Train

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Train

Pete Dexter scanned 03/2008 corrected 06/2008 Ein junger Schwarzer mit einem schrecklichen Geheimnis, eine schöne Fr

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Pete Dexter

Train

scanned 03/2008 corrected 06/2008

Ein junger Schwarzer mit einem schrecklichen Geheimnis, eine schöne Frau als Zeugin eines vertuschten Mordes, ein Polizeibeamter jenseits von Gut und Böse: Pete Dexters »Train« ist ein fesselnder Roman über drei Menschen, deren Wege sich besser nie gekreuzt hätten. ISBN: 3-935890-38-9 Original: Train Aus dem Englischen: Jürgen Bürger Verlag: Liebeskind Erscheinungsjahr: 2006 Umschlaggestaltung: Marc Müller-Bremer, München Umschlagmotiv: Lauren Grabelle / Millennium Images

Dieses E-Book ist nicht zum Verkauf bestimmt!!!

KLAPPENTEXT Los Angeles, 1953: Brookline ist einer der exklusivsten Golfclubs der Stadt. Die Fairways sind grün, die Mitglieder weiß, die Caddies schwarz. So auch Lionel Walk, genannt »Train«, der ein außergewöhnliches Talent fürs Golfen hat. Das erkennt auch Detective Miller Packard, der regelmäßig in Brookline spielt. Als Packard einen Fall übernimmt, in den zwei Caddies des Clubs verwikkelt sind, nimmt das Schicksal seinen verhängnisvollen Lauf. Ein reicher Mann wird erschossen, seine junge Ehefrau Norah brutal vergewaltigt. Packard verliebt sich in Norah, zieht kurze Zeit später bei ihr ein und nimmt auch Train unter seine Fittiche. Doch Miller Packards Zuwendung hat einen hohen Preis … Mit seiner prägnanten, eindringlichen Sprache hat Pete Dexter einen großen Roman geschrieben, der in der Tradition des Noir steht, aber mit den Konventionen des Genres bricht. »Train« ist ein atmosphärisch dichter, verstörender Roman mit Szenen und Figuren, die man nicht mehr vergißt.

AUTOR

Pete Dexter, 1943 in Michigan geboren, arbeitete über fünfzehn Jahre als Zeitungsreporter in Philadelphia. Als er im Zuge einer Berichterstattung angegriffen und krankenhausreif geschlagen wurde, gab er seinen Beruf auf. Heute lebt er als freier Schriftsteller im Bundesstaat Washington. Pete Dexter gilt als einer der profiliertesten Drehbuchautoren Amerikas und veröffentlichte bislang sechs Romane, darunter »Tollwütig«, der 1988 mit dem National Book Award ausgezeichnet wurde. Der Übersetzer Jürgen Bürger lebt in Köln. Aus dem Englischen übersetzte er u.a. Werke von Andrew Vachss, Jerry Oster und Michael Turner.

Pete Dexter

Train Roman

Aus dem Englischen von Jürgen Bürger.

liebeskind

Die amerikanische Originalausgabe erschien 2003 unter dem Titel Train im Verlag Doubleday, New York. © Pete Dexter 2003 © der deutschen Ausgabe: Verlagsbuchhandlung Liebeskind, München 2006 Umschlaggestaltung: Marc Müller-Bremer, München Umschlagmotiv: Lauren Grabelle / Millennium Images Typografie und Satz: Frese Werkstatt, München Herstellung: Karlheinz Rau, München Druck und Bindung: Ebner & Spiegel, Ulm ISBN-10: 3-935890-38-9 ISBN-13: 978-3-935890-38-0

Für meinen Freund Dr. Ploof

1 PHILADELPHIA Januar 1948

B

IS ZU DIESEM PUNKT DER GESCHICHTE hatte Packard sich noch nie verliebt und war ausgesprochen skeptisch, was das dazugehörige Gesülze betraf (für immer und ewig, Schätzchen, von ganzem Herzen, bis daß der Tod uns scheidet, mehr als das Leben, mit jeder Faser meines Wesens, oh my darling Clementine usw.). Das alles klang für ihn völlig unkontrollierbar und fürchterlich konfus. Allerdings war er rund tausend Sonntage in der Kirche gewesen – okay, sagen wir, vierhundert –, hatte dann zwei angespannte Jahre auf einem Schlachtschiff im Pazifik verbracht und direkt im Anschluß fünf ausgesprochen angespannte Tage im Pazifik ohne das Schlachtschiff. Und davor hatte er sich ganz bewußt und häufig an Orten aufgehalten, wo er mitbekam, wie schreckliche Dinge nicht nur solchen Menschen widerfuhren, die es nicht anders verdient hatten, sondern auch Leuten, die ohne ihr Dazutun zur falschen Zeit ins Bild stolperten, als gerade der Auslöser klickte. Was heißen soll, daß Packard inzwischen ein Gebet erkannte, wenn er eines hörte, und auch wußte, zu welchen Deals und Versprechen Leute bereit sein würden, wenn sie bis über beide Ohren in der Scheiße steckten. Und nach allem, was er gehört hatte, war es doch genau das, worum es dabei – der Liebe – ging.

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Später jedoch lief ihm praktisch maßgefertigt ein Exemplar der Gattung Frau über den Weg, und zu Pakkards gewaltiger Überraschung mußte er feststellen, daß er ihr wie blöd nachlief. Allerdings auch wieder nicht mit-jeder-Faser-meines-Wesens-blöd. Aus alter Gewohnheit ergab sich Packard nur ruhig und gemächlich, ohne dabei seine Würde zu verlieren. Und erst viel später, als er längst gezähmt war und die Vorzüge von Reife und Erfahrung genoß, sollte er erkennen, daß alles, was passiert war, unvermeidlich war. Letzten Endes war er auch nur ein Mensch, und von daher entsprach es nicht seiner Natur, die Dinge einfach und unkompliziert zu belassen. Sogar der Psychologe, der das Einstellungsgespräch führte, hatte etwas an Packards persönlichem Horizont erspäht. »Vielleicht«, sagte er, »brauchen Sie jemanden, mit dem Sie das teilen können.« Packard hatte dem Psychologen gerade nicht sein liebloses Leben geschildert, sondern seinen schweren Kreuzer, die Indianapolis, der nachts abbrannte, und die Tage und Nächte, die er inmitten von Haien und sterbenden Kameraden im Pazifik trieb. Die Haie kamen pünktlich morgens und abends zur Essenszeit und schlugen sich den Bauch voll. Bis zum heutigen Tag aß Packard nicht zu festen Zeiten, aber davon abgesehen fühlte er sich immer noch wie ungefähr derselbe, wenn er sich mal selbst fragte, wie er sich fühlte. Die anderen Leute allerdings, die er noch aus der Zeit vor dem Krieg kannte, sagten, er habe sich verändert, aber er selbst sah das nicht so. Wie seine Großmutter vor langer Zeit einmal festgestellt hatte, war er noch nie ein echtes Schätzchen gewesen. Nichts davon hatte Packard übrigens dem Psychologen gegenüber erwähnt. Er wollte nur einen Job, und

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der Psychologe wollte seinen Job behalten, und die Versicherungsgeber der Stadt verlangten von ihm, sich die Militärakten eines Bewerbers anzusehen und dabei besonders auf mögliche Purple Hearts zu achten. Der Psychologe setzte eine gewisse beiläufig sonore Autorität auf, die in Packard das Verlangen weckte, ihm eine zu verpassen, wie er dasaß in seinem billigen Anzug unter all seinen Diplomen, geistesabwesend der Kurzfassung von Packards Kriegserlebnissen lauschte, sich hin und wieder ins Kinn kniff, lächelte und grunzte für seine lumpigen fünfzehn Dollar die Stunde. Von Zeit zu Zeit nickte er, als hätte er das alles schon mal gehört. Und dann, nach einer halben Stunde, sagte er: »Vielleicht brauchen Sie jemanden, mit dem Sie das teilen können.« Aber letzten Endes war es nur eine reine Formsache. Kriegshelden konnten jederzeit bei der Feuerwehr unterkommen. Kurz davor, unmittelbar nach Kriegsende, war Pakkard in einer Bar in San Diego einer Nonne begegnet. Einer von der Sorte, die nicht sprach, obwohl sie das Englischhorn spielte. Das hatte sie jedoch aufgegeben – ihr Gelübde, nicht das Horn –, und sie war auf dem Weg nach Philadelphia, wo sie verlorene Zeit aufholen wollte. Soweit er wußte, besaß die Stadt ein recht renommiertes Sinfonieorchester. Packard war von Natur aus kein Optimist, aber es war ermutigend, nach Amerika zurückzukehren und einen Monat lang Tag und Nacht halb zu Tode gevögelt zu werden; trotzdem – sie schien von ihm zu erwarten, daß er sich genauso verausgabte wie auch ihr Horn alles gab – wurde Packard sich allmählich bewußt, daß er dem Mädchen auch nicht näher war als all den anderen Leibern, lebendig wie tot, mit denen er

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zusammengewesen war, seit er von zu Hause aufgebrochen war. Also näherte er sich für kurze Zeit und verbrachte dann doppelt so lange damit, sich noch weiter zu entfernen. Allerdings blieb er in Philadelphia und glaubte, für immer bleiben zu können. Er liebte die italienischen Viertel; die irischen waren ihm ziemlich gleichgültig. Er liebte Baseball und das quirlige Leben der Stadt – die Mummers und die Restaurants und die Clubs. Gelegentlich schlich er sich ins Museum, wenn er auf Frauensuche war. Einmal ging er sogar in die Philharmonie, weil er meinte, sie käme ihm der alten Zeiten wegen vielleicht entgegen, aber sie war nicht unter den Bläsern, und er vermutete, daß sie wohl im Kloster nicht genug geübt hatte, um den Cut zu schaffen. Aber die Stadt war quicklebendig. Zumindest war es damals so gewesen. In letzter Zeit war es ruhiger. In letzter Zeit legte er sich nach einem Brand aufs Bett, nackt, hustete mit brennenden Augen Ruß aus, lag im Gestank von Rauch und Schweiß und Gummi da und registrierte, wie er eingeschlossen wurde. Etwas baute sich im Schneckentempo um ihn herum auf und schloß ihn ein. Er beobachtete dieses Phänomen aus einer vertrauten, distanzierten Perspektive – soweit er sich zurückerinnern konnte, hatte er schon immer diese Fähigkeit besessen, sich wie aus weiter Ferne zu beobachten. Manchmal kam es ihm vor, als wäre er den größten Teil seines Lebens woanders gewesen und hätte sich beobachtet. Er war jetzt zwei Jahre bei der Feuerwehr und bereits berühmt wegen der Risiken, die er einging. Allerdings war das Gefühl hinterher nicht mehr das gleiche wie zu Anfang. Genaugenommen empfand er hinterher gar nichts. Er fühlte sich losgelöst.

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Und weil er ein Hobby brauchte, wurde Packard zum Läufer. Packards Trainingsprogramm sah wie folgt aus: Gegen Mitternacht ging er in einen Stadtteil, in den er nicht gehörte, nach Kensington beispielsweise oder nach Devil’s Pocket. Dann betrat er eine Bar, bestellte sich ein Bier und pöbelte einen Einheimischen an. Die einfachste Möglichkeit der Beleidigung bestand darin, ein Wort zu benutzen, das der Betreffende nicht verstand. Avunkular, bulboid, crescendo. Sag das Wort avunkular, und ehe du dich versahst, hatten fünfzehn Typen plötzlich Baseballschläger in der Hand und jagten dich »Bringt die Schwuchtel um« brüllend die Straße hinunter. Und das Schöne daran war, wie man im Pocket sagte, daß sie es wortwörtlich auch so meinten. Falls sie dich erwischten, warst du tot. Packard jedoch war in hervorragender Form und unbesiegt, und so machte er sich schließlich auf die Suche nach größeren Herausforderungen. Packard hatte die Hände in den Taschen und kramte gerade nach seinem Schlüssel, als er den Wagen bemerkte. In seinen Taschen steckte das Übliche – Kleingeld, Streichhölzer, ein paar Würstchen für den Hund, einzelne Zigaretten, Pariser, die von einem Automaten in einer Kneipe an der Race Street in Chinatown ausgespuckt worden waren, als er eigentlich Alka-Seltzer ziehen wollte. Der Hund war ein herrenloses, räudiges Tier mit scheußlichen schwarzen Zitzen und einem fünfzig Pfund schweren Kopf. Er ließ sich nicht anfassen, und Packard wollte ihn auch gar nicht anfassen; beide waren zufrieden mit der Würstchenlösung – eines, wenn er die Wohnung verließ, und ein zweites, wenn er zurückkam. Der Hund fletschte die Zähne, bevor er das

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Würstchen annahm – erinnerte ihn damit an die Spielregeln –, und schlang es dann in einem Happen runter. Es war keine große Sache, aber die simple Wahrheit war, daß er sich am nächsten Morgen besser fühlte als bei der Nonne. Der Hund war an diesem Abend nicht in der Nähe, und Packard überkam unerwartet die Vorahnung, daß irgend etwas passiert sein mußte, daß er nicht mehr zurückkommen würde. Er war loyal, auch wenn er am Anfang alles andere als zutraulich gewesen war. Es schneite, und das Leben in der Stadt war zum Erliegen gekommen. Die Straßen des Viertels waren schmal und mit Autos verstopft, von denen manche bis zu den Scheiben von den Schneepflügen eingegraben worden waren, andere waren im tiefen Schnee steckengeblieben, und wieder andere saßen in vereisten Spurrillen fest und waren so zurückgelassen worden. Kurz zuvor war bei einem Feuer in Tasker Homes ein halber Block niedergebrannt, bevor die Feuerwehrwagen die Häuser überhaupt erreichen konnten. Vier Tote, die in der Falle saßen und unschuldig waren bis auf die Tatsache, nicht das Geld zu besitzen, um ihre Wohnung zu beheizen. Zumindest war das in dieser Nacht so. Wieder warf Packard einen Blick zu dem Wagen hinüber und wußte, wer es war. Er stand regungslos da, immer noch in Gedanken bei dem Hund, und versuchte sich zu konzentrieren, versuchte, den Augenblick anzuhalten und zu spüren. Nichts. Der Schnee um ihn herum war schmutzig und naß und schwarz. Bodenhaftung konnte ein Problem sein. Er hatte seinen Wagen an diesem Abend in der South Street gelassen und war von einer Billardhalle zu Fuß zu seiner Wohnung gegangen. Er trug Tennisschuhe, und seine Füße waren eiskalt. Wo konnte der Hund in einer solchen Nacht stecken?

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Mit einem Zehndollarschein war er in den Laden gegangen, hatte sich ein Bier bestellt und an einer Partie 9Ball um fünfzig Dollar teilgenommen, hatte genau gewußt, was passieren würde, konnte aber nicht den ganzen Abend absichtlich verlieren und hatte am Ende sechshundert verdient, woraufhin er einen Hunderter für Lokalrunden und Trinkgeld ausgab. Er war leicht angetrunken. Die Scheiben des Autos waren beschlagen, dann fiel ihm ein schwaches Glühen auf, als einer von ihnen sich eine Zigarette ansteckte. Und mit einem Mal fühlte er sich um zwei Uhr morgens in South Philadelphia und draußen in der kältesten Nacht des Jahres sehr allein. Einen Moment später waren sie ausgestiegen, der eine mit einem Brecheisen in der Hand, der andere mit einem Baseballschläger. Sie trugen Halbschuhe, Ledermützen und lange Kamelhaarmäntel und schlitterten über das Eis, als sie sich trennten und ihn in die Zange nahmen. Sie hatten jedoch keinen Grund zur Eile. Pakkard wollte keinen Vorsprung. Der Jüngere, die Zigarette noch im Mund, umrundete in einem weiten Bogen eine zugefrorene Pfütze und fand sich dann hinter einer weiteren, kleineren Pfütze wieder. Er zögerte einen Augenblick und sprang dann, rutschte aus, als er auf dem Bürgersteig aufkam, und flog rückwärts in die Luft, drehte sich im Sturz wie ein Kind, das zu spät beschließt, doch nicht die Rutsche hinunter zu wollen. Dann schlug er auf und lag einen Moment reglos da, und das Brecheisen schepperte über den Beton. »Mein Gott, Albert«, sagte der Ältere, »du weckst noch das ganze Viertel!« Langsam kam er hoch, umklammerte sein Knie, humpelte und versuchte stinksauer, den Schmutz von seinem Mantel zu klopfen. Dann hob er das Brecheisen

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auf, schlug es wütend gegen eine Parkuhr und drohte gleich wieder zu stürzen, als er ausholte. »Alles klar, Albert«, sagte der Mann, »es reicht.« Und der Junge hörte auf. Der Mann sah Packard beinahe entschuldigend an. Packard hatte ihn schon einige Male zuvor gesehen – er stammte nicht aus diesem, sondern aus einem anderen Viertel, jemand, der auf die alte Art aufgewachsen war und ein paarmal was auf die Nase bekommen hatte. Er hatte es in seiner Branche zu etwas gebracht. Packard bemerkte, daß er für seine Schuhe einiges ausgegeben hatte – Packard verstand etwas von Kleidung und Schuhen, ganz besonders von Schuhen –, aber nichts für seine Zähne. Die Einheimischen hatten den Mann Mr. Bambi genannt, als sie Packard erzählten, daß er nach ihm gesucht habe. »Du bist ein anständiger Kerl, Packard«, hatten sie gesagt, »gib ihm sein Geld.« Es ging um elfhundert Dollar, und sie waren sechs, sieben Wochen hinter ihm hergewesen. Zu diesem Zeitpunkt hätte Packard einen gedeckten Scheck in Höhe von elfhundert Dollar fünfhundertmal hintereinander ausstellen können. Einer seiner Urgroßväter hatte das Reifenprofil erfunden, und seitdem hatte keiner aus der Familie mehr für seinen Lebensunterhalt arbeiten müssen. Packard hatte sein Leben lang immer genug Geld gehabt. Mr. Bambi stand unter der Straßenlaterne und warf einen Gorillaschatten über den Beton. Der Schatten sah gesünder aus als Mr. Bambi – jünger, und man konnte seine Zähne nicht sehen. »Sie haben doch nichts dagegen, wenn ich frage«, sagte er, »was hier geplant war?« Genau das war die Frage. Was war geplant? »Scheiße, Mr. Bambi«, sagte der Junge. »Ich glaub’, ich hab’ mir das Bein gebrochen.«

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Auch den Jungen hatte Packard schon mal gesehen, wie er mit seinen Freunden herumhing, immer in neuen Klamotten, wie er wieder und immer wieder sein fettiges Haar zurückkämmte, Mädchen ansprach, die nicht einmal aufschauten. Irgendwann im Verlauf seiner Reisen hatte der Junge einen Zeigefinger verloren, und manchmal steckte er sich den Stummel in die Nase, wenn Mädchen vorbeigingen. Und trotzdem schenkten sie ihm keine Beachtung. Versteh einer die Frauen, stimmt’s? »Was hältst du davon, wenn wir reingehen, wo’s warm ist«, sagte Mr. Bambi, »und die Geschichte klären wie Gentlemen?« Er klang wie ein vernünftiger Mann. Der Junge humpelte immer noch herum, umklammerte sein Knie. »Er glaubt, er hat sich das Bein gebrochen«, sagte Packard. »Vielleicht sollten Sie ihn ins Krankenhaus bringen.« Als er hörte, daß Packard sich über ihn lustig machte, rannte der Junge mit geschlossenen Augen los und holte mit dem Brecheisen nach seinem Kopf aus. Packard trat schnell einen Schritt zurück und stürzte gegen Mr. Bambi, der völlig überrascht war, stolperte und ihn sofort wegstieß. Es war allerdings kein wütender Stoß; auf eine gewisse Art fragte er immer noch, ob nicht alle einfach vernünftig sein konnten. Dann rückten sie näher, der Junge täuschte mit dem Brecheisen an, Mr. Bambi kam direkt auf ihn zu, wirkte resigniert, und Packard wartete, kalkulierte das Timing des Schlages des Jungen und sprang dann direkt an ihm vorbei auf den Bürgersteig. Um einigermaßen Halt zu haben, lief er plattfüßig, was ihm zwar langsamer vorkam, aber er konnte sie hinter sich hören und erkannte an dem rauhen Atmen, daß sie es nicht gewohnt waren zu laufen. Er verlangsamte sein Tempo, wollte sie noch nicht verlieren und

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führte sie so einen Block weit. Der Junge brüllte sich die Lunge aus dem Leib, Mr. Bambi verschwendete keinen Atemzug, sondern versuchte einfach nur, Schritt zu halten. Noch ein Block, und Packard hörte, wie sie langsamer wurden und schließlich stehenblieben. Auch er blieb stehen, umklammerte sein Knie und humpelte herum, äffte den Jungen nach. Dann nahmen sie mit Vollgas die Verfolgung wieder auf, und er rannte los, lief mühelos, fühlte sich leicht und glücklich, überquerte die Straße. Im ersten Moment glaubte er, von einem Auto angefahren worden zu sein. Gerade noch war er da, und im nächsten Augenblick schon nicht mehr. Am Rande seines Blickfeldes ein verschwommener Fleck aus räudigem Fell und Zähnen. Das brachte ihm die Nacht in Erinnerung, als er im Pazifik aus seiner Koje geschleudert wurde. Aber hier gab es jetzt kein Licht, auch kein Geräusch außer den Schritten hinter ihm, nur der fürchterliche Gestank aus dem Maul des Tieres, bevor dessen Zähne sich an seinem Nacken festbissen. Das Tier malträtierte ihn immer noch, als seine Verfolger zu ihm aufholten; es schien ziemlich lange zu dauern. Sie standen eine Weile da, die Hände auf den Knien, schnappten nach Luft, schauten zu, und dann trat der Junge mit dem über seinen Kopf gehobenen Brecheisen vor. Doch Mr. Bambi sah, in welch merkwürdigem Winkel Packards Bein im Schnee lag, und hielt ihn zurück. Er schaute noch eine Weile zu, dann verjagte er den Hund mit einem Tritt. Er zwinkerte Packard zu. »Zu viele Köche in der Küche«, sagte er. Packard lag an der Flanke einer Schneewehe, von der er schätzte, daß sie so steil und kalt war wie die Reihenhausdächer über ihm. Er war nicht das erste Mal verletzt

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worden und wußte, daß er sich später an den Schmerz nicht mehr erinnern würde. Würde man ihn drängen, könnte er es beschreiben, aber die Erinnerung war vorbei, wenn die Erfahrung vorbei war. Wie beim Wichsen, dachte er mit einem Blick auf den Jungen. Wenn man aber über Schmerzen reden wollte – was nicht dasselbe war, wie sich daran zu erinnern –, konnte man ebensogut die alten Frauen, die den Sommer über auf den Treppen vor ihren Häuser saßen, nach dem Kinderkriegen fragen. Sie könnten einem etwas über Schmerzen erzählen. Packard sah, daß der Junge auf eine feuchte, tuntige Art erregt war, und hoffte – apropos Wichsen –, daß er in seinem ganzen Leben nie einem Mädchen so nahegekommen war. Er war ein harter Kerl, und er war schon oft verletzt worden, wenn auch noch nicht auf diese Weise. Zumindest sein Bein war gebrochen, auch wenn er noch nicht sagen konnte, wo und wie oft. Immer wieder verschwamm alles vor seinen Augen. Er hatte vorher schon darüber nachgedacht, wie es sein würde, falls sie ihn erwischten, ob er versuchen würde, ihnen das Geld zu geben, oder ob er einfach lächelnd herausfinden würde, wohin das alles führte. Nie war ihm auch nur in den Sinn gekommen, daß es sich so entwickeln könnte; daß er allein auf der Straße lag, nicht wußte, ob er lachen oder weinen sollte, verraten von einem Hund, der ihm noch nicht mal gehörte. Als er schließlich wieder einigermaßen klar sehen konnte, war es ein Blickwinkel von einem anderen Ort. Schwer zu sagen, von wo genau, aber ungefähr von einem der Reihenhausdächer. Er begann jedenfalls, sich selbst und die Straße deutlich zu erkennen, den ganzen Schlamassel, in dem er steckte, und dann änderte es

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sich, und es war der Schlamassel, in dem er – der andere er – steckte, und auf einmal war alles wie aus zweiter Hand. Der Krankenwagen traf viel später ein, und die Sanitäter fanden ihn halb bewußtlos im Schnee und sahen das Bein – sagten ihm, möglicherweise könnte er das Bein verlieren –, und sie injizierten ihm Morphium gegen die Schmerzen und schrieben später in ihren Bericht, daß sich das Opfer im Delirium befand, daß nichts, was sie sagten, ihn davon abhielt zu lachen.

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2 BROOKLINE Los Angeles, März 1953

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ER FETTE MANN KONNTE NICHT LOSLASSEN. Hatte die Sonne am Himmel, Vögel in den Bäumen, die Schuhe auf Hochglanz poliert – alles, was ein Gentleman braucht, außer zwei Frauen und einem Todestrieb, wie man so schön sagt –, aber trotzdem stand er einfach wie erstarrt über dem Ball, die Sekunden verstrichen, er erinnerte an jemanden, der für die Krankenschwester nicht pinkeln konnte. Und eine gelbe Hose, apropos Wasser lassen. Der Junge befand sich einige Schritte hinter dem fetten Mann und trug dessen Bag. Er hatte ihm nun bereits den halben Morgen zugesehen, trotzdem hatte der fette Mann immer noch etwas, das er nicht genau einordnen konnte. Etwas Vertrautes, das ihn an etwas anderes erinnerte. Der Junge wartete, daß es Klick machte, versuchte nicht, es zu erzwingen. Er sah ständig Zusammenhänge und Beziehungen – von Menschen zu Dingen und von Dingen zu Menschen, von Dingen untereinander, Überraschungen und Vergnügen aus heiterem Himmel –, er machte nichts Bestimmtes, um das auszulösen, und manchmal, so wie jetzt, wußte er einfach, daß da was war, noch bevor er wußte, was es war. Und manchmal stellte es sich natürlich als Überraschung heraus, war aber alles andere als ein Vergnügen. Der Junge war fast achtzehn Jahre alt, sah für sein

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Alter aber noch ziemlich unschuldig aus, war noch nicht ganz ausgewachsen, und wenn er sprach, dann war es ein leises Murmeln, so daß man kaum verstand, was er sagte. In dieser Gegend war er bekannt unter dem Namen Train. Das Gewicht des fetten Mannes hing in Gestalt von Rettungsringen über seinen Gürtel, und seine Oberschenkel wabbelten unter dieser weitgeschnittenen Hose – es erinnerte irgendwie an Kinder, die sich hinter den Gardinen verstecken. Er holte tief Luft und erstarrte, seine Augen traten hervor, als würde er gewürgt. Genau diese Sache lief jetzt schon so lange, daß sie ihren komischen Aspekt längst verloren hatte. Dann huschte ein sanftes Wogen über sein Gesicht, als wäre ein Fisch an die Oberfläche geschwommen, und alle sahen es und wußten, daß es jetzt an der Zeit war, still zu sein und abzuwarten, und eine kurze Weile rührte sich niemand, denn die kleinste Unruhe, der winzigste Luftzug würde jetzt bewirken, daß alle wieder an den Anfang zurück und von vorne beginnen müßten. Die Brise hörte auf zu wehen. Der Junge hielt die Luft an und hielt das Bag – eine Hand über den Eisen, damit sie nicht klapperten –, und dann seufzte der fette Mann, als wäre die Nachricht über diesen Schlag bereits Geschichte, spürte wieder, wie er von diesen alten, so vertrauten Qualen heimgesucht wurde, und riß den Schläger fast senkrecht vom Boden. Was für alle Beteiligten eine Erleichterung war. Nachdem der Rückschwung erst einmal sicher eingeleitet war, begann Train zu schielen, wie er es manchmal tat, um sich Abwechslung zu verschaffen, wenn es langweilig wurde, und er beobachtete, wie die ganze Szene auf wundersame Weise nach Little Bighorn, Montana, transpondiert wurde. (Das Wort hatte der Junge von einem Kerl aufgeschnappt, einem pensionierten

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Friedensrichter aus dem Süden, der es wiederum in der Reader’s-Digest-Kolumne »Es zahlt sich aus, seinen Wortschatz zu vergrößern« gefunden hatte, und seitdem wandte er sich jedesmal, wenn er einen Ball ins Wasser schlug oder in die Gärten hinter dem Platz, an seine Mitspieler und sagte: »Gentlemen, Sie sind gerade Augenzeuge geworden, wie ein Richter in einen Haufen Scheiße transpondiert wurde«, und das war todsicher Futter für seine Kumpels, egal wie oft sie es bereits zuvor gehört hatten.) Der fette Mann hob den Schläger, zog sich selbst gleich mit in die Höhe, und Train sah Custer vor sich, völlig erschöpft, bis zum Ende kämpfend in seiner gelben Hose, keinen Millimeter weichend und mit leerem Gewehr nach den Rothäuten schlagend, die auf ihren Kriegsponys an ihm vorbeirauschten. Der letzte noch lebende Weiße. Und dann, genau wie im Film, kam der Tomahawk, bahnte sich seinen Weg durch den Himmel, der Tod am Stock, und dann ein feuchtes, dumpfes Aufprallen, als er sein Ziel fand. Und dann war Custer so schnell weg, wie er gekommen war, und der Schlägerkopf hatte einen fünfzehn Zentimeter tiefen Divot in den Boden gerissen, und der Ball schoß fast schnurgerade nach rechts, über den Weg und auf die Bäume zu. Die Zeit verlangsamte sich, und allen sackte im selben Moment die Kinnlade herunter. Der Ball flüchtete wie bei einem Gefängnisausbruch, und der Junge wußte mit Sicherheit, daß diese Runde bestimmt drei Stunden pro Neun dauern würde, obwohl es nur ein Zweierflight war, und es gab auch nicht die geringste Chance, daß er rechtzeitig fertig wurde, um heute zweimal Taschen zu tragen. Zunächst mal waren sie spät aufgebrochen – sie erreichten das erste Tee erst um 10.22 Uhr –, und sobald der fette Mann seinen ersten Schlag gemacht hatte, war

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Train klar, daß seine feuchten Träume besser strukturiert waren als der Golfschwung seiner »Tasche«, wie Caddies ihre Kunden nannten. Jetzt ließ er seinen Blick das Fairway entlangwandern, damit der fette Mann nicht vermuten konnte, was er dachte. Nicht, daß er seine Gedanken vollständig hätte erraten können, aber eine gewisse Unverschämtheit registrierten sie alle schnell bei ihren Caddies. Der fette Mann jedoch starrte immer noch auf die Stelle, wo der Ball zwischen den Bäumen verschwunden war, gerade so, als gebe er ihm noch eine letzte Chance, sich freiwillig zu ergeben und herauszukommen, und dann wirbelte er ohne Vorwarnung herum und schleuderte den Schläger hinterher, wobei ein Laut aus ihm hervorbrach, der in keinem Reader’s Digest stand und auch in keinem Wörterbuch, der keine Buchstaben besaß, um ein Wort zu ergeben, ein Geräusch, so alt wie das uralte Golfspiel selbst. Er ächzte unter der Anstrengung, und der Schaft glitzerte in der Sonne, als er seine Bahn über den Morgenhimmel zog. »Die müssen die ganze Nacht die Sprinkler angelassen haben«, schimpfte der fette Mann, als er sich wieder einigermaßen im Griff hatte. Er hob sein Hemd, um sich die Flecken anzusehen, die der aufspritzende Matsch hinterlassen hatte. Train bemerkte eine Stelle mit krausen roten Haaren auf der hängenden Unterseite seines Bauches, und winzige Äderchen ließen die Haut darunter blaßblau schimmern. »Hier wird’s langsam schlimmer als auf den öffentlichen Plätzen«, sagte er, »so wie History das hier anpackt.« Und dann sagte er mit einem Blick auf seinen Bauch, als erinnerte ihn irgend etwas dort daran: »Vielleicht ist ja letzte Nacht sein Schwanz in Helen Sears’ Kanalisation hängengeblieben …« Sein Mitspieler begann zu lachen, aber nicht richtig.

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Es war ein lautloses Lachen, nur die Bewegung eigentlich, und es war schwer zu sagen, was er dabei dachte. Er war Gast auf diesem Platz, kein Mitglied, also wußte er auch nicht, wer Helen Sears war, kannte die Geschichte nicht. War bislang mitgegangen, als würde ihn irgend etwas hier draußen amüsieren. Was das war, konnte Train nicht sagen. Das Namensschildchen auf seiner Golftasche stammte von Hillcrest, darauf stand Mr. Miller Packard, doch Train gab ihm auf dem ersten Tee den Namen der »Meilenweit-weg-Mann«, denn es schien, als befände der Mann sich trotz all seiner Belustigung die Hälfte der Zeit ganz woanders, als dringe nicht alles wirklich bis zu ihm durch. Es war eine alte Angewohnheit, seinen Taschen einen Namen zu geben; es gab fünf oder sechs, die nannte er »die lebenden Toten«. Natürlich nicht laut, sondern verborgen hinter seiner ausdruckslosen Miene. Train, sein richtiger Name lautete Lionel Walk Jr., war schon immer ein Einzelgänger gewesen. Die anderen Caddies machten sich im Schuppen über ihre Taschen lustig, äfften nach, was sie sagten und wie sie sich abkasperten, aber wenn sie erst das Bag über ihre Schulter wuchteten, hieß es nur noch »Jawohl, Sir« und »Nein, Sir« und »Vielen Dank, Sir«. Dafür fehlte es dem Jungen noch an Lockerheit, doch er ging davon aus, daß es ihm eines Tages gelingen würde. Nach allem, was er bislang gesehen hatte, kam es immer ganz darauf an, wer dabei war, wenn man redete. Sogar die Mitglieder achteten auf ihre Worte, bemerkte er, zumindest untereinander. Oder bis sie anfingen, schlecht zu spielen. Wenn sie mit arbeitenden Menschen zusammen waren, dann war es ihnen natürlich egal. Zum Beispiel nannten sie den Greenkeeper schon das ganze Jahr über »History«, manchmal sogar in seiner Gegenwart. Wie in »Er ist Geschichte«. Nicht,

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daß es dem Greenkeeper irgendwas ausmachte. Tatsächlich nannte er sich in letzter Zeit sogar selbst schon so und schien Spaß an der Vorstellung zu haben, daß sie ihn am liebsten feuern würden. Wenn man wütend genug wurde, um seine Schläger durch die Gegend zu schmeißen, war es in Brookline Brauch, sofort die Schuld auf History zu schieben, sobald man wieder zur Vernunft kam, was aber in letzter Zeit häufiger mit seinem Verhältnis zu Helen Sears verknüpft wurde als mit seiner Angewohnheit, den ganzen Tag faul auf seinem Hintern zu sitzen und zu lesen, während der Platz vor die Hunde ging. Helen fuhr ihn inzwischen sogar zur Arbeit. Bud Sears war seit Halloween tot, aber darum ging es gar nicht. Vielmehr ging es darum – zumindest erklärte History es so –, daß du stirbst, und schon kommt der Greenkeeper munter durch die Haustür hereinspaziert und marschiert schnurstracks zur Bar, noch dazu wahrscheinlich in deinen eigenen Schuhen. Alles war falsch daran, alt und reich zu sein, das war doch der springende Punkt: Aasgeier lauerten überall. Das bereitete History einen Mordsspaß. Manchmal morgens, wenn draußen auf dem Platz zusätzliche Arbeiten durchgeführt werden mußten, rief History im Caddie-Schuppen an und verlangte nach Train. Er zahlte ihm drei Dollar extra für den Tag, damit er sich auf den Rasenmäher setzte, Divots ausbesserte, auf den Grüns neue Löcher stach oder was immer gerade zu tun war. Er benutzte Train, weil dieser stark war – stärker, als die anderen Angestellten sich vorstellen konnten, wenn sie ihn ansahen –, über eine schnelle Auffassungsgabe verfügte und sich nie beklagte, zu viel Arbeit zu haben. Wenn Train fertig war, befand History sich für gewöhnlich in der großen Scheune, wo er auf seinem fetten Arsch saß, einen Martini schlürfte und

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Der große Gatsby las. Seit er mit Helen Sears ein Verhältnis angefangen hatte, las er dieses Buch und schien von der Geschichte gar nicht genug kriegen zu können. Manchmal las er Passagen daraus laut vor. Er bewahrte Gin, Wermut und ein Glas Oliven auf dem gleichen Regal auf wie das Motoröl, und eines Nachmittags zeigte er Train, wie man einen trockenen Martini mixt. Er sagte, alles, was es sonst noch über die Country-ClubTypen zu wissen gebe, könne er auf den Seiten von F. Scott Fitzgerald finden. Seit dem zweiten Loch trank der fette Mann Gin. Seit dem Nachmittag in der Scheune mit History und F. Scott kannte Train den Geruch. Der fette Mann genoß den Gin natürlich nicht so wie History. Schnuppern und das Glas kreisen lassen und alles. History war so zufrieden mit dem protzigen Leben in Mrs. Sears’ Haus und wie er mit einem Martini in der Hand aussah, daß es ihm in jüngster Zeit mindestens ebensoviel Spaß machte, einfach mit einem Drink zu spielen, wie ihn tatsächlich zu trinken. Der fette Mann trank das Zeug direkt aus seiner Thermosflasche, schloß die Augen, schüttelte sich wie ein Hund, der durch einen Rasensprenger läuft, und sagte: »Ah, Frühstück!« Diesen Witz brachte er an jedem Loch, wieder und immer wieder, was Golfer anscheinend gern tun. Die Sauferei hatte ihn allerdings noch nicht soweit gelockert, daß er den Ball ohne das übliche Gehampel schlagen konnte. Vor einiger Zeit hatte er die Thermosflasche Mr. Packard angeboten, der zu diesem Zeitpunkt in Gedanken versunken war und so entsetzt zurücksprang, als hätte ihm jemand eine Schlange gezeigt. Er hatte dankend abgelehnt, für ihn sei es noch ein bißchen früh am Tag.

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Der fette Mann genehmigte sich einen weiteren kräftigen Schluck und gab Train die Thermosflasche zurück, was er auf die gleiche Weise tat, wie er die Schläger zurückgab oder seine Hand nach einem Ball ausstreckte – ohne die Anwesenheit des Jungen wirklich zur Kenntnis zu nehmen. Doch ob er ihn nun anschaute oder nicht, war Train genauso gleichgültig, wie wenn er in den Teich fiel und absoff. Train wußte, daß Sweet ihm diese Tasche niemals gegeben hätte, wenn er für großzügige Trinkgelder bekannt gewesen wäre. Train bekam in letzter Zeit immer nur solche Kunden, die zwei Dollar gewannen und ihrem Caddie einen Vierteldollar gaben und dann nach Hause fuhren in dem Gefühl, alle hätten sich blendend amüsiert. Und keiner von ihnen – nicht mal die Alten, die mit abnehmenden Längen freundlicher und netter wurden –, niemand sprach jemals mit Train, als wäre er zu etwas anderem in der Lage, als eine Golftasche zu tragen, vielleicht reichte es so gerade noch zum Feuerwehrmann oder Polizisten, Sachen eben, die sie sich für sich selbst vorgestellt hatten, als sie noch Kinder waren. Also folgerte Train, daß er bei Sweet in Ungnade gefallen war, ohne jedoch zu wissen, wieso und warum. Für irgendwen galt das allerdings immer, und wer immer es war, es blieb für gewöhnlich so, bis sein Platz von jemand anderem eingenommen wurde. Er vermutete, vielleicht einfach an der Reihe gewesen zu sein. Der andere Caddie – der Mr. Packards Schläger trug – wurde Florida genannt. Nach allem, was die Alten sagten, war Florida noch vor der Sonne nach Los Angeles gekommen, und seitdem arbeitete er auf genau diesem Platz in Brentwood, und immer hieß es »Jesses, Jesses«, wenn ein Ball ins Wasser ging oder in die Bäume, als sähe er zum ersten Mal, wie Weißen so grausam mitgespielt wurde, und stets schob er noch ir-

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gendwo ein »Sir« ein, als wäre die Tatsache, daß er die Golfschläger des Mannes trug, nicht schon Beweis genug, daß er nur die besten Absichten hatte. Sein Lieblingswort jedoch war »ausweiden«. Seiner Tasche gelang ein guter Schlag, er sagte so was wie: »Tja, Florida, ich glaub’, bei dem Schlag hab’ ich die Arschbacken richtig zusammengekniffen«, und Florida rieb sich die Augen, schüttelte bewundernd den Kopf und sagte: »Und ob, Sir. Den haben Sie aber mal ausgeweidet.« Und wenn sie auf der Siegerstraße waren, mußten sie darüber lächeln; manche von denen marschierten sogar über den Platz und sagten zueinander: »Den hast du aber mal ausgeweidet.« Völlig andere Dinge ließen sie lächeln, wenn sie verloren. Bittere Dinge, und wenn Florida das kommen sah, dann wußte er, wie er sich unsichtbar machen konnte. Er war natürlich immer noch da und trug das Bag, aber irgendwie nahm der Golfer ihn nicht mehr wahr. Florida hatte ein tränendes Auge, und seine Fingerspitzen waren weißer als die Haut jedes Weißen. Sweet gab ihm immer gute Taschen, jedesmal. Sweet kümmerte sich um ihn, keiner wußte, warum. Train hörte, daß er einmal fünfzig Dollar Trinkgeld bekommen hatte, er steckte es einfach ein, kehrte zum Holzschuppen mit dem Blechdach zurück, wo alle auf Arbeit warteten, und verlor darüber nie auch nur ein Wort. Er interessierte sich dort für niemanden, schon gar nicht für Sweet, und hob sich seinen Smalltalk und sein Lächeln für den Golfplatz auf. Er war wie Mr. Boyd, der Golf-Pro – gutmütig allein aus professionellen Gründen. Train blieb in der Nähe der Bäume stehen, wohin der Ball des fetten Mannes verschwunden war, nachdem er vorher den Weg getroffen hatte. In Brookline gab es mehr Bäume als in jedem anderen Country Club im Los

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Angeles County – irgendwer hatte die Scheißbäume sogar mal gezählt –, und die Mitglieder waren merkwürdig stolz darauf, gerade so, als hätten sie sie eigenhändig angepflanzt. »Hast du gesehen, wo er reingeflogen ist, Miller?« fragte der fette Mann. Mr. Packard schaute zu den Bäumen hinüber. »Wer? Der Ball oder der Schläger?« sagte er. Der fette Mann walzte zwischen die Bäume, und jetzt umspielte ein anderes Lachen Mr. Packards Mundwinkel. Er war auf eine Art gelassen, die das genaue Gegenteil von dem war, was man bei ihm eigentlich erwartete. Es überrumpelte einen förmlich. Trotzdem war Train klar, daß es da auch eine dunkle, unangenehme Seite geben mußte, und damit wollte man auf keinen Fall etwas zu tun haben. Train rückte das Bag auf seiner Schulter zurecht und folgte dem fetten Mann ins Gehölz, hob unterwegs das Dreier-Holz auf, das dieser weggeschleudert hatte, und wischte die Erde ab. Es befanden sich neunzehn Schläger im Bag, und er mußte alle anheben, wie man es mit Blumen in einer Vase macht, und sie leicht schütteln, damit er diesen einen Schläger auch noch hineinbekam. Er zählte sie sicherheitshalber noch einmal: neunzehn. Das schwerste Bag, das er bislang in diesem Frühjahr getragen hatte. Der fette Mann war ungefähr eine Minute lang nicht zu sehen, und als Train ihn einholte, stand er über einem makellos weißen, ungekennzeichneten Spalding DotGolfball, einem Ball, der noch nie einen Weg getroffen hatte. Und er lag da auf einer kleinen Lichtung zwischen den Bäumen, vielleicht zweieinhalb Meter im Durchmesser, mit reichlich Platz nach oben und freiem Schußfeld aufs Grün. Train blieb stehen und ließ das Bag von seiner Schulter gleiten. Er fühlte sich genauso beklom-

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men, als hätte er den fetten Mann beim Nasebohren überrascht. Der fette Mann sah ihn an und gab ihm damit zu verstehen, daß es ihm vollkommen egal war, was Train sah oder dachte. Train schaute fort, distanzierte sich. Genau wie Florida es machte. »Eisen Drei«, kommandierte der fette Mann und streckte seine Hand aus. Es war das falsche Eisen für diesen Schlag – er mußte den Ball hoch in die Luft bekommen –, doch wenn man in seinem Spiel einen Punkt erreicht hatte wie Custer bei seinem letzten Gefecht, dann steckte das richtige Eisen sowieso nicht in der Tasche. So war Golf eben, grausam wie ein Klumpfuß. Mr. Packards Stimme drang durch das Laub zu ihnen. »Hast du ihn gefunden, Pink?« »Ja«, antwortete der fette Mann, »hab’ ihn hier.« Er warf Train erneut einen Blick zu und stellte sich dann wieder über den Ball. Er machte einen Probeschwung, der Bauch wackelte unter seinem Hemd, der Schlägerkopf strich durch die Blätter über ihm. Er trat zurück und holte zu einem weiteren Schwung aus, fegte diesmal durch die Äste, und dann noch ein Probeschwung. Train mußte an ein Sprichwort denken, das er neulich aufgeschnappt hatte: Regeln sind dazu da, gebrochen zu werden. Nicht unbedingt eine typische GolfRedensart, das wußte er, aber auf dem Golfplatz hatte er es gehört. In jedem Viererflight befand sich immer ein Philosoph, und an manchen Tagen spulte Train die Redensarten zum Zeitvertreib in seinem Kopf ab, fand an jedem Loch die passende Situation für eine. Manche dieser Sprüche waren witzig, andere drückten Verärgerung aus, aber so oder so, letzten Endes liefen alle aufs gleiche hinaus, und das war Enttäuschung. Enttäuschung war das einzige an diesem Spiel, das wirklich verläßlich war. Man konnte versuchen, sich keine zu großen Hoffnungen zu machen, aber genausogut könnte

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man der Katze sagen, sie solle keine Vögel mehr fangen. Es läuft eben wie’s läuft. Sie erzählten sich auch Witze; manchmal hörte Train den gleichen drei- oder viermal auf einer Runde. Die älteren Golfer vergaßen immer, welche sie bereits erzählt und welche sie schon gehört hatten, also latschten sie den ganzen Tag lachend herum und wunderten sich, warum ihnen das Leben nie so wunderbar vorgekommen war, als sie noch jung waren und es richtig genießen konnten. Eines Tages, als der Wind so trocken und heiß blies, daß keine Taschen mehr kamen, verbrachte Train einen ganzen Nachmittag mit Scorekarte und Stift bewaffnet im Schuppen und schrieb all die Witze auf, die er über Golfer gehört hatte, die versehentlich ihre Frauen umbrachten und sich dann auch noch mit einer unspielbaren Lage des Balles abfinden mußten. Oder die Gattin wurde vom Blitz getroffen oder von einer Schlange gebissen, was aber alles auf die gleiche Pointe hinauslief. Er konnte sich an sechsundzwanzig Witze über tote Ehefrauen erinnern. Train hatte noch nie für Frauen den Caddie gemacht – außer zu einem NeunLoch-Scramble am Halloweenabend ließ man sie in Brookline nicht spielen – und fragte sich, ob sie sich wohl auch Witze über ihre Männer erzählten. Dann mußte er an Bud Sears und seine Frau Helen denken, die es dem alten History nach allen Regeln der Kunst besorgte, und dachte, ja, wahrscheinlich erzählen sie sich auch Witze. Der fette Mann war endlich mit dem störenden Laubwerk fertig, und der halbe Ast lag zerfetzt auf dem Boden. Es roch intensiv nach frisch geschlagenem Holz, und kein einziges Blatt berührte den Schlägerkopf, als er endlich zum Schwung ausholte. Dann toppte er den Ball trotzdem. Er flog viel zu flach und zu schnell genau auf den Teich zu, streifte vorher jedoch den Rand eines

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Bunkers, prallte seitlich ab und rollte weiter aufs Fairway, wo er 155 Yards vor dem Grün liegenblieb. »Fotze«, schimpfte der fette Mann, fast als flüstere er es ihr ins Ohr, und ließ den Schläger einfach fallen. Train hob ihn auf und folgte ihm aus den Bäumen zurück aufs Fairway. Eine weitere Redensart kam ihm in den Sinn – zur falschen Zeit am falschen Ort, und mit einem Mal wurde ihm klar, daß es an diesem Tag genau diese Richtung nahm, seit er aufgestanden war. »Hast du das gesehen, Miller?« sagte der fette Mann. »Die Hure ist nicht in den Bunker geflogen, sie liegt auf dem Gras.« Mr. Packard hatte wieder diesen Meilenweit-wegMann-Ausdruck auf dem Gesicht, drehte sich aber zum Abschlag um, sah, daß dort niemand wartete, obwohl der fette Mann eine Ewigkeit mit seinem Ball herumgemacht hatte, und sagte: »Schlag halt noch einen. Macht mir nichts aus.« Der fette Mann schien darüber nachzudenken, schüttelte dann aber den Kopf, als brächte er es nicht über sich, gegen die Regeln zu verstoßen. »Nein, Scheiße, wir spielen hier schließlich um Geld …« Inzwischen hatte Train mitbekommen, daß Mr. Packard seinen Köder im Wasser hatte, selbst wenn er das Spiel gar nicht weiter beachtete. Doch jetzt kam ihm der Gedanke, daß es bei dem fetten Mann durchaus genauso sein könnte. Mr. Packard war der Golfer – er gab dem fetten Mann pro Loch einen Schlag vor –, aber wer saß im Boot und wer war im Wasser, darum ging es jetzt. Und es ging um Geld; die zwei waren nicht befreundet. Mr. Packard ging zu seinem eigenen Ball und drehte sich zu Florida um. »Wie weit noch?« fragte er. Florida stellte die Schläger ab, kniff die Augen zusammen und blickte zum Grün.

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»Zwei zehn, Sir, aber die meisten Gentlemen sagen, man braucht eher einen zusätzlichen Schlag.« Mr. Packard dachte darüber nach, zog dann ein altes, zerkratztes Persimmon-Holz aus seinem Bag und schlug den Ball hoch über den Teich. Er landete auf dem Vorgrün, rund neun Meter unterhalb des Loches. Train bemerkte, daß er seinen Schwung wieder ein wenig zu kurz gehalten hatte, so als hätte er ein Problem mit seinem Knie. Als sie weitergingen, schloß der fette Mann schwer keuchend zu Mr. Packard auf und sagte: »Miller, du hast doch bestimmt nichts dagegen, wenn wir nach dem Neunten die Caddies tauschen …« Er warf einen kurzen Blick zurück zu Train und sagte: »Bei dem kleinen Scheißer wird mir irgendwie anders. Ich glaube, der kann nicht mal reden.« Train kam hinter ihm das Fairway herauf, trug sein Bag und spürte, wie ihm das Blut in den Kopf schoß. Sie erreichten den Ball des fetten Mannes, und dieses Mal, wie um seinen Standpunkt zu demonstrieren, sagte er: »Okay, Junge, wie weit noch?« Train antwortete nicht. Florida ließ gemächlich seinen Blick über die Landschaft wandern, aber als seine Augen Train erreichten, signalisierten sie Großalarm. Wenn einer der Spieler sich über einen Caddie aufregte, passierte es manchmal, daß die anderen ihm nacheiferten, und das brachte leicht alle ums Trinkgeld. Er schaute wieder fort, und der freundliche, ahnungslose Ausdruck kehrte auf sein Gesicht zurück. »Siehst du, was ich meine?« sagte der fette Mann. Mr. Packard gefiel es nicht, da hineingezogen zu werden. »Komm schon, Pink«, sagte er, »es ist dein Hausplatz – du weißt selbst, wie weit es noch ist.« »Darum geht’s doch gar nicht«, sagte der fette Mann. »Du hast nicht verstanden, um was es mir geht.« Dann

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baute er sich direkt vor Train auf und artikulierte jedes einzelne Wort übertrieben deutlich, damit es auch nur ja kein Vertun gab, um was es hier ging. »Alles klar«, sagte er, »gannn-z lannng-sam, Neeeger. Wie – weit – ist – es – noch?« Train sah zum Grün, dann zum Teich. In der Nähe des Ufers trieb ein toter Karpfen im bräunlichen Schaum. Sie besetzten die Teiche mit Karpfen, damit die den Schaum wegfraßen, damit die Teiche besser aussahen, aber es gab ständig tote Fische, und wenn etwas noch schlechter aussah als brauner Schaum, dann war es ein toter Karpfen, der im braunen Schaum trieb. Außerdem war es eine ziemlich übelriechende Angelegenheit. Train antwortete nicht. »Du verstehst doch Englisch, richtig?« Train nickte und spürte jetzt, daß auch Mr. Packard ihn ansah, neugierig, ob ihn das alles irgendwie berührte. Und Train sagte immer noch kein Wort. Für ihn war es wie damals in der Schule, als Miss Binion ihm die Kreide in die Hand drückte und sagte: »Lionel, vielleicht möchtest du der Klasse mal ein Diagramm für diesen Satz auf die Tafel malen.« So standen ungefähr seine Chancen. »Laß mich meine Frage anders formulieren«, sagte der fette Mann. Es begann ihm Spaß zu machen. »Wenn du hier an meiner Stelle stehen würdest und ich würde das Bag tragen« – er lächelte Mr. Packard an, um sicherzugehen, daß er das jetzt mitbekam –, »wenn ich also dein Bag schleppen würde, und du würdest jetzt vor diesem Schlag stehen, welchen Schläger würdest du dir dann von mir geben lassen, um das Loch zu treffen?« Train schaute zum Grün. »Du hast den Platz doch schon mal gespielt, oder?« hakte der fette Mann nach. »Montagmorgens seid ihr

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Caddies doch immer hier draußen und habt euren Spaß …« Train nickte und bedauerte selbst das sofort. »Und du willst doch ein Caddie sein, Junge, oder nicht?« Als Train nicht antwortete, verfiel der fette Mann in seinen nachgeäfften Neger-Dialekt und sagte: »Ihr doch alle Caddie, ooo-der?« Wieder nickte Train und wünschte sich sofort, es nicht getan zu haben, wünschte sich, einfach die Schuhe ausziehen und gehen zu können. Einfach so, die Schläger fallen lassen, leck mich am Arsch sagen, barfuß übers Fairway gehen, solange das Gras noch angenehm kühl war. Statt dessen rührte er sich nicht von der Stelle, und der fette Mann griff in sein Bag und kramte die Thermosflasche heraus. Fixierte ihn dabei die ganze Zeit. Er füllte den Deckel, trank und schüttelte sich diesmal anschließend nicht. »Also, es ist Montag morgen, Leroy. Womit schlagt ihr Leutchen denn so?« Wieder absolute Stille, während sie warteten. Er hörte, wie Florida ein leises »Jesses« raunte. »Eisen Neun«, sagte er. Der fette Mann schraubte den Deckel auf die Thermosflasche und schien überrascht. »Ein Neuner-Eisen?« Er legte seine Finger auf Trains Arm und drückte zu. »Du bist anscheinend kräftiger, als du aussiehst.« Train rührte sich nicht. »Na, scheiß drauf, Leroy, dann gib uns das Neuner.« Train zog das Eisen aus dem Bag, und der fette Mann reichte ihm die Thermosflasche zum Verstauen. Er schwang den Schläger einmal, es war ein langsamer, lockerer Übungsschwung, dann sah er wieder Mr. Packard an und danach Train. »Du sagst, das Neuner, ja, bist du sicher?« Der fette Mann stand nur ein paar Sekunden über

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dem Ball, auch nicht annähernd so lange wie zuvor, dann hüpfte seine Wampe nach oben – Train erhaschte einen flüchtigen Blick auf diesen schrecklichen Haarpelz – und schwappte gleich wieder über seinen Gürtel, und der Ball schoß gerade und hoch in die Luft, etwas Erde klebte noch am Schlägerblatt, und der fette Mann verharrte in der Endposition des Schwunges, solange der Ball in der Luft war. Zeigte Mr. Packard jetzt sein wahres Können, ließ ihn den Haken in seinem Maul spüren. »Sei der Schläger«, sagte der fette Mann. Mr. Packard warf Train einen belustigten Blick zu, und der Ball klebte förmlich in der Luft, perfekt aufs Ziel ausgerichtet … bis er schließlich im Teich verschwand. Ungefähr drei Meter vor dem entfernten Ufer. Der fette Mann öffnete seinen Griff, und der Schläger fiel über seine Schulter. »Das Neuner-Eisen«, sagte er, fast als wäre es eine Frage. Am falschen Ort zur falschen Zeit, das war der Ausdruck. »Yessir«, sagte Train. »Yessir? Yessir was? Hast du gesehen, wo der hin ist?« Train schaute zum Teich und sah Bläschen aufsteigen. »Er hat mir besser gefallen, als er noch nicht reden konnte«, witzelte der fette Mann, doch dann trat er einen Schritt näher, und Train bemerkte das Funkeln in seinen Augen und wußte, das bedeutet Ärger. Er hatte davon gehört, daß sich ein Mitglied schon mal vergaß, wenn es schlecht lief, und gegen seinen Caddie handgreiflich wurde. Das war in Brookline ein klarer Verstoß gegen die Platzregeln, und wenn es passierte, mußte das betreffende Mitglied sich beruhigen und dem

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Caddie zum Ausgleich eine kleine Entschädigung geben. Für die Caddies – zumindest für die meisten – war es, als würden sie einen Dollar im Schuh finden, wenn ein Mitglied eine solche Schwäche zeigte. Was aber nicht jeder so sah. Manche nahmen das Geld nicht an, und manchmal, wenn sie den Mann nach so einem Zwischenfall zu lange anstarrten, bis ihm die Hand brannte, sagte das Mitglied nach der Runde etwas zu Mr. Boyd im Proshop, und anschließend konnte der Caddie nach Hause gehen und darüber nachdenken, womit er sich seine Brötchen sonst noch verdienen könnte. Der Fette war aber nicht schwach; er sah aus wie ein Möbelpacker. »Pink …« Mr. Packard sprach seinen Namen aus, und alles löste sich in Wohlgefallen auf. Sagte es nicht auf irgendeine besondere Art, an die man sich erinnern würde – genaugenommen konnte man sogar ein leises Lachen in dem Wort mitschwingen hören –, aber etwas kam auf Train zugerollt, genau auf ihn zu, und wie aus heiterem Himmel machte es kehrt und rollte in die entgegengesetzte Richtung davon. Ein Augenblick verstrich, und dann lächelte der fette Mann. »Ich hab’ ihn nur ein bißchen provoziert, Miller«, sagte er. »Er provoziert mich, ich provoziere ihn. Er ist ein kluger Junge, das weiß er.« Dann drehte er sich um und sah Train wieder an. »Stimmt doch, Leroy, oder? Du bist doch ein kluger Junge …« Train konnte nicht antworten. War wieder an diesem Punkt. »Wir haben doch alle gesehen, daß du Humor hast …« Train hob das Neuner-Eisen auf und wartete, daß der fette Mann sich wieder in Bewegung setzte. Wartete,

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wie ein Mexikaner darauf wartet, daß das Problem sich von selbst löst. Es gab Tage, da wünschte er sich, ein Mexikaner zu sein – keine Bags mehr durch die Gegend schleppen und statt dessen für History in der Greenkeeper-Mannschaft arbeiten, früh auf den Platz gehen und die Bunker harken oder das Unkraut jäten. Er hatte ein Händchen dafür, Dinge wachsen zu lassen. Aber die Mexikaner waren ausnahmslos Illegale, und der Club heuerte sie nur als Tagelöhner an, wer zuerst kommt, mahlt zuerst, und zahlte auch nur einen Dollar für zehn Stunden harte Arbeit, und trotzdem sah Train manchmal, wie sie sich morgens um einen Platz in der Schlange stritten. Train vermutete, daß diese Arbeit immer noch besser als Obstpflücken sei und sie auch den Caddie machen würden, wenn der Club sie nur ließe. Für das Tragen des Bags erhielt Train anderthalb Dollar pro Achtzehn-Loch-Runde plus welches Trinkgeld auch immer eine Tasche am Ende springen ließ. Im Sommer, wenn die Sonne um halb neun, neun Uhr unterging, machte er manchmal dreizehn, vierzehn Dollar am Tag. Am Ende solcher Tage legte er sich gern zu Hause aufs Bett und kolorierte mit Tinte die Augen von George Washington. Färbte sie blau. Eine Hälfte des Geldes gab er seiner Mutter, die andere stopfte er zusammengerollt in eine Socke und legte sie zu den übrigen Socken in seine Kommode, wo sie sich in nichts voneinander unterschieden. Dann waren es zwei Sokken, und dann waren es drei. Er wußte immer genau, wieviel in den Socken war, und manchmal streifte er nachts eine Socke über seinen Fuß, nur um zu sehen, wie es sich anfühlte, seine Zehen dort zu all den Dollarscheinen hineinzuzwängen. An diesem speziellen Morgen jedoch hätte er überhaupt nichts dagegen gehabt, als Ein-Dollar-pro-TagMexikaner in einem Blumenbeet zu stehen. Der fette

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Mann starrte ihn wieder an und versuchte herauszufinden, ob Train über ihn lachte. Manchmal konnte Train genau sagen, was Weiße dachten, und er hatte Angst, daß es andersherum genauso funktionierte. Er hörte wieder Mr. Packard. Einerseits klang es, als machte er Blödsinn, andererseits wirkte er ganz ernst. »Und was machen wir jetzt, Pink? Warten wir, bis sich der Junge dafür entschuldigt, daß du den Ball ins Wasser geschlagen hast, oder was?« »Was dagegen, Miller?« Es lag ein unangenehmer Unterton darin, mit dem eine Grenze zwischen ihnen überschritten wurde, und der fette Mann hörte das auch und versuchte, es noch zu ändern, nachdem er es bereits ausgesprochen hatte. Versuchte, einen Rückzieher zu machen. Sogar jetzt noch, wütend wie eine Schlange, weil sein bislang bester Schlag im Teich lag, wirkte er ein wenig ängstlich. So als würde er für Mr. Packard arbeiten. Nur, daß es so nicht war. Train vermutete, daß er die unangenehme Seite des Mannes kannte, oder vielleicht wußte er auch nur, daß es eine gab, genau wie Train es wußte. »Hör zu«, sagte der fette Mann, »ich bin hier derjenige, der fünf, einen und drei zurückliegt. Das hier geht nur ihn und mich was an.« »Falls du dir deswegen Gedanken machst, vergiß unsere Wette«, sagte Mr. Packard. »Wir hacken heute ja sowieso nur rum.« »Nein«, erwiderte der fette Mann. »Scheiße, nein, Einsatz ist Einsatz.« Train hörte in seiner Stimme, wie sehr er darauf brannte zu gewinnen, und in diesem Moment wußte er, wie es ausgehen würde. Wenn man etwas zu sehr wollte, klappte es ohnehin nie. Florida schwitzte. Er hatte sein Bag abgestellt und stand nun daneben, wirkte abwesend. Der fette Mann zog seine Thermosflasche heraus und trank. Eine dicke

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Lippe bricht dir die Rippe, das war wieder so eine Redewendung, die er auf dem Platz gehört hatte. Fette Lippe bricht Rippe. Der Klang des Satzes gefiel Train. Mr. Packard beobachtete den fetten Mann, dann schaute er sich um, schien wieder lautlos zu lachen und sagte: »Weißt du, Pink, ich denke, wir sollten für heute Schluß machen.« »Ich habe nie gesagt, daß ich nicht spielen will«, sagte der fette Mann. Er brannte darauf, das Mißverständnis aus dem Weg zu räumen, überschlug sich dabei förmlich. »Ich habe nur gesagt, dieser verdammte Junge hier ist mir unheimlich, mehr nicht«, sagte er. »Das hat nichts mit dir zu tun. Ich will nur am nächsten Abschlag die Caddies wechseln.« »Von mir aus«, sagte Mr. Packard, »es sei denn, der Junge hängt zu sehr an dir, um die Seiten wechseln zu wollen.« Und dann schaute er zu Train herüber und zwinkerte. Also tauschten Train und Florida die Bags, und Florida schwankte unter dem neuen Gewicht ein paar Schritte zurück, fand das Gleichgewicht wieder und schüttelte die Schläger durch. »Hab’ ich jetzt mit dir auch ein Problem?« fragte der fette Mann und versuchte, alles wie einen Witz aussehen zu lassen. »Nein, Sir«, antwortete Florida. »Es ergab sich nur rein zufällig, daß ich das Gleichgewicht verlor.« Das entlockte dem fetten Mann ein prustendes Lachen – es ergab sich rein zufällig –, und irgendwie veränderte diese Ausdrucksweise alles. Ein paar Worte, und das Spiel war entspannt und locker, und Trains Ärger mit dem fetten Mann schien wie der Groll zu sein, den Leute wegen irgend etwas hegen, ohne sich noch an den Anlaß erinnern zu können, sie grollen einfach weiter, um die Leere aufzufüllen. Harmlos. Die Sonne war

