jedenfalls ein, nach Rom zu kommen; im Herbst scheint sie dort eingetroffen zu sein. Müde und abgespannt, befreit und mit einigen Erwartungen, auf Neues sich sammelnd wird Caesar nach Rom gefahren sein. Zur Resignation versucht und zugleich sich, seinem Krieg, seinen Getreuen – und vermutlich auch dem Gemeinwesen – hoch verpflichtet; nur, verpflichtet wozu?
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Das Scheitern nach dem Sieg »Wenn du Unrecht tust, wirst du König« • Pessimismus in Rom • Senatsbeschlüsse über Vollmachten und Ehren • Halbgott • Dictator auf zehn Jahre • Fremdheit und Isolierung: Konnte er Macht über die Verhältnisse gewinnen? Der Krieg, um Caesars Ehre und Sicherheit willen eröffnet, hatte zum Nebeneffekt, daß er Rom und dessen ganzen Herrschaftsbereich in seine Hand bekam. Seine Soldaten spotteten beim Triumph darüber mit dem Vers: »Wenn du dich ans Recht hältst, wirst du verurteilt, wenn du Unrecht tust, wirst du König.« Hatte er das gewollt? Hatte er damit gerechnet? War er auf diese Beute wirklich vorbereitet? Wußte er, daß sich damit Aufgaben von einer kaum ermeßlichen Schwierigkeit ihm neuerdings zu stellen begannen? Daß er im Grunde nicht am Ziel, sondern an einem neuen Anfang stand? Lag dieses Wissen vielleicht hinter dem Satz, daß er genug gelebt habe? Selbstverständlich empfing ihn die römische Gesellschaft vor den Toren der Stadt, als er dort mit seinen Liktoren, die Rutenbündel auf Grund des Siegs mit Lorbeer geschmückt, mit einigem Militär und großem zivilen Geleit anlangte. Erstmals kam er nicht, um in aller Eile das Notwendigste für den Krieg zu tun, sondern zu einem unbegrenzten Aufenthalt. Roms gute Gesellschaft strömte ihm entgegen, weil sie sich einzurichten hatte mit dem Sieger, teilweise auch aus Schaulust, wie noch viele andere, die sich ihr anschlossen. Was Caesar vorhatte, war völlig ungewiß. Nichts hatte er offenbar wissen lassen außer dem Termin seiner Ankunft und vielleicht einigen Wünschen nach Vollmachten und Ehren. Es gab viel Pessimismus; man befürchtete eine Monarchie, ein Regnum, wie es römisch hieß; wir übersetzen: Königtum, aber die Römer verstanden darunter, wenn es um Rom ging, Tyrannis. Usurpation, Willkür, Unrecht gehörten dazu.
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In dem Pessimismus mag etwas Apotropäisches enthalten gewesen sein; die stille Hoffnung, daß es so schlimm doch nicht käme. Aber alles hing von ihm ab, und es war eine bange, beklemmende Lage, daß man darauf zu warten hatte, was er für recht zu halten gesonnen war. Eine Sache, die den Senat mit ihm – wie einst mit Sulla – verbunden hätte, gab es nicht. Wohl hatte er immer wieder erklärt, die Republik solle frei sein, Senat und Volk sollten über alles zu entscheiden haben; aber konnte das auch für den Fall gelten, daß sie beschlossen, was Caesar nicht wollte? Was erklärt man nicht schon, wenn man die Macht will; und was gilt davon noch, wenn man sie hat? Gerade weil er keine Sache hatte, und allerdings auch weil die führende Schicht seinen Krieg als Unrecht betrachtete und ihm mit größtem Mißtrauen begegnete, war dieser Sieg eine Unterwerfung. Gerade weil Caesar, anders als Sulla, seine Gegner nicht beseitigt hatte, mußte der Sieger sich gegen die Besiegten schützen. Aufs Ganze gesehen, war er politisch in der Minderheit. Obendrein war er stark isoliert. Er konnte nicht, wie geehrt immer, ins Glied zurücktreten, nicht wie Sulla sich aus einer neu eingerichteten Republik eliminieren. Er mußte sich vielmehr behaupten, verteidigen, also seine Stellung befestigen. Bei aller Großzügigkeit, bei aller Liebenswürdigkeit, gerade dabei, konnte man nicht sicher sein, ob er Senat und Bürgerschaft politisch oder nur sozial zu nehmen gewillt war – als Teile der Republik oder nur als Gesellschaft, die Leben, Wohlfahrt und Ehren genießen, aber nicht mehr das Ganze des Gemeinwesens sein, mitreden oder gar entscheiden sollte. »Keiner soll mehr als die Gesetze und der Senat vermögen«, hat Cicero später erklärt. Eben das kennzeichnete die Republik. Einstweilen aber vermochte Caesar alles. Man mußte sehen, was er wollte. Einstweilen empfahl es sich, in Deckung zu bleiben. Nur eines hatten die Senatoren vor Caesars Rückkehr getan; möglicherweise mindestens zum Teil auf seine direkte oder indirekte Anregung hin: Sie hatten ihm – außer den Trium-
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phen – eine Reihe außerordentlicher Vollmachten und Ehren beschlossen. Vierzig Tage lang sollte die Supplicatio für seinen Sieg dauern. Beim Triumph sollte sein Wagen von Schimmeln gezogen werden, zweiundsiebzig Liktoren sollten ihm vorangehen. Sein Triumphalwagen sollte dann auf dem Capitol vor der Juppiter-Statue aufgestellt werden, darauf eine Bronzestatue von ihm, die auf einem Abbild der Welt, einem Globus, stehen sollte; und auf ihr war eine Inschrift anzubringen, auf der Caesar als Halbgott bezeichnet sein sollte. Der Senat beschloß ferner, daß Caesar zehn Jahre hintereinander die Dictatur bekleiden sollte. Er wählte ihn auch auf drei Jahre zum Praefectus Morum, zum Sittenvorsteher, einem Amt, das es nicht gab, das aber offenbar mit den Vollmachten der Censur ausgestattet sein sollte. Er durfte künftig stets auf dem magistratischen Sessel Platz nehmen, bei allen Senatssitzungen an erster Stelle seine Meinung sagen, das Signal bei der Eröffnung aller Spiele geben. Er sollte ferner das Recht haben, alle Magistrate zu ernennen. Mehrere dieser Beschlüsse waren von der Volksversammlung mit Gesetzeskraft versehen worden. Sie waren nicht ohne Phantasie erdacht, müssen freilich kein Ausdruck von Staatsweisheit gewesen sein, brauchen vor allem nicht aus einem zusammenhängenden Plan heraus verstanden zu werden. Im Senat saßen neben alten Senatoren zahlreiche neu aufgenommene Anhänger Caesars. Auch diese fühlten sich nicht einfach als Instrumente; mindestens nach Caesars Tod wird offenkundig, daß viele von ihnen ihrer Rolle als Senatoren im alten Sinne, soweit sie konnten, gerecht zu werden suchten. Ob es aber eine Führungsgruppe mit Autorität und einigermaßen geschlossener Vorstellung von der einzuschlagenden Richtung senatorischer Politik gab, ist höchst fraglich. Vermutlich trafen die Bewunderung für Caesar und der Wunsch, ihm zu huldigen, auf der einen Seite zusammen mit Furcht, Mißtrauen und Unsicherheit auf der anderen, um den Senat zu seinen Beschlüssen bereit zu machen. Interessanter ist die Frage, wie weit Direktiven von Caesar vorlagen. Sie ist nicht zu beantworten, weder mit Sicherheit noch mit
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Wahrscheinlichkeit. Nur eines wissen wir: Daß er die Vollmachten und Ehrungen mindestens zum guten Teil nicht abgewehrt, sondern angenommen hat. Sie müssen – ob er nun trieb oder sich treiben ließ – in seinem Sinne gewesen sein. Den Halbgott soll er allerdings – vielleicht aus nachträglicher Einsicht – später getilgt haben. Die Ehren dokumentierten mindestens in der Darstellung Caesars als Weltherrscher, daß seine Dignitas ins Unermeßliche gestiegen war. Die Senatoren waren konsequent: Sie nahmen den Anspruch darauf ähnlich absolut, ähnlich übermenschlich, wie Caesar es getan hatte. Wie Anlaß und Maß seiner Leistung alles Gewohnte, Römische, Menschliche zu übersteigen schien, so tat es ihre Ehrung: Er sollte sich nicht zu beklagen haben. Wenn sie nicht auf seine Anregung handelten, so weil sie annahmen, daß er es so erwartete. Gerade einem Mann, von dem man nicht wußte, was er wollte, der aber mächtig und gefürchtet, stolz und überragend war, mußte man seine Höhe bestätigen. Daß Caesar von Venus abstammte und von ihr sichtlich ungemein begünstigt wurde, mag es erleichtert haben, ihm die Qualität eines Halbgotts zuzuerkennen. Einige Vollmachten mußte man ihm wohl geben, und sei es, damit er nicht außerhalb des Rechts sich allzu frei fühlte. Die Betrauung mit der Dictatur war diesmal nicht notwendig; Caesar war ja Consul. Aber vielleicht erschien sie als praktisch, wenn das Consulat auslief, damit er sich nicht wieder eine der Consulstellen zu nehmen brauchte. Unklar ist allerdings, warum Caesar sie gleich auf zehn Jahre haben mußte. Niemals hatte es so etwas in Rom gegeben; vor Caesar war nur Sulla länger als ein halbes Jahr Dictator gewesen; der aber hatte den Auftrag gehabt, die Ordnung der Republik wiederherzustellen. Caesar dagegen hat einen solchen Auftrag nicht bekommen und mindestens nach den herkömmlichen Vorstellungen hätte er nicht zehn Jahre gebraucht, ihn auszuführen. Wollte man, falls man nicht einfach einem – geäußerten oder vermuteten – Wunsch Caesars gehorchte, ihn durch die großzügige Bewilligung von der Einrichtung einer Monarchie abhalten? Dann hätte man ihm die Vollmachten für eine Monarchie
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gegeben, diese aber als Ausnahme deklariert. Denn zum Wesen der römischen Dictatur gehörte ihr exzeptioneller Charakter. Die Vollmachten, die herkömmlich mit ihr verbunden waren, bezogen sich vornehmlich, wenn auch nicht ausschließlich, auf das Militärwesen. Sie waren nicht genau festgelegt, hingen – wie alle Vollmachten römischer Magistrate – auch von der Situation ab. Entscheidend war, daß der Dictator keinen Collegen hatte, der ihm notfalls mit seinem Veto Grenzen setzen konnte; wie weit ein Volkstribun ihn an etwas hindern konnte, war eine offene Frage. Alle Willkür, so wurde erwartet, mußte streng sachbezogen sein. Die Gesetze waren gegenüber der Dictatur keineswegs außer Kraft gesetzt, und der Dictator wußte, daß er nachher wieder in die Gleichheit der Oligarchie zurückzutreten hatte. In alten Zeiten glaubte man, im Notfall einem Einzelnen so umfassende Vollmachten gewähren zu können, weil man sich letztlich der eigenen Ordnung gewiß war. Im Fall Caesars tat man es vermutlich, weil der alte Ausnahmemagistrat seiner Macht eine rechtliche Form und damit gewisse Grenzen auferlegte. Umgekehrt mag man gehofft haben, daß Caesar, wenn man ihm so großzügig Vollmachten einräumte, dem Senat künftig freundlicher gegenüberstehen und ihn mitentscheiden lassen würde. War die Dictatur primär auf die Leitung der laufenden Geschäfte festgelegt, so bezog sich die Sittenaufsicht auf die Pflege der Grundlagen des öffentlichen Lebens. Die Censoren hatten das jedenfalls zu besorgen gehabt, von der Zusammensetzung der Stände, der Census-Classen, der Wahlbezirke bis zur Sorge für den Bau von Straßen, Wasserleitungen, öffentlichen Gebäuden sowie der Verpachtung der Gemeindeeinnahmen. Nicht zuletzt hatten sie darauf zu sehen, daß die Angehörigen von Ständen und Classen sich auch ihres politisch-gesellschaftlichen Ranges als würdig erwiesen. Angesichts der starken Lockerung aller Bindungen, die schon in den letzten Jahren der Republik überhand genommen hatte, hatte Caesars Sittenaufsicht einen reformatorischen Charakter. Im engeren Sinne politisch war daran, daß er Senat und Ritterstand säubern und ergänzen konnte.
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Das Recht der Ernennung von Magistraten hat er, soweit wir wissen, nicht – oder höchstens einmal – wahrgenommen. Aber er hat die Wahlen zumeist geleitet, und es war kaum möglich, gegen seinen Willen gewählt zu werden. Immerhin mochte es vorkommen, daß zwischen verschiedenen, ihm grundsätzlich genehmen Kandidaten zu wählen war. Und das wiederum konnte ihm nur lieb sein; dann vermied er den Ärger, der unter seinen Anhängern entstehen mußte, wenn er den einen dem anderen vorzog. Die Beschlüsse des Senats gaben Caesar nichts, was er sich nicht hätte nehmen können. Sie schrieben nur fest, was er getan hatte und was er inzwischen geworden war. Und durch die rechtliche Form fügten sie es in gewisse, wenn auch großzügig gezogene Grenzen. Im Grunde spiegelten sie lediglich die durch den Sieg im Bürgerkrieg entstandene Lage, waren jedenfalls ein Zeugnis der Schwierigkeit, Caesar zu begegnen. Sie weisen auf eine wechselseitige Festlegung, der gegenüber die Frage, wer diese Beschlüsse angeregt hat, so interessant sie ist, an Wichtigkeit verliert. Seine Isolierung hatte sich gleichsam von der Horizontale in die Vertikale verschoben: Erst hatte er außerhalb gestanden, jetzt stand er über den Senatoren; viel fremder noch als vorher. Daran orientierten sich die Befürchtungen, sie setzten sich um in Erwartungen ihm gegenüber, die wiederum auf die Erwartungen trafen, die er seinerseits an sie richtete. Erwartungen und Erwartungserwartungen mögen sich so kumuliert haben, daß gerade der aus der gesamten Gesellschaft herausgehobene Dictator und Halbgott in eine besondere Verwicklung mit dieser Gesellschaft, nämlich in einen Prozeß der gegenseitigen Abstoßung, geraten konnte. Wenn man einen Menschen erst mal zum Halbgott macht, verhält man sich auch entsprechend, dann wirkt vieles darauf hin, daß er es auch wird. Das aber wird schwierig in einer Bürgerschaft, die jahrhundertelang Republik gewesen war und in dieser Form die Welt erobert hatte, in der zudem keiner fand, daß die Republik überholt sei; so vieles an ihr nicht mehr stimmte. Konnte sich Caesar dieser Republik einfügen? Oder konnte
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er ein neues Ganzes konzipieren und schaffen, das höher, umfassender war als die Republik, so daß die Gesellschaft sich um seinetwillen mit dem Regime eines Monarchen abfinden konnte? Oder konnte er evident machen, daß man ihn brauchte, um die Krise der Republik zu überwinden, auf daß diese dann ohne ihn weiterleben konnte? Der Sieg im Bürgerkrieg hatte ihm die Macht in den Verhältnissen gegeben. Die Frage war, ob er nun auch Macht über die Verhältnisse gewinnen konnte. Caesar in Rom Das Problem und die Frage, wie Caesar es sah • Ciceros Mahnung zur Wiederherstellung der Republik • Für sich und den Ruhm genug gelebt? • Ein unwürdiger Zustand • Triumphe, Schauspiele, das Forum unter dem Sonnendach • Eröffnung des Forum Julium • Projekte • Das Pathos der Leistung • Welt von Aufgaben und Personen • Mißverständnisse • Enttäuschungen Mit den Siegen im Bürgerkrieg stellte sich, so sollte man denken, die vielfältige Aufgabe einer Neuordnung des Gemeinwesens. Es war da jedenfalls vieles ins Lot zu bringen. Die künftige Stellung des Siegers war zu bestimmen, sein Vorrang oder gar seine Herrschaft auszubauen und zu sichern. Seine Soldaten und Anhänger mußten belohnt werden, materiell, gesellschaftlich, vielleicht auch politisch. Mit Neutralen und Gegnern war irgendein Arrangement zu treffen, jedenfalls mußte ihnen deutlich gemacht werden, was künftig zu gelten hatte. Der Krieg hatte wesentliche Lebensbedingungen zerstört oder erschüttert. Die alte Führungsschicht war ihm weitgehend zum Opfer gefallen. Die Arbeit der politischen Institutionen war tief beeinträchtigt. Die wirtschaftliche Situation berei-
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tete Kopfzerbrechen. Nicht zuletzt war im Herrschaftsbereich vieles durcheinander geraten. Schließlich fragt man sich, ob Caesar sich nicht auch vor der Frage fand, wie er die mannigfaltigen Mißstände der Vorkriegszeit innerhalb einer neuen Ordnung beheben, verhüten oder vermindern könnte. Die Problematik des damaligen Rom umfaßte fast alle Teile seiner Gesellschaft wie seines Herrschaftsbereichs: Hoch wie Niedrig, Reich wie Arm, Militär wie Zivil, Bürger wie die Untertanen in der Provinz. Zwischen Recht und Praxis, Notwendigkeiten und Möglichkeiten, den diversen Erwartungen und Forderungen klaffte eine weite Diskrepanz. Die Folge waren viele Konflikte. Vor allem wußten die Menschen nicht mehr, woran sie waren, hatten es schon vor 49 nicht mehr recht gewußt. Zuviel war ungewiß, zuviel möglich. Im Grunde war alles in der Schwebe. Die zentrale Aufgabe lag im Politischen. Wie sollte künftig regiert werden? Wie sollten Willensbildung und politischer Ausgleich zwischen den Kräften stattfinden? Wie sollte überhaupt die Macht verteilt sein? Sollten die alten Institutionen, vielleicht modifiziert, wieder in Kraft gesetzt werden? Oder sollte eine Monarchie an die Stelle der republikanischen Ordnung treten? Und wenn, wie sollte sie aufgebaut sein, welche Rolle sollten die führenden Persönlichkeiten, der Senat und die verschiedenen Schichten in ihr spielen? An der Lösung der politischen Aufgabe hing alles andere. Denn hier standen der Friede und die Stabilität des Gemeinwesens auf dem Spiel. Mißlang die politische Konsolidierung, so drohte neuer Bürgerkrieg und alles, was sonst vielleicht geschafft oder wiederhergestellt worden war, mußte von neuem gefährdet sein. Zuständig für die Neuordnung war Caesar. Er war der Sieger, hatte von Senat und Volk umfangreiche Vollmachten erhalten. Ohne seinen Willen war nichts ins Werk zu setzen. Auch ohne daß er einen Auftrag zur Wiederherstellung des Gemeinwesens erhalten hätte, mußte bei ihm die Verantwortung liegen.