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warm, die Luft duftete wunderbar, und das neue Bag war leichter und lag bequem auf seiner Schulter, und fünf Minuten später befand Florida sich auf dem Weg in die nächste Welt. Er hatte das Bag des fetten Mannes am Rand des Grüns abgestellt, ein Taschentuch aus seiner Gesäßtasche gezogen und sich den Nacken abgewischt, dann hatte er seltsam gelächelt, etwas wie Verwirrung huschte über sein Gesicht, und er brach zusammen. Mr. Packard kniete sich sofort neben ihn, drehte ihn auf den Rücken, öffnete seine Schnürsenkel und sein Hemd. Floridas Augen wirkten hungrig, und weißer Schaum trat aus seinem Mund, lief ihm über Lippen, Kinn und Hals. »Er hat einen Herzinfarkt«, sagte der fette Mann. Florida krümmte sich jetzt, preßte die Arme fest auf seine Brust, rang verzweifelt nach Luft. Und dann schien er sich zu entspannen. Blitzschnell. »Es ist ein Herzinfarkt«, sagte der fette Mann wieder, ohne Florida auch nur einmal angesehen zu haben. Train registrierte das. »Das hab’ ich bei denen schon öfters erlebt. Einige haben sogar ihre Zunge verschluckt.« Mr. Packard sprach mit Train, als wäre der fette Mann gar nicht da. »Lauf zurück zum Clubhaus«, sagte er. »Sag ihnen, sie sollen einen Krankenwagen rufen.« Es lag jedoch keine Eile in der Art, wie er das sagte, und Train wußte, es gab auch keinen Grund zur Eile. Train ließ das Bag los, war überrascht über das Geklapper, als die Tasche auf den Boden fiel, und bemerkte etwas Glänzendes, das aus einer der Taschen herausragte; einen kurzen Augenblick spiegelte er sich darin. Er sprintete fünfzig Meter den Weg entlang, dachte an Florida, hatte panische Angst. Dann zog er die Schuhe

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aus und trat auf das Gras des Fairways, rannte direkt in eine Gruppe von Golfern. Es waren vier, die am Abschlag standen und sich auf ihre Schläger stützten. Zwei hatten sich die Hose über den Bauch gezogen, zwei darunter. Ein oder zwei sahen aus, als wären sie schwanger. Schorf auf den Händen, Armen und Gesichtern; Train war aufgefallen, daß es ein gewisses Alter gab, in dem alte Männer anfingen auszusehen, als wären sie hinter einem Auto nach Hause geschleift worden. »He! Was rennst du hier rum, Junge?« Und: »Das hier ist ein Golfplatz, Leroy, und keine Rennbahn …« Manche Mitglieder nannten alle Caddies Leroy. Und dann sagte einer zu den anderen: »Ist das einer von unseren?« Der Golfplatz machte merkwürdige Dinge mit Geräuschen. Manchmal konnte man spätnachmittags selbst ein Flüstern quer über das Fairway verstehen. Einer der Golfer schlug einen Ball in seine Richtung – zumindest sah es so aus –, aber er segelte über den Zaun, und Train achtete nicht weiter darauf und rannte weiter, genau auf sie zu. Sie hörten auf zu brüllen und traten vom Abschlag zurück, hatten offenbar beschlossen, das Problem mit dem Caddie, der sich selbständig gemacht hatte, später mit dem Pro im Clubhaus zu klären, statt sich hier und jetzt selbst darum zu kümmern. Ohne langsamer zu werden, stürmte Train über den Abschlag. Kaum hatte er ihn hinter sich gelassen, hörte er sie auch schon wieder brüllen, doch jetzt verstand er die Worte nicht mehr. Vor ihm tauchte ein weiterer Flight auf, der im Rough hinter dem Seniorenvierer wartete, und Train schlug sich in den Wald, bevor ihn einer von denen ebenfalls anbrüllen konnte. Die Luft im Schatten war feucht, und die Äste schienen nach seinen Beinen zu greifen. Mit einem Mal wurde er sich der Geräusche bewußt – das Klatschen seiner

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Füße auf der Erde, das Aneinanderreihen seiner Hosenbeine beim Laufen, sein eigenes Atmen. Das Knacken alter Zweige, die von den Bäumen abbrachen. Er schwitzte, und es fühlte sich kühl und sicher dort an, außer Sichtweite, und genau in dem Augenblick, als ihm dieser Gedanke kam, erwischte er mit dem Fuß eine Wurzel. Er wirbelte herum, taub vor Schmerz. Im nächsten Moment brach er wieder ins helle Licht der Sonne, überquerte das dritte Fairway direkt hinter einem weiteren Viererflight und bemerkte beiläufig, daß sein kleiner Zeh seitlich abstand, wie ein Daumen, und blutete, wo der Nagel eingerissen war. Dieses Fairway wurde von einem breiten Bach vom achten Loch getrennt, und er lief hindurch, war zu ausgelaugt für einen Sprung, versank bis zu den Knien im stinkenden Modder auf seinem Grund, stolperte, fiel, zog sich dann heraus und rappelte sich am anderen Ufer auf. Der Sturz kostete ihn seine letzte Kraft, raubte, was er noch an Atem hatte, und er meinte, jemanden lachen zu hören. Das Geräusch konnte sich allerdings auch aus seiner eigenen Brust gelöst haben. Er lief weiter den langen Abhang des neunten Loches hinauf, hielt sich jetzt dicht neben dem Weg, während die Kraft seiner Beine allmählich nachließ. Er schloß die Augen und stellte sich vor, wie Florida mit dem Gesicht voran aufs Grün fiel, unmittelbar davor dieser verwirrte Ausdruck auf seinem Gesicht. Er stellte sich den Schaum vor, der ihm aus Mund und Nase trat, und wußte, daß er ausgelaugt war, daß jeder Stöpsel gleichzeitig gezogen wurde. All das stellte er sich vor und zwang sich weiter den Hügel hinauf zum Clubhaus, als gebe es dort etwas, das alles ungeschehen machen konnte. Als er wieder die Augen öffnete, erhob sich vor ihm das Gebäude, und die Sonne spiegelte sich in den

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Scheiben, hinter denen die weißen Männer saßen und tranken, nachdem sie Golf gespielt hatten. Er war sich ziemlich sicher, daß noch nie zuvor ein verdammter Nigger ohne Schuhe im Clubhaus von Brookline gewesen war, trotzdem stürmte er über das Putting Green, störte dabei einen Gentleman in orangefarbener Hose, der gerade Dreißig-Zentimeter-Putts übte, und rannte weiter durch die geöffnete Glastür, die in die Lounge führte. Drinnen war es dunkel und kühl, die Luft so bewegungslos wie in einer Höhle, und er blieb wie angewurzelt stehen und wartete, was als nächstes passieren würde. Rechnete fast damit, daß sie ihn erschossen. Der Barkeeper war ein riesiger, gut riechender Neger namens Richard. Er starrte Train an, schien die Luft anzuhalten. Vier alte Damen saßen in einer Ecke und spielten Karten, über ihrem Tisch schwebte eine Wolke Zigarettenrauch. Er bemerkte ihre Hände. Diamanten und Knochen. Eine schaute zu ihm auf und lächelte. Jetzt kam der Barkeeper hinter seiner Bar hervor, schaute nach links und rechts, um zu sehen, wer sonst noch etwas von dem mitbekommen hatte, was da gerade durch die Tür hereingekommen war. Sein Haar schimmerte im Licht der Deckenbeleuchtung, und Train wurde das Gefühl nicht los, jeden Moment erschossen zu werden, und in dem Moment, als der Barkeeper über den Teppich kam, fiel ihm ein, daß es, als er Mr. Millers Golfbag hatte fallen lassen, die Mündung einer Pistole gewesen war, die da aus der Tasche herausgeragt hatte. Der Barkeeper lächelte, damit die Damen nicht in Panik gerieten. Er näherte sich Train auf sehr kurze Distanz, bevor er etwas sagte, und dann beugte er sich noch vor, damit niemand sonst etwas verstand. »Rooster, falls ich dich je wieder sehen sollte, dann bist du besser auf dem Weg durch diese Tür da nach

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draußen«, sagte er. Train konnte die Pomade riechen, mit der er sich die Haare anklatschte. Er trat ein Stück zurück, brauchte etwas mehr Raum, um zu reden. Der Barkeeper warf den Damen in der Ecke erneut einen Blick zu. Eine von ihnen hatte die Zigarette in einen langen weißen Halter geklemmt, den sie jetzt hob. Sie nahm einen Zug. Diamanten und Knochen. Der Barkeeper ergriff seinen Arm und bugsierte ihn zurück zur Tür. Train kam der Gedanke, daß er vielleicht nicht erklären könnte, was passiert war, aber plötzlich waren die Worte einfach da, so mühelos wie für Sweet und jeden anderen. »Da ist ein Mann gestorben«, sagte er. Er spürte, wie sich der Druck auf seinem Arm veränderte. »Welcher Mann?« fragte der Barkeeper. »Florida«, sagte Train. »Ist aufs Grün geknallt und gestorben.« »Ein Caddie?« »Florida. Du kennst doch den alten Florida …« »Nein, Sir«, erwiderte der Barkeeper, »kenne ich nicht.« Er musterte Train einen Moment länger, begleitete ihn dann den Rest des Weges aus der Lounge. Train wartete, bis sie wieder draußen waren, um dem Barkeeper zu sagen, daß er einen Krankenwagen rufen sollte. Er sah ein, daß den Damen sein Anblick erspart werden mußte. »Man kommt nicht hierher, wenn ein Caddie auf dem Grün zusammengebrochen ist«, sagte der Barkeeper. »Aber der Mann hat mir gesagt, ich soll herkommen«, entgegnete Train. »Welcher Mann?« »Der Mann, der Golf gespielt hat, er hat gesagt, ich soll Richard sagen, er soll sofort jemanden anrufen.« Er war überrascht, wie mühelos ihm die Lüge über die

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Lippen kam. Seine Mutter war außerordentlich stolz darauf, jedem, der zuhören wollte, zu erzählen, daß Lionel der einzige Junge in der Geschichte der WalkFamilie war, der im Alter von drei Jahren noch kein vollendeter Lügner war. Sie sagte, bei allen anderen wäre das der einzige Grund gewesen, warum sie überhaupt sprechen lernten. Er wußte nicht, ob es der Wahrheit entsprach – falls es noch andere Männer in der Familie Walk gab, war er ihnen zumindest noch nicht begegnet –, aber es stimmte, daß er es nicht über sich brachte, Geschichten zu erzählen. Dafür fehlte ihm die nötige Lockerheit. »Dieser Mann hat gesagt, ich soll wen anrufen?« Dann bemerkte der Barkeeper Trains Zeh und trat einen Schritt zurück. Train schaute ihn ebenfalls an, und zum ersten Mal kam ihm der Gedanke, daß er an den falschen Ort gekommen war. Daß der Mann eigentlich den Proshop meinte, als er Clubhaus sagte. »Als wäre er ein Mitglied«, sagte er, »das hat der Mann gesagt.« Ein halbes Dutzend von ihnen war in den zwei Jahren, die Train jetzt hier arbeitete, draußen auf dem Platz gestorben, vielleicht auch ein oder zwei mehr. Die Alten redeten dann einen Monat davon, bis jeder von ihnen sich das gleiche erzählt hatte – »Tja, da hat’s der alte Bud Sears also endlich geschafft« –, stolz darauf, daß ein weiterer Soldat in seinen zweifarbigen Schuhen gestorben war. Auf eine Art war es so ähnlich, wie die meisten Bäume aller Golfplätze im Los Angeles County zu haben. Der Barkeeper strich sich mit einem Finger behutsam durchs Haar und kratzte eine Stelle auf seinem Kopf, versuchte schlau daraus zu werden, ob es ihn in Schwierigkeiten bringen konnte, wenn er für einen Caddie einen Krankenwagen rief. Dann nahm er einen Kamm aus seiner Gesäßtasche, bearbeitete die Stelle und dachte immer

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noch nach. »Du gehst jetzt dorthin zurück«, sagte er, »und sagst ihnen, daß Richard sich um alles kümmert.« Train nickte, rührte sich jedoch nicht. »Ich werde mich drum kümmern«, sagte der Barkeeper und drängte darauf, daß Train endlich aus dem Clubhaus verschwand. »Sie wissen doch gar nicht, wo er ist.« »Und, wo ist er, Nigger?« »Auf dem sechsten Grün.« Train streckte die Hand aus, und der Barkeeper schaute ungefähr in diese Richtung, kehrte dann in die Lounge zurück. Er sah Train direkt in die Augen, als er die Tür abschloß für den Fall, daß noch mehr von seiner Sorte draußen darauf warteten, hereinzukommen. Train ging an dem Putts trainierenden Mann vorbei zum Rand des Übungsgrüns, setzte sich und zog an dem Zeh, bis er es knacken hörte. Dann riß er den Nagel ab, der ohnehin nur noch an einem Stück Haut hing. Er hatte sich inzwischen genug beruhigt, um das alles deutlich zu spüren, und der Schmerz überrollte in ihn Wellen, ähnlich wie sein Magen reagierte, wenn er Angst hatte. Er stand auf und ging den langen Abhang des neunten Loches weiter hinunter Richtung sechstes Grün, wobei er kleine runde Blutflecken auf dem Gras hinterließ. Wenn später jemand vorbeikam, würde er denken, ein Hund hätte sich an der Pfote verletzt. Florida lag noch an genau derselben Stelle wie zuvor, nur daß er jetzt kleiner wirkte, so als wäre er ausgetrocknet. Mr. Packard saß neben ihm auf dem Gras, war in Gedanken weit fort in einem fernen Land. Der fette Mann saß vor dem Grün auf seinem Bag, hielt die Thermosflasche zwischen den Beinen. All dies nahm Train gleichzeitig wahr, als er vorbei an den gleichen alten Männern, die ihn zuvor angebrüllt hatten, über das Fairway herangetrabt kam – dabei den verletzten Fuß schonend und nicht mehr wirklich in Eile, nur um den

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Schein zu wahren noch laufend. Es waren inzwischen mehrere Flights, die schlecht gelaunt warten mußten. Es gab eindeutige Regeln im Club bezüglich Startzeiten und Spieltempo. Train behielt den Blick stur geradeaus gerichtet und blieb nur einmal stehen, um seine Schuhe aufzuheben. Mr. Packard schaute auf und beobachtete Train auf den letzten dreißig Metern. Er wirkte müde. »Haben sie einen Krankenwagen gerufen?« fragte er. »Yessir.« Obwohl Train es eigentlich gar nicht wollte, fiel sein Blick kurz auf Florida; er sah, daß Mr. Packard ihm die Augen geschlossen hatte. Irgendwo hinter ihnen brüllte ein Golfer: »Fore!«, und Mr. Packard drehte langsam den Kopf in diese Richtung. Stieß ein trockenes, überhaupt nicht belustigtes Lachen aus. »Man wundert sich wirklich, was mit den Leuten los ist«, sagte er, und hätte derjenige, der schrie, Mr. Packards Augen sehen können, hätte er aufgehört zu brüllen. Mit einem Mal begriff Train, daß Mr. Packard mit ihm sprach und nicht mit dem fetten Mann. Ja, daß er genaugenommen sogar über den fetten Mann sprechen könnte. »Yessir«, antwortete er. Mr. Packard legte eine Hand auf Floridas Brust. »Die Hälfte von denen kann gerade mal einen Golfschläger schwingen, wie Pink da drüben, und trotzdem ist ihr popeliges kleines Wettspiel der einzige Grund, warum sonst irgendwer auf der Welt ist«, sagte er. Pink schaute bei dieser Beleidigung auf, sagte aber nichts. Mr. Packard dachte einen Moment nach, stieß dann wieder dieses trockene Lachen aus. »Ich schätze, die sind einfach nur alt und spüren, wie es mit ihnen zu Ende geht«, sagte er. »Vielleicht kommt es einem Jungen deines Alters unwahrscheinlich vor, aber es wird zu Ende gehen.«

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Der fette Mann schenkte sich noch einen Drink ein. Train sah wieder Florida an. Es stimmte, daß er sich nicht vorstellen konnte, tot auf dem sechsten Grün zu liegen, aber er wußte schon, daß er durchaus irgendwo aufgebahrt liegen könnte. Er setzte sich, um die Schuhe anzuziehen. »Und was sollen wir jetzt hier machen?« fragte der fette Mann. Mr. Packard sagte: »Ich denke, ich werde wohl warten. Ich denke, ich werde hier sitzen und warten, bis jemand kommt und sich um die Leiche dieses Mannes hier kümmert.« Der Krankenwagen kam mit Blaulicht, aber ohne Sirene über den Hügel und hinterließ deutliche Reifenspuren auf dem Fairway. Es würde den Mitgliedern gar nicht gefallen, wenn sie erst einmal herausfanden, für wen dieser Aufwand betrieben wurde. Mr. Packard beobachtete aus der Nähe, wie sie Florida einluden, und schloß dann selbst die Hecktür, vergewisserte sich, daß sie richtig zu war. Niemand wollte, daß Florida hinten raus wieder auf den Golfplatz rutschte. Der fette Mann trug eine Weile seine eigene Tasche und gab dann nach dem neunten Loch auf, sagte, er habe durch die Warterei auf den Krankenwagen seinen Rhythmus verloren. »Vielleicht finde ich ein paar Spieler und wir machen Donnerstag oder Freitag weiter«, sagte er. »Spieler« stand für Zocker. Von allen Golfplätzen in Südkalifornien war das Durchschnittsalter der Mitglieder in Brookline am höchsten, nämlich dreiundsiebzig Jahre, und gleichzeitig waren es vermutlich auch die reichsten und knauserigsten Mitglieder. Normalerweise ging es hier nicht um hohe Einsätze, es sei denn, jemand brachte Geld von außerhalb herein. Mr. Packard schien das völlig gleichgültig zu sein. Er

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schien der ganzen Situation einfach nur überdrüssig zu sein. »Ganz wie du willst«, sagte er. Der fette Mann schob eine Hand in seine Tasche und kramte ein Bündel Geldscheine hervor. Das Spiel um Geld war in Brookline verboten, aber eigentlich war alles mögliche verboten. Wahrscheinlich sogar das Tragen von Waffen, sofern schon jemand daran gedacht hatte. Die einzigen Regeln, die zählten, legten fest, wer spielen durfte und in welcher Kleidung. Und natürlich wie lange eine Runde dauerte. Zeit war wichtig. »Was schulde ich dir?« fragte er. Mr. Packard schaute fort, als wäre das völlig unwichtig, als hätte er die Summe, nach dem, was passiert war, vergessen. »Ich habe die neun Löcher und vier Einzelwetten verloren, richtig?« sagte der fette Mann und blätterte in seinem Geldbündel. »Fünf«, sagte Mr. Packard. Der fette Mann sah ihn kurz an, dann zählte er zwei weitere Scheine ab und schälte die abgezählte Summe vom Bündel. Es erinnerte Train an einen Kartentrick, und er begriff, daß der fette Mann viele Bargeschäfte machte. Er reichte Mr. Packard, der nicht mal nachzählte, ob es stimmte, die Scheine. »Beim nächsten Mal sitzen wir vielleicht keine fünfundvierzig Minuten herum, während irgendwer stirbt«, meinte der fette Mann. Mr. Packard antwortete: »Er sah aus, als hätte er sich Mühe gegeben, so schnell wie möglich zu sterben.« Der fette Mann schaute bei dieser Bemerkung nicht auf, konnte ihm nicht in die Augen sehen, und Mr. Packard lachte wieder leise und drückte Train das Geld in die Hand. »Gib das der Frau des alten Mannes, ja?« sagte er und starrte den fetten Mann immer noch an.

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Train sah das Geld an, spürte, wie es aus seiner Hand glitt. Überall Zwanzigdollarscheine. Der fette Mann glotzte, versuchte herauszubekommen, worin genau diese neuerliche Beleidigung bestand. Mr. Packard wartete, genoß es wieder, hatte es überhaupt nicht eilig. Der fette Mann schüttelte den Kopf. »Scheiße«, sagte er. Als hätte er gerade den Sinn des Lebens erkannt, was beim Golfen häufiger zu passieren scheint. »Viel Glück damit.« »Behalt fünf für dich«, sagte Mr. Packard zu Train, »und sorg dafür, daß sie den Rest erhält.« Train faltete das Geld einmal, damit es in seine Tasche paßte. Fühlte sich so dick an wie ein Sandwich. Der fette Mann sagte wieder: »Scheiße«, und dann lachte er auf diese bittere Art, wie sie es manchmal machten, wenn sie Geld verloren hatten. Mr. Packard sagte: »Wieviel ist das, Pink, dreihundert?« »Drei-fünfzig«, antwortete der fette Mann, als wäre es erheblich mehr, als nur drei zu verlieren. »Ein Hunderter für die Neun, fünfzig pro Einzelwette …« »Alles klar, fetter Mann, ich wette mit dir um die Dreihundertfünfzig, daß …« Er unterbrach sich kurz und sah Train an. »Wie heißt du noch gleich?« »Lionel Walk Junior«, sagte Train. »Ich wette mit dir um die Dreihundertfünfzig, daß Mr. Walk hier das Richtige macht.« Der fette Mann sah ihn einen Moment an, versuchte, schlau daraus zu werden. »Scheiß drauf, Miller«, sagte er schließlich, »wahrscheinlich hatte der alte Mann nicht mal eine Frau.« Train säuberte die Schläger und stellte sie zum Trocknen auf den Ständer neben der Zufahrt; dann ging er den Weg hinunter vorbei an Geräteschuppen und Scheune zur Hütte der Caddies und kaufte sich am Automaten einen

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Traubensaft. Mit dem Neuner, den er vor einem Jahr im Schilf am Teich der Bahn gefunden hatte, auf deren Grün Florida vorhin gestorben war, setzte er sich in die Ecke. Es war ein handsigniertes Tommy-Armour-Eisen mit schmalem Blatt und glattem, hartem Griff. Der Schaft war mit Rostflecken übersät, weswegen er wußte, daß es schon eine ganze Weile dort gelegen hatte, als er es fand. Montags spielte er damit, nahm es aber jeden Tag mit zur Arbeit und jeden Abend wieder mit nach Hause, wollte ohne etwas in den Händen nicht mehr in den Bus steigen. Überall in Darktown und Watts lebten Menschen in Pappkartons – oder Garagen oder Zelten –, die nahmen, was immer sie kriegen konnten. Er hielt den Schläger etwa in der Mitte des Schaftes und begann, geistesabwesend einen Ball auf dem Blatt hüpfen zu lassen. Gerade rauf und runter, dann mit einem Spin nach links und dann nach rechts. Er stellte den Saft auf der Bank zwischen sich und einen anderen Caddie namens Plural Lincoln, der von den anderen Caddies No-Tank genannt wurde, wenn er nicht auf dem Gelände war. Plural hatte kleine, kaputte Hände am Ende von gewaltigen Armen. Und auch winzige Füße. Er kümmerte sich um seinen eigenen Kram und roch nach frischer Wäsche, aber niemand nahm seine Gutmütigkeit als selbstverständlich hin. Selbst morgens, wenn es in dem Raum voll war, bevor jemand auf den Platz ging, hatte er diese Bank für sich allein. Der einzige, der sich neben ihn setzte, war Train. Jetzt schaute Plural herüber und bemerkte die Flasche Saft, nahm sie und trank einen Schluck. Der Ball war nicht ganz rund, und Train konnte seine Form durch den Schaft des Schlägers spüren, als ob er ihn mit der Hand warf. Er spürte bei jedem Sprung, welche Seite des Balles auf dem Schlägerblatt landete, wenn er fiel. Er mußte kaum hinsehen.

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Er saß in der Ecke mit seinem Saft und seinem Golfschläger, Plural einen Meter entfernt, und die anderen Caddies spielten Karten oder schliefen. Abgesehen von dem Ball und dem Eisen Neun lief alles im CaddieSchuppen in Zeitlupe ab wie immer, bis das Telefon klingelte. Dann ging Sweet ran und schaute sich um, um zu sehen, wen er hatte und in welcher Verfassung sie waren, und entschied, wer zum ersten Abschlag ging. Die paar Sekunden, die er brauchte, um sich zu entscheiden, setzte sich jeder auf, als würde er für ein Foto posieren. Sweet hatte ein Schild auf dem Maschendraht, auf dem stand, daß er der Caddiemeister war, und ein identisches Schild befand sich auch draußen an seinem Parkplatz. Er war extrem reizbar und hatte Fingernägel so lang wie ein Friseur. Er kannte sämtliche Mitglieder nach Namen, nicht jedoch nach Gesichtern, und erinnerte sich, wer einem Caddie ein anständiges Trinkgeld gab und wer nicht. Ein Diamant funkelte in einem seiner Schneidezähne, und er fuhr einen drei Jahre alten gelben Cadillac, den er auf seinem reservierten Platz neben dem Head-Greenkeeper parkte. Er hatte einmal im Staatsgefängnis für kriminelle Geisteskranke in Vacaville gesessen. Er hatte eine helle Haut und war attraktiv, und man erzählte sich, daß er schon tausend Frauen gehabt hatte, daß er sogar immer wieder mit den Frauen von Mitgliedern in die Federn stieg. Man erzählte sich, die alten wären ihm die liebsten. Er blieb den ganzen Tag in seinem Maschendrahtverschlag, den er abends mit einem Vorhängeschloß verriegelte. Das Schloß war nichts Besonderes, aber es war noch nie jemand eingebrochen, um nachzusehen, was es dort gab. Wenn man Sweet einmal so kam, konnte man sich gleich nach einer neuen Arbeit umsehen. Train saß in der Ecke und dachte nach. Er wußte we-

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der, wie er Floridas Frau finden sollte, noch, ob er überhaupt eine hatte. Er wußte nicht, wo er gelebt hatte, und er kannte nicht seinen richtigen Namen, den, der im Telefonbuch stehen würde. Er sah zu Sweet hinüber, der in seinem Verschlag saß und mit halbgeschlossenen Augen eine Lucky Strike rauchte. Ein zufriedener Mann. Train wollte ihn gerade jetzt nicht unnötig auf sich aufmerksam machen, wo er doch all das Geld hatte, aber er war der einzige, der Floridas Adresse oder auch nur seinen Familiennamen kennen würde. Train legte den Schläger auf die Bank und ging zum Verschlag hinüber. Sweet hob den Blick, und Train wurde im letzten Augenblick bewußt, daß er ihn nicht wissen lassen durfte, was sich in seiner Hosentasche befand. Doch ihm wurde auch bewußt, daß Sweet genau das längst wußte. »Tja, Mann«, sagte er, »da ist Florida einfach so gestorben.« »Ja, ist er«, sagte Train. »Er ist entschlafen.« Darüber lächelte Sweet, ein verstecktes Lächeln. »Hat er gesagt, den hat er aber mal ausgeweidet, als er gegangen ist?« »Er hat gar nichts gesagt«, erwiderte Train. Er beschloß, Sweet nicht nach Floridas Namen zu fragen, und drehte sich um. »Was willst’n von mir?« sagte Sweet hinter seinem Rücken. Train blieb stehen, schaute sich nicht um. »Nichts«, sagte er. »Du kommst also einfach mal rüber, um die Zeit totzuschlagen.« Train antwortete nicht. Er spürte das Geld in seiner Tasche und wünschte sich, es in die Socke gesteckt zu haben, wo es nicht zu sehen gewesen wäre. »Nigger, ich hab’ dich was gefragt.«

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Train drehte sich um. »Ich wollte fragen, ob du seine Adresse hast«, sagte er. »Von wem?« »Florida.« Sweet musterte ihn, machte sich einen Reim. »Wozu brauchst du die?« »Ich hab’ was für seine Leute«, sagte Train. »Was denn?« Alles, was er sagte, machte Sweet noch neugieriger. »Was von dem Mann, für den er getragen hat«, sagte er. Sweet stand auf, und das bedeutete ganz klar Ärger. Er mied jede Bewegung, verbrachte den ganzen Tag normalerweise sitzend. Wenn er etwas wollte, schickte er einen Caddie los, meistens Arthur, ein kohlrabenschwarzer Junge aus Oklahoma, ungefähr in Trains Alter, aber doppelt so dick. Arthurs Fleisch wogte wie das Meer unter seinem T-Shirt, er roch nach Babypuder und sprach mit niemandem außer Sweet. Alle hatten Angst vor Arthur, außer Plural und Sweet. »Laß mal sehen«, sagte Sweet. »Es ist für Floridas Leute«, sagte er, »für seine Frau.« »Laß sehen«, wiederholte Sweet, stand jetzt in der Öffnung des Maschendrahtverschlags und wartete. Die anderen Caddies gafften, und Train griff in seine Tasche, spürte zunächst die Krümel von ein paar Kräckern, die er an diesem Morgen mitgenommen und bei dem Spurt zum Clubhaus zerbröselt hatte, und dann den Rücken der gefalteten Scheine. Es blieb ihm gar nichts anderes mehr übrig, als sie herauszunehmen, und genau das tat er, und die Kräckerkrümel rieselten über seine Hosenbeine und Schuhe. Train reichte die Scheine durch die Öffnung des Verschlags. Am Rande seines Blickfeldes bekam Train mit, wie Plural sich halb aufrichtete, das Geld ansah und

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wahrscheinlich versuchte herauszufinden, ob etwas davon eigentlich ihm gehören sollte. Vor langer Zeit mal war Plural ein erfolgreicher Boxer gewesen, mehr als zwanzig K.o.-Siege in Reihe, und dann brachten sie ihn ins Hollywood Legion Stadium, wo er auf Boxer aus einer anderen Liga stieß, Boxer mit kräftigen Beinen und Kondition, die ihm einen Kampf über sechs Runden lieferten, und so fand Plural Lincoln heraus, daß es für ihn keine siebte Runde mehr gab. Egal, was er machte, wie weit er lief, wie lange er trainierte, mehr als sechs hielt er nicht durch. Heute saß er manchmal auf dem Boden und stritt über seinen Anteil an der Börse mit Leuten, die gar nicht da waren. Man wußte instinktiv, daß man sich nicht abrupt bewegen durfte, wenn er so war. Bei anderen Gelegenheiten war er wie ein alter Mann, der schon alles zweimal gesehen und beschlossen hatte, daß alles nur ein einziger Witz war. Sweet vergewisserte sich immer zweimal, mit welchem Plural er es zu tun hatte, bevor er ihn auf den Platz schickte. In welchem Zustand auch immer er war, wenn jemand an ihm vorbei mußte, man achtete stets auf ausreichend Abstand, damit er nicht zugreifen und einen packen konnte. Sweet zählte das Geld mit der linken Hand, bog einen Schein nach dem anderen von dem Bündel zurück. »Ich kümmere mich darum«, sagte er, als er fertig war. Plural lehnte sich gegen den Spind zurück, war nicht länger interessiert. Er trank einen weiteren Schluck von seinem Saft. »Es ist für Floridas Leute«, sagte Train. Sweet nickte, aber er hatte bereits aufgehört zuzuhören, sobald er das Geld gesehen hatte. »Der Mann hat mir gesagt, ich soll es ihnen bringen«, sagte Train. Sweet schaute von dem Geld auf. »Wo wolltest du denn hin?« fragte er. »Genau das hab’ ich doch gefragt, wo Florida wohnt.«

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»Und wie willst du da hinkommen, wenn du’s weißt?« Auch darüber hatte Train bereits nachgedacht, kannte die Antwort aber nicht. »Mit’m Bus«, sagte er. »Der Bus fährt aber nicht dahin, wo Florida wohnt. Er wohnt irgendwo gottverdammt draußen im Valley. Und seine Missus ist ziemlich schreckhaft, läßt dich sowieso nicht durch die Tür.« »Irgendwie mußte er doch nach Hause kommen«, sagte Train. »Ich sag’ dir doch, ich kümmer’ mich drum«, sagte Sweet. »Muß heute abend sowieso dahin und ihnen sagen, daß Florida gestorben ist. Gehört zu meinem Job hier.« Train rührte sich einen Moment nicht, dann drehte er sich um und kehrte an seinen Platz neben Plural zurück. Er dachte daran, daß der Meilenweit-weg-Mann dreihundertundfünfzig Dollar darauf setzen wollte, daß er das Richtige machen würde. Sweet gab ihm an diesem Nachmittag einen guten Kunden, und erst bei Sonnenuntergang, als er den Weg zur Straße hinunterging und Sweet in seinem Cadillac an ihm vorbeirauschte, Staub und kleine Steinchen hinter sich aufwirbelnd, erinnerte Train sich wieder, daß fünf Dollar des Geldes eigentlich ihm gehörten. Irgendwie fühlte er sich besser dabei, daß Sweet auch ihm fünf Dollar gestohlen hatte. An diesem Abend ging er ins Kino, dachte an Florida. Es wurde ein Film mit Gene Autry gezeigt, und Train ging hinein, obwohl er den Film eine Woche zuvor bereits gesehen hatte. Das Pferd hieß Champion und hatte Kanonen am Zaumzeug. Train waren Filme lieber, in denen nicht gesungen wurde, aber wenn er im Kino saß, war er aus dem Weg, bis der neue Freund seiner Mutter schlafen ging. Der Freund hieß Mayflower. Ver-

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gangenen Sonntag hatte er ein paar Bier getrunken, seinen Arm über Trains Schulter gelegt, während sie redeten, die Hand an seinem Nacken, und dann drückte er Train und versuchte, ihn näher heranzuziehen, versuchte, seinen Kopf zu lenken. Train spannte sich an und drückte sich weg, und vor den Augen seiner Mutter kämpften sie im stillen um diese paar Zentimeter Raum, freundliche Mienen auf dem Gesicht, und Mayflower drückte so fest zu, daß Train das Zittern in seinem Arm spürte. Dann hörte der Druck auf, die Hand glitt fort, und er und Mayflower sahen sich mit dem kühlen Wissen dessen an, was zwischen ihnen möglich war. Und die ganze Zeit saß seine Mutter da, sah, was passierte, hoffte, daß alles, was sie über Männer und ihre Reviere wußte, in ihrem eigenen Haus nicht galt. Train spürte das Gewicht von Mayflowers Hand noch lange, nachdem sie längst fort war, und da war eine taube Stelle auf seinem Nakken. »Ihr zwei hört sofort mit diesem Radau auf«, sagte sie, »bevor ihr mir noch meine Küche demoliert.« Sie wünschte, einer von ihnen würde gehen; das sah er, und er wußte auch, wer. Mayflower war ein kleiner, kräftiger Mann mit einer schimmernden Narbe, die sich wie ein Kragen über seinen Hals zog. Sie bildete einen Wulst von gut einem Zentimeter Höhe, und seine Mutter küßte ihn manchmal dort und meinte, sie stünde ihm gut, sorgte dafür, daß er nicht zu gut aussah. Irgendwann hatte Mayflower herausgefunden, daß auch er hilflos sein konnte, wahrscheinlich lag er da auf dem Boden, während Leute zuschauten, wie er blutete. Als Train wieder zur Leinwand aufschaute, saß Gene Autry auf dem Rücken dieses wunderschönen Pferdes und spielte auf seiner Gitarre.

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Es war Mitternacht, als die letzte Vorstellung zu Ende war. Er ging in das leere Foyer hinaus und nahm den Bus zurück nach Darktown. Ein paar Blocks weiter stiegen mehrere junge Mexikaner ein, laut und angetrunken, und eine Weile fixierten sie Train, doch er hatte das Neuner-Eisen dabei, und so beschlossen sie, daß er doch nicht der war, nach dem sie suchten. Im Haus brannte kein Licht, und er ging durch den Hintereingang hinein, damit der Hund ihn kommen hörte. Er war inzwischen halb taub, und wenn man manchmal durch die Vordertür kam und ihn überraschte, jagte ihm das einen so üblen Schrecken ein, daß er auf den Boden pißte. Nachdem der Hund überfahren worden war und Train ihn gefunden hatte, war er ohnehin überängstlich, aber mit zunehmendem Alter wurde es schlimmer, und noch schlimmer, als Mayflower einzog. Jetzt zuckte er manchmal bereits zusammen, wenn ein Schatten über seinen Kopf glitt. Train glitt durch die Fliegentür, schloß sie leise hinter sich und knipste dann das Licht in der Küche an. Der Hund lag in der hinteren Ecke und blinzelte. Train lehnte das Neuner-Eisen an den Tisch und öffnete den Kühlschrank, nahm sich Eistee und etwas Huhn heraus. Der Hund blieb, wo er war. Train zog die Haut von dem Hühnchen ab und hielt sie unter den Tisch, aber der Hund rührte sich nicht. »Lucky?« fragte er, und das Tier wedelte ein- oder zweimal mit dem Schwanz über den Boden, kam aber immer noch nicht. Train stand auf und brachte ihm die Hühnchenhaut. Der Hund nahm sie ihm vorsichtig aus den Fingern – Train spürte nur seinen Atem –, kaute kurz darauf und ließ sie dann auf den Boden fallen. Train kniete sich neben ihn und streichelte dem Tier über den Kopf. »Mußt du mal raus?« sagte er. Normalerweise fraß der Hund ein wenig von dem, was immer Train für ihn

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hatte, und ging dann raus auf den Hof zum Pinkeln. Er fraß nicht mehr viel in letzter Zeit; er war alt und müde. »Dann komm«, sagte Train und zog sanft an seinem Halsband. Das Tier winselte leise, und Train trat hinter ihn, schob seine Hände unter ihn und hob ihn hoch. So hielt er ihn einen Moment, spürte das Schlagen des Herzens unter seinen Rippen, bis er glaubte, daß der Hund sicher auf seinen Beinen stand, dann ließ er los. Er ging zum Hinterausgang, schloß die Tür auf, öffnete sie und rief ihn wieder. Der Hund bewegte sich ein paar Schritte auf die Tür zu und blieb dann stehen, als schien er vergessen zu haben, wie man ging. Train kehrte zurück, hob ihn hoch und trug ihn hinaus. »Was hast du denn heute abend?« fragte er. Das Tier jaulte leise, als Train ihn im Hof absetzte, und Train suchte an seinen Händen nach Blut. Es war nicht seine Art zu jammern. Train hatte den Hund angefahren auf der Straße gefunden und nach Hause getragen, hatte ihn fest an sich gedrückt, damit er ihm nicht aus den Armen fiel, und der Hund hatte nie einen Laut von sich gegeben. Das war vor elf Jahren gewesen, und als seine Mutter ihn an diesem Tag die Straße heraufkommen sah, sagte sie, der Hund sehe genauso groß aus wie er selbst. Komisch, wenn er sich daran erinnerte, sah er es wie mit ihren Augen. Es war ein kleiner Hof, eingefaßt von einem zweieinhalb Meter hohen Bretterzaun, und es gab sogar etwas Gras dort, eine Kuriosität in Darktown. Train hatte den Samen vom Golfplatz mit nach Hause gebracht, immer nur wenig in seiner Hosentasche. Der Hund stand einen Moment bewegungslos da, beinahe, als hätte er sich verlaufen, und dann beschnupperte er den Boden, fand eine Stelle, die ihm gefiel, und hockte sich hin, um zu pinkeln. Train hatte noch nie gesehen, daß

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der Hund sich hinhockte – nicht mal, nachdem er überfahren worden war –, und es beunruhigte ihn, wie Kleinigkeiten sich änderten. Die Dinge, die er nach und nach verlor. Er hörte seine Mutter hinter sich in die Küche kommen. Sie hatte sich die Haare gekämmt und trug den japanischen Morgenmantel, von dem Mayflower behauptete, ihn aus dem Krieg in Korea mitgebracht zu haben. Er hatte in Übersee sein Leben riskiert und ihr dann das Andenken geschenkt. Sie hatte vom Schlafen eine Falte im Gesicht, ansonsten war sie makellos. Ihre Haut war zart wie bei einem jungen Mädchen, und ihr Gesicht sah gut aus, auch ohne Lippenstift und Rouge. »Ich hab’ dich reden hören, Baby«, sagte sie. Sie sprach leise, wollte Mayflower nicht aufwecken. »Dachte, du hättest vielleicht jemanden mit nach Hause gebracht.« Es schien, als ob sie ihn jetzt auf die eine oder andere Art ständig drängte, schneller erwachsen zu werden, mit seinem Leben weiterzumachen. Sie kam herüber und gab ihm einen Kuß auf die Wange, ihre Hausschuhe schleiften über den Boden, und Train roch Ipana-Zahncreme. Falls Einbrecher sie nachts um vier wecken sollten, würde sie zuerst ins Bad gehen und sich die Zähne putzen, bevor sie die Polizei verständigte. »Im Eisschrank steht noch Huhn.« Train schaute zu dem Hund hinüber. »Irgendwas stimmt mit seinen Beinen nicht«, sagte er. »Manchmal ist das so, Lionel«, sagte sie. »Urplötzlich.« Sie schien auch den Hund aus dem Haus haben zu wollen. Er war still, starrte durch die Fliegentür hinaus, blinzelte gegen die Tränen an. Der Hund richtete sich wieder auf und kam langsam zur Küche zurück. »Es ist nicht recht, eine Kreatur leiden zu lassen«, sagte sie.

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»Heute morgen hat er sich noch im Gras gewälzt«, sagte er. Sie nickte, dachte darüber nach. »Trotzdem …« Er wartete, aber sie war fertig. Mit einem Ärmel wischte er sich über die Augen. »Selbst wenn’s ihm abends nicht so gut geht«, sagte Train, »solange er sich morgens noch im Gras wälzt, gibt’s für ihn noch ein Morgen.« »Floyd sagt, er könnte sich für dich darum kümmern.« Train schüttelte den Kopf. »Nein«, antwortete er. »Will dir das Problem ja nur abnehmen.« »Nein«, wiederholte er. Floyd war Mayflowers Vorname. Train sagte noch einmal »Nein«, lauter diesmal, und sie warf einen Blick in Richtung Schlafzimmer und senkte die Stimme, wußte, daß er seine ebenfalls senken würde. »Er meint’s doch nur gut, Lionel«, sagte sie leise. Und jetzt waren sie wieder bei einem anderen Thema, einem, das sie immer wieder hatten, seit Mayflower eingezogen war. Der Tag, an dem er seine Sachen ins Haus brachte, war genau der Tag, an dem er Train zeigte, wer er wirklich war. Bis dahin hatte er sie beide umworben. »Sag ihm, er soll den Hund in Ruhe lassen«, sagte er. »Mein Gott, Floyd wird dem armen Hund schon nichts antun. So ist er nicht.« Train nickte und öffnete dann die Fliegentür, und der Hund kam langsam herein und humpelte dann über den Linoleumboden zu seinem Platz in der Ecke. »Siehst du?« sagte sie. »So sterben sie, Baby. Strekken die Beine hoch und machen Schluß.« Vom anderen Ende des Hauses drang ein Geräusch zu ihnen, und sie gab ihm noch rasch einen Kuß auf die Wange und sagte, sie müsse wieder zurück ins Bett.

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Um halb fünf stand er auf, die Augenwinkel noch schlafverkrustet, voller Sorgen um den Hund, und ging in die Küche, wo er ihn fand, fast wieder ganz der alte. Wenigstens stand er auf und ging allein zum Pinkeln nach draußen. Train machte sich Eier mit Speck, ließ anschließend ein Stück Weißbrot in die Pfanne fallen, um das Fett aufzusaugen, und hielt es dem Hund vor die Nase, bis er es nahm. Er verschlang es nicht in einem Stück wie früher, aber er spuckte es auch nicht aus. Train aß sein Frühstück, scheuerte das Geschirr und wusch sich dann Gesicht und Hände in der Spüle – an diesem Morgen war der Wasserdruck praktisch wieder gleich Null, nicht annähernd stark genug zum Duschen – und erwischte den Bus um halb sechs zur Arbeit. Er hatte in der Nacht beschlossen, früh hinauszufahren und mit Sweet über das Geld zu sprechen, bevor die anderen aufkreuzten. Sweet war leicht reizbar, aber Train bemerkte, daß seine Wutanfälle meistens einen Grund hatten – es war keine Wut von der Sorte, die ihn blind und verrückt machte –, und vielleicht ging er überhaupt nicht unter die Decke, wenn niemand da war, der es mitbekam. Er stieg aus dem Bus, als gerade die Sonne aufging. Die Bewässerungsanlage auf den Fairways war bereits an, das Wasser bewegte sich in hohen Bögen hin und her, es wehte kein Lüftchen. Nicht mal das Gras in Brentwood hatte Probleme mit dem Wasserdruck. Von der Straße ging er den Zufahrtsweg zum CaddieSchuppen hinunter, übte dabei, was er sagen würde. Auf halbem Weg fiel ihm jedoch auf, daß Sweets Wagen nicht an seiner gewohnten Stelle auf dem Parkplatz stand. Sweet parkte immer an derselben Stelle – er machte sich mehr Sorgen um seinen Parkplatz als um den Cadillac –, und er war immer schon auf der Arbeit, bevor die Bewässerungsanlage angestellt wurde.

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Was immer er mit dem Clubmanager oder dem Pro zu besprechen hatte, er machte es um diese Uhrzeit, bevor die Mitglieder auftauchten und einen überflüssigen Nigger im Clubhaus sahen. Aber der Cadillac war nicht da, und der Schuppen war noch abgeschlossen. Train ging auf die Rückseite, wo letzte Weihnacht einige Mitglieder einen Obstkorb an die Wand genagelt hatten, damit die Caddies Basketball spielen konnten, während sie auf ihren Einsatz warteten. Er fand einige Golfbälle von der Driving Range und fing an, ein paar kurze Schläge aus dem Dreck zu schlagen, öffnete das Blatt seines Neuner-Eisens und schnitt die Bälle tief an, fast ohne sie zu berühren, ließ sie an der Seite des Schuppens aufsteigen, bis er die richtige Stelle fand und einen nach dem anderen durch den Korb schickte. Genau wie Bob Cousy an der Freiwurflinie. Das machte er eine halbe Stunde, bis die Bewässerungsanlage ausgestellt wurde und er die Traktoren, die das Gras mähten, draußen auf dem Platz hörte, bis er neunmal hintereinander den Obstkorb getroffen hatte. Das war seine Glückszahl, die Neun. Geboren am neunundzwanzigsten Tag des neunten Monats des Jahres 1935. Der neunte Ball in Folge fiel durch den Korb, und ein paar Sekunden später hörte er Sweets Cadillac mit fünfzig Meilen die Stunde auf den Parkplatz gerast kommen, Kies und Staub aufwirbelnd, und faßte das als gutes Omen auf. Und dann sah er, daß ein zweiter Cadillac auf dem Parkplatz stand, in der Sonne schimmerte. Er konnte nicht erkennen, welche Farbe er hatte, blau oder schwarz, jedenfalls parkte er in der Nähe der Zufahrt, jemand saß entspannt auf dem Fahrersitz und beobachtete den Caddie-Schuppen. Train spürte, wie er unwillkürlich versuchte, den

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Schläger zu verstecken. Er fürchtete ständig, daß heute vielleicht der Tag wäre, an dem jemand wegen seines verschwundenen Neuner-Eisens vorbeikommen könnte. Train hörte, wie Sweet die Wagentür öffnete und dann zuschlug, wie Sweet dann den Abhang zum Schuppen herunterkam und wortlos an Train vorbeiging, einen muffigen Geruch verströmend – an den meisten Tagen benutzte er ein Eau de Toilette –, und das Vorhängeschloß des Schuppens öffnete. Er ging eilig hinein und schloß dann seinen Verschlag auf. Dort setzte er sich und fing an, auf einem Block etwas zu skizzieren. Er wirkte gehetzt, als wollte er schnell etwas auf Papier festhalten, bevor er es wieder vergaß. Train trat hinter ihm ein, ging dann hinüber und griff in den Maschendraht, der die beiden Seiten des Raumes teilte, versuchte aber nicht, näher heranzukommen. Der Verschlag war tabu. Es sah aus, als skizzierte Sweet die Räume eines Hauses. Es waren unsichere Zickzacklinien, und an manchen Stellen sah die Zeichnung aus, als hätte er das Papier durchstochen. Er wartete, daß Sweet aufschaute und ihn ansah, damit sie reden konnten. Einige Zeit verstrich, und dann war es fast sieben, und die anderen Caddies trudelten nach und nach ein. Allein oder zu zweit, Luckys rauchend und Jelly Rolls essend oder ein Würstchen. Manche kamen verkatert oder ungewaschen, andere redeten von den Autos, die sie kaufen, oder den Mädchen, die sie vögeln wollten. Henry Disharoon wollte, daß alle mal an seinem Finger rochen. Sweet schaute zu Henry auf, die Caddies registrierten, daß er malte, und es wurde still im Raum. Jeder wußte, daß Sweet nicht gestört werden durfte, wenn er

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malte, auch wenn sie ihn noch nie zuvor dabei gesehen hatten. Als Sweet sich das nächste Mal umschaute, fragte er, ob jemand wußte, wo Arthur steckte. Train, der immer noch vor dem Käfig stand, ignorierte er. Das Telefon begann zu klingeln, und Sweet teilte die Kunden zu. Die Caddies sahen, daß er immer noch an seinem Bild malte, und keiner beschwerte sich über den jeweiligen Kunden. Sie setzten einfach ihre Mützen auf und machten sich auf den Weg zum ersten Tee, wenn er sie dazu aufforderte. Train ging zu Plural hinüber und setzte sich neben ihn auf die Bank. Um acht kam schließlich Arthur herein, er und Sweet tuschelten eine Weile, und dann zeigte Sweet ihm das Bild, das er gemalt hatte. Sie tuschelten noch eine Weile darüber, danach lehnte Sweet sich entspannt auf seinem Stuhl zurück und schien wieder ganz der alte zu sein. Train stand auf und ging wieder zu dem Maschendrahtverschlag. Sweet starrte auf seine Schuhspitzen. »Sweet?« Und als Sweet jetzt aufschaute, tat es Train bereits leid, ihn überhaupt belästigt zu haben. »Warte, bis du dran bist, Mann«, sagte er. »Ich muß dich mal was fragen«, hörte er sich sagen. Sweet fixierte ihn mit zusammengekniffenen Augen, als könnte er sein Gesicht nicht ganz einordnen. »Wegen Florida.« »Darum hab’ ich mich gekümmert.« Train spürte, wie sich etwas im Raum regte. »Du hast dich drum gekümmert?« »Was hab’ ich gerade gesagt, Typ? Ich hab’ gesagt, ich hab’ mich drum gekümmert.« Train stand da, wußte nicht, was er sonst tun sollte. Wenn er jetzt ging, war es, als hätte Sweet ihm die Erlaubnis gegeben. Also blieb er, wo er war, Sweet blickte

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ihn wieder an, und Train sah das Unwetter heraufziehen. »Mann, was willst du?« sagte er. Train sah das Glitzern auf Sweets Diamantzahn. »Es geht um die Witwe«, sagte er. »Ich sollte mir von der Witwe eine Quittung geben lassen.« »Eine Quittung? Von welcher Quittung redest du da?« »Der Mann, der mir das Geld gegeben hat, er sagte, er will eine Quittung von Floridas Frau.« Sweet stand auf, trat etwas dichter an den Maschendraht und legte den Kopf schief, als wäre er nicht ganz sicher, ob seine Augen diese Scheiße sahen und seine Ohren sie hörten. »Wozu?« fragte er. »Er und noch ein Mann haben gewettet«, sagte Train. »Ob ich ihr das Geld gebe oder nicht.« »Und was für eine Quittung will dieser Mann?« »Keine Ahnung«, sagte Train. »Irgendwas von der Witwe, mehr weiß ich auch nicht.« Sweet musterte ihn, und Train spürte sämtliche Blikke im Raum auf seinem Hinterkopf; jeder hier wußte, daß er log. Sweet sagte: »Wie heißt denn der Typ?« Und während er das sagte, schloß er die Tür des Verschlags auf. »Mr. Packard, glaube ich«, sagte Train. »Aus Hillsdale …« Sweet nickte, als wäre das alles völlig vernünftig, und trat durch die Tür. Leicht schräg, wie Train bemerkte. »Ein alter Mann, der aussieht wie eine Echse?« fragte Sweet. »Mr. Packard?« Train schaute sich zu den anderen Caddies um, und irgend etwas Aufregendes passierte hier, doch er konnte nicht ganz sagen, was das war. »Nein«, sagte er, »er war nicht alt.« Sweet kam näher, versuchte immer noch, den Namen einzuordnen.

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»Er war ein Gast«, sagte Train, »und hat mit diesem fetten Mann namens Pinky gespielt.« »Pinky …«, sagte Sweet und trat einen weiteren Schritt näher, immer noch leicht schräg gehend, und jetzt sah Train es kommen. »Glaube nicht, daß ich den Namen schon mal gehört hab’.« »Anders hat er ihn nicht genannt«, sagte Train. Sweet nickte, als wär’s das, als wäre alles absolut vernünftig. Als wäre Train blind und strohdumm. Und aus irgendeinem Grund verhielt Train sich auch so, wie er behandelt wurde, als sei er blind und strohdumm. »Wer immer dieser Fettsack ist, den du mit mir und Florida losgeschickt hast«, sagte er. Und es tat ihm sofort leid, daß er Floridas Namen wieder aufgebracht hatte. Er sah das Glitzern auf Sweets Schneidezahn und dann das Glitzern auf dem Billardstock. Er wußte, daß es ein Billardstock war; in dem kurzen Augenblick, bevor Sweet ihn über Trains Ohr legte, sah er das polierte Holz und die Modellkennzeichnung glasklar vor sich. Und dann hörte er ein klickendes Geräusch, als hätte jemand einen Lichtschalter umgelegt, und das Licht ging tatsächlich aus. Als er wieder aufwachte, lag er auf dem kühlen Erdboden; ein Bein war angezogen und lag unter ihm, fühlte sich an, als wäre es eingeschlafen. Irgend jemand brüllte. Train schaute auf, und der Himmel bestand ausschließlich aus Sweet. Er stand über ihm und brüllte Sachen, die erst nach und nach zu Train durchsickerten … »Der Nigger, der mich Dieb nennt, sollte besser nicht unbewaffnet herkommen« … Weiße Schaumflöckchen flogen von seinen Lippen, und gelegentlich ließ er den Billardstock auf Trains Bein oder seinen Arm krachen oder schlug ihn auf den Boden neben seinem Kopf. Train bewegte sich sowenig wie möglich, wartete,

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daß Sweet ihn aufstehen ließ. Er spürte Blut über seinen Hals laufen, konnte aber nicht sagen, woher es kam. Die Worte kamen und gingen, und von Zeit zu Zeit sagte er wieder, daß Train das nächste Mal »besser bewaffnet herkommen« sollte. Dann hörte er Plural. »Das war’s«, sagte er. »Der Junge hat genug.« Und so schnell wie es angefangen hatte, endete es jetzt. Sweet richtete sich auf, sah Train von zwei Seiten an, wie ein Bild, das er gerade vollendet hatte, drehte sich dann um, kehrte in den Käfig zurück und schloß die Tür hinter sich. »Das war’s«, sagte Plural. Train lag still da, versuchte, wieder einen klaren Kopf zu bekommen. Er wuchtete sich hoch, verlor das Gleichgewicht und sackte zurück auf den Boden. Die anderen Caddies beobachteten ihn, und sie beobachteten Sweet und Plural. Niemand dachte daran, ihm aufzuhelfen. Henry Disharoon schnupperte an seinem Finger, und Plural schien einzuschlafen. Wieder wurde Train sich des Bluts auf seinem Arm und seiner Hand bewußt. Es hatte neben ihm auf dem Boden eine Pfütze gebildet, und er begriff, daß er darin ausgerutscht war, als er versuchte, sich vom Boden zu erheben. Er setzte sich auf, umschloß die Knie mit seinen Armen. Der Raum schien sich mit ihm zu erheben, als klebte er an seinem Kopf. Er schaute sich zu den anderen Caddies um, konnte sich an keinen Namen mehr erinnern. Er ließ den Kopf auf die Arme sinken und wartete, und als der Raum aufhörte, sich zu bewegen, stemmte er sich hoch. Langsam ging Train zu seiner Stelle in der Ecke zurück, suchte dabei mit der Hand auf den Spinden ent-

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lang der Wand Halt und setzte sich. Mit einem Mal fühlte sich sein Kopf viel zu schwer an für seinen Hals, also lehnte er sich gegen die Wand zurück. Wenig später spürte er Blut auf seine Schulter tropfen. Zuerst dachte er, es sei ein Insekt. Plötzlich hatte er Durst. Er hob den Kopf, um zu sehen, ob er wieder klar genug war zum Gehen, dann stand er auf und wankte zum Automaten mit den Erfrischungsgetränken. Ihm kam in den Sinn, daß niemand ein Wort gesagt hatte, seit Sweet in seinen Verschlag zurückgekehrt war. Während all dieser Zeit – wie lange eigentlich? – hatte er nichts gehört außer einem Summen, ähnlich dem Hintergrundrauschen, wenn das Amt ein Ferngespräch durchstellte. Er steckte einen Nickel in den Automaten und zog sich einen Traubensaft. Er trank einen Schluck, es schmeckte anders als erwartet, drückte die Flasche dann an seine Stirn und kehrte in die Ecke zurück. Auf dem Weg dorthin schaute er kurz zur Seite und bemerkte, daß Sweet ihn aus dem Verschlag anstarrte. Sweet schaute weg; Train ließ sich auf die Bank fallen und legte sich dann hin. Der Saft war kalt und süß beim Trinken und brannte ihm in der Nase, als er wieder hochkam. Als das passierte, schoben sich die anderen Caddies ein Stück weiter fort. Einige rückten sogar dichter an Plural heran. Train stand wieder auf und spülte sein Hemd mit dem Schlauch aus, von dem alle Wasser tranken. Das Telefon klingelte, und Sweet nahm den Hörer ab. Er lauschte einen Moment, dann rief er zwei der Caddies zu sich und sagte, sie sollten sich am ersten Tee melden. Seine Stimme klang nett und gutgelaunt, als versuchte er, alle auf seine Seite zu ziehen. Train warf einen Blick auf die Uhr; es war erst halb neun.

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Den ganzen Morgen schickte Sweet Caddies zum ersten Abschlag. Um elf war niemand mehr im Schuppen außer Train und Sweet. Eine Stunde später kehrten die ersten Caddies zurück, und manche warteten in der Hoffnung, vielleicht noch einen Kunden zu bekommen. Train blieb, wo er war. Über seinem Ohr hatte sich eine dicke Beule gebildet – es war, als wüchse ihm ein zweiter Kopf –, und die Haut war aufgeplatzt und fühlte sich unter seinen Fingern verkrustet an. Er wartete ab, ob Sweet ihn arbeiten ließ. Er mußte an Hunde denken, wie sie unterwürfig ankommen, nachdem sie geschlagen worden waren. Nie kam ihnen in den Sinn, daß es gar nicht ihre Schuld war. Und plötzlich wurde ihm bewußt, daß Mayflower Lucky so übel geschlagen hatte, daß er nicht mehr laufen konnte. Und auch, daß seine Mutter wußte, was passiert war. Arthur war früh auf den Platz gegangen, und jetzt kam er zurück und setzte sich zum Mittagessen hin. Er öffnete seine Thermoskanne und schälte das Wachspapier von seinem Sandwich, an dessen Seiten die Mayonnaise herausquoll, die auch den Boden des Brotes aufgeweicht hatte. Es sah aus, als wiege es fünf Pfund. Innerhalb von zwei Minuten war jede Fliege vom Los Angeles County da. Train spürte, wie sich seine Innereien verkrampften und er sich wieder übergeben mußte. Sweet betrachtete das Bild, das er gemalt hatte, dann klingelte das Telefon, und er ging ran. Er hörte einen Moment zu, legte dann auf und schickte Henry Disharoon und drei andere Caddies zurück zum ersten Tee. Wenige Minuten später kam Henry Disharoon wieder herein. Sweet schaute von seinem Schreibtisch auf, starrte durch den Maschendraht, war verärgert, diesen Nigger wieder vor sich zu sehen, wo er ihn doch gerade erst losgeschickt hatte. »Bist du krank, Mann?« sagte er.

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Henry Disharoon schüttelte den Kopf. »Der Typ sagt, er will einen anderen.« »Wen?« Henry zuckte die Achseln. Sweet nahm den Hörer ab und wählte eine Nummer. Er sagte: »Gibt’s da oben ein Problem, Mr. Dugan?« Er hörte eine Minute zu und schüttelte dann den Kopf. »Nein, Sir, er ist nicht verfügbar. Nein, Sir … Ich mußte an seiner Stelle jemand anderen schicken.« Er hörte noch einen Moment zu, dann legte er den Hörer wieder auf. »Arthur«, sagte er, »geh rauf zum ersten und sieh mal zu, ob du diese Leute zufriedenstellen kannst.« Arthur verharrte einen Augenblick, dann legte er den Rest seines Sandwichs auf die Bank, stand auf, wischte sich Mund und Hände an seinem Hemd ab und marschierte los. Ungefähr die Hälfte der Fliegen folgte ihm; die andere Hälfte blieb bei dem Sandwich. Fünf Minuten später kam er wieder herein, sagte keine Silbe, ging einfach wieder zu seinem Sandwich und machte da weiter, wo er aufgehört hatte. Auf der Bank, dort, wo er es abgelegt hatte, befand sich ein feuchter Fleck. Sweets Telefon klingelte wieder. »Ich hab’s Ihnen doch gesagt, Sir«, sagte er, »er ist heute nicht verfügbar. Yessir, ich bin sicher. Ich sitze hier …« Drüben auf der Bank war Arthur jetzt mit seiner Mahlzeit fertig, hatte ein Messer aus der Tasche gezogen, die Augen geschlossen und fuhr mit einem Finger die Klinge entlang. Train meinte, ihn summen zu hören. Sweet legte den Hörer auf die Gabel zurück und schaute zu Plural hinüber. Er sagte: »No-Tank, geh rauf und verscheuch mir diese verfluchten Weißen vom Abschlag.« Doch bevor Plural vom Boden hochkam, stand der Starter, der für die Einhaltung des Spieltempos verantwortlich war, in der Türöffnung. Draußen wartete ein

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weiterer Mann. Der Starter war Schotte, ein ohnehin ständig zorniger Menschenschlag, und jetzt kam er herein, drehte sich zu dem Mann hinter sich um und winkte ihn ebenfalls herein. Train sah sofort, wer es war. »Und, ist er hier?« fragte der Starter. Der Meilenweit-weg-Mann deutete mit dem Kopf auf Train. »Da drüben«, sagte er. »Er ist gottverdammt hier«, sagte der Starter zu Sweet und zeigte auf Train. »Was zum Teufel ist nur in Sie gefahren, Mann? Er ist doch da …« Sweet erhob sich von seinem Stuhl, wie um selbst nachzusehen. »Oh, Scheiße, Mr. Dugan«, sagte er. »Hatte ganz vergessen, daß er Lionel heißt, alle nennen ihn einfach nur Train …« Aber für so etwas hatte der Starter keine Zeit. »Komm schon, Bursche, komm schon«, befahl er, und Train stand auf. »Wegen dieser Geschichte haben wir jetzt schon einen Rückstau von einem Flight.« Train schwankte ins Sonnenlicht, doch dann bekam er sich in den Griff und ging den Weg hinauf zum ersten Tee. Der Meilenweit-weg-Mann ging voraus mit Dugan, dem Starter, der gerade sagte, die eine oder andere Missetat ist alles, was man bekommt, wenn man dem Neger Befehlsgewalt erteilt, und wenn’s nur über andere Neger ist. Man müsse immer damit rechnen, sagte er. Es war wieder der fette Mann mit zwei weiteren Spielern, die Train noch nie gesehen hatte. Sie hatten alle schon abgeschlagen und standen mit ihren Caddies herum, als Train schließlich das Tee erreichte. Keiner sah besonders glücklich darüber aus, die ganze Zeit gewartet zu haben, während Mr. Packard sich persönlich seinen Caddie aussuchte, aber es sah nicht danach aus, als würde einer von ihnen das auch laut aussprechen. Mr. Packard ging schnurstracks zum Abschlag, be-

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reitete sich auf den Schlag vor und unterbrach sich dann. »Habe ich euch schon Mr. Walk vorgestellt?« sagte er. Niemand fand das witzig, außer Mr. Packard selbst. Er lachte leise auf seine Art, ließ einen Ball auf den Boden fallen, schwang, ohne den Ball aufzuteen, und ging ihm bereits nach, bevor er den Boden erreichte. Auf dem Weg das Fairway hinunter kam einer der anderen Männer herüber, um klarzustellen, um was gespielt wurde. Er hatte eine Zigarette zwischen den Lippen, die er zum Sprechen nicht herausnahm. Seine Stimme klang sanft und leise, wie ein Radio, als wäre das alles nichts Neues für ihn, aber Train sah, daß auch er Angst hatte vor Mr. Packard, genau wie Pink. »Um was geht’s?« fragte er. »Um was immer du willst, würde ich sagen.« »Pink sagt, zweihundert für Nebenwetten, hundert für die Runde. Und wie’s aussieht, haben wir zwei Schläge für die Front und einen für die Back Nine.« Mr. Packard nickte und entfernte sich, als würde er lieber mit Train gehen. »Dachte mir, es würde dir vielleicht gefallen zu sehen, wie das ausgeht«, sagte er. Der andere Mann war zu Pink zurückgekehrt, nicht sicher, ob Mr. Packard zugestimmt hatte oder nicht. Der Partner, den man Mr. Packard zugeteilt hatte, war ein wilder Mann, größer und jünger als Pink, und er nannte alles, was ihm begegnete, Fotze. Ein Spieler wie er konnte sechs Bälle hintereinander ins Aus schlagen, dann einen guten Schlag landen und glauben, sein letzter Schlag zeigte, wie er normalerweise Golf spielte. Und jedesmal, wenn Pink oder sein Partner Scheiße bauten, schien Mr. Packards Partner etwas zu machen, das mindestens doppelt so schlecht war. Als würde er es absichtlich machen. Mr. Packard verlor kein Wort darüber; drei Löcher

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wurden gespielt, dann vier, er genoß einfach die Sonne und Mutter Natur, beklagte sich nie, wenn Pink mal wieder in den Bäumen verschwand und seinen Ball dann schön im Freien fand, oder wenn er in den Bach schlug und seinen Ball dann fünfzig Meter näher zum Loch als erlaubt droppte. Es schien, als wäre Mr. Packard ganz allein auf dem Platz, und falls er sich bewußt war, daß jemand bei ihm war, dann war es nur Train. Der fette Mann zog seinen Flachmann hervor und trank. Er reichte ihn seinem Partner weiter und lächelte dann. »Komisches Spiel, Miller«, sagte er zu Mr. Packard, »ein komisches Scheißspiel. Am einen Tag findet man nicht mal seinen eigenen Schwanz, und am nächsten ist die Welt wie ein Hundert-DollarFlötensolo. Klar, sieht aus, als hätte History letzte Nacht das Wasser abgestellt, da kann man heute wenigstens den Ball vom Fairway abschlagen.« »Nimm ab, Pink«, sagte Mr. Packard. »Dann findest du deinen Schwanz auch leichter.« Dann drehte er sich um und schaute zu, wie sein Partner einen Ball tief in die Bäume jagte. »Du Fotze«, sagte der Mann und drehte sich dann zu seinem Caddie, um sich einen neuen Ball geben zu lassen. »Ich spiel’ einen Provisorischen«, sagte er, »falls ich den anderen nicht wiederfinde.« Mr. Packards Blick wanderte zu den Bäumen hinüber. »Laß dir von Fettsack helfen«, sagte er. »Der findet jeden Ball wieder.« Pink wollte gerade einen weiteren Schluck aus seinem Flachmann nehmen, hielt jetzt in der Bewegung inne, senkte langsam die Hand und schraubte die Flasche zu. Er hatte öffentlich eine Ohrfeige bekommen, aber jeder tat, als hätte er nichts bemerkt. Sie erreichten das sechste Loch, das Loch, an dem Florida auf dem Grün zusammengebrochen war, und

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Mr. Packard näherte sich Train, während sie das Fairway hinuntergingen. Train hatte Angst, er würde nach dem Geld für Floridas Witwe fragen. Statt dessen sah er Trains Kopf an und pfiff leise. »Ziemlich üble Beule«, sagte er. Train nickte, bremste sich gerade noch, bevor ihm ein »Danke« über die Lippen kam. Train griff nach oben und betastete die Stelle. Geschwollen und schartig. Mr. Packard hing ihm zu dicht auf der Pelle, machte ihn nervös. Schweigend gingen sie weitere fünfzig Meter und blieben dann stehen, um darauf zu warten, daß Pink seinen Ball schlug. Er rollte ziemlich genau an die gleiche Stelle wie beim letzten Spiel. Mr. Packard betrachtete wieder die Beule, diesmal aus einem anderen Winkel. »Sieht aus, als würde sich irgendwas da ein Nest bauen«, sagte er. Sie erreichten als nächstes den Ball von Mr. Packard, der sein Holz Vier herausnahm, mit etwas zuviel Knieeinsatz traf und den Ball im Teich versenkte. Es war sein erster schlechter Schlag an diesem Morgen, und Pink konnte sich ein breites Grinsen nicht verkneifen. »Scheiße, ich dachte, der hätte sauber getroffen«, sagte er. »Nein«, erwiderte Mr. Packard, »hat er nicht.« »Yo, Pink«, sagte sein Partner. »Was sagst du zu einer Frau mit zwei schwarzen Augen?« Pink lächelte. »Was denn?« »Nichts, du hast es ihr schon zweimal gesagt.« Die anderen Spieler schlugen, und dann war Pink wieder an der Reihe. Er stand in der Mitte des Fairways, unmittelbar hinter der 150-Yard-Markierung, und zog sein Fünfer-Eisen aus dem Bag. Er machte einen Probeschwung – sein Schwung war heute besser, und Train vermutete, daß die beiden anderen Spieler ihm ein si-

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chereres Gefühl in Gegenwart von Mr. Packard gaben – und schlug den Ball dann aufs Grün, wo er einmal aufsprang und dann sechs Meter an der Stange vorbeirollte. Er drehte sich um und hielt den Schläger dicht vor Trains Augen, so daß er die Zahl auf dem Blatt lesen konnte. »Eisen Fünf, Leroy«, sagte er. »Es ist das Fünfer.« Er ließ den Schläger fallen, damit sein Caddie ihn wieder aufhob, zog den Flachmann heraus und genehmigte sich einen weiteren Schluck. Tränen traten in seine Augen, er schüttelte sich und sagte: »Ah, Frühstück.« Und genau das war der Moment, als es bei Train endlich Klick machte, als er wußte, woran er ihn erinnerte. Es war eine der jungen Ehefrauen im Club, verheiratet mit einem Mitglied der wandelnden Toten, und sie hatte eine Bulldogge, die sie überall mit hin nahm – meistens an den Pool, wo sie sich morgens in die Sonne legte. Sie war jung und hübsch, und sie und der Hund trugen immer ein Band der gleichen Farbe, und wann immer Train sie sah, hatte der Hund stets die Bremse angezogen, versuchte zu scheißen, während sie ihn zum Wagen schleifte. Das war’s, die Bulldogge und die Lady; wie sie sich gleichzeitig in entgegengesetzte Richtungen bewegten. Der fette Mann schraubte die Flasche zu, unbekümmert und glücklich, und setzte sich mit federnden Schritten über das Fairway in Bewegung. Train wollte ebenfalls losgehen, doch Mr. Packard blieb, wo er war, als wäre er immer noch dort draußen in unbekannten Regionen. Er betrachtete eine Weile den Teich und das Grün, dann sah er nach oben, als bemerkte er zum ersten Mal den Tag. Er sagte: »Pink?«, und der fette Mann blieb stehen. »Weißt du, ich denke gerade, wenn wir’s schon machen wollen, dann sollten wir’s jetzt tun.«

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Pink blinzelte ihn mißtrauisch an. »Was jetzt?« »Doppelt oder nichts, ab jetzt.« »Doppelt oder nichts, was?« sagte er. »Für den Tag. Was immer am Ende dabei herauskommt.« »Wie sollen wir denn jetzt auf was wetten, wo wir nicht mal wissen, um was?« »Ein Aloha Press«, sagte Mr. Packard. »Du mußt schon mal davon gehört haben. Ein Eisen Neun, genau von hier. Doppelt oder nichts für den gesamten Tag.« »Scheiße, Miller, ich hab’ dich spielen sehen.« Der fette Mann war verärgert und gleichzeitig erleichtert, als hätte Mr. Packard ihn ohne Grund belästigt. »Nicht ich«, sagte Mr. Packard. »Mr. Walk hier.« Pink sah Train an, und plötzlich spürte Train seine Füße nicht mehr. Er versuchte sich zu erinnern, ob er sie vorher gespürt hatte. Sein Zeh – er wußte, daß er den spüren konnte. Der tat schon den ganzen Tag lang weh. Pink lächelte, um Mr. Packard zu zeigen, daß er Bescheid wußte. »Um was genau wetten wir noch mal?« fragte er. Mr. Packard zuckte mit den Achseln. »Was ich gerade gesagt habe. Doppelt oder nichts, wieviel es auch immer am Ende ist. Mr. Walk schlägt mit einem Eisen Neun von genau hier, und er liegt näher am Loch als du.« Pink sah Train wieder an, dann wanderte sein Blick zum Grün, und er grinste. »Wie viele Versuche?« sagte er. »Ein Schwung, genauso, als würden wir Golf spielen.« Es war einen Moment lang still, während Pink darüber nachdachte. Die beiden anderen Männer wirkten, als wären sie lieber woanders. »Ein Versuch, von genau da, wo du jetzt stehst, näher am Loch als mein Ball«, sagte Pink.

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Mr. Packard schien sich allmählich zu langweilen. »Doppelt oder nichts, der ganze Tag.« Train rührte sich nicht, versuchte herauszufinden, wie er in diese Lage gekommen war und wie er da wieder herauskommen sollte. Komischerweise arbeitete aber auch etwas in genau die entgegengesetzte Richtung, etwas, das mitspielen wollte. Er spürte, wie Pink ihn taxierte. »Wo ist der Haken?« sagte Pink. Mr. Packard schenkte ihm das für ihn typische milde Lächeln, und als er antwortete, klang er erstaunt, daß der fette Mann so etwas auch nur denken konnte. »Der Haken?« fragte er. »Es gibt keinen Haken. Gestern hast du Lionel Walk Junior gefragt, welchen Schläger er von dieser Stelle aus benutzen würde, und er hat geantwortet, ein Eisen Neun. Also werden wir ihm ein Eisen Neun geben und schauen, ob er es damit schafft.« Die beiden anderen Männer sahen sich an, schienen nichts zu verstehen. »Und wenn er’s kann, dann kann er’s«, sagte Mr. Packard, »und wenn er’s nicht kann, dann kann er’s nicht.« »Ein Versuch, von da, wo du stehst.« »Das ist dein großer Tag, fetter Mann«, sagte er, »die Welt ist wie ein Hundert-Dollar-Flötensolo.« Die ganze Zeit lag mehr von der üblen Seite in seiner Stimme, allerdings mußte man schon sehr aufmerksam sein, um es zu hören. Er grinste die Golfer an, die Pink mitgebracht hatte, Zeugen dessen, was hier passierte. »Ich gebe dir nur die Chance, das Doppelte zu verdienen.« Pink begann zu nicken. »In Ordnung«, sagte er. Dann wandte er sich an seinen Partner und sagte: »Scheiß doch der Hund drauf, richtig?« Der Mann schaute sich um und zuckte mit den Achseln.

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Train stand starr da und fragte sich, was jetzt von ihm erwartet wurde. »Ist das okay für dich?« fragte Mr. Packard. »Wenn du’s nicht tun willst, dann mußt du nicht.« »Moment mal, ja, ich dachte, wir hätten hier eine Wette laufen.« »Wir haben auch eine Wette laufen, Pink«, sagte er und hörte sich dabei an, als rede er mit einem begriffsstutzigen Kind. »Jetzt finde ich heraus, ob Mr. Walk bereit ist, dabei mitzumachen.« Er wartete. Train hatte einen Geschmack im Mund, als hätte er Briefmarken abgeleckt. Mr. Packard nahm seine Tasche von Trains Schulter und ließ sie auf den Boden fallen. Die Caddies ließen Schläger niemals so fallen; die Mitglieder untersuchten sie ständig auf Dellen und Kratzer, aber Mr. Packard war es gleichgültig, wie seine Schläger aussahen, schien sich ausschließlich dafür zu interessieren, daß alle ihren Spaß hatten. Er nahm Pink etwas ab. Er bückte sich, kramte durch die Eisen und zog eines heraus. »Ist das das Neuner?« fragte Pink. »Weißt du«, sagte Mr. Packard und schaute die beiden anderen Männer an, »die ganze Fragerei könnte jemanden veranlassen, darüber nachzudenken, ob hier alles mit rechten Dingen zugeht.« Pink starrte auf die Erde und hielt seinen Mund. Mr. Packard gab Train das Neuner-Eisen, droppte einen Ball aufs Gras und trat aus dem Weg. Train bewegte den Schläger in der Luft auf und nieder, versuchte, ein Gefühl für ihn zu bekommen. Er war in der Sohle schwerer als sein Schläger, der Flex des Schaftes war geringer. Der Griff war weich, und der Schläger lag gut in der Hand, ohne daß man fest zudrücken mußte. Er spürte, daß die Männer warteten, und trat an den Ball warf einen kurzen Blick aufs Grün und

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schwang. Ohne hinsehen zu müssen, wußte er genau, wo er war. Sie gingen das Fairway hinunter, Mr. Packard trug das Bag, ließ nicht zu, daß Train es anfaßte. »Nein, Sir«, sagte er, »kommt gar nicht in Frage. Du bist der Spieler, ich trage nur die Tasche.« Er amüsierte sich prächtig über Pink. Pink ging voraus. Er sagte kein Wort, als Train seinen Schlag machte; er sah ihn den ganzen Tag nicht mehr an, und er versuchte, keinen Blick aufs Grün zu werfen, wo Trains Ball praktisch in der Delle lag, die er beim Aufprall gemacht hatte, anderthalb Meter vom Loch entfernt. Und dann droppte Mr. Packard seinen Ball auf der anderen Seite des Teichs und spielte mit einem Chip ein Par. Auch das schien Pink nicht zu sehen. Er hatte inzwischen den Punkt erreicht, an dem er sich weder für die Feinheiten des Spiels interessierte noch Gedanken darüber machte, wie er vor seinen Freunden dastand, was beim Golf so ziemlich die größte Niederlage überhaupt war. Alles änderte sich. Pink erkannte, daß er seinen Verlust vom Vortag nicht wettmachen konnte, und alles, was bislang einfach gewesen war, mußte er jetzt mit einer bewußten Anstrengung anpacken. Und dann stoppte Mr. Packard seinen Partner, bevor er seinen Drive machte, und sagte: »Edgar, Sie heißen doch Edgar, oder? Gibt es in Ihrem Bag einen Schläger, mit dem Sie besser schlagen als mit dem Driver?« Könnte gut das erste Mal gewesen sein, daß er ihn an diesem Tag direkt ansprach. Der Mann namens Edgar drehte sich um, war überhaupt nicht glücklich über die Unterbrechung. »Etwas, womit Sie gerade schlagen?«

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»Gerade?« »Sie wissen schon, damit Sie anschließend den Ball wiederfinden?« Auf Edgars Gesicht tauchte ein Ausdruck auf, als hätte gerade jemand versucht, ihm Algebra zu erklären, dann blickte er zu Pink hinüber, wußte nicht, was er machen sollte. Pink wandte sich ab. Was immer sie vor dem Spiel ausgemacht haben mochten, jetzt kam es nach oben und ließ sich nicht verdrängen. »Ich mag meinen Mashie«, sagte Edgar. »Und warum spielen Sie dann nicht mit Ihrem Mashie?« fragte Mr. Packard. Edgar schaute in die Ferne. »Mit einem Eisen komme ich da nie hin«, sagte er. Mr. Packard flüsterte beinahe. »Dann schlagen Sie eben zweimal«, sagte er. Edgar nahm den Mashie statt den Driver und schlug den Ball ein kurzes Stück das Fairway hinauf. »Sehen Sie«, sagte Mr. Packard. »Sie haben den Ball noch. Sie haben sich also gerade fünfzig Cents gespart.« Danach schlug Edgar nur noch mit seinem Mashie, manchmal in die Richtung, die Mr. Packard vorgab, und es dauerte nicht lange, da war der Punktestand ausgeglichen, und ein Loch später lagen er und Mr. Packard in Führung und die anderen deutlich zurück. Alles doppelt oder nichts. Nach dem neunten Loch ging Pink zum Parkplatz, um seinen Flachmann nachzufüllen; er und sein Partner sprachen nicht mehr. Das alles beobachtete Train, doch konnte er nachher nicht sagen, wieviel davon Mr. Packard tat und wieviel Pink sich selbst antat. Er wußte, daß Pink und die beiden anderen sich vor Spielbeginn zusammengesetzt hatten, aber Mr. Packard gewann trotzdem wieder das ganze Geld, und als er sah, wie sich das Blatt wendete, ver-

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lor der fette Mann auch den letzten Rest von Leichtigkeit aus seinem ohnehin nicht sonderlich guten Schwung und spielte sogar noch schlechter als am Vortag, bekam überhaupt nichts mehr richtig hin, und rein gar nichts davon hatte, soweit Train das sehen konnte, mit Golf zu tun. Sie gingen gerade das fünfzehnte Fairway hinauf in eine heiße Brise, die aus Osten aufgekommen war, als Mr. Packard wieder zu ihm aufschloß und im Gleichschritt weiterging. Er steckte sich im Gehen eine Zigarette an, machte eine hohle Hand, damit das Streichholz nicht erlosch, und warf dann wieder einen kurzen Blick auf Trains Kopf. »Und, was wirst du deswegen unternehmen?« fragte er. Zuerst verstand Train ihn nicht. »Dein Kopf …« »Eis«, sagte er. »Wird gleich nicht mehr so schlimm aussehen, wenn’s gekühlt wird.« »Ich meine, was wirst du unternehmen?« Train ging weiter. Er befürchtete, daß die anderen drei Caddies es mitbekommen könnten, falls Mr. Packard noch etwas sagte, wodurch er noch mehr Ärger mit Sweet bekommen könnte, als er ohnehin schon hatte. In zwei Jahren war es das erste Mal passiert, daß einer runter zum Schuppen kam, um jemanden auszusuchen, der sein Bag tragen sollte. Das erste Mal, daß jemand Sweet in seinem eigenen Büro sagte, was er zu tun hatte. Train schüttelte den Kopf. »Er ist der Boß«, sagte er. Mr. Packard nickte, fast als gebe er ihm recht. »Ich weiß, was du meinst«, sagte er. Das machte Train sprachlos, sich vorzustellen, daß jemand wie er wußte, was er meinte. Und dann dachte er plötzlich daran, wie gut es sich anfühlte, über das Fairway zu gehen, während Mr. Packard das Bag trug, biß sich auf die Wange, um nicht über das ganze Ge-

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sicht zu grinsen. Er hatte noch nie einen Tag erlebt, an dem alles so falsch und gleichzeitig so richtig lief. Als sie wieder stehenblieben, griff Pink nach dem Alkohol in seinem Bag, legte zum Trinken den Kopf in den Nacken und schien unter dem Gewicht des Flachmanns zu schwanken. Am Ende der Runde griff Pink erneut in seine Tasche nach dem Geldbündel. Mr. Packard schaute zu, wie er abzählte – mindestens zweitausend –, beim Zählen des Geldes zuzusehen schien ihn mehr zu befriedigen als das Geld selbst, als er es bekam. Der andere Mann, der auf dem ersten Fairway herübergekommen war, um sich zu vergewissern, um was gespielt wurde, machte eine große Schau daraus, Edgar sein Geld zu geben, zählte die Hunderter langsam ab, damit Mr. Packard es mitbekam. Vor den Augen der drei drehte Mr. Packard sich zu Train um, schüttelte ihm auf seine lässige Art die Hand und sagte: »Sobald sie auf dem Parkplatz sind, bekommt er es zurück.« »Yessir«, sagte Train leise. »Hast du das auch gesehen?« Die anderen drei Männer schauten zu, aber mit einem Mal machte es Train nichts mehr aus. Tatsächlich hatte er das Gefühl, unter Mr. Packards Schutz zu stehen. Als ob der Mann ihn adoptiert hätte. Was natürlich auch nicht mehr Sinn machte als alles andere an diesem Tag. »Yessir.« Die Männer wechselten Blicke und beschlossen, das zu ignorieren, als wären sie auf einmal taub geworden. Was die Hälfte aller Mitglieder in Brookline ohnehin war. »Tja, ich schätze, wenn du was unternehmen willst«,

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sagte Mr. Packard, »dann mußt du jetzt los und es tun.« Und dann gab er Train fünfzig Dollar fürs Tragen. Train nahm das Geld und ging zur unbefestigten Zufahrtsstraße, ohne vorher zum Caddie-Schuppen zurückzukehren. Er wollte Sweet nicht mehr sehen und daran erinnert werden, was zuvor passiert war. Etwa hundert Meter vor der Straße kam Mr. Packard in dem dunklen Caddie vorbei. Er fuhr rechts ran und hielt an, Train hörte das Surren des elektrischen Fensterhebers und schaute zu, wie sein Gesicht auftauchte. Er konnte immer noch nicht sagen, ob der Wagen blau oder schwarz war. »Mr. Walk«, sagte er. Train nickte höflich. »Yessir …« »Kann ich Sie mitnehmen?« Er schaute den Weg zurück, hatte plötzlich Angst vor dem Mann und Angst davor, jemand könnte sehen, wie sie sich unterhielten. »Nein, Sir«, sagte er, »ich nehme einfach den Bus.« Mr. Packard nickte, ließ die Scheibe hoch und fuhr weiter. In den Auspuffgasen des Cadillacs ging Train weiter zur Straße. Hinter dem Ohr hatte er eine Beule, in der Tasche zweiundfünfzig Dollar. Da, wo er das Blut ausgewaschen hatte, war sein Hemd verknittert. Er war durstig und müde, seit fünf Uhr morgens hatte er nichts mehr gegessen. Er hatte keinen Appetit gehabt, und das war immer noch so. Dann erlaubte er sich, sich vorzustellen, wie es wohl wäre, in dem Cadillac nach Hause zu fahren und mit fünfzig Dollar in der Tasche vor dem Haus auszusteigen. Leicht benommen stolperte er. Er war heute verletzt worden, und er erinnerte sich jetzt daran, als er das letzte Mal soviel Blut verloren hatte. Seine Mutter war mit

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ihm zum Metzger gegangen und hatte ihn Kuhblut trinken lassen, um den Blutverlust auszugleichen. Bei diesem Gedanken würgte er und mußte sich am Straßenrand übergeben, wieder und wieder und wieder würgte er, bis sein Magen sich anfühlte, als wäre er von irgendwas ausgewrungen worden.

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3 NORAH The Georgia Teach, Newport Beach Marina

A

M FRÜHEN MORGEN, eine Stunde vor Sonnenaufgang, waren sie seitlich über die Reling gekommen, nachdem sie in einem gestohlenen kleinen Holzboot vom Yachthafen aus im Dunkeln herübergerudert waren, da keiner von ihnen schwimmen konnte. Die Georgia Peach hatte eine halbe Meile vor der Küste festgemacht, gerade noch im Schutz des befestigten Meeresarms. Zweiundzwanzig Meter lang, zwei Masten, alles Teakholz. Die Metallteile aus Messing, neue Dacron-Segel, zwei Rettungsboote, das beste Navigationssystem. In einem Schrank in der Hauptkabine befand sich eine kunstvoll verzierte Parker-Zwillingsschrotflinte, das Hochzeitsgeschenk eines Anwalts von Alec – er hatte in der gleichen Woche das Boot gekauft und sie geheiratet –, aber sie war noch nie abgefeuert oder auch nur geladen worden. Er hatte die Waffe bewundert, sich zweimal bei dem Anwalt bedankt und sich später, als er mit ihr allein war, laut gefragt, ob er sich jetzt einen Pick-up kaufen sollte, um das Ding vor die Heckscheibe zu hängen. Er mochte keine Schußwaffen und würde einem Eindringling geben, was immer dieser haben wollte, bis hin zu dem Schiff selbst, bevor er ihn mit einer Waffe bedrohen würde. Er war neunundzwanzig Jahre älter als sie und genoß

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es, sie mit jüngeren Männern zu beobachten, oder vielleicht war es auch so, daß er gern jüngere Männer mit ihr beobachtete. Schon lange Zeit war das der einzige Sex, den sie gehabt hatten, dieses Beobachten von ihr mit jüngeren Männern. Sie war nie ganz sicher, was er anschließend dachte. Das Schiff besaß vier Kabinen mit acht Betten, obwohl die Gäste nie über Nacht blieben. Der Kapitän war ein disziplinierter, äußerst korrekter Mexikaner, der passabel Englisch sprach und zehn Monate im Jahr an Bord lebte, von Februar bis einschließlich November schlief er in der kleinsten Kajüte, die sich im Bug befand. Jeden Dezember kehrte er nach Hause, auf die Baja California, zu seiner Frau zurück. Sie hatten keine Kinder. Als sie sich einmal alle zusammen betrunken hatten, begann er, die Namen aufzuzählen: Pedrito, Maria, Gaspar, Hector, Veronica. Dann hatte er angefangen zu weinen, und sie brauchte eine Weile, um zu verstehen, daß sie ihnen Namen gegeben hatten, all den Babys, die seine Frau nicht bis zu Ende hatte austragen können. Und sie verstand instinktiv seine Zuneigung für diese winzigen Dinger, die einmal gelebt hatten, und sie weinte ebenfalls, mindestens so sehr um sich selbst wie um den Mexikaner. Später schämten sich beide. Der Mexikaner wartete das Schiff – er hatte am Tag zuvor an einem Problem mit der Verdichtung der Maschine gearbeitet, eine Liste der Ersatzteile aufgestellt, die er benötigte, um einen Kolben zu ersetzen – und hielt seine kleine Kajüte makellos sauber. Er war ein Naturtalent, was die Funktionsweise mechanischer Dinge betraf, und manchmal, wenn Alec unten war, spürte sie, wie er sie an Deck beobachtete. Sein Name war Pedro Ruiz, und ihn brachten sie als ersten um, erschossen ihn im Bett.

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Der Schuß war nicht so laut, wie sie es sich vorgestellt hätte; nicht lauter, wenn sie es sich recht überlegte, als die Eigengeräusche des Schiffs bei Nacht, das Knarren und Knacken unter seinem enormen Gewicht, aber irgendwie war es ein Geräusch, das unüblich war, und sie schreckte aus dem Schlaf auf, lag dann still da, versuchte herauszufinden, was es verursacht hatte. Sie lauschte nach dem Mexikaner, aber vom Bug war keine Bewegung zu hören. Alec war ebenfalls wach, lehnte gegen ein halbes Dutzend Kopfkissen – seine normale Position im Bett, so flach auf dem Rücken wie möglich, ohne einen gewissen Schmerz in seiner Brust auszulösen, der sich wie ein Herzinfarkt anfühlte, und das trotz der vielen Arztbesuche. »Wenn Sie es auslösen können, indem Sie sich hinlegen«, sagte der Arzt immer, »ist es nicht Ihr Herz.« Er hatte einen merkwürdig ironischen Ausdruck auf dem Gesicht, als wüßte er, was gleich passieren würde, als wäre dies etwas, das er bereits die ganze Zeit erwartet hatte. Auf dem Schiff schlief er immer unruhig, wachte jede Nacht ein Dutzend Mal auf, um ein paar Tropfen in der Vorderpütz abzuschlagen – er benutzte nicht die in der Nähe ihrer Kabine, um sie nicht aufzuwecken –, und dann stieg er manchmal die Stufen an Deck hinauf, um eine Zigarre zu rauchen und den Himmel zu betrachten. Vor einigen Jahren war er zu Hause oben im Bad gewesen, als das Flugzeug einschlug, rasierte sich gerade für eine Wohltätigkeitsveranstaltung, die sie zugunsten von acht Negern organisiert hatten, die in Waycross, Georgia, auf den elektrischen Stuhl sollten, und blieb irgendwie unverletzt, als der berühmte Howard Hughes sein Versuchsflugzeug XF-II von ihrem Dach abprallen ließ, den Garten eines Nachbarn in Brand steckte und sich dabei selbst fast umbrachte.

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Das war 1946 gewesen, und Mr. Hughes, so hatte sie gehört, laborierte immer noch an den Verletzungen, die er sich damals zugezogen hatte. Die Neger waren tot, und die Zimmerleute waren seitdem immer wieder oben im zweiten Stock ihres Hauses gewesen, versuchten inzwischen zum zehnten oder zwanzigsten Mal, die Gitterkonstruktion entlang der Dachkante so hinzubekommen wie bei dem Teil, der unbeschädigt geblieben war. Alec würde erst zufrieden sein, wenn beides wieder genau übereinstimmte. Er hatte in Erwägung gezogen, Mr. Hughes und die Flugzeugfirma zu verklagen, war statt dessen aber mit einem außergerichtlichen Vergleich einverstanden gewesen und nahm diese Episode als Mahnung, daß man auf dieser Welt Sicherheit nicht kaufen konnte – im einen Augenblick mustert man sein Kinn im Spiegel, und im nächsten rasierst du dich schon im Freien –, und was Kleinigkeiten betraf, wurde er über die Jahre leichtsinniger. Er arbeitete weniger und trank mehr, und er achtete auch nicht so sorgfältig wie früher darauf, wen er aufs Schiff einlud. Was heißen soll, er paßte auch auf sie weniger auf, aber das machte ihr überhaupt nichts. Auf die eine oder andere Art hatten Männer ihr ganzes Leben lang versucht, sie zu beschützen. Diesen Instinkt weckte sie in ihnen sogar noch, als sie es gar nicht mehr versuchte. Sie lagen reglos da und lauschten. Das Schiff ächzte und knarrte, und sie hörte unsichere Schritte und dann ein wütendes Flüstern. Er seufzte und griff nach dem Schalter der Deckenbeleuchtung. Das Laken rutschte von seiner Brust, und sie sah die Knochen seiner Arme. Dünne Arme für einen Mann seiner Größe. Ein vergnügtes rotes Gesicht unter so weißen Haaren, daß sie es im Dunkeln quer durch einen Raum erkennen konnte; schlaffe Brüste, wie ein Bär.

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Dann ein weiteres Geräusch, etwas zerbrach in der Kombüse. Alec fand den Schalter und stand auf. »Bleib hier«, sagte er, ging zur Tür und öffnete sie. »Pedro?« Keine Antwort. Er blinzelte in die dunkle Kombüse, drehte sich dann wieder zu ihr um, wobei sein Bauch einen riesigen Schatten auf die hintere Wand warf, und hob die Augenbrauen in einer Art Operngeste. Sie sah, daß er herumblödelte, und lachte laut. »Was war’s?« fragte sie. Er trat vor, als wollte er über die Türschwelle steigen, und hielt dann abrupt inne, beugte sich aus der Taille vor und erzitterte. Und dann sah sie etwas von seiner Brustwarze tropfen, und dann von seinem Ellbogen. Schließlich ließ er sich langsam zu Boden gleiten, zurück in die Hauptkabine, und legte sich hin. Er versuchte zu sprechen, aber genau dort hatten sie ihn aufgeschlitzt. Seine Beine waren dünn und unbehaart, und er trat nach den Männern, als sie eintraten. Er gab einen weiteren Laut von sich, versuchte, etwas zu sagen, weiterhin einen Platz für sich im Raum zu beanspruchen, aber sie schritten über ihn weg, beachteten ihn gar nicht weiter. Der erste, der über die Schwelle trat, war hellhäutig, vielleicht ein Mulatte. Der zweite war riesig und so schwarz wie die geöffnete Tür. Sie zog das Laken hoch, um ihre Brüste zu bedecken, und ihr Mann bewegte sich auf dem Boden, drehte sich halb um, brachte den Mulatten aus dem Gleichgewicht. Der Mulatte stützte sich ab und schaute einen Augenblick mit dem gleichen Interesse zu ihm herab, das er auch für einen sterbenden Fisch gehabt hätte, der noch mit dem Köder im Maul an Deck herumzappelte. Sie sah es ganz deutlich, sie hatten das Messer in seinem Hals steckenlassen. Es schien in seinem Rückgrat steckengeblieben zu sein. Er zuckte wie-

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der, und diesmal wich der Mulatte einen Schritt zurück und wartete, daß er starb. Der Größere stand unmittelbar hinter der Schwelle und beobachtete sie. Ohne jede Eile. Unterhalb seines Haaransatzes befanden sich Schweißperlen, und er atmete durch den Mund. Kurz sah sie seine Zunge aufblitzen. Der Mulatte schaute sich in der Kabine um, als überlegte er, sie zu kaufen. Alec bewegte sich wieder, auf und ab und dann seitlich, und ein weiterer Laut löste sich von ihm, diesmal ausschließlich von der Öffnung in seinem Hals. Sie waren elf Jahre verheiratet gewesen. Der Mulatte lächelte. »Ich dachte, du würdest längst schreien und alles«, sagte er. Er deutete mit einem kurzen Nicken auf den Boden, wie um sie daran zu erinnern, was dort war. Hinter ihm nickte der Große, als würde er genau dasselbe denken. »Ich will dich mal was fragen«, sagte der Mulatte. »Kriegt er ihn noch hoch oder nicht?« Sie blickte jetzt nicht mehr direkt auf den Boden, sah aber noch die Bewegungen dort, die immer schwächer wurden, und die Laute, die er von sich gab, als er zu atmen versuchte, waren feucht geworden. Sie dachte an die Schrotflinte im Schrank. Der Große nahm ihr Höschen von der Frisierkommode. Er hielt es hoch, als versuche er herauszufinden, welche Seite vorne war und welche hinten, und nur einen Augenblick später lag er auf ihr, drückte sie in die Matratze. Er war doppelt so dick wie Alec; seine Finger stanken und drängten in ihren Mund, quetschten ihre Lippen gegen ihre Zähne, ließen sie aufplatzen, und sie öffnete sie ein wenig, versuchte, vernünftig mit ihm zu reden, aber er drückte ihr das Höschen in den Mund,

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zuerst in ihre Wange und dann zwischen ihre Zähne, bis sie ihn aufsperrte und den ganzen Mund voll davon hatte. Dann drehte er sie auf den Bauch und fesselte ihr die Hände mit einem Gürtel ihres Mannes. Sie meinte, die Knochen in ihren Armen würden unter seinem Gewicht brechen. Er stemmte sich von ihr weg und stand auf. Sie drehte sich wieder auf den Rücken und sah, daß der Mulatte bereits die Hose ausgezogen hatte. Alec rührte sich nicht mehr, das Blut hatte aufgehört zu plätschern und sich in einer Lache gesammelt, schwappte mit dem sanften Wiegen des Schiffs vor und zurück. Sie fragte sich, ob sie sie dort liegenlassen würden, wenn sie fertig waren, auf dem Boden neben Alec. »Mann, ist nicht der richtige Moment für so was«, sagte der Größere. Der Mulatte war älter und schien das Kommando zu haben. »Ich lebe jetzt«, sagte er und stieg aufs Bett. Sie vergrub die Fersen ins Laken, drückte sich ans Kopfteil des Bettes zurück und schob sich dann noch fünfzig, sechzig Zentimeter daran hoch. Er machte eine jähe Bewegung und schlug ihr ins Gesicht. Ihr Kopf flog zur Seite, und sie trat nach ihm. Er erwischte ihr Bein und hob es an, und einen kurzen Augenblick spürten sie die Kraft des anderen, starrten sich in die Augen, und dann riß er plötzlich an dem Bein, drehte sie wieder auf den Bauch. Seine Arme drückten sich in ihr Genick, und sie spürte, wie der andere ihre Knöchel packte, ein Bein vom anderen fortzog, bis zwischen ihnen genügend Platz war, daß der Mulatte ein Knie hineinzwängen konnte. Sie versuchte zu treten, aber derjenige, der ihre Knöchel hielt, verstärkte seinen Griff, bis sie wieder an brechende Knochen dachte. Und dann hörte sie auf zu kämpfen und schrie in den Höschenstoff, ein erstickter, trockener Laut, und sie

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spürte, wie ihre Beine weit gespreizt wurden, so weit, daß die Muskeln krampften, und dann war da ein Geräusch wie ein leises Plopp, wie ein Stück Sehne, wenn man durch ein Steak schnitt. Sie konnte Alec jetzt nicht mehr sehen, und von dieser Seite des Bettes drang auch keinerlei Geräusch mehr zu ihr. Sie war allein; das sah sie deutlicher als alles andere in dem Raum. Der Mulatte griff unter sie, und sie begann erneut zu schreien. »Na, komm schon«, sagte er, als ob er versuchte, sie zu überreden. Als ob er um sie warb. Sie erhob sich, versuchte, den Schmerz abzustellen, und das schien ihm zu gefallen. »So ist’s richtig, Schätzchen«, sagte er. »Wehr dich nicht.« In derselben Position, auf dem Gesicht liegend, wurde sie auch von dem zweiten genommen, der allerdings sein ganzes Gewicht auf ihre Schulterblätter legte. Er vergewaltigte sie nur widerwillig – der Mulatte überredete ihn dazu, »Mann, du mußt dich einfach fragen, wenn du das hier ausläßt, wann kriegst du noch mal so eine Gelegenheit?« –, aber nachdem er erst einmal in sie eingedrungen war, schien er sie umbringen zu wollen. Nachher gingen sie rauf, um die Maschinen zu starten. Aber es waren Dieselmotoren, etwas völlig anderes als bei einem Auto. Sie hörte, wie der Anlasser sich wieder und wieder drehte. Sie vermutete, daß sie noch nie zuvor ein Schiff gestohlen hatten. Sie setzte sich auf, mußte an den empörten Brief an die Times denken, den sie wegen der Berichterstattung dieser Zeitung über die acht Neger aus Waycross geschrieben hatte, in dem sie sagte, selbst wenn sie sich des Mordes schuldig gemacht hätten, müßte jede Gewalttat zwischen den Negern und der weißen Rasse in einem politischen Kontext verstanden werden. Sie konnte sich genau an jedes einzelne Wort erinnern.

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Oben hatten sie angefangen, sich zu streiten. »Mann, hast du nicht gesagt, du hättest so einen Scheißkahn schon mal gefahren?« »Ich hab’ gesagt, ich hab’ schon mal gesehen, wie sie das machen. Ich hab’ nicht gesagt, ich wär’ schon mal selbst gefahren.« Wieder versuchten sie ihr Glück mit dem Anlasser, aber sie wußte, daß sie die Maschine nicht vorgeglüht hatten, und sie wußte, daß sie nicht anspringen würde. Erst recht nicht mit dem defekten Kolben. Sie bemerkte Licht hinter dem Bullauge rechts von ihr und sah, sich nach links drehend, daß es dort immer noch dunkel war. Also schaute sie nach Norden. Es lag ein gewisser Trost darin, überhaupt irgendeine Orientierung zu haben, aber als sie den Kopf drehte, sah sie ihn wieder auf dem Boden liegen und spürte, wie sie drohte zusammenzubrechen. »Die Lady muß irgendwas davon verstehen«, sagte der Mulatte. Keine Antwort. »Was soll damit nicht in Ordnung sein, Mann? Deine Einstellung macht mich richtig fertig …« »Bring sie rauf, damit jeder sie sehen kann, das ist damit nicht in Ordnung.« Sie starrte den Körper ihres Mannes an, war aus irgendeinem Grund nicht in der Lage, woandershin zu sehen. »Kein Mensch wird irgendwas sehen.« »Mann, die Sonne geht auf, und Segler stehen früh auf, um die erste Brise zu erwischen.« Eine Weile herrschte Stille, dann sagte der Mulatte: »Tja, dann müssen wir den Kahn entweder segeln oder versenken.« Es war wieder still, und sie stellte sich vor, wie sie das Wirrwarr aus Tauen und Seilen und Winschen und

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Taljen musterten, die Abmessungen des Rumpfes. Es durfte ihnen allmählich dämmern, daß sie das Schiff weder segeln noch versenken konnten. Sie kamen wieder herunter, und ohne ein Wort begann der Mulatte, sie wieder zu ohrfeigen, links und rechts. Ihr klingelten die Ohren, und Blut tropfte von ihrer Nasenspitze auf ihre Brüste. Der andere griff nach unten, gerade außerhalb ihres Blickfeldes, zog einmal heftig an etwas, als würde er einen Rasenmäher anlassen, und kam mit dem Messer wieder hoch, das im Genickknochen ihres Mannes versenkt gewesen war. Sie versuchte die beiden anzuflehen, ihr das nicht anzutun, überhaupt nichts mehr zu tun. Er gab das Messer dem Mulatten. Der Mulatte zog das Höschen aus ihrem Mund. Ihre Wangen und der Gaumen waren trocken, ihre Kinnlade war verkrampft. »Wir sind ganz Ohr, Schätzchen«, sagte er. Sie brachte kein Wort heraus. Er berührte eine ihrer Brüste, verstrich Blut auf einem Nippel und quetschte die Brustwarze dann brutal zwischen Daumen und Knöchel seines Zeigefingers. Er schaute zu ihr auf, als wollte er sie um Erlaubnis bitten. Sie erwiderte seinen Blick, wußte nicht, was er wollte. Und nickte trotzdem. »Bist du sicher?« sagte er. »Was?« Und dann bewegte sich seine Hand so schnell, daß sie es nicht wirklich sah, sie spürte, wie er ihre Brustwarze losließ, und dann sah sie das Messer und das Blut und begriff, daß er überhaupt nicht losgelassen hatte. Er steckte sie in seine Brusttasche, und dann verlor sie die Beherrschung und bettelte um Dinge, die sie nicht mal benennen konnte. Es war inzwischen heller geworden, die ersten Sonnenstrahlen fielen durch die

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Bullaugen auf der Westseite der Kabine. Der andere Mann stand riesig und schwarz im Hintergrund und schaute zu. Sie gaben ihr ein Handtuch für die Blutung und ein Hemd, dann raste ein Rennboot vorbei, die Maschinen kreischten, der Rumpf klatschte aufs Wasser. Sie warteten, bis das Geräusch in der Ferne verklang, und dann sprach der Mulatte wieder, klang ganz ruhig. »Hattest du Zeit, über alles nachzudenken?« fragte er. Sie gab ihm keine Antwort. »Denn ich werd’ dir jetzt eine Frage stellen: Willst du dieses Schiff für mich anwerfen oder nicht?« Sie schaute wieder auf den Boden. Aus diesem Winkel konnte sie die große, klaffende Wunde in seinem Hals sehen. »Du fragst dich, wozu soll das gut sein? Stimmt’s?« sagte der Mulatte. Er hatte vor irgend etwas Angst. Vielleicht vor dem Motorboot oder vielleicht, daß jemand sie dort oben gesehen hatte, wie sie versuchten, die Maschinen anzulassen. Oder vielleicht, weil er so kurz vor etwas stand und es doch wieder verlor. »Tja«, sagte er und setzte sich neben sie, »die Lage ist anders, als es aussieht. Du weißt doch, wie das manchmal ist, wenn man jemanden nicht mag, und dann auf einmal doch? Wie bei Boxern nach dem großen Kampf?« Sie hörte sich laut lachen. Er lächelte wieder, war überrascht, und dann lachte er mit ihr gemeinsam, deutete mit dem Kopf auf den riesigen Neger in der Tür und tat so, als müßte er sich schütteln. »Du hast doch gehört, wie er mich gefragt hat, ob er das andere Tittchen haben kann, oder?« sagte er. Und sie hörte auf zu lachen. Der an der Tür kam näher und setzte sich auf die andere Seite des Bettes, so daß sie sich nun zwischen ihnen befand. Sie spürte die Hitze des Körpers des zwei-

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ten Mannes, roch das Babypuder. Und Gras. Er roch nach Gras. »Ich glaube, sie mag uns langsam«, sagte der Mulatte. Dem Großen war jedoch nicht nach Scherzen zumute. Sie hörten ein weiteres Boot und verstummten, bis es vorbei war, ihre Blicke wanderten umher, begegneten sich manchmal über dem Bett, manchmal sahen sie sie an. Es roch intensiv nach Gras und Babypuder und nach dem Eau de Cologne des Mulatten, deren Schweiß und ihrem. »Ich sag’ dir jetzt, was wir tun«, sagte der Mulatte. »Wir gehen jetzt alle nach oben und lassen die Maschinen an.« Der Große sah ihn überrascht an, widersprach jedoch nicht. »Und dann, wenn wir erst mal unterwegs sind, dann stecken wir dich in eins von den kleinen Bötchen da oben und behalten das hier für uns.« Er musterte sie aufmerksam, während er das sagte, wollte wissen, wie er sich machte. »Außer, du willst mitkommen.« Dann rührte sich der Große, aber sie sah es nicht deutlich. Eines ihrer Augen war zugeschwollen. »Du verstehst die Lage, ja?« sagte der Mulatte. Sie wartete. Er warf seinem Partner einen kurzen Blick zu. »So ähnlich wie Die Meuterei auf der Bounty«, sagte er. »Du kennst den Film, oder? Wo sie den Captain aussetzen und das Schiff behalten haben?« Wieder fragte sie sich, wo sie sie wohl töten würden, ob sie sie wieder hier heruntertragen würden, um es zu tun. »Komm schon, Mann«, sagte der Große. Er wollte tun, was immer er tun wollte. Der Mulatte konnte sich nicht entscheiden. »Ich will ihr doch nur eine Chance geben, mit uns zusammenzuarbeiten, um diesen Scheißkahn in Gang zu setzen«, sagte er, »sie noch mal gründlich drüber nachdenken

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lassen.« Dann schien auch er gründlich darüber nachzudenken. Ein paar Sekunden verstrichen; das Schiff schwankte hin und her, als atmete es. »Der Arzt da in Vacaville«, sagte er. »Ich mußte jeden Montagmorgen mit dem reden, um halb elf, anschließend Gruppensitzung um vier, jede beschissene Woche, sogar noch, als seine Diagnose lautete, ich wär’ ein klassischer Psychopath ohne die Fähigkeit, Reue zu empfinden. Sagte, ich könnte mich in niemanden hineinversetzen. Dreißig Monate, ich mußte jeden einzelnen Tag absitzen, weil ich keine Reue empfinden konnte.« Sie saß bewegungslos da; sie saßen bewegungslos da. Es kam ihr in den Sinn, daß sie jetzt etwas sagen sollte, aber sie wußte nicht, was sie hätte retten können. »Sag mir jetzt mal die Wahrheit«, sagte der Mulatte leise. Sie nickte wieder, warf dem Großen einen kurzen Blick zu, schaute dann wieder fort. Er wollte tun, was immer er tun wollte. »Hast du schon mal so einen gekannt, einen, der bereut hat, was er getan hat? Ich meine nicht, wenn er erwischt wurde. Der einfach nur so herumsaß und wegen was geheult hat, das längst Geschichte war? Welche Meinung hast du dazu?« Sie spürte, daß er sie beobachtete, darauf wartete, sie lügen zu hören. Was immer sie sagte, er würde die Lüge erkennen, und das wär’s dann. Darauf wartete er; dann würde er den anderen tun lassen, was er tun wollte. »Ich mag keine Ärzte«, sagte sie. Und das erwischte ihn eiskalt, er begann zu lächeln. Sie wußte nicht, was sie sonst sagen sollte, also nickte sie nur, und Hautfalten klebten aneinander fest, wo das Blut auf ihrem Hals trocknete, und lösten sich dann wieder.

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Der Mulatte lächelte weiter, irgendwie glaubte er, sie für sich gewonnen zu haben. »Siehst du, Arthur? Ich hab’s dir doch gesagt, Mann. Sie wird den Scheißkahn in Gang bringen.« Sie lösten ihre Fesseln. Als sie aufstand, rutschte das Handtuch unter ihrem Hemd heraus, und als sie die enge Treppe nach oben gingen, spürte sie frisches Blut auf ihrem Bauch. Sie ging hinter dem Großen und roch das Babypuder auf seiner Hose. Er blieb in der Türöffnung stehen, schaute sich nach anderen Booten um, und einen Moment später griff er nach ihrem Arm, hob sie heraus, wie man ein Kind hebt, und ihre Brust schmerzte, aber dann war die Luft wieder sauber und kühl, und sie spürte die Sonne. Einen Augenblick später tauchte der Mulatte auf und schaute sich um. Da waren andere Boote, aber keines in der Nähe. Niemand würde sehen, was geschah; die einzigen Hinweise würden aus dem bestehen, woran diese beiden sich später erinnerten. Diese Ungerechtigkeit erregte sie, daß von alledem nur das bleiben würde, woran sie sich erinnerten. Sie stemmte sich auf die Beine und stolperte über ein Seil. Sie wäre gestürzt, aber der Große packte ihr von hinten in die Haare und zog sie wieder hoch. Sie berührte ihr Gesicht – sie hatte ihr ganzes Leben ihr Gesicht berührt, schon als Kind hatte sie gewußt, daß sie hübsch war – und erkannte seine Form nicht wieder. Er ließ sie los, blieb aber so dicht hinter ihr, daß sie das Grummeln in seinem Magen hören konnte. Sie ging zum Steuer des Bootes im Heck. Beide folgten ihr, allerdings mit unsicheren Schritten und Angst vor den Kanten. Der Wind frischte etwas auf, und hinter der Mauer, durch die die Bucht geschützt wurde, waren weiße Schaumkronen zu erkennen. Sie setzte sich auf den Platz des Steuermanns und sah,

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daß sie die Zündung angelassen hatten. Überall rote Lichter auf dem Steuerpult. Sie ließ den Zündschlüssel, wo er war, und drückte den Knopf auf der anderen Seite des Bedienfeldes, mit dem der Treibstoff vorgeheizt wurde. »Was machst du da?« sagte der Mulatte. Er stand etwas seitlich, schaute zu und warf einen Schatten über ihre Arme. »Es ist ein Diesel«, sagte sie. »Man muß vorglühen.« Der Mulatte schaute über das Wasser. An Deck zweier Segelboote bewegte sich etwas. Eines davon war eine Dreißig-Meter-Yacht aus Seattle, die bereits dort gelegen hatte, bevor sie und Alec auf ihr Schiff kamen. »Wie lange wird das dauern?« fragte er. »Nicht sehr lange.« Der Große ragte hinter ihr auf, sein Kopf nur wenige Zentimeter von der Spiere entfernt. Die Spiere war aus Metall, und sie hatte sich daran schon einmal k.o. geschlagen, als sie eines Nachts von unten heraufgekommen und dagegengerannt war. Sie hielt den Knopf gedrückt, bis ihr der Finger weh tat, verbrauchte soviel Batterieenergie wie möglich. »So lange dauert das nicht«, sagte der Mulatte. Der Große sagte: »Wieso hast du nicht gesehen, wie sie es machen, wenn du gesehen hast, wie lange es dauert?« »Hey, wie zum Teufel soll man sehen, was die Typen mit diesen kleinen Schaltern machen, Mann?« »Ich weiß nur«, sagte der Große, »daß du gesagt hast, du kannst es fahren.« »Scheiße, Nigger, du bist hier doch angeblich derjenige, der mit Maschinen umgehen kann.« Dann beugte sich der Größere vor, um zu sehen, was sie machte. »So lange dauert das nicht«, sagte er, wiederholte, was der Mulatte gesagt hatte, und sie spürte seinen Atem auf ihrer Kopfhaut.

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Dann war seine Hand wieder in ihren Haaren, schloß sich, zog winzige Stückchen Kopfhaut ab. »Du machst es entweder bald«, sagte er, »oder wir gehen wieder runter.« »Ich an deiner Stelle würde mir Mühe geben«, sagte der Mulatte. »Arthur hat was gegen weiße Mädchen.« Er ließ ihr Haar los, und sie schob ihre Hand zum Anlasser. Die Maschine drehte langsam, stand kurz davor, und sprang dann an. Der Mulatte lächelte erleichtert. Wieder schaute er sich um, und keines der anderen Boote kam näher, um nach dem Rechten zu sehen; niemand beobachtete sie. Sie stand auf, kehrte ans Steuer zurück und schob den Gashebel bis zum Anschlag durch, jagte die Drehzahlnadel weit über dreitausend, über die rote Linie, bis die Maschine sich anhörte, als würde sie schreien. Sie sah den Ausdruck auf dem Gesicht des Mulatten. »Lade die Batterien auf«, brüllte sie gegen den Lärm an; ihre Stimme war trocken und stockte. Sie drehte sich um, als wollte sie wieder unter Deck gehen. Auf der anderen Seite bewegte sich etwas. Die Sonne drang durch das geschwollene Gewebe ihres Auges wie durch eine Sonnenbrille, und sie konnte den Umriß des Kopfes des Großen ausmachen. »Wo willst du hin?« fragte er. »Zur Toilette«, sagte sie. »Ich muß mal.« »Nein, Ma’am«, sagte er. Es lag etwas Förmliches in seinen Worten, als erinnerte er sich an Höflichkeitsformen von früher, als alles noch anders war. Die Maschine kreischte immer noch. Alec ließ sie zu seinen Lebzeiten nie auf mehr als zweitausend Umdrehungen laufen. »Ich muß aber«, sagte sie. Er zuckte die Achseln. Es war einfacher, als sie dachte. Sie spürte es zuerst auf den Beinen, dann auf den Füßen. Sie war nicht si-

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cher, ob sie es willentlich gemacht hatte oder ob es einfach passiert war. Jedenfalls platschte etwas aufs Deck, und das lenkte sie ab. Das Schiff bewegte sich, und sie griff nach oben und umklammerte nach Halt suchend die Spiere, während die Pfütze zwischen ihren Füßen größer wurde, beide immer noch hinstarrten, der Mulatte zu lächeln begann, und dann stemmte sie sich mit aller Kraft gegen die Segelstange. Die Spiere schwang die dreißig, vierzig Zentimeter, die die Vertäuung ihr an Bewegung erlaubte, und erwischte den Größeren quer über dem Auge. Gerade noch stand er direkt neben ihr, und im nächsten Moment stürzte er nach hinten in den Treppenabgang. Eine seiner Hände griff nach der Reling, und das Holz gab unter seinem Gewicht nach und riß heraus. Sein Gesicht verschwand, und sie hörte, wie er den Rest der Stufen hinabstürzte. Der Mulatte griff nach ihr, lächelte über das, was sie getan hatte, und sie stieß die Spiere in seine Richtung. Er duckte sich flink weg, kicherte leise über die neue Situation und versuchte es wieder. Sie sprang über den offenen Abgang, und der Mulatte folgte ihr außen herum, hielt sich dabei an der Reling fest, da er Angst vor dem Wasser hatte. Sie drehte ihm den Rücken zu, als sie sich fallen ließ. Bevor sie auf dem Wasser aufschlug, hörte sie noch, wie die Maschine einmal stotterte und sich dann in einer leicht veränderten Tonhöhe wieder fing. Mit aller Kraft schwamm sie fünfzig Meter, drehte sich dann auf den Rücken, um das Hemd auszuziehen, und sah sie zusammen streitend auf dem Deck stehen. Schwarzer Rauch quoll aus dem Auspuff. Sie bekam das Hemd herunter, und von da an ging es einfacher.

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Als sie fünf Minuten später wieder zurückschaute, standen sie am Bug und zogen an der Ankerkette, aber die Maschine war verstummt. Sie tauchte ihr Gesicht ins Wasser und schaute nicht mehr zurück, bis sie die Marina erreichte. Ein Fischer in einem kleinen Aluminiumboot zog sie heraus. Er hatte einen Zweitagebart, blutunterlaufene Augen und roch nach dem Köder, den er in den Laderaum geworfen hatte. Er strich sein T-Shirt über dem Bauch glatt, bevor er sich vorstellte. »Harry Marquait«, sagte er und bot ihr seine Hand an. Das Blut von ihrer Brust tropfte über ihren Bauch, und vom Salzwasser brannten ihre Augen. Er starrte sie an, und sie bat ihn um eine Decke. Er mochte an die Sechzig sein, und sein Kopf und die Hände waren mit Hautkrebs überzogen. Er hatte keine Decke, aber er fand ein abgetragenes kariertes Hemd ohne Knöpfe, das er ihr gab, sich für den Benzingeruch entschuldigend, dann trat er einen Schritt zurück und starrte einen Moment an ihr vorbei, über das Wasser zum Segelboot. »Sie sind eine gute Schwimmerin«, sagte er. Sie war immer noch im Boot des Fischers, als die Polizisten eintrafen. Es waren nur zwei: einer in Uniform und ein Sergeant in Zivil. Der Uniformierte trug ein Emblem mit der Aufschrift Orange County Sheriff’s Department. Der Anzug des Sergeant war maßgeschneidert, sein Haar war frisch geschnitten, und seine Schuhe waren teuer und poliert. Geschmeidig stieg er vom Pier in das kleine Boot und sagte »Verzeihen Sie«, als er den Fischer von dem Platz neben ihr schob und sich setzte. Der Fischer hatte einen Arm um ihre Schulter gelegt und dabei verstohlen unter das Hemd gelinst. Sie konnte nicht sagen, ob er von ihr angezogen wurde oder nur von der grotesken Wunde, oder ob das überhaupt zwei verschiedene Dinge waren.

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»Sie sind immer noch auf dem Schiff«, sagte der Fischer. »Trinken Bier und lachen, feiern eine schöne Nigger-Party.« Ihr gefiel dieses Wort nicht, und noch weniger gefiel es ihr, der Anlaß für dessen Gebrauch zu sein. Der Fischer reichte dem Sergeant sein Fernglas. Der Sergeant studierte das Segelboot, benutzte ein und dieselbe Hand, um das Fernglas zu halten und es scharf zu stellen, dann sah er sie wieder an. »Das ist ganz schön weit draußen«, sagte er. Seine Stimme war ruhig und vernünftig, überhaupt nicht in Eile. Sie nickte, spürte, wie sie zitterte. Sie zitterte, seit Mr. Marquait sie aus dem Wasser gezogen hatte. Der Sergeant bewegte sich – er saß rechts von ihr, und sie konnte ihn nicht gut sehen –, und dann spürte sie seine Jacke auf ihren Schultern. Das Futter war glatt und angenehm leicht. »Lassen Sie mal sehen, was wir haben«, sagte er, berührte dabei behutsam ihr Gesicht und drehte es zu sich. Er beugte sich dichter vor, betrachtete es von der einen und dann von der anderen Seite. »Ist nicht so schlimm«, sagte er. Er berührte ihre Lippen, sah ihre Zähne an, bewegte dann ihren Kiefer vor und zurück. »Tut das weh?« »Meine Brust«, sagte sie. »Ich weiß«, sagte er. »Mr. Marquart hat es erwähnt, als er uns angerufen hat.« Er drehte sich um und sagte dem uniformierten Cop, er solle herausfinden, was mit dem Krankenwagen passiert war. Als er sie wieder anschaute, sah sie, daß er dunkelbraune Augen hatte, fast schon schwarz. Er lächelte sie an, als wollte er ihr sagen, einen Nippel zu verlieren sei nichts wirklich Ernstes. Sie zitterte heftig, vor Kälte und aus Angst. »Ist es in Ordnung, wenn ich mal nachsehe?« Er hatte eine sanfte Art zu sprechen, was die Dinge leichter erscheinen ließ, als sie wirklich waren.

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Und sie nickte, wollte, daß er sah, was sie ihr angetan hatten. Er öffnete die Jacke, hielt sie sorgsam von ihrer Haut fort. Ein Augenblick verstrich. »Die Blutung hat fast aufgehört«, sagte er. Und einen Moment später: »Oben in Hollywood gibt es Ärzte, die können so etwas in Ordnung bringen, daß man anschließend gar nichts mehr davon sieht.« Sie schüttelte den Kopf. Sie wollte nichts in Ordnung gebracht haben, nicht, wenn sich nicht auch alles andere wieder in Ordnung bringen ließ. Sie berührte sich, drückte ihre Finger auf die Stelle, und für einen Moment schien der Schmerz die Sonne zu überdecken. Sie versuchte, nicht mehr zu zittern, beugte sich in ihren eigenen Schoß. Er legte eine Hand auf ihr Rückgrat und wartete. Er schien zu wissen, wann es vorbei war, auch wenn sie sich nicht gerührt hatte. Er nahm seine Hand fort und sagte: »Da sind sie also, sitzen einfach dort draußen auf dem Schiff und warten.« Wie er das sagte, klang alles so einfach. Es war beruhigend, wie er die Dinge in eine klare Ordnung brachte. Sie brauchte jetzt eine gewisse Ordnung. Sie schaute auf, blinzelte die Tränen fort. »Ich glaube, sie können nicht schwimmen«, sagte sie, »und wie man segelt, wissen sie auch nicht.« Er nickte und lächelte, als wäre es genau das, was er erwartet hatte. »Und eine Pleuelstange der Maschine ist hin.« Er ließ seinen Blick wieder über das Wasser zum Schiff wandern. »Waren Sie allein dort draußen?« Sie schwieg kurz, wußte nicht, womit sie anfangen sollte. »Sie haben die Männer umgebracht«, sagte sie. »Wie viele?« Ganz ruhig, überhaupt nicht beunruhigt. »Zwei. Den Captain und meinen Mann.«

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Er hielt eine Weile ihre Hand, hielt einfach ihre Hand. Der Uniformierte kam jetzt zu ihnen über den Kai gelaufen, war außer Atem. »Tut mir leid«, sagte sie. »Ich dachte, das hätte ich schon gesagt.« Er hielt einfach ihre Hand, und zum ersten Mal dachte sie jetzt an ihr Aussehen. »Der Anruf ist eingegangen«, sagte der Uniformierte. »Sie sind unterwegs, aber sie wissen nicht, wo der Krankenwagen ist.« Er war nur eine Gestalt, etwas Dunkles vor dem Hintergrund des Himmels. »Sind Schußwaffen an Bord?« fragte der Sergeant. »Eine Schrotflinte«, antwortete sie, »und ich glaube, sie haben selbst auch eine Waffe.« Es kam ihr in den Sinn, daß sie ihre Kanone nicht gesehen hatte, daß sie die Leiche von Pedro Ruiz nicht gesehen hatte. Daß er vielleicht gar nicht tot war. »Vielleicht lebt er ja noch«, sagte sie. »Ihr Mann?« »Nein«, sagte sie, »nicht mein Mann.« »Besteht noch eine Chance?« sagte er. Das verwirrte sie für einen Moment. »Nein«, sagte sie, »nein, überhaupt keine Chance.« Er richtete seinen Blick wieder auf das Schiff. »Wir kümmern uns jetzt darum«, sagte er. Sie weinte, dachte, jetzt lag es endlich in den Händen von jemand anderem. Ärzte und Krankenschwestern und Polizisten. Sie würden sich darum kümmern; sie würden sich um Alec kümmern und um Pedro, und sie würden sich auch um die Neger kümmern. Sie stellte sich die zwei auf dem Schiff vor und war mit einem Mal wütend. Der uniformierte Cop näherte sich dem Sergeant und sprach leise, als wollte er nicht, daß sie mithörte. »Soll ich Verstärkung anfordern?« Der Sergeant dachte kurz nach und sagte: »Das hat keine Eile. Die gehen nirgendwo hin.«

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Dann hörte sie die Sirene, noch weit entfernt. Sie saßen eine Zeitlang nebeneinander, keiner von ihnen sprach ein Wort; dann sagte er: »Ich heiße Miller Pakkard.« Sie dachte daran, was sie getan hatten, ihn getötet, ohne ihm auch nur die geringste Chance zu geben. Ohne einem von ihnen eine Chance zu geben. »Sie müssen am Heck an Bord gekommen sein«, sagte sie und erkannte sofort, wie wenig das zählte. Er tätschelte ihre Hand, sagte ihr auf andere Art, daß er sich jetzt um alles kümmerte. Sie spürte Feuchtigkeit aus ihrem zugeschwollenen Auge sickern und war mit einem Mal wieder wütend. »Könnte ich mitkommen?« sagte sie. »Verstößt das gegen die Vorschriften?« Er lächelte darüber, lachte über etwas anderes, gab dabei keinen Laut von sich. »Ich weiß nicht, ob das im Moment das Beste ist«, sagte er. Sie schaute zum Schiff hinaus, zur Georgia Peach. »Ich will nicht für den Rest meines Lebens morgens um vier aufwachen und denken, sie wären im Zimmer«, sagte sie, und während sie es sagte, erkannte sie, daß es die Wahrheit war. Es war zwar nicht der Grund, aber es war die Wahrheit. »Sie werden Ihnen nicht wie die gleichen Leute vorkommen, wissen Sie«, sagte er. »Gut«, sagte sie, »ich will sehen, wie es ihnen jetzt geht.« Sie drehte sich zu ihm, sah ihm offen ins Gesicht, versuchte, nicht zu verbergen, was sie ihr angetan hatten, und wußte, daß er sich um sie kümmern würde, daß er ihr geben würde, was immer sie wollte. »Okay«, sagte er. Einfach so. »Tut mir leid«, sagte sie, »ich habe Ihren Namen vergessen.« Mr. Marquait brachte sie hinaus zur Peach. Es

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herrschte jetzt leichter Seegang, selbst innerhalb der Marina, und ihr Kopf hämmerte, während das kleine Fischerboot auf dem Wasser hüpfte. Der alte Mann saß am Außenborder, kniff die Augen gegen die Brise zusammen, bereit zum Kampf, und sie saß vor ihm, immer noch eingehüllt in die Jacke des Sergeants. Er und der uniformierte Cop waren vorn. Letzterer hatte jetzt eine Schrotflinte – er hatte sie aus dem Wagen geholt – und hielt sie quer vor der Brust. Die Wade hatte er gegen die Reling von Mr. Marquarts Boot gestützt. Ihm gefiel das nicht, zwei Neger und nur zwei Polizisten; es gefiel ihm nicht, daß sie dabei war. Er hatte zweimal gefragt, ob der Sergeant Verstärkung oder die Küstenwache haben wolle, und dann hatte er aufgehört zu fragen. Aber er hatte Angst, das sah sie. Der Sergeant saß auf der Köderkiste, hielt einen Arm ins Wasser wie ein kleiner Junge, der zum ersten Mal mit einem Boot fuhr. Nichts an seiner Erscheinung deutete an, was sie erwartete. Als sie noch etwa fünfzig Meter entfernt waren, gab der Sergeant Mr. Marquait ein Zeichen, der daraufhin den Außenborder drosselte. Als sie wieder aufschaute, stand der Mulatte an Deck, hielt sich an einer der Verspannungen fest, die den vorderen Mast stützten, und schaute zu ihnen herüber. Er trug einen von Alecs Blazern, trank ein Bier. Sie vermutete, daß er das Ende kommen sah und nun versuchte, das Leben so lange zu genießen, wie das Boot noch ihm gehörte. Der Sergeant gab Mr. Marquart wieder ein Zeichen, und das kleine Boot fuhr langsam näher heran. Der uniformierte Cop richtete die Schrotflinte auf den Mulatten und zielte über den Lauf, aber das war gar nicht nötig. Er war jetzt wie ein kleines Kind. Das Fischerboot drehte bei, und der Mulatte starrte sie einen Moment an, dann hob er das Bier und schien zu winken. Der Sergeant stand auf.