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Wenn man nun aber die Probleme so formuliert, so darf nicht vergessen werden, daß dabei die Perspektive unserer Zeit bestimmend ist. Ob sie sich Caesar oder seinen Zeitgenossen insgesamt ebenso darstellten wie uns am grünen Tisch, ist fraglich. Einiges drängte sich in der Tat auf. Anderes wieder ist vielleicht erst uns deutlich, die wir wissen – oder zu wissen glauben –, daß die republikanische Form angesichts der Machtverhältnisse und der Anforderungen, denen sie zu genügen hatte, überholt war; daß in der Tat erst die Monarchie die Lösung der Krise brachte. Es tat dies freilich eine Monarchie, die das republikanische Wissen und Selbstverständnis der römischen Gesellschaft möglichst schonte, die sich konservativ und als Wiederherstellung der Republik drapierte und in gewissen Grenzen eine Alternative zum Bestehenden aufzubauen vermochte. Uns liegt es nahe, den Zeitgenossen grundsätzliche Überlegungen darüber zuzusprechen, in welchen Formen sie künftig leben und Roms Schwierigkeiten bewältigen wollten. Wir sind darauf geeicht, nach zusammenhängenden Konzeptionen zu suchen. Es erscheint uns auch allzu leicht als natürlich, daß Menschen den Willen haben, Institutionen zu entwickeln, die für all ihre Aufgaben geeignet sind. Aber vielleicht setzen wir dabei einen Abstand zum Bestehenden voraus, den die Zeitgenossen gar nicht haben konnten – und den wir unserer eigenen Zeit gegenüber möglicherweise auch mehr scheinbar als wirklich haben. Wir dürfen also nicht einfach damit beginnen, die Aufgabe, wie sie sich uns heute – ex eventu wie von neuzeitlichen Denk-, Problemlösungsund Selbsttäuschungsweisen her – darstellt, zu umreißen und dann in Worten und Taten der damaligen Römer Antworten im Rahmen einer derart angenommenen Problematik zu suchen: Man spricht ihnen dann vielleicht unbewußt einen Zusammenhang zu, in den sie gar nicht gehören. Vielmehr muß man sich offenhalten für die Möglichkeit, daß Caesar und – auf andere Weise – seine Standesgenossen die zentralen politischen Probleme gar nicht gesehen haben. Es ist ja nicht einmal einfach zu ermitteln, wie weit und worin sie überhaupt die Krise ihrer
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Zeit erkannten. Man darf ihr Wissen jedenfalls nicht mit unserem verwechseln. Eine Quelle besitzen wir allerdings, die uns über die Erwartungen mindestens Ciceros, aber vermutlich auch der meisten Senatoren, wenn nicht sogar breitester Kreise der Bürgerschaft orientiert. Das ist die Rede, die Cicero in diesen Monaten im Senat hielt, als Caesar einem seiner schärfsten Gegner, dem Consul von 51 Marcus Claudius Marcellus, die Rückkehr nach Rom gestattet hatte. Nach Dank und Lob – damals sagte er, daß Caesar noch seinen Sieg besiegt habe – kommt Cicero dort auf die Aufgaben zu sprechen, die sich Caesar nun stellten. Der hatte dem Senat Mitteilung von einem geplanten Anschlag auf sein Leben gemacht; angeblich war ein gedungener Mörder bei ihm aufgegriffen worden. Später wurde Antonius damit in Verbindung gebracht; es könnte durchaus sein, daß die Unzufriedenheit mit Caesars in vieler Hinsicht maßvoller Politik hinter den Plänen stand. Nun kommt Cicero auf Caesars Äußerung zurück, wonach er für sich genug gelebt habe, und widerspricht: Für die Vaterstadt sei es ganz gewiß noch zu wenig. Alles sei wieder aufzurichten, was der Krieg notwendigerweise niedergestreckt habe: »Gerichte sind zu bilden, Treu und Glauben wieder zu beleben, die allseits wuchernde Willkür in Schranken zu weisen, Nachwuchs muß wieder hervorgebracht werden, alles, was schon aufgelöst auseinander geflossen ist, muß durch strenge Gesetze wieder zusammengebunden werden.« Die Republik ist erschüttert in dem, was ihre Würde, ihr Recht ausmacht, und in dem, was die Gewähr ihrer Stabilität bietet. Nicht einmal die Grundlagen sind geschaffen, die Caesar, wie Cicero ihm zuspricht, im Sinn hat. Nur er kann die Wunden heilen, die der Krieg schlug. Cicero hält Caesar vor, er habe zwar mehr Ruhm als irgendein anderer, aber eben deswegen sei es für ihn nicht genug, wenn noch soviel zu tun übrig sei. »Wenn du nach deinem Sieg das Gemeinwesen in dem Zustand hinterläßt, in dem es sich befindet, mußt du in Sorge sein, daß dein göttliches Leistungsvermögen mehr Staunen als Ruhm nach sich ziehen
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wird.« Dann würde sein Name weit und breit umherschweifen, aber keinen dauerhaften Ort haben. Dies ist vielmehr nur möglich, wenn Caesar seine Pflicht gegenüber seinen Bürgern, seiner Vaterstadt und dem ganzen Menschengeschlecht erfüllt. Ciceros Erwartung bezieht sich also auf die Wiederherstellung eines geordneten, rechtmäßigen Lebens nach den Erschütterungen des Krieges. Über eine eventuelle Veränderung verliert er kein Wort. Modifikationen wird er nicht ausgeschlossen haben. Welches Caesars zukünftige Stellung sein soll, läßt er offen. Der lateinische Fachausdruck für eine solche Aufgabe, rem publicam constituere, hatte einst dazu gedient, den Auftrag an Sulla zu umschreiben. Und Cicero hatte in seinem Buch Über das Gemeinwesen von 54 auch schon angedeutet, daß in Notlagen nur ein Dictator helfen könnte. Er hatte freilich gemeint, daß der sich hinterher wieder in den Kreis der Principes einfügte. Aber deutlich bringt Cicero auch seine Zweifel vor: daß Caesar wieder nur an sich denke. Wenn er das »ganze Menschengeschlecht« zitiert, hört es sich an, wie wenn er von Caesars Gedanken am Rubicon gehört hätte. Es ist nicht ausgeschlossen. Aber man braucht nicht damit zu rechnen; denn jeder wußte, daß Caesars Krieg alle in Mitleidenschaft gezogen hatte. Wie sollte er nun nicht für das Wohl aller die Verantwortung haben? Um so bemerkenswerter ist es daher, daß Cicero annimmt, Caesar könne für die Aufgabe, die sich ihm stellte, nur durch den Hinweis auf den Ruhm gewonnen werden, den er erntete, wenn er sie löste, und verlor, wenn er sie verfehlte. Offensichtlich setzte er nicht viel Hoffnung darauf, daß Caesar seiner Forderung nachkäme. In seinen Briefen aus jenen Monaten finden wir ihn Caesar rühmen, daß der von Tag zu Tag mehr zu Billigkeit und Vernunft zurückkehre, daß er zugänglicher werde. Er fürchtet ihn nicht: Zwar lasse er sich durch seine Spione alle Äußerungen Ciceros – wie diejenigen anderer – vorlegen, aber er habe ein so feines Gespür, daß er Ciceros Aussprüche von denen, die ihm untergeschoben würden, unterscheiden könne. Einmal findet Cicero auch,
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daß Caesar noch das Erfreulichste sei; alles andere sei schwer erträglich. Aber eine res publica sei das nicht, worin man lebe, und ob Caesar daran etwas ändern werde, sei ganz unsicher. »Wenn er das Gemeinwesen so haben will, wie vielleicht auch er es will und wie wir es alle wünschen müssen, so hat er doch nicht, was er tun könnte; so tief hat er sich mit vielen eingelassen.« Auch Caesar weiß nicht, was sein wird; denn er hängt von den Verhältnissen ab. Er sei auch gar nicht Herr seiner Entschlüsse, heißt es. Denn vieles müsse der Sieger nach dem Willen derer tun, die ihm den Sieg verschafft haben, auch wenn er es nicht will. Ein anderes Mal schreibt Cicero, Caesar frage nicht mal die Seinen um Rat. Nur mußte er ihnen eben zu Willen sein. Cicero pflegte damals beste Beziehungen zu Caesars engsten Vertrauten; aber über dessen Pläne weiß er nichts zu berichten. Es ist ihm alles unklar und unsicher. Er leidet unter der völligen Ungewißheit. Caesar scheint also alles offengelassen zu haben. Wir haben allen Grund zu der Annahme, daß er den Erwartungen auf eine Wiederherstellung der alten Republik nie widersprochen hat. Aber ebenso wahrscheinlich ist zugleich, daß er sich über seine eigenen Absichten – von Einzelheiten abgesehen – zugleich ausgeschwiegen hat; auch gegenüber seinen engsten Vertrauten. Wohl ist für ihn der Ausspruch bezeugt: »Nichts ist die res publica; ein bloßer Name ohne Körper und Gestalt.« Aber das hat er vermutlich im Affekt gesagt. Und wir finden übrigens ganz ähnliche Äußerungen bei Cicero, der schon 54 feststellte, daß das Gemeinwesen »nicht nur allen Saft, alles Blut, sondern selbst die Farbe und die frühere Gestalt verloren« habe. Nur daß solche Bemerkungen bei Cicero voller Bedauern stecken. Jedenfalls aber darf man Caesars Worte, welche noch dazu ein Gegner bezeugt, schon deswegen nicht auf die Goldwaage legen, weil res publica damals nicht einfach Republik, sondern auch rechtliche Ordnung und Gemeinwesen im allgemeinsten Sinn bedeutete. Wenn Caesar die Republik verneint
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haben sollte, so konnte er doch die rechtliche Ordnung und das Gemeinwesen nicht negieren. Im Gegenteil: Cicero etwa achtete sorgfältig darauf, daß Caesar nicht den Eindruck bekäme, er hielte den bestehenden Zustand nicht für eine res publica. Freilich hat Caesar auch festgestellt, Sulla habe das Alphabet nicht gekannt, da er die Dictatur niedergelegt habe. Und in der Tat spricht wenig dafür, daß Caesar ihn nachahmen wollte. Aber das hatte auch damit zu tun, daß in der Tat alles an ihm hing. Falls ihm etwas zustoße, werde die res publica keine Ruhe haben und nur noch schlimmere Bürgerkriege erleben, pflegte er zu sagen. Dies wiederum war dadurch bedingt, daß er es mindestens so rasch nicht fertigbrachte, die Dinge in eine Ordnung zu bringen, in der es ohne ihn gegangen wäre. Eben diese Schwierigkeit könnte ihm schwer zugesetzt haben. Aber wie dem auch sei, die römische Gesellschaft war jedenfalls dringend daran interessiert, daß wieder eine verläßliche Ordnung entstand. Wohl wird sie bereit gewesen sein, Caesar das Seine zuzusprechen; es blieb gar nichts anderes übrig. Aber sie erwartete doch, daß, wenn schon nicht die alte Ordnung, so wenigstens eine Art von Rechtlichkeit konstituiert würde. Es mußte Sicherheiten, Verantwortlichkeiten, Kompetenzen geben. Cicero formuliert später zum Beispiel den Wunsch nach ruhigen Verhältnissen und »irgendeinem, wenn nicht guten, so doch wenigstens feststehenden Zustand des Gemeinwesens«. Das scheint sich schon von der alten Republik zu entfernen, schließt aber noch »ehrenvolle Sorgen und Betätigungen« ein. Andernfalls könne das Leben nicht mehr viel bieten. Zur »ehrenvollen Betätigung« jedoch mußte gehören, daß eine Chance bestand, Erfolg innerhalb der politischen Auseinandersetzung zu erkämpfen, ihn also nicht der Gnade und Willkür eines anderen zu verdanken. Er schreibt damals: »Wenn Dignitas ist, recht über das Gemeinwesen zu denken und den Beifall der Guten zu gewinnen für das, was man denkt, habe ich meine Dignitas bewahrt.« Dafür sprach etwa auch, daß die morgendliche Visite, die bei allen Adligen stattzufinden pflegte, bei ihm besonders stark besucht war. »Wenn sie aber darin liegt, daß
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Du, was Du denkst, entweder in die Tat umsetzen oder wenigstens in freier Rede vertreten kannst, dann ist uns nicht eine Spur von Dignitas übriggeblieben, und es ist schon eine Leistung, wenn wir uns selbst so regieren, daß wir das, was teils schon ist, teils droht, maßvoll ertragen.« Eben das war ein unwürdiger Zustand. Es konnte nicht alles an einem Einzigen hängen. Die römische Gesellschaft war es gewohnt, daß ihre Mitglieder selbständig, wenn auch im Rahmen von vielerlei Beziehungen ihre Interessen verfochten. Der Rang, die Ehre der Persönlichkeiten hingen daran. Gesellschaftliches Leben war weithin politisches Leben. Caesar hatte also, so erwartete man, wieder den Rahmen einer Ordnung herzustellen, die selbstverständlich und stabil war, das heißt ein Eigengewicht hatte; selbst wenn sie – wie es schon die Verleihung der Dictatur ausdrückte – Caesar großen Einfluß einräumte. Er sollte die höchste Macht, aber doch nicht alle Macht haben. Es durfte nicht alles in der Ungewißheit seiner Entscheidung beschlossen sein. Man brauchte zugleich Institutionen, kraft derer inmitten der Bürgerschaft, statt durch Gnade von oben, alles ausgetragen werden konnte. Caesar konnte doch nicht das ganze gesellschaftliche Leben, wie es bisher verstanden wurde, außer Kraft setzen. So etwa müssen die Erwartungen gewesen sein, die damals an ihn herangetragen wurden; nicht nur von Cicero. Man sollte hinzufügen, daß Caesar, auch wenn er eine Monarchie schaffen wollte, doch irgendeine Form institutioneller Ordnung herstellen mußte, die in beachtlichem Maße in der Lage war, sich selbst zu tragen. Jedenfalls mußte er sich irgendwie erklären. Allein, falls er dieses Problem überhaupt sah, so hat er es vor sich hergeschoben. Er hatte Dringenderes zu tun. Nach der Rückkehr hielt Caesar begütigende Reden vor Senat und Volk, sie sollten nicht besorgt sein; er wolle keine Tyrannis aufrichten, sich vielmehr mit den Senatoren beraten. Dies letztere hat er denn auch getan, freilich kaum sehr häufig.
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Nicht die geringste Sorge Caesars galt der Feier seiner Triumphe sowie den anderen Festlichkeiten, die er plante. Über viele Tage wollte er Rom in den Bann glänzendster Feiern schlagen. Es sollte für alle Sinne und auf die verschiedensten Weisen sichtbar, greifbar, fühlbar werden, was er und seine Soldaten vollbracht hatten; worauf sich sein Anspruch gründete und wer er war. Vieles muß er schon von längerer Hand eingeleitet haben; nicht zuletzt die Baupolitik. Die Einweihung seines Forums geschah nämlich im Rahmen dieser Festlichkeiten während des September 46. Vier Triumphe hatte er zu feiern: Über Gallien, Ägypten, Pontos und Africa. Der Sieg über Pompeius und seine Armeen gehörte nicht dazu. Aber beim africanischen Triumph konnte Caesar es nicht lassen, den Tod Catos und anderer auf großen Schautafeln darzustellen, was viel Ärger erregte. Implizit oder explizit muß er sie als Sklaven des Numider-Königs Juba bezeichnet haben. Die Triumphzüge begannen auf dem Marsfeld, führten am Circus Flaminius vorbei, dann über das Velabrum, schließlich über die Via Sacra und das Forum, um am Tempel des Juppiter Optimus Maximus zu enden. Durch die von Zuschauern dicht gesäumten Straßen zogen zuerst lange Kolonnen mit Beutestücken, Trophäen und kostbaren Schätzen sowie mit großen Schautafeln: gemalten Darstellungen von Schlachten, Aufstellungen und Landkarten. Wenn man später wußte, daß Caesar fünfzig Schlachten geschlagen und 1.192.000 Gegner getötet hatte, so beruht das vermutlich auf einer Addition von Zahlen, die er bei Triumphen stolz vorwies. Daran schlossen sich die Gefangenen; Vercingetorix, Kleopatras Schwester Arsinoë und der Sohn des Königs Juba stachen unter ihnen hervor. Daß eine Frau mitgeführt wurde, war skandalös. Immerhin hat Caesar sie und Juba dann überleben lassen, während er Vercingetorix nach fast sechsjähriger Kerkerhaft als wortbrüchigen Rebellen hinrichten ließ. Feierlich kam dann die lange Reihe der Liktoren mit ihren lorbeerumwundenen Rutenbündeln daher. Danach der Feldherr selbst auf einem von vier Schimmeln gezogenen Wagen,
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herkömmlicherweise gekleidet in eine Purpurtoga, einen Lorbeerkranz auf dem Haupt, ein Adlerszepter in der Hand, das Gesicht mit Mennige rot gefärbt: Denn der Triumphator sollte Juppiter darstellen, dessen Macht Roms Heeren den Sieg verschafft hatte. Über ihn hielt ein Sklave den Goldkranz aus dem Tempel des obersten Gottes und wiederholte ihm die Worte ins Ohr: »Bedenke, daß du Mensch bist.« Schließlich folgten die Soldaten, die nach altem Brauch im Chor Spottlieder sangen: »Städter hütet eure Frauen. Wir bringen den kahlköpfigen Buhlen«, hieß es da etwa, aber es wurde auch auf des jungen Caesar Verhältnis zum bithynischen König Nikomedes angespielt, was ihn verletzte – so daß er sich dagegen verwahrte und es sogar unter Eid abstritt. Lächerlich soll das gewirkt haben; aber es war ihm wohl ernst. Daß er jedoch, indem er Unrecht tat, zum König wurde, ließ er damals durchgehen. Im ehedem wohl primär rituellen Akt des Triumphes überwog längst der Aspekt der Ehre. Immer hatte, wenn ein Mensch Roms höchsten Gott darstellte, der Glanz überirdischer Herrlichkeit auf ihm gelegen. Deswegen bedurfte er besonderen Schutzes gegen die Gefahr der Hybris und des Götterneides. Dem dienten die Bulla, ein Amulett, das er trug, die Mahnungen des Sklaven, die Spottlieder der Soldaten. Nichts davon hat bei Caesars Triumphen gefehlt. Aber nie war die Darstellung des Gottes durch einen Feldherrn so beziehungsreich gewesen wie in seinem Falle. Schließlich sollte ja auch der Triumphalwagen auf dem Capitol dann sein enges Verhältnis zu Juppiter dokumentieren. Die Züge nahmen jeder einen ganzen Tag in Anspruch. Beim Gallischen brach die Achse des Triumphalwagens am Velabrum, vor dem Tempel der Fortuna, den Lucullus dort gebaut hatte. Zur Sühnung beschloß Caesar, auf den Knien die Stufen zum Capitol hinaufzukriechen. Es mag ihm bei dieser Gelegenheit wirklich unheimlich zumute gewesen sein. So nah schien er dem Gotte gekommen zu sein; mußte das Unglück nicht wie eine Warnung auf ihn wirken? Schließlich opferte der Feldherr dem Juppiter vor dessen großem Tempel weiße Stiere. Den Lorbeerkranz legte er in
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den Schoß seiner Statue zurück. Dem Gott, nicht dem Menschen gebührte er. Großartige Schauspiele schlossen sich an den Triumph, prächtig war die Stadt geschmückt. Vieles war überraschend. Natürlich gab es Gladiatorenspiele, dazu ein großes Festessen an zweiundzwanzigtausend Tischen. Caesar mußte jetzt endlich einlösen, was er bei Julias Tod versprochen hatte. Sueton berichtet dazu: »Damit die Spannung darauf möglichst groß sei, ließ er die für das Essen benötigten Speisen, obschon mit der Zubereitung Köche beauftragt waren, sogar in Privathäusern zurichten. Bekannte Gladiatoren wurden, sobald sie Gefahr liefen, vom Publikum für einen gefährlichen Kampf bestimmt zu werden, in seinem Auftrag mit Gewalt aus der Arena entfernt und für ihn aufgespart. Die Gladiatorenschüler ließ er nicht in einer Fechtschule oder bei Fechtlehrern unterrichten, sondern in Privathäusern bei waffenkundigen Rittern und sogar Senatoren, die er dringend bat, wie es auch durch Briefe bezeugt ist, sich der Einzelnen anzunehmen und persönlich bei ihren Übungen die nötigen Anweisungen zu erteilen.« Quartierweise ließ Caesar Theateraufführungen veranstalten, in allen Sprachen, die in der Stadt gesprochen wurden. Den Circus hatte er vergrößern, die Arena mit einem Wassergraben umgeben lassen; dort wurden Kunstreiten und Artistik auf Pferdegespannen dargestellt, die Taktik der britischen Streitwagen vorgeführt. Fünf Tage lang gab es blutige Kämpfe, bei denen fünfhundert Mann zu Fuß, zwanzig Elefanten und dreißig Reiter auf jeder Seite teilnahmen. Man hatte dafür in der Arena zwei Lager aufgebaut: Das Volk von Rom sollte sehen, wie Caesars Soldaten zu kämpfen gehabt hatten. Die Soldaten sollten sich erinnern und stolz sein. Da Caesar nicht nur zu Lande Krieg geführt hatte, war auf dem Marsfeld ein künstlicher See angelegt worden, auf dem zwei Flotten gegeneinander antraten. Etwas Ähnliches hatte es in Rom nie gegeben; hellenistische Vorbilder sind allerdings möglich. Gefangene und zum Tode Verurteilte waren es, die die Kämpfe auszuführen hatten. Denn es ging ja auf Leben und Tod. Da es seit einiger Zeit zum Ehrgeiz prominenter Adliger
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55 Forum Julium: Vogelschau von Süden her (nach der Rekonstruktion im Museo della Civiltà Romana in Rom). gehört hatte, den Römern neue Naturwunder vorzuführen, hatte Caesar als Erster, wohl aus Ägypten, eine Giraffe importiert, welche gebührend bestaunt wurde. Ein ganz besonderes Wunderwerk stellte das System von Markisen dar, mit dem er das ganze Forum Romanum und die Via Sacra bis zu seinem Haus, schließlich den Abhang zum Capitol hinauf überspannen ließ. Aus Seide sollen sie gewesen sein. Sie hatten die Aufgabe, die Zuschauer der Spiele auf dem Forum gegen die Sonne zu schützen, aber wohl auch schon diejenigen des Triumphs, der sich folglich am Ende in einem riesigen künstlichen Innenraum vollzog. Meisterwerke der Technik waren mithin zu bestaunen und zu erleben, Glanzleistungen der Organisation und der Insze-
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nierung. Denn vieles war neu; und neu war insbesondere, daß so unendlich vieles gleichzeitig veranstaltet wurde. Auch darin war Caesar allen überlegen – sein Geist, der in allem steckte, an vielen Stellen gleichzeitig zu wirken schien, verwandelte, durchwaltete die Stadt wie eine riesige Maschine. Das Gefühl der Großartigkeit und des Staunens muß fast allgemein gewesen sein; in den breiten Schichten jedenfalls; denn Männer wie Cicero konnte er auf diese Weise nicht erreichen. Sueton berichtet auch, es sei eine solche Menschenmenge von überall her zusammengeströmt, daß die meisten davon in Zelten auf Straßen und Plätzen übernachten mußten; »Und verschiedentlich wurden Leute im Gedränge erdrückt oder ohnmächtig, unter ihnen zwei Senatoren.« Man findet zugleich, wie schon bei früheren Spielen, welch außerordentliche technische Kapazitäten im damaligen Rom mobilisiert werden konnten; was Caesar hier leistete, tritt würdig an die Seite seiner Kriegstechnik. Ohnehin darf man die antike Technik nicht unterschätzen. Um nur eine Einzelheit anzuführen: Schon in den Zwölf Tafeln werden Goldzähne respektive mit Gold befestigte Zähne erwähnt. Wenigstens bei den Wohlhabenden und andererseits bei öffentlichen Darbietungen und im Militärwesen wurde ein Höchstmaß an erfinderischem Geist entfaltet. Hier – und nicht etwa bei der Produktion von Gütern – massierte sich alle technische Phantasie. Am 26. September weihte Caesar den Tempel der Venus Genetrix und dessen heiligen Bezirk ein, welcher als ein Forum gedacht war, um zusätzliche Amts- und Gerichtsräume zu schaffen. Seit 56 oder 55 hatten Caesars Beauftragte ja unmittelbar angrenzend an Roms altes Forum zahlreiche Grundstücke für enorme Summen gekauft. Möglicherweise war das Forum Julium dann, seit Caesar die Herrschaft über Rom gewonnen hatte, größer ausgeführt worden, als es der ursprüngliche Entwurf vorsah. Indem Caesar den Tempel der Venus Genetrix weihte, der Mutter des Aeneas, von dem die Römer abstammten und der
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56 Friesfragment vom Tempel der Venus Genetrix. Rom, Konservatorenpalast. Selbst hinter dem munteren Treiben der Eroten verbirgt sich der Ernst einer politischen Aussage. Verwiesen wird auf Venus als die Ahnherrin des Mischen Geschlechts – für deren Bad links Amphora und Becken bereitgestellt werden – und auf Mars: ihm gehören Schwertscheide und Schild, die rechts herbeigetragen werden und die an Caesars Kriegsruhm erinnern sollen. zugleich sein Ahn gewesen sein sollte, wurde dieser Göttin sein Sieg zugesprochen. Darin manifestierte sich die enge Beziehung des Sieges auf die Person des Siegers – statt einfach auf den Magistrat des römischen Volkes. Auch das hatte schon in der Zeit Sullas ein Vorbild: Man hat damals der Victoria Sullana Spiele gefeiert anstatt der Victoria des römischen Volkes, wie es dann wenig später auch der Victoria Caesaris geschah. Im Tempel stellte der Dictator später gegenüber dem Bild der Göttin eine Statue der Kleopatra auf. Galt diese – fraglos ganz ungewöhnliche – Weihung der Mutter seines einzigen Sohnes? Interessanterweise hat sie noch im zweiten Jahrhundert nach Christus dort gestanden; Augustus hat sie also nach dem Sieg über die Königin nicht beseitigt. Auch duldete Caesar, wie es bei Plinius heißt, daß ihm auf dem Forum eine
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Panzerstatue aufgestellt wurde. Es war wohl das erste Mal, daß das öffentlich in Rom geschah. Am letzten Tag der Triumphe soll Caesar nach dem Essen in Pantoffeln und mit einer aus allen Arten von Blumen gewundenen Girlande auf sein Forum gegangen sein. Überall wurde wohl noch gefeiert. Das ganze Volk gab ihm auf dem Heimweg das Geleit. Elefanten, welche brennende Fackeln in Kandelabern trugen, standen Spalier: Ein großinszenierter, festlicher Abschluß; vielleicht eine Überraschung für ihn? Die ungeheure Verschwendung von Mitteln, die Caesar damals trieb, und das reichliche Blutvergießen – die Tatsache, daß er »immer noch nicht satt war an Blut« – sollen auf viel Kritik gestoßen sein. Und unliebsames Aufsehen erregte auch die Potentatenlaune, in der er den sechzigjährigen Possendichter Laberius, einen Ritter, nötigte, in einem eigenen Stück aufzutreten, obwohl das seiner Standesehre widersprach. Der rächte sich, indem er etwa deklamierte: »Herbei ihr Bürger! Wir haben die Freiheit verloren!« Oder: »Wen viele fürchten, der muß auch viele fürchten!« Caesar machte die Willkür vollkommen, indem er ihn reich beschenkte und durch Verleihung eines goldenen Ringes neuerdings als Ritter anerkannte. Danach wurde die Beute verteilt, sehr hohe Geldzahlungen an die Veteranen, geringe aber auch an die städtische Menge. Als jene sich empörten, daß sie nicht alles bekamen, griff Caesar eigenhändig einen von ihnen heraus, führte ihn ab und ließ ihn hinrichten. Zwei weitere ließ er durch die Pontifices auf dem Marsfeld regelrecht opfern, die Köpfe wurden vor der Regia, dem Amtssitz des Pontifex Maximus aufgestellt. Der religiöse Hintergrund, wenn es einen gab, ist unbekannt. Seit seiner Rückkehr bereitete Caesar die Ansiedlung seiner Veteranen vor. Beauftragte kauften den Boden, aber alle umstrittenen Entscheidungen behielt er sich vor. Er begann ein umfangreiches soziales Programm zu planen und ins Werk zu setzen. Die Zahl der Empfänger verbilligten Getreides senkte er von dreihundertzwanzig- auf einhundertfünfzigtausend, und er scheint die Voraussetzungen für die Aufnahme in die Liste neu festgesetzt zu haben. Ferner bestimmte er, daß Prämien für