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»Wo ist der andere?« sagte er. »Verletzt. Die Missus hat ihm ein Ding mit dem Mast verpaßt, und er ist runter, um sich hinzulegen.« Der Sergeant sah sie an, um sich zu vergewissern, ob es die Wahrheit war, und sie nickte. »Hol ihn rauf«, befahl er. »Geht nicht«, sagte der Mulatte. »Er kotzt und stöhnt.« Er sah sie an und grinste. Als säßen sie in einem Boot. »John«, sagte der Sergeant zu dem Uniformierten, »gib mir die Schrotflinte.« Der Mulatte begriff, daß der Sergeant alles gesagt hatte, was er zu sagen hatte. »Moment mal«, sagte er schnell. »Ich dachte ja nur, nach allem, was die Missus durchgemacht hat und so, da würde sie diesen Nigger so bald nicht mehr sehen wollen.« Der Sergeant nahm dem uniformierten Cop die Schrotflinte aus der Hand. »Alles klar, Chef«, sagte der Mulatte, »alles klar, was immer Sie wollen.« Er bewegte sich vorsichtig zur Treppe, glich das Rollen des Schiffes aus und machte sich auf den Weg nach unten. Als er außer Sicht war, steuerte Mr. Marquart das Fischerboot vorsichtig neben die Georgia Peach, und der Sergeant hob einen Arm, legte die Schrotflinte vorsichtig auf eines der Sitzkissen, zog dann, so lässig wie in eine Badewanne steigend, seine Schuhe aus und zog sich an Bord. Er war stark und geschmeidig, doch als er das Bein über die Reling hob, blieb sein Fuß hängen und schmerzte. Sie hörte sie aus dem Inneren, sie stritten wieder. Der Sergeant ließ die Schrotflinte auf dem Kissen liegen, selbst als der Mulatte wieder am Kopfende der Treppe auftauchte, der andere nur einen Schritt hinter ihm. Sie

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befand sich immer noch unter ihnen im Fischerboot, und beim Anblick des zweiten Negers meinte sie, Babypuder und Gras riechen zu können. Als nächstes ging der uniformierte Cop an Bord. Die Sohlen seiner Schuhe würden Flecken auf dem Deck hinterlassen. Sie dachte an Alec, der tot unten in der Kabine lag, dem es ein Rätsel gewesen war, wie ein Mensch mit schwarzen Schuhen auf ein Deck treten konnte. Der nie verstanden hatte, wie gedankenlos Menschen Schweinereien hinterließen, die dann jemand anders hinter ihnen saubermachen mußte. Der riesige Neger trat schwitzend aus dem Aufgang und stolperte zur Seite, wo er sich setzte und den Kopf nach hinten gegen das Schandeck sacken ließ. Er schloß die Augen. Beide Schiffe schwankten, sein Kopf kam in ihr Blickfeld und verschwand wieder daraus. Sie bemerkte das verkrustete Blut auf seinem Hals unterhalb des Ohres – der Beweis, daß sie ihn erwischt hatte. Der Mulatte schaute sich um. »Alles ist ein bißchen außer Kontrolle geraten, oder?« meinte er vergnügt. »Eins führte zum anderen.« Er blickte ins Fischerboot, als könnte sie bestätigen, was er sagte, und sie erkannte die Dimension dessen, was ihr bevorstand. Anwälte, Fragen, Verhandlungen. Fotografen, Reporter, Versicherungsagenten, Geschäftspartner, Beerdigungen. Jetzt hielt der Sergeant die Schrotflinte in einer Hand, massierte mit der anderen gedankenverloren sein Knie, während der uniformierte Cop den Mulatten umdrehte und ihm Handschellen anlegte. Der andere Neger richtete sich plötzlich auf und erbrach sich über sein Hemd, dann schloß er die Augen und lehnte sich wieder gegen das Schandeck. Auch ihr war übel, aber sie riß sich zusammen. Der Sergeant schaute zu den Masten auf, zu den aufgerollten Segeln und Schoten und Lei-

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nen. »Ich hoffe, du hast nichts dagegen, wenn ich frage«, wandte er sich zu dem Mulatten, »aber was in aller Welt habt ihr zwei euch dabei gedacht?« Der Mulatte begann zu lächeln und den Kopf zu schütteln. Er war erleichtert zu hören, daß der Sergeant mit ihm sprach wie mit einem anderen Menschen. Er war geschickt darin, mit Weißen zu reden; er wußte, wie man das machte. »Gar nichts, Sir«, sagte er. »Und das ist eine Tatsache. Wir haben das hier überhaupt nicht durchdacht.« Der uniformierte Cop ging unter Deck, und seine Abwesenheit schien den Mulatten nervös zu machen. »Nein, Sir«, sagte er, »ich weiß wirklich nicht, wie so was überhaupt passieren konnte. Ehrlich nicht.« Darauf erwiderte der Sergeant nichts; er war in dem Augenblick eiskalt geworden, als der Mulatte sich langsam heranzuschieben begann. Selbst unter Berücksichtigung des Ortes, an dem sie sich befanden, überraschte sie sein plötzlicher Stimmungsumschwung. Sie durchschaute Männer eigentlich immer und hatte so etwas doch nicht kommen sehen. »Entschuldigen Sie, Sir. Diese Handschellen sind ziemlich eng.« Der uniformierte Cop kam würgend wieder an Deck und ging schnurstracks zu dem riesigen Neger. Wortlos zog er einen Totschläger aus der Tasche und schlug ihm ein halbes Dutzend Mal seitlich gegen den Kopf. Jeder Aufprall des Totschlägers machte ein dumpfes, solides Geräusch. Der uniformierte Cop stellte sich in Positur, um den Totschläger wieder herabsausen zu lassen, doch der Sergeant hielt ihn zurück. »John«, sagte er, »das ist Zeitverschwendung.« Irgend etwas an diesen Worten jagte dem Mulatten Angst ein. Sie erinnerte sich, wie er zuvor unten in der

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Kajüte gewesen war, an die Dinge, die er gesagt hatte, wie gut er dabei gewesen war, ihr Angst zu machen. »Nein, Sir«, sagte er. »Wir hatten Zeit, uns das zurechtzulegen, Sir. Jede Menge Zeit …« Der Sergeant drehte sich zum Fischerboot und sah sie wieder an. Der uniformierte Cop packte eine Hand des gewaltigen Negers und versuchte, auch ihm Handschellen anzulegen, doch seine Handgelenke waren zu dick. Dann bewegte der Neger seinen Kopf zur Seite, und frisches Blut tropfte von seinem Ohr. »Ich sehe nichts, ich höre nichts«, sagte Mr. Marquait. »Egal, was hier passiert, ich sehe weg.« Der Sergeant nickte, als wäre Mr. Marquait wichtig bei dem, was hier passierte, als käme es auf ihn an. »Es ist jetzt sicher«, sagte er zu ihr. Er wartete; sie alle warteten, und hinter ihm tauchte mit jeder Bewegung der Boote das Gesicht des riesigen Negers auf und verschwand wieder, und der Mulatte stand wegen der Handschellen mit merkwürdig verrenkten Schultern da. »Entschuldigen Sie, Sir«, sagte der Mulatte wieder. »Ich hab’ anscheinend kein Gefühl mehr in den Händen.« Der Sergeant ließ sich nicht anmerken, ob er ihn gehört hatte. Sie war sich jetzt unsicher, was sie wirklich wollte. »Brauchen Sie mich, um sie zu identifizieren?« fragte sie. »Nein«, sagte er und lächelte auch darüber. »Sie sind es.« Sie stand auf und ging zum Rand des Fischerboots. Der Sergeant beugte sich über die Reling und half ihr hinauf. Er war stark und kräftig. Das erste, was sie an Bord sah, war der große Neger, der gegen das Schandeck lehnte. Vorne war sein Hemd durchnäßt und klebte an seiner Haut.

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Sie hielt sich immer noch an dem Polizisten fest, und aus dem Gang unter Deck stieg ihr der Geruch entgegen. Schnell schaute sie fort, in leiser Panik, begriff, daß es noch nicht vorbei war. Dachte, es würde vielleicht nie mehr aufhören. »Sie haben den Mexikaner mit einem Kopfschuß getötet«, sagte der Cop, der unter Deck gewesen war. »Der zweite liegt da hinten, und es ist eine ziemliche Schweinerei.« Dann schien er sich an sie zu erinnern und riß sich zusammen. »Tut mir leid«, sagte er. Der Große öffnete die Augen. Sie waren geschwollen und feucht. Einen Augenblick lang sah er sie direkt an, dann wanderte sein Blick die Masten hinauf, und er schien verwirrt, sich an einem Sonntagmorgen auf einer Zweiundzwanzig-Meter-Yacht auf dem Wasser wiederzufinden. Sie erkannte, daß es ein Fehler gewesen war, mit ihnen wieder hierher zu fahren. Sie drehte sich zu dem Sergeant um und legte eine Hand auf seinen Unterarm. »Es sind noch andere Dinge passiert«, sagte sie leise. Er hielt sie fest. »Sir?« sagte der Mulatte. »Könnte ich mal kurz mit Ihnen sprechen, Sir? Es gibt im Leben öfters Situationen, die nicht ganz so sind, wie sie auf den ersten Blick erscheinen.« Er bettelte jetzt, und sie bemerkte wieder, daß er Alecs Blazer trug. »Was die Missus Ihnen da zu sagen versucht, ist, daß sie ein paar Sachen nicht sagen möchte.« Der Sergeant drehte sich um und sprach ruhig zu dem anderen Polizisten. »John«, sagte er, »vielleicht solltest du jetzt zur Marina zurückkehren und Mr. Marquarts Aussage aufnehmen.« Der uniformierte Cop drehte sich um und sah ihn einen Moment an, vergewisserte sich, daß er es richtig verstanden hatte, dann zuckte er mit den Achseln, klet-

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terte über die Reling des Segelschiffs und setzte sich zu Mr. Marquart, der daraufhin den Außenborder startete. Der Sergeant bedankte sich bei Mr. Marquart für seine Zeit und Kooperation und sagte, er solle dem County eine Rechnung für den Sprit schicken. Dann beauftragte er den anderen Polizisten, er solle die Küstenwache verständigen, um das Schiff abzuschleppen. »Bist du sicher, daß du hier keine Hilfe brauchst?« fragte der uniformierte Cop. »Macht mir nichts aus.« »Nein, ist schon in Ordnung.« »Vergiß nicht, daß der Große keine Handschellen trägt.« »Ich vergesse es nicht.« Der Sergeant nickte Mr. Marquart zu, und der alte Mann verstellte den Gashebel, legte einen Gang ein und machte sich auf den Rückweg über das Wasser. »Jetzt können wir reden«, sagte der Mulatte, als wäre es ein neuer Anfang. Aber er wußte es besser. Der große Neger hatte den Sergeant die letzten paar Minuten angestarrt, und jetzt sprach er. »Ich kenne dich, Mann«, sagte er. Der Sergeant schaute auf, es lag nichts Unfreundliches in seinem Blick, es war das erste Mal, daß er seine Anwesenheit überhaupt zur Kenntnis nahm. Der große Neger sagte: »Draußen in Brookline.« Er wandte sich an den Mulatten und sagte: »Mann, das ist der Typ, der reingekommen ist und sich seinen Caddie selbst aussuchen wollte.« Der Mulatte nickte, aber es machte ihn nicht glücklich. »Du hast gesagt, du willst deinen eigenen Caddie«, sagte der Riese und lachte leise. »Du wolltest Train.« »Arthur«, zischte der Mulatte, »halt gottverdammt die Schnauze. Ich versuche mit den Leuten hier darüber zu reden, wie das alles passieren konnte.«

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»Mann, Reden wird nicht viel helfen«, sagte Arthur. »Siehst du das nicht? Das Reden haben wir längst hinter uns gelassen.« Dann lehnte er sich wieder gegen das Schandeck und schloß die Augen. Ein Augenblick verstrich, und dann seufzte der Sergeant und nahm die Schrotflinte in die Hand. Er öffnete den Verschluß, vergewisserte sich, ob die Waffe geladen war, dann schloß er ihn wieder. Arthurs Augen öffneten sich bei dem Geräusch. Er wollte sich gerade wieder aufsetzen, als der Schuß ihm die Schulter und eine Seite seines Halses wegriß. Einen Moment lang war er merkwürdig reglos. Ein rosa Nebel erhob sich hinter ihm, und dann zog die Schwerkraft seinen Kopf zur Seite und nach unten, in Richtung des fehlenden Teils seines Halses. Es machte leise Geräusche, als Stücke und Fetzen ins Wasser fielen. »Moment mal«, sagte der Mulatte. »Moment mal, hier liegt ein Mißverständnis vor, Sir. Diese Sache muß dringend geklärt werden …« Der Sergeant nickte wieder, als wäre dies wirklich etwas, das sie klären würden, als wäre das hier ein ganz normaler Sonntagvormittag auf einem Segelschiff, und dann drehte er sich ein wenig, und die Schrotflinte drehte sich mit ihm. Die Zeit war durcheinandergeraten. Sie saß da und starrte den riesigen Körper an, verharrte immer noch in dem Augenblick, als der Lärm sie taub machte und die Luft über dem Wasser sich rosa verfärbte. Sie dachte an ihren Mann, der auf dem Boden gekämpft und sich gewehrt hatte, und wie dieser Neger so mühelos weggegangen war. Der Mulatte hatte recht. Es hatte ein Mißverständnis gegeben. Sie war Mitglied der National Association for the Advancement of Colored People. Sie wohnte in Beverly Hills, Kalifornien, und achtete darauf, sich überall,

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wo sie einen Scheck ausstellte, mit ihrer Mitgliedskarte der NAACP auszuweisen. Sie und Alec hatten sich an die Spitze gestellt, um Himmels willen, und hatten zwei Stunden, nachdem Howard Hughes mit seinem Flugzeug in ihr Haus gedonnert war, im Garten eines Nachbarn die Spendengala zugunsten der verurteilten Neger organisiert. Aber nichts von dem, was sie für sie getan hatte, zählte. Das wurde ihr nun bewußt. Es gab keinen Unterschied mehr zwischen guten Absichten und bösen Absichten, wenn es zu einem Kurzschluß kam. »Sir, ich hab nicht versucht, hier abzuhauen. Ich hab’ gar nichts versucht …« Er sah sie hilfesuchend an. Der Sergeant nahm den Finger vom Abzug und lehnte die Schrotflinte gegen die Lukentür. Sie sah die Erleichterung in der Miene des Mulatten, aber praktisch im gleichen Moment überquerte der Sergeant das Deck, hob ihn am Hosenbund hoch und warf ihn über die Reling. Dabei verhedderte sich ein Fuß in einem Stag, einer der Halbschuhe löste sich von seinem Fuß und fiel aufs Deck. Seine und ihre Blicke begegneten sich wieder, als er über Bord ging, er fixierte sie einen kurzen Moment, und dann war er fort. Es platschte leise, als er aufs Wasser aufschlug, es folgten noch andere Geräusche, und dann nur noch Stille. Der Sergeant hob den Halbschuh auf und warf ihn ebenfalls über Bord, dann kehrte er zu ihr zurück und setzte sich neben sie. Er hatte seine Gedanken; sie hatte ihre. Es verstrich einige Zeit, und sie stellte sich plötzlich den Mulatten vor, mit wirrem Blick und steif, irgendwo in der Strömung unter dem Schiff. Sie fragte sich, ob er wohl noch über einen Bewußtseinsrest verfügte, ob er wohl immer noch wußte, wer er war und was er ihr angetan hatte. Und begriff, was mit ihm passiert war.

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Sie hatte keine Ahnung, ob so etwas möglich war; sie hatte jedes Zeitgefühl verloren. »Sie müssen nichts sagen«, sagte er leise. Es stimmte, und gleichzeitig auch wieder nicht. Sie wußte, daß sie Aussagen würde machen müssen, daß sie wieder und wieder erzählen mußte, was in der Kabine passiert war, jedes Detail, jedes einzelne Wort. Und sie wußte, daß sie würde sagen müssen, die Neger hätten einen Fluchtversuch unternommen. Sie würde ihnen alle Aussagen liefern, die sie haben wollten, auch vor Gericht, falls es dazu kommen sollte. Wahrheit und Lügen, was immer sie hören wollten. Die Drähte hatten sich berührt, Absichten spielten keine Rolle mehr, und in der ganzen Aufregung hatte die falsche Seite Anspruch auf sie erhoben. Ein einziger Teil jedoch gehörte nicht dazu. Sie schaute weg, hatte Angst, daß er es aus irgendeinem Grund bereits wußte, und in diesem Moment fiel ihr der Name wieder ein – sie hörte den Namen, als hätte er ihn selbst ausgesprochen. Sweet. Freitagabend, in genau derselben Kabine, in der jetzt ihr Mann auf dem Boden lag, hatte er sich Sweet genannt.

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4 DARKTOWN

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M SIEBEN UHR FRÜH AM MONTAG MORGEN füllten die Streifenwagen der Deputies eine halbe Reihe des Parkplatzes, aber die Caddies waren bereits draußen auf dem Platz – Montag morgens ermunterte der Club seine Angestellten, selbst Golf zu spielen, damit sie Respekt vor dem Spiel erlernten –, und weil sein Pfarrer sowie der Vorsitzende des Wohltätigkeitsvereins der Polizei beide Mitglied in Brookline waren, erlaubte der diensthabende Lieutenant seinen Männern nicht, mit ihren Wagen hinaus auf den Platz zu fahren und sie zusammenzutreiben. Der Lieutenant selbst spielte kein Golf, aber er hatte auch früher schon mit den Freunden des Country Clubs und Golfsports zu tun gehabt und wußte, was sie für ihre Fairways empfanden. Und so marschierten acht Beamte mit schwerem, schwarzem Schuhwerk und zugeknöpften Kragen die erste Bahn hinunter und dann weiter die zweite hinauf, und so folgten sie den Bahnen des Golfplatzes, bis sie die Caddies einholten. Es waren bereits vierundzwanzig Grad, und die Temperatur sollte noch auf deutlich über dreißig steigen. Drei weitere Deputies – darunter der Lieutenant – gingen zum Clubhaus und stellten dem Manager einen Durchsuchungsbefehl zu, dann folgten sie ihm den Kiesweg hinunter zum Caddie-Schuppen, den sie sofort auseinanderzunehmen begannen, angefangen mit dem

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Schreibtisch hinter dem Maschendraht, wo Sweet seinen Geschäften nachging. Sie brauchten weniger Zeit zum Knacken des Schlosses, als Sweet benötigte, es mit seinem Schlüssel aufzuschließen, und nur wenige Sekunden mehr, um die Metalldose zu finden, die an einem Schnürsenkel hinter der Schublade hing. Darin befanden sich siebzehn Zwanzigdollarscheine, und sie schickten den Manager fort und teilten das Geld durch vier – für jeden fünf Scheine und zwei für den Captain im Revier. Unter dem Geld lag ein kleines schwarzes Notizbuch mit Namen, Adressen, Telefonnummern und Daten. Der Lieutenant öffnete das Buch, blätterte durch die Seiten und bemerkte, daß es ausschließlich Frauennamen beinhaltete, zumindest diejenigen, die vollständig ausgeschrieben waren. Manche bestanden nur aus Initialen. Er steckte das Buch in seine Jackentasche und dachte, es könnte ihm später vielleicht noch nützlich sein. Dachte darüber nach, ob er vielleicht einige der Frauen persönlich aufsuchen sollte, um zu sehen, wie sie aussahen, um vielleicht die eine oder andere zu fragen, wie sie überhaupt in so einem Notizbuch hatten landen können. Nein? Nun, vielleicht hatten ihre Ehegatten eine Vorstellung. Er hatte kein Problem damit, Frauen sich winden zu sehen, überhaupt kein Problem. Als nächstes gingen die Polizisten zu den Spinden, in denen die Caddies ihre persönlichen Dinge aufbewahrten, und nun kamen sie etwas langsamer voran. Die Caddies hielten ihren Kram nicht so in Ordnung, wie es hinter dem Maschendrahtverschlag der Fall war. Sandwichs, Alkohol, Zigaretten, Spielkarten, kleine Mengen Marihuana, große Mengen Marihuana, Busausweise, alte Kalender mit Bildern von Autos und halbnackten Mädchen. Eine Spritze, ein Baseballhandschuh, ein Seestern. Eine Packung Windensamen, Zigarren. Außerdem Kleidungsstücke, zumeist Hüte und bunte Pullover mit

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vorne und hinten eingestrickten Golfern. Kleidungsstücke, die die Caddies nie selbst tragen würden, die sie aber auch nicht wegwerfen wollten. Sie wußten, wieviel Pullover mit eingestrickten Golfermustern im Proshop kosteten. Alles, was die Deputies fanden und nicht haben wollten oder nicht selbst benutzen konnten, warfen sie in die Mitte des Raumes auf den Boden, wo es später von rangniedrigeren Angehörigen der Polizei durchgesehen und zusammengefegt werden konnte. Dann wurden die leeren Spinde ebenfalls auf den Boden geworfen, damit die Polizisten auch hinter ihnen nachsehen konnten. Kakerlaken und Silberfische schwappten hervor, es waren Tausende, die nun über die Schuhe der Beamten und ihre Hosenaufschläge krabbelten und den Raum wie eine Brandung durchquerten. Einer der Deputies stieß einen Schrei aus, und sofort machte sich Panik breit, fortan stampften alle heftiger und wütender auf dem Boden herum, als man stampfen mußte, um Ungeziefer zu töten, versuchten an denen ein Exempel zu statuieren, die sie erwischten, und dann verletzte sich einer der Deputies an der Ferse, als er eine alte BaseballVerletzung reizte, und die beiden anderen halfen ihm zur Tür, wo sie warteten, bis das Ungeziefer den Rückzug in die Ritzen der Wände und Ecken antrat. Die Deputies standen im Türrahmen, schüttelten ihre Hosenbeine aus, spürten das Krabbeln eingebildeter Kakerlaken auf ihren Beinen. Hinter den Spinden befanden sich zwei Schirme – zumindest deren Speichen und Handgriffe; der Stoff war schon vor langer Zeit weggefressen worden –, eine alte, lederne Golftasche, ein paar verstaubte Limonaden- und Bierflaschen, ein einzelner Cowboystiefel aus Schlangenleder und, nicht weit davon entfernt, etwas, das wie die Knochen eines menschlichen Beines aussah. Die Deputies erstarrten,

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als sie die Knochen fanden, wechselten Blicke, zogen stumm all den Papierkram in Erwägung und warfen die Knochen dann zu dem übrigen Kram in die Mitte des Raumes. Train befand sich gerade auf dem Weg den Hang des kurzen Roughs am neunten Fairway hinauf, als die Deputies den Knick des Doglegs hinter ihm umrundeten. Sah aus, als würde schlechtes Wetter aufziehen. Achtzehn, zwanzig Caddies wurden von Beamten mit ihren Gummiknüppeln vor sich hergetrieben, auch den Bummelanten wurde keine Verschnaufpause gegönnt. Manche der Polizisten rauchten Zigaretten, andere trugen ihre Schuhe und humpelten. Train versteckte seinen Golfschläger und setzte sich an einen Baum, um abzuwarten. Er rechnete immer damit, daß jemand kam und wissen wollte, woher er überhaupt einen handsignierten Tommy Armour hatte. Er beobachtete, wie sie die langgezogene Anhöhe hinaufstiegen, hörte allmählich ihre Stimmen. Er vermutete, daß sein Golfen für heute vorbei war, aber er war ohnehin zu verkrampft gewesen, wollte unbedingt den Ball zur Fahne schlagen, statt ihn einfach dorthin fliegen zu lassen. Andererseits, an manchen Tagen konnte man es einfach, und an anderen eben nicht. Wie ein Radiosender an manchen Tagen sauber und klar reinkam, und an anderen Tagen mußte man wegen des schlechten Empfangs immer wieder den Sender nachstellen. Er steckte den Ball in seine Hosentasche, merkte sich, wo er gelegen hatte für den Fall, daß sie alle wieder laufen ließen, nachdem sie sie erst mal zusammengetrieben hatten. Das alles hatte natürlich keinen Sinn, aber die Polizei machte Dinge, die niemand verstand außer der Polizei selbst.

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Die Deputies waren müde, hatten Blasen und schwitzten, waren überhaupt nicht in der richtigen Stimmung für Golf spielende Nigger. Einer von ihnen hatte seine Pistole gezogen und hielt sie beim Gehen in der Hand. Sie brachten die Caddies zum Schuppen, wo sie sich vor die Außenwand setzen mußten, direkt in die Sonne, um auf die Gefangenentransporter zu warten. Ein paar Caddies waren ziemlich nervös, und einer mit Namen Roger Ennis versuchte, einen Überfall auf einen Spirituosenladen zu gestehen, aber die Cops sagten ihm, er solle stillsitzen und sein gottverdammtes Maul halten. Der Club-Manager kam ein Stück den Berg herunter und hielt inne, als er sah, was dort unten vor sich ging. Dann legte er für einen Moment seinen Kopf in den Nacken, als hätte er Nasenbluten, bevor er den Rest des Weges herunterkam. Die Hose des dünnen Mannes war gebügelt, und seine Halbschuhe hatten Troddeln. Der Manager legte eine Hand auf seinen Allerwertesten und beugte sich aus der Taille vor – die Haltung einer alten Frau, die mit den Kindern schimpft – und zählte die Caddies, die vor dem Schuppen saßen. Er benutzte einen Finger beim Zählen, um nicht die Orientierung zu verlieren, wo er in dieser langen Reihe schwarzer Gesichter war. Dann wandte er sich an den diensthabenden Lieutenant, wobei er wie jemand aussah, der am liebsten sofort wieder den Berg hinauf verschwinden würde. »Nehmen Sie alle mit?« fragte er. Selbst mit den hundert Dollar extra in der Tasche mochte der Lieutenant keine Halbschuhe mit Troddeln. »Nun, Sir, ich wüßte nicht, wie wir das hier klären könnten«, antwortete er. Der Manager nickte, als könne er der Argumentation des Beamten folgen. Train vermutete, daß er es gewohnt war, die Standpunkte anderer Leute zu verstehen.

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»Schon klar«, sagte er und sah wieder zu den Caddies hinüber, »aber auf meiner Seite des Zauns habe ich das Problem, daß wir ab neun Uhr Abschlagszeiten für die Front und Back Nine haben und jetzt mit einem Mal keine Caddies mehr da sind. Der Bürgermeister persönlich hat eine Startzeit um zwei Uhr zwölf.« Der Lieutenant ließ sich einen Moment Zeit mit seiner Antwort, als müßte er sich erst in Erinnerung rufen, wo er sich befand. »Nun, Sir«, sagte er schließlich, »ich habe großes Verständnis für Ihre Lage, daß der Bürgermeister hier draußen Mitglied ist und alles, aber letzten Endes läuft es darauf hinaus, daß die Sache sogar noch erheblich komplizierter ist.« Der Lieutenant holte tief Luft und schloß die Augen, um sich zu beruhigen, aber die Zündschnur brannte. »Man könnte sagen, die Lage ist die, daß hier draußen jemand das Sagen haben sollte, denn direkt vor Ihrer beschissenen Nase agiert ein Verbrecherring. Und jetzt wurden anständige Menschen ohne jeden Grund ermordet, und falls das bedeutet, daß Eleanor Roosevelt heute ihre Divots selbst in Ordnung bringen muß, dann ist es eben so. Das ist die scheiß Lage von meiner Seite des Zauns aus betrachtet.« Inzwischen hatte der Lieutenant einen roten Kopf bekommen, und der Club-Manager nickte schon lange, bevor er fertig war. »Natürlich«, sagte er. »Ich verstehe vollkommen …« »Wenn ich also an Ihrer Stelle wäre, dann würde ich mich jetzt in mein verschissenes Büro verziehen, wo die Klimaanlage läuft, und mich mal so richtig ausheulen, und anschließend würde ich alle Honoratioren und Golfer anrufen und ihnen sagen, daß sie bis auf weiteres ihre scheiß Bags selbst tragen müssen.« Der Mann mit den Troddeln seufzte. Als ClubManager war er immun gegen ordinäre Sprache und persönliche Beleidigungen. »Leichter gesagt als getan«, sagte er.

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»Um Ihnen die Wahrheit zu sagen, Sir«, sagte der Lieutenant, »schon um halb zehn morgens bis zum Arsch in einem Haufen von Demokraten zu stecken ist auch nicht gerade das, was ich mir für heute gewünscht habe.« Und dann wandte er sich von dem Manager ab, um zu beobachten, wie die Gefangenentransporter den Kiesweg vom Parkplatz zum Schuppen herunterkamen. Es waren nur zwei Transporter, auf die die Leute verteilt wurden. Es gab Bänke entlang der Innenwände und winzige Fenster darüber und in den Türen. Alle Fenster waren verschlossen und mit Draht gesichert, und die Luft in den Wagen war genauso heiß und abgestanden, als käme sie direkt aus den Lungen der Leute. Niemand sagte etwas, außer bei Schlaglöchern, bei heftigem Bremsen oder in einer scharfen Kurve, wenn die Caddies von ihrem Platz rutschten und sich die Köpfe stießen. Dann beschuldigten sie sich gegenseitig, als gebe es klare Verhaltensregeln für Fahrten im hinteren Bereich von Gefangenentransportern. Train stand an einem der Fenster, hielt sich an dem Drahtgitter fest und hatte die Beine weit gespreizt. Es überraschte ihn überhaupt nicht, was hier passierte; er hatte schon davon gehört, daß die Polizei die Leute im Laderaum des Transporters gern herumwarf. Die Sirene war eingeschaltet – allerdings fiel ihm auf, daß sie erst eingeschaltet worden war, als sie Brentwood verlassen hatten – und Train beobachtete, wie draußen Straßen vorbeizogen, Frauen mit Einkaufstaschen, die unterbrachen, was sie gerade taten, um die Wagen anzustarren. Er stellte sich seine Mutter vor, ihr Gesicht, wenn sie erfuhr, daß man ihn ins Gefängnis gebracht hatte. Und genau in dem Augenblick, als ihm dieser Gedanke kam, trat der Fahrer voll auf die Bremse, und die Leute flogen kreuz und quer durch den

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Raum. Jemand rollte gegen Trains Knie, er fiel zur Seite, seine Füße befanden sich plötzlich an der Stelle, wo noch Sekunden zuvor sein Kopf gewesen war, dann schlug er auf, und sein Knie krachte jemandem ins Gesicht. Es fühlte sich gleichzeitig weich und knochig an, erinnerte ihn an eine Eierschale. Der Transporter blieb abrupt stehen und rührte sich nicht. Train lag auf dem Boden, ein Mann lag quer über seinen Füßen, dann rollte er herunter und starrte eine Weile die Decke an. Train sah, daß es Plural war, und hoffte, daß er entweder bewußtlos war oder ihn wenigstens im Dunkeln nicht erkannte. Er versuchte, sich etwas weiter weg zu schieben, aber hinter ihm lagen andere Körper, und es war einfach kein Platz da. Er wollte aufstehen, aber von oben drückten andere auf ihn. Plural hob eine Hand und berührte seine Augenbraue. Er hatte eine Platzwunde dort, und das Blut lief seitlich an seiner Nase herunter und tropfte von seinem Ohr. Der Transporter fuhr wieder an, erwischte ein Schlagloch, und Plurals Kopf schlug auf den Boden. Schließlich wischte er sich das Blut ab und setzte sich auf. Train bemerkte, daß er nicht wußte, wo er war. Plural blinzelte ins Licht, das durch ein Fenster von oben hereinfiel, und sagte: »Bin ausgerutscht. Ganz klar, das war kein Punch, bin nur ausgerutscht …« Vor dem Polizeirevier entluden sie die Transporter, und die Caddies gingen hintereinander die Stufen hinauf, die meisten in Handschellen und Fußfesseln. Kurz bevor Train an der Reihe gewesen wäre, waren ihnen sowohl Handschellen als auch Fußfesseln ausgegangen, wofür er dankbar war, und das nicht nur, weil er so hinten im Transporter weniger übel durch die Gegend geschleudert worden war. Solange er sich erinnern konnte, hatte er schon immer eine panische Angst davor gehabt,

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eingeengt zu werden. Er mochte nicht mal in den Arm genommen werden. Sie zwängten die Caddies in eine einzelne Arrestzelle und nahmen ihnen Handschellen und Fußfesseln ab. Plural machte es sich in einer Ecke bequem, tupfte das Blut von der Platzwunde über seinem Auge mit dem Ärmel seines Hemdes ab; die übrigen Caddies sahen, daß er blutete, hatten vor ihm die gleiche Angst wie vor der Polizei und hielten sich so weit wie möglich von ihm fern. Als der Deputy mit dem Schlüssel zu ihm kam, lächelte Plural ihn an und sagte: »Wir werden deine Handschellen schon nicht klauen, Chef.« Ein paar Minuten später kamen sie herein, hoben Plural am Hemd hoch und brachten ihn fort. Sie behielten die Caddies fast den ganzen Tag in der Arrestzelle, holten einen nach dem anderen heraus. Train sprach mit niemandem, rührte sich nicht, um gegen sein beklommenes Gefühl anzukämpfen. Fünfzehn, zwanzig Minuten vergingen, dann schlossen die Deputies die große Tür auf, das Knallen hallte von den Wänden und der Decke wider, und sie griffen einen weiteren Festgenommenen heraus und führten ihn zum Verhör ab. Am späten Nachmittag holten sie schließlich auch Train. Zwei uniformierte Deputies führten ihn einen langen Korridor hinunter, niemand sagte ein Wort, nur die Geräusche der harten Schuhe auf dem Linoleum waren zu hören. Sie kamen an einem Raum vorbei, in dem ein Mann sagte: »Der farbige Verdächtige hat häufig eine kindliche Mentalität, was ihn allerdings nicht weniger gefährlich macht. In einem solchen Fall muß man sich auf visuelle Kommunikation verlegen. Zeig-und-sag. Bei dieser jungen Dame hier reicht es aber vielleicht schon, wenn jemand ihr die Situation erklärt …« Jemand sagte: »Yessir«, und Train sah, daß sich bei

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den Männern im Raum eine Frau befand – schlank, Kaugummi kauend und offensichtlich in Haft. Sie schoben Train durch die nächste Tür in einen kleinen Raum, in dessen nackte Betonwand ein großer Spiegel eingelassen war. An der Wand gegenüber stand ein Holztisch mit einem Papierdorn darauf, der etwa zur Hälfte mit aufgespießten Zetteln gespickt war, dann noch ein Radio und ein Berg Aktenhefter. Das alles auf einer Seite. Die andere Seite war leer. Vor beiden Seiten des Tisches standen Stühle, doch Train versuchte nicht, sich zu setzen, bevor der diensthabende Deputy hereinkam und ihn dort Platz nehmen ließ, wo er ihn haben wollte. Train bemerkte, daß es nach chinesischem Essen roch. Ganz sicher konnte Train es nicht sagen, jedenfalls schien die Hautfarbe des diensthabenden Deputy nicht ganz die richtige Nuance von Weiß zu haben. Er kam mit einem feuchtglänzenden Gesicht herein, ähnelte einem Donut, den man nicht essen wollte, und ließ sich auf seinen Stuhl fallen, als wäre alles viel zu anstrengend für ihn. Sein Gesicht hatte diese kranke Farbe, und außerdem befanden sich hier und da rosa Flecken, als hätte jemand Fliegen auf seinen Wangen erschlagen. In der Hand hielt er eine Box mit irgendeinem Nudelgericht, das er mit Stäbchen verspeiste, und nachdem er sich gesetzt hatte, schob er mit dem Ellbogen einige Aktenhefter beiseite, damit er Platz zum Essen hatte. Auf den Schränken standen weitere Behälter, die meisten weit offen, mit getrocknetem Reis und dazu Soße, während Eßstäbchen in der Ecke lagen. »Name?« Train erkannte die Stimme, der Mann aus dem Nachbarzimmer, der über farbige Verdächtige geredet hatte. An der Art, wie der Cop sprach, erkannte er, daß sich hinter dem Spiegel Leute befanden und zuschauten. Er hatte das nur zu vertraute Gefühl, daß jemand an ihm

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ein Exempel für andere statuieren wollte. Das war das Schlimmste, was sie tun konnten, an einem für andere ein Exempel zu statuieren. »Lionel Walk.« »Alter?« »Siebzehn, Sir.« »Anschrift?« Train nannte ihm die Adresse seiner Mutter. »Sozialversicherungsnummer?« »Entschuldigung?« Der Polizist schaute zu Train auf und warf dann einen kurzen Blick an ihm vorbei auf den Spiegel in der Wand. »Besitzt du eine Sozialversicherungskarte, Lionel?« »Nein, Sir, ich glaube, dafür bin ich noch zu jung.« Der Cop posierte und schüttelte den Kopf auf eine Art, als wäre dies eine Show für die Leute hinter dem Spiegel. »Du meinst also, in Amerika sei für euch alles auf lau zu bekommen, richtig?« »Nein, Sir, bislang hatte ich diesen Eindruck nicht.« Der Deputy kniff die Augen zusammen und starrte ihn lange Zeit an. Train spürte seinen Blick, und er spürte die Augen, die ihn von hinten anstarrten. »Siehst du das da drüben?« sagte der diensthabende Deputy. Train drehte sich in die Richtung, in die er zeigte. Etwas war auf dem Boden verschüttet worden. »Weißt du, was das ist?« »Sieht aus, als hätte jemand was verschüttet …« »Da hast du gottverdammt recht, etwas wurde verschüttet. Und es ist aus dem Kopf eines deiner Kollegen geschwappt.« Train rührte sich nicht, sah den Flecken an. Er war rosa, vielleicht Süßsauer-Soße. »So, ich werde dir das jetzt nur einmal sagen, mein Freund. Ich hab’ von euch Caddies bis hierher die

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Schnauze voll. Ich habe heute nachmittag mehr Lügen gehört, als ich aufschreiben könnte, und zur Krönung kommt einer von euch hier rein und beschuldigt mich, sein Portemonnaie geklaut zu haben, sein beschissenes Portemonnaie. Ein erwachsener Mann!« Er wartete einen Moment, warf wieder einen Blick zum Spiegel. »Du verstehst also, daß man da schon mal die Geduld verlieren kann, ja?« Train drehte sich wieder zu dem Deputy um und wartete, dachte keine Sekunde daran zu erklären, was für ein Portemonnaie Plural meinte. »Alles klar«, sagte er, »gehen wir das jetzt schön langsam durch. Seit wann kennst du Clarence Holmes?« Train saß still, versuchte sich zu erinnern, wo er diesen Namen schon einmal gehört hatte. Der Cop starrte ihn an, wartete. Train schüttelte den Kopf. »Du kennst ihn nicht?« »Nein, Sir.« »Du arbeitest für ihn, und du kennst ihn nicht?« »Wen?« »Ich hab’s doch gerade gesagt, Clarence Holmes.« »Sie meinen Sweet?« »Sag die Wahrheit«, sagte der Deputy, »seid ihr wirklich alle so blöd oder macht ihr das nur, um euch über uns Weiße lustig zu machen?« »Ich hab’ nie gehört, daß er anders als nur Sweet genannt wurde«, sagte Train. Der Deputy bemerkte den Unterschied in Trains Stimme. »Hat dich das wütend gemacht, Lionel«, sagte er, »als ich euch blöd genannt habe?« Train zwang sich, ruhig zu bleiben. Der diensthabende Deputy fixierte ihn, starrte ihn noch einen Moment länger an, seufzte dann und setzte das Verhör fort. »Okay«, sagte er, »seit wann bist du in Mr. Holmes’ Anstellung?«

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»Ich bin nie in seiner Anstellung gewesen«, sagte Train, und der Deputy schüttelte den Kopf und lachte. »Anstellung«, sagte er. »Das bedeutet Arbeit.« »Ich arbeite nicht für Clarence Holmes«, sagte Train. »Ich arbeite für den Brookline Country Club.« »Ach, und auf einmal kennst du also seinen Namen.« Zum ersten Mal sah Train dem Deputy jetzt direkt in die Augen. Er wußte, daß es gefährlich war, genauso gefährlich wie der Versuch, einen angriffslustigen Hund auszustarren, doch manchmal hielt man sich einen damit vom Leib. »Sie haben mir gerade seinen Namen genannt«, sagte er. Eine ganze Weile saßen sie schweigend da, dann begann der Deputy zu summen, und Train erkannte, daß er zufrieden war, wie sich alles entwickelte. Schließlich schien er Train ein oder zwei Minuten völlig vergessen zu haben und fuhrwerkte mit seinen Eßstäbchen in den Nudeln herum. Er war ein fetter Mann mit schlaffen Titten und schlechten Angewohnheiten. Sah wie ein Mann aus, der für zwei Stunden im Bad verschwinden konnte. Er wickelte eine Ladung Nudeln um die Stäbchen und beugte sich ihnen entgegen. Dann schaute er auf, Nudeln hingen von seinem Kinn, und sprach, während er noch darauf herumkaute. »Würdest du sagen, daß du und Mr. Holmes, daß ihr befreundet wart?« »Nein, Sir.« »Aber du hast mit ihm auch privat verkehrt …« »Nein, Sir, ich hab’ mit überhaupt nichts verkehrt.« Abrupt setzte der Deputy sich auf und ließ eine Hand auf den Tisch krachen, nicht weit entfernt von dem Papierdorn. »Da höre ich aber was anderes«, sagte er. »Da höre ich aber was ganz anderes.« Der Lärm erschreckte Train, und er wich auf seinem Stuhl ein Stück zurück. Train starrte den Dorn an, woraufhin der Deputy sei-

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ne Hand noch einmal auf die gleiche Stelle krachen ließ, ihm klarmachte, daß es ihm sehr ernst war. Die Aktenhefter hüpften hoch und fielen wieder herunter, und Train hüpfte mit ihnen. Der Deputy setzte ihm zu. »Also schön«, sagte er, »wie steht’s mit Arthur Tobin?« Train versuchte sich zu erinnern, ob Arthurs Familienname Tobin lautete. Er wollte nicht noch mehr Fragen falsch verstehen. »Kennst du ihn jetzt oder nicht?« »Ich kenne einen Jungen namens Arthur, aber ich weiß nicht, ob es derselbe ist.« »Großer, kräftiger Bock?« Train nickte. »Schwarz wie eine Kloake …« Train nickte wieder. Der Deputy nahm seine Stäbchen erneut in die Hand und verschob den kleinen Karton mit Nudeln. »Du treibst dich nach der Arbeit mit Arthur rum, oder?« »Nein, Sir.« Der Deputy nickte, als hätte er ihn bei einer Lüge erwischt. »Du und Arthur und Clarence, ihr seid nie mit diesem dicken Caddie runter ins Orange County gefahren, oder? Vielleicht runter zum Yachthafen oder in ein nettes weißes Viertel, um mal zu sehen, was es dort zu holen gibt?« »Welcher Caddie?« Einen Moment dachte er, der Deputy erkundigte sich nach einem der Brookline-Caddies. »Willst du mir jetzt etwa weismachen, du kennst Clarence’ Karre nicht?« »Sweet hat einen Cadillac, aber ich habe nie dringesessen.« Der Deputy machte sich eine Notiz. »Das ist deine Aussage, deine offizielle Aussage, daß du noch nie auch nur in der Nähe dieses Wagens gewesen bist?« Jetzt war überhaupt nichts mehr klar, ja oder nein.

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Gerade hieß es noch, du warst in seinem Wagen, und jetzt hieß es schon in der Nähe. Train wollte keine offizielle Aussage machen. »Weißt du, was ein Meineid ist, mein Freund?« Wieder eine Aufführung für den Spiegel. »Ich war schon in der Nähe von Sweets Auto«, sagte er. »Ich hab’ nur nie dringesessen.« »Wenn wir also deine Abdrücke im Inneren dieses Autos fänden, dann würde das bedeuten, daß du gelogen hast.« »Meine Abdrücke?« »Fingerabdrücke. Du hast doch schon mal was von Fingerabdrücken gehört …« Train versuchte sich vorzustellen, wie seine Fingerabdrücke in Sweets Auto gekommen sein könnten. Und dann erinnerte er sich an das Geld, an die Zwanzigdollarscheine, die eigentlich für Floridas Frau bestimmt waren, und da wußte er, daß sie ihn hatten. »Es gab da Geld, da waren meine Abdrücke drauf«, sagte er. »Wieviel Geld?« »Keine Ahnung. Es waren ein paar Zwanziger …« »Du verdienst so viel Geld da draußen mit dem Schleppen von Golftaschen, daß du keinen Überblick mehr hast, wieviel es war? Willst du mir das sagen?« »Ich hab’ nicht …« Der Deputy wuchtete sich hoch und beugte sich über den Tisch, alles bebte unter seiner Kleidung, und sein Gesicht nahm eine noch ungesündere Farbe an, als es ohnehin schon hatte. »Da hast du gottverdammt recht, du hast nicht«, brüllte er, Speichel flog aus seinem Mund, und dann ließ er seine Hand wieder herunterkrachen, doch diesmal schien sein Fuß unter dem Tisch auszurutschen, vielleicht auf Nudeln, und während er versuchte, sein Gleichgewicht zu halten, bohrte sich der Dorn in seine Handfläche und kam zwischen den Knöcheln wie-

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der zum Vorschein. Train rührte sich nicht, war entsetzt, und der Deputy umklammerte sein Handgelenk und starrte auf das, was da gerade eben passiert war. Er bewegte den Kopf, um es sich von oben und unten anzusehen, als könnte er nicht glauben, was er sah. Einen Augenblick lang floß überhaupt kein Blut, zumindest nicht auf der Seite, die Train sehen konnte, allmählich aber verfärbte sich der Rand der Wunde blau, dann sammelte sich ein wenig Blut um den Dorn und rollte über den Handrücken des Deputys, der ganz blaß wurde, so als hätte jemand in ihm den Stöpsel gezogen. Dann wurde er ohnmächtig. Train stand auf, um besser sehen zu können, setzte sich dann wieder hin und wartete. Dachte, es könnte ein Trick sein. Er schaute zuerst zum Spiegel, dann zur Tür. Nichts passierte, niemand kam herein. Der Deputy lag auf dem Boden, der Dorn ragte immer noch aus seiner Hand, seine Füße zuckten kaum merklich. Train stellte sich vor, wie das wohl von der Tür aus aussehen mochte, wenn die anderen Deputies schließlich hereinkamen, und schon bald, ohne es wirklich zu realisieren, stand er auf und ging hinaus. Der Korridor war leer. Am anderen Ende sah er Tageslicht. Glastüren und Tageslicht. Er ging ein paar Schritte auf das Licht zu, vorbei an dem Raum, der sich hinter dem Spiegel befand. Die Tür war geschlossen, aber es drangen Geräusche heraus, Dinge wurden gegeneinander bewegt, jemand atmete schwer, klatschende Geräusche, ließ sich die Sporen durchschütteln. Er kannte dieses Geräusch sehr gut, hörte ständig, wie seine Mutter versuchte, Mayflower nachts zu ermahnen, doch leiser zu machen. Mayflower machte die Dinge, die er tat, natürlich auf seine Weise. Wollte immer, daß Train genau wußte, wann er sein Ding in ihr hatte.

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Train verschwand durch die Glastür und war auf der Straße, bevor er das Auto sah und die Bremsen hörte. Hinter der Windschutzscheibe war ein Mann, der ihn anzubrüllen schien und sich dann auf die Hupe legte. Train geriet keine Sekunde aus dem Schritt, hastete über die Straße, hielt sich Richtung Norden und war bereits in Chinatown, bevor ihm wieder einfiel, daß er ihnen seinen Namen und seine Adresse gegeben hatte. Er nahm den Hintereingang ins Haus. Auf der Veranda vor dem Haus brannte Licht, das Haus selbst aber war dunkel. Auf der Straße warteten auch keine Wagen des Sheriff’s Department auf ihn, Nachbarn standen weder auf den Eingangsstufen noch hinter den Fenstern. Der Hund lag unter dem Tisch, und als Train das Licht anknipste, machte er dieses nette blinzelnde Gesicht und wedelte mit dem Schwanz über den Boden. Er ging zum Kühlschrank und entdeckte einen Teller mit Bratkartoffeln und etwas aufgeschnittenem Schinken. Er machte sich ein Sandwich und aß die Kartoffeln kalt, schmeckte jedoch kaum etwas von dem Essen. Ein Stück Fleisch rutschte zwischen den Brotscheiben heraus, und er hob es auf und brachte es Lucky, hielt es ihm unter die Nase, bis er wußte, was es war. Er hörte ein Geräusch, und als er sich umdrehte, lehnte Mayflower in der Tür. Bauch und Brust blähten sich über seiner Unterhose, und geistesabwesend lag eine Hand zwischen seinen Beinen. Seine Knöchel waren so groß wie Augäpfel. Eine Seite seines Gesichts war plattgedrückt vom Kopfkissen. »Also, so was«, sagte er. »Der Sträfling auf der Flucht.« Train spürte, wie ihm die kalten Kartoffeln und der Schinken wieder hochkamen. Er versuchte, alles bei sich zu behalten. »Sie waren vor ungefähr drei Stunden hier«, sagte Mayflower. »Wer?«

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Darüber mußte Mayflower leise lachen. »Der Sheriff, Mann. Was denkst du denn?« »Weswegen?« »Weswegen? Du hast einen abgestochen, hast ihnen die Adresse von deiner Mama gegeben, sie sind vorbeigekommen. So läuft’s eben. Die haben gesagt, ich soll sie sofort anrufen, wenn du auftauchst, sonst mache ich mich mitschuldig.« »Ich hab’ ihn nicht abgestochen«, sagte er. »Der Polizist hat’s selbst gemacht.« Mayflower zuckte die Achseln; ihm war’s gleichgültig, wie es passiert war. »Die sind hiergewesen, haben dein Zimmer auseinandergenommen, haben deine Mutter aufgeregt …« »Wo ist sie?« »Ich hab’ sie zu ihrer Schwester gebracht, sie wollte nicht hiersein, wenn sie wiederkommen. Sie hat die ganze Zeit geheult, als sie das Haus durchsucht haben, hat immer wieder gesagt: ›0 nein, das kann er nicht getan haben …‹« Dann fuhr er mit hoher Stimme fort, sagte: »›Mein Baby kann das nicht getan haben.‹« Er ging an Mayflower vorbei, spürte die Hitze, die der Mann abstrahlte, spürte seine Blicke und ging in sein Zimmer. Seine Matratze war vom Bett geworfen worden, alle Schubladen waren offen, seine Comics und Kleider lagen über den Boden verteilt, die Schranktür war halb ausgehängt. Seine Socken waren auseinandergezogen worden, und noch bevor er nachschaute, wußte er, daß das Geld weg war. Vierhundertsechzig Dollar. »Wahrscheinlich haben die jetzt schon eine Belohnung auf deinen Arsch ausgesetzt«, sagte Mayflower. »Sollte mal anrufen und hören, wieviel.« Train fing an, seine Sachen vom Boden aufzusammeln und wieder in die Schubladen zu legen. Er ließ sich Zeit dabei, räumte einfach nur sein Zimmer auf; er

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sah, wie enttäuscht Mayflower war, ihn nicht fix und fertig zu sehen. Er ließ sich Zeit. »Ich an deiner Stelle, Mann«, sagte Mayflower, »würde mir beim Gehen noch Hühnchenschenkel in die Taschen stopfen.« Train drehte sich nicht um. Plötzlich hatte er angefangen zu weinen. Fast achtzehn Jahre alt, und er heulte immer noch. Er konnte nichts dagegen tun. Es lag nicht nur daran, daß er Angst hatte, es war auch so verdammt traurig. Es war traurig, daß ihm Sachen passierten, wenn er überhaupt nicht damit rechnete, bevor er soweit war. Er rollte seine Socken wieder zusammen, legte sie zusammen mit seiner Unterwäsche wieder dorthin, wohin sie gehörten, und schloß die Schubladen. Dann, immer noch mit dem Rücken zu Mayflower, schob er seine Matratze wieder an ihren Platz. Er wischte sich mit den Ärmeln übers Gesicht und begann, sein Bett zu machen. »Hast du mich verstanden, Mann? Die kommen wieder …« Train ließ sich Zeit, steckte das Laken an den Ecken fest. Seine Mutter war mal Schwesternhelferin im Wadsworth Hospital gewesen, oben am Wilshire, im Veteranen-Krankenhaus. Sie hatte ihm gezeigt, wie man ein Bett macht. Sie sagte immer, in diesem Job hätte sie verstanden, daß das Krankenhaus manche Leute netter macht und andere schlimmer. Als Train aufhörte zu weinen und sicher war, daß er wieder sprechen konnte, drehte er sich um. Mayflower stand in der Tür, immer noch sein Gehänge in der Hand. Was ihn irgendwie daran erinnerte, worum es zwischen ihnen im Grunde ging. »Knast oder Straße«, sagte Mayflower, »so heißt’s doch in dem alten Lied.« Sie sahen sich eine Weile an, das Haus wechselte seinen Besitzer in diesem Zimmer, in diesem Augen-

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blick, und dann verschwand Mayflower kurz in einem anderen Zimmer und kehrte mit seinem Geldclip zurück. Seine Finger bewegten sich im Schneckentempo durch ein Dutzend Scheine – Einer –, die er Train reichte. »Wenn du deine Mutter wiedersiehst, vergiß nicht, ihr zu sagen, daß ich das gemacht hab’«, sagte er. »Sie mag es, wenn ich nett zu dir bin.« Eine Stunde später, als er die Straßen von Darktown hinunterging, die Kanalisation roch – die irgendwie nachts immer am schlimmsten stank –, laut Geschichten erzählte, weil er wissen wollte, wie sie für die Deputies klangen, wenn sie ihn erwischten, legte Train einen Zwischenstopp in einem Supermarkt ein, der die ganze Nacht geöffnet hatte und von irgendwelchen Schlitzaugen geführt wurde, die für diese Gegend zu viel zu lächeln schienen, und kaufte sich einen Traubensaft. Er nahm das Geld aus der Tasche, das Mayflower ihm gegeben hatte, und sah die aufgemalten blauen Kreise über George Washingtons Augen. Später konnte er sich nicht mehr erinnern, zurückgegangen zu sein; hatte keine Ahnung, wie er dorthin kam oder woher das Stuhlbein stammte. Es war aus Eiche oder Ahorn – irgendwas Schweres –, unten abgerundet und oben kantig. Er hatte es immer noch in der Hand, als sie ins Haus zurückkam, ihn in der Küche antraf und sah, was er getan hatte. Train verbrachte die Nacht an die kühle Glasscheibe eines Busses gedrückt, starrte von einer Endhaltestelle der Linie bis zur anderen auf die Stadt hinaus, den ganzen Weg von der Innenstadt bis zu der Stelle, wo er in Venice wendete. Die ganze Nacht stiegen Leute ein und aus, angetrunken und lachend. Am Morgen ging er wieder zur Arbeit.

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Seine Lippen bebten, als er die Zufahrt hinaufging, aber er konnte sonst nirgendwohin, und er hatte auch keine Idee, wo er sich verstecken könnte nach dem, was passiert war, und im Moment wollte er einfach nur an einem Ort sein, den er kannte. Er ging die Zufahrt entlang und hörte das vertraute Geräusch der Bewässerungsanlage. Er blieb kurz stehen und beobachtete, wie die Sonne einen Regenbogen in den Sprühnebel malte, und er roch den Duft frischgeschnittenen Grases, und alles wirkte seltsam unverändert – das quadratische, zweigeschossige weiße Gebäude, die Blumen, die Nebengebäude, der leere Parkplatz –, alles, was gestern geschehen war, war auf einmal weit weg. Er wußte nicht, was er anderes erwartet hatte, aber es war ein merkwürdiges Gefühl. Er ging weiter auf das Clubhaus zu, und allmählich drängte sich ihm der Gedanke auf, unsichtbar zu sein. Es raubte ihm den Atem, daß er trotz allem, was geschehen war, einfach wieder mit der Kulisse verschmelzen konnte, mit allem Lebenden und Toten, das heute noch genauso war wie gestern. Daß er einfach zurückkehren konnte zu einem Punkt, wie es vorher gewesen war. Unten am Caddie-Schuppen war jedoch nichts mehr wie vorher. Alles war auseinandergenommen worden, und an Sweets Schreibtisch saß ein neuer Mann, ein Weißer mit Brille, der einen Stapel Papiere durchging und Train, ohne aufzuschauen, sagte, daß jeder, der wieder zur Arbeit kommen wollte, vorher eine Bewerbung einreichen müsse. Train schaute sich im Raum um. Die Spinde lagen auf dem Boden. Ihr Inhalt war herausgefallen. Kleidungsstücke, Schirme, Sandwichs, Knochen … Die Knochen ließen ihn stutzen, allerdings nicht lange. Sie gehörten zu den Dingen in seinem Leben, die

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auch er nicht erwähnte, wenn es sonst keiner tat. Der Maschendrahtverschlag war demontiert worden, und er bemerkte, daß Sweets Billardstock zwischen dem anderen Schutt lag. Es schien, als wäre der ganze Raum auf den Kopf gestellt und einmal durchgeschüttelt worden, und dann war alles aus den Taschen auf den Boden gefallen. Train beugte sich über den Schreibtisch, um einen Blick auf die Papiere des Mannes zu werfen, versuchte herauszufinden, um was für eine Bewerbung es sich handelte. Der Mann verzog das Gesicht, als zöge ihm ein unangenehmer Geruch in die Nase. Train wich zurück und schickte sich an zu gehen, wollte nur noch hinaus, wo alles vertraut aussah. Zurück zu dem Gedanken, den er auf dem Weg die Zufahrt hinauf hatte, daß er wieder dorthin zurückkehren konnte, wo er einmal war. Der Mann deutete vage in Richtung Tür. »Lieferanteneingang«, sagte er. »Da werden die Bewerbungen angenommen.« Train folgte dem betonierten Weg zur Rückseite des Clubhauses, zum Lieferanteneingang, wo man einen Tisch aufgestellt hatte und der Club-Manager Vorstellungsgespräche führte. Die Schlange der Bewerber war zwanzig Meter lang. Der Manager trug ein hellblaues Sakko und Sonnenbrille, am Revers der Jacke steckte eine Nelke. Fast am Anfang der Schlange stand Plural in einem sauberen weißen T-Shirt, dessen Ärmel wegen seiner Schultermuskulatur jedoch irgendwie nicht richtig saßen. Plural achtete immer auf ein gepflegtes Äußeres – ein sauberes Hemd und geputzte Schuhe –, und er roch stets nach frisch gewaschener Wäsche. Die Sonne schimmerte auf seiner Haut, deren Farbe man an den Stellen unter dem Hemd durchscheinen sehen konnte, wo er zu schwitzen begonnen hatte. Train ging schnurs-

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tracks nach vorne, ohne sich der Schlange selbst zu nähern, und die anderen Männer verfolgten argwöhnisch jeden seiner Schritte, damit er nur ja nicht versuchte, sich vorzudrängen. Er war auch früher schon mit Menschen zusammengewesen, die hungrig waren, und hatte erlebt, wie sie ohne einen Grund, den man wirklich als Grund bezeichnen konnte, plötzlich gewalttätig wurden. Hatte schon genug mit ihnen zu tun gehabt, um zu wissen, daß ein Platz in einer Schlange oder ein alter Kamm, den sie an diesem Morgen fanden, oder eine auf einer Bank zurückgelassene Flasche für einige von ihnen als Vorwand genügte. Am Kopfende der Schlange stand Plural jetzt höflich mit hinter den Rücken gehaltenen Händen und größer werdenden Schweißflecken, er lächelte den Manager mit seinem rundlichen Gesicht an, obwohl der Mann ihm sagte, daß unter den gegebenen Umständen derzeit keiner der früheren Caddies in Brookline wiedereingestellt werde. »Der Vorstand vertritt die Auffassung, daß es unmöglich ist, den Weizen von der Spreu zu trennen, und hat sich daher zu einem sauberen Schnitt entschlossen«, sagte er, als wäre das eine gute Nachricht für alle Betroffenen. Plural behielt die Hände weiter höflich hinter dem Rücken und wartete, bis der Manager ausgesprochen hatte, dann sagte er: »Yessir, ich verstehe Ihren Standpunkt, aber das mit dem sauberen Schnitt, das betrifft mich nicht. Mit dem Fight hatte ich nie was am Hut.« Der Manager nahm seine Sonnenbrille ab und wiederholte, was er gerade über den Vorstand gesagt hatte, diesmal allerdings langsamer. Unter den gegenwärtigen Umständen werde keiner der früheren Caddies wiedereingestellt. Vielleicht zu einem späteren Zeitpunkt, aber nicht gegenwärtig. Plural nahm ebenfalls seine Sonnenbrille ab, zeigte ihm die selbstgenähte Augen-

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braue und beugte sich dicht zu dem Manager herunter, und dann legte er den Kopf schief, um besser sehen zu können. Jeden Zentimeter, den er näher kam, wich der Manager die gleiche Entfernung zurück. »Yessir«, sagte Plural, »ich verstehe, was Sie da sagen wollen. Aber was ich hier sage, ist, daß ich unter den gegebenen Umständen von dieser Sache von wegen wiedereinstellen nichts hören will, weil ich nämlich überhaupt nicht entlassen worden bin.« »Ich fürchte, genau davon spreche ich doch«, sagte der Mann. »Sie haben keinen Job mehr.« Er schaute hinter sich, wollte nach Hilfe rufen. Abrupt richtete Plural sich wieder auf und jagte dem Manager mit dieser Bewegung einen Schreck ein. »Der Chef hat ihn mir weggenommen?« fragte er. Der Manager nickte eifrig, erleichtert, als hätten sie einen entscheidenden Durchbruch erzielt. »Yessir«, sagte er, »ich fürchte, so ist es. Ihr Beschäftigungsverhältnis wurde aufgehoben.« Einen Augenblick stand Plural bewegungslos da, schien das alles zu verarbeiten, und dann, als er soweit war, drehte er sich einfach um und ging. Der Manager schloß einen Moment die Augen und ließ sich auf seinen Stuhl zurücksacken. Als Train ihn wieder ansah, fühlte er seinen Puls. Train holte Plural ein, wußte nicht genau, warum, außer daß er so irgendwie ein sichereres Gefühl hatte, und gemeinsam gingen sie Richtung Straße. Plural duftete wie ein sauberes Bettlaken. »Tja, manchmal läuft’s eben so, verstehst du«, sagte Plural. »Du kommst und willst dir dein Geld abholen, und der Chef hat’s eingesackt, um seine Kosten abzudekken. So läuft’s.« Er sah Train an. »Wie sieht’s bei dir aus, Lionel?« sagte er. »Sieg oder Niederlage, Mann?«

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Was Train stolpern ließ. Während der zwei Jahre seiner Anstellung hatte ihn niemand hier Lionel genannt, und außer mit sich selbst redete Plural ohnehin mit keinem Menschen. Er warf ihm einen verstohlenen Blick zu und dachte, daß man die ganze Zeit, die Plural allein im Schuppen der Caddies saß und von allen NoTank genannt wurde – in seiner Gegenwart –, eigentlich nie sagen konnte, was der Mann dachte. Die Leute gingen einfach von einem Dachschaden aus, daß er bei dem einen oder anderen Boxkampf einfach einen Schlag zuviel auf die Birne bekommen hatte. Während er sich entfernte, schaute Plural zum Clubhaus zurück. »Schätze, wegen der Sache hier werde ich wohl irgendwem die Hühner klauen müssen«, sagte er. »Seine Rechnungen kann man damit auch nicht bezahlen, aber wenigstens ist es was zu essen.« Plural lachte über seine eigenen Worte, stellte es sich irgendwie bildlich vor, und Train sah, daß er sich einen Zahn abgebrochen hatte. Train fragte sich, ob das im Gefangenentransporter passiert war, als die Deputies auf die Bremse getreten hatten. Entweder das, oder die Deputies hatten es ihm später zugefügt. Plural stieß ihm mit dem Ellbogen spielerisch in die Rippen, tat ihm weh, ohne es zu wollen. »So läuft’s doch, oder?« sagte er. »Du starrst den ganzen Morgen in den Spiegel und kannst dich nicht mehr erinnern, ob du gewonnen oder verloren hast.« Sie gingen ein Stück zusammen, und Plural redete davon, dem Chef die Hühner zu stehlen, versuchte sich zu erinnern, ob er gewonnen hatte oder verloren. Tage verstrichen, und nichts passierte. In den Minor News stand nichts über Mayflower, kein Sheriff fragte, wo er steckte. Train gelangte mehr und mehr zu dem Schluß, daß die Welt ihn offenbar in Ruhe lassen wollte. Tagsüber suchte er nach Arbeit, und nachts schlief er

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in Sugars Gym, wo Plural lebte. Schon seit vier Jahren. Mr. Sugars trug große Strohhüte und kontrollierte Trains Arme auf Einstichstellen, bevor er ihn hereinließ, und dann sagte er ihm, er sei nicht die Heilsarmee. Der Grund, warum er ihn bleiben ließ, sagte er, sei nämlich, daß er jetzt Plural nachts im Gebäude hätte, damit die Kids aus dem Viertel ihm nicht seine Boxhandschuhe und Pokale stahlen, und er hatte Train, damit der Plural daran hinderte, die Bude in Brand zu setzen. »Du rauchst doch nicht, oder?« »Nein, Sir«, sagte Train. »Davon wird mir schwindlig.« Die Boxhalle lag an der Nordgrenze von Watts, weniger als eine Meile vom Haus seiner Mutter entfernt, und manchmal spielte Train mit dem Gedanken rüberzugehen, mal vorbeizuschauen, um sie und den alten Lucky zu besuchen, aber er machte nie auch nur einen Schritt in diese Richtung. Die Wahrheit war, daß er Angst hatte, nach Hause zu gehen, Angst, daß sie ihn jetzt so ansehen könnte, wie sie ihn angesehen hatte, als sie in die Küche kam und ihn mit dem Tischbein in der Hand dort stehen sah. Meinte, auch der Hund könnte vielleicht Angst vor ihm haben. Er dachte darüber nach und kam dann wieder zu der Frage, woher er überhaupt ein Tischbein hatte, damit er nicht darüber nachdachte, weswegen sie ihn so entsetzt angestarrt hatte, als sie durch die Tür kam. Vielleicht hätte sie das Tischbein gar nicht bemerkt, hätte er es nicht fallen lassen und dadurch den Hund geweckt, der daraufhin aufjaulte und mit seinen Krallen hektisch über den Boden schrammte, als er auf die Beine kommen wollte. Train dachte, es muß ihn wohl an das Gefühl erinnert haben, als er von dem Auto angefahren und über die Straße geschleudert worden war. Aber was immer der Hund dachte, er hatte gesehen, wie etwas seiner Mutter den Hals zugeschnürt hatte, und

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er konnte es nicht ertragen, sie noch einmal so angsterfüllt zu sehen. Mittwoch nacht. Er stieg im Dunkeln die Treppe zur Boxhalle hoch, hinauf in die Hitze, und traf Plural an, der allein im Ring saß, mit dem Rücken gegen die Seilspanner, Hanf rauchend, den Darktown Standard lesend. Die Wände waren mit alten Plakaten von Boxkämpfen gepflastert, und es stank, wie es in Boxhallen eben stinkt. Train war früh aufgebrochen, in Busse gestiegen und zu verschiedenen Country Clubs gefahren. In den Bussen hatte er einen Herald Express und eine Mirror News gefunden und wieder nach einem Artikel über Mayflower gesucht, aber vergeblich. Als wäre es nie passiert. Er versuchte sich vorzustellen, was seine Mutter den Deputies erzählt haben könnte. Hübsch genug war sie ja; wenn es der richtige Beamte war, könnte er ihr glauben, daß sie gerade nach Hause gekommen war und ihn so vorgefunden hatte, vielleicht aufschreiben, daß er gleichzeitig die Spüle und die Steckdose repariert hatte. Und dann, wenn’s der richtige Beamte war, hatten sie Mayflower vielleicht einfach dort rausgeschafft, nur weil sie hübsch war, und raus in die Wüste gebracht und es dabei bewenden lassen. Train stellte sich vor, wie diese grauen Augen Nacht für Nacht die Sterne anstarrten. Er hatte kein Glück in den Country Clubs. Kein Mensch wollte einen Caddie, der noch nie zuvor als Caddie gearbeitet hatte, und als Train ihnen erzählte, daß er in Brookline gewesen war, fiel ihnen plötzlich wieder ein, daß sie im Moment überhaupt keine freien Stellen hatten. Inzwischen hatte sich der Skandal dort draußen in allen Country Clubs der Stadt herumgesprochen, bis schließlich wegen der Gerüchte sogar einige

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Mitglieder in Brookline ihre Mitgliedschaft kündigten. Wollten doch nicht, daß irgendwer auf den Gedanken kam, irgendein Caddie würde sich mit ihren Frauen ins Gebüsch schlagen. Train legte sich auf die Matte, mit der er sich auf einem Sperrholzbrett ein Bett gebaut hatte – genau wie Plural –, und stürzte sich in den gewohnten Teufelskreis an Sorgen. Es begann mit dem Hund und der Frage, was der wohl dachte, wo Train abgeblieben war. Dann machte er sich Sorgen, ob seine Mutter auch ja nicht vergaß, ihn zu füttern. Dann fragte er sich, wo sein Napf war. Train stellte sich die Szene in der Küche vor, mit Mayflower auf dem Boden, dessen Persönlichkeit aus seinem aufgeschlagenen Schädel sickerte, und es beunruhigte ihn, daß es ihm nicht gelang, in diesem Bild den Freßnapf zu finden. Er konnte Mayflower sehen; er konnte den Schmutz an seinen Fersen sehen, wie er da auf dem Boden lag, die Zigarette im Aschenbecher. Dann stellte er sich den Aschenbecher im Büro des Deputys vor, und wie der aufgespießt auf seinem Zetteldorn ausgesehen hatte. Anscheinend konnte er nur an die Unordnung in den Räumen denken, die er verließ. Was ihn zu seinem eigenen Zimmer brachte, völlig durchwühlt, als er nach Hause kam, und dann, wie das Haus aussah, als er später zurückkam, und er wußte, daß es nicht mehr sein Haus war, und dann sah er wieder seine Mutter, den Ausdruck auf ihrem Gesicht, als sie ihn aus der Tür schob. Er hörte den Riegel ins Schloß fallen und wußte, das war’s, und dann stellte er sich vor, wie sie ins Haus zurückkehrte, um sich darauf einzustellen, was da auf ihrem Küchenboden lag. Er erinnerte sich, wie der Hund aufwachte und versuchte, schnell wegzukommen, als das Stuhlbein auf den Boden knallte. Dachte vielleicht, den ganzen Rest nur zu träumen.