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Kinderreichtum gezahlt würden, um die Kriegsverluste aufzuwiegen. Zahlreiche Angehörige der städtischen Plebs sollten in Colonien in den Provinzen angesiedelt werden, achtzigtausend waren es bei seinem Tod. Um Unruhen vorzubeugen, verbot er die städtischen Vereine, die Clodius 58 wieder eingeführt hatte. Caesar verkürzte auch die Amtszeit der Provinzial-Statthalter. Er reformierte die Gerichte, verschärfte einige Strafen, suchte Ärzte und Lehrer nach Rom zu ziehen, indem er ihnen das Bürgerrecht verhieß. In der Weidewirtschaft der Latifundien sollten künftig, so verfügte er, ein Drittel der Arbeiter Freie sein. Er brachte ein Luxusgesetz ein, in dem der Gebrauch von Sänften, Purpurgewändern und Perlen eingeschränkt und genaue Vorschriften über Speisen und Grabdenkmäler gemacht wurden. Folgenreich war die Einführung des Julianischen Kalenders. Die Römer hatten bis dahin ein Mondjahr, alle zwei Jahre mußte ein Schaltmonat eingelegt werden. In den Wirren der späten Republik war das aber öfters versäumt worden. Inzwischen feierte man weder das Erntefest mehr im Sommer, noch das Fest der Weinlese im Herbst. Caesar begründete das Sonnenjahr von dreihundertfünfundsechzig Tagen mit einem Schalttag in jedem vierten Jahr. Im Februar 46 hatte er schon den normalen Schaltmonat eingeschoben, zwischen November und Dezember folgten zwei weitere mit zusammen siebenundsechzig Tagen. Neben diesen und anderen Reformen, zahlreichen großen und kleinen Projekten, die er vorbereiten ließ, und neben den laufenden Angelegenheiten war er damit beschäftigt, die Fälle von ehemaligen Gegnern im Bürgerkrieg zu prüfen, eingezogenes Vermögen zu versteigern und Belohnungen an seine Anhänger auszuteilen. Es war ein außerordentlich großes Pensum, das er sich vorgenommen hatte. Er konnte sich auf seine gut organisierte Kanzlei stützen, aber die meisten Entscheidungen traf er selbst. Unablässig war er beschäftigt, selbst bei den Theatervorstel-
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lungen las und beantwortete er Briefe und Bittschriften, was ihm manche verdachten. Man kam nur schwer, Cicero schreibt einmal: nur unter unwürdigen Bedingungen, an ihn heran. Kurz vor seinem Tod soll Caesar, als Cicero in seinem Vorzimmer saß, bemerkt haben: »Und da soll ich noch zweifeln, daß ich der bestgehaßte Mann bin, wo M. Cicero sitzt und wartet und mich nicht sprechen kann, wenn es ihm paßt? Und dabei ist er noch am leichtesten zu gewinnen. Trotzdem bin ich überzeugt, daß er mich gründlich haßt.« Was Plutarch einmal über Gaius Gracchus schreibt, könnte wohl genau auf Caesar zutreffen: »Er ließ sich durch so vielerlei wichtige Geschäfte auf keine Weise ermüden, sondern führte jedes, als wenn es das einzige wäre, mit ungemeiner Geschwindigkeit und Anstrengung aus, so daß selbst die, welche ihn am meisten haßten und fürchteten, über seine Betriebsamkeit und rasche Tätigkeit staunen mußten.« Einiges von dem, was er anpackte, war sicher notwendig, zumal die Versorgung seiner Veteranen und mancher anderer Parteigänger. Einiges entsprach auch den Forderungen, die Cicero in der Marcellus-Rede vorgebracht hatte. Bei anderem fragt es sich, ob Caesar wirklich das Wichtige getan hat – und nicht alles Mögliche, was zwar nützlich, aber nicht eigentlich drängend war, jedenfalls nicht drängend im Vergleich zu der Aufgabe einer politischen Konsolidierung. Rom wurde vielmehr buchstäblich wie eine eroberte Stadt regiert. Zwar war der Kommandant persönlich liebenswürdig, sehr vornehm und gnädig. Er sah auf Ordnung und Recht. Aber er waltete gerade so, wie er es für richtig hielt. Die Anderen hatten keinen Anspruch darauf, auch nur zu erfahren, was er vorhatte. Sie waren in seine Hand gegeben. Es gab noch Senat und Magistrate; aber sie waren nicht frei in ihren Entscheidungen. Es gab auch noch die Comitien; aber sie durften nur nach Caesars Willen abstimmen und zuweilen, wenn er fort war, nicht einmal das. Es gab auch Gerichte. Aber die eigentlich entscheidende Instanz in allem war allein Caesar. Sein Blick war, mindestens fürs Erste, ganz auf administrative, organisatorische, soziale Probleme konzentriert. Sie sta-
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chen ihm ins Auge oder lagen ihm nahe. Sie ließen sich vielfach am besten von einem mit monarchischer Macht ausgestatteten Mann lösen; und Caesar hatte alle Fähigkeit dazu. Hier konnte sich sein altes Pathos der Leistung bewähren, er konnte im weitesten Umfang zeigen, daß er allen anderen weit überlegen war. Seine Tätigkeit vollzog sich überdies in dem Modus, den er nun schon mehr als zwölf Jahre lang praktizierte: in großem Stile planend, anordnend, verfügend. Wie vorher seine Armee, das Kriegstheater, seine Provinzen, so durchwaltete er jetzt das ganze Imperium. Das war eine anstrengende Tätigkeit; aber sie war der Größe, die er angenommen hatte, gemäß. »Darum, bei den Göttern, nimm dich der res publica an und schreite, wie es deine Art ist, mitten durch alle Schwierigkeiten hindurch«, hieß es in einem – sei es damals, sei es später verfaßten – Sendschreiben an Caesar. Eben das tat er. Er rühmte sich seiner Gesetze auch und meinte von einigen, durch sie werde das Gemeinwesen zusammengehalten. Wenn er eine Verpflichtung gegen die Bürger spürte, so dachte er wohl daran, daß er so zu wirken habe, wie er es gewohnt, wie es ihm eigen war. Indem das aber nicht zur Herstellung eines Verhältnisses unter den Bürgern als Bürgern beitrug, zu dem politischen Problem, den Erwartungen, die aus der republikanischen Selbständigkeit und Freiheit der oberen und zum Teil auch der unteren Schichten erwuchsen, wiederholte sich hier die alte Einseitigkeit unter neuen Vorzeichen: Caesar ging es wie Pompeius um die Aufgaben des Gemeinwesens, den Anderen um das Gemeinwesen selbst, das sie alle ausgemacht hatten und wieder ausmachen wollten, gemäß den alten Spielregeln, jeder nach eigenem Recht. Nur hätte Pompeius, wenn er gekonnt hätte, lieber anders gewirkt. Vielleicht hat Caesars mangelnder Sinn für Institutionen – samt seiner Distanz zur römischen Gesellschaft – ihn daran gehindert, diese Probleme zu erkennen. Jedenfalls nahm er neben den Aufgaben vor allem die Personen wahr. Im Senat sah er folglich die Senatoren. Und es waren zum Teil seine
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Anhänger, viele hatte er begnadigt, manche mochte er schätzen. Cicero umwarb er als geistvollen Literaten; mehrere andere – zum Beispiel Servius Sulpicius, den Consul von 51, und Marcus Brutus – dienten ihm als Statthalter, und er war sehr zufrieden mit ihnen. Aber der Senat im Ganzen konnte ihm nichts bedeuten. Er vermochte ihn nicht als die Körperschaft höchster Autorität zu nehmen, die Versammlung der Würdigsten, bei der die Verantwortung für das Ganze lag, sondern nur als das Gremium, das end- und oft ergebnislos zu deliberieren pflegte, das denkbar ineffektiv arbeitete, das ihn bekämpft und sich ihm noch 49 versagt hatte, als er ihm die Zusammenarbeit anbot. Der Unterschied zu Sulla ist deutlich: Auch der hatte wenig Respekt gegenüber den Senatoren, hatte die Oligarchie gegen die Oligarchen wieder eingeführt. Aber er achtete die Institutionen. In der Welt von Aufgaben und Personen dagegen, wie Caesar sie sah, konnte leicht einerseits der Aspekt der Fürsorge, andererseits der des Wettbewerbs vorherrschen. Das entsprach dann genau seinem Dignitas- und Ruhmesdenken. Auf Fürsorge (cura) für alle Probleme verstand er sich am besten, warum sollte er sich nicht dort hineinsteigern – und sie gar für die ganze Problematik halten? Warum sollte er nicht durch seine Art alle übertreffen? Vielleicht hatte er auch an der Institution der Monarchie gar kein Interesse, sondern nur an der Macht und den Möglichkeiten des Alleinherrschers, an seiner eigenen Position? Wenn ihm die Institutionen überhaupt nicht viel bedeuteten, so war die Frage, die sich uns unter der einfachen Alternative Republik oder Monarchie stellt, für ihn nicht wichtig. Oder hat er gesehen, daß das Überkommene zwar nicht mehr zu praktizieren, etwas Neues aber auch nicht zu gründen war? Dann hätte er nur den einen Rat gewußt, einstweilen alles selbst zu machen. So könnte das gegenseitige Mißverständnis zwischen Caesar einerseits und den Senatoren vom Schlage Ciceros, aber vermutlich sogar weiten Teilen der Bürgerschaft andererseits einsehbar werden. Er hatte das Gefühl, daß er sein Bestes tat zur Bewältigung aller Probleme. Was wollten die Anderen noch? Es
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wird ihm, wenn er ihre Mahnungen zur Wiederherstellung der res publica hörte, zumute gewesen sein wie einem, der ununterbrochen Wasser ausschöpft, damit das Schiff seetüchtig bleibe oder werde, während jene an der abblätternden Farbe oder den neuen Stufen vor der Kommandobrücke herumnörgelten. Er war von vorwurfsvoller Rastlosigkeit. Deswegen konnte er denn auch so ausfallend werden, daß er erklärte, die res publica sei nichts. Jene dagegen werden, um im Bild zu bleiben, gedacht haben, daß er sich um Tausenderlei bekümmerte, nur nicht darum, das Leck zu stopfen, an dem das Boot litt. Indem die Erwartungen Caesars und der römischen Gesellschaft aneinander vorbeigingen, waren beide voneinander enttäuscht. Und diese Enttäuschung war dazu angetan, sich zu steigern. Wohl mag man sich fragen, wie weit Caesars Ehrgeiz auf ein Publikum bezogen war. Aber es ist ganz unwahrscheinlich, daß er damals an dem Bewußtsein stets neuer unerhörter Leistungen und ihrer Ruhmwürdigkeit genug gehabt hätte, daß ihm also das Urteil der römischen Gesellschaft über ihn gleichgültig gewesen wäre. In seinen jüngeren Jahren in Gallien mochte er gemeint haben, seinen Ruhm erst vorbereiten zu müssen, mochte er ein imaginäres Publikum im Sinn haben. Und mit einer Art Agententhese konnte er in seinen Gegnern die Ursache dafür sehen, wenn er nicht so anerkannt war, wie es ihm seiner Ansicht nach zukäme. Er bildete sich die Überzeugung, daß Einfluß und Ansehen einfach von den Leistungen abhingen und nicht auch davon, wie er sich zu den Anderen stellte. Insofern war er nicht darauf angewiesen, sogleich große Anerkennung zu gewinnen. 49 scheint er von Senat und Volk sehr enttäuscht gewesen zu sein. Kaum vorstellbar, daß er nicht spätestens nach dem Sieg an irgend eine Instanz außer sich gedacht, nach deren Beifall und Zustimmung sich wenigstens insgeheim gesehnt hätte. Solange er gegen seine Gegner lebte, sich gegen alle behaupten konnte, mochte er durch den Widerstand gehalten sein. Jetzt aber
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war er am Ziel. Jetzt mußte sich die alte Zukunftsgewißheit erschöpft haben, mußte die Anerkennung eigentlich fällig werden, auf die er doch wohl gesetzt hatte, der Lohn, der seine Anstrengungen hätte aufwiegen, seinen Außenseiter-Weg hätte bestätigen können. Es kann doch nicht alles ins Leere gezielt haben. Caesar hatte keine Sache, keine Ideologie, keine Mission, an die er sich hätte klammern, hinter der er sich hätte verschanzen können; so daß dann zwar Eitelkeit hätte Anerkennung heischen, ideologisches Besserwissen aber selbst deren Ausbleiben noch als Bestätigung hätte nehmen können. Er wollte nicht mit Gewalt herrschen, nicht unterdrücken. Da konnte ihm kaum der Beifall seines Hofes ausreichen. Und unter den Anderen mußte es ihm vor allem auch um die Senatoren gehen, die Spitzen der Gesellschaft, die er als politische Kräfte zwar verachtete, aber als Urteiler, jedenfalls als freundliche Urteiler nicht. Höchste Dignitas war höchste Anerkennung. Und die sollte nicht nur seiner Leistung, sondern auch seiner Art gezollt werden. Mußte er sich nicht, da er sich so rastlos für Rom verzehrte, überzeugend finden? Mußte es ihn nicht tief enttäuschen, daß er mit all dem bei der guten Gesellschaft ins Leere stieß? Cicero etwa machte über die Kalenderreform, die ihm so ernst war, seine Scherze: Jetzt gingen auch die Gestirne so auf, wie Caesar es befehle. Wenn Caesar jetzt aber von den Römern so sehr enttäuscht wurde, mußte er da nicht versucht sein, sich in trotzigem Stolz abzuschließen gegen ihr Urteil, also gegen sie eben das zu sein, was er für sie hatte sein wollen, mithin sich selbst treu zu bleiben – und künftig die einzige Instanz zu sein? Sollte er sich wirklich nicht darum geschert haben, ob er über »Widerwillige herrsche«, wie eine unserer Quellen schreibt, so gehört diese Gleichgültigkeit vermutlich erst in seine letzte Zeit. Caesars römischer Aufenthalt nach dem Sieg im Bürgerkrieg dauerte gut fünf Monate. Dann mußte er eilig – während des zweiten Schaltmonats – nach Spanien aufbrechen; Anfang Dezember kam er dort an. Er hatte nicht einmal die Magistratswahlen abhalten können. Sein College ließ ihn für 45 zum Consul ohne Collegen wählen. Der Dictator kann das
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Amt schwerlich gebraucht haben. Aber indem man ihn wählte, schob man die Entscheidung auf, wer es sonst – und vor allem wer es nicht – hätte werden sollen. Man vermied auch die Ungewißheiten des Wahlausgangs. Denn es hatte wohl seinen guten Grund, daß Caesar Wert darauf legte, alle Wahlen selber zu leiten. Man konnte sich auf die Volksversammlung, wenn sie ihr Wahlrecht übte, nicht verlassen. Nur wo er selbst dabei war, war er sicher. Statt Praetoren wurden besondere Beauftragte, Praefekten, ernannt.
Zweiter spanischer Feldzug, Streit um den toten Cato, Entschluß zum Partherkrieg Sieg bei Munda • Langsame Heimkehr • Der Anticato • Caesars Wandel in Spanien • Ciceros Versuch eines Sendschreibens • Partherfeldzug als Therapie? • Ratlosigkeit • Neue Ehrungen • Erwartung eines Attentats In Spanien war es zum offenen Aufruhr der Pompeianer gekommen. Der von Caesar eingesetzte Statthalter der Jenseitigen Provinz war abgesetzt, Pompeius’ älterer Sohn Gnaeus zum Imperator ausgerufen worden. Er konnte in der seinem Vater so ergebenen, von den Caesarianern schwer ausgebeuteten Provinz in kurzer Zeit dreizehn – freilich nicht vollwertige – Legionen aufstellen. Labienus und andere Führer der in Africa zerschlagenen Truppen stießen zu ihm. Diese Streitmacht war um so bedrohlicher, als Caesar nicht mehr auf seine bewährten Veteranenarmeen zurückgreifen konnte, und außerdem waren verschiedene seiner Truppen an anderen Stellen gebunden. Die Fahrt legte Caesar, wie üblich, in großer Geschwindigkeit zurück, wobei er, vielleicht zur Entspannung, ein großes Gedicht verfaßte: Iter, Die Reise.
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In Spanien hatte er gleich verschiedene Erfolge, zumal die Gegner ihre Position überschätzten und nicht wie er mit Anspannung aller Kräfte den Krieg führten. Am 17. März kam es bei Munda zur Schlacht. Das gegnerische Heer leistete sehr starken Widerstand; die Soldaten vor allem der besten Legionen wußten, daß sie kein Pardon zu erwarten hatten. Denn sie waren einst aus der pompeianischen Armee in den Dienst Caesars übernommen worden. Als Caesar bemerkte, wie seine Truppen zurückgedrängt wurden und zu fliehen begannen, warf er sich ihnen entgegen, fragte die Soldaten, ob sie sich nicht schämten, ihn solchen Jüngelchen wie den Pompeius-Söhnen in die Hände zu liefern. Dann sprang er vom Pferd, ergriff einen Schild und drängte in die vorderste Linie. Dies werde sein letzter Tag sein, habe er gerufen, und der letzte des Feldzugs für seine Armee. Er verwünschte sein Glück, daß es ihn für solch ein Ende bewahrt habe. Dann stellte er sich gegen den Feind, keine Gefahr achtend, unter einem Hagel von Geschossen und schrie seinen Soldaten hinterher, er werde ihnen nicht folgen. Sie sollten sich gut merken, was für einen Feldherrn sie im Stich ließen; auch den Ort sollten sie sich einprägen. Mehr aus Scham denn aus Tapferkeit hätten sie schließlich wieder Fuß gefaßt. Der mauretanische König Bogud, eben der, dessen Gattin Eunoë Caesars Geliebte gewesen war, brachte dann die Entscheidung durch einen Flankenangriff auf das gegnerische Lager, welcher eine Flucht erst an einer Seite, dann in großen Teilen der gegnerischen Front auslöste. So wurde das Glück schließlich wieder auf Caesars Seite gezwungen. Nachher sagte er zu seinem Gefolge, er habe schon oft um den Sieg, aber an diesem Tage erstmals um sein Leben gekämpft. Es waren dann noch einige Städte einzunehmen. Anfang April fand Gnaeus Pompeius den Tod: Die Empörung war erledigt. Doch blieb Caesar noch etwa zwei Monate im Lande, um wieder Freunde zu belohnen, Gegner zu bestrafen und Geld einzuziehen. Unter anderem beschlagnahmte er die Weihgeschenke des Herakles-Tempels in Gades (Cadiz). Aber er traf
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zugleich weiterreichende Anordnungen. Verschiedene Colonien zur Ansiedlung von Veteranen und Angehörigen der städtischen Plebs wurden gegründet, mehrere Städte erhielten das Bürgerrecht, Caesar gab ihnen zum Teil neue Verfassungen, in denen unter anderem bestimmt war, daß auch Freigelassene, denen sonst keine politischen Ehren zustanden, Mitglieder des Gemeinderats werden konnten. Das alles war ein wesentlicher Beitrag zur dauernden Romanisierung dieser Provinzen. Anschließend traf Caesar im Juni/Juli ähnliche Anordnungen in seiner alten Provinz Gallia Transalpina. Hier verfügte er unter anderem die Anlegung der Veteranen-Colonie Arelate (Arles) und des Kriegshafens Forum Julii (Fréjus). Verschiedenen gallischen Gemeinden verlieh er das latinische Recht, eine Vorstufe zum vollen römischen Bürgerrecht, mit der verbunden war, daß die Inhaber der hohen Ämter für sich und ihre Nachkommen das römische Bürgerrecht erhielten. Mit der Heimkehr nach Rom hatte er keine Eile. Im August war er in Norditalien, danach hielt er sich auf dem Lande auf; vielleicht mit Kleopatra. Anfang Oktober 45 war er zum Triumph wieder in der Stadt. Die römische Gesellschaft hatte sich vom Krieg nicht viel erhofft. Knechtschaft, wenn Caesar, Mord und Totschlag, wenn Pompeius siegte, war die Alternative, die in Ciceros Korrespondenz erwogen wird. Der spätere Caesar-Mörder Gaius Cassius schreibt: »Ich will sterben, wenn ich nicht voll Sorgen bin und lieber den alten, milden Herrn behalten als es mit dem neuen grausamen versuchen möchte.« Während der gut zehn Monate von Caesars neuerlicher Abwesenheit hatte in Rom zwar äußerlich Ruhe geherrscht. Aber es scheinen sich unter der Hand einige Veränderungen vollzogen zu haben, die das Verhältnis zwischen Caesar und den Römern betrafen. Ein besonders wichtiges Ereignis scheint der literarische Kampf um den toten Cato gewesen zu sein. Auf Bitten des Brutus hatte Cicero dem Vorkämpfer der Republik einen
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großen Nachruf gewidmet. Wir kennen daraus ein einziges Zitat, daß Cato nämlich einer der wenigen Menschen gewesen sei, die größer seien als ihr Ruf. Cicero muß ihn als die Verkörperung echt römischer Mannesart gepriesen haben. Bei aller politischen Zurückhaltung konnte er nicht darüber hinweggehen, daß Catos Selbstmord die großartige Konsequenz aus seinen republikanischen Überzeugungen bildete. Ungefähr gleichzeitig veröffentlichte Brutus auch einen eigenen »Cato«. Als Caesar die Schriften erhielt, beauftragte er seinen Vertrauten Aulus Hirtius mit einer Entgegnung, setzte dann aber auch selbst, nach dem Sieg bei Munda, zu einer umfangreichen Schrift an. Dieser »Anticato« wurde ein geradezu unflätiges Machwerk. An der bedeutendsten sittlichen Autorität der römischen Republik vor 49 ließ Caesar kein gutes Haar, karikierte ihn vielmehr als Säufer und Geizhals, der sogar seine Frau verschachert habe, schrullig und eigennützig. Die Natur habe ihn anders als alle anderen geschaffen. Dabei hatte selbst jener Offizier, der für ihn das Bellum Africum beschrieb, Cato als höchst ernsthaften Mann von einzigartiger Integrität dargestellt. Caesars unwürdige Invektive ist nur aus maßloser Erregtheit und abgründigem Haß zu erklären. Völlig verständnislos stand er vor dem toten Gegner. Daher hatte er ihn schon in seiner Schilderung des Kriegsausbruchs nur aus Eigensucht handeln lassen. So, wie er die Maßstäbe setzte, konnte er an Cato nichts finden; daß andere es doch taten, ja ihn anscheinend über Caesar stellten, war im höchsten Maße irritierend für ihn; und um so mehr, als es der ängstliche Cicero tat – und Brutus, der auf sein Versöhnungsangebot so bereitwillig eingegangen war, den er so freundlich aufgenommen hatte. Vermutlich fanden sie in Rom obendrein viel Resonanz. Caesar sah folglich nicht nur sich, sondern auch sein Urteil darüber, was in Rom als Manneswert zu gelten hatte, durch das Lob Catos angefochten. Wenn dem außerordentliche Tugenden nachgesagt wurden, so schien er recht und Caesar unrecht zu haben. So konsequent muß er die Alternativen gesehen haben. Dann verdiente er nicht, der erste Mann in Rom zu sein. So sehr ließ er sich also durch die Meinungen der repu-
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blikanischen Gesellschaft Roms anfechten, deren Ideal Cato verkörpert hatte. So sehr auch traf es ihn, daß er den toten Gegner nicht hatte besiegen können, nicht einmal nach dem Tod. Freilich, daß in ihrem Urteil ein Mann von Caesars Volumen hinter einem, wie er fand, pedantischen, bocksteifen, immer nur verneinenden, nichtsnutzigen Mann zurückzustehen hatte, sprach zugleich entschieden gegen diese Gesellschaft. Das Aufleben von Catos Ruhm war also ein Rückschlag in Caesars Politik, eine sehr bittere Erfahrung für den, der endlich am Ziel zu sein meinte. Sie verband sich mit dem Erlebnis, wie leicht der so oft geschlagene Gegner selbst unter der Führung unerfahrener Jünglinge seine Sache immer noch auch militärisch in Frage stellen konnte. Kein Zweifel zugleich, daß er die literarische Schlacht verlor; und war doch dergleichen nicht mehr gewohnt. Die eigentliche Folge dieser Erfahrung scheint gewesen zu sein, daß er in noch weitere Distanz zu seiner Gesellschaft geriet. Denn Caesar ist in Spanien offenbar ein anderer geworden. Jedenfalls haben sich in ihm die inneren Gewichte dort derart verschoben, daß er nun eindeutig dazu neigte, sich um das Urteil der römischen Gesellschaft nicht mehr zu bekümmern. Es scheint ihm vollends klar geworden zu sein, daß er in ihr nicht Fuß fassen konnte. So zerrissen jetzt verschiedene Bindungen, die ihn immer noch gehalten hatten. Er verschloß sich also weiter, so liebenswürdig offen seine Außenseite blieb. Er war gewillt, seinen jedenfalls richtigen, wenn auch unverstandenen Weg fortzusetzen; er hätte sonst an sich zweifeln müssen. So wurde das Mißverhältnis zwischen ihm und Rom immer gespannter und virulenter. Gegenüber Cicero hatte er zwar die äußere Form gewahrt. Höflich lobte er am Anfang seiner Schrift dessen stilistische Kunst. Soweit war er wieder überlegen. Denn an sich schmerzte es ihn, daß er nicht auch im Literarischen der Erste war. Er fand sich freilich damit ab, indem er meinte, wegen seiner
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militärischen Beanspruchung habe er nicht Zeit genug gehabt, um sich auch darin voll auszubilden. Gleichwohl durfte Cicero beunruhigt sein. Er sah sich also veranlaßt, etwas zu unternehmen, um sich Caesars Gunst neuerdings zu versichern. Eine politische Denkschrift wollte er verfassen, in der Respekt, Lob und erwartungsvolle Mahnungen verbunden sein sollten. Freilich wollte er nicht, wie er es für richtig hielt, die Wiederherstellung der alten Republik anempfehlen, sondern offenbar eine Lösung vorschlagen, die eine überragende Stellung Caesars implizierte. Aber er wollte dafür plädieren, daß wieder feststehende politische Verhältnisse geschaffen werden; ein geordneter, rechtlicher Zustand, in dem nicht alles vom Wink des Dictators abhing. Er wollte schreiben »als bestgesonnener Bürger, der sich aber den Zeitumständen anpaßt«. Doch setzte das voraus, daß Caesar sich in Rom der Aufgabe einer Konsolidierung des Gemeinwesens widmete. Eben deswegen sollte Cicero es, so rieten ihm Caesars Vertraute, lieber nicht vorschlagen. Es würde dem Dictator nicht recht sein. Der wußte also offenbar, was auf ihn wartete, verdrängte es nach Möglichkeit, wollte nicht daran erinnert werden. Von solchen Wünschen der römischen Gesellschaft hatte er genug. Caesar hatte längst etwas anderes vor, hatte nämlich in Spanien schon beschlossen, einen Feldzug gegen die Parther zu führen. Deren mächtiges Reich begann jenseits des Euphrats, an der Grenze der römischen Provinz Syria, und erstreckte sich weit ins heutige Persien. Im Jahre 53 hatten sie, als Crassus den Krieg gegen sie eröffnet hatte, eine römische Armee vernichtend geschlagen. Jetzt waren sie in die östlichen Provinzen vorgedrungen. Die Lage war dadurch erschwert, daß sich Syrien in der Hand eines aufrührerischen Pompeianers befand. Es ist nicht leicht zu beurteilen, ob Caesars Eingreifen wirklich so dringend erforderlich war oder ihm wenigstens auf Grund der Meldungen vom Kriegsschauplatz so erscheinen mußte. Und gab es außer ihm keinen, der so einen Krieg führen konnte? Doch ließ Caesar dann verlauten, er wolle nicht eher aufbrechen, als bis er »die Dinge eingerichtet« habe. Jetzt schien