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Plural stand langsam auf, wusch sich das Gesicht im Waschbecken, wusch sein T-Shirt aus und kroch dann auf das Brett über Train. Er hatte dünne Waden und winzige, mißgebildete Füße, und Train sah zu, wie sie eine Weile über den Rand hingen, während er die Zeitung zu Ende las, und dann legte er sich dort oben richtig hin, und die Füße verschwanden. Plural schaltete nie das Licht aus und schlief höchstens ein oder zwei Stunden am Stück. Anfangs war er noch ruhig, aber dann begann er, sich zu wälzen und zu drehen, und kurz darauf machte er ein wieherndes Geräusch, dann dauerte es nicht mehr lange, bis er sich gegen die Wand warf, sein Gesicht dagegendrückte und nicht mehr atmen konnte. Das ließ ihn aus dem Schlaf aufschrecken, und Minuten später stand er auch schon nackt im Ring, boxte gegen unsichtbare Gegner und redete davon, Hühner zu stehlen. Train blieb still liegen und schaute zu, wie Plural der Schweiß ausbrach – er mußte schwitzen, um wieder einschlafen zu können –, und ohne etwas vom Boxsport zu verstehen, erkannte er, daß die Bewegung auf eine Weise völlig vernünftig war. So schlief Plural, stand jede Nacht zwei- oder dreimal zum Schattenboxen auf. »Tja«, sagte Plural über ihm jetzt, »wie ich sehe, haben sich drüben in den Paradise Developments zwei Jungs abgestochen.« Er klang enttäuscht, als hätte er sie schon die ganze Zeit gewarnt, daß so etwas passieren könnte. Train setzte sich auf und beugte sich aus dem Bett, bis er ein Stück von Plural sehen konnte. »Paradise?« Plural lachte leise. »O ja, die haben große Pläne da drüben.« Plurals Arm tauchte über der Bettkante auf, und er gab ihm die Zeitung, und Train bemerkte, daß seine Hände zwar klein und plump waren, aber perfekt ge-

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formt – anders als seine Füße – und zart, wie bei einem Mädchen. Train hatte den Standard schon mal gesehen. Er wurde überall in Darktown verkauft; er vermutete, wahrscheinlich auch in Watts. Normalerweise gab es auf der Titelseite einen Artikel darüber, daß ein Professor bewiesen hätte, Jesus sei ein Neger gewesen, oder ein kleines Mädchen sei direkt vor seinem eigenen Haus von einem Weißen mit seinem Lastwagen überfahren worden. Und es stand auch immer irgendwas über den Krieg darin. Ein Artikel über jemanden, der für sein Land kämpfte, versehrt nach Hause kam und keine Arbeit finden konnte. Den Bildern nach lagen mehr Farbige mit einem als mit zwei Beinen herum. Die Story über die Messerstecherei stand auf der ersten Seite. Die beiden Beteiligten, so der Artikel, waren junge Neger, Namen und Alter wurden genannt, es hieß, sie gehörten zu einer Wartungsmannschaft. Der Mann, dem Paradise Developments gehörte, sagte, er sei runter in die Scheune gegangen und hätte dort den auf dem Traktor zuerst gefunden. »Es war nur eine tragische Meinungsverschiedenheit«, sagte er. Der Reporter hieß Lutheran Hollingsworth. Bei einem flüchtigen Blick über die restliche Seite sah Train, daß der Name dieses Reporters unter jedem Artikel stand. »Die könnten da was für dich haben«, meinte Plural. »Sieht so aus, als könnten die für uns beide was haben«, antwortete Train. In letzter Zeit dachte er öfters, daß es keine schlechte Idee sei, Plural hin und wieder aus der Boxhalle herauszuholen, ihn auf andere Gedanken zu bringen als an Hühnerdiebstahl. Damit er sich nicht zu sehr daran gewöhnte, nicht mehr zu arbeiten. »Nichts für mich«, sagte er. »Mit mir kann man nur noch drinnen was anfangen.«

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Der Golfplatz war von einem hohen Maschendrahtzaun umgeben, und alle fünfzig Meter hing ein Schild. PARADISE DEVELOPMENTS MODERNE WOHNUNGEN UND GOLF NÄHERES IM BÜRO Von außerhalb des Tores konnte Train braune Stellen auf den Fairways sehen, wo die Sonne das Gras ausgedörrt hatte. Der Parkplatz war zur Hälfte gefüllt, und die meisten Autos waren nicht viel besser als überhaupt kein Auto. Nichts im Vergleich mit Brookline. Ein Lieferwagen rollte an ihm vorbei die Zufahrt hinein, fuhr mit knirschenden Reifen über Schotter und zerbrochenes Glas, hielt schließlich vor dem übergroßen Wohnwagen, der das Clubhaus zu sein schien. Train ließ sich ein paar Minuten Zeit, um sich für das Vorstellungsgespräch zu beruhigen – wartete, bis der Lieferant mit dem Leergut zu seinem Wagen zurückkehrte und wieder fuhr –, steckte sich dann das Hemd in die Hose und ging hinein. Aus der Morgensonne kommend brauchte er einen Moment, um die Leute im Inneren zu erkennen: zwei Männer standen vor der Kasse, eine Frau stand dahinter. Er hörte sie, bevor er sie erkennen konnte. Der Mann sagte, sie wollten ihr Geld zurück; die Frau versuchte, sie abzuwehren. Train hatte die eine oder andere Version genau dieser Unterhaltung jeden einzelnen Tag seines Lebens gehört. Sie war eine große, schwere Frau – größer als beide Männer –, trug schmutzige Jeans mit einem breiten Cowboygürtel und hatte einen Sonnenbrand. »Lady, wenn ich auf einer Kuhweide spielen wollte«, sagte der kleinere Mann, »wäre ich zur Farm rausgefahren.« Sein Begleiter nickte, als hätte er genau das auch gemacht. Die Frau hinter der Kasse hatte helle Augen.

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Anscheinend hatte sie vorher eine dünne, schwarze Zigarre geraucht, die jetzt auf einem Teller neben den Überresten eines Sandwichs zu Asche verqualmte. Weißbrot mit Lippenstift. Quer über das Fenster, durch das man auf den ersten Abschlag sehen konnte, zog sich ein Sprung. »Wenn der Platz wirklich so schlecht ist«, sagte die Frau, »wieso haben Sie dann achtzehn Löcher gespielt, bevor Sie sich überlegt haben, das Geld zurückzuverlangen?« Sie klang, als rauchte sie schon sehr lange Zigarren und als hätte sie ohnehin noch nie eine Sopranstimme gehabt. »Ich habe schon überall in diesem Staat gespielt«, sagte der Kleinere, »und noch nie habe ich einen Platz in einem solchen Zustand gesehen.« Sein Begleiter nickte wieder, als würde das für ihn ebenfalls gelten. Die Frau an der Kasse klaubte einen Tabakkrümel von ihrer Zunge und musterte die zwei von oben bis unten. Dann bemerkte sie Train. Eine gewisse Enttäuschung huschte über ihr Gesicht, als hätte sie etwas Besseres erwartet. »Scheiße«, sagte sie und musterte den Kleinen, »warum werden Sie dann nicht Mitglied in einem netten Country Club wie jeder andere? Soweit ich weiß, werden die wunderbar in Schuß gehalten.« Der Gast schaute sich im Wohnwagen um und sagte: »Sie haben hier selbst einen recht netten Laden, meine Liebe.« Die Frau erkannte, daß Sarkasmus seine Stärke war, und ohne ein weiteres Wort zu verlieren öffnete sie die Kasse, nahm zwei Fünfdollarscheine heraus und warf sie über die Theke. »Kommen Sie nicht wieder«, sagte sie. »Ich vergesse nie ein Gesicht.« »Aber ich mach’ jede Wette, das würden Sie gern«, sagte der Kleinere.

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»Ich hab’ mich gefragt, ob es hier vielleicht eine freie Stelle gibt«, sagte Train. Seine Stimme kam ihm immer fremd vor, wenn er um etwas bat. Es lag ihm nicht, um etwas zu bitten. »Irgendwas im Freien.« Die Frau beobachtete immer noch die Tür, durch die die Kunden gegangen waren. »Ich«, sagte sie und kratzte sich am Kopf, »könnte genauso schnell von jemandem mit einer Kanone überfallen worden sein.« Sie schrieb irgend etwas auf, hielt inne, um einen Niednagel abzubeißen, und sah dann Train an. »Das machst du doch nicht, oder?« »Nein, Ma’am, ich bin hier wegen einer freien Stelle.« Sie schrieb zu Ende und legte den Zettel in die offene Kasse. Ihre Haare waren so blond gefärbt, daß sie schon fast weiß waren. »Kannst du Traktor fahren?« fragte sie. »Ja, Ma’am.« »Du weißt, was ein Triplex ist? Auch schon mal einen von denen gefahren?« »Ja, Ma’am.« »Welche Schnitthöhe nimmt man für ein Grün?« »Kommt auf den Regen an und auf die Jahreszeit«, antwortete Train. »Normalerweise drei Achtel.« Ein Augenblick verstrich, dann kratzte die Frau sich wieder am Haaransatz, fand dort irgend etwas, schloß die Augen und zog. Sie nahm die Hand zurück und hielt eine Zecke zwischen den Fingern, die immer noch an einem kleinen Stück Kopfhaut hing. Sie hielt sie ins Licht, die Beinchen der Zecke ruderten; Train überlegte, daß sie sich wahrscheinlich fragte, warum sie sich nicht fortbewegte. Die Frau setzte die Zecke vorsichtig auf die Kante ihrer unteren Schneidezähne und biß zu. Es machte leise Plopp, und dann spuckte sie auf den Boden aus und verzog das Gesicht. »Was sagtest du noch, wo du früher gearbeitet hast?«

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fragte sie, aber sie bekam den Zeckengeschmack nicht aus dem Mund und beachtete ihn nicht wirklich. Train stockte und erstarrte, wollte nicht Brookline sagen. Plötzlich sah die Frau ihn schärfer an und sagte: »Gefängnis? Dafür bist du noch ein bißchen jung.« Er merkte, daß er ein so säuerliches Gesicht zog, als hätte er die Zecke ebenfalls in den Mund genommen. »Nein, Ma’am«, sagte Train. »Ich war noch nie im Gefängnis.« »Nein«, sagte die Frau, betrachtete ihn wieder und nickte. »Wahrscheinlich nicht. Tja, wenn du einen Traktor fahren kannst, ist es mir eigentlich egal, wo du vorher warst. Du bist doch kein Sozialist, oder? Ich frage nur, weil wir von der Sorte schon mal einen hier hatten, und das reicht. Der Junge hat sich nicht gewaschen.« Die Frau hieß Whitey Stafford, und sie ging mit steifen Beinen den Feldweg hinunter zur Scheune, wie ein Lastwagenfahrer. Sie kam Train alt vor, vielleicht vierzig, aber das war bei fülligen Frauen schwer zu sagen. Auf halbem Weg zur Scheune blieb sie stehen und rupfte ein Unkraut aus. »Laß dir von mir die Beschaffenheit des Geländes hier erklären«, sagte sie. »Erstens sollte ich dir das eigentlich alles gar nicht erzählen müssen. Zweitens, ich arbeite schon seit dem Termiten-Geschäft für Mr. Cooper, und ich weiß, wie der Mann denkt.« Train rührte sich nicht, hatte keinen Schimmer, um was es hier ging. »Cooper’s Discount Ungeziefer- und Schädlingsbekämpfung?« sagte sie. »Er hat diese Zelte über deinem Haus aufgestellt, die Insekten ausgeräuchert und damit ein Vermögen verdient, aber das ganze Ungezieferpulver hat ihn ein bißchen tüdelig gemacht, falls du verstehst, was ich meine, und dann ist eines Tages ein Mädchen von der Zeitung gekommen, das an einem Bericht über Leute mit Jobs arbeitete, die sonst

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kein Mensch machen will, und mit einem Mal hängt sie dauernd in seinem Büro herum, und dann hört Mr. Cooper auf, sich regelmäßig einmal die Woche die Haare schneiden zu lassen, und dann redet er davon, etwas Bedeutenderes aus seinem Leben machen zu wollen, als Ungeziefer abzumurksen. Ich hab’s in dem Moment kommen sehen, als sie durch die Tür kam, war dieser Künstlertyp, den alle so mögen. Ich weiß, was der Chef denkt, bevor er es selbst mitkriegt. Er hat seine zweite Frau aus dem Haus gejagt – ich war überrascht, daß man’s überhaupt merkte, falls du verstehst, was ich meine – und diese reingeholt und dann geheiratet. Sie ist Fotografin, halb so alt wie er und wahrscheinlich doppelt so schlau. Was wiederum bei näherer Betrachtung eigentlich keine Kunst ist. Jedenfalls, sie zog ein und war vielleicht ein oder zwei Wochen in seinem neuen Haus, als sie beschloß, daß sie an ihm den Tod riechen konnte, wenn er von der Arbeit nach Hause kam. Sie ist Künstlerin, und sie kann mit dem Gestank des Todes in der Nase nicht arbeiten. Also legte Mr. Cooper los und baute ihr ein Atelier – zu dem Zeitpunkt hatte sie ihren Job bei der Zeitung bereits gekündigt, um ihre Energien voll und ganz der Kunst und der Poesie und dem Geschäft zu widmen, Mr. Cooper an seinem Schwanz herumzuführen –, aber da konnte sie den Tod genauso deutlich riechen wie im Haus. Ich war damals vor acht Jahren Büroleiterin bei ihm, und ich hab’ nie irgendwas gerochen. Das Geld jedoch hat sie nicht gestört. Sie hat nie was davon gesagt, daß mit dem Geruch von Geld was nicht in Ordnung war. Und ehe ich mich versehe, hat Mr. Cooper die Firma an so einen Chinesen verkauft, seine Arbeitskleidung der Heilsarmee gespendet und angefangen, Golf zu spielen. Als ob ich für einen Chinesen arbeite. Und natürlich

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dauert’s nicht lange, da ist er es leid, den Leuten zu erzählen, daß er früher der König der Kammerjäger in Südkalifornien war, und fängt an, sich nach einer anderen Beschäftigung umzusehen, und dann kommt ihm die Idee, ein Golfplatz. Aber nicht einfach nur ein Golfplatz, er will Luxusimmobilien drum herum bauen. Er dachte, das würde ihr auch gefallen, wo doch Golf vom gesellschaftlichen Ansehen her am oberen Ende der Skala liegt, während die Schädlingsbekämpfung ganz unten anzusiedeln ist.« Sie näherten sich der Scheune, und Train fing an, Flaschen und Pappbecher vom Boden aufzuheben. Sie ging vor, schien nichts davon zu bemerken. »Und sie sagte: ›Du meinst so was wie ein Country Club? Reiche, alte Republikaner?‹ Und er dachte darüber nach, soweit er mit seinem Schwanz in ihrem Mund überhaupt in der Lage war zu denken – du entschuldigst meine drastischen Worte –, und beschloß, ein integratives Projekt zu entwickeln. Wohnen auf dem Golfplatz, er nennt es die ultimative Idee.« Sie blieb stehen, ein wenig außer Atem, und bemerkte, daß Train den ganzen Arm voll Müll hatte. »Ich rede zuviel«, sagte sie wieder. »Alles klar«, sagte sie, »angefangen haben sie da drinnen, in der Scheune. Sie hat sie posieren lassen. Erwachsene Männer, einer mit Ehefrau und einem zurückgebliebenen Kind. Er war der Head-Greenkeeper, Don Lance Peters; der andere war Freddy Short. Freddy war der Sozialist. Sie mußten sich die Hemden ausziehen, sie fragte, wie sie entschieden, wer der Chef war und wer der Assistent. Mehr mußte der dritte Junge dort nicht hören. Dieser Junge hieß Lester, ein guter Junge, aber wenn du ihm sagst, er soll ein Loch graben, dann mußt du irgendwann wieder hingehen und ihm sagen, er

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soll wieder aufhören, wenn du verstehst, was ich meine.« Die Frau trug an ihrem Gürtel einen Schlüsselring, an dem sie jetzt den passenden Schlüssel für das Vorhängeschloß des Scheunentors suchte. »Ein paar Minuten später fingen sie an, sich zu prügeln«, fuhr sie fort, »und dann hob einer von ihnen einen Schraubenzieher auf, der andere schnappte sich ein Messer von der Mähmaschine, und der erste griff sich eine Sichel, dann nahm sich der andere etwas, wovon ich nicht mal weiß, wie man das Scheißding nennt, und so kamen sie dann den Berg rauf, munter aufeinander einstechend und hakkend, raus bis auf die Straße.« Sie blickte in die Richtung, in die sich der Kampf verlagert hatte. »Die älteste Geschichte der Welt«, sagte sie. Train nickte; das alles machte genauso viel Sinn wie Zecken zu essen. Sie probierte es mit einem Schlüssel nach dem anderen, schien sie willkürlich herauszugreifen, und er hatte den Eindruck, als probierte sie es immer wieder mit demselben. »Und weißt du, was sie gemacht hat? Sie hat Fotos geschossen. Ist ihnen mit ihrer Kamera den Berg rauf gefolgt. Klick, klick, klick. Hätte noch gefehlt, daß sie verlangt hätte, daß die Kampfhähne lächeln sollten. Am Ende liegt Freddy Short auf der Straße, und Don Lance Peters kehrt zur Scheune zurück, steigt auf den Traktor und verblutet. Verstehst du, was ich meine? Ein Mann lernt, wie er Ungeziefer umbringt, und dann bildet er sich ein zu wissen, wo der Hase lang läuft. So sind sie. Wenn sie erst mal den Geschmack des Erfolges gekostet haben, lassen sie sich nichts mehr sagen.« Jetzt sah sie ihn an, wartete auf irgendeine Reaktion. »Also, ich kümmere mich einfach um meinen eigenen Kram«, sagte er.

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Sie starrte ihn noch eine Weile an, versuchte zu erkennen, ob er sie beleidigen wollte. Er sah, daß sie es so auffassen würde, war aber auch klug genug, nicht zu versuchen, es zu erklären, weil er wußte, daß er damit alles nur noch schlimmer machen würde. Sie fixierte ihn noch eine Weile, dann zuckte sie mit den Achseln. »Ich hab’ dich gewarnt, ich schwätze viel«, sagte sie. Und dann, immer noch auf der Suche nach dem richtigen Schlüssel, sagte sie: »Im Moment sieht’s hier aus wie in Mexiko. In den Bunkern wächst das Unkraut, die Löcher der Grüns sind schon nicht mehr gestochen worden, seit wir hier sind. Bei den Baugrundstücken stehen keine Bäume mehr. Außerdem haben wir Heuschrecken und Wespennester auf dem Gelände. Der berühmte Ungezieferkiller schafft’s nicht mal, das Ungeziefer von seinem eigenen Golfplatz fernzuhalten. Die ersten vier Leute, die ihr Geld wiederhaben wollten, sind von Hornissen angegriffen worden – hatte ich dir das schon erzählt? Ich hab’s Mr. Cooper gesagt, und nach all den Jahren glotzt er mich an, als wäre ich eine riesige Enttäuschung oder als ob’s vielleicht gar nicht stimmt. Er vertraut keinem außer seiner süßen kleinen Fotografin. Eins kam zum anderen«, fuhr sie fort, nestelte immer wieder an den gleichen Schlüsseln, »seit wir das Gelände gekauft haben. Polizei, Anwälte, Rückerstattungen, unzufriedene Kunden, Genehmigungsprobleme, Ermittler, Versicherungsleute, Reporter. Jeder, den du dir auf der Welt vorstellen kannst, mit dem du ganz sicher nicht reden willst, ist vor unserer Tür aufgetaucht. Aber das Gras wächst weiter, wartet auf niemanden. Ich hätte Lester auf den Mäher gesetzt, aber weiß Gott, wahrscheinlich hätte er erst wieder in Nevada angehalten.« Dann fand sie endlich den Schlüssel für das Vorhängeschloß, und sie traten in die Scheune. Train ging zum Traktor hinüber, einem alten, verrosteten John Deere

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mit riesigen Eisenrädern, senkrecht stehendem Auspuff und einem Stuhlkissen als Sitz, und zog sich hinauf. Sie beobachtete ihn von unten. Train verharrte einen Moment, als er auf Höhe des Sitzes war, erkannte, daß sich genau hier derjenige, der es zurück bis zur Scheune geschafft hatte, hingesetzt hatte, um zu sterben. Er trat hinüber und ließ sich trotzdem dort nieder. Er trug eine braune Hose von JC Penny & Co., die beste Hose, die er besaß, aber er wollte nicht, daß die Frau dachte, er hätte Angst davor, sich die Hose schmutzig zu machen. Hielt es nicht für angebracht, sie auf dem falschen Fuß zu erwischen, sofern man nicht mit dem Chef verheiratet war. »Anständige Bezahlung für anständige Arbeit«, sagte sie, »das ist das Motto des Chefs.« Ein Stück von einem Schmetterlingsflügel klebte am Rad des Traktors, und sie klaubte es ab, kostete es und spuckte es dann wieder aus. Dann warf sie ihm einen kurzen Blick zu, anders irgendwie. »Das, und behalt dein Hemd an, wenn Mrs. Cooper in der Nähe ist.« Und als sie wieder ausspuckte, hatte es etwas mit der neuen Frau zu tun. Als hätte Whitey womöglich selbst Interesse an Mr. Cooper, trotz allem, was sie über ihn gesagt hatte. Train ließ sich einen Moment Zeit, sah sich die Instrumente an, zog dann den Choke und ließ die Maschine an. Es war heiß auf dem Platz, es gab keinen Schatten, und der alte Traktor vibrierte stark, selbst wenn er über die Fairways fuhr, und Qualm stieg aus einem Loch im Auspufftopf direkt in sein Gesicht. Überhaupt kein Vergleich zu den Traktoren, die sie in Brookline hatten, und auch die Fairways hielten keinem Vergleich stand. Es gab hier keine großen Bäume, nur einen Teich am neunten, am fünften und am sechzehnten Loch, und Steine in

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den Bunkern. Die Grüns waren vertrocknet, das Gras war krank, und an einem Dutzend Stellen war der Zaun um das Gelände eingerissen. Die Parzellen, die für die Häuser freigeräumt worden waren, erinnerten an Schorf. Er sah eine Stelle, an der Obdachlose oder Jugendliche ein Feuer gemacht und Bier getrunken hatten. Wenn er wendete, flog ihm eine Wolke aus trockenem Gras und Staub ins Gesicht, und er roch Heuschreckensaft und sah Eidechsen und Schlangen, wohin er auch schaute. Einmal schaltete er ohne besonderen Grund den Motor aus und ließ den Traktor ein paar Meter ausrollen, lauschte auf die Heuschrecken und das trockene metallische Geräusch der Mäherklingen. Dann war es still, und er saß bewegungslos da, schaute zu der eine halbe Meile zurückliegenden Scheune, und alles, was er sah, machte ihn glücklich, einschließlich der Geier, die neben dem vierzehnten Grün in den Überresten eines Eselhasen stocherten. Er wußte weder, welchen Lohn er für den Job bekam, noch, ob mehr dazugehörte, als mit den Maschinen zu fahren und das Hemd anzubehalten, wenn Mr. Coopers neue Frau in der Nähe war, aber es war ein gutes Gefühl, wieder etwas zu haben, etwas Eigenes. In der Spätnachmittagshitze machte er Schluß, fuhr in die Scheune und stellte den Traktor ab. Er verbrachte eine Stunde damit, die Mäherklingen zu reinigen und zu schärfen, und füllte zwei Liter Motoröl nach. Dann wusch er das Kissen aus, auf dem er gesessen hatte, und legte es zum Trocknen nach draußen. Die Hose klebte an seinem Hinterteil, und als er sie von der Haut abzog, sah er, daß sie blutbefleckt war. Er brauchte einen Augenblick, um zu erkennen, was passiert war, daß er auf dem Sitz geschwitzt haben mußte. Als er die Scheune schließlich verließ, war das Büro bereits geschlossen und das Tor zur Straße verriegelt. Er

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kletterte über den Zaun, um hinauszukommen, und erwischte den Bus, war sich der Flecken auf seiner Hose nur zu bewußt und machte sich Sorgen, daß ihn ein hübsches Mädchen sehen und denken könnte, er gehöre zu der Sorte Jungs, die irgendwo eine Blutlache sahen und sich absichtlich hineinsetzten. Daß sie, wer immer sie war, ihn ansehen und dann denken würde, daß dieses Leben ihn ebenfalls tüdelig gemacht hatte.

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5 PARADISE DEVELOPMENTS

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RAIN WAR ALLEIN IN DER SCHEUNE, als sie mit ihren Kameras um den Hals hereinkam. Er aß gerade zu Mittag. Sie hatte glattes, braunes Haar, das sie zu Zöpfen geflochten hatte, um wie ein kleines Mädchen auszusehen. Sie trug ein T-Shirt, die Riemen der Kameras hingen über ihrer Brust, und sie war kein kleines Mädchen. Abgesehen davon konnte er nicht sagen, ob sie hübsch war oder nicht. Sie blieb stehen, als sie ihn sah, als wäre sie überrascht, setzte sich im Schneidersitz auf den Boden und schaute ihm beim Essen zu. Seltsam. Train bemerkte, daß sein Sandwich seinen Geschmack verloren hatte. Nach einer Weile schaute sie zu den schweren Kieferbalken auf, die über die gesamte Länge der Scheune verliefen. Schwalben- und Wespennester, Seile, Traktorreifen, ein Flaschenzug – alles sah aus, als wäre es auch schon vor hundert Jahren dort gewesen. Unterhalb der Decke befanden sich mit Spinnweben überzogene Fenster in den Wänden, die dem Raum das meiste Licht lieferten. Ihre Augen kehrten zu Train zurück. Sie ertappte ihn, wie er sie ansah. »Ist schon in Ordnung, wenn du mich ansehen möchtest«, sagte sie. »Ja, Ma’am«, sagte er, »danke.« Er begann, höflich zu lächeln, doch dann blieb sein Blick auf den Kamerariemen hängen, und einen langen Augenblick konnte er

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sein Gesicht nicht mehr bewegen. Seine Wangen waren erstarrt. Er bekam sich wieder in den Griff und schaute fort, zur Tür. Sie lachte ein Filmstarlachen, lenkte seine Aufmerksamkeit wieder auf sich. »Immerhin«, sagte sie, »sehe ich dich auch an.« Train nickte und wandte den Blick dann wieder in eine andere Richtung. Er hörte, wie sie ein oder zwei Fotos machte. »Ich vermute, inzwischen hat Whitey dir die Geschichten erzählt«, sagte sie. »Dies und das«, antwortete er. »Geht mich alles nichts an …« »Ich meine, was passiert ist.« Es war wieder still, und er nickte, schließlich sagte sie mit leiserer Stimme, als ob sie ihm ein Geheimnis erzählte: »Es war erstaunlich.« Jetzt sah er sie an, genau in die Kamera, um zu erfahren, was sie meinte. »Man konnte den Haß förmlich schmecken, der sich zwischen diesen beiden Männer aufgebaut hatte, sobald man hereinkam. Es muß schon seit Jahren so gegangen sein, jeden Tag miteinander zu arbeiten, sich gegenseitig die Schuld daran gebend, wie die Weißen sie ihr ganzes Leben lang behandelt hatten, sie sahen sich an, sie rochen sich, und urplötzlich war es da, wie aus heiterem Himmel …« Sie schien aufgeregt, als könnte es jeden Moment wieder passieren. »Ich kenne die Herren nicht persönlich«, sagte er. »Du weißt, wovon ich rede«, sagte sie, aber er wußte es nicht. Sie beugte sich vor und spielte mit der Brennweite, und er bemerkte das Wort Nikon über dem Objektiv. Sie sah ihn durch die Kamera an, während sie das Objektiv vor- und zurückdrehte. Es erinnerte ihn an die Art und Weise, wie ein Kind seine Stirn an die seines Gegenübers drückt, um herauszufinden, wie man aus der Nähe aussieht.

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»Ein intelligentes Gesicht«, sagte sie, als spreche sie zu jemand anderem, »nicht direkt hübsch, aber sehr ausdrucksstark. Viel Ausdruck in den Augen.« Und dann klickte der Verschluß ein Dutzend Mal, und sie senkte die Kamera wieder. »Augen erzählen ihre eigene Geschichte«, sagte sie, »das habe ich gelernt.« Und dann beugte sie sich vor, kniff die Augen zusammen und starrte ziemlich lange Trains Augen an, als warte sie darauf, daß sie irgend etwas Ungewöhnliches machten. Train wickelte den Rest seines Sandwichs wieder in das Wachspapier und legte es für später fort. »Ich heiße susan«, sagte sie, »kein großes S. Einfach nur susan.« Train nickte. Von seinen häufigen Unterhaltungen mit Whitey wußte er, daß das Mädchen die Nachnamen gestrichen hatte, als sie Mr. Cooper heiratete, aber er wußte nicht, daß sie die Großbuchstaben auch gestrichen hatte. »Und du bist …« »Ich bin Lionel Walk«, sagte er. Sie hob die andere Kamera und spielte mit der Schärfe. »Und was macht Lionel Walk hier so?« Sie redete, als sei zwischen ihnen alles möglich, und er spürte, daß ihre Stimme die Spinne weckte; etwas erschütterte das Netz. »Dies und das. Ich arbeite bloß für Mr. Cooper, wie jeder andere.« Sie verzog das Gesicht bei dem Namen, und dann schoß sie weitere Fotos, schneller hintereinander, der Schlitzverschluß wurde alle paar Sekunden ausgelöst. »Was zahlt Cooper dir?« fragte sie. Und dann, bevor er antworten konnte, sagte sie: »Nein, warte, laß mich raten. Drei Dollar den Tag.« Darauf gab Train keine Antwort. Mr. Cooper verlangte, niemandem zu erzählen, was man verdiente. Sie spreizte die Beine weiter auseinander, als wolle sie bes-

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seren Halt finden, und sagte: »Erzähl mir eine Geschichte, darüber, was du hier machst.« Train sah, wie sie dort saß, und legte den Handballen auf seine Tasche, um die Erektion wegzudrücken, dachte nicht daran, daß sie ihn durch die Kamera beobachtete. Dann fiel es ihm wieder ein, und je verlegener er wurde, desto schneller schoß sie ihre Fotos. »Da gibt’s nicht viel zu erzählen«, sagte er. »Es muß doch mehr als das hier sein«, sagte sie und senkte die Kamera. Sie schaute sich in der Scheune um. »Das ist so langweilig …« Train zuckte die Achseln. »Wir beide sind hier«, sagte er, und sie lächelte darüber, als sei es die intelligenteste Bemerkung, die sie in diesem Monat gehört hatte. »Hast du eine Freundin?« fragte sie, und die Erektion kroch in seiner Hose nach oben. Er konnte genausogut versuchen, den aufgehenden Mond runterzudrücken. Sie fing wieder mit ihren Fotos an. »Entschuldigen Sie mich, Ma’am«, sagte Train und stand auf, um zu gehen. »Entschuldigen Sie mich, aber ich muß eine Maschine auf der elften Bahn reparieren.« Und darüber lachte sie wieder; sie sah deutlich, warum er gehen mußte. »Ich muß jetzt los und mich drum kümmern«, sagte er, »bevor sie noch jemand zurück zur Scheune fährt und Öl über den ganzen Platz verteilt.« Dachte, wenn er das noch hinzufügte, würde es wahrscheinlicher klingen. Dann ging er leicht seitlich gedreht an ihr vorbei, versteckte sich vor ihr und war auch schon draußen in der Hitze. So fing es an mit susan, kein großes S. Freitag war Zahltag. Mr. Cooper kam jede Woche am späten Nachmittag vorbei, um sich die Quittungen anzusehen und persönlich das Geld zu verteilen. Er trug Jeans, Hemd und Krawatte – vielleicht, um sowohl seine Frau als auch seinen Banker glücklich zu machen –

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und rauchte ständig, drehte nervös die Zigarette zwischen seinen Fingern wie das Zahlenschloß des Safes. Er hustete, wenn er zu sprechen begann, so oft, daß er selbst es gar nicht zu bemerken schien, zog einfach nur sein Taschentuch heraus und wartete, bis es aufhörte, und dann spuckte er, was immer hochkam, in das Taschentuch, sah sich kurz um, faltete es wieder zusammen und machte mit seinen Geschäften weiter. Die Mannschaft bestand inzwischen aus sieben Angestellten, was einer oder zwei weniger war, als sie benötigten, und Mr. Cooper sah ihnen immer in die Augen, wenn er sie auszahlte, und achtete darauf, sich nach ihrer Mutter oder Ehefrau zu erkundigen oder wie sie in der Schule klarkamen. Mußte wohl einer der Grundsätze der Schädlingsbekämpfung gewesen sein, allerdings hörte er den Antworten nie wirklich zu. Train wußte, daß Mr. Cooper es gern hatte, wenn man ihm ebenfalls in die Augen sah, aber wegen seiner Gedanken über dessen Frau hatte er damit so seine Probleme. Manchmal begleitete susan Mr. Cooper am Freitag abend und blieb draußen im Wagen sitzen, aber inzwischen hatte sie alle Fotos von diesem Ort, die sie wollte, arbeitete nun in der Dunkelkammer an ihrer nächsten Ausstellung und kam nicht mehr mit herein. Einmal hörte Train, wie sie zu Mr. Cooper sagte, daß ihr der Geruch in dem Wohnwagen mit all den schwitzenden Menschen nicht gefiel. Sagte, sie könne den Geruch der Crew nicht ausstehen. Inzwischen war sie auch mehrere Male wieder runter zur Scheune gekommen und hatte noch mehr Fotos von Train gemacht, und dann eines Tages setzte sie ein verdutztes Gesicht auf und fragte, ob er ihr einen Gefallen tun, ob er für sie ohne Schuhe posieren würde. Und das machte er; dann fragte sie, ob er sein Hemd ausziehen und mit der Abschleppkette um den Hals Modell stehen

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könnte. Und dann fragte sie, was sie denn für ihn tun könne, wo er doch das alles für sie getan hatte, und als er nichts antwortete, tat sie es einfach. Nahm ihn in ihre Hand. So ging es weiter, drei- oder viermal in der Woche, den ganzen Monat, immer in ihrer Hand, manchmal mit ihrem Mund dicht an seinem Ohr. Ließ sich von ihm aber niemals berühren. Einmal fuhr sie anschließend mit ihren Fingern über seine Lippen, die Augen weit geöffnet, ihn beobachtend, wartend. »Jetzt weißt du, wie du schmeckst«, sagte sie. Eines Tages sagte sie: »Ist ein bißchen langweilig, findest du nicht auch?« Als gebe es noch etwas, das er tun sollte. Er wußte nicht, was das sein könnte, und er wußte auch nicht, ob es höflich war zu fragen; erst war sie enttäuscht – das sah er sofort –, dann war sie wütend, und wann immer er danach an ihr vorbeikam, sah sie auf eine Weise durch ihn durch, die ihn an die Mitglieder von Brookline erinnerte – so interessiert war sie jetzt noch. Nach einer Weile dachte er, sie hätte vielleicht sogar schon vergessen, welcher der Angestellten er war. Trotz seines intelligenten Gesichts war sie kein Mädchen, das großen Wert darauf legte, sich sämtliche Namen des Personals zu merken. Das Geld steckte immer in gelben Umschlägen, und Mr. Cooper wartete, bis alle im Trailer waren, und sprach dann seine Warnung aus, daß Angestellte nicht über ihren Lohn reden durften. Das machte er jeden Freitag. Anschließend erzählte er ihnen wieder von der großen Idee: harmonisches Miteinander der Rassen in der Zukunft, und daß alles anfangen würde mit dem Zustand des Golfplatzes, wenn die Kaufinteressenten herauskamen, um sich umzusehen. Jeder einzelne der

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für den Platz verantwortlichen Mannschaft wäre sein Botschafter. Der Raum war voll und warm, die Leute schwitzten und brannten darauf, ins Wochenende entlassen zu werden. Manche tranken Wein neben dem Radio, andere verfolgten ein Dominospiel in der Ecke. Plötzlich schaute Mr. Cooper auf, und Whitey mußte Lester bitten, das verdammte Radio auszuschalten, alle warteten, und Mr. Cooper begann, die Umschläge auszuteilen, sah noch mal in jeden einzelnen hinein, bevor er ihn aus der Hand gab. Die Umschläge wurden nach dem Alphabet verteilt, und als er zu Lionel Walk kam, waren nur noch Train und er im Raum. Es machte Train nervös, mit dem Chef allein zu sein, während seine Frau draußen im Wagen saß. Train hatte immer Angst, daß der Chef etwas sagen würde, was er nicht hören wollte. Es beunruhigte ihn, außerdem versuchte der Chef irgendwie, Train näher zu kommen, als er war. Mr. Cooper öffnete seinen Umschlag – wie er es mit allen anderen zuvor auch getan hatte –, ließ das Geld halb herausgleiten, trennte die Scheine mit der Spitze seines Bleistifts, um sicherzugehen, daß alles stimmte. Dann schob er das Geld zurück und musterte Train. Am Lärm von draußen erkannte Train, daß der Verkehr auf der Straße zugenommen hatte, und er wollte gehen, bevor sich die Busse mit Betrunkenen füllten. Freitags war es anstrengend, mit dem Bus zu fahren; irgendwer schlief immer an seiner Schulter ein, und manchmal schob auch jemand eine Hand in seine Tasche. Aber Mr. Cooper war noch nicht soweit, ihn zu entlassen. Er nahm seine Lesebrille ab und sagte: »Mir ist aufgefallen, daß wir in letzter Zeit ziemlich viel Sprit verbrauchen.« »Davon weiß ich nichts«, sagte Train.

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Mr. Cooper zuckte die Achseln. »Die letzten paar Monate haben wir einen Mehrverbrauch von fast 200 Litern.« »Davon weiß ich nichts«, wiederholte Train. »Du drehst doch keine Extrarunde mit dem Traktor, oder?« »Der Traktor läuft an sechs Tagen die Woche, genau wie immer. Außer wenn’s regnet, dann nicht. Ich brauche mehr Öl, das ist alles.« »Und dir ist nichts Widriges aufgefallen?« fragte der alte Mann. »Widrig was?« »Dieses Wort bedeutet soviel wie ungewöhnlich, unpassend.« Train begann zu befürchten, Mr. Cooper könnte etwas davon gehört haben, was seine neue Frau in der Scheune getan hatte. Aber das war es nicht. »Widrig … Du hast niemanden bemerkt, der nachts mit seinem Wagen zur Scheune gefahren ist, oder am frühen Morgen?« Train antwortete nicht, aber wenn sie schlossen, hatte er Whitey schon dort unten mit ihrem Chevy-Pick-up gesehen. »Nein, Sir«, sagte er. »Nichts in der Richtung.« Mr. Cooper nahm drei Dollarscheine aus seiner eigenen Tasche und legte sie neben Trains Umschlag. Drei Dollar, das Geld für einen Tag Arbeit. »Ich habe dich beobachtet«, sagte er. »Du wirst es noch zu etwas bringen.« »Yessir, danke, Sir.« Er nahm den Umschlag und steckte ihn in seine Hemdtasche. Mr. Cooper nahm die drei Scheine und steckte sie dazu. »Wie nennen dich alle? Train?« »Yessir, die meisten.« Mr. Cooper lächelte. »Lionel Train … sehr gut.« Train lächelte ebenfalls. Blitzschnell drehte Mr. Cooper

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sich um, als wäre Trains Lächeln für ihn das Zeichen gewesen, Schluß zu machen. »Nun, eines Tages, mein Sohn«, sagte er, »später, wenn du dich selbständig gemacht hast, wirst du vielleicht feststellen, daß die Leute dich bestehlen, gleichgültig, wie gut du sie behandelst. Wenn du es zuläßt, wirst du bestohlen. Das ist der Fluch des Mittelstandes.« Es hatte den Anschein, als würde er jetzt wie alte Leute reden, Geschichten von früher erzählen. »Vermutlich«, sagte Train, der nichts anderes wollte als raus aus diesem verfluchten Raum. »Ich habe einmal einen Vorarbeiter verloren«, sagte Mr. Cooper, »einen Mann, den ich fünfzehn Jahre lang kannte. Er ging nachts in ein Haus, das wir zum Ausräuchern versiegelt hatten – er wollte dort Schmuck herausholen –, und am nächsten Tag fanden wir ihn im Schlafzimmer der Dame des Hauses. Wie sich herausstellte, hatte er bereits die ganze Zeit gestohlen, direkt vor meiner Nase, und das Gift hatte ihm Lunge und Herz geschwächt. Und in dieser letzten Nacht war er zu schwach, um es wieder hinaus zu schaffen.« Mr. Cooper hatte einen langen Hustenanfall und steckte sich dann eine Zigarette an. »Und auf eine Art«, sagte er, »nehme ich an, habe ich zugelassen, daß es passiert.« Er beugte sich vor und spuckte zwischen seine Füße. »Wenn dieser Mann heute hier wäre«, sagte er, »würde ich sagen, er solle sich setzen, ich würde ihm ein kaltes Bier ausgeben, und weißt du, was ich ihn dann fragen würde?« »Nein, Sir.« »Ich würde ihn fragen, wozu? Er wurde gut bezahlt, gut behandelt. Was hat ihn dazu gebracht zu stehlen?« Train war nicht sicher, ob Mr. Cooper jetzt mit ihm oder Whitey oder dem toten Vorarbeiter sprach. Wieder schoß ihm susan durch den Kopf. Er glaubte nicht, daß

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man sagen konnte, er hätte dort etwas genommen, obwohl er, wie Mr. Cooper, zugeben mußte, daß er zugelassen hatte, daß es passierte. Mr. Cooper beantwortete seine Frage selbst. »Er würde es mir nicht sagen können«, sagte er, »nur, daß es in der Natur des Menschen liegt. Ein durch und durch guter Mann, ohne jeden Grund gestorben. Wenn man es schafft, daß ein Mensch ehrlich bleibt, dann tut man allen einen Gefallen.« Er klopfte auf Trains Brusttasche und ließ seine Hand eine Sekunde dort liegen, Train spürte ihre Wärme. »Im Geschäftsleben gibt es nichts Kostbareres«, sagte er, »als einen Mann, dem man vertrauen kann.« Als er zur Straße ging, warf Train einen kurzen Blick zum Auto, in dem die neue Frau bei geöffneter Tür saß, rauchte und darauf wartete, daß Mr. Cooper mit der Lohnzahlung fertig wurde. Sie sah ihn einen langen Augenblick an, den Mund immer noch geöffnet hinter einem Schal aus Rauch, als hätte sie gerade etwas gedacht, das sie überraschte, und dann lächelte sie und schlug die Beine übereinander, denn sie langweilte sich und beobachtete, wie der Mond in seiner Hose aufging. Der Bus hatte Verspätung, war vollgepackt wie ein Picknickkorb. Train stieg ein und stand im Gang, hielt sich an einer Schlaufe über seinem Kopf fest. Einen Block weiter hielt der Bus wieder an. Weitere Leute stiegen ein; niemand stieg aus. Eine Frau stolperte von hinten gegen ihn, und Train berührte sein Hemd, um sich zu vergewissern, daß der Umschlag immer noch in seiner Tasche steckte. Er spürte die Schweißperlen von seinen Achseln über den Brustkorb rollen und kämpfte gegen die aufkeimende Platzangst an. Er schloß die Augen, dachte an andere Dinge. Essen – das Essen bei seiner Mutter –, der Duft von kochendem Hähnchen, wie sich der Kopf des alten Lucky unter

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seiner Hand anfühlte. Mr. Coopers neue Frau, die ihn durch den Rauchschleier ansah, wie sie ihn angeschaut hatte und die Beine übereinanderschlug. Mr. Coopers Hand auf seiner Brusttasche. Der Bus hielt an und fuhr weiter, fuhr und hielt an, dann drängte Train sich plötzlich durch, egal, in welchem Viertel er gerade war, schließlich war er wieder draußen und blieb einen Moment bewegungslos auf der Straße stehen, atmete die frische, kühle Luft ein. Er hörte, wie die Bremse gelöst wurde und der Bus sich in Bewegung setzte, und er schaute auf und sah eine blinde Dame, eingerahmt vom schwachen Licht des Fensters. Ihre Augen waren milchig, und sie schaute einfach durch ihn hindurch, als wüßte sie, daß er dort war, und versuchte nun, ihn zu finden. Train wandte sich von ihrem Gesicht ab und lief los. Er ging recht lange – manchmal auf dem Bürgersteig, manchmal draußen auf der Straße, dem Verkehr ausweichend – den weiten Weg zum Golfplatz zurück, doch als er dort ankam, war das Tor bereits verriegelt, und Mr. Coopers Wagen war fort. Er wußte, nun war es zu spät, ihm seine drei Dollar zurückzugeben und zu sagen, daß er nicht Ausschau halten wollte nach jemandem, der sein Benzin stahl. Daß er nicht derjenige sein wollte, der aufpaßte. Er setzte sich und lehnte sich an den Zaun, schweißgebadet, erschöpft, und versuchte herauszufinden, was er da gerade machte, warum er Todesängste ausstand und an einem Freitagabend wegen einer blinden Frau hinter einem Busfenster eine Meile durch den Verkehr lief. Mr. Coopers neue Frau kam noch einmal zur Scheune runter. Es war an einem Dienstagnachmittag, und vom Fenster aus war die Sonne bereits nicht mehr zu sehen,

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legte in den letzten Minuten, bevor sie endgültig unterging, eine merkwürdige Farbe über alles. Train lag ausgestreckt auf dem Boden, arbeitete an den Mäherklingen. Irgendwer hatte nachts ein Stück Stacheldraht über den Zaun geworfen, vielleicht zweieinhalb, drei Meter lang, und am Morgen war Lester mit dem Mäher darübergefahren. Train lag mit zwei Kombizangen auf dem Boden und schnitt den Draht weg. Lester saß auf einem Benzinfaß in der Ecke und beobachtete ihn bei der Arbeit. Mit einer Scheißangst. Das restliche Personal war längst fort. Lester durfte den Traktor nicht fahren, und nun hatte er Angst, Mr. Cooper würde ihn feuern, falls er erfuhr, was er getan hatte. Er heulte, als er zurückkam und Train suchte, um ihm zu erzählen, was passiert war, und er saß immer noch heulend da, als Whitey später herunterkam, um nachzusehen, warum zum Teufel kein Mensch auf dem Platz war und mähte. Train sagte ihr, der Traktor sei kaputt, und er müsse eine Dichtung reparieren. Inzwischen wußten sie beide, daß er den Golfplatz übernommen hatte, auch wenn sie von Zeit zu Zeit herunterkam und sich aufführte, als hätte sie immer noch das Sagen, ihn auf die eine oder andere Weise drängte, sich von Mr. Cooper fernzuhalten. Falls überhaupt jemand seine rechte Hand wurde, dann war sie das. Die Frau war laut und herrisch und probierte alles auf dem Platz, aber weder sie noch sonst jemand hatte die geringste Ahnung, wie alles funktionierte oder weswegen Pflanzen wuchsen. Mr. Cooper hatte seine Mitarbeiter auf der Basis unterschiedlicher Nuancen der Hautfarbe eingestellt, wie sie aussahen, wenn Kaufinteressenten zu Besuch kamen, und es gab niemanden außer Train, der wußte, wie man einen Rasen pflegt, geschweige denn einen ganzen Golfplatz.

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Lester erhob sich wortlos, als die neue Frau in die Scheune kam, und verzog sich im Krebsgang zur Tür, ohne sich auch nur einmal umzudrehen. Man mußte ihm immer alles zweimal sagen, denn beim ersten Mal dachte er, man würde ihn nur auf den Arm nehmen, allerdings mußte ihm niemand sagen, daß er sich von ihr fernhalten sollte. Er war dabeigewesen, als der Kampf losging, er hatte mit eigenen Augen gesehen, in welche Schwierigkeiten sie einen bringen konnte. Train hörte auf zu arbeiten und sah sie auf dem Rücken liegend an. Er hatte einen Krampf in der Hand, und als er sie hob und die Finger spielen ließ, sah er, daß er sich an dem Draht geschnitten hatte und blutete. »Tut’s weh?« fragte sie, aber es war lediglich Neugier, es spielte keine Rolle, ob er bejahte oder verneinte. Dieses Mädchen hatte Fotos geschossen, während zwei Männer sich ihretwegen im Frühjahr gegenseitig umgebracht hatten; ein paar Schnittwunden, die sich jemand bei der Reparatur einer Mäherklinge holte, beeindruckten sie kaum. Er schüttelte die Hand und tupfte die Wunden an seiner Hose ab. Er bemerkte, daß sie ihre Kamera nicht dabei hatte, und fragte sich, ob sie sich ein neues Hobby gesucht hatte. Sie hob ihren Rock wie ein Mädchen, das durch einen Bach watet, und machte einen Schritt über den Draht, den Train herausgezogen und auf den Boden geworfen hatte, dann blieb sie genau über ihm stehen und schaute hinab. Sie trug keine Unterhose. Train schaute woandershin, aber sie stand da und hielt ihren Rock hoch, sah ihn an wie ein kleines Hündchen. »Du bist ziemlich komisch, stimmt’s?« sagte sie. »Ich weiß nicht«, antwortete er. »Wie waren die anderen?« Ein Moment verstrich und sie warf einen kurzen Blick zur Tür. »Ist schon in Ordnung. Cooper ist oben

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im Büro.« Cooper. Sie nannte ihn immer Cooper. Sie bewegte sich ein wenig, lenkte seinen Blick auf den Köder. Er lag starr und bewegungslos da, verlor eine Diskussion mit seinem Gerät. Plötzlich erinnerte er sich an dieses Wort dafür – sein Gerät. So hatte seine Mutter es immer genannt, als er noch jünger war. Als Mr. Coopers neue Frau wieder etwas zu ihm sagte, hatte ihr Ton sich verändert, als hätte er sie gekränkt. »Ich bin nur runtergekommen, weil ich dich zu einer Ausstellung einladen wollte«, sagte sie. »Ich muß diesen Draht aus der Mäherklinge herausbekommen«, sagte er. »Aber trotzdem vielen Dank.« Er machte sich wieder an die Arbeit. Dann hörte er, wie sie sich bewegte, vorbeugte. Sie beugte sich unter den Traktor und schob sich an sein Ohr, um mit ihm zu reden – sie redete immer gern aus kürzester Entfernung in sein Ohr, um dann zu beobachten, was das bei ihm bewirkte. »Es sind meine Bilder«, sagte sie. »Auf manchen meiner Bilder kommst du vor. Ich dachte mir, vielleicht würdest du gern zur Ausstellungseröffnung kommen und sie dir ansehen.« Er blieb, solange er konnte, bewegungslos, und dann spürte er, wie sein Gerät sich in der Unterhose befreite und in seiner Hose aufrichtete. Da er auf dem Rücken lag, befand sich der untere Saum seines T-Shirts quer über seinem Bauch, wodurch reichlich Haut entblößt wurde, und plötzlich spürte er, wie ihre Finger ganz sanft über seinen Bauch strichen. »Hier ist die Karte«, sagte sie, immer noch ganz dicht an seinem Ohr, und schob sie unter den elastischen Bund seiner Unterhose, und genau in diesem Augenblick begann die Spinne loszukriechen. »Adresse und Uhrzeit stehen drauf, falls du Lust hast«, sagte sie, aber er hörte ihre Worte kaum. Es fegte über ihn hinweg wie der Südpazifik, und die

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Milch ergoß sich über ihn, in seine Hose und auch sonst überallhin. Sie ließ ihre Hand, wo sie war, bis die letzten Zuckungen abebbten und sein Schoß sich kühl und klebrig anzufühlen begann, dann hörte er sie sagen: »Ach du lieber Gott«, und sie war fort. Als er allein war, rollte er sich herum und stand auf. Er sah auf seine Hose, dann auf die Karte. Die Ausstellung trug den Namen »Bilder aus dem Arbeitsleben, von susan« und stand unter der Schirmherrschaft der Southern California Artists for a Better World. Er steckte die Einladung in seine Tasche und schaute sich in der Scheune um. Für ihn war das sein Reich, und mit einem Mal erkannte er, daß sie nichts anderes tun mußte, als den Hügel hinaufzugehen und Mr. Cooper zu erzählen, daß er sie von der Seite angesehen hatte, und das wär’s dann. Das war die Kehrseite, wenn man mit seiner Umgebung verschmolz. Morgen würden die Scheune und die Traktoren und Mähmaschinen immer noch genau dort sein, wo sie auch jetzt waren, Whitey würde immer noch Sprit stehlen, Lester würde weiter über Drähte fahren, und man mußte alles schon aus eigener Erfahrung kennen, um mitzubekommen, daß Train nicht da war. Er wußte, daß es ihr einfach nicht genug bedeutete, um ihm so etwas anzutun, aber er dachte, vielleicht hätte sie ja Lust, es Mr. Cooper anzutun.

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6 BEVERLY HILLS

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EGEN MITTAG KAM DR. SPEERS VORBEI, um ihren Verband zu wechseln, vier Tage nach ihrer Vergewaltigung. Er war alt, unbeholfen, roch nach Hustensaft, und es tat weh, wenn er das Pflaster abzog. Es ergab überhaupt keinen Sinn, aber kleine Dinge schmerzten jetzt mehr als zuvor. Auf dem Dach waren Zimmerleute und hämmerten, die Decke ächzte unter ihren Schuhen. Er trug eine Omega-Armbanduhr und einen Abschlußring des Jahrgangs 1929 von der Southern Methodist und verabreichte ihr eine weitere Penizillinspritze für den Fall, daß einer der Neger eine Geschlechtskrankheit gehabt hatte. Manchmal sei es bei der Frau möglich, sagte er, während er die letzten drei Zentimeter einer Camel im Aschenbecher ausdrückte, daß die Krankheit ohne jede Symptome fortbestehe. Fünf Minuten nachdem er weg war, klingelte es wieder an der Tür. Sie hatte gerade zwei der Beruhigungspillen runtergespült, die der Arzt ihr dagelassen hatte, und war auf dem Weg ins Gästezimmer im Obergeschoß, so weit fort von dem Gehämmer wie nur irgend möglich, um ein wenig zu schlafen. Auf der Treppe hielt sie inne und betrachtete die Haustür, dachte, daß es wahrscheinlich Anwälte waren. Ihr Mann hatte Geld in einer Größenordnung hinterlassen, das Anwälte nur höchst ungern aus den Fingern ließen, und wenn es nur für wenige Tage war. Sie ließ sich einen Moment Zeit, dachte an das kühle

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Gefühl der Bettlaken, ging dann zur Haustür und versuchte sich zu erinnern, ob sie sich wenigstens das Haar gekämmt hatte. Sie setzten sich in die Küche, unter das Hämmern. Sie bot ihm ein Bier an, war überrascht, als er es annahm – sie vermutete, daß er irgendwo im Dienst war –, und machte sich dann selbst eine Flasche auf. Es war schon fast ein Uhr, und sie trug immer noch Hausschuhe und Morgenmantel. Nichts darunter. Es war warm in der Küche, und er zog sein Jackett aus und hängte es über die Rückenlehne des Stuhls. Brooks Brothers. »Sie sehen aus, als könnten Sie etwas Schlaf gebrauchen«, sagte er. »Ich sehe aus, als wäre ich aus einem Auto gefallen.« Ihr Gesicht war immer noch geschwollen und verletzt; sie hatte an diesem Morgen eine halbe Stunde an ihrem Schminktisch gesessen und nicht gewußt, wo sie anfangen sollte. Sie hatte die letzten vier Tage verbracht, ohne zu wissen, wo sie anfangen sollte. Er schaute zur Decke auf, wo eine Lampe sanft schaukelte, als die Handwerker sich bewegten. »Kurz nach dem Krieg ist Howard Hughes’ Maschine ins Dach geknallt«, sagte sie, »und sie haben das Gitter immer noch nicht richtig hingekriegt. Mir hat’s eigentlich nie viel ausgemacht, aber Alec ließ es einfach keine Ruhe. So war er. Wahrscheinlich sollte ich sie einfach nach Hause schicken und die Sache vergessen.« »Hier?« fragte er. »Das ist hier passiert?« Der Absturz hatte Schlagzeilen gemacht, überall Bilder von Hughes im Krankenhaus, den Kopf bandagiert, die Arme in Gips, eine Krankenschwester mußte ihm die Zigarette halten. »Man findet heute noch gelegentlich kleine Teile des Flugzeugs in der Nachbarschaft«, sagte sie. »Die Leute nehmen sie nach Partys mit nach Hause.« Sie deutete

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auf den Garten, als böte sie ihm an, was immer er wollte. »Souvenirs sind nicht direkt meine Sache.« Sie wußte, daß er intelligent war, und als er das sagte, schien noch eine andere, verborgene Bedeutung darin zu liegen, aber ihr Kopf war benebelt, und so konnte sie nicht erkennen, was genau das war. Der Augenblick war vergangen, und er betrachtete sie etwas genauer. »Ist Ihnen nicht wohl?« fragte er. Sie dachte darüber nach und antwortete schließlich: »Nein, aber der Tag ist ja noch jung.« »Sie haben Farbe verloren. Sie sehen aus, als hätten Sie Angst.« »So ist es ja vermutlich auch.« »Vor mir?« »Vor allem.« Er zuckte die Achseln. »Ich bin harmlos.« »Ich war dabei«, sagte sie und wünschte sich dann sofort, sie hätte nichts gesagt. Sie hatte sich über ihn noch kein abschließendes Urteil gebildet. Er griff nach einer Zigarette in seine Tasche, überlegte es sich dann aber anders. »Ist schon in Ordnung«, sagte sie. »Alec hat auch geraucht …« Er sagte: »Ich habe überlegt, damit aufzuhören, mal sehen, ob es mir fehlt.« Er starrte sie auf eine Art an, daß sie sich fragte, wie sie aussah. Wenn sie wenigstens sauber ausschaute. Über ihnen hämmerten die Handwerker am Dachgitter. Dann das Geräusch einer Elektrosäge. »Ich hoffe, es geht um nichts, was unbedingt heute erledigt werden muß«, sagte sie. »Im Moment kann ich nicht mehr viel ertragen.« Er schüttelte den Kopf. »Ich wollte nur auf einen Sprung reinschauen, sehen, wie es Ihnen geht.« Sie sah

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ihn an, wartete, bis er gesagt hatte, was er sagen wollte. »Ich wäre ja schon früher vorbeigekommen, hatte allerdings einige Dinge außerhalb zu erledigen.« Sie trank einen weiteren Schluck Bier und fühlte sich allmählich besser. »Ist das jetzt der Punkt, an dem wir unsere Geschichten aufeinander abstimmen?« sagte sie. Er rührte sich nicht, musterte sie, und dann lächelte er und sagte: »Reden wir ein anderes Mal darüber.« Wieder fiel ihr sein Lächeln auf. Sein Gesicht bewegte sich, aber nichts geschah; es war, als sehe sie jemandem zu, der stotterte. »Spielt es eine Rolle? Wird sich etwas ändern?« »Lassen Sie uns warten. Sie haben ein Martyrium hinter sich.« Das Wort überraschte sie, und sie schaute fort, biß sich auf die Wange, doch es war bereits zu spät. Es begann mit ein paar Blasen, die an die Oberfläche trieben, doch dann lief es einfach über, und sie heulte los, machte mehr Lärm als die Zimmerleute. Sie versuchte aufzuhören, doch es ging nicht, und irgendwann war es ihr gleichgültig. Sie schrie laut auf. Tränen traten in ihre Augen, ihr Körper verkrampfte sich an allen verletzten Stellen. Und sie konnte immer noch nicht aufhören. Wie ein schreiendes Baby rang sie nach Luft. Speichel klebte auf ihren Lippen, und sie wischte sich mit dem Ärmel über den Mund, aus Angst, die Schnitte wären wieder aufgeplatzt und hätten angefangen zu bluten. Tränen verschleierten ihren Blick, und er saß still da und schaute zu. Sie verschränkte die Arme, wiegte sich und brachte schließlich wieder einen Satz heraus. »Entschuldigen Sie … manchmal verliere ich einfach die Beherrschung, ich weiß auch nicht, warum.« Sie holte tief Luft und hörte sich dann sagen: »Die ganze Schießerei war ein solches Martyrium. Obwohl es natürlich eigentlich weniger eine Schießerei war.«

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Es passierte wieder, und er wartete, bis es verebbte. Ihr kam der Gedanke, daß er gefährlich sein könnte. Sie glaubte kaum, daß es ihr etwas ausmachte. Sie stand auf, wischte sich über die Augen und ging zum Kühlschrank, um neues Bier zu holen. »Darf ich Ihnen ein Beruhigungsmittel anbieten? Vielleicht ein Dexedrin – oder einen Weihnachtsbaum? Sie wissen schon, eine Mischung aus zwei Barbituraten, wirken wunderbar kombiniert.« »Das Bier genügt«, antwortete er. Sie setzte sich wieder und putzte sich die Nase. »So, wo waren wir stehengeblieben? Ach ja, die Ermordung der Neger …« Er regte sich nicht. Sie beugte sich ihm entgegen und flüsterte: »Sie müssen keine Angst haben; ich komme aus Georgia. Wir sind sehr diskret, was solche Dinge betrifft.« Er trank das erste Bier aus und setzte die zweite Flasche an. »Eigentlich«, fuhr sie fort, »ist es ja irgendwie romantisch, wenn man mal genauer drüber nachdenkt, die Fahrt auf dem Boot und alles. Sie waren perfekt für ein erstes Rendezvous …« Sie sah ihn unterkühlt über den Tisch hinweg an, dann lehnte sie sich auf ihrem Stuhl zurück, fühlte sich plötzlich ausgelaugt und todmüde. Das Hämmern ging wieder los – wann hatte es aufgehört? –, und das Sedativum zog sie zurück. »Ich brauche etwas Schlaf«, sagte sie. »Eines noch«, sagte er, und sie blinzelte ihn an, versuchte, sich auf sein Gesicht zu konzentrieren. »Anscheinend gab es da ein Buch, dieser Clarence Holmes führte ein Adreßbuch.« Sie spürte, wie ihr kalt wurde. »Wer?« »Clarence Holmes«, sagte er. »Der über die Reling gegangen ist. Er führte ein Adreßbuch mit Namen darin.«

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»Meinem?« »Ja«, sagte er. »Einer von rund sechzig. Ich erwähne das nur für den Fall, daß jemand von der Staatsanwaltschaft des Orange County vorbeikommt, damit Sie wissen, wovon die sprechen. Wahrscheinlich wäre es insgesamt erheblich unkomplizierter, wenn Sie nicht wüßten, warum er Ihren Namen hatte.« Ein Moment verstrich, und dann sagte sie sehr langsam und deutlich: »Das dürfte kein Problem sein. Ich fand es schon immer am leichtesten, einfach die Wahrheit zu sagen.« Sollte er das mit nach Hause nehmen und drüber schlafen. Die Beisetzungen fanden an einem Samstag statt, eine morgens, die andere nachmittags. Sie wollte es an einem Tag hinter sich bringen. Natürlich hatte es weder eine Telefonnummer noch eine Anschrift in Mexiko gegeben – soweit sie wußte, hatten die Mexikaner weder Telefone noch eine Postzustellung –, also tat sie, was sie tun konnte. Sie kaufte ein Doppelgrab auf dem St. Augustine’s Cemetery direkt hinter der Third Street Bridge, wo auch andere Mexikaner begraben lagen, und ließ für ihn einen kleinen katholischen Gottesdienst in der Kapelle auf dem gleichen Grundstück abhalten. Während des Gottesdienstes dachte sie an die Ehefrau mit den schmalen Hüften, die in Mexiko auf seine Heimkehr wartete. Sie nahm Beruhigungsmittel, aber sie dachte immer noch an die Ehefrau und die ungeborenen Babys. Sie weinte, dachte nur noch an die Babys. Der Pfarrer hieß Father Duncan, sie kannte ihn durch ihre ehrenamtliche Arbeit für die Demokraten. Er war ein verkümmerter, schmalgesichtiger Mann mit einer tiefen Narbe, die von seiner linken Wange quer über das Gesicht zur rechten Seite seiner Kinnlade verlief. Alles

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unterhalb dieser Narbe – einschließlich einer Hälfte seines Mundes – war so blutleer wie Mehl und bewegte sich nicht mit dem Rest seines Gesichts. Er hatte ihr einmal erzählt, daß er eines Abends als zweiundzwanzigjähriger Jungakademiker hoffnungslos und betrunken am Küchentisch sitzend beschlossen hatte, sich umzubringen, aber nicht einmal die beiden Teile der Schrotflinte zusammenbekommen hatte, um sie laden zu können. Und als er das in den Schaft des Gewehrs geschnitzte Bild betrachtete, sagte er, hatte es ihm die Augen geöffnet, daß nämlich selbst ein häßlicher Mann Schönheit hervorbringen konnte. Natürlich belog er sie – wenn sie eines wußte, dann war es, wann Männer logen –, also antwortete sie mit einer Lüge. Sie sagte ihm, er sei nicht häßlich. Am frühen Morgen nach den Morden hatte er sie angerufen und seine Hilfe angeboten, und obwohl sie im Nebel von Dr. Speers’ Beruhigungsmitteln trieb, entging ihr nicht der lüsterne Unterton in seiner Stimme. Sie war gerade dabei, ihn abzuwimmeln, als sie plötzlich an das andere Problem dachte, an Pedro, der ja immerhin Mexikaner war und katholisch. Der Gottesdienst war leer gewesen. Father Duncan sprach mit freundschaftlicher Zuneigung über den Toten, von seiner Liebe zum Meer und seiner Loyalität gegenüber Alec Rose und seiner Frau Norah – er machte es, so romantisch es eben ging. Nachdem sie in Gedanken bei den Babys geweint hatte, wurde sie von etwas zurückgeholt, das der Priester gesagt hatte, etwas Billiges und Bedeutungsloses über einen einfachen Mann und das Meer, Worte, welche die Grenzen des Priesters besser definierten, als sie es je hätte tun können. Später jedoch stand sie an der Grabstelle und erlaubte es ihrer Hand, einen Moment länger als nötig in sei-

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ner zu verweilen, und im Auto auf der Fahrt zur anderen Beerdigung griff er plötzlich nach ihrer Hand und hielt sie zwischen seinen Händen. »Falls Sie einen Freund brauchen«, sagte er, »das gehört zu unserer Aufgabe. Ich bin immer für Sie da.« Sie hatte eine weitere Beruhigungstablette genommen, als sie in den Wagen einstieg, und mit einem halben Glas warmem Scotch runtergespült. Den Scotch hatte sie zusammen mit dem Glas in einem Fach in der Tür gefunden. Sie beugte sich zu ihm und tätschelte ihm die Wange, hielt es, mit ein paar Worten hier und da, einem gewissen Blick zurück über ihre Schulter, für eine gerade noch akzeptable Berührung, vielleicht eine nicht eingehaltene Verabredung zum Mittagessen – sie hatte das bestimmte Gefühl, mit ein wenig Arbeit könnte sie ihn und die Schrotflinte wieder an diesen alten Küchentisch bringen, ehe er mitbekam, was ihn erwischte. Zwei Stunden später kam ihr ein weiterer Gedanke in dieser Richtung. Der Trauergottesdienst für Alec zog sich in die Länge; sie war erschöpft, und ihre Gedanken wanderten ziellos umher, sie konnte Alec genausowenig in Verbindung bringen mit all den Dingen, die über ihn gesagt wurden, wie es zuvor bei Pedro gewesen war, konnte sich nicht einmal mehr erinnern, mal abgesehen von allgemeinen Beschreibungen, wie er ausgesehen hatte, und sie fragte sich, was es wohl bedeutete, daß sie sich früher an diesem Tag mit dem Gedanken amüsiert hatte – und amüsiert war genau das richtige Wort –, einen mißgebildeten Priester in den Selbstmord zu treiben. Sie starrte ein Kruzifix zuerst mit dem einen, dann mit dem anderen Auge an, ließ es hin und her springen, bis es ihr schlagartig klar wurde. Ich bin der Antichrist. Und als sie sich dann umschaute, erkannte sie, daß sie darüber so unglücklich gar nicht war.

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Sie saß auf einem Klappstuhl, nahm die Beileidsbekundungen entgegen, nickte höflich Menschen zu, an deren Namen sie sich nicht erinnerte und die in einer langen Schlange vorbeizogen, um ihr Mitgefühl auszusprechen oder an eine Aufmerksamkeit zu erinnern, die sie und Alec den Unterprivilegierten oder den Künsten erwiesen hatten. Manche wollten ihre Hand halten oder knieten sich zum Sprechen vor sie und legten dabei eine Hand auf ihren Rücken. Es verursachte ihr Übelkeit – die Beruhigungsmittel, der Scotch, der Geruch von Speisen in ihrem Atem, die Hitze im Raum und das Gedrängel der Menschen. Sie wollte nicht angefaßt werden. Eine Hand lag auf ihrer Schulter, und sie stand abrupt auf, um sie abzuschütteln. Und hörte dann die Stimme des Sergeants neben sich. »Ihr Mann hatte viele Freunde«, sagte er. Sie drehte sich um und sah ihn an, Miller soundso. Miller Pakkard. Hinter Miller Packard sah sie den Saal, zwei Theken, mehrere Tische mit Speisen, Hunderte von Unterhaltungen, die alle gleichzeitig stattfanden. Die meisten, das wußte sie, kreisten um das, was auf dem Schiff passiert war. Das war ihr gleichgültig; sie wollte nur, daß alles endlich vorbei war. Das Anfassen und Reden und Warten. Das Kommen und Gehen und Reden. Allerdings sah sie keine Möglichkeit, es zu beenden. Es schien, als ließe es sich durch nichts beenden, außer, vermutete sie, alle würden am Ende selbst sterben. »Ich wünschte, es wäre konkreter«, sagte sie. »Ich meine, ich wünschte, alles hätte ein klares, eindeutiges Ende. Daß jemand einem sagt, wann es aus ist.« Er ließ seinen Blick über die Menge wandern, war nicht sonderlich beeindruckt von dem, was er sah. »Sie könnten mit den Pillen aufhören.« »Noch nicht«, sagte sie. »Das halte ich noch für keine so gute Idee.« Einen Augenblick meinte sie, die

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Handwerker wieder zu hören, die oben hämmerten, und dann schaute sie zur Decke auf und erkannte, daß sie nicht in ihrem eigenen Haus war. »Wie viele haben Sie genommen?« »Ich weiß nicht«, sagte sie, »ein paar vor dem ersten Gottesdienst, dann noch welche auf der Fahrt hierher.« Gedankenverloren hob sie eine Hand an ihre Brust, drückte leicht zu und spürte den stechenden Schmerz, wollte ihn spüren. Die Brust war genäht worden, und auf der Unterseite war sie wund und dunkel. Die Verfärbung erstreckte sich von dort bis zu den anderen Prellungen auf ihrem Bauch und Becken. Er starrte ihre Hand an. Sie wußte nicht, wie lange sie dort lag, die Brust hielt, ließ sie jetzt aber an ihre Seite sinken. »Was sagen die Ärzte?« fragte er. Er hatte die Verletzung gesehen, und in dieser Hinsicht war er ihr näher, als sie ihn haben wollte. Auf andere Weise jedoch war er ihr auch wieder nicht völlig unwillkommen. »Kein Grund zur Sorge«, sagte sie, »sie sagen, kein Grund zur Sorge.« Sie dachte, er könne darüber lächeln – mein Gott, er lächelte ständig über Dinge, die überhaupt nicht komisch waren –, aber er tat es nicht. Sie spürte, daß er sie taxierte, und wurde plötzlich wütend. »Ist irgendwas nicht in Ordnung, Sergeant?« sagte sie. »Spreche ich unartikuliert? Oder liegt es daran, daß ich betrunken bin? Das ist es, stimmt’s? Sie mißbilligen mein Trinkverhalten. Tja, wenigstens lache ich nicht mehr, das müssen Sie mir schon lassen.« Sie starrte ihm direkt in die Augen und konnte nichts in ihnen lesen, und Father Duncan war ebenfalls da, mit seiner tiefen Narbe von einer Seite des Gesichts zur anderen, ihn in zwei Hälften teilend. »Ist alles in Ordnung?« fragte er. »Nun, alles ist wunderbar, Father«, sagte sie. »Wir plauderten gerade über meine Genesung.« Der Priester

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legte eine Hand auf ihren Ellbogen, und sie konnte es nicht ertragen, angefaßt zu werden. Sie war genug angefaßt worden. »Warum setzen wir uns nicht?« schlug er vor. Sie schaute zu ihm herab und sagte: »Oh, Father, ich dachte, das täten Sie schon.« Der Priester wich einen Schritt zurück und setzte einoder zweimal zu sprechen an, bevor die Worte schließlich herauskamen. »Dies ist eine schrecklich schwierige Zeit für Sie, Norah«, sagte er traurig. Sie drehte sich zu Miller Packard und sagte: »Ich glaube, da ist mir wohl ein Fauxpas unterlaufen.« Und dann verschwand sie mit betont geradem Rücken zur Toilette. Sie hatte einen schönen Rücken und war sich stets ihrer Haltung bewußt. Als Kind hatte sie dafür in der Schule Noten bekommen. In der Peabody Laboratory School, Milledgeville, Georgia. Immer die besten Haltungsnoten. Der Priester wandte sich an Miller Packard, als sich die Tür hinter ihr schloß, und sagte: »Sie ist nicht sie selbst.« Dann entstand eine Gesprächspause, und Father Duncan, dem die Abwesenheit von Unterhaltung Sorgen bereitete, der es brauchte, daß irgendwo ein Gespräch stattfand, sagte: »Sind Sie ein Angehöriger?« »Nein, nur ein Freund.« »Ich wollte nicht stören«, sagte der Priester. »Ich bin nur herübergekommen, weil es aussah, als wäre Ihr Gespräch … sehr angeregt, und ich dachte, vielleicht könnte ich helfen. Sie ist eindeutig nicht sie selbst.« Father Duncan warf einen kurzen Blick zur Tür der Damentoilette. »Manchmal bewirkt Schmerz, daß wir Dinge sagen, die wir bedauern.« Er lächelte Miller Pakkard an und ließ das wirken. »Ich weiß nicht, wie gut Sie mit der Situation vertraut sind«, sagte er, »aber es war eine außergewöhnlich brutale Vergewaltigung. Ich

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erwähne das, damit Sie ihr … ungewöhnliches Verhalten besser verstehen.« Packard nickte, und Father Duncan schob sich ein Stück näher und senkte die Stimme. »Ich fürchte, Norah wurde entstellt.« Packard wartete einige Sekunden, dann senkte er seinen Kopf und musterte das Gesicht des Priesters. »Das haben Sie sich doch nicht selbst angetan, oder?« fragte er. Bis zur Taille nackt stand sie vor dem Spiegel. Verband und Mull lagen im Waschbecken. Der Nippel ihrer linken Brust war klein und rosa, der Hof hell, kaum zu erkennen. Die rechte Brust war genäht und schwarz verkrustet. Eine Frau kam auf die Toilette und blieb wie angewurzelt stehen. Norah lächelte freundlich und betrachtete sich dann im Spiegel. »Und, was meinen Sie?« sagte sie. Die Frau kam einen Schritt näher. Sie sagte: »Mein Gott, Norah, ich wußte ja nicht, daß sie tatsächlich abgetrennt wurde.« »Ja, sie haben sie einfach abgeschnitten«, sagte sie, nahm dann die Spitze der verletzten Brust zwischen Daumen und Zeigefinger und drückte zu, bis ein Tropfen wäßrigen Bluts auftauchte und dann in einer Linie über ihren Bauch lief. Sie zitterte vor Schmerz und entdeckte die Frau im Spiegel wieder; sie sah gramgebeugt aus. Gramgebeugt – sie liebte das Wort gramgebeugt. »Ich habe Ihren Namen nicht verstanden«, sagte sie. »Maria Hodges, Liebes«, sagte die Frau. »Ich bin Maria Hodges. Wir waren zusammen als freiwillige Helfer beim Stevenson-Wahlkampf.« »Oh, Adlai«, sagte sie zärtlich. »Madly for Adlai.« Sie tupfte mit einem Leinenhandtuch die Nähte ab, legte dann eine Hand unter die Brust und hielt sie etwas näher vor den Spiegel. »Ich kann mich noch nicht ganz entscheiden.«

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Die Frau begann sich langsam zurück zur Tür zu schieben. »Ich denke, wenn es hier um Symmetrie ginge, dann könnte ich die andere auch abhacken, aber Sie werden sich denken können, was die Republikaner dazu sagen würden.« Und dann war die Frau fort. Als sich die Tür wieder öffnete, war es Miller Packard. Ein merkwürdiger Name. Zeit war vergangen; sie wußte nicht, wieviel. Sie war immer noch bis zur Taille unbekleidet, und ohne ein Wort zu verlieren, ließ er ein wenig warmes Wasser ins Becken laufen, nahm ihr das Handtuch aus der Hand, säuberte die Brust und tupfte dann erst sie und schließlich die Haut darunter behutsam trocken. Sie zitterte. Er sah sich die Wunde genau an, berührte sie einmal mit dem Rücken seines Fingers, prüfte die Temperatur. Sie mißverstand nicht, was er da machte. »Wir müssen uns keine Gedanken um eine Infektion machen«, sagte sie. »Zumindest nicht laut Dr. Speers. Er hat Penizillin verabreicht.« Er holte ihre Bluse und den BH von der Stange zwischen Eingang und Kabine, wohin sie beides gehängt hatte, steckte den BH dann in seine Jackentasche und hielt ihr die Bluse eine ganze Weile hin, bevor sie sie schließlich anzog. Dann knöpfte er sie zu. Sie sagte: »Er war hingegen besorgt – und ich möchte sagen, mehr als nur ein wenig angewidert –, daß eine Geschlechtskrankheit im weiblichen Geschlechtsapparat offenbar ohne die geringsten Symptome existieren kann. Ich glaube, das waren seine Worte, der weibliche Geschlechtsapparat.« Dieser Ausdruck gefiel ihr sogar noch besser als gramgebeugt.

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Er knöpfte den letzten Knopf der Bluse zu, und sie schloß die Augen und spürte, wie sich der Raum zu drehen begann. Er steckte den Stöpsel ins Becken und ließ für sie Wasser einlaufen, sie sollte sich das Gesicht waschen. »Es ist das Wunderheilmittel, wissen Sie«, sagte sie und schaute zu, wie sich das Becken füllte. »Es bringt alles wieder in Ordnung.« Ihr Finger fuhr zu ihrer Unterlippe, die auf dem Schiff ebenfalls verletzt worden war. Drei deutliche Beulen hatten sich dort gebildet, und sie spürte sie mit jedem Wort und jedem Schluck. Das Wasser lief weiter aus dem Hahn. »Gehen wir nach Hause«, sagte er und drehte es ab. »Ich kann nicht gehen«, sagte sie. »Ich bin die Witwe.« Sie beugte sich vor, um sich Wasser ins Gesicht zu spritzen. »Inzwischen«, sagte er und deutete auf den Raum, »haben alle gehört, daß Sie nackt und verrückt sind und davon reden, sich auch noch die andere Titte abzuhakken.« Sie wartete, schaute vom Becken zu ihm auf. »Es ist eine Party«, sagte er. Eine unerwartete Woge der Zuneigung überkam sie. Wegen der Art und Weise, wie er sie anschaute, wegen seiner Kleidung und seiner Schuhe, wegen seiner Art, auf den Punkt zu kommen, und das schon von dem Augenblick an, als sie ihn das erste Mal im Boot des alten Fischers sah. Wegen seiner Intelligenz und seines Haarschnitts. Sie verzieh ihm die Neger, und sie vergaß, daß er zu den seltsamsten Gelegenheiten lächelte, daß er über Dinge lachte, ohne dabei den leisesten Ton von sich zu geben. Es spielte keine Rolle. Er war nett, aber er gab keinen Laut von sich, wenn er lachte. Sie sah jetzt alles klar und deutlich. Nur ein paar Zentimeter von seinem Gesicht entfernt richtete sie sich auf. Sie berührte sein Gesicht. »Ich glaube, Sie sind der rücksichtsvollste Mann, dem ich je

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begegnet bin«, sagte sie. Und dann drehte sich der Raum, und sie stolperte und setzte sich ins Becken. Er brachte sie aus der Toilette, führte sie zur Tür. Der Priester deutete gerade einer Frau in einem gelben Kostüm gegenüber an, daß Norah eigentlich für einige Tage zur Beobachtung in ein Krankenhaus eingewiesen werden müßte. Er unterbrach sich, als er sie herauskommen sah und sie einen Schritt vortrat, wie um sie zu begrüßen, und Packard schob ihn mühelos zur Seite, hielt ihre Hand fest und zog sie durch ein Meer von Gesichtern zum Ausgang. Sie lächelte höflich und folgte ihm, machte klitschende Geräusche, während das Wasser über ihre Waden tropfte. Er ließ die Limousine kommen und hielt ihr dann mit einer Hand die hintere Tür auf, während er ihr mit der anderen hineinhalf. Der Priester kam mit besorgter Miene aus dem Saal. Miller Packard stieg auf der anderen Seite ein und schloß die Tür. Sie sah andere Leute hinter dem Priester, die Trauergäste, Alecs Freunde, und alle versuchten, noch einen Blick durch die Scheiben in den Wagen zu werfen. »Die Lady möchte nach Hause«, sagte er zum Fahrer und nannte ihm dann die Anschrift, um sicherzugehen, daß er sie auch kannte. Es überraschte sie, daß er ihre Adresse behalten hatte – er war nur ein einziges Mal dort gewesen. Sie fragte sich, ob er wohl ein fotografisches Gedächtnis besaß. Diesen einen letzten Gedanken hatte sie noch, dann beugte sie sich seitlich über den Sitz, ließ ihren Kopf auf seinen Schoß sinken und machte für den Tag zu. Einen Moment, bevor sie einschlief, spürte sie noch die Regung seines Penis durch den Stoff seiner Hose, wie er sich gegen ihre Wange drückte. Sie fühlte sich sicher und mochte ihn sehr.

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7 BEVERLY HILLS

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IE WOLLTE WISSEN, wo ER LEBTE. Sie wollte sein Bett sehen und seinen Kleiderschrank; sie wollte den Kühlschrank öffnen und sehen, was er aß. Sie wollte wissen, welche Musik er hörte, welche Bücher er las. »Also«, sagte er, »ich kannte mal jemanden, der spielte das Englischhorn.« Er saß auf dem Rand ihres Pools; sie befand sich unter ihm, einen Ellbogen auf jedem seiner Beine. Eine gezackte Narbe zog sich über die gesamte Länge seines Oberschenkels, vom Knie bis hinauf zur Hüfte. Sein Anzug lag in der Nähe des Abflußrohres auf dem Grund des Pools. Sie hatten immer noch rote Köpfe, kamen gerade wieder zu Atem. Es war jetzt zwei Monate her, und er war nicht bereit, mit ihr über das zu sprechen, was auf dem Schiff passiert war. Wenn sie das Thema anschnitt, sagte er, sie solle es als eine Geschichte mit anderen Leuten darin sehen. Er sagte ihr nicht, was diese Leute anschließend machten. Vielleicht wollte er nur, daß sie lächelte; er wollte jemanden haben, der mit ihm in den merkwürdigsten Momenten lächelte. Am Tag nach den Beerdigungen tauchte er mit einem offiziellen Bericht des Orange County Sheriff vor ihrer Tür auf. Er hatte den Bericht selbst geschrieben, und ohne

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hinzusehen, hakte sie alle sechs Seiten mit ihren Initialen ab und unterschrieb am Ende. Dann war er hereingekommen, hatte die Tür geschlossen und die Abmachung besiegelt, dort auf der Schwelle, und sie schaute die ganze Zeit zu einem Kronleuchter auf, sah sich und Miller Packard in tausend winzigen Reflexionen, und nie kam jemand vom Orange County zu ihr nach Hause und fragte, wie wohl ihr Name in Clarence Holmes’ Adreßbuch gelandet sein könnte. Jetzt sah sie ihn an und fragte sich, was er wohl getan hatte, um sie abzufangen. Sie vermutete, daß das Adreßbuch verschwunden war, falsch eingeordnet in irgendeiner Asservatenkammer oder über die Reling irgendeines anderen Schiffes ins Meer geworfen oder längst nur noch Asche, aber das Buch war ein Fakt gewesen, und ihr Name hatte daringestanden. Und er hatte ihn dort gesehen. Materie kann weder erschaffen noch zerstört werden – das stammte direkt aus Mr. Sanders’ Naturwissenschaftsunterricht auf der Peabody Laboratory School. Und sie war Zeuge einer Hinrichtung geworden – noch so eine Sache. Sie hatten gesehen, was sie gesehen hatten, und er wollte, daß sie es als eine Geschichte über andere Menschen ansah. Sie waren bereits wie eine richtige kleine Familie, eine Familie, die sich den ganzen Tag mit irgend etwas beschäftigte und beim Abendessen niemals über unerfreuliche Dinge sprach. Und er wollte sie. Im Auto, auf dem Rasen, im Pool. Morgens, mittags und abends. Einmal hielt er den Mercedes auf dem Wilshire Boulevard an, fuhr plötzlich und ohne ein Wort an den Straßenrand, zwei Räder auf dem Bordstein, und schleppte sie in die Lobby des Wilshire Hotels, bezahlte bar für ein Zimmer und brachte sie auf die neunte Etage. Und nicht einmal da konnte er warten; im Fahrstuhl hob er ihren Rock und penet-

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rierte sie auf dem Weg hinauf. Ihr Hinterteil drückte gegen die Knöpfe, und die Tür begann sich auf der fünften Etage zu öffnen. An einem anderen Abend, als sie sich in einer kleinen, an eine Kunstgalerie in Hollywood grenzenden Küche wieder sammelte, wo hundert Leute auf der anderen Seite einer dünnen Tür umherliefen und noch der feuchte Abdruck ihrer Pobacken auf der Oberfläche eines Holztisches sichtbar war, schaute sie sich um und sah ihren Slip an der Kante des Kühlschranks hängen. In solchen Momenten, wenn er auf diese spezielle Art verrückt war, fühlte sie sich sicher. Nachher sah sie ihn manchmal an, und es gelang ihr nicht, dieses Gefühl zurückzuholen. Nachher war, wenn sie versuchte, sich das, was geschehen war, als eine Geschichte mit anderen Menschen vorzustellen. Jetzt deutete sie hinter ihn auf die Sonnencreme, und als er danach griff, berührte sie seinen Penis auf ärztliche Weise, als ob sie nach einem Puls suchte, und legte ihn dann an sein Bein zurück. Er sah sie an – es war erst wenige Minuten her, sie waren gerade erst wieder zu Atem gekommen – und gab ihr die Creme. Sie drehte seine Hand um und drückte Sonnencreme auf seine Handfläche, bis sie über sein Handgelenk quoll und auf seine Beine. Ein paar Tropfen trieben auf dem Wasser und begannen, sich aufzulösen. »Ich will sehen, wie du es machst«, sagte sie. Er verharrte, und sie warf einen Blick über seine Schulter auf den zweiten Stock des Nachbarhauses. Es war ein Haus aus Stein und Holz im Tudor-Stil, das auf einem knapp einen Hektar großen, gepflegten Parkanwesen lag. Die Moffits hatten einen großen Zierkarpfenteich auf ihrem Gelände, und einen kleinen Wasserfall und Flamingos. Mrs. Moffit war groß und kantig und hatte stets ein angespannt verkniffenes Gesicht. Unge-

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fähr zweimal im Jahr ging sie mit diesem Gesicht in eine Klinik und ließ es sich um ein weiteres Rasterteil straffen, wodurch es kam, daß sie die einzige Person in Beverly Hills war, die noch zerschlagener aussah als Norah in den Tagen nach dem Angriff auf dem Schiff. Sie konnte nicht viel darüber sagen, was dort drüben vor sich ging, außer vielleicht, daß Mr. Moffit derjenige im Haus zu sein schien, der im Damensattel ritt. Seit Packard bei ihr aufgetaucht war, hatte Norah Mrs. Moffits Gesicht hinter verschiedenen Fenstern dort drüben bemerkt. Die Moffits waren Demokraten, und an dem Morgen, als Howard Hughes mit seiner Maschine vom Dach abgeprallt war, hatten sie sich angeboten, die Spendensammlung für die Waycross-Jungs bei sich durchzuführen, in ihrem eigenen Garten. Genaugenommen hatten sie sogar darauf bestanden und dem Partyservice persönlich geholfen, Tische, Speisen und den Alkohol dort hinüberzuräumen. Am nächsten Morgen waren die Zierkarpfen tot. Jemand hatte den Teich mit Gin versetzt – es lagen drei leere Flaschen Beefeater im Gras –, und Mrs. Moffit schickte Alec mehrere Bilder der auf dem Wasser treibenden toten Fische, zusammen mit der Rechnung für Ersatz – keine Notiz, einfach nur die Rechnung und die Fotos –, und in nachbarschaftlicher Hinsicht war es seitdem nie mehr so wie vorher. Jetzt sah Norah, daß sich hinter einem Fenster im Obergeschoß etwas bewegte. »Statt einen Blick in den Kühlschrank zu werfen?« fragte Packard. Sie sah ihn wieder an und bemerkte, daß er bereits steif war. »Nein«, sagte sie, »aber eines nach dem anderen.« Sie stand bewegungslos im Pool, ihr Gesicht dreißig

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Zentimeter von seiner Hand entfernt, und schaute aufmerksam zu. Oben wurde die Glastür geöffnet, und das Hausmädchen trat auf den Balkon heraus, um den Mop auszuschütteln. Es sah, was im Pool passierte, und erstarrte einen Moment, war absolut reglos, und verschwand dann wieder im Haus. Bevor sich die Tür hinter ihr schloß, hörten sie es noch sagen: »Erbarmen.« Er zog eine Wagenladung nach der anderen in ihr Haus, die ganze Woche über. Zwanzig Anzüge, maßgeschneiderte Hemden. Mehr Schuhe, als sie selbst besaß. Eine ausgefeilte Stütze für sein Bein – sie mußte fünfzig Pfund gewogen haben. Er wohnte irgendwo in Newport Beach, und zwischen An- und Abfahrt war er drei oder vier Stunden fort. Sie bot ihre Hilfe an, aber seine Ausreden machten unmißverständlich klar, daß er sie nicht in seiner Wohnung haben wollte. Wenn er wieder unterwegs nach Newport Beach war, um mehr zu holen, ging sie jede Fuhre durch, die er bereits gebracht hatte. Zum größten Teil Kleidungsstücke. Da waren auch einige alte Zeitungen aus Philadelphia – aus einem Überfliegen der Schlagzeilen konnte sie nicht schließen, warum er sie behalten hatte –, aber keine Bücher oder Schallplatten oder Gemälde oder Mobiliar. Keine Familienfotos oder Jahrbücher, keine Diplome, keine Unterlagen oder Orden von der Armee. Aus dem, was er nicht mitbrachte, folgerte sie, daß er die andere Wohnung nicht aufgegeben hatte, doch sie stellte deshalb keine Fragen. Morgens verließ er das Haus zu merkwürdigen Zeiten, und überhaupt schien er zu kommen und zu gehen, wann er wollte; manchmal fragte sie sich, was für eine Position er im Orange County Sheriff’s Department eigentlich bekleidete. Und warum er überhaupt bei der Polizei arbeitete. Er besaß Geld, auch wenn sie nicht

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wußte, wieviel genau, und er schien es schon immer besessen zu haben. Das war eines der Dinge, die sie einfach spürte. Aber seine Arbeit war ein Geheimnis, genau wie das Haus oder die Wohnung in Newport Beach, es ging sie nichts an. Noch etwas, das ohne Erklärung zwischen ihnen lag. Ständig brachte er mehr von sich mit. Abends gingen sie ins Kino und in Kunstgalerien, und einmal besuchten sie ein Konzert von Harry Belafonte draußen im Griffith Park. Er vögelte sie überall. Sie gingen ins Planetarium. Lange Minuten saß sie im Dunkeln und schaute zum Sternenhimmel auf, mit einer Hand auf seinem Schoß und seinen Fingern in ihr. Er verließ das Planetarium und trat hinaus in die Nachmittagssonne, während sein Reißverschluß noch offenstand und zweihundert uniformierte Kinder ihnen vom Parkplatz entgegenkamen, katholische Kinder auf einer Exkursion. Und vor den Augen all dieser Kinder und Nonnen und Elternfreiwilligen blieb sie stehen, als sie es bemerkte, drehte sich um und zog seinen Reißverschluß hoch. Ein brauner Umschlag lag in der Post. Die Post kam jeden Morgen um zehn. Sie hatte keine Ahnung, was Alec dem Postboten an Weihnachten zugesteckt hatte, noch etwas, das sie herausfinden mußte. Heute waren es mehrere Magazine – Time, Esquire, The Saturday Evening Post –, eine Rechnung des Beerdigungsinstituts, die längst bezahlt war, eine Postkarte aus BelgischKongo. Ein alter Freund war auf Safari – die Welt schien voller alter Freunde von Alec zu sein – und berichtete, daß er einige hervorragende Abschüsse gemacht hatte. »Alec – bei Gott, dieses Land ist voller Wild!« Und dann noch der braune Umschlag, ihr Name in

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winzigen Buchstaben, von Hand geschrieben mit einer Feder, die in Tinte getaucht worden war. Kein Absender. Sie öffnete den Umschlag, darin zwei Seiten. Auf einer Seite eine Petition, verfaßt in derselben Handschrift, mit der auch der Umschlag adressiert worden war, auf der zweiten Seite unterzeichnet und datiert von den elf Hausbesitzern ihres Blocks. Sie überflog die Namen und Anschriften, manche erkannte sie wieder, andere nicht. Sie stellte sich vor, daß Alec sie ihr bei der einen oder anderen Gelegenheit vorgestellt hatte. Sie stellte sich vor, daß alle bei der Beerdigung gewesen waren. Die Petition nannte nicht ausdrücklich ihren Namen. Dort stand lediglich, daß gewisse, in jüngster Zeit vermehrt beobachtete Handlungen von eklatanter Verworfenheit und Sittenlosigkeit sowohl den Charakter des Viertels als auch den potentiellen Wert des hier liegenden Grundbesitzes gefährdet hätten, was von nun an nicht mehr toleriert werden würde. Später an diesem Tag ging sie die Beileidskarten durch, die nach der Beerdigung gekommen waren, und fand schließlich diejenige mit der winzigen Handschrift. »Mit aufrichtigem Beileid, die Moffits.« Sie machte sich einen Drink und ging durchs Haus, fühlte sich mit einem Mal frei. Ihr war nach Tanzen zumute.

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8 PARADISE DEVELOPMENTS

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IE GREENFEES VON PARADISE DEVELOPMENTS waren an der Wand hinter der Kasse angeschlagen. Vier Dollar für achtzehn Löcher, zweifünfzig für neun. An Wochenenden war es ein Dollar mehr. Kaufinteressenten für die Wohnungen – die gelegentlich von Coopers einzigem Verkäufer hergebracht wurden, einem Teilzeitbeschäftigten namens Jim Yard, der ausschließlich auf Kommissionsbasis arbeitete – durften gratis spielen. Neben der Tür standen zwei Behälter mit gebrauchten Golfbällen, die einen für zehn Cents das Stück, die anderen, abgenutzt und leicht beschädigt, kamen auf einen Nickel. Eine Handvoll Tees kostete ebenfalls einen Nickel, und einen Schlägersatz konnte man sich für einen Dollar ausleihen, was allerdings eine Kaution in Höhe von zehn Dollar voraussetzte, die am Ende der Runde zurückgezahlt wurde. Auf dem Schild stand OHNE AUSNAHME, aber wenn Jim Yard jemanden mitbrachte, überließ man den Interessenten die Schläger ebenfalls kostenlos. Bisweilen beschwerten sich Gäste, daß die Tees kostenlos gewesen waren, bevor Mr. Cooper die Anlage kaufte. Train hatte sonntags frei, kam aber trotzdem immer vorbei, manchmal sogar noch bevor Whitey eintraf, um das Tor zu öffnen. Er zog gern seine Schuhe aus und ging barfuß durch das kühle, feuchte Gras; es war, als könne er den Platz aufwachen spüren.

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Die Ball-Dropper begannen ein paar Stunden nach Train einzutrudeln, irgendwann gegen acht. Es waren Leute, die gern um Geld spielten, sich aber keine Mitgliedschaft in einem Club leisten konnten oder, wie im Fall der Chinesen und Farbigen, sowieso nicht aufgenommen werden würden. Die Chinesen trugen Seidenhemden und trieben jeden in den Wahnsinn mit ihrem Chinesisch. Hörte sich an, als wollten fünf Leute gleichzeitig lernen, Klarinette zu spielen. Die Ball-Dropper mußten Whitey ihre fünf Dollar zahlen, bevor sie hinaus auf die Driving Range gingen, und normalerweise kauften sie auch noch ein Bier oder ein Käsesandwich, alle mit Ausnahme der Chinesen – ein Menschenschlag, der einfach auf alles und jedes wettete –, die Train eines Tages hinter dem Wohnwagen bemerkt hatte, wo sie sich hingehockt hatten, Schulterblätter und Knie und Schädel, und auf Heuschrecken wetteten, die aber keinen Vierteldollar für Lebensmittel ausgeben würden. Sie gingen einfach hinaus aufs Putting Green und warteten, welche anderen Chinesen noch auftauchten. Die Spieler droppten Bälle, um die Viererflights zu bestimmen, und es gab einen Spieler namens Melrose English, den niemand gern in seiner Gruppe hatte. Melrose English fiel alles leicht, und das wollte er einen auch wissen lassen. Vor einem Jahr war sein Bild im Standard gewesen, darunter stand, wenn er weiß wäre, dann könnte er mit Ben Hogan auf der Tour spielen. Das Bild stammte jedoch aus der Highschool, als er Landesmeister über hundert Yards war. Schon damals sah er hart aus. Die Zeitung sagte, sein Spitzname damals sei »Modern« gewesen. Soweit Train das beurteilen konnte, verließ Melrose nie wie ein normaler Mensch gekleidet das Haus. Wenn er auf den Golfplatz kam, war er ganz in Weiß, Tau-

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benblau oder Pink gekleidet, fuhr einen schwarzen Lincoln, der farblich zu allem paßte. Sein Haar trug er gewellt, und er berührte es dauernd, um sich zu vergewissern, daß auch nur ja kein Härchen falsch lag. Die Leute sagten, er bilde sich ein, weiß zu sein, aber das war’s nicht. Train wußte, daß es das nicht war. Was er wirklich wollte, war, daß jeder mitbekam: die Welt hatte ihn kommen sehen und ihm sofort einen Platz in der ersten Reihe freigemacht. Melrose war Zuhälter und behauptete gern, daß jeden Tag eine frische Busladung Mädchen in die Stadt kam. Manchmal erzählte er, wie er eine zurück nach Iowa geschickt hatte, ein nüchternes Mädchen, das den Freiern keinen blasen wollte, also statuierte er an ihr ein Exempel, zerschnitt ihr das Gesicht, ließ sie wieder zusammenflicken und setzte sie in einen Bus, der die Stadt verließ. Manchmal, wenn Melrose wegen irgend etwas auf dem Platz lachte, stellte Train sich das Mädchen aus Iowa vor, die Haare zu Zöpfen gebunden, so wie Mr. Coopers Frau, als er sie kennenlernte, und auch sie lachte, saß vielleicht an einer Bar in einem neuen Kleid aus Iowa, erinnerte ein bißchen an Bo Peep, berührte Melroses Hand, glaubte, sie sei etwas Besonderes für ihn, bekam überhaupt nicht mit, daß er schlecht gelaunt war. Das war generell das Problem mit Melrose, seine Launenhaftigkeit. Train konnte sich vorstellen, wie seine Hand ruhig auf dem Tisch lag und eine Zigarette langsam verglühte, bis die Asche so lang war wie ihr Finger, und dann schnellte seine Hand vor in dem Bruchteil einer Sekunde, die sie niemals vergessen würde, und ihr Gesichtsausdruck veränderte sich allmählich, während sie begriff, daß mit ihrem hübschen Gesicht irgend etwas nicht in Ordnung war, und noch wußte sie nicht, was genau es war, aber es fühlte sich irgendwie

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nicht richtig an, und es war feucht. Und manchmal, wenn Train sich das vorstellte, sah er sich selbst hereinkommen und sie retten. Manchmal kam es ihm vor, als liebte er sie. Melrose erwähnte das Iowa-Mädchen in Gegenwart der Lehrer, wann immer er es in einem Gespräch anbringen konnte. Den Lehrern konnte man am leichtesten angst machen, und in seiner Branche jagte er so viel Angst ein wie nur möglich. Wenn die Bälle schlecht fielen und einer von ihnen in Melroses Flight landete, konnte man ihn über den ganzen Platz lachen hören, während sie versuchten zu erraten, was so komisch sein sollte. Es war aber nicht nur, daß er ein Mädchen verstümmelt hatte. Der Mann war launisch, wurde eiskalt wegen einer Zehn-Dollar-Wette, so kalt, daß die Leute schon bei seinem Anblick Angst bekamen. Train hatte gesehen, wie die Lehrer und sogar die Chinesen selbst kurze Putts mißlingen ließen, damit sie ihn nicht für den Tag am Hals hatten. Und niemand hatte Melrose jemals zu Ende putten lassen, nichts unter zwei Metern. Es gab sogar eine dazu passende feste Redewendung – »Heb ihn auf, Melrose« –, wenn sie unter sich spielten. Aber sie achteten darauf, es nicht in Melroses Gegenwart zu sagen. Niemand wußte, in welcher Laune er sich momentan befand, und jeder hatte in seiner Nähe Angst, ein falsches Wort zu sagen. Soweit Train erkennen konnte, war ein alter Mann namens Pincus Lewis der einzige, der gegen solche Dinge immun war. Pincus war es völlig gleichgültig, wer Melrose English war oder wen er angeblich mit dem Messer verstümmelt hatte. Wenn ihm danach war, stellte er sein Hörgerät ab und spielte einfach seinen Ball über den Platz. An diesem Tag war Melrose in einem Flight mit Pin-

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cus, einem Chinesen und einem Jungen namens Silverman, dessen Vater Ruby’s Liquor Emporium in Inglewood gehörte. Train trottete hinter ihnen her, störte niemanden, schaute einfach dem Spiel zu. Der Flight erreichte Bahn Fünf, ein blinder Abschlag in Richtung Grün, und Melrose schlug nach rechts. Alle anderen hielten sich links, wählten das sichere Spiel, und als sie über den Scheitel des Hügels kamen, war Melroses Ball verschwunden. Bewegungslos stand er da, schaute sich um, als hätte er seine Schlüssel fallen lassen. Unterhalb von ihnen, am Grün, befand sich ein seichter Teich, und zwei farbige Jungs in Unterwäsche standen bis zur Hüfte darin und tauchten nach Bällen. Einer von ihnen trug eine Taucherbrille. In diesem Teich gab es Wasserschildkröten, und Train bemerkte Schlangen, die sich auf den Felsen sonnten. Train hatte gesehen, daß Melroses Ball einmal auf dem Fairway aufgesprungen war, bevor er über den Berg verschwand, aber das Fairway war nach rechts geneigt, und im Rough gab es Felsen. Mr. Cooper hatte Whitey mehrfach darum gebeten, daß diese Felsen aus dem Rough verschwinden sollten, aber nichts wurde unternommen, und so verloren die Leute dort dauernd ihre Bälle. Und wenn sie sie dann doch fanden, konnten sie sie nicht schlagen, ohne einen Schaft zu zerbrechen. Deshalb hielt man sich hier eher links. »Der Ball muß hier auf dem Fairway liegen«, sagte Melrose. Pincus sagte: »Wieso das denn?«, auch wenn er und Melrose an diesem Tag zusammen spielten. Das niedrige Handicap und das hohe. »Ich bin doch kein Scheißchinese, deshalb«, sagte Melrose. Der Chinese hatte am letzten Loch einen Ball verloren und ließ sie fünfzehn Minuten warten, während er danach suchte. Die Chinesen haßten es ausnahmslos,

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einen Ball zu verlieren, und Melrose haßte es zu warten. Train überlegte bereits, wieder zurückzugehen. Es machte ihn nervös, in Melroses Nähe zu sein, wenn er schlecht gelaunt war. Das alles interessierte Pincus überhaupt nicht, Golf war Golf. Er deutete mit dem Kopf auf das leere Fairway und sagte: »Wenn er da liegt, dann geh hin und schlag ihn.« Silverman schaute sich nach dem Notausgang um. Niemand außer Pincus würde es wagen, so mit Melrose zu reden. Dann erspähte Melrose die beiden Jungs im Teich, die nach Bällen tauchten. Am Ufer stand ein Fahrrad mit einem großen Korb, und dort lagen auf einer Decke auf dem Boden mindestens hundert Bälle. »Ich sehe, wohin er geflogen ist«, sagte er. Pincus sah die Jungs an, dann Melrose. »Aber nur, wenn du einen Schlag über vierhundert Yard gemacht hast«, sagte er trocken. »Einer von denen muß hier oben gewesen sein und ihn genommen haben«, sagte er. Er drehte sich um und sah den alten Mann an. »Auf wessen Seite bist du überhaupt?« »Scheiße, die Jungs haben deinen Ball nicht angerührt. Sie sind im Wasser.« Aber Melrose redete schon nicht mehr mit Pincus. Er schätzte die Entfernung zum Teich, nahm eines seiner Eisen und ließ ein halbes Dutzend Bälle auf den Boden fallen, neue Wilsons, dann begann er, sie dorthin zu schlagen, wo die Jungs im Wasser wateten. Der erste traf das Ufer; der zweite traf das Wasser so, daß es einem von ihnen ins Gesicht spritzte. Der Junge schaute auf, als verstehe er nicht, und Melrose machte einen weiteren Schwung, jagte diesen Ball hinter ihn in die Uferböschung. »Was zum Teufel machst du da?« fragte Pincus.

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»Die haben hier draußen nichts zu suchen«, sagte Melrose und schwang wieder. Der Junge sah den Ball kommen und stolperte nach hinten, strauchelte und tauchte unter. Er kam wieder hoch und sah jetzt wegen des Modders auf dem Grund aus wie eine pechschwarze Negerpuppe. Der ältere Junge zog den jüngeren von dort fort, und sie kletterten hastig das Ufer hinauf zu ihrem Fahrrad. Der ältere stieg als erster auf, um in die Pedale zu treten, und wartete, bis der kleinere sich vor ihn setzte. Und dann fuhren sie fort, ließen alle Bälle, die sie aus dem Teich gefischt hatten, auf dem Gras liegen. Die Arbeit eines halben Tages. Train dachte, sie müßten Brüder oder Cousins gewesen sein, wenn der Ältere darauf wartete, daß der Jüngere sich auf die Lenkstange setzte. Pincus schaute ihnen nach. »Das waren doch nur zwei Jungs«, sagte er. »Haben versucht, sich einen Dollar zu verdienen.« »Die Bälle gehören den Leuten, die sie geschlagen haben«, sagte Melrose, aber Pincus hatte genug gesehen und gehört. Er starrte Melrose an, und für einen Augenblick sah es aus, als beschämte es ihn, dann drehte er sich um und ging zurück Richtung Clubhaus, zog seinen Golfwagen hinter sich her. Melrose rief ihm nach. »Wo willst du hin, Mann? Wir haben hier ein Spiel laufen.« Pincus hob eine Hand und stellte sein Hörgerät ab. Wenn er so aufhörte, mochte es gut das letzte Mal sein, daß der alte Mann hier spielte. Mußte jetzt vielleicht sonntags zu Hause bei seiner Frau bleiben, mit ihr vielleicht in die Kirche gehen. Train erinnerte sich, wie Melrose ihn einmal gefragt hatte, als er noch mit Pincus befreundet war, wie’s im Alter so sei. »Wie’n Kaktus«, antwortete er. Was Melrose so zum Lachen brachte, daß ihm die Tränen kamen. Aber das war jetzt alles Geschichte. »Was jetzt?« fragte der Chinese.

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»Jetzt spielen wir Skins, Chinamann. Das andere Spiel heißt Moot«, sagte Melrose. Der Chinese nickte, als verstünde er, was Moot ist, und vielleicht tat er es ja sogar. Es klang wie etwas, das sie essen. Und dann sahen sie Train an. Alle sahen Train an. Dann sagte Melrose: »Hast du Geld dabei, Mann?« Die Neuigkeit, daß Train Melrose English, einem Chinesen und dem Silverman-Jungen bei einem sonntagmorgendlichen Skins ohne Strafschläge und mit von Melrose geliehenen Schlägern 260 Dollar abgenommen hatte, sprach sich zuerst unter den Stammspielern in Paradise Developments herum und machte dann weiter die Runde. Der Junge hatte nicht nur das ganze Geld gewonnen, er hatte Melrose English am letzten Loch sogar aus einer Entfernung von gut einem halben Meter putten lassen. Melrose versenkte den Ball und sparte sich damit weitere fünfzig Dollar, aber die eigentliche Unverfrorenheit hatte darin gelegen, daß der Junge ihn überhaupt hatte putten lassen. Melrose gab ihm das Geld, als kümmere es ihn gar nicht weiter. Der Chinese und Silverman hatten zuviel Angst, um zu atmen. »Schaffst du es kommenden Sonntag, Mann?« sagte Melrose kalt wie ein Eisfach. Und dann, bevor Train antworten konnte, sagte er: »Bring dein Geld mit.«

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9 DER COASTAL HIGHWAY

S

IE BETRANKEN SICH UND FUHREN NACH MEXIKO. Sie besuchten eine Live-Sex-Show, eine Frau und ein Bär, wachten morgens in einem Zimmer mit einer Katze in der Ecke und Kakerlaken überall auf der Decke auf, zogen los, betranken sich wieder und heirateten. Sie stellte sich vor, wie sie, die trauernde Witwe, zuschaute, wie einem Bären einer runtergeholt wurde. Ein weiterer Tag verging, und sie saßen wieder in dem Jaguar auf dem Rückweg nach Hause. Es war Alecs Lieblingsauto gewesen, auch wenn es neun oder zehn Monate im Jahr in der Werkstatt war. Auf eine Art mochte er es, weil es so schwer war, den Wagen sauberzuhalten. Er investierte seine Energie gern in Dinge, die sonst niemanden interessierten. Der Wagen war schwarz lackiert, und im Inneren hinterließ alles, was das Holz oder Glas berührte, sofort Flecken. Wann immer sie jetzt in den Wagen stieg, mußte sie an den Abdruck denken, den ihr Hinterteil auf dem kleinen Tisch in der Kunstgalerie hinterlassen hatte. Sie hatte zugeschaut, wie er sich langsam in nichts auflöste, während sie sich anzog. Miller fuhr, war in Gedanken. Das war nichts Neues für sie – er schien die meiste Zeit in Gedanken zu sein, aber sie wußte noch nicht, was das bedeutete. Es kam ihr nicht in den Sinn, daß sie es nie erfahren könnte. Sie befanden sich auf dem Coastal Highway unmittelbar

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nördlich von San Diego, und die Sonne schimmerte auf dem Wasser. Sie blickte zu ihren Beinen hinab und legte eine Hand auf die Innenseite ihres Schenkels. Einen Moment verharrte ihr Daumen auf der leichten Erhebung am Saum ihres Strumpfes, und sie bewegte ihn hin und her, spürte die Beschaffenheit ihrer Haut, dann des Nylons. Sie ließ einen Finger daruntergleiten, spürte einen kurzen klaren Schmerz, als er über die kleine Delle Narbengewebe strich, das sich gebildet hatte, wo sie bei der Vergewaltigung aufgerissen worden war. Es war der Junge, der das getan hatte; wie sich herausstellte, war er erst achtzehn Jahre alt. Sie ließ den Gedanken fallen und schob ihren Finger hinein. Aus der Gegenrichtung kam ihnen ein Kabriolett entgegen, drei Jungs, die vielleicht ebenfalls achtzehn waren, alle in Marineuniformen und auf dem Rückweg nach San Diego. Sie empfand eine leichte Traurigkeit bei ihrem Anblick, dachte an die Abschnitte ihres Lebens, die für immer vorüber waren. Später begegneten sie einem Pick-up voller Mexikaner, der mit geöffneter Motorhaube am Straßenrand stand; Kinder beugten sich aus den Scheiben, zu viele Erwachsene, um sie zu zählen, tranken auf der Ladefläche. Amüsierten sich auf eine Weise, wie nur Mexikaner sich amüsieren können. Er bemerkte, daß man ihre Kinder praktisch nie weinen sah. Eine Weile hielt er die Tachonadel auf siebzig, dann auf achtzig; sie hatte den Eindruck, daß er am glücklichsten war, wenn er Risiken einging. Sie griff über seinen Arm, warf dabei einen Schatten über seinen Schoß, und wischte langsam ihren feuchten Finger über seine Lippen. Er schmeckte, was es war, und schloß die Augen, aus diesem Grund sah sie vor ihm das Tier, das über die Leitplanke sprang.

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Er trat voll auf die Bremse, und das Heck des Jaguars begann seitlich auszubrechen, das Lenkrad lag nutzlos in seinen Händen, das Reh direkt vor ihnen rührte sich nicht, dann verließ der Wagen die Straße, das Tier ebenfalls, aber nicht mehr rechtzeitig. Plötzlich vernahm sie ein Geräusch, unverkennbar etwas Lebendes, das Ende des Lebens, dann tauchte das Ding wieder auf, die Windschutzscheibe zersplitterte, und der Wagen schlitterte die Leitplanke entlang, querte dann wieder den Highway, drehte sich jetzt, sprang über einen schmalen Straßengraben und kam parallel zum Highway auf der Anwohnerstraße jenseits des Grabens zum Stehen. Einen Augenblick blieb sie bewegungslos sitzen, der Rock hochgerutscht bis zum Schoß, starrte durch das zertrümmerte Glas genau in das Gesicht des Tieres, dahinter aufsteigender Dampf aus dem Kühler. Sie fühlte sich leer und begann, sonderbarerweise, zu weinen. Nicht wegen des Rehs oder auch nur wegen des Unfalls. Sie hatte keine Angst gehabt – es schien ihr, als hätte sie an diesem Morgen auf dem Schiff die Fähigkeit verloren, ganz normale Angst zu empfinden –, und sie war auch nicht verletzt. Sie war nur leer, und sie weinte. Er zog sie aus dem Wagen, als versuche er, sie zu retten, lehnte sie mit dem Rücken an den Kofferraum und begann, ihre Wangen zu küssen. Sah ihr in die Augen, küßte ihre Wangen. »Alles in Ordnung. Ich habe dich.« »Ich weiß, ich weiß.« »Du bist nicht verletzt.« »Ich weiß …« »Ich liebe dich«, sagte er. Und sie sagte: »Ich weiß.« Er hob ihren Rock über ihre Taille. Ein Umzugslaster raste vorbei, und der Luftzug schüttelte den Wagen hinter ihrem Rücken, und sie spürte, wie er in sie eindrang,

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schloß die Augen, spürte die Tränen auf ihren Wimpern und hörte die Hupe des Lastwagens erklingen und mit zunehmender Entfernung verhallen, und dann war er in ihr, Autos fuhren vorbei, Lastwagen, die Sonne spiegelte sich auf den Windschutzscheiben, Hupen, Bremsen, Tränen, und dann gab es wieder nur noch sie, Norah und Miller Packard, vögelnd wie Preßlufthämmer, so laut, daß man nicht einmal denken konnte. Und für eine Zeitlang fühlte sie sich wieder sicher. Langsam gingen sie am Rand des Highways entlang, drehten sich um, wenn sie Lichter näherkommen sahen, versuchten, mitgenommen zu werden. Sie trug unbequeme Schuhe, und der Straßenrand war uneben und schlecht zu sehen. Zwischen dem Asphalt und den steilen Felsen auf der Ostseite des Highways war nur wenige Zentimeter Platz. Die Sonne war untergegangen, die Luft kühlte ab, und sie war nicht sicher, ob sie in der Dämmerung von den entgegenkommenden Autos gesehen werden konnten. Ihren Pullover hatte sie im Jaguar gelassen, eine halbe Meile hinter ihnen. Sie gingen weitere zehn Minuten, bis es zu dunkel wurde, um überhaupt noch etwas vom Boden zu sehen, schließlich blieben sie neben einigen Felsbrocken stehen, die groß genug waren, um sich darauf zu setzen, und warteten. Er sagte, die Highway Patrol müßte bald vorbeikommen, sie würden rund um die Uhr die Straße hinauf- und hinunterfahren, nach möglichen Unfällen suchend. Sie zitterte vor Kälte. Er legte ihr sein Jackett über die Schultern. Später schaute sie ihn an und sah, daß er gedanklich wieder woanders war. Auf dem Ärmel seiner Jacke befand sich Blut. Ohne einen Grund zu nennen, hatte er vor ihrem Aufbruch das Tier von der Motorhaube gehoben und es in die Rinne neben den Felsen gelegt, und

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etwas an dieser Geste rührte sie. Sie hätte fragen können, aber es hätte einen ganz pragmatischen Grund dafür geben können, und davon wollte sie nichts wissen. Sie wollte nicht enttäuscht werden. »Bist du sicher, daß die Polizei kommt?« »Selbst wenn niemand den Unfall gemeldet hat«, sagte er, »patrouillieren sie hier ständig auf und ab.« »Was hast du gedacht?« fragte sie einige Zeit später, wollte sich ihm näher fühlen, während sie hier draußen am Highway festsaßen und jeder andere offenbar irgendwohin unterwegs war. »Als wir das Reh erwischt haben, meine ich. Als wir außer Kontrolle waren.« »Nichts«, sagte er, und dann drehte er sich zu ihr, küßte sie und lächelte. »Halt ihn einfach nur auf der Straße.« Ein Lastwagen voller Wassermelonen kam an ihnen vorbei, fuhr nach Norden. »Und als es vorbei war?« fragte sie. Er lächelte wieder, antwortete aber nicht. Ein paar Minuten vergingen, und Scheinwerfer warfen Lichtstrahlen über den Kamm des Hügels im Norden, die Winkel veränderten sich, während das Auto sich dem Gipfel näherte und dann in Sicht kam. Sie sah, daß das Auto langsamer wurde, daß es ein schwarzer Ford war. Es hatte Suchscheinwerfer an beiden Seiten, eine übergroße Antenne auf dem Kofferraum, sollte wie ein Wagen der Highway Patrol aussehen. Ein solcher Wagen war vorbeigekommen und hatte abgebremst, als sie auf dem Kofferraumdeckel des Jaguars waren. Ein dunkler, zweitüriger Ford mit Suchscheinwerfern und der Antenne, eine V-8-Maschine. Sie kannte Autos, war schon immer gern gefahren. Der Ford rollte auf dem Seitenstreifen aus und hielt. Die Beifahrertür wurde geöffnet, und ein Gesicht tauchte in der Türöffnung auf, ein massiger, kahler Kopf mit feinen Gesichtszügen. Bleich wie der Mond. »Braucht ihr

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Leute Hilfe?« rief der Mann. Seinen Akzent verortete sie nach Nord-Florida, und er klang leicht angetrunken. Packard ging auf den Wagen zu. Sie war hinter ihm, hielt seine Hand, zitterte vor Kälte. Der Mann im Wagen lächelte. »Ich dachte, ich hätte da hinten ein Wrack gesehen«, sagte er. »Ich will Ihnen gar nicht sagen, was noch.« Packard erreichte die offene Tür und beugte sich ein wenig vor, um hineinzusehen. Der Mann war gewaltig, lag halb auf dem Schoß eines stämmigen Mädchens mit Lippenstift auf den Zähnen und einem schwarzen BH unter einer weißen Bluse. Die Bluse bauschte sich und stand auf, die Knöpfe befanden sich in den falschen Löchern. Sie mochte neunzehn oder zwanzig Jahre alt sein. Sie lächelte und hielt eine kleine Flasche Coca-Cola mit Strohhalm darin in der Hand. Selbst hinter Packards Rücken stank der Wagen noch nach Tequila. »Wir haben ein Reh angefahren«, sagte Packard. Der Mann richtete sich auf, und das Mädchen versuchte, ihre Bluse glattzustreichen, sah dann das Problem mit den Knöpfen und gab auf, ohne zu versuchen, das in Ordnung zu bringen. Statt dessen nuckelte sie am Strohhalm und beobachtete Norah. »Sie können von Glück reden, daß niemand verletzt wurde«, sagte der Mann. »Auf diesem Abschnitt der Straße …« Sie sah, daß hinter dem Lenkrad kaum genug Platz für ihn war. Er trug ein Hawaiihemd, und auf beide Unterarme waren Kreuze tätowiert. Er hatte jedoch die Finger eines Babys. Kurze, fleischige Finger. Grübchen. »Wenigstens steht ihr Leute noch auf beiden Beinen«, sagte der Mann. »Dafür: Gelobt sei der Herr.« Dann drückte er die Rückenlehne des Beifahrersitzes nach vorn – es schien dem Mädchen nichts auszumachen, nach vorn gebeugt zu werden – und deutete auf den Rücksitz. »Springt rein«, sagte er.

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Packard hielt ihre Hand, während sie auf den Rücksitz kletterte und er dann selbst einstieg. Der Hals des Mannes bestand aus zwei Fettrollen zwischen Kopf und Schultern. Der Rücksitz roch nach Hunden und Menschen. Das Mädchen vorn knallte die Tür zu und trank einen weiteren Schluck durch den Strohhalm, der Mann steuerte den Wagen zurück auf den Highway und wuchtete sich ein Stück hoch, um sie im Rückspiegel mustern zu können. Am Innenspiegel pendelte ein Kreuz an einer Kette. »Wo kommt ihr Leute her?« fragte er. »Hollywood?« »Ich glaube, hier irgendwo muß es eine Telefonzelle geben«, sagte Packard und zeigte auf die Straße. »Eine Tankstelle, von wo aus wir eine Werkstatt anrufen können.« »Also«, meinte der Mann, »es gibt da wirklich eine Tankstelle, mit einem Diner direkt dahinter, so vier, fünf Meilen von hier.« Er sah wieder in den Rückspiegel. »Aber, wißt ihr, ich und Cindy, wir sind selbst auf dem Weg zurück in die große Stadt, könnten euch also gut mitnehmen.« »Nein«, sagte Packard, »wir wollen uns um den Wagen kümmern.« »Tja, kann ich euch nicht verübeln«, sagte der Mann. »Sah wie ein teures Auto aus.« Mit winzigen, gleichmäßigen Zähnen lächelte er in den Spiegel. »Außerdem weiß ich ja, daß mein Erscheinungsbild den Ladys angst macht.« Das Mädchen auf dem Beifahrersitz kicherte und trank wieder einen Schluck. Packard saß bewegungslos da, und sie sah einen bestimmten Ausdruck auf seinem Gesicht auftauchen, der Wagen fuhr weiter den Highway hinauf. »Weiß Gott«, sagte der Mann, »manchmal seh’ ich in den Spiegel und erschreck’ mich selbst.« Sie berührte Packards Bein, wollte ihn nicht vergessen lassen, daß sie auch da war.