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er eben das zu planen, was Cicero ihm hatte raten wollen. Die Vorsteher seiner Kanzlei müssen überrascht gewesen sein, aber sie konnten ja seine Absichten nur vermuten. In einem weiteren Brief Caesars hieß es, er wolle nach der Rückkehr fürs Erste in Rom bleiben, damit seine Gesetze nicht mißachtet würden, wie zum Beispiel das gegen den Luxus. Danach scheint es so, wie wenn er ebenfalls die Krise Roms primär als moralische begriffen hätte. Aber er hat dann gleichwohl für den Partherkrieg gerüstet. Nur entschloß er sich, den Winter über in Rom zu bleiben. Ob er meinte, daß die Zeit reiche, um »die Dinge einzurichten« und was er überhaupt darunter verstand, ist unklar. Vielleicht hatte er diese Äußerung nur so hingeworfen, um sich die Konsolidierungs-Erwartungen fürs Erste von der Seele zu laden. Eine unserer Quellen erwägt, daß er den Feldzug als »gesundheitliche Therapie« geplant habe. Strasburger nennt das »auf den ersten Blick absurd und doch vielleicht gar nicht so falsch«. Es fragt sich also, ob es nicht eine Flucht aus Rom sein sollte; ob Caesar nicht die Aufgaben dort inzwischen zu schwer waren, als daß er sie direkt hätte anpacken wollen. Seine Planungen waren großartig. Ein Eroberungszug im Stil Alexanders des Großen sollte es werden. Er wollte nicht nur die Parther schlagen und unterwerfen, sondern zuvor die Nordgrenze Makedoniens gegen die Daker sichern. Deren König hatte seine Herrschaft aus dem Gebiet des heutigen Rumänien nach Süden bis über die Donau hinausgeschoben. Möglicherweise wollte Caesar auch hier Eroberungen machen, jedenfalls den König Burebista in seine Grenzen verweisen. Rom konnte dort keinen starken Nachbarn gebrauchen. Anschließend sollte es nach Kleinasien gegen die Parther gehen, und am Schluß, so heißt es, wollte Caesar vom Kaukasus her um das Schwarze Meer ziehen. Drei bis vier Jahre veranschlagte er dafür; fünfundfünfzig Jahre alt würde er beim Abmarsch sein. Vielleicht meinte er, nach solchen Siegen endlich von sich überzeugen zu können. Vielleicht dachte er auch daran, daß in seiner Abwesenheit Unruhen in Italien ausbrächen, zu deren
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Behebung er dann als Retter dort einziehen könnte. Eher aber sollte man vermuten, daß er immer weniger die römische Bürgerschaft seiner Tage, sondern zunehmend die Nachwelt im Auge hatte; daß also in der Motorik seines Leistungswillens die Leidenschaft, der Vergänglichkeit zu entgehen, mächtiger wurde. Doch dürfte es ihm auch darum gegangen sein, Rom zu meiden und neuerdings einen Feldzug zu führen. Mag er auch der Kriegführung schon überdrüssig gewesen sein: Mußte ihm das nach gut fünf Monaten römischen Aufenthalts nicht in anderem Lichte erscheinen? Der Umgang mit den Soldaten, auf den er sich so gut verstand, war dem mit den anspruchsvollen römischen Herren gewiß vorzuziehen. Im Felde erhielt er zwar Briefe aus Rom, aber aufdrängen konnte sich ihm die dortige Gesellschaft nicht, er konnte sich abschirmen lassen. Das Kriegstheater forderte ihn, aber hatte er nicht in Spanien erlebt, daß er wuchs im Ernst existentieller Bewährung, im Bestehen größter Gefahren? War die Summe dessen, was er in Rom anpacken konnte, nicht demgegenüber eher beliebig – und verzehrend obendrein, da sie ihn nur geistig und seelisch, nicht zugleich körperlich anstrengte? Und er hatte doch körperliche Strapazen schon früher als Medizin angesehen. Der Kampf mit dem Feind, so schwer er war, konnte ihm sehr wohl als leichter vorkommen als das tägliche Schattenboxen mit den zwar sich duckenden, dann aber doch immer wieder unzufriedenen Aristokraten; Gegnern, die er erledigt hatte und die doch nie zu erledigen waren – gut zu unterdrücken und niederzuhalten, schlecht zu überzeugen? Wenn ihm aber der Parther-Feldzug tatsächlich innenpolitisch helfen sollte, so muß ihm klar gewesen sein, daß er direkt mit der innenpolitischen Problematik nicht fertig wurde. Und jedenfalls wollte er sich den römischen Aufgaben entziehen. Sein Plan ist also ein Ausdruck der Ratlosigkeit gegenüber Rom und seiner Gesellschaft. Diese Ratlosigkeit aber herrschte auf der anderen Seite auch. Denn die Beschlüsse, die der Senat auf Grund der Nachricht vom Sieg bei Munda in mehreren Sitzungen faßte, spiegelten
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57 Tonrelief von einem Grabbau aus caesarischer Zeit an der Via Cassia. Rom, Thermenmuseum. Der Verstorbene ist in der Mitte des Bildes dargestellt: er wird von einer fliegenden Victoria gekrönt und empfängt für seine Verdienste den Dank der vor ihm knieenden Roma; angespielt wird damit wohl auf ein öffentliches Danksagungsritual (supplicatio), eine zu dieser Zeit recht häufige Form der Ehrung. Neben dem Geehrten steht rechts eine Trophäe, zwischen ihm und Roma ein Globus als Zeichen der römischen Weltherrschaft. Links und rechts werden durch kranartige Maschinen riesige Blöcke in die Höhe gehoben: demnach scheint sich der Grabherr außer durch militärische Siege auch durch zivile Bautätigkeit ausgezeichnet zu haben. die Unfähigkeit, das Phänomen dieses Mannes noch mit menschlichen Kategorien zu fassen. Man beschloß, künftig den 21. April durch Circusspiele zu feiern. Der Tag galt als Geburtstag der Stadt Rom. Daß die Nachricht von Munda am Tage davor nach Rom gekommen war, gab den Anlaß dafür ab. Der Sieg sollte als Wiederbegründung der Stadt erscheinen. Die Supplicatio sollte diesmal fünfzig Tage dauern. Es wurden Caesar die Titel Imperator und Liberator (Befreier) beigelegt, der Bau eines Freiheitstempels und eines Palasts für ihn beschlossen. Bei allen öffentlichen Anlässen sollte er im Triumphalgewand auftreten, stets durfte
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er künftig den Lorbeerkranz tragen, der eigentlich Juppiter gebührte. Diese Ehre, so heißt es, sei Caesar besonders lieb gewesen, weil er damit seine Stirnglatze bedecken konnte. Denn an seiner Eitelkeit hatte sich nichts geändert. Er meinte, Venus eine Art Jugendblüte zu verdanken; dazu paßte der Haarausfall schlecht. Aus der Summe aller Ehrungen ragte heraus, daß künftig eine Statue Caesars mit der Inschrift: »Dem unbesiegten Gott« im Quirinus-Tempel stehen sollte. Quirinus war der alte kriegerische Gott der Bewohner des Quirinals in Rom; er wurde damals längst mit Romulus identifiziert. So erschien auch dies als ein Hinweis auf die Neugründung Roms durch Caesar. Eine weitere Caesar-Statue sollte auf dem Capitol neben den sieben Königen aufgestellt werden, die dort zusammen mit dem Begründer der Republik, Lucius Brutus, standen. Bei der feierlichen Prozession der Götter, die zu den Spielen im Circus gehörte, war nach dem Willen des Senats eine elfenbeinerne Statue von Caesar mitzuführen. Schließlich verlieh der Senat ihm die Verfügung über das gesamte Militär- und Finanzwesen sowie ein zehnjähriges Consulat. Mochte es nach Thapsus bei allen Übertreibungen noch darum gegangen sein, Caesar in republikanischer Legalität einzufangen, so führten die Beschlüsse nach Munda weit über die republikanischen Maße hinaus. Nicht nur Cicero spottete über »diese Prozessionsfigur«, den Hausgenossen des Quirinus. Vielmehr blieb, als im Juli Caesars Bild erstmals bei der Prozession mitgeführt wurde, jeder Beifall aus. Nicht einmal der Victoria wurde »wegen des bösen Nachbarn«, der mit ihr daherzog, applaudiert. Dies also war selbst den Gassenstehern Roms zuviel. Und daß Caesars Statue neben denen der Könige stand, gab dem Gerede besondere Nahrung, wonach er ein Tyrann sei. Aber anscheinend war dies die wichtigste, vielleicht gar die einzig wichtige Verbindung der Senatoren mit dem Dictator. Sie konnten sich ihm gegenüber nur noch in stets neuen Ehrungen ausdrücken. Statt daß er, in welcher Weise immer, im obersten Gremium Roms den Boden gefunden hätte, auf
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dem er hätte aufbauen können, wurde er dort in schwindelhafte Höhen gehoben. Und er ließ es sich so gefallen, sah nicht, warum man dem hätte wehren sollen; es ist nicht einmal auszuschließen, daß er es angeregt hat. Von der übrigen römischen Gesellschaft hören wir für diese Zeit so gut wie nichts. Caesars zehnmonatige Abwesenheit wird sie in Distanz zu ihm gebracht haben. Wenn er sie vorher in Atem gehalten und geblendet haben sollte, so wurde es jetzt immer klarer, wie wenig von ihm für eine Konsolidierung zu erwarten war, nicht zuletzt angesichts des Anticato. Nach seinem letzten Sieg mochte der Wunsch nach einer Normalisierung noch einmal aufflammen, aber zugleich war die Ungewißheit störender geworden. Was hatten er und diese Gesellschaft miteinander zu tun? Aber noch immer und trotz allem gab es prominente Senatoren, die von ihm das Beste erhofften. Marcus Brutus fuhr ihm entgegen nach Oberitalien, wo er kürzlich Statthalter gewesen war. Caesar lobte ihn liebenswürdig, zuvorkommend – und wohl auch politisch unverbindlich, versprach ihm die Praetur von 44. Er werde sich zu den Guten schlagen, meldete Brutus nach Rom. Cicero kommentierte: »Welch frohe Botschaft! Aber wo wird er die finden, wenn er sich nicht aufhängt« (und in den Hades begibt)? Er war enttäuscht, denn er hatte Brutus schon mehr als einmal an die beiden großen Männer erinnert, die der zu seinen Ahnen zählte, an Gaius Servilius Ahala und Lucius Junius Brutus, die Befreier Roms von der Tyrannis. Kurz vorher, als Caesar noch in Gallien war, hatte einer der höchsten Caesarianer Antonius für ein Attentat zu gewinnen versucht. Wenn Cicero damals damit rechnet, daß die Zeit vorüber gehen wird, »in der man sich dem Willen des einen Mannes anbequemen muß«, denkt er inzwischen fraglos an dessen gewaltsame Beseitigung. Längst hatte er sich weitgehend in seine Philosophie zurückgezogen. Seine politische Tätigkeit konzentrierte sich darauf, für Freunde bei Caesar um Gnade zu bitten. Das schlechte Gewissen, das er ob seines raschen Kompromisses mit dem Sieger hatte, machte ihn in diesem Punkt doppelt
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rührig; war es, daß er möglichst viele in die gleiche Lage bringen wollte? Vor allem aber machte ihm die Verzweiflung über die Republik zu schaffen. So sehr er sonst oft durch die Komplexität der politischen Lage verwirrt war, so bestimmt wurde er gegenüber Caesar: Dessen Regime war unerträglich. Interessant ist eine Äußerung, die er tat, als er an seiner Denkschrift für Caesar arbeitete : Er fand es unwürdig, »aber schon haben wir in diesen Dingen eine Hornhaut bekommen und alle Humanitas ausgezogen«. Es ist das einzige Mal, daß Humanitas in Ciceros Werk so etwas wie Menschenwürde bezeichnet. Sonst bedeutete es Bildung, Feinheit, Heiterkeit, auch Menschenfreundlichkeit. Und die Würde des Consulars war Dignitas. Jetzt ging es für Cicero also nicht mehr um das Ständische, sondern um das Menschliche, das darunter lag. So tief war er betroffen. Zum letzten Mal in Rom: Vom spanischen Triumph bis zu den Iden des März 44 Jeder Widerspruch reizt ihn • Verspottung der Institutionen • Veteranenansiedlung • Ausbau der Stadt Rom • Schlußstein in der Versöhnungspolitik • Keine neue Ordnung • Problem staatsmännischen Handelns • Ehrungshysterie • Panegyrische Entlarvung • Wollte er den Königstitel? • Was Caesar die Ehren wert waren • Verschwörung • Brutus • Größe und Scheitern • Ermordung Als Caesar Anfang Oktober 45 im Triumph in Rom einzog, feierte er erstmals öffentlich einen Sieg über Bürger; und er tat es wieder mit einem großen Fest, an das sich eine Bewirtung des Volkes anschloß. Viele nahmen es unwillig auf. Als der Triumphalwagen die Tribunenbank passierte, blieb einer der
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Volkstribunen, Lucius Pontius Aquila ostentativ sitzen, worauf Caesar ihm zornig zurief: »Fordere doch, Aquila, die Republik von mir zurück als Tribun!« Der Zorn bebte noch tagelang nach. Er fügte dann nämlich bei jeder Zusage, die er machte, bissig hinzu: »Wenn es mir durch Pontius Aquila erlaubt sein wird«. Geizer vermutet, daß er auf Grund der schlechten Resonanz die Bewirtung des Volkes nach vier Tagen wiederholte. Caesar behauptete jedenfalls, die erste sei doch zu mager ausgefallen, und ließ dann mit aller Großzügigkeit auffahren. Anders, als man es gewohnt war, trat er jetzt auf. Jeder Widerspruch reizte ihn maßlos. Letztlich war ja auch die spanische Empörung schon ein Widerspruch gewesen. Deswegen hatte er auch alle, die dort die Waffen gegen ihn erhoben, so hart bestraft. Alle sollten sich ihm fügen. Er war nicht mehr gewillt, viel Rücksicht walten zu lassen – abgesehen davon, daß er auch künftig das Leben der Gegner schonte. So erlaubte er denn auch, wider alles Herkommen, zwei Unterfeldherrn den Triumph. Daß ihnen das rechtlich nicht zustand, kümmerte ihn nicht. Er wollte sie belohnen und genoß solche Großzügigkeit vermutlich um so mehr, als er damit das Recht verletzte. Dann trieb er Schindluder mit dem Consulat. Plötzlich trat er als Consul zurück und besetzte das Amt für den Rest des Jahres mit zwei Anhängern. Das hatte es noch nie gegeben. Es zeigte, daß Caesar das Consulat primär als Ehre, Belohnung, Beute betrachtete. Denn in den wenigen Wochen konnten die beiden neuen Consuln kaum eine ernsthafte Amtsführung aufnehmen. Als einer von ihnen das Theater betrat und der Liktor sein Erscheinen ankündigte, wurde allgemein protestiert, er sei ja gar nicht Consul. Es könnte sein, daß Caesar die beiden durch Ernennung statt durch Wahl bestellt hat. Dazu hatte der Senat ihm ja 46 das Recht verliehen. Am 31. Dezember passierte dann vollends etwas Unerhörtes, Cicero berichtet einem Freund darüber: Gegen sieben Uhr stellte man bei Beginn der Quaestorenwahlen den Amtssessel des einen Consuls auf. Da wurde dessen plötzlicher Tod gemel-
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det. Darauf »rückte man den Sessel beiseite. ER aber, der doch nur für die Tributcomitien die Auspicien eingeholt hatte, hielt trotzdem Centuriatcomitien ab und ließ gegen ein Uhr einen Consul wählen, der bis zum 1. Januar im Amt sein sollte, das heißt bis zum folgenden Morgen. Wisse also, daß unter dem Consulat des Caninius niemand gefrühstückt hat. Doch ist unter seinem Consulat nichts Schlimmes passiert; er bewies nämlich eine ans Wunderbare grenzende Wachsamkeit, da er in seinem ganzen Consulat kein Auge zutat.« Eine andere Quelle berichtet, Cicero habe seine Freunde aufgefordert, eilends zur Gratulation aufzubrechen, »sonst hat er das Consulat niedergelegt, ehe wir bei ihm sind«. Der feine Witz seiner Humanitas half ihm, das Schreckliche auszuhalten. Wenn Caesars Spott sich früher gegen so manches an den alten Institutionen gerichtet hatte, das durchaus sinnlos anmuten konnte, so ging es jetzt gegen den Sinn des höchsten Amtes selbst. Man beobachtete es verbissen, und es gab nach Cicero »tausenderlei ähnliche Dinge«. Geizer schreibt: »Schlimmer konnten die republikanischen Institutionen nicht mißachtet werden, und es macht den Eindruck, als ob Caesar bei diesem Anlaß das neue Zeitalter habe vor Augen führen wollen.« Eben das aber ist durchaus zweifelhaft; viel wahrscheinlicher ist, daß er offen und unmißverständlich seine Verachtung für die alten Institutionen zeigen wollte – und für die Gesellschaft, die sie hochhielt. Wenn sie ihn nicht respektierte, wollte er sie auch nicht respektieren. Da wurde nichts Neues sichtbar, sondern nur seine Verachtung für das Alte. Es war auch kein neues Zeitalter angebrochen, sondern nur Caesar selbst befand sich in einer neuen Phase – nicht so sehr seiner Politik, sondern seines Lebens. Er wollte sich keinerlei Zwang mehr antun. Die letzten Fäden, die ihn an die römische Gesellschaft gebunden hatten, waren zerrissen. Kann es sein, daß er sich von der Frage einer Neuordnung, wenn sie sich ihm denn je gestellt hatte, jetzt befreite?
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58 Stadtrömische Münze des Marcus Mettius, 44 geprägt. Caesar Dict[ator] quart[o] (zum vierten Mal Dictator) erscheint auf dem Münzbild bekränzt; hinter ihm der Krummstab (lituus) als Zeichen seines AugurenAmtes. Es war in Rom nicht ungewöhnlich, Bildnisse berühmter Persönlichkeiten ins Münzbild zu setzen: doch vor Caesar war keiner zu Lebzeiten in dieser Weise geehrt worden. Die Dynamik, die Caesar eigen war, ohne die er nicht er selbst gewesen wäre, war noch stark genug, um zu wirken. Aber sie scheint zunehmend atemlos geworden zu sein. So ist es nicht unwahrscheinlich, daß er keine Hindernisse mehr ertragen konnte. Da nicht mehr so viel Schwung, so viel Spannkraft in ihm war, daß ihm lange Anläufe leicht gefallen wären, reagierte er auf Hindernisse nervös. Er schob sie beiseite, zumal er sich kaum zugestehen konnte, daß die Durchsetzungskraft, die ihn stets getragen hatte, nicht mehr die alte war. Sehr vieles mag zu seiner Rücksichtslosigkeit beigetragen haben. Und wer will ausschließen, daß auch sein alter Mut-
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wille, die Lust, sich einfach tragen zu lassen, dabei war? Wie er schon gelegentlich Fortuna versucht zu haben scheint, um zu sehen, wie treu sie ihm war, so probierte er jetzt mit den republikanischen Gefühlen, wie weit er sie verletzen konnte. Der Senat hob ihn in göttliche Sphären, aber überall wurde gemurrt. Was sollte gelten? Wollte er es ausloten? Oder wollte er zeigen, daß ihm dies recht, jenes unrecht war? Einmal soll Caesar öffentlich gesagt haben, die Menschen müßten überlegter mit ihm sprechen und an Gesetzes Statt nehmen, was er sagte. Ob das ernst war oder ob er die ihm zugeschriebene Rolle parodierte, ob er spottete oder ob es ihm zu Kopf gestiegen war, ist eine vergleichsweise unwichtige Frage; angesichts der Tatsache nämlich, daß ihn der Ernst menschlicher Realität nur mehr bedingt umfing. Freilich hatte sein Handeln unabhängig von den Begleitumständen jedenfalls Konsequenz. Er wollte alles, was die Republik an Ehren hatte und was immer zugleich Aufgabe und Pflicht gewesen war, in den Dienst der Belohnung von Anhängern stellen. Wie ihm das Consulat vor allem ein Rang, kein Amt war, so waren ihm die Senatorenstellen gleichsam Beute, die er seinen Getreuen zuteilen konnte. Er vermehrte die Zahl der Senatsmitglieder von sechshundert auf neunhundert. In dieser Menge war das Hohe Haus gewiß kaum mehr arbeitsfähig. Aber Caesar konnte sich vielen gefällig erweisen. Zumeist handelte es sich um die Söhne angesehener ritterlicher Familien aus ganz Italien, vielfach aus dem Kreis der Bundesgenossen, die seit 90 das Bürgerrecht erhalten hatten und unter denen vielleicht seit alters Bindungen an Marius, Cinna und Caesar bestanden, Angehörige der »regimentsfähigen Schicht«. Aber es waren auch einige Subalternoffiziere darunter, Freigelassene, Gallier, die ihm das Bürgerrecht verdankten. Verschiedene davon waren fremd in Rom. Jenes mochte besonders die alten Senatoren ärgern, dieses stach allgemein ins Auge. »Eine gute Tat! Niemand soll einem neuen Senator den Weg zur Curie zeigen«, solche und ähnliche Parolen schlug man an die Mauern der Stadt. Zehn Praetoriern, die Caesar nicht zu Consuln machen wollte, verlieh er willkürlich
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59 Vollblütig wie er war, glaubte Antonius sich nichts zu vergeben, wenn er mit den Soldaten die Nächte durchzechte, groß daherredete, prahlte. Marcus Antonius. Münzprägung des antonianischen Heeres, um 33: Anton[ius] Aug[ur] Imp[erator] III Co[n]s[ul] Des[ignatus] III III V[ir] R[ei] P[ublicae] C[onstituendae]. (Zum dritten Mal als Sieger in einer Schlacht ausgerufen, zum dritten Consulat designiert, Triumvir zur Ordnung des Gemeinwesens) den Rang von Consularen. Eine weitere Reserve an Ehren, die nichts kostete, erschloß Caesar sich, indem er sich das alte Königsrecht, Patricier zu ernennen, verleihen ließ. Seit spätestens 450 war die älteste Adelsschicht des Patriciats abgeschlossen. Keiner konnte mehr aufgenommen werden. Ihre Reihen waren dünn geworden. Nun ergänzte Caesar sie mit Anhängern. Daß er gleichzeitig die Zahl der Praetoren und Quaestoren verdoppelte, mag dagegen primär praktische Gründe gehabt haben.
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Bei den Wahlen für 44 ließ er sich und Antonius zu Consuln wählen. Wenn er die beiden Dreimonats-Consuln ohne Wahl ernannt hätte, hätte ihn der dadurch verursachte Ärger veranlaßt, wieder eine reguläre Wahl zu veranstalten. Sein Ernennungsrecht hätte er, wie es auch bezeugt ist, aufgegeben. Er hätte andernfalls sicher nicht nur das Volk, sondern insbesondere die Consuln selbst gekränkt, deren Würde auf diese Weise zweifelhaft gewesen wäre. Als im Jahre 44 ein Volkstribun Caesar das Recht gab, die Hälfte der Magistrate selbst zu ernennen, wurde interessanterweise das Consulat ausgenommen. Auch Caesars Parteigänger dachten so herkömmlich, daß sie ihre Würden von den Comitien haben wollten. Das galt insofern auch für die Ämter unterhalb des Consulats, als Caesar diese verdoppelt hatte: Sein Ernennungsrecht erstreckte sich also nur auf die neu eingerichteten Stellen. Daß die Wähler selbst großen Wert darauf legten, mitzusprechen und Einfluß zu nehmen, versteht sich von selbst. Die Wahlen, die über die höchsten Ehren des Gemeinwesens entschieden, wurden nach wie vor für höchst wichtig erachtet. Deswegen waren sie auch am meisten umstritten. Das scheinen sie auch 45 gewesen zu sein. Denn es gab Widerstand gegen den an sich als zweiten Consul vorgesehenen Dolabella. Caesar selbst hatte ihn zur Kandidatur ermuntert. Die Einzelheiten sind unbekannt. Jedenfalls erklärte er dann am 1. Januar 44, er würde vor dem Aufbruch in den Partherkrieg zurücktreten und Dolabella zum Consul wählen lassen. Antonius und Dolabella waren nach den herkömmlichen Altersgesetzen zu jung für das Amt. Der eine war etwa achtunddreißig, der andere soll erst ganze vierundzwanzig Jahre alt gewesen sein. Jener hätte kaum Praetor, dieser erst sechs Jahre später Quaestor werden können. Bisher hatte Caesar die Altersgesetze stets beachtet. Deswegen waren die beiden Kandidaten auch in der Ämterstaffel noch nicht weit gekommen. Jetzt dagegen nahm er auch darauf keine Rücksicht mehr. Im Sommer war ihm Antonius nach Gallien entgegengefahren. Caesar hatte ihn freundlich aufgenommen und sich
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mit ihm wieder ausgesöhnt. Er brauchte ihn; denn er gehörte zu seinen fähigsten Parteigängern. Kurz vorher war Antonius durch Gaius Trebonius, der bisher Caesars Statthalter in Spanien gewesen war, dann Consul für 45 wurde, mit dem schon erwähnten Attentatsplan vertraut gemacht worden; aber er hat nichts verraten. Publius Cornelius Dolabella war eines der unruhigen Elemente der damaligen vornehmen Jugend Roms. Tiefverschuldet, gelangweilt und wohl auch abgestoßen vom Senatsregime hatte er sich 49 Caesar angeschlossen. Nach den Unruhen, die er 47 bei der Agitation um einen Schuldenerlaß erregt hatte, hatte er Caesar auf die africanischen und spanischen Feldzüge begleiten müssen und scheint sich dort bewährt zu haben. Caesar fand offenbar besonderen Gefallen an dem Jüngling. Antonius dagegen bekämpfte ihn weiterhin, vielleicht aus Eifersucht, aber wohl auch, weil Dolabella der Liebhaber seiner Frau gewesen war. Anfang 44 bestellte Caesar dann im Hinblick auf den Partherkrieg auch schon die Magistrate für 43 und 42, wiederum wohl in der Volksversammlung, aber, was den Termin anging, von neuem rücksichtslos gegen das Herkommen. Unter den Kandidaten befanden sich bei diesen Wahlen nicht nur alte Anhänger, sondern auch Neutrale und ehemalige Gegner. Für 43 und 42 fiel seine Wahl auf ältere Männer, die eine regelrechte Laufbahn hinter sich gehabt zu haben scheinen. In den fünfeinhalb Monaten seines letzten römischen Aufenthalts widmete Caesar sich in der Hauptsache wiederum seinen organisatorischen Aufgaben und Vorhaben. Viel Zeit nahmen die Ansiedlungen in Anspruch. Unendlich viele Entscheidungen waren zu fällen, und er kümmerte sich um alles. Eine besondere Schwierigkeit ergab sich daraus, daß offenbar überraschend viele Veteranen darauf bestanden, ihr Land in Italien zu erhalten. Die öffentlichen Domänen, Caesars persönliches Eigentum und die Ländereien, die er hinzukaufen konnte, reichten keineswegs dafür aus. So mußte er, sehr gegen seine Absicht, doch einiges Land enteignen, um diejeni-
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60 Die Curie steht noch heute am Forum. Sie ist allerdings Anfang des 4. Jahrhunderts neu aufgebaut worden, entspricht aber vermutlich dem ursprünglichen Entwurf. Nur war sie zunächst von einer Säulenhalle umgeben. Darstellung der Curia Julia auf einer um 30 geprägten Münze. Der Bau des neuen Senats-Hauses wurde von Caesar in die Wege geleitet, aber erst von Augustus vollendet. Auf dem First: die fliegende Siegesgöttin; unter dem Giebel in großen Lettern die Inschrift: Imp[erator] Caesar. gen, denen er seinen Sieg verdankte, zu befrieden und von der Straße zu bringen. So wagte er auch verschiedene an sich notwendige Umdispositionen nicht, aus Furcht, es könne Unruhen geben. Colonien gründete Caesar außer in Gallien und Spanien in Africa, Griechenland und Kleinasien. Auf die Wiedererrichtung der Städte Karthago und Korinth – als römische Colonien – war er besonders stolz.