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»Tatsache ist«, sagte der Mann auf dem Fahrersitz, »ich bin ziemlich sanftmütig.« Das Mädchen vorn begann zu prusten und hustete dann, denn sie trank gerade, als er das sagte, und etwas von dem Getränk kam ihr aus der Nase. Sie wischte es sich mit dem Ärmel ab. Er bewegte sich ein wenig und fand Norah im Spiegel. »Was habt ihr noch gesagt, woher ihr kommt?« fragte er. Ein paar Minuten verstrichen, und sie kamen um eine weit geschwungene Kurve und sahen die Tankstelle. »Eine Menge Leute meinen, wenn ein Mann Übergröße hat, dann ist er auch langsam«, sagte der Mann. »In beiden Bedeutungen des Wortes.« Er sah sie wieder im Spiegel an. »Dort ist die Tankstelle«, sagte Packard. »Warum bleiben wir nicht einfach noch ein bißchen auf dem Highway«, sagte der Mann, »und sehen mal, was wir sehen? Ihr Leute habt’s doch nicht eilig, oder?« Es war einige Sekunden still, dann sagte der Mann: »Wißt ihr, der Highway hier ist so was wie mein Hobby. Man weiß nie, wem oder was man hier nachts so begegnet. Vielleicht sieht man ein Wrack, vielleicht sieht man die Leichen zwischen den Bäumen.« Der Wagen fuhr in eine weitere lange Kurve, und in der Dunkelheit des Rücksitzes spürte sie, wie er seine Stellung leicht, kaum merklich veränderte. Der Mann sagte: »Ein Stückchen weiter zweigt ein kleiner Feldweg ab, dahin fahren die Teenager immer zum Parken. Manchmal fahren wir mit dem Scheinwerfer da rauf und jagen denen eine Scheißangst ein.« Er lachte, als ob er sich an verängstigte Teenager erinnerte, dann tippte er vor der Kurve leicht auf die Bremse. Von vorne wehte ein neuer Geruch zu ihnen nach hinten; der Geruch war feucht vor Aufregung. »Jawoll, Sir. Fahren wir doch alle mal ein Stückchen hier rauf und sehen, was es zu sehen gibt. Ist das in Ordnung für euch Leute?«

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Das Auto bog vom Highway auf einen Feldweg ab. Sie erwischten eine Bodenrinne, und die Hinterachse schrammte über den Weg. Der Mann verlangsamte das Tempo und schaltete die Scheinwerfer aus. Sie fuhren noch ein wenig weiter, bis sie vom Highway aus nicht mehr zu sehen waren, dann hielt er an. Er legte einen seiner kurzen, stämmigen Arme über die Rückenlehne und lächelte sie an, ließ seine Zähne aufblitzen, und dann, während sie hinsah, hob er die Hand unter seinen Mund und spuckte sie hinein. Den kompletten Oberkiefer. »Bei den meisten Leuten passiert an diesem Punkt ein Unfall in der Unterhose«, sagte er und sah sie dabei direkt an. »Das ist es, was Cindy besonders mag, wenn sie die Beherrschung verlieren.« Sie schlug ihm schelmisch auf den Arm, war verlegen. »Carl«, sagte sie. Der Mann atmete schneller, durch den Mund. Sein Zahnfleisch glänzte im Dunkeln. »Und jetzt hab’ ich eine kleine Überraschung für euch«, sagte er zu Norah. »Meine Cindy hier hat eine gewisse Vorliebe für den weiblichen Körper entwickelt …« Einen Moment gab es keinen anderen Laut als das Atmen des Mannes, und dann hörte sie Packard, der klang, als interessiere ihn das ebenfalls. Er sagte: »Da fragt man sich doch, wie so was passieren konnte.« Der Mann erstarrte, als hätte diese Bemerkung ihn verletzt. Es machte das Mädchen wütend. »Schüttel ihn ’n bißchen, Carl«, sagte das Mädchen. »Mal sehen, wie witzig er’s dann noch findet.« Packard wandte sich an das Mädchen. »Ist da nicht eine kleine Stimme in deinem Kopf, Süße, die dir sagt, daß hier irgendwas nicht stimmt?« »Warte ab, du wirst schon sehen«, sagte sie. »Warte ab, bis Carl über den Sitz steigt, dann siehst du mal, welche Stimme du hörst.«

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Und genau in diesem Moment setzte der Mann an, über die Rückenlehne zu steigen. Seine Arme waren kurz und dick, und er ruderte herum, während er seinen Körper nach hinten zwängte. Es war, als beobachte man eine Schildkröte. Als er es ungefähr halb geschafft hatte, griff er mit seinen Grübchenfingern nach Packard. »Halt dir die Ohren zu«, sagte Packard sehr nüchtern, und das tat sie dann auch, ohne nach einem Grund zu fragen, als würde so etwas ständig passieren. Die Kanone war draußen, als der Mann Packard gerade am Kragen packte. Der ließ sich nach vorn ziehen, drehte seinen Kopf aber weg, bevor der Mann ihm einen Kopfstoß verpassen konnte, und legte seine Wange einen Moment gegen die Seite von Carls Glatzkopf, als würden sie tanzen, dann hob er die Kanone neben das andere Ohr des Mannes und drückte den Abzug. Einen Moment dachte sie, er hätte ihn ebenfalls umgebracht. Der Mündungsblitz erhellte das Wageninnere; sie spürte die Erschütterung der Luft auf ihrem Gesicht, und es fühlte sich feucht an, wie Blut. Der Mann umklammerte sich verzweifelt und zuckte hin und her. Das Mädchen fing an zu schreien, dann zu heulen. Packard richtete sich weiter auf, sah erst sie und dann ihn an und schaute schließlich zum Wagenhimmel auf, in dem ein Loch von der Größe einer Zehncentmünze aufgetaucht war. Der Baumwollstoff drum herum war versengt und qualmte. Er klopfte mit dem Handrücken auf die Stelle und löschte die Flammen. Das Mädchen hielt sich die Ohren, starrte Carl an und heulte. Norah vermutete, daß es zwischen ihnen jetzt nicht mehr sein würde wie zuvor. »Carl?« sagte Packard, und als der Mann sich nicht rührte, klopfte Packard ihm mit dem Lauf auf den Schädel. Es war kein sanftes Klopfen. »Carl?« Langsam richtete er sich auf, stützte sich am Armaturenbrett ab,

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sah seine Hände an, um herauszufinden, wo er angeschossen war. Packard sah, daß der Mann nicht gut hören konnte, also hob er die Stimme und sprach betont langsam. »Jetzt werden wir einfach zur Tankstelle fahren.« Das Mädchen lehnte an der Beifahrertür und weinte bitterlich den ganzen Weg dorthin. Sie aßen in einem kleinen, schwach beleuchteten Diner hinter der Sinclair-Tankstelle zu Abend, während sie auf den Abschleppwagen warteten. Gegrillte Hühnchensandwichs mit Kartoffelsalat und Bier. Im Mundwinkel der Kellnerin klebte eine Zigarette, und auf ihrer Bluse waren Flecken; es sah aus, als würde sie stillen und Milch verlieren. Sie waren die einzigen Gäste in dem Lokal. »Es ist nicht sicher in deiner Nähe, oder?« fragte sie. Er sagte: »Das wollte ich dich auch gerade fragen.« Er beugte sich vor und küßte sie, und dann griff er in seine Tasche. Sie befürchtete kurz, daß es ein weiterer Ring war, ein echter diesmal. Der, den er ihr in Mexiko gegeben hatte, war aus Silber und verfärbte ihren Finger grünlich, aber genau diesen wollte sie. Er hatte ihn auf der Straße bei einem Indianer gekauft, und er war perfekt. Allerdings hatte er keinen Ring; es waren Carls Zähne. Irgendwo im Hintergrund begann ein Baby zu weinen, und die Kellnerin verschwand durch einen Vorhang in dieser Richtung. Er legte die Zähne auf den Tisch zwischen sie. »Man hört nicht viel darüber«, sagte er mit einer völlig anderen Stimme, »aber ein Freund von mir, ein Zahnarzt, hat mir mal erzählt, daß kleine Hunde erheblich mehr Zahnprothesen fressen als Schuhe und Pantoffeln zusammen. Zahnprothesen sind die versteckten Kosten bei der Anschaffung eines Hundes.«

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Sie starrte ihn an. Eine Minute verstrich. »Es hat dir Spaß gemacht, stimmt’s?« sagte sie. »Die ganze Sache vorhin im Auto.« Er lächelte nur wie besoffen. Es war, als spreche sie Französisch und er hätte sich trotzdem in sie verliebt, ohne zu wissen, was irgendwas bedeutet. »Du hast gesehen, wie er aussah«, sagte sie. »Warum sonst würdest du einsteigen?« »Wir sind beide eingestiegen«, sagte er. »Du hörst dich an wie mein Psychologe.« In den letzten paar Monaten hatte sie einen Vertreter dieser Gattung aufgesucht, einen Mann, der es interessant fand, daß sie sich in die Hose gemacht hatte, um von den Negern fortzukommen. Er hatte sie gefragt, ob sie meinte, es könnte eine Verbindung zu ihrem Vater bestehen. Fünfundzwanzig Dollar die Stunde für so etwas. Packard zuckte mit den Achseln und sagte: »Nun, Carl ist der Psychologe. Wie hat er sich noch ausgedrückt? ›Fahren wir doch alle mal ein Stückchen hier rauf und sehen, was es zu sehen gibt.‹ Ist es nicht genau das, wozu Psychologen einen zu bewegen versuchen?« Sie wartete einen Moment, spürte, wie sie auf die Erwähnung seines Namens reagierte, dann schaute sie wieder auf die Zähne. »Mein Gott, dieser Kopf.« »Ja, das war mal ein Schädel.« Und wie aus heiterem Himmel passierte es wieder. Jemand ließ die Fledermäuse los, und sie lachte laut los, bis sie heiser war und ihr die Tränen in den Augen standen und die Kellnerin von hinten zurückkam, weil sie dachte, er hätte sie geschlagen, und auch das war komisch. In diesem Augenblick kam ihr der Gedanke, daß alles in Ordnung wäre, wenn sie einfach weiterlachen könnte. Lachen, tanzen, trinken, lächeln, genau wie Packard. Wenn sie einfach nur in Bewegung blieb, dann wäre sie sicher. Wenn du von den Dingen eingeholt wirst, dann hast du ein Prob-

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lem. Wenn man erst einmal aufhörte, sich zu bewegen, dann konnte man sich nie mehr bewegen. Sie sah ihren frischgebackenen Ehemann an und glaubte, zum ersten Mal, daß sie verstand, was er gemeint hatte, als er ihr sagte, sie solle versuchen, es als eine Geschichte über andere Menschen zu sehen. Als der Abschleppwagen kam, warf Miller Packard Carls Zähne einem Köter zu, der im Staub neben den Zapfsäulen lag. Er machte bereits mampfende Geräusche, als sie einstiegen, um den Heimweg anzutreten.

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10 PARADISE DEVELOPMENTS

A

M FREITAG NACHMITTAG WAR MR. COOPER anders als gewöhnlich. Es gab wieder Probleme mit den Baugenehmigungen, Probleme mit der Bank. Heute hielt er keinen Vortrag darüber, daß sie Botschafter für Paradise Developments waren oder daß in Amerika das Glück auf der Straße lag und man es nur aufheben mußte. Tatsächlich sagte er überhaupt nicht viel, ging einfach das Alphabet durch, zahlte die Männer aus und gab, wie immer als letztem, Train seinen Lohn. Er teilte Train mit, daß er noch bleiben solle, später käme ein Mann vorbei, der ihn sprechen wolle. Ein Mann, der davon gehört hätte, daß er Melrose beim Golf geschlagen hatte. »Was für ein Mann ist das?« fragte er. Train wollte nicht, daß jemand vorbeikam, um ihn zu sprechen. Er dachte an Mayflower, an den Polizisten, der sich den Papierdorn durch die Hand gejagt hatte. Ein Mann kam vorbei und wollte ihn sprechen – das konnte nichts Gutes bedeuten. Er warf einen Blick zur Tür, befürchtete einen Moment, daß Mr. Coopers Frau ihm irgend etwas über die Scheune erzählt haben könnte. Daß der Chef die Behörden verständigt hätte und daß sie jetzt darauf warteten, ihn abzuholen. »Hast du schon mal was vom Indiana Klan gehört?« fragte Mr. Cooper. »Es ist der Mann, der denen die Stirn geboten hat. Du wirst schon sehen.« Dann widmete er

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sich wieder dem Bilanzieren seiner Bilanz, und die Zeit verging im Schneckentempo. Irgendwann hörte Train jemanden kommen, es klang wie ein Mann, der den Beton fegte, während er die Stufen heraufkam, dann ging die Tür auf, und es war die Rache des Herrn in Person, mit Hut auf dem Kopf. Der Mann ging, als bereite ihm jede Bewegung Schmerzen, und zog ein Bein hinter sich her. Seine Arme waren vernarbt und dünn, und etwa die Hälfte seines Gesichts war rosa, sah aus, als hätte jemand eine Steppdecke genäht, und seine Ohren waren kleine knusprig aussehende Beulen. Seine Haut war zerknittert und faltig, und an manchen Stellen schien es zuviel davon zu geben, an anderen zu wenig. Der Mann ließ sich Zeit, Train aufmerksam zu mustern, sah ihn an, als wäre er hier derjenige, der wie ein über dem Lagerfeuer geröstetes Marshmallow aussah. »Das ist Mr. Hollingsworth«, sagte Mr. Cooper, »Verleger des Darktown Standard. Seit Firmengründung ist er stets ein guter Freund unserer Sache gewesen.« Mr. Hollingsworth hatte kleine und lebendige Augen inmitten all dieser zerstörten Haut, und sie waren auf Train gerichtet von dem Moment an, als er durch die Tür hereinkam. »Wie ich höre, spielst du Golf«, sagte der Mann schließlich, und als er redete, sprach er wie ein Professor. Es schien eine Strapaze für seine Lippen zu sein, die aussahen, als hätte jemand den Mund verkehrt herum aufgenäht. Train nickte. »Und du warst früher Caddie in Brookline?« sagte er. Train blinzelte, wußte nicht, ob er sich hier mit einer Lüge herauslavieren konnte oder nicht. Anscheinend hatte Mr. Cooper ihm erzählt, woher er kam, denn woher sonst sollte er das wissen?

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»Kanntest du diese beiden Jungs gut, mein Sohn?« fragte er. »Die zwei, die auf diesem Boot in Schwierigkeiten geraten sind?« Train schreckte zurück, als er Sohn genannt wurde. Das war ein weiteres Zeichen, daß es nur noch schlimmer werden konnte; außerdem erinnerte es ihn daran, daß diese Leute einem immer die Hand auf den Rücken oder die Schulter legten. »Jeder kannte die«, sagte er. Als nächstes würde Hollingsworth sich nach der Polizei erkundigen, nach dem, was auf dem Revier passiert war, und dabei bewegte sich die Unterhaltung ohnehin schon zu sehr auf dem Gebiet der Strafverfolgung, als daß es Train recht war. »Nach allem, was man mir berichtet hat, hatten diese Jungs nichts mit der Sache zu tun«, sagte Hollingsworth. »Unschuldige Opfer. Die Polizei hat sie einfach aus dem Meer gefischt und erschossen, schlicht und einfach, um zu vertuschen, was wirklich passiert ist.« Hollingsworth schien etwas einzufallen, und er machte sich Notizen, Train starrte auf das Handgelenk des Mannes, schmal und merkwürdig verfärbt, und auf das Uhrarmband, locker und viel zu weit. Zusätzlich zu allem anderen, das an ihm versaut war, schien er auch von irgendwas zerfressen zu werden. Er sah aus wie eine Grabschändung. »Die Frau war weiß und reich«, sagte er, fast wie eine Frage, »und sie hat ihren eigenen Mann erschossen. Schlicht und einfach. Irgendwer mußte verantwortlich gemacht werden.« Dann setzte er sich und wartete, und Train begriff, daß er darauf wartete, daß er sagte, ja, genau so ist es gewesen. Er wartete auf Bestätigung. Train schaute zur Tür. Er wollte raus aus diesem Raum und fort von diesem Hollingsworth und seinen verpfuschten Ohren. Wollte nichts mit dem Thema

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Brookline und alledem zu tun haben, was dort passiert war. Aber er nickte nur. »Yessir«, sagte er. Hollingsworth seufzte. »Die reichen Typen finden immer einen oder zwei von uns, denen sie einen erschossenen Ehemann in die Schuhe schieben können, stimmt’s?« sagte er. Mr. Cooper schien dieser Version zuzustimmen, als hätte er mitzureden bei dem, was dort draußen passiert war. »Wurde anschließend viel darüber geredet?« fragte Hollingsworth. »Vielleicht ein paar Spekulationen seitens eines Vorgesetzten oder eines anderen Caddies, der dort arbeitet? Jemand, mit dem ich mich in Verbindung setzen könnte …« Train sagte es nicht, aber es war gar keine Frage, daß wer immer Sweet erschossen hatte, gute Gründe dafür gehabt hatte. Er sagte lediglich, daß es nach dem Zwischenfall dort keine Arbeit mehr gegeben hatte. »Sie haben alle Jobs einkassiert. Sie haben gesagt, sie machen einen sauberen Schnitt.« Mr. Hollingsworth nickte, als wäre dies genau das, was er erwartet hatte. »Das typische Raster«, sagte er, »so alt wie die Zeit. Teile das Volk. Teile und herrsche.« Er schaute über den Tisch und senkte die Stimme so weit, daß man nicht bestreiten konnte, was er sagte, egal, was es war. »Ich verspreche dir eins«, sagte er. »Deine Freunde Clarence Holmes und Arthur Tobin, sie werden ihr Leben nicht umsonst verloren haben.« Train sah, daß der richtige Zeitpunkt vorüber war zu erwähnen, daß Sweet zwei Jahre in Vacaville gesessen und Floridas Witwe 350 Dollar gestohlen hatte. Er saß einfach nur still da, versuchte, nicht auf die Ohren des Mannes zu starren, und wartete. Der Mann beugte sich näher heran und berührte ihn. »Du bist ein guter Junge«,

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sagte er. Und Train glaubte, etwas Verbranntes zu riechen. Am Sonntag morgen war Train bei Tagesanbruch im Club. Whitey kam gegen halb sieben und öffnete das Tor, sah aus, als hätte sie im Wald geschlafen. Hollingsworth tauchte zwei Stunden später auf, kurz nach Melrose, immer noch mit diesem Hut, was bei Train die Frage aufwarf, wie es wohl darunter aussehen mochte. Er ging auf diese schmerzhaft hinkende Art hinunter zum ersten Tee, wo die Golfer warteten. Zog sein schlimmes Bein hinter sich her. »Hättest du vielleicht noch einen Augenblick?« sagte er zu Train. Melrose und die beiden Spieler, die er mitgebracht hatte, saßen auf der Bank; sie schienen ihren Spaß daran zu haben, wie der Mann redete. Einer der Spieler namens Alexander Pokey war ein Jockey, kurze O-Beine, sah von weitem aus wie ein Kind. Der andere war älter und beanspruchte doppelt soviel Platz wie ein SteinwayFlügel. Der Jockey nannte ihn »Wampe«, was aber seiner spektakulären Erscheinung kaum gerecht wurde. Train wartete höflich, und Hollingsworth sagte: »Ich habe mich gefragt, ob du dich wohl an irgend etwas bezüglich des Jüngeren erinnerst. Der, den sie umgebracht haben.« Train dachte an Arthur, wußte überhaupt nichts, selbst wenn er es hätte sagen wollen. Erinnerte sich nur an diesen trägen Blick, den Geruch von Babypuder und wie das Fleisch unter dem Hemd des Jungen wogte. »Was bringst du auf die Waage, Wampe?« sagte der Jockey hinter ihm. »Vierhundert?« »Hat mit keinem geredet«, sagte Train. Hollingsworth wartete, wollte, daß Train sich anstrengte. »Hatte er Familie? Mutter, Vater, Geschwister? Irgendeine Idee, wo ich die finden könnte?«

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»Ich frag’ ja nur, weil«, meinte der Jockey zu dem dicken Mann, »in der Scheune steht eine Stute, die hat mir in den Arsch gebissen.« Er hob sein Hemd und entblößte Muskeln, von denen Train nie vermutet hätte, daß es sie gab, und drehte sich auf der Bank, um ihnen den Verband zu zeigen. Er hatte ungefähr die Größe eines Waschlappens, und die Prellung darunter zog sich fast bis zur Taille. »Ich bezahl’ dir was dafür, wenn du vorbeikommst und dich auf sie setzt«, schimpfte der Jockey. »Sie soll nur mal eine Vorstellung von so was kriegen.« »Ich kann auf kein Scheißpferd steigen, Poke«, sagte der dicke Mann. »Dieses Luder hat mich so übel erwischt, ich kann nur noch im Sitzen schlafen«, sagte der Jockey. »Ich will ja nur ein bißchen Genugtuung.« »Knall den Gaul ab«, sagte Melrose. »Nein, Sir«, sagte Train zu Hollingsworth. »Hab’ nie gehört, daß er von so was geredet hat.« Train stand am Abschlag, schwang die geliehenen Schläger, machte sich mit ihrem Gewicht vertraut. Manche der Eisen waren Wilsons, andere waren von Spalding, und während Train sich damit vertraut machte, wie sie sich anfühlten, saßen Wampe und der Jockey auf der Bank und unterhielten sich über andere Möglichkeiten, ein Pferd zu überraschen, als von einem vierhundert Pfund schweren Reiter bestiegen zu werden. Melrose kicherte vor sich hin, beugte sich vor und spuckte zwischen seine Schuhe. Sein Lachen suggerierte, daß er mehr wußte als alle anderen. Der Zeitungsmann stand dabei, ignorierte sie und hoffte immer noch, Train hätte ihm etwas zu erzählen. Plötzlich sagte Melrose: »Bist du hergekommen, weil du zusehen willst, wie der Junge sein ganzes Geld verliert, Pop?« Der Zeitungsmann richtete seinen starren

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Blick zuerst auf ihn und dann auf alle anderen. Ein Moment verstrich, und es wurde ungemütlich. Wampe beschloß, seine Golfschuhe neu zu binden, und Melrose stand auf und machte ein paar Probeschwünge mit seinem Schläger, sagte, ihm würde ganz komisch, wenn er von jemandem angesehen wurde, der so verbrannt war. Er schaute eine Weile das Fairway hinunter und wartete, daß der Vierer vor ihnen endlich einlochte und verschwand. »Wird heute langsam laufen«, sagte er. Dann wandte er sich an Train. »Ich hoffe, das macht dir nichts aus, Mann, langsam zu spielen.« Train zuckte mit den Achseln. »Langsam oder schnell«, sagte er, »ist egal.« »Was für ein Spiel willst du?« fragte Melrose, nachdem Hollingsworth verschwunden war. Train sah den Jockey und den dicken Mann an, erinnerte sich an die Tiefstapler, die ihm in Brookline begegnet waren. Melrose sagte: »Wie wär’s mit mir und Alexander gegen dich und Wampe, ein Zwanzig-Dollar-Nassau …?« Train schüttelte den Kopf. »Zwanzig Dollar sind zuviel?« »Mann«, sagte der Jockey, »ich verschwende hier nur meine kostbare Zeit.« »Skins«, sagte Train. »Jeder für sich allein.« Melrose zuckte mit den Achseln, und die beiden anderen Spieler taten es ihm nach. Der dicke Mann wirkte gelangweilt. Melrose sagte: »Fünfzig für achtzehn, ist das für alle okay?« Stellte ihn irgendwie auf die Probe. Train versuchte, nicht an fünfzig Dollar zu denken, daran, wie lange er brauchte, um so viel mit dem Schleppen von Golftaschen zu verdienen. Melrose gewann die ersten vier Skins, lochte mit Chips von der hinteren Seite der Grüns ein, machte sein Spiel. Train spürte, wie alle ihn beobachteten, wissen

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wollten, ob er Angst hatte oder beunruhigt war. »Du hast das gedeckt, Mann?« sagte Melrose auf dem Weg zum fünften Tee. Dann trat er an den Abschlag und schlug ihn genau in die Mitte, wenn auch ein wenig flach für seine Verhältnisse. Er fühlte sich gut. »Ich meine, wenn wir fertig sind und die Kohle nicht stimmt, verstehst du, dann ist das schlecht für alle.« Aber wie Train die Sache sah, spielte er so oder so auf Melroses Kosten. Er konnte heute jedes einzelne Loch verlieren und wäre immer noch mit 210 Dollar im Plus. So langsam bekam er ein Gefühl für die Leihschläger und verharrte bei den Schlägern mit flexiblerem Schaft etwas länger am Scheitelpunkt seines Rückschwungs. Und Melrose würde seine Bälle auch nicht ewig einchippen. Jetzt holte er ruhig mit dem Driver aus und schlug den Ball fünfzig Yards weiter als Melrose. Am Fünften chippte Melrose wieder ein, diesmal allerdings ging das Loch unentschieden aus. Und das war dann auch die letzte kleine Chance, die er bekam. Nach der Runde setzten sich alle bis auf Wampe, der nicht dahinter paßte, an den Picknicktisch vor dem Wohnwagen, um abzurechnen. Erst als das Geld auf den Tisch gelegt wurde, sah Train, daß sie um fünfzig Dollar pro Loch gespielt hatten, nicht um fünfzig für die achtzehn. Er nahm das Geld, zählte es – neunzehnhundert Dollar – und spürte, wie seine Finger zitterten. Melrose konnte seinen Anblick jetzt nicht mehr ertragen, aber für die beiden anderen schien der Ausgang des Spiels kein Problem zu sein; obwohl beide neunhundert verloren hatten, saßen sie gelassen und glücklich da, tranken Gin und 7-up. Der eine von ihnen, der Jockey, war der beste Putter, den Train je gesehen hatte. Gut möglich, daß der kleine Mann an einem anderen Tag das ganze Geld einsackte. Train behielt das Geld in seiner Gesäßtasche, und

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nach einer Woche war er es satt, es immer mit sich herumzuschleppen, hatte keine Lust mehr, es zu verstekken, wenn er schlafen ging oder duschte, es sogar vor Plural zu verstecken. Wenn er auf dem Traktor saß, bewirkte es, daß sein Bein gefühllos wurde. Einmal gefaltet war es immerhin gut sieben Zentimeter dick – über zweitausend Dollar, mehr Geld, als er je erwartet hätte, in seinem ganzen Leben zu besitzen –, und er machte sich darum Sorgen, so wie er sich früher darum Sorgen gemacht hatte, daß der alte Lucky unter dem Küchentisch starb, wenn er vom Bus nach Hause lief, um sich zu vergewissern, daß er nicht entschlafen war, während Train arbeitete. In mancher Hinsicht brachten zweitausend Dollar mehr Ärger als überhaupt kein Geld. Die Greenkeeping-Mannschaft von Paradise Developments machte eine Stunde Mittagspause. Die Stunde wurde nicht bezahlt. Es gab fünf Festangestellte, und sie aßen ihre Sandwichs, Früchte, gekochten Eier und Muffins und legten sich dann unter einer großen Eiche hinter der Scheune ins Gras, bis Whitey herunterkam und sie anbrüllte, daß es an der Zeit sei, wieder an die Arbeit zu gehen. Sie stöhnten immer, wenn sie aufstanden, und einer von ihnen sagte immer, daß sie keine Uhren hätten, daß sie ihnen eine Uhr geben müßte. Whitey ging es auf die Nerven, daß sie noch mehr von Mr. Cooper haben wollten, und sie sagte dann, ihr wäre durchaus aufgefallen, daß sie niemals herunterkommen und ihnen sagen müßte, es sei an der Zeit sich hinzulegen. Die Jungs mochten es, wenn sie so aufgebracht war, besonders, wenn sie es schafften, sie so wütend zu machen, daß sie den armen Lester am Gürtel packte und zusammenstauchte, hin und her schüttelte wie eine Puppe. Lester hatte fürchterliche Angst vor Whitey.

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Train machte sich nichts daraus, dabeizusein, wenn der arme Lester wieder mal verwirrt wurde, und wenn er gegessen hatte, fuhr er für gewöhnlich mit dem alten Ford-Pick-up ohne Bremsen raus zum Teich an der fünften Bahn, wo die Jungs nach Golfbällen getaucht hatten, setzte sich dort auf die Kühlerhaube und fütterte eine einbeinige Ente mit Sandwichresten, die Leute in den Müll geworfen hatten. Er nannte die Ente Marliss. Manchmal, wenn er eine tote Schlange oder ein Kaninchen auf dem Platz gefunden hatte, brachte er das Tier für die Wasserschildkröten mit. Es waren mindestens acht oder zehn, von denen manche hundert Pfund wiegen mußten. Über das, was an dem Teich los war, konnte Train sich nur so viel zusammenreimen, daß Marliss ihren Fuß an eine der Schildkröten verloren hatte und sich weigerte, den Schauplatz des Verbrechens zu verlassen. Zweimal war Train von seinem Traktor abgestiegen und hatte sie eingefangen und zu dem anderen Teich an der Sechzehn gebracht, aber beide Male war sie am nächsten Morgen wieder auf der Nummer Fünf. Sie ließ sich ganz in der Nähe der Stelle nieder, wo die Schildkröten im Wasser lauerten, sich näher und noch ein bißchen näher schoben, bis schließlich eine von ihnen auf sie losging, und genau in der Sekunde, wenn eine der Schildkröten sich bewegte, war sie weg, verzog sich quakend und flügelschlagend, eine Federspur hinter sich lassend. Die Ente war schon dort gewesen, als Train angefangen hatte. Als er sie das erste Mal sah, humpelte sie vor dem Traktor her, schlug mit den Flügeln, um nicht umzufallen, sah aus, als versuchte sie, Selbstmord zu begehen. Aber das war es natürlich nicht; sie hatte sich gerade zum ersten Mal in das waghalsige Leben gestürzt und konnte nicht mehr zurück.

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Er saß auf der Motorhaube des Wagens und warf Marliss Brot zu, als eine Person in Anzug und mit Strohhut aus Richtung der Straße auf ihn zukam. Landstreicher hatten den Zaun wieder eingerissen, daher konnte jeder auf den Platz kommen, und Mr. Cooper hatte die Zaunfirma noch nicht kommen lassen, um ihn wieder aufzurichten. Wohin man auch schaute, überall gab es Dinge, die Mr. Cooper noch nicht getan hatte; ihn interessierte nur, daß die Bulldozer Erdreich bewegten. Die Person hatte eine eher schmale Figur und schien ein steifes Genick zu haben, vielleicht, weil sie dauernd zu Erwachsenen aufgeschaut hatte. Er wiegte sich beim Gehen, erinnerte an Sweet. Die Person kam über einen lehmigen Hügel auf der anderen Seite des Teichs, versuchte, ihre Schuhe nicht schmutzig zu machen, und blieb dann einen Moment stehen, ließ ihre Fingerknöchel knacken, beobachtete eine der großen Wasserschildkröten. Ihre Schuhe glänzten in der Sonne. Train wartete; Eile mit Weile. Der kleine Mann schaute von der Schildkröte auf; der Strohhut warf einen Schatten über sein Gesicht. Außer seinen Zähnen konnte Train nichts erkennen. Train warf der Ente weiter Brot zu, als wäre diese Person gar nicht da. »Wie kommt’s, daß ihr die Schildkröten da nicht abgemurkst habt?« sagte der kleine Mann. Für jemanden seiner Größe hatte er eine erstaunlich tiefe Stimme. Zarte Hände, polierte Nägel. Einen bleistiftdünnen Schnurrbart über der Lippe. »Haben nichts getan, weswegen man sie umbringen müßte«, sagte Train. Die Ente richtete sich auf und schüttelte sich. Der Mann kam näher, achtete darauf, wohin er seine Füße stellte. Mußte seine Kleidung in der Kinderabteilung erworben haben. »Würden dich sofort umbringen – das

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ist ein Grund.« Er machte eine Pistole aus Daumen und Zeigefinger und zielte auf die Schildkröten, tat, als würde er schießen. Seine Hand zuckte dreimal, er machte dazu die entsprechenden Geräusche. »Die bilden sich ein, sie sind sicher in ihrem Panzer. Haben wahrscheinlich vor nichts Angst.« »Keine Ahnung«, sagte Train. Diese Bemerkung schien ihn aufgeregt zu haben, machte ihn häßlich. »Hab’ dich nicht gefragt, was du weißt«, sagte er. Das war Train früher schon bei kleinen Leuten aufgefallen, ohne echten Grund gehen sie an die Decke. Als er wieder sprach, hatte er jedoch schon vergessen, daß er wütend war. »Du hast noch nie aus Sport getötet?« Er wartete kurz, aber Train antwortete nicht. »Du hast die freie Natur verpaßt.« Plötzlich durchfuhr es Train eiskalt, als er meinte, Mayflowers Hand in seinem Genick zu spüren. Eine der Schildkröten glitt unter die Wasseroberfläche, erregte die Aufmerksamkeit des kleinen Mannes. »Sieh sich einer die an. Die haben einen Kopf wie der Schwanz von einem alten Mann«, sagte er. »Du könntest sie wegen Häßlichkeit umbringen. Das ist auch ein Grund.« Er nahm eine Zigarette aus seiner Hemdtasche, ließ Train sehen, was er unter der Jacke hatte, gab sich dann Feuer und schnipste das Streichholz in den Teich. Vielleicht war Rauchen ja doch ein Wachstumshemmer. Train warf der Ente den Rest des Brotes zu und schob sich von der Motorhaube herunter. »Wo gehst du hin?« fragte die Person. »Ich dachte, wir reden hier.« »Arbeiten«, sagte Train. »Ich muß jetzt wieder arbeiten.« »Du schneidest hier das Gras, jätest Unkraut und alles? Machst du das?« Train öffnete die Tür des Pick-up, um einzusteigen, blieb dann aber stehen, eine Hand immer noch auf dem Türgriff, und wartete, während der

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kleine Mann langsam zu ihm herüberkam, immer noch sorgfältig darauf achtend, wohin er trat. »Du wirst nicht glauben, was die Leute unten in der Stadt über dich reden«, sagte er. »Sie sagen, dieser Junge draußen auf dem Paradise-Development-Platz hat Melrose tief in die Tasche gegriffen. Hat Melrose English lächerlich gemacht; sie sagen, dieser Junge hat ihn in den Schlaf gewiegt und ihm seine Scheinchen abgenommen.« »Wie sollte ich jemanden in den Schlaf wiegen können?« fragte Train. »Darum geht’s nicht«, sagte der kleine Mann. »Es geht vielmehr darum, daß man sich erzählt, dieser Junge hat das geschafft, ohne selbst was in der Tasche zu haben.« Er beobachtete Trains Gesicht, um herauszufinden, ob es die Wahrheit war, dann schüttelte er den Kopf und lächelte, als hätte er ihn in flagranti erwischt. Der kleine Mann klopfte zuerst seine Hände und dann seine Kleidung ab. Er sah zum Teich zurück, aber die Schildkröten waren fort, wieder unter Wasser. »Weißt du«, sagte er, »ich glaube, du hast den richtigen Ort gefunden, hier draußen bei den Enten und der Scheiße. Verstehst du, was ich meine? Wär’ ich du, ich würd’ dabeibleiben.« Dann hob er eine Hand, die Zigarette immer noch zwischen den Fingern, und tätschelte Train die Wange. Train spürte die Hitze der Zigarettenglut und wich zurück. Der kleine Mann machte sich auf den Rückweg zum Teich, den gleichen Weg, den er gekommen war. Ging mit diesem wiegenden Gang, als würde ihm die Welt gehören. »Er will’s also zurückhaben, ja?« sagte Train. »Er hat seinen kleinen Zwerg geschickt, um’s zurückzuholen?« Der kleine Mann drehte sich um, kam die Hälfte der

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Strecke zum Pick-up zurück, ließ ihn wieder sehen, was er unter seiner Jacke hatte. Auf dem Vordersitz lag ein Schraubenschlüssel, und Train griff in den Wagen und nahm ihn in die Hand. Darüber mußte der kleine Mann lächeln, aber das hatte Mayflower auch getan, als er das Stuhlbein sah. »Du sollst wissen, daß er an dich denkt«, sagte der kleine Mann, »mehr hat er nicht gesagt, die Leute sagen ihm, du hast mit ihm um Geld gespielt, das du nicht hattest. Wenn er dich noch mal sieht, könnte was passieren. Wenn du nur einen Funken Verstand hast, Nigger, bleibst du deshalb besser hier draußen bei den Fröschen, wo es sicher ist.« »Er weiß, wo sein Geld ist«, sagte Train. »Er muß nur herkommen und es sich zurückholen.« Der kleine Mann schaute wieder ins Wasser und versuchte, die Schildkröten zu finden. »Manchmal seh’ ich das gern«, sagte er. »Seh’ gern diesen Ausdruck auf ihrem Gesicht, wenn die Kugel durch den Panzer kommt.«

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I

HRE PERIODE SETZTE AUS, was allerdings nichts Neues war. Seit der Vergewaltigung war das sowieso reine Glückssache. Schmierblutungen während des gesamten Zyklus. Aber irgend etwas schien jetzt anders zu sein. Sie spürte, daß es anders war. Sie lag auf dem Rücken im Pool, als sie das Telefon hörte. Sie hatte über Packard nachgedacht, hatte sich gefragt, wie sie ihm davon erzählen sollte, ob sie sehen könnte, was er dachte, wenn sie es ihm erzählte. Sie konnte ihn sich nicht mit einem Baby auf dem Arm vorstellen, aber man wußte ja nie. Das Telefon klingelte ein Dutzend Mal, hörte dann auf. Eine Minute später richtete sie sich im Wasser auf, um ins Haus zu gehen, und es fing wieder an. Sie wikkelte sich ein Handtuch um die Taille und bemerkte, daß Mr. Moffit nebenan hinter einem der Erdgeschoßfenster stand und sie beobachtete. Sie starrte ihn direkt an, und langsam zog er sich in den Schatten zurück. Sie ging ins Haus und meinte, ihn winken gesehen zu haben. Vielleicht wollte er ihr sagen, daß die Petition nicht seine Idee war. Sie zählte das Klingeln, als sie die Küche durchquerte, und nahm beim fünfzehnten Mal ab. Sie dachte, es könnte vielleicht Packard sein, auch wenn er normalerweise nie anrief. Er fühlte sich nicht wohl beim Telefonieren; er sah gern, wie andere auf ihn reagierten. »Hallo?«

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»Mrs. Rose?« Sie erstarrte. »Mrs. Rose? Spreche ich mit Norah Rose?« »Wer ist da, bitte?« »Spreche ich mit Mrs. Rose?« »Wer spricht da?« fragte sie. Sie dachte, es könnte wieder der alte Mann vom Beerdigungsinstitut sein. Der Sohn führte jetzt die Geschäfte, aber sein Vater kam an ein paar Tagen die Woche ins Geschäft und mahnte offene Rechnungen an. Der Sohn hatte sich für ihn entschuldigt, aber auch gesagt, er könne nichts dagegen unternehmen. Genaugenommen gehörte ihm das Geschäft noch. »Mein Name ist Luther Hollingsworth«, sagte der Mann, »vom Standard.« »Vom was?« Sie lachte laut. »Vom Darktown Standard. Eine Zeitung für die schwarze Gemeinde. Ich rufe an, weil ich Mrs. Rose sprechen möchte.« Er wartete und sagte: »In bezug auf Mr. Rose.« »Mr. Rose ist verstorben«, sagte sie. »Oh, dessen bin ich mir bewußt«, sagte er. »Deshalb rufe ich ja auch an. Eigentlich habe ich mich gefragt, wann Ihnen ein Interview passen würde.« »Wovon reden Sie da?« »Ein Interview«, sagte er, »über Mr. Rose. Über die Umstände seines Todes.« Es war wieder still, und dann sagte er betont langsam und deutlich: »Wir müssen nur verifizieren, was passiert ist.« Und sie legte auf.

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12 PARADISE DEVELOPMENTS

V

OM TEICH FUHR ER DEN PICK-UP zurück zur Scheune, war völlig erschöpft von was auch immer in ihn gefahren war, diesen Schraubenschlüssel in die Hand zu nehmen, dachte jetzt darüber nach, was hätte passieren können, wie weit zu gehen er bereit gewesen war. Er blieb den ganzen Nachmittag über in der Scheune, erneuerte die Bremsen des Pick-ups, fragte sich, wo zum Teufel sein Verstand geblieben war, und versuchte, sich zu beruhigen. Seine Finger zitterten erneut unkontrollierbar. Immer wieder ging ihm durch den Kopf, wie der kleine Mann ihn unten am Teich angestachelt hatte, wie eng es gewesen war. Denn was sonst wollte er mit einem Schraubenschlüssel in der Hand anfangen? Er dachte daran, wie Mayflowers Kopf aufgeplatzt war, und stellte sich vor, wie sich das Ganze wiederholte. Nach einer Weile hatte er keine Lust mehr zum Denken und verzieh sich, was er beinahe getan hätte, zumal daran jetzt eh nichts mehr zu ändern war, und machte von diesem Punkt aus weiter. Kurze Zeit darauf jedoch ertappte er sich bei dem Gedanken, wieviel von dem kleinen Mann die Wasserschildkröten wohl fressen könnten. Noch in Gedanken bei den Schildkröten, vergaß er darüber völlig, was er gerade mit seinen Händen machte. Er quetschte sich alle acht Fingerspitzen auf einmal, als er die Bremstrommel zurück aufs Rad knallte. Es war hundertmal schlimmer als damals, als er mit seinem

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Zeh gegen eine Wurzel lief, nachdem Florida gestorben war, das einzige Mal in Trains Leben, daß etwas viel zu weh getan hatte, um ihm auch nur einen Ton zu entlokken. Sein Mund öffnete sich, aber nichts kam heraus. Atemlos und blind vor Tränen wankte Train aus der Scheune, ging vornübergebeugt zur Straße und wartete auf den Bus. Er saugte an seinen Fingern, er ballte die Hände zu Fäusten. Alles, was er machte, führte nur dazu, daß es noch mehr weh tat. Es war ein wildes Chaos an Schmerzen. Er spürte seinen Puls in den Fingerspitzen und gleichzeitig, nur schneller, in seinem Kopf, der hämmerte, als versuche er mitzuhalten. Der Bus kam, und es gelang ihm kaum, das Fahrgeld aus der Tasche zu kramen. Zurück in der Boxhalle, schaltete er das Licht aus und rollte sich zusammen, schob die Hände zwischen seine Beine. Später kam Plural die Treppe herauf, betrunken und in Begleitung einer korpulenten Frau, und als erstes knipste er das Licht wieder an. »Guck mal hier, Lionel«, sagte er, »ich hab’ genug für uns beide mitgebracht.« Sie lachte und hob ihn vom Boden, und Train drehte sich um und verlagerte seine Fingerspitzen unter die Achseln, versuchte so zu bleiben, wollte sehen, ob das was nützte. Aber nichts half, und als Plural ihn fragte, was los sei, und er nicht antwortete, ließ Plural sich von dem Mädchen absetzen. Er kam herüber, breitete Train aus wie ein Hemd, das er bügeln wollte, und sah, daß seine Fingerspitzen geschwollen und rot waren, bis auf die Nägel, die sich inzwischen lila verfärbt hatten. Plural lachte, zog ihn von der Matratze hoch und bugsierte ihn zum Waschbecken. Er legte Trains Hände auf den Rand, während das Mädchen ihm über seine Schulter zuschaute, drehte dann den Hahn auf, fand eine

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Nähnadel – eine Nähnadel – und begann, die Nadelspitze in den Nagel des kleinen Fingers von Trains linker Hand zu bohren. Der Druck ließ Train zusammenzukken, aber schlimmer als bisher konnte ohnehin nichts mehr weh tun, und ein oder zwei Minuten später hörte er ein leises, ploppendes Geräusch, als die Nadel durch war, dann spritzte das Blut zehn Zentimeter in die Luft, dann kam die Erleichterung. Das Mädchen quiekste und fragte, ob sie auch einen Nagel machen dürfte. Plural wiederholte diese Prozedur bei jedem Nagel, und aus einem nach dem anderen spritzte das Blut neun, zehn Zentimeter in die Luft, und mit jedem Mal fühlte Train sich besser. Der Tag hatte Train erschöpft, von Anfang bis Ende, und er kehrte zu ihrem Schlafplatz zurück, kroch auf das untere Brett und schlief sofort ein. Später in der Nacht wachte er auf, Plural und das Mädchen schnarchten, und er sah, wie sich die Latten unter ihrem Gewicht durchbogen. Er zog seine Matratze vom unteren Brett, schleppte sie hinunter in den Ring und schlief im Schatten der Seile wieder ein, wollte nicht zweimal am gleichen Tag Opfer eines Unfalls werden. Als er wieder wach wurde, war das Mädchen fort. Er setzte sich auf und klopfte seine Hosentasche ab; das Geld war noch da. Plural schlief bei geöffnetem Fenster, und in der Halle war es nie wirklich still, nicht mal um vier Uhr morgens. Irgend etwas passierte immer auf der Straße, Menschen brüllten oder tranken, kämpften oder hupten – man konnte immer von irgendwo Hupen hören. Eine Stunde verstrich. Draußen fuhren Autos vorbei; dann Sirenengeheul unterwegs Richtung Innenstadt. Als auch das vorbei war, schaute er zu dem Fliegengitter vor dem Fenster. Es war übersät mit Tausenden von Motten.

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S

IE BEOBACHTETE, wie Packard einparkte und durch den Hintereingang in die Küche ging. Er zog Jackett und Schuhe aus und holte sich ein Pabst Blue Ribbon aus dem Eisfach. Dann ließ er sich in einen Sessel fallen, schloß die Augen und legte den Kopf gegen die Rückenlehne. Sie kam in den Raum und setzte sich neben ihn, wußte nicht, was sie ihm zuerst sagen sollte. Ohne aufzuschauen legte er seinen Arm über ihren Schoß. Sie hatten zuvor gestritten; sie konnte sich nicht mehr erinnern, um was es gegangen war. Sein Arm war unangenehm schwer. »Heute hat jemand angerufen«, sagte sie. Er öffnete die Augen, aber nichts sonst an ihm rührte sich. Er mochte es nicht, daß sie ans Telefon ging, wenn er nicht zu Hause war. Er hatte die Beine an den Knöcheln übereinandergeschlagen, und in einer Socke war ein winziges Loch. Sie wußte, daß dieses Paar morgen im Papierkorb liegen würde. »Er wollte über Alec sprechen. Ich habe seinen Namen nicht mitbekommen.« Sie sah, wie sich seine Füße anspannten. Sie erwähnten Alec nur, wenn es sich überhaupt nicht vermeiden ließ. Packard reagierte unduldsam auf die Vergangenheit, auf ihre Vergangenheit und auf seine. Was den gesamten Themenkomplex der Dinge betraf, die vorüber waren, war er wie ein Hund, der zur nächsten Duftmarke weiterziehen wollte, ein Hund, der wußte, daß ihn irgend etwas erwartete, in das er als nächstes seine

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Nase stecken konnte. Er nahm einen großen Schluck Bier, dann bot er ihr die Flasche an. Er dachte einen Moment nach und schaute ihr beim Trinken zu. »Was hat er gesagt?« Sie versuchte, sich an den genauen Wortlaut zu erinnern. »Daß er verifizieren wolle, was passiert ist. Er war von einer Zeitung. Und er hat mich immer Mrs. Rose genannt.« Sie trank die Flasche aus. »Welche Zeitung?« sagte er. »Das war das Komische«, sagte sie. »Irgendwas namens Darktown Standard? Soll angeblich in Watts sein.« Er zog seinen Arm von ihrem Schoß und legte ihn unter sie, dann stand er auf. Er trug sie nach oben. Dort angekommen, auf dem Bett, dachte sie an das winzige Ding in ihr, das von den Wänden abprallte, während er eindrang und sich zurückzog, wieder und immer wieder, und sie fragte sich, als es vorbei war und dort drinnen wieder alles ruhig, ob es sich wohl vorstellte, es sei in einen Sturm geraten. »Niemand kann verifizieren, was passiert ist«, sagte er später und deutete damit irgendwie an, daß er sie beide da einschloß.

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LURAL ARBEITETE IN LETZTER ZEIT als Sparringspartner für einen jungen weißen Burschen, der sich auf einen Kampf über zehn Runden im Olympic vorbereitete. Der Trainer des weißen Burschen hatte Plural zu einem zweifelhaften Deal überredet, zahlte ihm einen Dollar pro Sparringsrunde, wobei er allerdings nichts tun durfte, was dem Jungen das Selbstvertrauen nahm. Der Bursche kam immer zu spät – manchmal erst um halb acht oder acht, nachdem die Stammkunden gegangen waren. Es sah aus, als würde der Trainer Bankrott machen, wenn er sich nicht eine andere Branche suchte. Train sah ihnen Abend für Abend zu. Plural, mit einem völlig entstellt wirkenden Mund durch den Mundschutz, den er zufällig an dem betreffenden Abend am Waschbecken gefunden hatte, erlaubte dem Jungen gelegentliche Kontakte, bewegte sich aber immer mit dem Schlag, drehte sich genau in dem Moment weg, wenn er kam, so ähnlich wie eine Tür, die jemand von der anderen Seite öffnet, wenn man gerade hinein will. Der Bursche war zwanzig Zentimeter größer und zwanzig, fünfundzwanzig Pfund schwerer als Plural, und es frustrierte ihn, keinen Schlag richtig landen zu können. Plural hatte natürlich seine Aussetzer – einmal sah Train, wie er sich bückte, um einen Schnürsenkel zu binden, und dann erstarrte, als er sich zu erinnern versuchte, wie, und dann war er wie ein Kind, das den Ab-

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lauf in die erforderlichen Einzelschritte aufteilte –, aber im Ring, wo dieser junge Bulle es auf ihn abgesehen hatte und versuchte, ihn fertigzumachen, war Plural so natürlich und geschmeidig wie der Wind. Er bewegte sich einfach wie beim Tanzen, und er steckte keinen einzigen wirklichen Treffer ein. Um zehn Uhr an diesem Abend döste Train gerade ein, als Plurals Kopf über die Bettkante fiel, als bestünde keine Verbindung mehr zu seinen Schultern. Eine Zigarette klebte zwischen seinen Lippen und ein Lächeln auf seinem Gesicht. Nur eines seiner Augen bewegte sich. Plural sagte: »Dieser Trainer von dem weißen Burschen, weißt du, was der gesagt hat? Hat gesagt, er zahlt mir morgen drei Dollar die Runde, wenn ich mich einmal von dem Burschen treffen lasse.« »Drei Dollar die Runde?« »Er findet keine andere Arbeit für den Jungen. Hat sich nichts ergeben. Jetzt macht er sich Sorgen um das Selbstbewußtsein von dem Burschen, will, daß ich mich von ihm treffen lasse.« Er beendete seinen Satz, blieb aber, wo er war, grinsend, den Kopf über die Kante hängen lassend. »Das hast du nicht nötig«, sagte Train. Plural lachte leise und sagte: »Manchmal vergißt der Mann, mich zu bezahlen, und dann sag’ ich ihm, könnte gut sein, daß ich mich um seine Hühner kümmern müßte …« Er merkte, daß Plural sich nicht wirklich erinnern konnte, von welchem Mann er sprach, und dieses Gerede über Hühner hatte er auch satt. Manchmal war es, als würde Plural in seine Kindheit zurückkehren. »Ganz schön harte Arbeit dafür, daß er vergißt, dir dein Geld zu geben.« Auch darüber lachte Plural. »So hart auch wieder

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nicht«, sagte er. »Wenn der Junge in zwei Jahren zurückkommt, dann ist es in der Tat hart.« In der Tat. Er mußte an den alten Florida denken, wenn er mit seinen Kunden redete. Plural nahm wieder einen Zug von seiner Zigarette und klopfte die Asche in seine Hand ab, dann leckte er sie auf. Er benutzte niemals einen Aschenbecher. »Als ich das erste Mal tausend Dollar gekriegt hab’, Train, weißt du, was ich da gemacht hab’? Ich hab’ mir die Kleider ausgezogen und das Geld aufs Bett geworfen und mich in den Scheinen gesuhlt.« Es überraschte Train überhaupt nicht, das zu hören; Plural ging dorthin, wohin auch immer seine Gedanken ihn führten. Er dachte an sein eigenes Geld. »Manchmal stecke ich meine Füße in meine Socken – da bewahre ich meins auf«, sagte Train. »Scheiße, wie fühlt sich das an?« »Nicht so besonders.« »Nee«, sagte Plural, »tut’s nicht, oder?« Plural legte sich auf seine Matratze zurück, verschwand aus Trains Blickfeld. Wenig später sagte er: »Der Trainer von diesem weißen Burschen, der ist heute zu mir gekommen, nachdem der Junge weg war, hat gesagt, er zahlt mir drei Dollar die Runde, wenn ich mich von ihm erwischen lasse.« Draußen auf der Straße hupte ein Auto; irgend jemand brüllte, und Glas zerbrach, dann verschmolzen quietschende Reifen mit den anderen Geräuschen der Nacht. »Das hast du nicht nötig«, sagte Train. »Du kommst am Sonntag mit mir, ich gebe dir mehr als das.« »Drei Dollar die Runde«, sagte er. »Das ist gutes Geld.« Plural brauchte in dieser Nacht lange, bis er endlich einschlief. Train wußte immer, wenn er eingeschlafen war, selbst wenn er mal nicht schnarchte. Er wußte, daß er jetzt mit offenen Augen dort oben lag, lächelte,

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an drei Dollar die Runde dachte und daran, nichts anderes dafür tun zu müssen, als sich von diesem weißen Burschen erwischen zu lassen. Train weckte Plural am Sonntag morgen mit Hilfe einer Krücke, die schon seit Trains Ankunft mit Spinnweben überzogen in der Ecke stand. Plural hatte am Abend zuvor billigen Wein von Mogan David getrunken und White-Castle-Hamburger gegessen, und man wollte am Morgen danach bestimmt nicht das erste sein, was vor ihm stand. Train stieß ihn zehn-, elfmal an, und Plurals Augen flogen plötzlich auf, sahen einen an, als hätte man gerade den Deckel von zwei Dosen Tomaten entfernt. Sein Kopf bewegte sich keinen Zentimeter; er lag einfach nur da und starrte aus einem lebendigen Auge. Erkannte Train nicht. »Plural?« Keine Antwort. »Kommst du heute mit?« Plural stand nackt aus dem Bett auf, nahm seine Pakkung Tide und ging wortlos zur Dusche. Er drehte am Hahn, stellte sich in die Dusche, bevor das Wasser eine Chance hatte, warm zu werden – es war ohnehin nur ein Rinnsal –, und blieb sehr lange dort stehen. In ein Handtuch gehüllt kam er zurück, hatte aber immer noch diese irre rote Farbe in den Augäpfeln, und Train sah, daß er noch nicht ganz anwesend war. Er setzte sich auf die Kante des Boxrings und begann, Sokken und Schuhe anzuziehen, was für ihn der normale Weg war, sich anzuziehen, von unten nach oben. Train ließ ihn allein, als er in die Hose stieg, und ging zu dem Diner an der Ecke, um Kaffee und süße Brötchen zu holen. Als er zurückkam, saß Plural immer noch nur in Socken und Schuhen genau da, wo er ihn verlassen hatte. Denkend. Er trank den kochendheißen

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Kaffee und vertilgte vier Brötchen. Die ganze Zeit schien er sich dabei zu mustern, eine Art Bestandsaufnahme zu machen. Versuchte, sich zu erinnern. Train blieb still, ließ ihm Raum. Dann schaute er plötzlich auf und sprach. »Wer ist der Typ noch mal?« sagte er. »Sein Name ist Melrose English.« Plural dachte eine Minute nach, dann nickte er. »Ja«, sagte er, »hab’ schon von dem gehört.« Und soweit Train wußte, war das durchaus möglich. Sie nahmen den Bus zum Golfplatz und mußten in der Innenstadt eine halbe Stunde auf den Anschlußbus warten. Die Busunternehmen hatten sich in die Haare bekommen, und jetzt akzeptierten sie untereinander keine Anschlußverbindungen mehr. Tausende Leute zahlten fünfzig Cents am Tag, um zur Arbeit zu kommen, statt wie bisher fünfundzwanzig. An einem Wochenende kam es zu Ausschreitungen, und ein Bus wurde in Brand gesetzt. Der Gouverneur bat Ike um den Einsatz der Nationalgarde, und der Präsident eines der Unternehmen, ein Mann namens Appleby, kam mit Foto in die Zeitung, als er sagte, wenn diese Leute genug Geld hatten, sich zu betrinken und Busse in Brand zu setzen, dann hatten sie auch genug Geld, sich Umsteigefahrkarten zu kaufen. Plural war wieder verstummt, und Train suchte nach einem Hinweis, daß er etwas damit zu tun hatte, fand aber keinen. Sie stiegen in den nächsten Bus, und Plural schlief ein. Er stank nach Alkohol und schwitzte stark. Train dachte darüber nach, vermutete, selbst wenn er jetzt noch nicht in Ordnung war, würde er seine Verwirrung ausgeschwitzt haben, wenn sie das Fairway hinuntergingen.

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Sie verließen den Bus an der Paradise Developments am nächsten gelegenen Haltestelle. Train holte sich ein paar Schläger bei Whitey und wurde lockerer, ehe er zum Übungsgrün ging und puttete. Plural setzte sich auf einen Stein und warf den Krähen Kräcker zu, lachte laut darüber, wie sie sich verbündeten und gegenseitig beklauten. Um zehn vor elf kam Melrose auf den Parkplatz gerollt und ließ die Schläger von seinem weißen Laufburschen Peter aus dem Kofferraum holen. Er schlug zwei oder drei Puts, um die Schnelligkeit der Grüns zu prüfen, und verkündete dann, daß er bereit sei. Was er vor jedem Spiel machte. Wollte jeden wissen lassen, daß er einen besiegen konnte, ohne sich wirklich anstrengen zu müssen. Melrose und sein Bursche Peter kamen zu der Stelle hinüber, wo Train ein paar Lobschläge übte, wie er sie immer durch den Basketballkorb in Brookline versenkt hatte, schaute ihm einen Moment zu, während er Ball für Ball an der gleichen Stelle landen ließ, und schüttelte dann den Kopf. »Da wirst du dich aber noch gewaltig steigern müssen, Mann«, sagte er. Melroses weißer Bursche stand mit seinem Bag hinter ihm – den Tragegurt straff über seiner Brust, seine Adern und Muskeln deutlich an Hals und Kopf hervortretend –, grinsend wie ein Muskelmann im Zirkus, der zwei Revuegirls und ein Pony stemmte. Dann wandte er sich an Train. »Diesmal läuft’s anders als beim letzten Mal, Junge.« Womit er völlig recht hatte. Diese Worte hörend stand Plural – der bis zu diesem Moment nicht hatte erkennen lassen, daß er die Ankunft von Melrose und seinem weißen Burschen überhaupt mitbekommen hatte – auf, warf die restlichen Kräcker den Krähen zu, was

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einen mittleren Aufstand auslöste, schlenderte dann über das Putting Green und legte Melroses Burschen schlafen, bevor der auch nur die Hände heben konnte. Der weiße Bursche hatte gerade das Wort Schwanzlutscher beendet, als es passierte. Er sagte: »Hey, sieh dir diesen o-beinigen Schwanzlutscher …«, und Plural erwischte ihn sauber am Kinn. Der weiße Bursche bekam davon aber nichts mit. Er hielt immer noch die Tasche, die den Boden zuerst erreichte und dabei ein Geräusch machte, das die Krähen verscheuchte, und dann krachte der weiße Bursche obendrauf, und während Train noch versuchte, schlau daraus zu werden, was er gerade sah – während immer noch ein Teil seines Hirns darauf bestand, nicht gesehen zu haben, was er gerade gesehen hatte –, verpaßte Plural auch Melrose einen Schlag. Durchaus möglich, daß Melrose noch versucht hatte, etwas zu sagen, Train jedenfalls sah deutlich, wie sein Kiefer unter seinem Gesicht wegglitt. Das alles passierte in einer Sekunde, vielleicht auch schneller. Train sah es und dachte, selbst wenn er nur sechs Runden durchhielt, konnte Plural das noch weitere achtzehn Minuten machen, bevor er müde wurde. Plural stand einen Moment lang über ihnen, betrachtete sein Werk und drehte sich dann mit diesem friedlichen Ausdruck auf dem Gesicht, den er immer bekam, wenn er meinte, daß der Lauf der Dinge nicht mehr in seiner Macht lag, zu Train um. Er sagte: »So was passiert manchmal.« Eine kleine Menge Schaulustiger hatte sich eingefunden, und Whitey kam aus dem Wohnwagenbüro gelaufen, wobei der Bauch unter ihrer Bluse wackelte, und eine Minute später folgte Mr. Cooper, der entsetzt zu sein schien, Melrose und seinen weißen Burschen blutend auf dem Boden liegen zu sehen. Train stand da und

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wußte nicht, was er mit seinen Händen anfangen sollte, Mr. Coopers Botschafter des guten Willens und integrativen Wohnungsbaus. »Großer Gott«, sagte Mr. Cooper. Plural trat einen Schritt näher zu Train und fragte leise, ob Mr. Cooper der Pfarrer sei. Dann trat Mr. Cooper hinter Melrose und versuchte, ihm aufzuhelfen, aber dazu war es noch zu früh, und Melrose stieß ein kurzes, schreckliches Geräusch aus und umklammerte mit beiden Händen sein Gesicht, als wollte er versuchen, es zusammenzuhalten. Melroses weißer Bursche rappelte sich auf die Knie hoch, versuchte, gute Miene zum bösen Spiel zu machen, setzte sich aber nach einem kurzen Blick auf Plural schnell wieder hin. Train hatte eine Vertiefung im Gras gesehen, wo er auf das Bag gefallen war. »Wie ist das passiert?« sagte Mr. Cooper, und Train war erleichtert zu sehen, daß er mit Whitey sprach und nicht mit ihm. Als wäre es ihre Sache, Licht in diese Geschichte zu bringen. Train selbst hatte nicht die geringste Ahnung, was der Auslöser für Plural gewesen war. »Es ist alles nur ein Mißverständnis«, sagte Whitey in einem Ton, als flehe sie jemanden an, ihr nichts zu tun, »wie es eben manchmal auf einem Golfplatz passiert.« Dann schaute sie sich hilfesuchend um, und Train spürte, daß er anfing zu nicken, als hätte sie völlig recht. »Wir haben die Sache jetzt geklärt«, sagte Plural, klang absolut vernünftig und ruhig. »Wir haben gerade eine Vereinbarung getroffen.« Mr. Cooper wandte sich Train zu, sorgsam darauf achtend, Plural nicht anzusehen. Irgendeine weiße Scheiße klebte in seinen Mundwinkeln. »Du bist suspendiert«, sagte er. Melrose setzte sich langsam auf, legte seine Arme

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locker über seine Knie. Ein Blutfaden zog sich aus einer Seite seines Mundes und tropfte zwischen seine Füße. Mr. Cooper sagte: »Sir, sollen wir einen Krankenwagen rufen?« Und dann, als Melrose keine Anstalten machte zu antworten, ließ er seine Augen über den Schauplatz wandern, als nehme er den ganzen Grand Canyon auf einmal wahr, und sagte: »Gott sei Dank war susan nicht hier.« »Ja, wahrlich. A-men«, sagte Plural.