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So hatte er nun an verschiedenen Stellen des ganzen Imperiums seine Veteranen sitzen; das war jedenfalls ein Stück Herrschaftssicherung. Das gleiche gilt von der Verleihung des latinischen Rechts – der Vorstufe des vollen Bürgerrechts – an die Gemeinden Siziliens wie von verschiedenen Bürgerrechtsverleihungen an Städte und Einzelne. Damit war zugleich für die Vergrößerung der römischen Bürgerschaft und das Zusammenwachsen der Teile des Herrschaftsbereichs Wesentliches geleistet. Es kann sein, daß Caesar das auch beabsichtigt hat; aber überliefert ist es nicht. Sicher ist nur, daß er in ganz großem Stil fortsetzte, was in Rom schon immer getan worden war, nämlich den eigenen Anhang zu vergrößern und in seiner Stellung zu verbessern. Sehr am Herzen lag ihm die Einhaltung des Luxusgesetzes. Er ließ den Markt kontrollieren, schickte aber auch Liktoren und Soldaten in die Privathäuser und ließ sie selbst schon aufgetragene Speisen vom Tisch weg beschlagnahmen. Das mag angesichts der ungeheuren Verschwendung, die er selbst trieb, inkonsequent erscheinen, war es jedoch nicht: denn privater Luxus war etwas ganz anderes als öffentlicher. Spenden, Spiele, Bauten wurden vom römischen Adligen geradezu erwartet. Ob Caesar damals privat gegen sein Gesetz verstieß, ist unbekannt. Was er in seiner eigenen Frühzeit getan hatte, spielte in diesem Zusammenhang keine Rolle. Dazu kam unzähliges Andere. Der Ausbau von Straßen und Häfen wurde in Angriff genommen. Eine große Bibliothek sollte die gesamte Literatur sammeln, das römische Recht sollte kodifiziert, nämlich das »Beste und Notwendige« in wenigen Büchern zusammengetragen werden. Gesetze gaben Caesar den Auftrag, die pontinischen Sümpfe trockenzulegen und den Isthmos von Korinth zu durchstechen. Wie Sulla ließ er, da er den Herrschaftsbereich vergrößert hatte, die geheiligte Stadtgrenze vorverlegen. Eine ganze Reihe von Projekten galt dem Ausbau der Stadt Rom. Auf dem Forum wurde die große, repräsentative Basilica Julia errichtet. Dieser mehrschiffige Bau diente – wie sein Vorgänger, den er ersetzte – vermutlich als Geschäftszentrum,
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vielleicht auch zu Amtstätigkeiten und Gerichtsverfahren. Seine Ausstattung nahm vermutlich auf Caesars Siege Bezug. Im Anschluß an sein eigenes Forum wollte Caesar dann eine neue Curie errichten; die alte war ja 52 abgebrannt. Sie scheint inzwischen allerdings wieder aufgebaut gewesen zu sein und trug, wie der Senat es einst bestimmt hatte, den Namen Sullas. Nun verlieh der Senat Caesar das Recht, eine eigene zu bauen. An der Stelle der alten sollte zu seinen Ehren ein Tempel der Felicitas errichtet werden. So trat nicht nur eine Curia Julia an die Stelle einer Curia Cornelia, sondern das wichtigste, das eigentliche Gebäude des Senats sollte Caesars Werk sein. Die Curie steht noch heute am Forum. Sie ist allerdings Anfang des 4. Jahrhunderts neu aufgebaut worden, entspricht aber vermutlich dem ursprünglichen Entwurf. Nur war sie zunächst, wie Münzbilder zeigen, von einer Säulenhalle umgeben. So, wie sie dem Ensemble des Caesar-Forums angegliedert werden sollte, nahm die Curie ein Stück des alten Comitium, des Volksversammlungsplatzes, in Anspruch. Das war ein kühner, herrischer Eingriff in das alte Zentrum der Stadt und der Welt. Wie wenn Caesar sich dort nicht nur, was sein ursprünglicher Plan gewesen war, durch ein eigenes Forum architektonisch präsent machen, sondern jetzt zugleich die alten gewachsenen Formen beiseite schieben wollte zu Gunsten einer geschlossenen Planung: Der Volksversammlungsplatz mußte seinen Bauten weichen. Das war eine mächtige Demonstration. Während die Curie noch im Bau war, wurde die Rednertribüne (Rostra), die bisher am Comitium gestanden hatte, an die westliche Schmalseite des Forums verlegt und wohl auch neu gebaut. Caesar tat damit einen entscheidenden Schritt zu einer einheitlichen Gestaltung des vorher von ungeordneten, nicht recht aufeinander bezogenen Gebäuden bestimmten Platzes. Nachdem er sich zunächst mit seinem Forum gleichsam daneben gesetzt hatte, formte er jetzt das alte Forum selber um. Gelegentlich der Verlegung der Rostra ließ er – unter allgemeinem Beifall – die Statuen Sullas und des Pompeius wieder aufstellen. War es eine Wiedergutmachung zum Abschied von Rom?
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61 Forum Romanum und Forum Julium. Gestrichelt angegeben ist der vorcaesarische Zustand mit der alten Curia, in der der Senat zu tagen pflegte, und dem ihr vorgelagerten Platz für Volksversammlungen, dem Comitium. Dieser alte Mittelpunkt des politischen Lebens der Stadt wurde durch Caesars Eingriffe vollständig verändert. Das Comitium hörte als selbständiger Platz auf zu existieren; die Curia wurde versetzt und durch ihre veränderte Orientierung in den Zusammenhang des Caesar-Forums eingefügt. Die Neugestaltung ließ die Herrschaftsansprüche des Dictators unmißverständlich zur Geltung kommen. Durch die Verlegung der Rostra an die Schmalseite des Forums begann Caesar mit der einheitlichen Gestaltung des Platzes.
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Wie weit das marmorne Abstimmungsgebäude, das Caesar seit 54 auf dem Marsfeld plante, zu seinen Lebzeiten gediehen ist, wissen wir nicht. Es mußte unter seiner Dictatur jedenfalls eine hintergründige Bedeutung erhalten: Als Versuch, Freiheit durch Marmor zu ersetzen, mußte es erscheinen. Auf dem Marsfeld sollte der für die Feiern seines Triumphes künstlich gegrabene See zugeschüttet und an seiner Stelle ein Marstempel errichtet werden, der alle anderen an Größe übertraf. Überhaupt sollte das Marsfeld bebaut werden, das vatikanische sollte in seine Funktion als Platz für Versammlungen und sportliche Übungen sowie Spiele aller Art eintreten. Um es besser mit der Stadt zu verbinden, plante Caesar, den Tiber an den Fuß der vatikanischen Hügel umzuleiten. Schon im Sommer 45 war ein entsprechendes Gesetz vorbereitet worden. Schließlich wollte er westlich vom Capitol ein Theater größten Ausmaßes errichten. Die Grundstücke ließ er bereits aufkaufen, die dort befindlichen Häuser und Tempel abreißen, die hölzernen Götterbilder zum allgemeinen Entsetzen verbrennen. Augustus hat dies Theater dann bauen lassen, möglicherweise in geringeren Dimensionen, seine Ruine steht noch heute (Marcellus-Theater). Jedenfalls waren es viele und ausgreifende, ja gigantische Pläne, mit denen Caesar sich beschäftigte – und sich verewigte in Rom. In seinen alten Zwang zur Leistung könnte damals die Furcht vor dem nahenden Ende als zusätzlicher Ansporn eingegangen sein. Ein ganzes Heer von Beauftragten und Arbeitern hielt er in Atem; schuf freilich auch viel Arbeit. »Wo Macht sich unmittelbar in Tat umsetzen ließ, da mußte sich seine Herrschaft in ihrem Element fühlen« (Heuß). Alles mußte in kürzester Zeit geschehen. Eine solch immense Arbeit aber, unter dem Druck außerordentlicher Ansprüche geleistet, erfordert einen planmäßigen, reibungslosen Ablauf. Da war es dann vielfach schon zu mühsam, selbst ein so willfähriges Organ, wie der Senat es inzwischen geworden war, zu beteiligen. Caesar ließ daher seine Verfügungen oft einfach in die Form von
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Senatsbeschlüssen gießen, wobei sich seine Sekretäre die Namen des Antragstellers und der Protokollzeugen ausdachten. Cicero bekam dann etwa Briefe von exotischen und ihm völlig unbekannten Persönlichkeiten vom Ende der Welt, die sich dafür bedankten, daß er für sie den Königstitel beantragt hätte. »Ich höre eher, daß ein angeblich auf meinen Antrag gefaßter Beschluß nach Armenien oder Syrien gelangt ist, als daß dieser Gegenstand überhaupt erwähnt worden wäre.« Vermutlich befolgte Caesar diese Methode vor allem im Verkehr mit fernen Ländern. Vieles, wofür an sich Magistrate zuständig waren, zum Beispiel das Münz- und Finanzwesen, soll er sogar durch seine eigenen Sklaven erledigt haben. Wohl im Jahre 44 gab Caesar auch den noch nicht begnadigten politischen Gegnern ihre vollen Rechte zurück. Den Witwen der Gefallenen, deren Vermögen er hatte einziehen lassen, ließ er ihre Mitgift erstatten, auch ihre Kinder sollten einen Teil ihres Erbes erhalten. Das stellte in gewissem Sinn den Schlußstein in seiner Versöhnungspolitik dar. Es sieht auch aus, wie wenn der Dictator vor dem Aufbruch in den Partherkrieg die Bürgerkriegsschuld endgültig hätte begleichen wollen, soweit das noch möglich war. Eine bemerkenswerte Äußerung der Nachsicht, die in scheinbarem Widerspruch zu Caesars willkürlichem, hochfahrendem Verhalten in diesen Wochen steht. Allein, Besänftigung des eigenen Gewissens, Bekräftigung der eigenen Überlegenheit, herrscherlicher Gestus, das alles traf jetzt auf neue Weise zusammen, seitdem Caesars Gnade keine taktischen Gründe mehr haben konnte: Er hatte keine Feinde mehr; er stand über allem, auch über der Vergangenheit. War es zugleich ein Abschiednehmen von der Zeit? Während des Saturnalienfests im Dezember 45 finden wir Caesar in Puteoli (Pozzuoli). Er besuchte dort auch Cicero. »Welch ein belastender Gast! Und doch ist es mir nicht leid; es war nämlich äußerst nett.« Er kam mit großem Gefolge. Ein unendliches Gedränge. Cicero ließ die Soldaten auf dem Feld biwakieren. Caesar kam zu Fuß von einem Nachbarn herüber. »Nach zwei Uhr ins Bad ... Dann ließ er sich salben und kam
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zu Tisch. Er hatte vor, ein Vomitiv zu nehmen; so aß und trank er denn auch unbekümmert und mit Appetit, und es war auch ein ganz glänzendes, prachtvolles Mahl.« Sein engeres Gefolge wurde an drei langen Tafeln bewirtet. »Freilich, der Gast nicht so, daß man ihm hätte sagen mögen: ›Tu mir doch den Gefallen und komm wieder herein, wenn du zurückfährst.‹ Einmal genügt mir gerade. In der Unterhaltung kein ernsthaftes Wort, viel Literarisches. Genug! Er hatte sein Vergnügen und fühlte sich behaglich.« Aber so liebenswürdig, wenn auch belastend Caesar vielen begegnete, so rastlos er tätig war, wir hören weiterhin nichts, was als Schritt zu einer Konsolidierung des römischen Gemeinwesens interpretiert werden könnte. Nach seinem Tod hat sein enger Vertrauter Gaius Matius erklärt: »Wenn er mit seinem Genie schon keinen Ausweg fand, wer soll ihn jetzt finden?« Nicht nur alte Republikaner, auch Caesarianer sahen hier also ein Problem; und es ist ganz offenkundig. Sollte Caesar es nicht gesehen haben? War er ihm gegenüber ratlos? Oder wußte er sehr wohl, wie er Roms künftige Ordnung einrichten wollte, und hielt es nur nicht für opportun, es zu diesem Zeitpunkt bereits zu verkünden? Dann müßte er die Errichtung einer Monarchie im Auge gehabt haben. Alle seine Maßnahmen, so praktisch, so folgenreich sie sein mochten, lassen sich durchaus verstehen, wenn man annimmt, daß er nur an seine Etablierung als Sieger, also an sich, seine Parteigänger sowie an den Ausbau und die Bewährung seiner Wirkungsmöglichkeiten, gedacht hat. Und nichts, was wir sehen können, spricht dafür, daß er eine Monarchie einrichten wollte. Alles ließe sich schon erklären, wenn es ihm nur darum gegangen wäre, selber als Alleinherrscher zu wirken. Diese Unterscheidung ist insofern keineswegs spitzfindig, als er zweifellos primär an seiner Macht und seinen Möglichkeiten interessiert und sein Interesse für Institutionen beschränkt war. Hatte nicht Cicero ihm gegenüber deutlich durchblicken lassen können, daß es nur sein Ruhmbedürfnis sei, das ihm das institutionelle Problem nahebringen könne?
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62 Obwohl der Junge kränklich war und alles andere als ein Held, hatte er sich zäh und tapfer bewährt. Gaius Caesar: Caesars Adoptivsohn, der zukünftige Augustus. Münzprägung aus dem von Gaius befehligten Heer (43). Recht auffällig ist in diesem Zusammenhang auch das Testament, das Caesar – als sein letztes – am 13. September 45 abfaßte: Er setzte seinen achtzehnjährigen Großneffen Gaius Octavius als wichtigsten Erben ein, vermachte ihm seinen Namen und den größten Teil seines Vermögens. Caesar hatte Octavius schon zum Pontifex ernennen lassen, er nahm ihn auch auf den spanischen Feldzug mit. Obwohl der Junge kränklich und alles andere als ein Held war, hatte er sich zäh und tapfer bewährt. Caesar hat ihn gern und häufig in seiner Nähe gehabt, sich möglicherweise auch eingehend mit ihm unterhalten. Dann sandte er ihn nach Griechenland zum Studium; anschließend wollte er ihn in den Partherkrieg mitnehmen. Möglicherweise hat er die hohe und vielfältige Begabung erkannt, die Octavius – der als Augustus die Monarchie in Rom begründen sollte – nach Caesars Tod bald an den Tag
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legen sollte. Aber er konnte kaum annehmen, daß der Junge ihm so bald in seine Alleinherrschaft hätte nachfolgen können. Er hätte also zwar die Anhängerschaft des Adoptivvaters und mit dem Namen den Anspruch und die Möglichkeit erhalten, ungewöhnliche Macht zu entfalten; aber die Sonderstellung hätte er nicht geerbt. Wenn in Rom Monarchie herrschen sollte, mußte also voraussichtlich ein Anderer Caesar in seine Rolle folgen – und mußte mit seinem Erben dann die größten Schwierigkeiten haben. Caesars Testament war unverkennbar konventionell. Es ist das Testament eines römischen Aristokraten, der in seiner Verwandtschaft nach einem Erben sucht. Der Caesar, der das Testament machte, wußte offenbar in entscheidenden Punkten nicht von dem, der den Bürgerkrieg geführt und ganz Rom samt seinem Herrschaftsbereich in Besitz genommen hatte. Wie auch immer man über die Möglichkeiten, andere Erben zu finden oder Octavius zu einem wirklichen Nachfolger heranzuziehen, und über vieles andere denken mag, man kommt wohl kaum um die Feststellung herum, daß Caesar, wenn er eine Monarchie hätte begründen wollen, es äußerst ungeschickt angefangen hätte. Es gab auch kaum Voraussetzungen für die Einrichtung einer Monarchie im damaligen Rom. Bei seinen eigenen Anhängern hätte Caesar wenig Unterstützung gefunden. Diejenigen, die ihm ohne viel eigenen Willen dienen wollten, zählten nicht viel. Bei den Ehrgeizigeren aber war die aristokratische Selbstherrlichkeit nur um so ungebundener, als sie sich den korrespondierenden Pflichten und Beschränkungen nie hatten unterwerfen wollen. Wenn sie sich im Bürgerkrieg für Caesar einsetzten, so galt das dem gemeinsamen Sieg. Jetzt wollten sie mitsprechen. Caesar mochte eine herausragende Stellung einnehmen. Aber unter einem Mann, der »nicht einmal der Seinen, sondern nur seinen eigenen Rat gebrauchte«, war für sie kein sinnvoller Platz. Wo blieb da ihr Einfluß? Was hier gespielt wurde, war kein Spiel für sie. Caesar konnte ja gleichsam dem im Wettbewerb Unterlegenen den Preis zuerkennen. Da konnten sie mitmachen und dies und jenes genießen – es ging ihnen ja nicht schlecht –, aber das war nicht die Welt, in der sie sich aufgehoben fühlen konn-
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ten. Das konnte ihnen – wie allen anderen – nur als Provisorium erscheinen. Anders gesagt: Es fehlte der mächtige Anlaß, von dem her alle Maßstäbe hätten anders gesetzt werden müssen. Hätte es etwa in der römischen Gesellschaft einen kräftigen Druck, kräftige Erwartungen in Richtung auf neue politische Formen gegeben, so hätten Caesar Parolen zur Verfügung gestanden, hätte seine Monarchie – wenn er sie denn gewollt hätte – einrasten können in einer starken Willensrichtung; hätte er eine Sache gehabt. Er hätte ein überpersönliches Ziel weisen, hätte sagen können, worauf es ankam. Alle hätten gewußt, woran sie waren. Und er hätte dann eine Anhängerschaft so formen können, daß der Dienst an dieser Sache zum eigentlichen Kriterium der Stellung, des Rangs und zum guten Teil auch des Ansehens seiner Anhänger, und das hätte dann auch geheißen: der wichtigsten römischen Politiker geworden wäre. Da es daran aber in der Krise ohne Alternative mangelte, fehlten die wesentlichen Voraussetzungen für eine eingreifende institutionelle Neuordnung. Pläne dazu hätten keine Aussicht auf Resonanz gehabt. Die Krise war folglich immer noch nicht ins politische Erkennen und Handeln einzubeziehen. Es fehlte dem Dictator an der Gelegenheit, die eigenen mit allgemeinen Interessen, das eigene Streben nach Macht, Ansehen und Wirkung mit einem allgemeinen Verlangen nach neuen Institutionen zur Deckung zu bringen. Vermutlich ist es doch eine allzu gutgemeinte Vorstellung, wenn wir das, was wir für »staatsmännisch« halten, einfach aus Einsicht, erhabenem Weitblick und relativer Unabhängigkeit von Parteiinteressen ableiten. Man schmälert die Größe und das persönliche Verdienst des Staatsmanns nicht, wenn man feststellt, daß sein Wirken im Sinne des Begriffs eine bestimmte Machtlagerung voraussetzt. Das, was er »weitsichtig« als allgemeines Interesse erkennt, muß schon in seiner Gegenwart als Interesse und Meinung nennenswert angelegt sein. Es muß ein Nehmen und Geben zwischen ihm und bestimmten mächtigen Gruppen stattfinden, das ihn einerseits an eine Sache bindet, ihm andererseits die Freiheit, die Chance und das Material gibt, das,
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63 Münze des Gaius Cossutius Maridianus, 44 geprägt: Caesar als Vater des Vaterlandes (parens patriae). Die über das Haupt gezogene Toga kennzeichnet ihn als Opfernden und weist auf seine sakrale Würde als Pontifex Maximus hin; im selben Sinn sind auch die Wahrzeichen weiterer Priesterämter zu verstehen: links die Priesterkappe der Flamines, rechts der Krummstab der Auguren. was er von dieser Position her erkennt, auch zu verwirklichen. Nicht einfach Unabhängigkeit von Parteiungen, sondern nur von solchen, die ihn in die Enge, das heißt in Krisenzeiten: in die Krise selbst verstricken, ist für ihn wichtig. Das Vorhandensein solcher Parteiungen dagegen oder jedenfalls einer solchen Machtlagerung, die es erlaubt, genügend Kraft auf die Bewältigung der zentralen Problematik zu konzentrieren, ist wohl sogar eine conditio sine qua non eines staatsmännischen Werks. Was immer Caesar an institutionellen Plänen vielleicht gehabt hat, es kann in dieser Konstellation nur recht vage
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gewesen sein. Das lag weniger an ihm als an den bestehenden Verhältnissen. Aber man kann das nicht so genau trennen, weil er in eben diesen Verhältnissen groß geworden war und sich auf seine Weise ausgebildet hatte. Sein Glanz, seine Größe hatten sich ja so frei, imposant und staunenswert nur entwickeln können, weil er sich in Widerspruch zur Realität der späten Republik gesetzt hatte. Die hohen Maßstäbe persönlichen Handelns und Bewirkens, die er dann endgültig in seiner Welt in Gallien aufgerichtet hatte, hinderten ihn daran, den Weg einzuschlagen, der ihm grundsätzlich offengestanden hätte, nämlich ein Principat im Einverständnis mit dem Senat anzustreben. Es wäre der Weg gewesen, den schon Pompeius zu gehen versucht hatte. Caesar hätte es freilich nicht nötig gehabt, die Demütigungen zu ertragen und all die umständlichen Manöver zu vollführen, durch die allein jener zu seinem Ziel hatte kommen können; er war ja schon der Sieger im Bürgerkrieg. Wohl hätten ihm große Schwierigkeiten entgegengestanden, aber grundsätzlich gab es auch manche Bereitschaft zur Mitarbeit, die er sich hätte zunutze machen können. Vielleicht wäre der Versuch gescheitert. Aber Caesar hat ihn offensichtlich gar nicht unternommen. Er hätte auch sehr viele Rücksichten walten lassen müssen, viel zuhören und überzeugen; er hätte Schwierigkeiten mit der Integration seiner Anhänger gehabt, und Verfugen und Befehlen wären fehl am Platz gewesen: Er hätte eine Geduld aufbringen müssen, die ihm weniger als je zu eigen war. Caesar hätte wohl auch das Gefühl gehabt, sich untreu zu werden. Gegen alle wichtigen Kräfte und ohne irgendetwas über seine Absichten zu verlautbaren aber kann man wohl kein Gemeinwesen neu organisieren. So kam Caesar dazu, die wirklich wichtigen Probleme über denen zu vernachlässigen, die sich seinem planenden Sinn, seiner kräftigen Hand fügten. Daß er damit aber die entscheidenden Fragen offenließ, führte dann dazu, daß andere nach der Antwort suchten. Es entstand ein ungeheures Vakuum, und das wurde allmählich so quälend, daß ein eigenartiger Prozeß in Gang kam.
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Der Senat setzte nämlich Ende 45 oder Anfang 44 zu immer neuen Ehrenbeschlüssen an. Es war eine ganze und nun erstmals nicht durch Siege begründete Serie. Stets und überall sollte Caesar etwa das Triumphalgewand tragen dürfen. Es sollte ihm erlaubt sein, die sogenannten spolia opima (Ehrenbeute) zu weihen, was ein Feldherr durfte, wenn er den feindlichen Feldherrn mit eigener Hand getötet hatte; dabei traf diese Voraussetzung für Caesar gar nicht zu. Die Rutenbündel seiner Liktoren sollten stets mit Lorbeer umwunden sein. Er erhielt offiziell den Titel »Vater des Vaterlandes« – mit dem man früher verdienten Politikern höchstens einmal akklamiert hatte. Sein Geburtstag wurde zum öffentlichen Feiertag erklärt, mit Opfern sollte er begangen werden. Später wurde sein Geburtsmonat in Julius (Juli) umgetauft. In allen Tempeln Roms und in den italischen Städten sollten Statuen von ihm aufgestellt werden, auf der Rednertribüne gleich zwei mit je verschiedenen Auszeichnungen – als Retter der Bürger und Befreier der Stadt von Belagerung. Ein Tempel der Neuen Concordia sollte die durch Caesar begründete Eintracht besiegeln, ein Felicitas-Tempel anstelle der alten Curie sein Glück. Damals wurde auch der Bau der Curia Julia angeordnet. Es wurde ihm die tribunicische Unverletzlichkeit verliehen. Dann gab man Caesar das Recht, anstelle des gewöhnlichen Amtssessels einen goldenen für Senats- und Gerichtssitzungen zu gebrauchen. Er sollte den goldenen Kranz der etruskischen Könige tragen dürfen. In den hohen roten Stiefeln der albanischen Könige war er schon gelegentlich aufgetreten; sie gefielen ihm, und er fand, sie kämen ihm als Nachkommen des Aeneas zu. Dann sollten sich alle Senatoren eidlich verpflichten, sein Leben zu schützen und eine Leibwache aus Senatoren und Rittern ihm dienen. Seine Regierungsakte wurden im voraus für gültig erklärt. Andere Beschlüsse besagten, daß ihm alle vier Jahre wie einem Heros Spiele gefeiert werden sollten. Das schon früher beschlossene Götterbild, das in der Circusprozession mitgeführt wurde, sollte eine heilige Ruhestatt bekommen wie andere Gottheiten; auf sein Haus war ein Giebel zu setzen, wie wenn
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64 Münze des Lucius Aemilius Buca aus dem Jahr 44. Auf der Vorderseite Caesar als Dict[ator] Perpetuo. Auf der Rückseite verweist ein kunstvoll komponiertes Emblem auf Voraussetzungen und Auswirkungen von Caesars Herrschaft. In der Mitte überkreuzen sich der geflügelte Caduceus und die Fasces (ohne Beil, wie sie von Liktoren im Friedensbereich getragen wurden). In den Winkeln: eine rituelle Opferaxt, verschränkte Hände, die Weltkugel und der Name des Münzmeisters: die einzelnen Zeichen beziehen sich auf Wohlstand (wie er dem Gott Merkur verdankt wird), Amtsgewalt, Frömmigkeit, Eintracht und Weltherrschaft. es ein Tempel wäre. Ihm und der Clementia wurde ein Heiligtum geweiht. Er sollte einen Priester haben; Antonius wurde schon dazu bestellt. Der Kult für den neuen Gott sollte aber erst nach seinem Tod einsetzen. Im Gegensatz zu anderen Sterblichen sollte Caesar in der Stadt begraben werden. Die Vergottungsbeschlüsse wurden mit goldenen Buchstaben auf silberne Tafeln gesetzt und zu Füßen des capitolinischen Jup-
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piter aufgestellt. Schließlich wurden auch Caesars Sittenaufseheramt und dann vor allem seine Dictatur auf Lebenszeit verlängert. Er hat zunächst gezögert, die neue Dictatur anzutreten. Kurz vor dem 15. Februar 44 hat er es jedoch getan. Damit war auch der Schein des Provisoriums seiner DefactoMonarchie zerstört. Man hat sich viel Mühe gegeben, die Herkunft dieser und anderer Ehren und Vollmachten und den Sinn zu ergründen, der sich aus ihrer Zusammenstellung ergab. Vermutlich trugen die Senatoren alles zusammen, was ihnen nur einfiel. Einer übertraf den anderen, in immer neuen Sitzungen wurden immer neue Beschlüsse gefaßt. Eine wahre Ehrungshysterie hatte den Senat erfaßt. Und Caesar hat fast alles angenommen, gelegentlich auch Freude darüber geäußert. Verschiedene Motive kamen zusammen. Viele wollten ihm schmeicheln und gefällig sein. Manche mögen ihn wirklich für übermenschlich gehalten haben. »Gegen große Vorzüge eines anderen gibt es«, wie es bei Goethe heißt, »kein Rettungsmittel als die Liebe.« Der Übergang zwischen Mensch und Gott war in der Antike fließend. Außergewöhnlichkeit konnte als Göttergleichheit empfunden werden. Es ist auch keineswegs ausgeschlossen, daß Caesar sich mindestens einige der Ehren gewünscht hat. Daneben aber war gewiß ein anderes Motiv wirksam, nämlich ihn als Tyrannen zu brandmarken; er sei mit Ehren geschmückt worden wie ein Opfertier, heißt es in einer Quelle. Es war also auch ein Fall panegyrischer Entlarvung. Caesars Position immer weiter zu steigern, scheint jedenfalls die einzige freie Initiative gewesen zu sein, die dem Senat geblieben war, durch die man um Caesars Gunst wetteifern konnte. Es mochte manch einen schwindeln; aber nachdem einmal der erste Schritt gegangen war, mußten Ehrgeiz, Furcht und Mißtrauen zur Fortsetzung treiben. Mit jeder Ehrung wurden weitere Beschlüsse herausgefordert. Je prächtiger, überwältigender und entrückter Caesar dastand, um so mehr nahmen Unsicherheit, Furcht, Ratlosigkeit, Mißtrauen zu. Und je mehr sie zunahmen, um so dringender wurde es, ihn neuerdings durch Ehren für sich einzunehmen. Da war kein Wider-
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stand mehr, kein Ernst, von Unmißverständlichkeit der Wirklichkeit ganz zu schweigen. Caesar wurde selbst von diesem Prozeß erfaßt: Als der Senat einmal in feierlichem Zug eine neue Reihe von Ehrenbeschlüssen überbringen wollte, empfing er ihn sitzend. Auf seinem Forum war er gerade damit beschäftigt, Aufträge an Künstler zu vergeben. Die Empörung über den Mangel an Respekt war allgemein. Er ließ daraufhin Entschuldigungen ausstreuen – es sei ihm gerade übel geworden. Die Szene paßte zu seinem Ausspruch, wonach seine Worte an Gesetzes Statt zu nehmen seien. Doch welche Ehrungen Caesar immer erfahren hatte, eine war einstweilen noch übriggeblieben: das war der Titel eines Königs. Es fragte sich, ob er den auch wollte. Wohl mag es nach all dem, was voraufgegangen war, so scheinen, wie wenn dieser Titel nur eine weitere Ehre hätte sein können, ein letzter Schritt. Aber gerade weil es der letzte war, konnte es auch der längste sein. Denn auf Königtum stand in der Republik der Tod. Nur mochte, von unten besehen, die Entfernung, die Caesar davon noch trennte, gering erscheinen. Und so setzten sich mit dieser Frage allerhand Verdächtigungen auf ihn fest, die er nicht mehr hat abschütteln können. Ob er den Titel wollte, kann nicht mehr festgestellt werden. Die Wahrscheinlichkeit spricht eher dagegen. Er hat seinen Anhängern untersagt, einen entsprechenden Antrag im Senat einzubringen. Aber viele meinten trotzdem, daß er König sein wollte, oder gaben es mindestens vor. Mehrfach wurde ihm, in welcher Absicht immer, der Königstitel zugerufen, auch das Königssymbol des Diadems angetragen. Er hat es stets abgelehnt, und jedesmal hat sich neuer Verdacht erhoben. Einmal war die Caesarstatue auf der Rednertribüne mit einem Diadem geschmückt. Zwei Volkstribunen ließen es abnehmen. Am 26. Januar wurde Caesar, als er in die Stadt einritt, von einigen Umstehenden als König begrüßt. Geistesgegenwärtig antwortete er, er heiße nicht Rex, sondern Caesar; Rex war ja der Beiname der Familie seiner Großmutter.
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Als aber die beiden Volkstribunen denjenigen, der zuerst das verhaßte Wort gerufen hatte, abführen ließen, um ihn vor Gericht zu stellen, und dabei von der Menge lauten Beifall erhielten, traf sie der Zorn des Dictators. Die beiden antworteten in einem Edikt, die Freiheit ihrer Amtsführung sei bedroht. Caesar berief darauf den Senat ein, beklagte sich, er müsse entweder gegen seine Natur handeln oder einen Verlust an Dignitas hinnehmen. Der Senat setzte die Volkstribunen ab und ließ sie von der Senatsliste streichen. Caesar verlangte sogar vom Vater des einen, den Sohn zu enterben. Der freilich weigerte sich, und Caesar ließ es gut sein. Aber wie leicht er die Rechte der Volkstribunen nahm, um deretwillen er doch angeblich den Bürgerkrieg eröffnet hatte, war wiederum offensichtlich. Wenn Caesar, da die Volkstribunen jemanden verhafteten, der ihn als Rex begrüßte, in seiner Ehre tief getroffen wurde, so kann das nur bedeuten, daß der Verdacht, er strebe nach dem Königstitel, ihn beleidigte. Mit dem Königtum war Willkür gegen Leib und Leben der Untertanen verbunden; und er konnte für sich in Anspruch nehmen, daß er die nicht übte. Aber die Trennlinie, die er zwischen dem Königtum und der mit allen möglichen göttlichen und ja auch königlichen Attributen ausgestatteten Alleinherrschaft zog, war zu fein, um wirklich wahrgenommen zu werden. Am 15. Februar scheint er sie noch einmal demonstriert zu haben: Wenige Tage vorher hatte er den Titel des Dictator Perpetuo angenommen. Jetzt wurde das Lupercalienfest gefeiert. Caesar saß, angetan mit Triumphalgewand und goldenem Kranz im goldenen Sessel auf der Rednertribüne am Forum. Sein Consulatscollege und bedeutendster Gefolgsmann Marcus Antonius, der am traditionellen Lauf der nur mit einem Schurz bekleideten Luperci teilgenommen hatte, »legte« ihm – wie Cicero sagt – ein Diadem »auf«. Caesar wies es zurück und ließ es dem Juppiter als dem einzigen König Roms schicken. Antonius befahl, in den offiziellen Kalender einzutragen, Caesar sei vom Consul Antonius auf Befehl des Volkes das Königtum (regnum) angetragen worden; er habe es nicht annehmen wollen.
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Man kann den Vorgang verschieden deuten. Entweder: Caesar habe das Diadem gewollt und nur abgelehnt, weil er nicht den nötigen Beifall erhielt; oder: Er habe es sich in aller Öffentlichkeit antragen lassen, um es sichtbar zurückzuweisen und so allen Verdächtigungen und neuerlichen Proklamationen entgegenzuwirken. Es ist auch vermutet worden, Antonius habe ohne sein Wissen gehandelt – um sich beliebt zu machen oder um ihn zu verleumden. Was davon zutrifft, läßt sich nicht ausmachen. Man kann sagen, daß der Beifall, wenn Caesar das Diadem denn hätte haben wollen, sich hätte inszenieren lassen. Dann wäre es ihm um dessen Zurückweisung gegangen. Und dafür spricht wohl die Wahrscheinlichkeit. Aber vielleicht wollte er es zwar, doch aus freien Stücken? Indem er, wie überliefert, damals Hals und Brust entblößte und offen darbot, machte er dann jedenfalls eindrucksvoll klar, daß er die römische Auffassung respektierte, wonach, wer nach der Krone strebte, des Todes würdig war. Aber auch das half nichts. Die Gerüchte jagten sich. So meinte man eben, nur mangelnder Beifall hätte ihn veranlaßt, das Diadem zurückzuweisen. Man glaubte auch zu wissen, er plane, die Hauptstadt nach Alexandria zu verlegen. Kleopatras Anwesenheit – sie residierte immer noch in Caesars Gärten jenseits des Tiber – beflügelte die Phantasie. Damals hieß es wohl auch, es sei ein Antrag in Vorbereitung, wonach Caesar soviele Frauen heiraten könne, wie er wolle, um männliche Nachkommenschaft zu zeugen. Das zielte offenkundig auf den Sohn der ägyptischen Königin. Caesar konnte machen, was er wollte, er kam von dem Verdacht, nach der Krone zu streben, nicht mehr los. Seine Gegner haben sicherlich das Ihre dazu beigetragen. So verbreitete man denn auch, in der Senatssitzung vom 15. März solle der Antrag eingebracht werden, ihn auf Grund einer sibyllinischen Weissagung zum König für die Provinzen zu ernennen. Unglaubhaft erschien es nicht mehr. Dazu war die Stimmung zu sehr aufgepeitscht, war die Wirklichkeit zu wenig eindeutig, mußte alles zu sehr als möglich erscheinen. Man fragt sich, warum Caesar sich erst an dieser letzten
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Linie, die ihn vom Königtum trennte, zur Wehr setzte. Warum hat er den Ehrungen nicht Einhalt geboten, bevor es zu spät war? Haben sie ihm wirklich gefallen? Oder hat er sich nur willig-unwillig darein gefügt? Die Wahrscheinlichkeit spricht eher für die erste Möglichkeit. Immerhin dienten die Ehrungen, die seine überragende Qualität, sein Glück, seine Leistungen, sein nahezu göttliches Wesen dokumentierten, seinem Ruhm. Freilich nicht dem, was man im Abendland so erstrebt wie verachtet, der gloria mundi, die eitel erscheinen mag in den zur Transzendenz und zugleich zu den Jahrtausenden aufgerissenen Horizonten der Neuzeit. Sondern demjenigen Ruhm, in dem der große Römer im Gedächtnis seiner Bürgerschaft aufgehoben blieb, jener antiken Form der Unsterblichkeit. Wenn nicht vor dem Tod, so hat Caesar sich gewiß vor der Vergänglichkeit gefürchtet. Das war einer der Antriebe zu seinen Taten, zu deren literarischer Fixierung, zur Verewigung in großen Denkmälern der Architektur. War es nicht auch deswegen, daß er sich in seinen letzten Monaten so pausenlos verzehrte? Die Furcht mußte um so bedrängender werden, je weniger er in seiner Gegenwart Grund für sich fand. Sollten ihm da die Senatoren nicht wenigstens Manifestationen des Ruhms verleihen, die ihm eine Gewähr für die Zukunft sein konnten? »Pompeius wollte aus freiem Willen geehrt werden,... Caesar machte es nichts aus, wenn er sich die Ehren selber gab«, schrieb der griechische Historiker Dio. Vielleicht war er wirklich zuletzt nur mehr von der Ursache, nicht von den Ehrungen selber unabhängig. Dann hätte auch dieses Ziel sich ihm verabsolutiert. Zugleich mag er es in der Ordnung gefunden haben, daß er durch die Ehrungen in die Nähe der Götter gerückt wurde, deren Gunst sich in seinem ganzen Leben unendlich oft bewährt, die er gerade in ihrer Unwahrscheinlichkeit so stark erfahren und die ihn weit über alle hinausgehoben hatte. Die christlichen Tugenden der Demut galten gegenüber antiken Göttern nicht. Die republikanischen der Gleichheit hatte er hinter sich gelassen. Wenn die Senatoren Felicitas und Clementia als göttliche Kraft verstanden, wenn sie ihn unter dem
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ganz besonderen Schutz der Victoria darstellten, war das so falsch? Und wenn sie ihn durch die purpurne Toga auszeichneten, konnte es ihm nicht recht sein, daß er dadurch immer unnahbarer, unerreichbarer wurde? Schließlich könnte er sehr wohl seine Freude daran gehabt haben, wie der Senat, die Nachfolger der alten Herren der Republik und seine Anhänger, die sich in ihrer neuen Würde so großartig vorkamen, immer tiefer sich beugten, indem sie ihn immer höher hoben. Er konnte sie wohl nur mehr verachten. Und er wäre wohl nicht er selbst gewesen, wenn er dieser Verachtung jetzt nicht freien Lauf gelassen hätte. Ohnehin wollte Caesar keine Rücksichten mehr walten lassen. Seine Selbstbeherrschung machte ihm zuweilen Mühe. Seine Kräfte ließen nach. Er war nicht gesund. Cicero hat geschrieben, aus dem Partherkrieg wäre er »nie zurückgekommen«. Mochte da nicht eine diabolische Lust ihn hinreißen angesichts dieses unwürdigen Schauspiels? Mußte er nicht versucht sein, mitzuspielen in der Rolle, die ihm da zugemessen wurde; vielleicht gar, indem ihn sein alter Mutwille wieder trieb? Schließlich nahm er vieles nicht mehr so genau. Wenige Wochen trennten ihn noch vom Aufbruch in den Partherfeldzug. Und wie er schon 46 zu der Meinung gekommen war, er habe für sich und seinen Ruhm genug gelebt, so scheint in diesen Wochen ein Fatalismus in ihm Platz gegriffen zu haben. Dafür spricht, daß er seine aus Spaniern gebildete Leibwache entließ. Denn die Meinung eines Späteren, daß Caesar aus den Ehrungen fälschlich auf allgemeine Beliebtheit geschlossen hätte, ist kaum glaubwürdig. Eher beliebte es ihm, zu bekunden, daß er seine Gegner nicht ernstnahm. Nicht Blindheit sei es, was die Menschen und Staaten verdürbe, hat Ranke geschrieben. »Aber es ist in ihnen ein Trieb, von ihrer Natur begünstigt, von der Gewohnheit bestärkt, dem sie nicht widerstehen, der sie weiter vorwärts reißt, solange sie noch einen Rest von Kraft haben.« So trieb es Caesar immer mehr, zu sein, was er zu sein wußte: Roms Erster Mann, unvergleichlich durch seine Taten und Siege. Da er es war, wollte er
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es bleiben. Immer höher war er gestiegen, alle hatte er besiegt. Wo sollte seine Grenze sein? Welches immer die Motive, die Dispositionen waren, aus denen Caesar sich in die reißende Folge der sich überschlagenden Ehrungen verwickeln ließ: In diesem Prozeß gegenseitiger Abstoßung stand er um so weniger über dem Geschehen, je mehr er über den Menschen stand. Er war Herr über alles, was sich verfügen ließ, aber nicht über die Republik, die er zwar unterworfen, aber nicht besiegt hatte, die er so wenig kannte, wie sie ihn verstand, in der er keinen Platz, keinen Halt, keinen Sinn fand. Daraus nährte sich die Dynamik dessen, was sich wie ein Verhängnis ausnimmt – es vielleicht gar ist. Während Caesar sich dem Unmaß – und vielleicht gar Rausch – der Vollmachten und Ehrungen hingab, traf sich ein Kreis von Männern in dem Gedanken, daß man ihn ermorden müsse. Endlich schien es klar, daß Caesar seine Macht nur immer weiter ausbauen wollte bis zur Tyrannis. Maßgebend war für sie die alte, feste Überzeugung, daß jeder, der nach der Tyrannis strebte, zu töten sei. Der Stadtgründer Romulus war nach damaliger Auffassung getötet worden, weil sein Königtum zur Tyrannis entartet sei. Freilich war er zugleich – als Quirinus – ein Gott, und daher hatte Cicero Caesar nach den Ehrenbeschlüssen von 46 gern als Tempelgenossen gerade des Quirinus gesehen. Man wußte auch von einem Eid, den das römische Volk nach dem Sturz des letzten Königs geschworen hatte, nie wieder solle in Rom ein König regieren. Das Bewußtsein der Republik lebte ja wesentlich aus der Ablehnung der Monarchie. Der Plan, ein Attentat auf Caesar zu verüben, war schon älter. Cicero hatte ihn betrieben, im Sommer 45 sollte Antonius dafür gewonnen werden. Unter den Verschwörern, etwa sechzig Männern, die übrigens darauf verzichteten, sich gegenseitig durch Eide zu verpflichten, fanden sich ehemalige Pompeianer und Caesarianer. Die führenden Persönlichkeiten standen alle hoch in der Gunst des Dictators. Trebonius war 45 Consul
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65 Münze aus einer Prägung des Heeres der Caesarmörder unter dem Oberbefehl des Brutus: Brutus Imp[erator]. Die dargestellte Victoria mit dem Palmzweig in der Rechten tritt als Zerstörerin monarchischer Herrschaftssymbole auf: mit beiden Händen zerreißt sie das Diadem, und unter ihren Füßen liegt das zerbrochene Szepter. gewesen, Decimus Brutus war zum Consul 42 gewählt, Gaius Cassius Longinus und sein Schwager Marcus Brutus waren Praetoren und sollten wohl 41 Consuln werden. Marcus Brutus wurde zum eigentlichen Führer der Verschwörung. Er war wie prädisponiert dazu; durch die von ihm behauptete Abstammung von den zwei Männern, die Rom von der Tyrannis befreit hatten, als Neffe Catos und schließlich durch das Gewicht seiner eigenen Persönlichkeit. Eine der merkwürdigsten Verknüpfungen der Geschichte: daß diese drei Momente in ihm zusammenkamen – und daß seine Mutter auch noch die erste unter den Geliebten Caesars war. So kon-
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zentrierten sich alle Erwartungen einer gewaltsamen Beseitigung des Tyrannen auf ihn; er hatte sich ja auch früher schon auf seinen Münzen zum Vorkämpfer der republikanischen Freiheit gemacht. Doch hielt er besonders lange zu Caesar, hatte ja auch die Hoffnung gehegt, daß der sich zu den »Guten« schlage. Sein Urteil war offenbar von der Alternative: Wiederherstellung der res publica oder Rechtlosigkeit und Despotie bestimmt gewesen. Da Caesar sich so wenig despotisch verhielt, schloß er auf seinen guten Willen. Brutus war von einfacher, rechtschaffener Wesensart. Und die hatte er philosophisch untermauert: Wie sein Onkel hatte er sich eingehend und ernsthaft mit Philosophie und Wissenschaft befaßt. Im Feldlager bei Pharsalos, so hören wir, hat er Auszüge aus Polybios’ Geschichtswerk gemacht, saß ständig über seinen Büchern. Höchst gewissenhaft und gerade, wie er dachte, ließ er sich nicht leicht zu etwas hinreißen. Er prüfte alles genau und war stets bereit, eher gegen das eigene Empfinden zu entscheiden. Nur wenn er sich dann getäuscht vorkam, wenn er Unrecht erfuhr oder wenn ihm klar wurde, daß er falsch entschieden hatte, dann wuchs ihm beachtliche Kraft zu, um das, was er inzwischen als recht erkannt hatte, zu verfechten. So kam er dazu, sich 48 sehr bewußt und entschieden auf Caesars Seite zu schlagen. Das Bild des verhaßten Consuls von 59 und gallischen Proconsuls schien falsch zu sein. Man hatte ihm Unrecht getan. Allein das schon mußte Brutus für ihn einnehmen. Wenn Caesars Liebenswürdigkeit auf ihn wirkte, so war er durch sein Rechtsbewußtsein dafür empfänglich geworden. Wie weit seine Mutter dabei ihre Hand im Spiel hatte, ist unklar. Vermutlich konnte sie in Hinsicht auf Caesar keine rechte Autorität für Brutus sein. Er konnte sich gegenüber dem Liebhaber seiner Mutter nur Mühe geben, seine private Betroffenheit hintanzuhalten – bevor er dann darauf kam, daß die Gerechtigkeit seinen Anschluß an ihn forderte. Daß Cato sein Onkel war, hat ihn anscheinend nicht gestört, zumal er fand, daß der sich geirrt hatte. Vermutlich war er ihm in jenen
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66 »Es kommt sehr darauf an, was er will; aber was er will, das will er ganz« (Caesar). Marcus Junius Brutus. Münzprägung des Lucius Plaetorius Cestius aus dem Heer der Caesarmörder unter dem Oberbefehl des Brutus: Brut[us] Imp[erator]. (43-42; für die andere Seite dieser Münze vgl. unten Abbildung 67). Jahren auch ferngerückt. Dann aber lag in seinem Einsatz für den toten Cato etwas von persönlicher Wiedergutmachung; keine Wendung gegen Caesar, aber eine Stellungnahme für den Unterlegenen, dessen Tod ihn beschämte. Und so stellte er sich schließlich entschlossen gegen Caesar, als auch für ihn kein Zweifel mehr darüber möglich war, daß der die Alleinherrschaft anstrebte. Das war spätestens, als er Dictator auf Lebenszeit wurde. Caesar hatte einmal von ihm gesagt: »Es kommt sehr darauf an, was er will; aber was er will, das will er ganz.« Ebenso war es jetzt. Und gerade weil er so lange zu Caesar gehalten hatte und so ungemein gewissenhaft war, kam seinem Entschluß höchste Autorität zu. Vielleicht hat er
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erst den Ausschlag gegeben, daß mit den Plänen für einen Anschlag Ernst gemacht wurde. Jedenfalls war er mit der ganzen Festigkeit seiner inneren Statur bei der Sache. Aber dem Ernst seines Entschlusses entsprachen seine Grenzen: Er bestand streng darauf, nur Caesar, nicht auch Antonius zu ermorden. Die Verschwörer meinten überhaupt, mit der Beseitigung des Tyrannen sei alles getan. Sie bereiteten nichts vor, um die Übernahme der Macht zu sichern, ohne die sie schwerlich Senat und Magistraten die Führung der Republik hätten gewährleisten können. Schließlich war Antonius der Consul, Lepidus der Vertreter Caesars als Dictator; sie hatten mehrere Legionen in ihrer Hand, und Caesar hatte, um von anderem abzusehen, sehr viele Veteranen, die ihn zu rächen suchen mußten. Cicero urteilte, die Verschwörung sei mit »männlichem Herzen und kindlichem Verstand« (animo virili consilio puerili) geplant worden, und das ist wahr. Es war ein weiteres Beispiel für die Einseitigkeit der späten Republik, daß diese Gruppe von aufrechten, ehrenhaften Republikanern unangefochten davon überzeugt waren, daß die Republik wieder in Kraft treten würde, sobald der Tyrann ermordet war. Nichts hatten sie von den Voraussetzungen seines Aufstiegs begriffen. So hatten sie soviel Recht wie Unrecht – gerade wie Caesar auch. Aber nach ihren Maßstäben konnten sie nicht anders handeln. Die Republik war in ihrer Vorstellung so klar wie Caesars Tyrannis. Da gab es kein Wenn und kein Aber, sondern nur die Tat. Sie hat Rom dann nicht die Republik, sondern – wie Caesar vorausgesagt hatte – den Bürgerkrieg gebracht. Nahezu fünfzehn Jahre mußte gekämpft werden; die römische Gesellschaft machte einen schweren Zermürbungsprozeß durch. Er war dann die Bedingung der Möglichkeit dafür, daß der Erbe des Dictators – freilich mit sehr viel Geschick, Geduld und Selbstverleugnung – in Rom die Monarchie errichten konnte. Man hat auch von der Ermordung Caesars gesagt, sie sei mehr als ein Verbrechen gewesen, nämlich ein Fehler. Wenn Caesar aber eines natürlichen Todes gestorben wäre, wäre
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es vermutlich kaum anders gekommen. Und wie kann es ein Fehler sein zu handeln, wie man anders nicht handeln kann? In Brutus und seinen Mitverschworenen regte sich ziemlich unmittelbar die Sicherheit, in der die res publica die römische Bürgerschaft noch beseelte. Soviel sie auch darüber nachgedacht, diskutiert, gezweifelt, wie sehr sie ihr Gewissen geprüft haben mögen, nachher waren es die Macht und die Eindeutigkeit der überkommenen Form, die sich in ihnen in die Tat umsetzte. So sehr prägte sie sie, war sie in ihnen lebendig, hatte sie ihrem Leben, wie sie jetzt merkten, als Sinn zugrunde gelegen. Die Faszination, welche Caesar auf viele der Verschwörer ausgeübt hatte, verblaßte dann: Nur noch den Tyrannen konnten sie in ihm sehen. Das Bewußtsein der Pflicht schirmte sie ab gegen die Erfahrung der Person, ihrer Großzügigkeit und ihrer Milde. Sie konnten ihn nicht schonen, obwohl er vielen von ihnen das Leben geschenkt hatte. Und sie hatten recht: So sehr sie im Alten befangen waren, wenn Caesar wirklich etwas Neues gewußt hätte, so hatte er es nicht mitgeteilt. Und so fruchtbar sein Wirken in vielen Einzelheiten war, im Ganzen hatte er nur zerstört. Er hatte keine neue Ordnung gewiesen, sondern lediglich die alte mit dem Bürgerkrieg und der Etablierung seines Sieges belastet. So hat er den Niedergang der überkommenen Institutionen stark beschleunigt. Das Eigenartige ist nur, daß diese Zerstörung ins Werk gesetzt wurde von einem Mann, der nicht nur ganz außerordentliche Fähigkeiten besaß, sondern auch ungemein überlegen und von großem persönlichen Zauber war, in dem so viele Möglichkeiten antiker Menschheit kulminierten, griechische wie römische. Alles, was ein Mensch zu seiner Entfaltung braucht, hatte ihm die Kultur dieser Zeit dargeboten, und seine Begabung war reich genug, um es sich anzuverwandeln. Nur hatte er scheinbar den Preis nicht zu erlegen, um den eine Kultur soviel hergibt: Er brauchte sich nur sehr bedingt in sie einzufügen. Die ehedem so fruchtbare Spannung zwischen
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Individualinteressen und den Forderungen der Allgemeinheit, die sich schon vor Caesar vielfach gelockert hatte, hielt seiner Dynamik nicht stand. Er lernte einfach nicht, was das Spiel der republikanischen Institutionen war. Zunächst hatte er es verachtet; hatte es aus der Distanz zwar gut genug durchschaut, daß er sich glanzvoll in ihm durchzusetzen wußte. Aber wozu es diente, wie es sich trug, wie in ihm alle Kräfte sich ausglichen und was es von allen zu verlangen hatte, das nahm er nicht wahr. Dann geriet er mit den Institutionen in Konflikt, wurde anschließend von ihnen abgestoßen; wurde dadurch vielleicht gar erst genötigt zu vielem, was er ursprünglich nicht gewollt hatte. Und da sich dieser Vorgang in einer weltbeherrschenden Aristokratie abspielte, konnte solch ein Außenseiter angesichts der Desintegration ihrer Ordnung höchste Macht gewinnen; mit dem Reiz, der Klarheit, Unbedingtheit und Freiheit seiner Position also äußerste Handlungsmöglichkeiten verbinden. Dazu kamen die Unwahrscheinlichkeit seiner Erfolge, Mutwille, spielerische Kühnheit; Überlegenheit und Souveränität; der große Atem, die Aura und nicht zuletzt jene Eleganz der Bedenkenlosigkeit, die ihm bei aller Anstrengung den Anschein des Mühelosen gibt und zum hohen ästhetischen Reiz seiner Größe so viel beiträgt. Denn schließlich ist es doch wohl nicht zuletzt das geheime Ideal größten Handlungsvermögens und einer persönlichen Autarkie, die Lust, so zu sein, wie wir es wollen, was uns für die Größe Caesars so empfänglich macht. Zweifellos steckt darin ein ganzes Stück Immoralität. Cicero meinte später sogar, in Caesar sei »eine solche Lust zum Unrechttun gewesen, daß eben dies selbst ihn ergötzte, Unrecht zu tun, auch wenn er keinen Grund dazu hatte.« Das ist gewiß ungerecht. Caesar müßte denn unendlich viele Gelegenheiten dazu ausgelassen haben. Aber natürlich konnte Cicero zu Recht meinen, Caesar habe »alle göttlichen und menschlichen Satzungen mit Füßen getreten«. Und Cato konnte finden, daß er gegen das Weltgesetz verstoßen habe. Nur stellt sich die Immoralität Caesars in Wirklichkeit nicht so einfach dar, wie sie seinen Gegnern erschien. Er scheint durchaus ein Empfinden
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für das Unrecht gehabt zu haben, das er tat. Wenn er bei Pharsalos den Gegnern die Schuld gab, so kommt darin nicht nur sein Bewußtsein des eigenen Rechts, sondern auch der wache Sinn für die Ungeheuerlichkeit dieser Bürgerkriegsschlacht und die quälende Frage nach der Verantwortung zum Ausdruck. Als Cicero 46 für die Begnadigung des Quintus Ligarius vor Caesar sprach, soll der seinem Gefolge vorher hochmütig erklärt haben, er wolle sich gern wieder einmal eine CiceroRede anhören; aber sein Urteil würde dadurch nicht verändert. Als Cicero dann aber alle Register gezogen habe, »da habe Caesars Gesicht mehrfach die Farbe gewechselt und alle Seelenregungen deutlich widergespiegelt, und als der Redner schließlich auf die Schlacht bei Pharsalos zu sprechen kam, da sei Caesar ganz außer sich geraten, habe am ganzen Leib gezittert und einige Aktenstücke aus der Hand fallen lassen. Überwältigt sprach er endlich den Mann von der Schuld frei« (Plutarch). Und Caesars Milde ist gewiß nicht nur eine Äußerungsform von Überlegenheit und Siegeswillen, sondern es wird ihr auch ein Bewußtsein von Recht und Unrecht zugrunde gelegen haben. Nur hinderte ihn dieses Bewußtsein nicht daran, in größter Freiheit aus höchstpersönlichen Interessen Roms Institutionen mit Füßen zu treten, Gallien zu erobern und den Bürgerkrieg zu eröffnen. Es milderte nur die menschlichen Konsequenzen, die sich daraus ergaben. Und gegen diese Freiheit der kühnsten, ausgreifendsten Wahrnehmung eigener Interessen war ihm kein moralischer Einwand stark genug. Insoweit ist ihm in der Tat Immoralität oder besser: Unberührtheit von den herkömmlicher- und berechtigterweise an einen römischen Aristokraten sich richtenden moralischen Erwartungen zuzusprechen. Aber wenn dann als Bezugspunkt all seiner Freiheit gegen das Überkommene nur seine Person und seine Ehre erscheint, so zeigt dies bloß, daß es die großen Legitimationszwänge der Neuzeit nicht gab, die den tätigen Außenseiter beengen und stärken: die Beziehung auf eine transzendente Religion und eine auf andere Weise transzendente Staatlichkeit, die unter
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Umständen jede Unmoral rechtfertigen kann. Im Bann dieser Zwänge erscheint Caesars Selbstbezogenheit uns leicht um so viel ungeheuerlicher, je menschlicher, milder und vornehmer sie eigentlich war. Selbst in antiken Dimensionen hatte Sulla aus der Beziehung auf die Republik das Recht zu den schrecklichen Morden seiner Proscriptionen abgeleitet. Caesar konnte das nicht. Weit mehr als unmoralisch aber war er anders als die Römer seiner Zeit, fremd, unverständlich, abgestoßen und dann so abstoßend wie faszinierend. Daraus resultierte seine Schuld, soweit er an der Republik schuldig wurde. Aber viel wichtiger als das war, daß er sich eine eigene Wirklichkeit neben derjenigen der Republik aufbaute. Wie sich in Caesar Glanz – und zwar persönlicher, nicht institutioneller – und Macht verbanden, ist wohl nahezu einzigartig in der Geschichte. Aber das machte ihn gegenüber der Republik nur stark, so lange er in ihr siegen mußte. Danach wurde offenkundig, daß seine Stärke zugleich seine Ohnmacht war. So könnte sich am Ende eine gewisse Melancholie der Erfüllung – und zugleich der Vergeblichkeit – auf ihn gesenkt haben. Caesars Größe, Einsamkeit, Versagen gehörten zusammen; das Hochgefühl seiner außerordentlichen Bewährung in Krieg und Politik, die Verachtung der Anderen und die Ratlosigkeit gegenüber dem Problem der Konsolidierung; Caesars unerhörte Freiheit, die Überlegenheit, die Sicherheit und die Grundlosigkeit seiner Existenz, das Abgründige, dem er sich mit zunehmendem Alter wohl immer stärker öffnete. So gehörten auch sein Wesen und sein Geschick zusammen. Denn »man muß das Leben nicht banalisieren, indem man das Wesen und das Schicksal auseinanderzerrt und sein Unglück abseits stellt von seinem Glück. Man darf nicht alles sondern« (Hofmannsthal). Wenn die römische Republik sich überlebt hatte, ohne daß die Römer das gewußt hätten, wenn sie für ihre Bürger unbezweifelbar war, so konnte sie nur an sich selbst zugrundegehen, sei es in einem langgestreckten Zermürbungsprozeß, sei
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es indem ein bedeutender Mann gegen sie alles entfaltete, was sie damals an Möglichkeiten bot. Da die Geschichte diesen Weg ging und nicht jenen, gestaltete sich der Untergang der Republik in der Form des Dramas. Darin aber geht es weniger um Schuld als um Verhängnis. Und gerade die Größe Caesars macht dieses Verhängnis aus. Obwohl die Verschwörer über ihre Absichten nach außen nichts hatten durchsickern lassen, scheint die Gefahr eines Attentats nicht ganz verborgen geblieben zu sein. Caesar wurde durch treue Anhänger gewarnt, er möge sich wieder eine Leibwache zulegen. Das aber lehnte er ab. Nichts Unglücklicheres gäbe es, als sich so bewachen zu lassen. Nur wer stets Angst habe, habe das nötig. Es sei besser, dem Sterben ins Auge zu sehen als ständig in Unruhe davor zu leben. Er war überlegen auch gegenüber dem Tod. Als er am Abend des 14. März bei Lepidus zu Gast war und das Gespräch – während Caesar Briefe unterschrieb – darauf kam, welches der angenehmste Tod sei, meinte er: ein plötzlicher, unerwarteter. Die Verschwörer hatten die Senatssitzung vom 15. März für die Ermordung bestimmt. Am 18. wollte Caesar in den Partherkrieg aufbrechen. Der Senat tagte in der Curie des Pompeius. Caesar kam verspätet, da er sich nicht wohl gefühlt hatte. Erst hatte er sein Erscheinen absagen wollen, war dann aber von einem der Verschwörer überredet worden zu kommen. In einer Sänfte ließ er sich zum Pompeius-Theater tragen. Als er ausstieg, sei ein griechischer Gelehrter, Artemidoros von Knidos, der offenbar einiges über die Verschwörung wußte, mit einer Schriftrolle auf ihn zugetreten, auf der er Caesar Anzeige erstattete. Als er sah, daß Caesar die Rolle – wie alle anderen ihm überreichten Schriftstücke – an seinen Diener weitergab, soll er gerufen haben: »Caesar, das mußt du lesen, allein und rasch! Es stehen wichtige Dinge drin, die dich ganz besonders angehen!« Caesar habe die Rolle in der Hand behalten, sei aber zum Lesen nicht mehr gekommen. Der Opferschauer Spurinna hatte ihm für die Iden des März Unglück prophezeit. Er soll an der Tür zum Senat gestanden
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67 Für die Caesarmörder bedeuteten die Iden des März den Tag, an dem Rom vom Tyrannen befreit worden war. Auf einer Münze, die 43/42 im Heer des Brutus geprägt wurde, gewinnt das Datum (Eid[us] Mar[tiae]) den Charakter eines symbolträchtigen Schlagworts; in der Mitte des Bildes der Pileus als Zeichen der wiedergewonnenen Freiheit, links und rechts davon die Dolche des Tyrannenmordes. (Für die andere Seite dieser Münze vgl. oben Abbildung 66). haben. Als Caesar ihn erblickte, lächelte er spöttisch und überlegen zu ihm hinüber: Die Iden des März seien da, und es sei ihm nichts passiert. Darauf der andere: »Da sind sie, aber noch nicht vorüber.« Die Senatoren erhoben sich von den Plätzen. Durch ihre Reihen schritt er nach vorn. Einige der Verschwörer hatten sich hinter seinem Sessel postiert – der zu Füßen einer Pompeius-Statue stand –, andere traten auf ihn zu, wie wenn sie
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ein Bittgesuch, das ihm vorgebracht wurde, unterstützen wollten. Als Caesar es ablehnte, riß ihm der Bittsteller mit beiden Händen die Toga vom Hals. Das war das verabredete Zeichen. Dann griffen sie ihn an. Der erste Stich ging nicht tief. Caesar konnte den Dolch packen. Im Saal starrte man entsetzt auf die Szene. Dann zückten die anderen ihre Dolche. Sie hatten ausgemacht, jeder müsse einmal zustechen. Dreiundzwanzig Stiche gingen auf den Dictator nieder. Caesar hat sich eine Weile gewehrt, hat sich den Stößen zu entwinden gesucht. Schwerverletzt zog er schließlich die Toga über den Kopf. Keiner sollte ihn in seinem Blut, in seiner Ohnmacht, in seinem Sterben sehen.
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Nachwort Absicht des Buches • Literatur und Quellen • Danksagungen • Augustus’ Lösung der Krise: Wie schließlich die Alternative entstand Eine wissenschaftliche Biographie in erzählerischer Absicht möchte dieses Buch sein. Es beruht auf einer sehr langen, intensiven Erforschung der Geschichte Caesars und der späten Republik, die in verschiedenen wissenschaftlichen Arbeiten ihren Niederschlag gefunden hat. Hier aber sollte ein möglichst anschauliches, umfassendes Bild gezeichnet werden. Caesar und seine Zeitgenossen erscheinen uns heute recht fremd. Es wäre eine Verfälschung, wenn man sie dem Leser vertraut machen wollte; aber in ihrer Fremdheit sie ihm nahebringen – das kann man, und das sollte hier geschehen. Im römischen Gewand begegnet uns ein innerhalb der damaligen Bedingungen durchaus verständliches Handeln und Denken, eine eigentümliche Ausformung des Allgemeinen im Besonderen – wie immer in der Geschichte; und zudem eine durchaus aktuelle Problematik. Zu dem Versuch, die ferne Zeit in ihrer Fremdheit dem heutigen Leser nahezubringen, gehört, daß deren Eigenheiten nicht vorausgesetzt, sondern in die Schilderung mit aufgenommen werden. Die Unverständlichkeit moderner Geschichtswissenschaft für einen breiteren Leserkreis beruht ja zum guten Teil darauf, daß in einer Art Betriebsblindheit das für uns so Fremde, ja geradezu Exotische historischer Gesellschaften für selbstverständlich gehalten, also nicht näher erläutert wird. So paradox es klingen mag: erst wenn man sich der Fremdheit und der Distanz einer fernen Zeit ganz bewußt ist, kann man sie seiner Gegenwart verständlich machen. Was man in der modernen Wissenschaft Strukturgeschichte nennt und was häufig in schwierigen Begriffen daherkommt, ist also gerade für das Erzählen eine unerläßliche Voraussetzung.
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Freilich dürfen die Begriffe, welche die Verständigung unter Fachgenossen so bequem machen – und gelegentlich sogar mit recht geringem Erfahrungsgehalt geladen sind –, in einer solchen Darstellung niemals für sich stehen, sind vielmehr stets zu erklären, und das, was sie meinen, sollte möglichst konkret und anschaulich gemacht werden. Ich habe versucht, dies zu tun. Es sollte dem Leser nichts, was in den Zusammenhang dieser Biographie gehört, geschenkt werden; aber er sollte auch zu allem seinen Zugang haben; mit und ohne humanistische Bildung. Ich hoffe, das sei gelungen – und es werde auch dem, der mit der damaligen Epoche vertrauter ist, nicht langweilig. Denn das Bild, das von Caesar und seiner Zeit gezeichnet wird, ist weithin neu. Eine besondere Schwierigkeit bestand darin, daß unsere Überlieferung vieles nicht enthält, was man für eine Biographie wissen müßte, etwa für das Aufwachsen, das Denken, auch für die letzten Monate Caesars. Teilweise habe ich versucht, aus der Not eine Tugend zu machen: dort nämlich, wo man sich sonst in die Schilderung des individuellen Lebensweges des Helden hätte verlieren können, durch Rekonstruktion der Eigenheiten der Zeit – etwa in der Erziehung – die allgemeinen Bedingungen des damaligen Rom zu charakterisieren. Da Historie ständig damit befaßt ist, das Eigene mit Hilfe des Fremden zu verstehen, schien gerade dies von Nutzen zu sein. Im übrigen habe ich mich bemüht, durch Rückschlüsse und Vermutungen das Fehlende zu ergänzen – oder wenigstens durch Fragen anzudeuten, was fehlt. Denn es ging mir darum, stets den Rahmen durchscheinen zu lassen, in dem sich das, was wir von Caesar wissen, bewegt. Zu einer historischen Darstellung gehört ja zunächst das Bewußtsein davon, welcher Rahmen auszufüllen ist, wenn man ein Ganzes bieten will. Wer sich in der Auswahl des zu Erzählenden dem Zufall der Überlieferung anheim gibt, bleibt vielleicht nicht im Einzelnen, aber im Ganzen viel weiter von der Wahrheit entfernt als derjenige, der sich des Ganzen bewußt ist. Und wenn, wie es hier regelmäßig geschehen ist, der Grad der Wahrscheinlichkeit bei den einzelnen Aussagen
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markiert wird, kann auch im Einzelnen alles verantwortet werden. Es hätte sich mit der Absicht des Buches nicht vertragen, jeweils die Quellen der Erkenntnis zu zitieren. Dann hätte ja nicht nur ein umfangreicher Apparat an Belegen zitiert, sondern auch eine vielfältige Auseinandersetzung mit Quellen und Literatur geführt werden müssen. Wir besitzen glücklicherweise zwei Bücher Caesars, das Bellum Gallicum und das Bellum Civile, die – samt einigen Briefen sowie Fragmenten aus Reden und Schriften – als Selbstzeugnisse höchst wertvoll sind. Ciceros Briefwechsel und seine Reden führen uns dicht an das Geschehen und den Alltag der Zeit heran – und enthalten zugleich einige geistvolle, wenn auch zuweilen recht einseitige zeitgenössische Urteile. Weitere literarische Quellen aus der Zeit stellen das Werk des Dichters Catull und des Historikers Sallust dar. Die archäologische – und vor allem numismatische – Hinterlassenschaft der Zeit ist in verschiedenen Zeugnissen in dieses Buch aufgenommen worden. Wir besitzen zwei Caesar-Biographien aus späterer Zeit, diejenige Suetons, eines trockenen, zuverlässigen Sammlers von Einzelheiten, und diejenige Plutarchs, dem es vor allem um ein Bild seines Helden ging. Ferner sind drei spätere Historiker zu nennen. Velleius Paterculus, Appian und Cassius Dio. Darüber hinaus gibt es natürlich an anderen Stellen viele interessante Notizen, etwa in der Naturgeschichte des Plinius oder in dem Architektur-Werk des Vitruv. Eine Übersicht über Quellen und Literatur findet sich bei Helga Gesche, Caesar. Darmstadt 1976. Nachträglich hinzuzufügen ist nur: Hinnerk Bruhns, Caesar und die römische Oberschicht in den Jahren 49-44 v. Chr. Göttingen 1978 und Antonio Guarino, Spartacus. München 1980. Einen sehr guten Zugang zu den einzelnen Belegen bietet Matthias Geizer, Caesar. Der Politiker und Staatsmann. 6. Auflage Wiesbaden 1960; Pompeius. 2. Auflage München 1959; Cicero. Ein biographischer Versuch. Wiesbaden 1969. Zur Geschichte des Caesar-
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Bildes sind vor allem Friedrich Gundolf, Caesar. Geschichte seines Ruhms. Berlin 1924 und Zvi Yavetz, Caesar in der öffentlichen Meinung. Düsseldorf 1979 heranzuziehen. Yavetz’ Darstellung ist zugleich für die Zeit ab 49 wichtig. Dankbar habe ich verschiedene Übersetzungen zitiert, freilich selten wörtlich, zumeist vielmehr in Abwandlungen, die mir nötig schienen, um den Inhalt und die Meinung der Aussage schärfer – und gelegentlich auch richtiger – herauszuarbeiten. Es sind dies diejenigen von Marieluise Deissmann (Caesars Gallischer Krieg), Helmut Simon (Caesars Bürgerkrieg), Helmut Kasten (Ciceros Briefe), Manfred Fuhrmann (Ciceros Reden), Rudolf Helm (Catull), Karl Büchner (Sallust), Andre Lambert (Sueton), Konrat Ziegler und Walter Wuhrmann (Plutarch). Aus der kaum übersehbaren Literatur zu Caesar und der späten Republik möchte ich einige Autoren und Titel hervorheben, die mir besonders wichtig waren und aus denen ich gelegentlich auch wörtliche Zitate angeführt habe. Neben Matthias Geizer ist das Hermann Strasburger (Caesar im Urteil seiner Zeitgenossen. 2. Auflage Darmstadt 1968), Theodor Mommsen (Römische Geschichte), Eduard Meyer (Caesars Monarchie und das Principat des Pompejus. 3. Auflage Stuttgart/Berlin 1922), Alfred Heuß (Römische Geschichte. Braunschweig 1960; Propyläen Weltgeschichte 4. Berlin 1963), Otto Seel (CaesarStudien. Stuttgart 1967), Hermann Fränkel (Über philologische Interpretation am Beispiel von Caesars Gallischem Krieg. In: Wege und Formen frühgriechischen Denkens. München 1968), Friedrich Klingner (Römische Geisteswelt. Essays zur lateinischen Literatur. 5. Auflage Stuttgart 1979). Das Zitat von Ronald Syme ist der deutschen Ausgabe seines »Sallust« (Darmstadt 1975), das von Peter Sattler seinem Buch »Studien aus dem Gebiet der Alten Geschichte« (Wiesbaden 1962) entnommen. Unter den eigenen Vorarbeiten, zumal zur Strukturgeschichte, möchte ich erwähnen: Res Publica Amissa. Eine Studie zu Geschichte und Verfassung der späten römischen Republik. 2. Auflage Frankfurt 1980 (mit Neuer Einführung).
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Fernerhin mag der Hinweis auf drei biographische Skizzen zu Caesar, Cicero und Augustus von Interesse sein, die unter dem Titel »Die Ohnmacht des allmächtigen Dictators Caesar« in der edition suhrkamp als Band 1038 im Jahre 1980 erschienen sind. Der Titel-Aufsatz geht auf einen Vortrag in der Münchner Siemens-Stiftung zurück, der mich auf den Plan dieser Biographie brachte. Für Vorlagen zu den Abbildungen schulde ich Dank dem British Museum London, der Ny Carlsberg Glyptotek Kopenhagen, der Münzen und Medaillen AG Basel, der Gerd Rodenwaldt Gedächtnis Stiftung der Freien Universität Berlin, den Phototheken der Archäologischen Institute der Universitäten Heidelberg und München. Frau Anne Maßner, Heidelberg, verdanke ich die Benennung des Porträts auf der Münze des N. Vaala (Abbildung 54). Die Abbildungen hat Luca Giuliani, künftig in Berlin, liebenswürdigerweise besorgt, teilweise von Paul Zanker, München, beraten. Karten und Rekonstruktionen sind von Jean-Claude Lézin, Berlin, gezeichnet worden. Ihnen allen gilt mein herzlicher Dank, nicht zuletzt aber verschiedenen Helferinnen und Helfern, die es verstehen werden, wenn ich sie hier nicht namentlich anführe. Besonders bedanke ich mich auch für vielerlei Anregungen und Ermunterungen, die ich erfahren habe, lange Gespräche mit dem Verleger, Herrn Wolf Jobst Siedler, und ein bestimmtes, mir besonders wichtiges Interesse, dem ich mit dieser Erzählung wohl nicht zufällig begegnen konnte. Widmen möchte ich dieses Buch meiner Mutter und dem Andenken meines Vaters. Es mag zum Schluß noch interessieren, wie die Krise der römischen Republik an ihr Ende kam, wie also die Alternative, an der es so lange fehlte, sich schließlich bildete. Der Bürgerkrieg, der kurz nach Caesars Tod wieder ausbrach, fand so bald kein Ende. Als Caesars Adoptivsohn und Erbe im Jahr 31 die Herrschaft über das ganze Reich gewonnen hatte, waren fast zwei Jahrzehnte inneren Kriegs über Rom dahingegan-
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gen, eine neue Generation war herangewachsen; vor allem war die römische Gesellschaft mürbe geworden. Da hatte sich die Lage gründlich verwandelt. Zahlreiche Interessen und Meinungen lagen bereit, um für eine neue politische Struktur in Anspruch genommen zu werden. Die Widerstände dagegen waren nicht mehr stark. Die Republik war nicht mehr zu verteidigen, sie konnte allenfalls wiederhergestellt werden. Und der Sieger war in einer so günstigen Position, so begabt und so elastisch, daß er alle Möglichkeiten, die sich damals boten, voll zu nutzen verstand. Er hatte sehr viel gelernt, nicht zuletzt vom Schicksal Caesars. Da er in der Auseinandersetzung mit Antonius relativ schwach und auf Bündnisse angewiesen war, hatte er frühzeitig die Wiederherstellung der Republik versprochen. Vor allem war ihm bewußt geworden, daß er nur stark war, wenn er sich einer Sache verschrieb. Und inzwischen gab es Sachen, die ein Mann von außerordentlicher Macht und Ambition für sich beanspruchen konnte. Da sein Rivale Antonius sich mit Kleopatra verbunden hatte, konnte Caesars Adoptivsohn die Fahne Roms und Italiens gegen ihn aufpflanzen: wie wenn deren Herrschaft über den Mittelmeerraum vom Osten her bedroht gewesen wäre. Dann konnte er plausibel machen, daß sein Sieg den Frieden bedeutete – und dagegen war alles andere inzwischen wenig wichtig. Schließlich war nach den Zerstörungen des Bürgerkriegs unendlich viel neu aufzubauen: die politischen Institutionen, die guten Sitten, die Rechtssicherheit, die alte Religion, Verkehr und Wirtschaft und vieles andere. Eben dies konnte ein Einzelner am besten, zumal der Senat seinerseits zu reformieren war. Es gab also Aufgaben genug, an denen sich seine außerordentliche Macht legitimieren konnte. Freilich war dies nur möglich, wenn diese Macht eine Form hatte, die sich auch legitimieren ließ. Das aber hieß: wenn sie sich der Republik einzufügen schien. Caesars Adoptivsohn hat auch dies erkannt. Er gab vor, die Republik wiederherzustellen. Nur widerwillig, so schien es, ließ er sich mit besonderen Aufgaben, zunächst mit der Sicherung der Grenzprovinzen betrauen. Damit war der Oberbefehl über fast alle Truppen
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Roms verbunden. Aber in Rom selbst spielte er den Ersten Bürger, und alle größeren Vollmachten und Aufträge waren auf bestimmte Fristen bemessen. Er vermied den Anschein, daß er seine Macht auf Dauer einrichtete. Nur wenige Ehren und gering erscheinende Vollmachten, die er erhielt, waren zeitlich unbegrenzt. Sie stellten zumeist den Dank für die scheinbare Wiederherstellung der Republik dar. Zu ihnen gehörte die Verleihung des Namens Augustus. So bildete Caesar Augustus eine begrenzte Alternative. Er schlich sich gleichsam in die Republik ein. Er überholte den Senat an Konservativität, indem er sich der Restitution des Überkommenen – sowie dessen Fortbildung – annahm. Voraussetzung war, daß im Begriff des Gemeinwesens der Aspekt der vielfältigen Aufgaben wichtiger wurde als der des Lebens in den überkommenen Formen, daß das Gemeinwesen also mehr zum Objekt des Gestaltens wurde, als daß es bloß mehr das gemeinsame Feld des Handelns und Lebens hätte sein können. Es waren eben seine Grundlagen selbst, die alte römische Eigenart neu zu legen. Das machte die legitimatorische Stärke des Ersten Bürgers, des Princeps aus, die zu der Fülle seiner übrigen Macht hinzukam – und die es bedingte, daß sein Regime so weit überzeugend werden konnte, daß sich auch die führende Schicht Roms danach zu richten bereit wurde. So konnte denn die Krise Roms endlich in politisches Handeln, in Reform eingefangen werden. Aber auch dann zeigte sich die Macht des Alten darin, daß eine Alternative zum Herkömmlichen nur bilden konnte, wer es respektierte. Die Republik war nur zu besiegen, wenn man sie wiederherstellte. Ruhe und Ordnung, die Garantie des Eigentums, Rechtssicherheit, Gewährleistung effizienter Verwaltung und notwendiger Reform und anderes, was Augustus leistete, waren sehr wichtig, aber sie waren gleichsam nur die Pfeiler der Brücke zum Principat. Die Brücke selbst mußte im Namen der Republik gelegt werden. Augustus gewann die Herrschaft über die Verhältnisse also nur, indem er die Macht in den Verhältnissen bewußt zurückhaltend ausübte. Er mußte sich selbst verleugnen. Er
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hatte die Legitimität seiner Macht nur unter der Bedingung, daß er deren Umfang nicht durchblicken ließ. Nur indem er vorgab, etwas zu sein, was er nicht war, konnte er die neue Realität der Monarchie mit der alten der Republik vereinen, konnte er den Formen der Republik die Wirklichkeit der Monarchie aufprägen. Es war eine der schwierigsten Rollen der Weltgeschichte, die er spielte. Ganz uncaesarisch. Schauspieler mußte er sein. Und daß er es bewußt gewesen ist, zeigte sich, als er auf dem Totenbett die Freunde zu sich rief und sie mit der Formel, mit der die Mimen bestimmter Stücke abtraten, aufforderte, Beifall zu spenden, wenn ihnen die Posse gefallen habe. Er hatte sich zuvor, so ist überliefert, vor dem Spiegel die Haare sorgfältig kämmen und die herabhängenden Wangen massieren lassen. Was er war, war schließlich ganz mit seiner Rolle verwachsen: er war darin zur Institution geworden. Er fand sein Selbst in der Selbstverleugnung. Bei aller Ähnlichkeit, was das Ausmaß der Macht und das politische Geschick anging, entfalteten Caesar und Augustus ihre Persönlichkeit, ihre Identität also in völlig verschiedene Richtung, entsprechend der je verschiedenen Lage, in der sie aufwuchsen, und der verschiedenen Weise, in der sie ihr konfrontiert waren und es mit ihr aufnahmen. Caesar im Unernst der dahintreibenden, provisorisch anmutenden Republik, mit hohen persönlichen Ansprüchen, lange Zeit ohne wirklich gefordert zu sein – schließlich in einer eigenen Welt seine persönliche Größe voll verwirklichend; Augustus dagegen seit dem neunzehnten Lebensjahr als Erbe des Dictators mitten in die Politik gestellt, zu vielerlei Kompromissen genötigt, zwar ebenfalls voller Anspruch, aber aus der Erkenntnis seiner Schwierigkeiten bereit, diesem Anspruch sich selbst hinzugeben. So konnte er endlich, in verwandelter Lage, die Monarchie in Rom begründen. Als Cicero bemerkte, die Republik sei verloren, war sie noch da. Erst als Augustus feststellte, daß sie wiederhergestellt sei, war ihr Ende erreicht. Aber es gehört zu Zeiten des Niedergangs, daß man mit nichts so sehr rechnen kann, wie mit
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dem Paradoxen: es ist dann gerade das Erwartungswidrige zu gewärtigen.
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Nachwort zur Taschenbuchausgabe Es mag erlaubt und von Interesse sein, daß ich die neue Ausgabe dieses Buches zum Anlaß nehme, um einem mehrfach aufgetretenen Mißverständnis zu begegnen. Es betrifft die für die Deutung der späten Republik – und Caesars – zentrale Kategorie der »Krise ohne Alternative« und die Unterscheidung zwischen Macht in den Verhältnissen und Macht über die Verhältnisse. Eine solche Vorstellung, daß eine Gesellschaft lange Zeit hilflos vor dem zunehmenden Versagen ihrer Institutionen steht, daß sie einen Prozeß des Zerfalls ihrer Ordnung antreibt, ohne daß einer das gewollt hätte, diese also vernichtet, ohne sie zu verneinen; daß sie die zentrale Problematik ihres Gemeinwesens nicht einfangen kann in Politik, so daß eher ihre Wirklichkeit als sie selbst sich darüber spaltet und eher Außenseiter als Opponenten hervorgebracht werden – eine solche Vorstellung ist offenbar für viele von uns zu schwierig, als daß sie von ihnen wirklich wahrgenommen werden könnte. Es kann an dieser Stelle nicht darum gehen, ob meine Deutung richtig ist. Ich bin zwar nach wie vor davon überzeugt, glaube auch, genügend Argumente dafür vorgebracht zu haben; doch mag das bestritten oder auch nur nicht geglaubt werden. Wichtig scheint mir hier zu sein, daß deutlich ist, worum es sich überhaupt handelt. Gemeint ist mit »Krise« der gesamte, mehr als ein Jahrhundert währende Prozeß, in dem die institutionellen Grundlagen der römischen Republik allmählich und schließlich höchst virulent aufgelöst und zerstört wurden. Die Konstellationen, unter denen sie handelten, brachten die Römer jener Zeit immer wieder dazu, im einzelnen zu tun, zu wollen, zu denken und zu schaffen, was im ganzen der Erhaltung ihrer Ordnung abträglich war. Sie haben vielerlei Reformen versucht, aber auf die Dauer erwies sich, daß diese nicht weniger als die Mißstände, denen sie zu steuern suchten, den Prozeß des Nie-
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dergangs vorantrieben. Es konnten also bestenfalls Symptome kuriert werden, und häufig genug unter Verschärfung des Leidens selbst. Die Konstellationen des Handelns ließen sich lange Zeit nicht zum Gegenstand von Politik machen. Man sah, wie die Dinge standen, und man fürchtete auch, wohin sie liefen. Aber man wußte nicht, warum sie es taten. In diesem Mangel an Wissen nun sollte man nicht einfach ein intellektuelles Manko, etwa mangelnde Begabung der Römer zur Analyse sehen. Und ob eine Wissenschaft, selbst wenn sie sie hätten entwickeln können, ihnen zur notwendigen Einsicht oder gar zu den richtigen Konsequenzen verholfen hätte, ist höchst ungewiß. Man müßte einmal in großem Stile die Epochen daraufhin untersuchen, wieweit es in ihnen möglich war, die jeweilige Lage der Gesellschaft zu durchschauen; und wenn dies wirklich einmal weitgehend gelang, wäre zu fragen, woran das lag. Solange das nicht geschehen ist, vermute ich mindestens in Hinsicht auf die späte römische Republik, daß die Erkenntnis der Ursachen einer Krise durch die politischen Konstellationen bedingt ist: Es gab damals keine Position, von der aus man das Ganze hätte ins Auge fassen und – bekämpfen können. Daher fehlte es an dessen Erkenntnis. Das aber heißt, es fehlte die Alternative. Mit »Alternative« ist, wie auf Seite 428 dargelegt, eine Kraft gemeint, wie sie sich in Krisen verschiedentlich bildet, grob gesagt aus denen, die darin an irgendeiner Not leiden und sich daher zum Angriff auf das Bestehende formieren. Dergleichen geschah beim Aufstieg der griechischen Bauern zur Macht (und damit zu den Vor- und Frühformen der Demokratie), in geringerem Maße auch bei den römischen Ständekämpfen, für uns besonders naheliegend im Kampf des Bürgertums und dann des Proletariats um viele Rechte und Verbesserungen, ohne die die heutigen europäischen Ordnungen nicht wären, wie sie sind. Man kann das im einzelnen verfolgen, wie etwa die Not von einem bestimmten Zeitpunkt an hier und da immer sensibler empfunden, wie auf Abhilfe gesonnen wird, wie die Gedanken sich an den durch sie hervorgerufenen Forderungen konkreti-
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sieren und zugleich zu Anspruch wird, was bloßer Wunsch war; wie sich der Interessenhorizont weitet, indem Interessen an Recht, Ordnung, Mitsprache irgendwann neben den direkten, dringenden häuslichen Interessen der Einzelnen möglich, wichtig und politikreif werden, indem sie sich zu einer Solidarität kumulieren, in der sich schließlich in einem neuen Horizont Meinungen und Interessen zu einer geschlossenen Kraft verfugen, um sich darin gleichsam zu materialisieren oder zu institutionalisieren (im weiten Sinne des Wortes). In den genannten Fällen geht es aber um eine Erweiterung des Kreises derer, die das Gemeinwesen tragen. In Rom dagegen konnte nur eine Monarchie, also die Konzentration der Macht an einer Stelle, die Lösung bieten. Auch darauf können sich allgemeine Interessen und Überzeugungen richten, etwa aus der Einsicht in die Unmöglichkeit, anders für einen geordneten Ablauf, für öffentliche Sicherheit, Versorgung, Gewährleistung auch von Besitz und Handel zu sorgen. Insofern kann auch in solchen Fällen dem Wunsch ehrgeiziger Politiker eine Bewegung in der Gesellschaft entgegenkommen, und beides kann sich auf viele Weisen stabilisieren. Nur ist das schwierig in einem Gemeinwesen, das so lange und erfolgreich Republik gewesen ist und eine entsprechend starke Ausformung gesellschaftlicher Identität mindestens in maßgebenden Schichten erzeugte. Man müßte auch hier Parallelen untersuchen. Aber jedenfalls spielte es eine große Rolle, daß für die Römer ihre Bürger-Identität und die republikanischen Formen wesentlich wichtiger waren als etwa der geregelte Gang der Dinge oder bestimmte wirtschaftliche Aufgaben, um deretwillen man sonst zu Kompromissen mit Monarchien leichter bereit ist. Daher konnte sich bei ihnen so schnell keine Alternative im Sinn jener gesellschaftlichen Kraft bilden, an der Einzelne Rückhalt, Unterstützung und Legitimation gefunden hätten. Erst unter Augustus wurde das möglich, und man kann an seiner Geschichte verfolgen, wie lange es gebraucht hat, wie schwierig es war und wie sehr es von seiner außerordentlich geschickten, in vieler Hinsicht mit Selbstverleugnung gepaar-
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ten Politik abhing. (Vgl. S. 584 ff. Möglicherweise wird die Sache erst von Augustus her ganz klar. Dazu meine Studie »Augustus. Die Begründung der Monarchie als Wiederherstellung der Republik« in: Die Ohnmacht des allmächtigen Dictators Caesar, 1980.) Gewiß stellen sich am Ende jeder Krise irgendwelche Lösungen ein. Vielleicht war die römische Weltherrschaft ja auch so gut und selbstverständlich gegründet, daß sie trotz langer, den ganzen Mittelmeerraum durchtobender Bürgerkriege letztlich mole sua bestehen bleiben mußte. Jedenfalls aber bietet sich nicht zu jeder Zeit aus Krisen ein Ausweg. Man kann zwar immer irgend etwas tun, aber ob man damit den eigentlichen gravamina beikommt und sie nicht letztlich vermehrt und vertieft, ist eine andere Frage. Oft müssen die Beschwerden erst wachsen, um eine Gesellschaft zur Lösung bereit zu machen. In Rom hatten sich die Dinge in Jahrhunderten so verfestigt und sich mit der Identität der Gesellschaft so verbunden, daß sie sich nicht einfach schrittweise fortbilden ließen. Indem die Krise der Republik so lange ohne Alternative blieb, bildet sie ein geradezu klassisches Beispiel dafür, wie es einer Ordnung ergeht, die trotz virulenten Versagens lange Zeit keine Angreifer (und noch nicht einmal Zweifler) kannte. Die Kategorie der Alternativlosigkeit charakterisiert zugleich das Verhältnis zwischen den Parteiungen und den Problemen, also die Leistungsfähigkeit der damaligen Politik – oder, genauer gesagt, der Gesellschaft, die zwar verschiedene Symptome, doch nicht das Ungenügen ihrer Ordnung selbst zum Gegenstand von Politik zu machen vermochte. Sofern eine solche Erstreckung der Politik möglich ist, sofern also eine »Alternative« produziert wird, müssen die Krisen freilich noch keineswegs gelöst sein. Es kann im Gegenteil noch lange Kämpfe zwischen dem Neuen und dem Alten geben. Übrigens ist das die Form der Krise, an die Jacob Burckhardt am ehesten dachte. Aber die Dinge verhalten sich dann umfassend anders. Denn die Unangemessenheit der politischen Parteiungen an die so virulent sich geltend machenden Probleme
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wirkt sich auf viele Weisen aus. Nicht nur politisch und intellektuell (indem die Situation in vielem unerkennbar bleibt, was quälend sein kann), sondern zugleich etwa darin, daß diejenigen, die im Prozeß der Desintegration in kritische Distanz zum Überkommenen geraten, keine Möglichkeit zur Verknüpfung mit einer Sache gewinnen, sondern eher auf sich selbst verwiesen bleiben. So konnte die römische Krise ohne Alternative für Caesar sehr bestimmend werden. Nebenbei gesagt galt mein Interesse an dieser Biographie nicht zuletzt seiner Person, keineswegs nur dem Politiker und Feldherrn. Natürlich wurde er durch die Tatsache, daß er sich auf diesen Feldern zu bewähren suchte, und die Art, in der er es tat, aufs tiefste geprägt. Aber ergab das nicht letztlich nur eine besondere Weise, jung zu sein und alt zu werden, Hoffnungen zu hegen, Absichten, Gegnerschaften, sich einen Weg zu bahnen, sich mit anderen in Beziehung zu setzen, zu versuchen, unter ihnen hervorzuragen, zu leiden, von Resignation bedroht zu sein, tätig zu sein, sich zu riskieren und zu tun, was immer sonst zu einem Leben gehört? Schließlich bezeichnet die Alternativlosigkeit etwas Entscheidendes an der damaligen Form des Wandels, nämlich das Verhältnis, in dem das Ausmaß des Strittigen und das des Veränderlichen damals zueinander standen. Und auch das kann kaum ohne Auswirkung auf diejenigen gewesen sein, die damit fertig werden mußten, daß so vieles sich veränderte – und manches sich gerade nicht veränderte –, ohne daß sie trotz allen Bemühens dem Prozeß ihren Willen hätten aufzwingen können. Man sollte überhaupt in Hinsicht auf Epochen den vielen Fragen, die Historiker zu stellen pflegen, diejenige nach den je spezifischen Formen des Wandels hinzufügen. Denn sie ist von größtem Interesse. Im Extremfall Caesars führte diese Krise schließlich nach dem Bürgerkrieg zu einem außerordentlichen Auseinanderklaffen von Macht in den Verhältnissen, die er im Übermaß errang, und Macht über die Verhältnisse, an der es ihm vergleichsweise so sehr gebrach; und zwar in einem Ausmaß, daß auch die Macht in den Verhältnissen dadurch auf die Dauer
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in Frage gestellt worden wäre. Dabei kann natürlich an keine absolute Macht gedacht sein. Denn selbstverständlich handeln Menschen, absolut gesehen, nie »aus freien Stücken«, sondern stets unter vorgegebenen Bedingungen. Nur können sie dabei unter Umständen relativ weitgehend die Verhältnisse auch gestalten, wenn sie etwa in die Lage des Augustus kommen, der dazu einen Ansatzpunkt fand. Caesar aber konnte es nicht – trotz all seiner Macht. So müssen Macht und Ohnmacht bei ihm in der letzten Phase seines Lebens fühlbar, aber nicht unbedingt bewußt zusammengetroffen sein. Auch dies spricht dafür, daß die politischen Konstellationen der Zeit wesentliche Argumente für die Deutung dieses Mannes und seines Weges bieten. Daher muß die Analyse der späten Republik der Biographie Caesars vorausgehen*
* Zur näheren Begründung des biographischen Verfahrens vgl. Meier: Von der Schwierigkeit, ein Leben zu erzählen. In: Kocka/Th. Nipperdey: Theorie und Erzählung in der Geschichte. München 1979
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Nachbemerkung zur dritten Auflage der Taschenbuchausgabe Diese Ausgabe ist gegenüber den anderen im wesentlichen unverändert. Liebenswürdigerweise aber hat sich in letzter Zeit einer der besten Kenner der Personengeschichte der späten Republik, mein Kollege Ernst Badian, der großen Mühe unterzogen, das Buch auf kleinere Fehler durchzusehen. Es waren überraschend wenige, aber sie störten. Daher sind sie jetzt, soweit es sich nicht um Mißverständnisse Badians handelt, korrigiert. Da aber nur solche Korrekturen auszuführen waren, die nicht mehr als wenige Zeilen veränderten, möchte ich an dieser Stelle darauf hinweisen, daß Badian zugleich berechtigterweise auf einige Unterlassungen aufmerksam gemacht hat. Wir wissen, daß Caesar in seiner Jugend ein Gedicht zum Lob des Herakles sowie eine Ödipus-Tragödie (neben einer Sentenzen-Sammlung) geschrieben hat. Badian hält das für sehr charakteristisch: Das Thema des Schicksals und das der Leistung werden schon früh angeschlagen. Daß Caesar sich nach einem Unfall angewöhnte, jeweils vor Antritt einer Reise eine kurze magische Formel dreimal zu sprechen, um die Sicherheit der Fahrt zu gewährleisten, ist, wie Badian schreibt, ein im Text leider fehlendes schönes Zeugnis für den Aberglauben, dem auch Caesar seinen Tribut zollte (über einzelne Szenen hinaus, wie etwa auf der Seite 532. (Zu vergleichen auch Seite 477 ff.). Ungebührlich vernachlässigt habe ich gewiß die finanzielle Seite. Badian weist auf die außerordentlichen Ausgaben hin, die Caesar tätigte. Allein für die Grundstücke, auf denen das Forum Iulium errichtet werden sollte, zahlte er über hundert Millionen Sesterzen, für L. Paullus 36 Millionen Sesterzen, um seine Unterstützung zu gewinnen. Die übrigen Bestechungssummen (an Curio und viele andere), Geschenke und Darlehen können wir nicht genauer beziffern. Sie müssen aber sehr
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hoch gewesen sein. Hinzu kommen großzügigste Schenkungen an Soldaten und Offiziere bei Beginn des Bürgerkriegs sowie anläßlich der Triumphe, spendable Schenkungen an die plebs urbana, die alles Gewohnte weit hinter sich lassende Ausrichtung von Festen und Spielen – und das bei einem Mann, dem im Jahre 62 bei der Abreise in seine Statthalterschaft wegen der ungewöhnlich hohen Verschuldung fast die Ausrüstung gepfändet worden wäre. In der Tat muß Caesar, wie Badian schreibt, der größte Räuber (und Ausbeuter) des damaligen Roms gewesen sein. Badian fragt sich gar, ob seine Raubgier nicht einzig in der Geschichte dastehe. Richtig ist wohl auch, daß ich die von L. Gasperini veröffentlichte Inschrift aus Tarent mindestens hätte in Erwägung ziehen sollen. Dort ist, wenn die Ergänzung stimmt, von Caesar als dictator rei publicae constituendae die Rede. Dann hätte er doch, wie Sulla, mit der Dictatur ausdrücklich den Auftrag zur Wiederherstellung des Gemeinwesens erteilt bekommen. Mir scheint das heute immerhin wahrscheinlich zu sein. Es würde bedeuten, daß man Caesar nicht einfach Vollmachten zu seinem allfälligen Handeln, sondern eben zur Wiederherstellung der Republik verliehen hätte, daß man dafür eine lange Frist, nämlich zehn Jahre veranschlagte, und daß er damit einverstanden war. Vielleicht fand man gar, daß anders eine langfristige Dictatur nicht zu verantworten gewesen wäre. Mit diesem Auftrag war sie jedenfalls am besten erträglich. Doch würde es nichts daran ändern, daß Caesar dieser Aufgabe offenbar – vom unmittelbar Organisatorischen abgesehen – ziemlich ratlos gegenüberstand. Das Zeugnis wäre also interessant (und hätte nicht fehlen dürfen), würde aber am Verständnis der Situation Caesars nach dem Bürgerkrieg, so wie es hier versucht wurde, nichts Wesentliches ändern. Das gleiche gilt für die hier nicht erwähnte Ernennung von Caesars Großneffen Octavius zum magister equitum durch Caesar. Sie zeigt, daß der Dictator ihn mit einer wichtigen militärischen Funktion, wenn auch nur vorübergehend, versehen wollte. Sie hatte vor allem seiner besonderen Auszeichnung (wenn auch zugleich seiner Ausbildung) dienen sollen.
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Daß Caesar gemeint hätte, auf diese Weise eine monarchische Erbfolge erfolgreich vorbereiten zu können, ist schwer zu sehen. Im Jahre darauf sollte Domitius, der Consul von 53, ihm in diesem Amt folgen. Badians Hinweise sind nachzulesen im Band 62 der Zeitschrift Gnomon, 1990, Seite 22 ff. Ich möchte ihm an dieser Stelle für seine selbstlose, freundliche Arbeit sehr danken.