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OLLINGSWORTH WAR SPÄT DRAN zu seiner Besprechung mit Reverend Willie Green, ebenfalls Politiker. Sie brachten den Menschen die gleiche zornige Botschaft, aber irgendwie zogen die Menschen es vor, sie aus dem Mund des Reverend zu hören, überquerten die Straße, nur um mit ihm zu sprechen, ihn zu berühren, manchmal Geld zu geben. Aber niemand überschlug sich, um Hollingsworth anzufassen. In dieser Hinsicht wurde er gemieden. Bisweilen machte er sich Sorgen, daß jemand irgendwie herausgefunden hätte, wie genau er sich die Verbrennungen zugezogen hatte, die Sache mit dem Fettbrand auf seinem Schiff. Oder daß sie die ganze Zeit wußten, es war nicht der Klan. Er war Koch, und sie gaben ihm ein Purple Heart. Er war noch nie in Indiana gewesen. Er lag in Unterwäsche auf dem Bett, die Arme verschränkt, während seine Frau ihm das weiße Hemd und die Hose bügelte – es machte sie nervös, bei der Arbeit beobachtet zu werden, und dies war im Augenblick seine beste Möglichkeit, sie zu bestrafen –, und die Hose war noch warm, als er sie anzog. »Willst du etwas essen?« fragte sie. Er ging an ihr vorbei durch die Türöffnung und es erfreute ihn zu bemerken, daß sie zitterte. Er ging ins Bad, um sich die Haare zu kämmen, und das war der Moment, in dem er einen Verrückten an seine Fliegentür

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hämmern hörte. Ein Mann, der so hämmerte, verkaufte wahrscheinlich wochenweise Versicherungen. In Socken ging er die Treppe hinunter, das Hämmern nahm kein Ende. Er blieb stehen, als er einen Weißen auf der anderen Seite stehen sah. »Was gibt’s?« fragte er. Der weiße Mann war gut gekleidet, so gut gekleidet wie Reverend Green, und im Unterschied zum Reverend sah er aus, als stecke ein harter Kerl unter diesem Jakkett. Hinter ihm am Bordstein parkte ein Cadillac. »Ist das hier der Standard?« fragte er und schaute sich um. »Sie sind hier falsch«, sagte Hollingsworth. Der weiße Mann sah ihn an, musterte ihn von oben bis unten. Sein Auftreten hatte etwas Respektloses, als wäre das alles nur Teil eines Witzes. Hollingsworth zitterte vor Wut über die Respektlosigkeit dieses Mannes. »Doch, das hier ist es«, sagte der Mann. »Was wollen Sie?« fragte Hollingsworth. Er trat dichter an die Fliegentür und öffnete sie dann. Er wußte nicht, warum. Er und der weiße Mann standen etwa einen Meter auseinander. »Ich will mit dem Mann sprechen, der meine Frau angerufen hat«, sagte der Mann. Hollingsworth durchfuhr eine jähe Angst; die Worte verließen den Mann auf eine alltägliche, geschulte Art. Er wußte, daß dieser Mann ihm Schmerzen zufügen könnte. »Sie bilden sich ein, Sie könnten hierherkommen und mir Angst einjagen?« sagte er, hob seine Stimme und dachte, vielleicht hörte ja jemand zu. Daß dies später ein Kapitel der Geschichte werden könnte. »Nach allem, was die Weißen mir angetan haben« – jetzt deutete er auf sein Gesicht, seine Arme, die Hände –, »bilden Sie sich wirklich ein, ich hätte Angst vor Ihnen?« Der Mann betrachtete all die Stellen, auf die Holling-

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sworth wies, mit der gleichen unverschämten Miene. »Mein Name ist Miller Packard«, sagte er. »Meine Frau war früher verheiratet mit Alec Rose, und ich glaube kaum, daß einer von uns bereits das Vergnügen Ihrer Bekanntschaft hatte.« Er sah sich die Haut des Mannes genauer an und sagte: »Sie raucht nicht mal.« Und dann schob er sich wieder einen Schritt näher heran, so nah, daß Hollingsworth die Seife auf seiner Haut riechen konnte. »Falls Sie diesbezüglich irgendwelche Fragen haben«, sagte er, »kommen Sie zu mir.« Und dann schaute er an Hollingsworth vorbei und lächelte. Hollingsworth’ Frau stand am Fußende der Treppe. »Ich hoffe, ich habe nicht gestört, Ma’am«, sagte er, machte auf dem Absatz kehrt und ging zurück zum Cadillac. Als der Mann den Wagen fast erreicht hatte, rief Hollingsworth ihm nach. »Sie glauben, ich hätte Angst vor Ihnen?« sagte er. Er spürte die Hand seiner Frau auf dem Arm, und das stachelte ihn an. »Nach allem, was Ihre Leute mir bereits angetan haben? Sie bilden sich ein, ich hätte jetzt noch Angst vor Ihnen?«

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ONTAG ABEND BRACHTE DER TRAINER seinen Burschen in Sugars’ Gym, und Plural machte fünf Runden mit ihm für jeweils drei Dollar, ließ sich ein paarmal von dem Burschen eins auf die Zwölf geben, um sein Selbstvertrauen aufzubauen. Nachdem sie ihre Suspensorien und Handschuhe ausgezogen hatten, kam der Junge zu Plural herüber und sagte: »Du willst doch nicht noch mehr, Pop?« Plural lächelte den weißen Burschen an und sagte zum Trainer: »Das macht fünfzehn Dollar, Collie.« Der Junge sah den Trainer an; fünfzehn Dollar. Dann folgte er ihm in eine Ecke des Raumes und fragte mit lauter Stimme, warum sie diesem alten Nigger drei Dollar die Runde zahlten, Geld, das aus seiner Börse stammte. Der Trainer sagte, er solle das Maul halten und am Sandsack arbeiten und morgen rechtzeitig wieder dort sein. Train schaute zu, wie der weiße Bursche die Trainingshandschuhe überstreifte, bemerkte den Umfang seiner Handgelenke, sah, wie der Sack hüpfte, als er in Stellung ging und zuschlug, und auch wenn er noch nicht viel von dem verstand, was in einem Boxring passierte, wußte er doch, daß dieser Bursche mit Sicherheit niemand war, von dem man sich für drei Dollar die Runde auf den Kopf schlagen lassen wollte. Der Bursche machte fünf Runden am Sandsack, dann zog er seine Jacke an, um zu gehen. »Bist du sicher,

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Pop?« sagte er zu Plural. »Ich kann noch ein paar Runden mehr, falls du noch irgendwas vorhast und die Kohle brauchst.« Aber Plural interessierte nicht, was der Bursche sagte. Er hatte fünfzehn Dollar für fünfzehn Minuten Arbeit in der Tasche, und es gefiel ihm immer, wenn er bezahlt wurde. Am nächsten Morgen ging Train Kaffee und Brötchen holen und fand eine Mirror News draußen vor dem Laden. Plural sah leicht verquollen aus, und er nahm die Zeitung in die Hand und legte sie sofort wieder weg. Train warf einen Blick auf die Zeitung. Die Rosenbergs waren in Sing Sing hingerichtet worden, kamen auf den elektrischen Stuhl, weil sie die Pläne für die Bombe weitergegeben hatten. Er zuerst und dann sie. In der Nacht zuvor hatten sie sich aus ihren Zellen vorgesungen, und dann hieß es zweitausend Volt, und sie brauchte fünf Ladungen, bevor es sie umbrachte. Der Körper war zu heiß, um sie berühren zu können, schrieb die Zeitung, und sie mußten sie abkühlen lassen, ehe man sie aus dem Stuhl holen konnte. Ein Zeuge sagte, es roch nach gebratenem Speck. Plural stand auf und setzte sich in das Fenster zur Straße, aß ein Brötchen. Train fragte sich, ob er wohl selbst einen Verwandten im Todestrakt hatte. Plural machte an diesem Nachmittag weitere vier Runden mit dem weißen Burschen, und später rannte er gegen ein Wasserrohr, als er aus der Dusche kam. Der weiße Bursche war noch in der Halle, drosch auf den Sandsack ein und sah es. Er hörte auf – aber er hörte eigentlich immer auf und suchte nach einem Grund, nicht weiterarbeiten zu müssen – und betrachtete lächelnd seine Hände. »Collie«, sagte er laut, denn der Trainer war drüben bei der Dusche, »du mußt mir neues Fleisch besorgen. Aus dem hier hab’ ich Gehacktes gemacht.«

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Es waren noch andere, jüngere Boxer da, und alle lachten über diese Bemerkung. Collie hingegen lachte nicht. Er bekam einen hochroten Kopf, und einen kurzen Augenblick lang dachte Train, er könnte herüberkommen und dem Jungen selbst einen Schwinger verpassen. »Mach deine Arbeit, okay?« sagte er schließlich. »Nachdem du was geleistet hast, kannst du darüber reden, wen du zu Hackfleisch gemacht hast.« Dann drehte er sich um und verließ die Boxhalle, Selbstgespräche führend, als wäre er beide Parteien eines Streits. »Siehst du, was ich meine, du blödes Arschloch?« sagte er. »Siehst du, was ich meine? Und das ist noch gar nichts. Warte nur noch ein bißchen, und dann hast du richtige Probleme.« Plural setzte sich aufs Klosett, das sich in der Ecke neben der Dusche befand, und starrte auf den Boden zwischen seinen Füßen, und nachdem der blonde Bursche schließlich gegangen war, stand er auf, drehte sich um und übergab sich, dann kehrte er in die Ecke des Raumes zurück und legte sich hin. Schien gar nicht mitzubekommen, daß er nicht bezahlt worden war. »Tja«, sagte er, »so kann’s gehen.« Mit einem Mal führte jeder Selbstgespräche. Dann verstummte Plural, der starre Blick eines Toten; machte Train angst, bis er schließlich aufstehen mußte. Erinnerte ihn an das Gefühl in der Küche, als Mayflower ihm sagte, die Alternative lautete Knast oder Straße. »Plural?« Plural lachte leise, was seine normale Reaktion war, egal, wie die Dinge sich entwickelten; es war seine Reaktion auf die sich drehende Erde. So kann’s gehen. »Was ist los?« fragte er. Plural bewegte seinen Kopf in Trains Richtung und verharrte so längere Zeit, als

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versuchte er, ihn zu finden. Train fragte sich, was er jetzt mit ihm machen sollte. Warum ausgerechnet er es sein mußte, der sich um ihn kümmerte. »Ist schon mal passiert«, sagte er. »Alle sehen aus wie Engel, alles in Zeitlupe und verschwommen, mit einem schwarzen Loch in der Mitte. Ist so, wie wenn du von der Seite irgendwas gegen den Kopf kriegst, das du nicht siehst, nur eben, daß dein Kopf nicht mehr klar wird.« Und auch darüber mußte er leise lachen. »Und dann, später, ist das Loch einfach größer geworden.« Als er ihn so über Engel reden hörte, sah Train, wie sich alles zusammenfügte, wenn Plural starb. Der Verlust und die Erleichterung zur gleichen Zeit. Das war eines der Probleme mit den Zusammenhängen, die er erkannte: er dachte immer an Sachen, über die er überhaupt nicht nachdenken wollte. »Was für ein Engel?« sagte er. Plural schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht, Mann. Wie eine Wolke oder so was, mit einem Loch in der Mitte. Ist nichts drin außer der Farbe Schwarz.« Einige Minuten vergingen. Draußen war es heiß, und der Gestank der Kanalisation wehte von der Straße herauf in den Raum. Train sagte: »War es das gleiche, was auch mit dem anderen Auge passiert ist?« Plural zog die Haut unter dem Augapfel nach unten, damit Train selbst nachsehen konnte. Er lachte wieder leise. Am nächsten Morgen mußte Train Plural die Kaffeetasse in die Hand drücken. Plural tat, als sei alles in bester Ordnung, aber Train erkannte daran, wie er seinen Kopf hielt, wenn er aufschaute, daß er große Schwierigkeiten hatte, ihn zu lokalisieren. »Wenn du vielleicht ins Krankenhaus gehst, können die dich wieder zusammenflicken«, sagte Train. Er

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selbst war noch nie im Krankenhaus gewesen. Er beobachtete, wie Plural den Kaffee neben seinem Fuß abstellte, wo er ihn leicht wiederfinden konnte, dann nahm er die Brötchentüte von seinem Schoß und vertilgte eines, als wäre alles in bester Ordnung. »Welches Krankenhaus meinst du?« sagte er. »Wadsworth, unten am Wilshire.« Das schien Plural ausgesprochen komisch zu finden. Alles kam ihm witzig vor. »Das VeteranenKrankenhaus?« sagte er. »Mann, wenn du von da auf die andere Straßenseite guckst, weißt du, was du dann siehst? Den Veteranen-Friedhof. Vorne fahren sie dich rein, und an der Seite geht’s dann wieder raus, mit dem Vermerk: Zurück an den Absender. Und die Schwestern da, die packen dich so gern an wie vergammeltes Schweinefleisch. So willkommen bist du da.« »Du hast im Krieg gekämpft«, sagte Train. »Ja, das hab’ ich«, sagte er. »Ja, das hab’ ich.« Der blonde Bursche und sein Trainer kamen am späten Nachmittag zum leichten Training. Der Kampf war für das kommende Wochenende angesetzt, daher war das Sparring vorbei. Plural saß auf einem Stuhl vor dem Fenster in der Sonne, reckte ihr das Gesicht entgegen. Der Trainer sah, daß mit ihm nicht alles in Ordnung war, und gab ihm die fünfzehn Dollar, die er ihm noch vom letzten Mal schuldete. Dann bemerkte er, daß auch sein Junge Plural anstarrte, der dort vor dem Fenster in der Sonne inmitten von tausend schwebenden Staubkörnchen saß, und versuchte, ihn schnell hinauszudrängen. Doch dazu war es bereits zu spät. Wenn jemand erst einmal gesehen hat, was er gesehen hat, kannst du’s nicht mehr einfach von der Tafel löschen.

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IE SAGTE IHM, sie habe ihre Periode nicht bekommen, und einen Moment lang glaubte sie nicht, daß er sie gehört hatte. Dann schaute er von der Zeitung auf – er las gerade einen Artikel über die Hinrichtung der Rosenbergs. Sie hatte den Artikel bereits gelesen; die Rosenbergs hatten zwei Söhne gehabt. »Das ist der Streß«, sagte er. »Fühlt sich aber nicht wie Streß an.« »Egal, was es ist, wir können uns drum kümmern.« »Was soll das heißen?« sagte sie. »Wir können uns drum kümmern?« »Es heißt, daß wir alles machen können, was immer du machen willst. Du mußt nicht nach Mexiko. Ich habe den Namen von jemandem hier in Beverly Hills. Falls es das ist, was du tun willst.« »Du willst es umbringen?« fragte sie. »Nein, ich sage nur, wozu auch immer du dich entscheidest, es ist mir recht«, sagte er. Sie starrte ihn an, und er sah, daß es die falsche Antwort gewesen war. Er hatte sie noch nicht sehr lange, und er wollte sie für sich allein haben. Er sah sie an, wünschte sich, die Unterhaltung noch einmal von vorne beginnen zu können. Später würde er ihr sagen, sie solle es sich als Geschichte mit zwei anderen Leuten vorstellen.

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RAIN WARTETE DAS ENDE SEINER SUSPENDIERUNG AB, zählte die Tage, bis er wieder zurück zur Arbeit konnte. Morgens ging er Kaffee und Brötchen holen, fand normalerweise eine Zeitung, die jemand zurückgelassen hatte, und las beim Essen Plural den Sportteil vor. Am Montag brachten sie einen Artikel über den blonden Burschen, der im Ring erstarrt war, es hieß, der Manager habe diesen Jungen zu früh zu hoch positioniert. »Man kann keinem wegen dem Jungen die Schuld geben«, sagte Plural. »Manchmal kann man eben nicht mehr tun.« Zwei- oder dreimal in der Woche fuhr Train mit dem Bus an Paradise Developments vorbei, schaute aus dem Fenster, um zu sehen, wer auf dem Traktor saß, ob sie das Gras für diese Jahreszeit zu kurz mähten, ob der Platz auch genug bewässert wurde. Mit jeder Vorbeifahrt sah es schlimmer aus – Flecken auf den Grüns, alles wurde braun und kahl. Mr. Cooper hatte von den Bulldozern Baustellen an zwei weiteren Fairways frei räumen lassen. Es erinnerte an gezogene Zähne. Löwenzahn wuchs auf den Fairways, Mülleimer an den Abschlägen wurden nicht geleert, und wer immer den Traktor fuhr, er war an der ersten Bahn mitten durch ein Blumenbeet gefahren. Nachdem er am Platz vorbeigefahren war, sah er sich manchmal in der Innenstadt einen Nachmittagsfilm an,

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ging für eine Weile ganz in einer Geschichte auf. Aber er machte sich stets Sorgen um Plural, der in der Boxhalle blieb, und manchmal machte er sich so viele Gedanken um Plural, daß er aufstand und die Vorstellung vor dem Ende verließ. Er hatte Angst, ihn ganz allein dort zu wissen, nachdem alle gegangen waren. Ab und zu, normalerweise wenn irgend etwas in den Filmen ihn daran erinnerte, ertappte er sich dabei, wie er an die Skins-Runde mit Melrose English dachte, bei der es um einen hohen Einsatz gegangen war, wie all dies Geld auf dem Tisch aussah, an das erregende Gefühl, Leute zu haben, die es interessierte, wer er war. Er wollte das wieder haben, aber jetzt war er an Plural gefesselt und konnte nicht einmal über so etwas wie die Zukunft nachdenken, ohne auch zu überlegen, wie Plural dabei untergebracht werden konnte. Sonntag abend schaltete Plural das Radio ein und hörte »Twenty Questions«. Er verpaßte keine Folge von »Twenty Questions«, und einmal bat er Train sogar, für ihn eine Postkarte mit einer Zuschauerfrage abzuschikken, sein Versuch, das Book of Knowlegde zu gewinnen, falls es ihm gelang, das Rateteam vor eine unlösbare Aufgabe zu stellen. Er saß mit dem Radio am Fenster, wo der Empfang am besten war, und hoffte, daß dieser Abend sein Abend war. Das Rateteam kam aus New York, und manchmal konnte Train kaum verstehen, was sie sagten. Aber die Stimmen der Frauen fand er wunderbar; er stellte sich vor, ihre weichen Hälse zu berühren, wenn sie sangen. Er hatte irgendwo aufgeschnappt, daß in New York alle Frauen Sängerinnen waren; man nannte sie »Nachtigallen«. Die Sendung ging weiter, und bislang hatten sie Plurals Idee noch nicht verwendet, es schien, als hätten sie so ziemlich alles andere schon benutzt: Jack Bennys

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Geige, das bläulich-grüne Gras Kentuckys und die Eier eines Schnabeltiers. Plural hatte »Dale Evans’ Sattel« eingeschickt. Manchmal schwelgte er in der Erinnerung, zu Dale nach Hause zurückzukehren, einen dieser großen Lippenstiftküsse zu bekommen und sich zum Abendessen an den Tisch zu setzen. Sagte, es mache ihm gar nichts aus, daß sie mit den Fingern aß. Plural war mit dem Platz auf der Postkarte nicht ausgekommen, als er seinen Vorschlag schrieb – »Dale Evans Satl« –, und Train mußte das in Ordnung bringen, bevor er die Karte abschickte. Er hatte es ihm auch vorlesen müssen, zweimal. Plural schien vom Klang der Worte begeistert zu sein – Dale Evans’ Sattel. Er hielt die Nase in die Luft, als wäre ein Rinderbraten im Ofen. Am besten gefiel Plural die Show, wenn das Rateteam nicht auf die Antwort kam, und wenn sie Ben Franklins Pfeife mit der achtzehnten Frage errieten, stieß er angewidert Luft durch die Nase aus und sagte, es sei nicht schwer, eine Pfeife zu erraten. Die Show war zu Ende, der Moderator verabschiedete sich, und Plural blickte in etwa Richtung New York und sagte: »Was zum Teufel ist ein Moderator, Train?«, und dann hörte er sich aufmerksam alles an, was Train darüber wußte, als ob er über eine neue Karriere nachdachte. Von Zeit zu Zeit machte Train sich Sorgen, was er mit Plural anfangen sollte, wenn er wieder arbeiten ging. Allmählich ging es ihm wieder etwas besser – er konnte von allein die Toilette und die Dusche finden –, aber sobald etwas nicht Vertrautes auf dem Boden lag, konnte er stolpern, was wiederum dazu führte, daß er nicht mehr einordnen konnte, wo genau er war. Wenn er so die Orientierung verlor, hätte er schnurstracks durchs Fenster laufen können. Dann war da noch etwas. Er hat-

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te es sich wieder in den Kopf gesetzt, daß Leute ihm Geld schuldeten, sagte immer wieder, daß er noch losziehen und jemandem sein Geflügel stehlen müßte. Train wünschte sich, Plural würde davon sprechen, etwas anderes zu stehlen. Eines Nachmittags ging Train nach unten, um mit Mr. Sugars zu sprechen; er sagte ihm, daß Plural nicht gut sehen könne, und fragte, ob vielleicht jemand von Zeit zu Zeit nach ihm sehen und sich vergewissern könnte, daß er nicht durch den Wind war. Weil er wieder arbeiten müßte. Mr. Sugars saß an seinem Tisch, trug so einen Sonnenschutz wie in den Filmen, eine Art Mütze, die nur aus einem Schirm bestand, zählte Kleingeld und rollte es in Papierstreifen. Ein münzenorientierter Mann. »Er kann nichts sehen?« sagte Mr. Sugars. »Nicht gut.« Mr. Sugars zählte weiter seine Münzen, wollte nicht durcheinanderkommen. Er gehörte nicht zu den Menschen, für die Zählen eine Kleinigkeit war. »Weißt du«, sagte er, »als No-Tank hergekommen ist, da hab’ ich ihm gesagt, ich hab’ kein Problem damit, einem alten Fighter zu helfen, solange es keine Scherereien gibt. Und jetzt ist er blind geworden? Solche Scherereien kann ich hier nicht gebrauchen. Nicht, daß ich am Ende noch dafür aufkommen muß.« Er ließ sich das durch den Kopf gehen, während er sein Geld zählte, und kehrte immer wieder zu der gleichen Stelle zurück. »Vor ein paar Jahren war mal ein Mädchen für eine Woche in der Boxhalle«, sagte er, »ein Mädchen von der Straße mit einem lockeren Lebenswandel, sie hat immer nach Kool-Aid gerochen, und sie hat eine neue Sprache erfunden, wenn sie vögelte. Aber hinterher die Braut aus der Tür zu kriegen war, wie einen Kater im Klosett wegzuspülen. Die Narben

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hab’ ich jetzt noch zur Erinnerung. Und die Lektion, die ich dabei gelernt habe, lautet, daß man im Geschäftsleben kein Herz haben darf.« Und dann sagte er Train, daß er und Plural sich besser eine neue Bleibe suchen sollten.

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M MORGEN WAR IHR WIEDER SCHLECHT. Allerdings hatte sie das Thema bei Packard nicht noch einmal angeschnitten. Mehr als zuvor schien er in letzter Zeit zu spüren, wenn sie ihm etwas Wichtiges sagen wollte, und wiegelte ab. Sie setzte sich jetzt auf den Rand der Badewanne – es fühlte sich eiskalt an –, ihre Finger berührten ihre Lippen, sie wartete, um zu sehen, ob die Übelkeit vorbei war. Ein Fenster in der gegenüberliegenden Wand stand einen Spaltbreit offen, und sie hörte das Zuschlagen einer Autotür. Die Übelkeit hatte sich gelegt – sie erkannte, daß sie hungrig war, und das war das Zeichen, daß es für diesen Morgen vorbei war. Einen Moment später war sie praktisch schon halb verhungert. Steak und Eier, dachte sie, und dazu ein Sorbet. Sie aß zu jener Zeit alles mit Sorbet. Es war nicht nur die Süße, vermischt mit dem Geschmack des Fleisches; es war die Mischung aus kalt und heiß. Sie spürte etwas Feuchtes an ihrem Mundwinkel, und als sie mit dem Handrücken darüberwischte, erkannte sie, daß sie anfing zu sabbern. Sie stand auf und wusch sich das Gesicht. Sie putzte sich gerade die Zähne, als sie draußen einen Lastwagen bremsen hörte. Eine Minute später meinte sie, Leute reden zu hören. So wie dieses leise Gemurmel, das man hört, wenn man vor einer Beerdigung in eine Kirche

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geht. Keine bestimmten Worte, einfach nur das Geräusch des Redens. Sie spülte ihren Mund aus und ging hinunter ins Eßzimmer. Dort gab es ein deckenhohes Fenster, aus dem man über den breiten Vorgarten zur Straße blicken konnte. Und sie sah einen gelben Bus am Bordstein vor ihrem Haus stehen, mit der Beschriftung First Baptist Church Bible School auf der Seite. Sie verharrte und zählte die Menschen auf dem Bürgersteig – es waren dreizehn, ausnahmslos Neger, einige trugen Schilder –, dann ging sie in die Küche und versuchte, Packard anzurufen. Doch er ging nicht ans Telefon. Eine Sekretärin fragte, ob sie eine Nachricht hinterlassen möchte. Sie legte auf, setzte sich an den Küchentisch und lauschte auf die Leute draußen, war wütend auf Pakkard. Die Polizei kam nach etwa einer halben Stunde – es hatte ein halbes Dutzend Anrufe innerhalb von zehn Minuten gegeben – und löste die Versammlung auf. Sie hatte von der Küche aus zugesehen, wie die Neger wieder in ihren Bus stiegen, alle bis auf einen dünnen, älteren Mann, dessen Haut sie an abblätternde Farbe erinnerte. Er setzte sich mitten auf die Straße und weigerte sich zu gehen, bis man ihm schließlich Handschellen anlegte und ihn verhaftete. Der Bus verschwand die Straße hinunter, hinterließ eine schwarze Abgaswolke. Neger hingen aus den Scheiben, der Fahrer legte sich auf die Hupe. Packard traf eine halbe Stunde später ein. Mit einem heiteren, erwartungsvollen Ausdruck auf dem Gesicht kam er den Weg zum Haus herauf, und irgendwie erinnerte er sie an den Ehemann im Film, dem die kleine Ehefrau erzählte, daß sie einen Braten in der Röhre hatte.

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Die Polizei brachte Hollingsworth in ein Vernehmungszimmer. Allerdings hatten sie keine Fragen an ihn. Einer von ihnen schloß die Tür, der andere – derjenige, der ihn in den Streifenwagen gestoßen hatte – fing an, ihm Ohrfeigen zu geben. Kein Gummiknüppel, kein Schlauch, einfach nur die offene Hand. Unerklärlicherweise spürte Hollingsworth, wie er zitterte und dann zu weinen begann. »Es gab Zeugen«, sagte er, hörte die Panik in seiner Stimme und begriff, daß er für so etwas nicht gemacht war. Begriff, daß sein Platz hinter seiner Schreibmaschine war. »Es gab ein Dutzend Zeugen, die mich gesehen haben, die gesehen haben, daß ich keinen Kratzer hatte.« Was den Polizisten für eine Minute unterbrach. Er musterte Hollingsworth von oben bis unten, warf dann seinem Partner, der immer noch an der Tür stand, einen kurzen Blick zu. »Ich weiß nicht, wie ich dir das jetzt sagen soll, Remus«, sagte er, »aber du siehst sowieso schon so beschissen aus, wir könnten überhaupt nichts machen, daß irgendwer einen Unterschied sieht.« Und dann ohrfeigte er ihn wieder, nicht zu fest, stellte einfach nur etwas klar.

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20 PARADISE DEVELOPMENTS

E

s WAR EIN DIENSTAG, als Train zur Arbeit zurückkehrte, einen Monat nach seiner Suspendierung. Mr. Cooper saß hinter seinem Schreibtisch, zerbrach sich den Kopf über einige Briefe, die er gerade las. Der Raum hatte zwei kleine Fenster. In dem einen befand sich die Klimaanlage, aus der sich Wasser zu einer Pfütze auf dem Boden sammelte, und aus dem anderen sah man auf den Platz, wo die Bäume die Farbe von Dreck angenommen hatten und die Hälfte aller Grüns mit Pilzen überzogen war. Die Flecken waren so groß geworden, daß sie ineinander übergingen, jede Farbe aus dem Gras saugten. Alles, was man draußen sah, war bereits tot oder stand kurz davor. Mr. Cooper ließ Train warten, als stünde diese Sache mit der Suspendierung so ungefähr auf Platz sechs oder sieben seiner Prioritätenliste. Und vielleicht war das ja auch so. Auch Train gingen verschiedene andere Dinge durch den Kopf, hauptsächlich, wie er ihm beibringen sollte, daß er Plural irgendwie mit zur Arbeit bringen mußte. Mr. Cooper drückte seine Zigarette aus, schlug abrupt sein Buch zu, blies damit die Asche aus dem Aschenbecher, beugte sich dann vor und steckte sich eine neue an. Der Rauch schien in seine Nase hineinzukriechen. Er musterte Train eine Weile, als könne er sich nicht entscheiden, schließlich sagte er: »Ich will nur sichergehen, daß wir uns alle richtig verstehen. Ab sofort erstattest du

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Whitey Bericht über jeden deiner Schritte. Ich will, daß sie immer weiß, wo du bist. Ist das klar?« Train stand einfach nur da und wartete, sah aus dem Fenster, dachte, daß Mr. Cooper in dieses Geschäft eingestiegen war, ohne auch nur die geringste Ahnung zu haben, wie Dinge wuchsen, und wahrscheinlich hatte er ebenfalls keine Ahnung davon, wie man Häuser baute. Er wechselte einfach von einer Sache zur anderen in der Annahme, daß ein Mann, der Kakerlaken umbringen konnte, auch alles andere machen konnte, und das kam jetzt dabei heraus. Die ganze Zeit, die Train draußen auf dem Platz verbracht hatte, alles für nichts. Für weniger als nichts, denn Dinge waren gestorben, die noch gesund und munter gewesen waren, als er herkam. Mr. Cooper drehte sich auf seinem Sessel und schaute aus dem kleinen Fenster – das schon sehr lange nicht mehr geputzt worden war – über das erste Fairway und zu den Bulldozern, die in der Ferne einige Parzellen planierten. Jetzt löste sich ein leises Geräusch aus seinem Mund, es hörte sich an, als sauge er an seinem Daumen. »Zuerst zerstückeln sich diese beiden Jungs«, sagte er, »und dann das mit dir.« Train hörte, daß er gescholten wurde. Irgendwie wirkte das völlig unangebracht. Mr. Cooper drehte sich abrupt wieder um und wurde todernst, wie Gary Cooper, der seine Kanonen anlegte. »Sag mir eins«, sagte er. »Liegt euch das im Blut? Nach dieser Geschichte mit den beiden andern Jungs bist du mir vorgekommen wie die andere Seite einer Medaille. Die Wahrheit ist, mein Freund, ich hatte mir vorgestellt, du würdest eines Tages den Platz für mich leiten, und dann so was. Was ist passiert? Ruft irgendwas euch Leute einfach zurück?« »Die Suspendierung war zu Ende. Das hat mich zurückgerufen.«

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Mr. Cooper sah Train zuerst an, als sei er enttäuscht, als hätte er gedacht, Train würde möglicherweise gern über »Liegt euch das im Blut?« diskutieren. Train reagierte nicht darauf, und bald schien Mr. Cooper die Luft auszugehen. »Solche Sachen können uns ruinieren«, sagte er. Train nickte, als stimme er dem zu, als kümmere es ihn. »Vielleicht ist es am Ende ja doch ein Segen«, sagte er, »eine Art Botschaft. Vielleicht brauchen wir hier draußen so was wie einen Prüfungsausschuß, um den Käufern versichern zu können, daß wir ausschließlich die richtige Sorte von Leuten einstellen.« Am nächsten Morgen, Mittwoch, verließ Train den Bus an der Ecke, drehte sich dann um und führte Plural an der Hand. Er hatte ihn inzwischen oft genug herumgeführt, so daß es völlig normal schien, wenn sie sich an der Hand hielten. Beide waren noch sauber nach der Rasur und Dusche, trugen frische Kleidung. Sie gingen die Straße hinauf, und Mr. Coopers Wagen stand bereits auf dem Parkplatz; auf dem Weg kamen sie an zwei Schildern vorbei, auf denen stand, daß Wettspiele streng verboten seien. Inzwischen hatte Train beschlossen, weder Mr. Cooper noch Whitey gegenüber Plural zu erwähnen. Er beschloß einfach, ihn selbst einzustellen. Während seiner Suspendierung hatte sich niemand um die Pflege und Wartung der Maschinen in der Scheune gekümmert. Der John Deere hatte knapp drei Liter zu wenig Öl, und die Klingen des Mähers waren so stumpf, daß man damit nicht mal einen Salat mischen konnte. Schüttelten einen wahrscheinlich aus dem Sitz, wenn sie sich drehten. Er drückte Plural einen Besen in die Hand, ließ ihn hinten in der Scheune anfangen und verbrachte dann eine Stunde mit dem Traktor; füllte Öl

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ins Kurbelgehäuse und schärfte die Klingen, und dann fuhr er ihn aus der Scheune hinaus in die Sonne. Er schaltete den Mähmechanismus aus und fuhr den Platz hinten beginnend ab, fing mit der Achtzehn an und hörte bei der Eins auf, bemerkte unebene Stellen auf dem Gras des Fairways, die aussahen, als hätte jemand Rinder weiden lassen. Überall Klee. Der Staub von den Parzellen, die Mr. Cooper räumte, wurde in die Luft gewirbelt und lag auf den Blättern sämtlicher Pflanzen. Auf der Siebzehn hatte irgend jemand einen Sack Müll über den Zaun geworfen, der nicht weggeräumt worden war, und neben dem Teich am sechzehnten Tee lag ein Rehkadaver. Mußte schon eine Woche dort draußen gelegen haben; die Kojoten und Vögel hatten alles mitgenommen bis auf Rückgrat, Füße und Schädel. Der Teich selbst lag unter einer fünfzehn Zentimeter hohen Schleimschicht. Train hielt den Traktor an, um sich einen Überblick zu verschaffen, wie schlimm es war, und in der plötzlichen Stille hörte er in der Ferne die Bulldozer, die weitere Parzellen für Mr. Coopers Bauvorhaben frei räumten. Taschenratten hatten das gesamte Fairway auf der zehnten Bahn übernommen, aber Train beschloß, sich später darum zu kümmern, schob es auf, sie zu töten, bis er alles andere erledigt hatte. Er hielt den Traktor wieder an, um sich eine vertrocknete Kamelie anzusehen, bis zu den Wurzeln abgestorben. Die ganze Arbeit umsonst. Nachdem er sich umgeschaut hatte, ging er zum Büro hoch, ohne sich vorher den Staub abzuwaschen, um Mr. Cooper zu sagen, was er tun mußte, um wieder alles in Schuß zu bringen. Mr. Coopers Tür war jedoch verschlossen, und als Train näher kam, hörte er dahinter Whitey, die Mr. Cooper erzählte, daß sich am Horizont Sturmwolken zusammenbrauten und Ärger bevorstehe.

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Es machte ihm plötzlich angst zu erkennen, daß sie versuchte, ihn aus der Tür zu drängen. Er fragte sich, wie es diesmal soweit gekommen war. Er ging wieder an die Arbeit. Plural und er kamen jeden Morgen um sechs, und trotz Mr. Coopers Anweisungen wartete er nicht darauf, daß Whitey ihm sagte, was zu tun war. Sie kam sowieso nicht vor halb acht oder acht, etwa zur gleichen Zeit, zu der die Bulldozer für den Tag starteten. Die restlichen Mitarbeiter – alle bis auf Lester – sahen nicht ein anzufangen, bis sie von ihr angebrüllt wurden, sich endlich in Bewegung zu setzen. Zu diesem Zeitpunkt war Train längst unterwegs, und Plural ging mit seinem Besen den Rand der Scheune ab, führte Selbstgespräche und fegte. Er arbeitete langsam und erstarrte wie ein Ungeziefer, wenn ihm etwas Unbekanntes in den Weg kam – Kisten oder Taschen oder Zubehörteile, all die Dinge, die am Abend zuvor nicht weggeräumt worden waren –, und dann schob er es zur Seite oder suchte sich einen Weg darum herum. Train zahlte ihm freitags aus seiner eigenen Tasche die Hälfte dessen, was er selbst verdiente. Plural gefiel es, bezahlt zu werden. Machte allerdings nie etwas mit seinem Geld, außer es zu sparen und einmal in der Woche Mogan David und White-CastleHamburger zu kaufen. Während der schwarze Fleck sein Augenlicht nahm, grübelte er mehr über Dinge, wechselte manchmal den ganzen Tag kein einziges Wort mit dem Rest der Crew, nicht mal mit Train beim Mittagessen. Wenn er dann etwas sagte, bedeutete es normalerweise, daß er in seinen Gedankengängen einen bestimmten Punkt erreicht hatte, an dem er zu einer Erkenntnis darüber gelangte, wie alles zusammenpaßte. Er

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lachte dann, schüttelte den Kopf und sagte: »Tja, Nigger, so kann’s gehen.« Immer häufiger jedoch vergingen ganze Tage ohne ein Wort aus den dunklen Bereichen. Dann eines Nachmittags, als sie nach dem Essen im Schatten der Scheune lagen, hob Plural plötzlich seinen Kopf und sagte: »O-oh. Nimm dich in acht.« Train hatte Geier beobachtet, die eine halbe Meile südlich in der Luft kreisten, und sich gefragt, was wohl dort draußen gestorben sein könnte. Plural lachte über irgend etwas. Er sagte: »Gleich geht eine Frau wegen dir in die Luft, Mann.« »Welche Frau?« Train setzte sich auf, Kiefernnadeln und Schmutzkrümel fielen von seinem Hinterkopf und rieselten seinen Rücken hinunter, und einen Augenblick später tauchte sie auf dem Weg auf, der vom Wohnwagen herunterführte, die Bluse unter den Cowboygürtel gesteckt, der Bauch wackelte wie immer. Sie ging, als hielte sie eine Schubkarre – mit kleinen ruckartigen Schritten, als würde sie davon den Berg hinuntergezogen. Train überlegte, daß Plural sie bereits gehört haben mußte, noch bevor sie aus dem Wohnwagen kam, daß er an der Art und Weise, wie sie ging, erkannt haben mußte, daß sie wütend war. Er fragte sich, ob Blinde Dinge hören konnten, die sonst niemand hörte. Irgendwo hatte er schon mal davon gehört. Sie blieb stehen, ragte über ihm auf, feucht, versuchte, zu Atem zu kommen. Sie überragte einen gern, wenn sie mit einem sprach. »Miss Whitey«, sagte Plural. Sie schüttelte den Kopf. Mochte es nicht, daß er hier war, und gab das auch klar zu verstehen. »Am Montag werden wir die große Eiche fällen«, sagte sie zu Train. »Welche Eiche ist das?« »Die große, am Rand der Fünfzehn.«

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»Dieser Baum stört doch niemanden.« »Er nimmt die Sicht von den Baugrundstücken aus«, sagte sie. »Die Aussicht«, sagte der blinde Mann. »Man muß eine Aussicht haben.« Train hielt es für keine besonders gute Idee, Plural das Reden zu überlassen. Er saß still, das einzige, was er tun konnte. Wenn sie Mr. Cooper Bericht erstattete, würde alles, was er sagte, klingen, als hätte er diskutiert. Weil sie auf seine Antwort wartete, sagte er also: »Welche Baugrundstücke?«, obwohl er bereits wußte, welche Baugrundstücke sie meinte; die Fundamente waren längst fertig auf dem Hügel dort drüben, und das Holzfachwerk wurde bereits hochgezogen. Sie sollten die ersten komplett fertiggestellten Häuser auf den hinteren neun sein. »Ich habe keine Zeit, hier herumzustehen und darüber zu reden«, sagte sie. »Es kommt direkt von Mr. Cooper. Er will, daß dieser Baum am Montag gefällt wird. Später in der Woche kommen Investoren, die sich die Gebäude ansehen wollen.« »Miss Whitey, ich weiß nicht, wie ich einen solchen Baum fällen soll«, sagte Train. »Das habe ich auch nie gesagt, oder? Dafür hat Mr. Cooper jemanden engagiert. Wir werden anschließend nur aufräumen. Ich bin runtergekommen, um dir zu sagen, daß du das für Montag einplanen sollst.« Die Baumfäller tauchten vier Tage zu spät in einem Vorkriegs-Chevy-Pick-up auf, an dessen Seiten von Hand die Worte TREES STIRGEONS gemalt waren. Train ging hinaus, um ihnen zuzusehen, dachte, es könnte nie schaden zu lernen, wie man einen Baum fällt. Es sah aus, als bestünde der erste Schritt darin, sich zunächst mal eine Weile in den Schatten des Baumes zu setzen und einen Joint kreisen zu lassen.

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Die Mexikaner lachten, husteten und redeten, gaben sich gegenseitig Feuer, und Train sah, daß Mr. Cooper, wie bei allem anderen, was er machte, es so billig wie nur möglich hatte haben wollen, und Train wußte, daß die Tree Stirgeons letzten Monat wahrscheinlich noch Maler oder Elektriker gewesen waren. Die Mexikaner beschlossen einfach, daß es ihnen gefiel, wie ein Beruf aussah, und ehe man sich versah, waren sie dann genau das. Wenn man in ihren Vierteln auf der anderen Seite der Brücken ein Zahnarztschild sah, verbarg sich dahinter ein Mexikaner mit Kombizange. Eine halbe Stunde verging, und Whitey tauchte mit dem Firmenwagen auf und starrte sie eine Weile an, aber dagegen waren die Mexikaner immun, und sie schienen kaum Notiz von ihr zu nehmen, wie sie mit vor der Brust verschränkten Armen dastand. Schließlich ging sie zu ihnen hinüber, hundert Schlüssel klimperten an ihrem Gürtel, um zu fragen, ob sie jemals beabsichtigten, den verdammten Baum zu fällen. Sie gehörte zu den Menschen, die nie einen Schlüssel abgaben. Wie sich herausstellte, verstand jedoch keiner von ihnen ihr Englisch. Sie lächelten einfach nur und boten ihr einen Zug an. Sie kehrte zum Firmenwagen zurück, knallte die Tür zu und machte sich auf die Suche nach Mr. Cooper. Eine weitere halbe Stunde verstrich, und einer der Mexikaner – der kleinste von ihnen, der aussah wie ungefähr dreizehn – warf sich ein dickes Seil von der Ladefläche des Pickups über die Schulter und kletterte bis auf halbe Höhe die Eiche hinauf, schaute mit zunehmender Höhe immer öfter nach unten, lachte mit den auf dem Boden Zurückgebliebenen und befestigte das Seil, sobald der Baum sich genug verjüngt hatte, um es herumlegen zu können. Während er den Stamm wieder herabkletterte, befe-

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stigten die beiden anderen das Seil an der Stoßstange des Pick-ups und zogen es stramm – es sah nicht unbedingt so aus, als hätte jemand in allen Einzelheiten geplant, wie das Vorhaben zu bewerkstelligen sei, bevor der Kleine den Baum hinaufflitzte –, und dann wechselten die drei sich an einer Zweihandsäge ab, die immer öfter steckenblieb, je tiefer sie sich in das Holz vorarbeiteten. Wenn das passierte, schnappte sich der Mexikaner, der gerade nicht sägte, eine andere, kleinere Säge und machte von oben einen Schrägschnitt, bis die Zweihandsäge wieder freigerüttelt werden konnte. Dann wechselten sie die Plätze, und alles fing von vorne an. Es war Schwerstarbeit, und sie zogen ihre Hemden aus, schwitzten und machten alle paar Minuten eine Pause, um einen weiteren Joint zu rauchen. Als sie den Stamm vielleicht zu einem Drittel angesägt hatten, legten sie eine Mittagspause ein, und Train kehrte zur Scheune zurück, um nach Plural zu sehen und das Gift zu suchen. Whitey drängte ihn, endlich die Taschenratten zu töten, seit er gesagt hatte, er würde das als letztes machen – sobald sie etwas sah, das er nicht gern tat, wollte sie genau das von ihm als erstes erledigt haben –, und so war er in der Scheune auf der Suche nach dem Gift, als der Baum fiel. Der Lärm nahm zu, brauste und hörte abrupt auf wie ein Sturm, und als Train wieder draußen war, da lag der Baum bereits quer über dem Fairway, überall Teile von zersplitterten Ästen und riesige Furchen im Boden, wo die stärkeren Äste aufgeschlagen und abgebrochen waren. Ein gezackter Dorn ragte wie ein abgebrochener letzter Zahn zwei Meter aus dem Stumpf. Die Mexikaner saßen auf der Ladefläche des Pick-ups und feierten. Der Baumstamm war gerade mal einen Meter von der Ladefläche entfernt gefallen, das Seil immer noch befestigt, und die Mexikaner waren durch die Äste

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und Blätter kaum zu erkennen. Der den Baum hinaufgeklettert war, schaute zu Train herüber und lächelte; über seiner Oberlippe war der Ansatz eines Bartflaums. Mr. Cooper und Whitey trafen einige Minuten später ein. Der Mexikaner, der das Sagen zu haben schien, erhob sich auf der Ladefläche und begrüßte Mr. Cooper wie einen verlorengeglaubten Familienangehörigen, streckte seine Hände aus, als hätte Mr. Cooper womöglich übersehen, daß da ein Baum quer über dem Fairway und halb über seinem Laster lag. »Veinte y cinco, señor«, sagte er. »Meine Fresse«, sagte Mr. Cooper. »Sieh sich einer diese scheiß Unordnung an.« »Ja, señor«, sagte der lächelnde Mexikaner, »diiiese scheiß Unordnung.« Und die anderen lächelten auch, stolz wie eine Blaskapelle. Dann sagte der Mexikaner noch einmal: »Veinte y cinco«, freundlich, wollte die Hände schütteln. Mr. Cooper drehte sich um und wandte sich an Whitey. »Schmeiß sie vom Grundstück«, sagte er. Er schaute den Hügel hinauf zu den Baugrundstükken entlang des Fairways, zu den Rohbauten, versuchte sich wahrscheinlich vorzustellen, wie der gefällte Baum von dort aussehen würde. Der Mann war jetzt nervös, als hätte er plötzlich begriffen, daß seine Zeit fast abgelaufen war. Whitey sah es auch und attackierte die Mexikaner. »Verschwindet von hier«, sagte sie mit einem Blick in den Pick-up. »Zischt ab, hasta luego …« Die Mexikaner sahen sich gegenseitig an, um herauszufinden, ob einer verstand, was hier los war. »Zischt ab«, sagte sie, »husch …« »Veinte y cinco, señorita«, sagte der, der gelächelt hatte und jetzt nicht mehr lächelte. »Nix veinte y cinco«, sagte sie und zeigte auf den Baum. »Ihr habt Scheiße gebaut.«

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Die Mexikaner zuckten mit den Achseln, fragten sich, was sie denn dachte, was Baumfäller taten. Als ginge es sie jetzt nichts mehr an. Unterdessen marschierte Mr. Cooper über das Fairway ans andere Ende des Baumes, um sich die Sache von dort anzusehen. Er positionierte sich in einer Linie zwischen dem Baum und den Parzellen oben auf dem Hügel und betrachtete die Situation von dort. »Großer Gott«, sagte er. »Wie lange wird das dauern?« »Ich werde mich sofort darum kümmern«, sagte Whitey. Die Mexikaner machten sich inzwischen Sorgen um ihre Bezahlung. Train saß auf dem Traktor und starrte den Baum an. Im Liegen sah er größer aus als im Stehen, und auch schwerer. Er hatte das Dach des Pick-ups der Mexikaner eingedrückt und den Tankdeckel abgerissen. Es sah aus, als wäre die Fahrerkabine um rund dreißig Zentimeter niedriger geworden. Train bemerkte, daß Mr. Cooper seinen Glauben an Whitey verloren hatte und jetzt hilfesuchend in seine Richtung schaute. »Dieser Freund von dir«, sagte Mr. Cooper, »kann er sägen?« »Man kann nie wissen«, sagte Train, »vielleicht.« Er stellte sich Plural in dem Wirrwarr an Ästen vor – überall um ihn herum fremde Gestalten, die ihm bedrohlich auf den Leib rückten –, und es behagte ihm nicht wirklich, ihm eine Säge in die Hand zu drücken. »Die Statur hat er«, sagte Mr. Cooper. »Er sieht aus, als könnte er eine Ewigkeit sägen.« Sie brauchten zwei Tage – Train, Plural und Lester –, um die Äste vom Baum zu sägen und anschließend den Stamm so zu zerlegen, daß die einzelnen Teile mit dem Traktor weggeschleppt werden konnten. Einen weiteren

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ganzen Tag dauerte es, die großen Äste zu entfernen und dann die überall auf dem Fairway verstreuten Holzteile zusammenzuharken. Die drei Mexikaner waren jeden Tag da, saßen in ihrem verbeulten Pick-up, rauchten Joints und beobachteten die Claim-Diebe. Warteten auf ihr Geld. Mr. Cooper sah sie jedesmal, wenn er runterkam, um sich über den Fortschritt der Aufräumungsarbeiten zu informieren, und einmal hörte Train ihn zu Whitey sagen, daß er auch früher schon mit diesen Leuten fertig geworden war, daß sie vergessen würden, was sie hier draußen machten, und verschwänden, wenn man nur lange genug wartete. Aber Train wußte es besser. Niemand konnte so gut warten wie die Mexikaner, und am Ende würde Mr. Cooper sie entweder bezahlen oder aber die Polizei rufen müssen. Außerdem zögerte Mr. Cooper es auch hinaus, Plural zu bezahlen. Das Geld wurde knapp. Plural hatte zwei Tage gesägt, zwölf Stunden täglich, in der Sonne gebraten, den größten Teil des Baumes allein zerschnitten. Er hatte Insektenstiche, Schnittwunden und Blasen, wohin man auch schaute. Alles, was Mr. Cooper über Bezahlung sagte, war, daß er Train an diesem Freitag einen Bonus für seinen Freund in den Umschlag stecken werde. Doch Train sah, wie sich die Dinge in Paradise Developments entwickelten, und vermutete, daß es nicht mehr als ein oder zwei Dollar sein würden. Freitag kam und verstrich, und es gab natürlich keinen Bonus. Plural wußte, daß er betrogen wurde, behielt es aber für sich. Am Montag morgen kam Whitey früh herunter, um Train zu sagen, daß die Mexikaner einen zu großen Stumpf hatten stehenlassen, daß Mr. Cooper ihn bis auf Bodenhöhe entfernt haben wollte. Mr. Cooper hatte den

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Termin mit den Investoren schon zweimal verschoben, und jetzt sollten sie am Freitag kommen, und er wollte, daß alles absolut stimmte. Als Plural das hörte, machte er ein Geräusch, als hätte er sich gerade zum Sonntagabendessen hingesetzt. Sie drehte sich zu ihm um und klärte ihn darüber auf, daß sie geschäftlich mit Train zu reden habe und ganz sicher nicht mit ihm. Plural lächelte einfach weiter und schüttelte den Kopf. »Dieser Mann verwechselt mich mit seinen Werkzeugen«, sagte er. »Was redet er denn da?« fragte sie. Train sagte: »Er wird den Stumpf nicht entfernen.« »Sag ihm, daß er es machen soll«, sagte sie. »Sag ihm, Mr. Cooper und ich haben uns diese Blindengeschichte die ganze Zeit gefallen lassen, und jetzt muß er mal was Nützliches für uns tun.« »Sag ihr, der Mann hat vergessen, mich zu bezahlen«, sagte Plural zu Train. Es klang, als würde er sich über Whitey lustig machen, aber man konnte nie mit Sicherheit sagen, was er beabsichtigte. »Hat’s schon die ganze Zeit vergessen, die ich hier draußen bin, überläßt es dir, sich an seiner Stelle darum zu kümmern, verwechselt mich mit seinen Werkzeugen.« Sie sah Train an, der keine Ahnung hatte, wie Plural das herausbekommen hatte. »Ein Mann, der mich so behandelt, dem hol’ ich doch seinen Baumstumpf nicht raus«, sagte Plural, sprach sie diesmal direkt an. »Um’s mal höflicher zu sagen, er sollte lieber aufbleiben und gut auf seine Hühner aufpassen.« »Also, wieviel verlangst du?« fragte Whitey. »Nur, um diesen Baumstumpf zu entfernen – was soll ich sagen, wieviel du dafür verlangst?« Plural dachte darüber nach, schien in seinem Kopf zu

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addieren und zu subtrahieren. »Sechshundert Dollar«, sagte er. Am nächsten Morgen kam Whitey im Pick-up zur Scheune runter und sagte Train, er solle einen der großen Benzinkanister füllen und auf die Ladefläche legen. Sie fuhren zum Fünfzehnten und parkten in der Nähe des Stumpfes. Er hatte einen Umfang von zweieinhalb Meter, war mit Ausnahme des Dorns überall einen halben Meter hoch. »Mr. Cooper hat beschlossen, ihn abzubrennen«, sagte sie. Es kam Train ziemlich leichtsinnig vor, einen Baumstumpf mit Benzin abzubrennen. Sie sah den Ausdruck auf seinem Gesicht. »Keine Diskussion«, sagte sie. »Wir haben nicht die Zeit, euch jede verdammte Kleinigkeit zu erklären, die ihr machen sollt.« Die Mexikaner waren auch wieder da, saßen in ihrem Truck und beobachteten. Train stieg aus und wuchtete den Benzinkanister über die Ladeklappe. Whitey steckte sich eine Zigarette an und blieb, wo sie war. Die Mexikaner richteten sich auf, als sie das Benzin sahen. Whitey verschränkte ihre Unterarme über der offenen Seitenscheibe und beugte sich heraus, legte ihr Kinn auf ihr Handgelenk. Sah jünger aus und irgendwie fraulicher. Train trug das Benzin zum Baumstumpf und stellte den Kanister ab. Er dachte daran, wie das alles noch vor ein paar Tagen ausgesehen hatte, was dabei herauskommen würde, nachdem er abgebrannt war. Es kam ihm unwirklich vor, dabei mitzumachen, so als wäre er irgendwie mitten in einem Golfwitz gelandet. Und dann kippt der Nigger Benzin über den Baum … »Was meinst du, wie lange es dauert, bis das hier erledigt ist?« fragte Whitey aus dem Pick-up. Er schraubte den Deckel ab und ließ sich noch eine Minute Zeit,

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wollte nichts damit zu tun haben; schließlich drehte er den Vierzig-Liter-Kanister um und ging zweimal um den Stumpf, beobachtete, wie das Benzin im Boden versickerte. Ein paar Spritzer kamen auf seine Hände, es fühlte sich kühl an und trocken. Er sah Dünste aufsteigen und hörte, wie Whitey den Pick-up anließ, und als er sich umdrehte, setzte sie den Wagen in sichere Entfernung zurück. »Steck’s an«, sagte sie aus der Seitenscheibe. »Wir haben heute noch mehr zu tun.« Train nahm Streichhölzer aus seiner Hosentasche, riß eines an und warf es auf den Stumpf. Es gab ein Geräusch, als würde man einen Teppich ausschütteln, dann folgten Rauch und Hitze, aber die Flamme selbst konnte er im Sonnenlicht nicht erkennen. Das Feuer brannte den ganzen Tag und die ganze Nacht, und am nächsten Morgen stieg immer noch Rauch aus dem Stumpf. Mr. Cooper kam persönlich herunter, um sich zu vergewissern, daß die Sache richtig erledigt wurde. »Wenn das erst mal aus ist«, sagte er zu Train, »möchte ich, daß du den Stumpf mit dem Traktor aus dem Boden ziehst.« Das Feuer ging aber nicht aus. Weder an diesem Tag noch am darauffolgenden. Donnerstag morgen stieg immer noch Rauch auf, und am Freitag, dem vierten Tag, sagte Mr. Cooper zu Whitey, Train solle einen Schlauch von der Bewässerungsanlage verlegen und den Brand löschen. Train tat, was man ihm auftrug, aber am Samstag war der Rauch wieder da. Ebenso am Sonntag und am Montag. Zu diesem Zeitpunkt konnte man es bereits auf dem ganzen Platz riechen. Mr. Cooper verschob den Termin mit seinen Investoren erneut, und in der Zwischenzeit hörten die Bulldozer auf, zehn abgesteckte Parzellen entlang Nummer Siebzehn zu planieren. Fünf

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auf dem Platz selbst, fünf auf der anderen Straßenseite. Der Name der Straße lautete Bobby Jones Drive. Train fuhr mit dem John Deere zum Stumpf hinaus, aber es ähnelte dem Versuch, einen Zahn mit den Fingern zu ziehen. Als er Whitey Bericht erstattete, schleuderte sie einen Bleistift gegen die Wand und brüllte: »Muß ich hier denn alles selbst machen? Ich halt’ das nicht mehr aus.« Er dachte, vielleicht sollte er abwarten, bis sie sich wieder beruhigt hatte, bevor er ihr sagte, daß er am frühen Morgen hundert Meter weiter das Fairway hinauf und kurz vor dem Grün Rauch über dem Boden hatte aufsteigen sehen. Dann dachte er, eigentlich sollte sie das ruhig selbst herausfinden. Er war vom Traktor gestiegen, hatte seine Hände flach auf den Boden gelegt und die Hitze gespürt. Irgendwie hatten sie es geschafft, daß selbst die Erde brannte. Mr. Cooper holte einen der Bulldozer von der Siebzehn, fuhr damit den Bobby Jones Drive hinunter und über den Entwässerungsgraben, um zu dem Stumpf zu gelangen. Er senkte das Planierschild, und der Stumpf sowie drei Meter lange, dicke Wurzeln wurden herausgerissen. Der Stumpf kam schwarz und qualmend aus der Erde, mit einem riesigen Ballen an Wurzeln, Erdreich und Tentakeln. Das verbleibende Loch war groß genug, um ein Pony darin zu begraben. Mr. Cooper kletterte aus dem Dozer und wirkte, als hätte er gerade einen Streit gewonnen, stand dann aber lange Zeit im Rauch am Rand des Lochs und starrte einfach nur hinab in die Hölle. Er hörte, wie die Mexikaner sich im Führerhaus ihres Pick-ups unterhielten. Whitey stieg aus dem Pick-up, mit dem sie heruntergekommen waren, ging hinüber und stand eine Weile neben ihm. »Wessen Idee war das?« sagte er schließlich.

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Sie schaute sich um, kratzte sich am Po. Würde diese Frage auf gar keinen Fall beantworten. Wie sich jedoch herausstellte, war es das letzte Mal, daß sie die Mexikaner sahen. Den Boden unter ihrem Truck anzuzünden war tatsächlich eine Möglichkeit, sie zum Gehen zu veranlassen. Zwei Wochen vergingen, und das Feuer breitete sich aus. Auf den hinteren neun Löchern war überall Rauch, und Train fand eine der Wasserschildkröten – eine der großen, alten – tot neben dem Teich an Nummer Fünf. Als Train sie aufhob, zerbrach ihr Panzer in zwei Teile. Die alten Investoren stiegen aus, und Mr. Cooper begann, neue aufzutreiben, hatte an drei Freitagen hintereinander andere auf dem Platz, doch sie alle hatten schon Projektentwickler gesehen und wußten, wie sie aussahen, wenn sie gerade pleite gingen. Unterdessen sprach Mr. Cooper nicht mehr mit Whitey, ging an ihr vorbei, als wäre sie nicht da. Und sie hörte auf, mit Train zu sprechen. Dann sah er sie eines Nachmittags in ihrem Truck sitzen, eine Zigarette rauchend, weinend. Bis zu diesem Augenblick hätte er so etwas nie für möglich gehalten.

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I

N DIESER WOCHE WAR SIE JEDEN MORGEN IM POOL, und zweimal war Mrs. Moffit nebenan in den Garten gegangen, hatte sie dort gesehen und war sofort wieder in ihrem Haus verschwunden. Beim ersten Mal fand sie es noch lustig, beim zweiten Mal weinte sie beinahe. Beide Reaktionen weckten ihren Appetit. Und so war es ständig. Ihre Stimmungen wechselten sechsmal am Tag, unabhängig von äußeren Ereignissen. Sie war gleichzeitig glücklich und traurig wie schon lange nicht mehr. Packard bemerkte die Veränderung und fing an, sie zum Essen auszuführen, tauchte an zwei oder drei Tagen der Woche bereits am frühen Nachmittag auf, ging mit ihr jedesmal in ein neues Restaurant und schaute ihr beim Essen zu, war fasziniert von den Bergen, die sie in ihren Mund schaufelte. Nach dem Essen liebten sie sich manchmal, und er war sehr zärtlich, fragte sie jedoch nie, ob sie noch einmal beim Arzt gewesen war. Es war eine weitere Sache, über die er nicht reden wollte, und deshalb wollte sie, auf gewisse Weise, auch nicht darüber reden. Es schien zuviel Arbeit und Manövriererei erforderlich zu sein, um das Thema auch nur anzuschneiden. Am Mittwoch nachmittag waren sie gerade in die Zufahrt eingebogen – sie vollgestopft mit chinesischem Essen und sich nach Eis sehnend –, als ein anderes Auto, ein weiß- und rosafarbener viertüriger Buick, unmit-

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telbar hinter ihnen abbog. Packard hielt an, sah einen Moment in den Rückspiegel und stieg dann aus. Eine Frau verließ den Buick, und irgendwie paßte alles an ihr zu ihren Schuhen. Ihre Brüste waren lächerlich spitz, als hätte jemand ein Laken über einen Geschützturm geworfen. Sie eilte die Zufahrt hinauf zu Packard, streckte eine Hand aus. »Dixie Finnity«, sagte sie. »Ich habe gerade da drüben gesessen und Ihr Haus bewundert.« Sie zeigte auf die andere Straßenseite. Die Frau hielt Packards Hand eine Idee zu lange, blinzelte dann über die Kühlerhaube des Wagens zum Vordersitz und lächelte Norah ebenfalls an. »Sie haben ein wunderschönes Haus«, sagte sie. Man konnte nicht erkennen, mit wem sie sprach. »Was bestimmt auch für Sie gilt«, sagte Packard, worüber sie einen Moment nachdenken mußte. »Ich frage mich, ob Sie wohl heute nachmittag etwas Zeit für mich erübrigen könnten«, sagte sie. »Ich würde Ihnen gern etwas zeigen, von dem ich überzeugt bin, daß es Sie sehr interessieren wird.« Dann zwinkerte sie Packard zu, als hätte sie vergessen, daß Norah auch noch da war. »Sie hat mir zugezwinkert«, sagte Packard. Norah öffnete ihre Tür und stieg aus, fühlte sich schwer und müde. Die Frau tätschelte seine Hand. »Oh, Sie«, sagte sie, und dann zwinkerte sie auch Norah zu. Norah sah, daß Packard jetzt das Lächeln der Frau erwiderte, neugierig, wohin dies führen würde. Sie kam einen Schritt näher, betrachtete sie eingehender, und je näher man kam, desto mehr sah man, und nichts davon bedeutete gute Nachrichten. Sie war bemitleidenswert auf eine Art, allerdings auf keine, die Norah teilte. Sie gingen zum Haus. Packard hielt der Frau die Tür auf und schüttelte sich gegenüber Norah, bevor sie ihr

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hinein folgten. Die Frau ging ins Wohnzimmer und drehte sich in einem kleinen, mädchenhaften Kreis, überblickte alles auf einmal. Sie gab einen Laut von sich, der zu der Kreisbewegung zu gehören schien, die sie gerade gemacht hatte, und bedeckte den Mund mit einer Hand. Das Haus war einfach zuviel für sie. »Meine Güte«, sagte sie, hatte jetzt einen leichten Südstaatenakzent, »das ist ja sensationell. Sogar noch besser als von draußen. Einfach sensationell. Jetzt verstehe ich, warum sie es unbedingt haben wollen.« Packard ging zu einem Sessel und setzte sich. Die Frau wußte nicht, was sie davon halten sollte, und wandte sich an Norah. »Sie haben ein wunderschönes Haus«, sagte sie wieder. »Danke«, sagte Norah. »Darf ich Ihnen ein Sorbet anbieten?« Die Frau wollte schon ja sagen – dachte, es werde Kaffee angeboten –, hörte dann aber die Frage und verharrte. Sie klopfte sich auf den Bauch, zog ihre Bluse über den Brüsten stramm. »Ich würde ja gern, aber ich kann leider nicht«, sagte sie und warf Packard wieder einen kurzen Blick zu, während ihre Hand immer noch die Bluse straff hielt. Er lächelte sein typisches unvollendetes Lächeln, sah auf die Visitenkarte, die sie ihm gegeben hatte, und las dann laut vor: »›Dixie Finnity, Exklusive Immobilien.‹« »Darf ich mich setzen?« sagte sie. »Sicher«, sagte er, bot ihr aber keinen bestimmten Platz an. Sie entschied sich für das Sofa vor dem Couchtisch. Versuchte selbstsicher zu wirken, was vermutlich wichtig war in der Immobilienbranche. Sie zupfte an ihrem Rock, versuchte, mehr Bein zu bedecken. Norah verschwand in die Küche, holte einen Riesenbecher Sorbet aus dem Eisfach und nahm sich einen Löffel von der

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Arbeitsfläche. Sie kehrte ins Wohnzimmer zurück, setzte sich im Schneidersitz auf den Boden und aß direkt aus dem Becher. »Nun, Sie werden sich bestimmt fragen, wer ich bin«, sagte die Frau. »Nein«, sagte er, »so was passiert dauernd.« Sie ließ sich nicht aus dem Konzept bringen. »Um direkt zur Sache zu kommen«, sagte sie, »aber lassen Sie mich zunächst versichern, daß dies wirklich ausgesprochen ungewöhnlich ist, praktisch noch nie dagewesen, jedenfalls habe ich einen Kunden, der ihnen gern ein Barangebot für Ihr Anwesen machen würde.« Pakkard ließ ihre Visitenkarte vor sich auf den Tisch fallen, lehnte sich in seinem Sessel zurück und schloß die Augen. Ein Moment verstrich. Sie wartete, daß er die Augen wieder öffnete. Es sah aus, als wäre er womöglich eingeschlafen. Dann wandte sie sich Norah zu. »Bevor Sie jetzt etwas sagen«, fuhr sie fort, »lassen Sie mich bitte noch hinzufügen, daß meine Firma für gewöhnlich keine Blindangebote für Immobilien macht, die überhaupt nicht auf dem Markt sind. Wie ich schon sagte, mir ist bewußt, daß dies sehr ungewöhnlich ist, aber das Angebot ist äußerst großzügig, und das war der einzige Grund, warum ich überhaupt einverstanden war, die Interessenten zu vertreten.« »Jemand will das Haus kaufen«, sagte Packard, ohne die Augen zu öffnen. »Genau.« »Wer?« Sie zwinkerte wieder Noah zu und beugte sich vor, als handele es sich um ein großes Geheimnis. »Ich wette, Sie meinen, wieviel?« sagte sie. Packard gab keine Antwort. Sie suchte in ihrer Handtasche, die ungefähr einen Meter tief zu sein schien, und

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fand schließlich einen Notizblock und einen Stift. Sie schlug den Block auf, schrieb »500.000 $« in großen Ziffern quer über die Seite und unterstrich die Summe zweimal. Bei dem Geräusch einer Zahl, die unterstrichen wurde, öffnete Packard die Augen, um zu sehen, was es war. Dann sah er Norah an. »Eine halbe Million«, sagte er. »Ist das derzeit in dieser Gegend der übliche Preis für ein Haus?« »Ich denke nicht, nein«, sagte sie. Er sah die Maklerin wieder an. »Wer will es kaufen?« In diesem Teil von Beverly Hills gab es keine Häuser, die eine halbe Million Dollar kosteten. Einige der Villen, in denen die Filmstars lebten, mochten soviel wert sein, oder sogar noch mehr, aber dies war keine Villa. Fünf Schlafzimmer, vier Bäder, der Pool, ein Gästehaus. Ein schönes Haus, aber keine Villa. »Dies ist das Ungewöhnlichste an allem«, sagte die Frau. »Die Käufer möchten, zumindest vorläufig, anonym bleiben.« Norah zog den Löffel langsam verkehrt herum aus dem Mund. Die Frau betrachtete geradezu liebevoll die Zahl, die sie auf den Block geschrieben hatte. »Dies ist ein sehr großzügiges Angebot«, sagte die Frau. »Geradezu einmalig …« Packard saß da und sah sie an, starrte sie an, bis sie ihren Daumennagel an den Mund hob und nach Speiseresten oder Lippenstift auf ihren Schneidezähnen suchte. »Natürlich ist es jederzeit möglich, daß sie noch ein wenig höher gehen«, sagte die Frau. »Sie lieben dieses Haus.« Packard sah wieder Norah an und sagte: »Ich denke nicht, daß wir ein Angebot ernsthaft in Erwägung ziehen können, wenn wir nicht wissen, von wem es kommt. Es könnte ja Mickey Cohen sein.«

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»O nein«, sagte die Frau. »Nichts in dieser Richtung. Es handelt sich um hervorragend beleumundete Menschen. Wirklich außergewöhnliche Menschen.« »In diesem Viertel werden sehr hohe Anforderungen gestellt«, sagte er. Die Frau begann zu nicken. »Die Käufer sind mit dieser Gegend sehr vertraut. Das dürfte kein Problem sein, das kann ich Ihnen versichern.« Packard schien darüber nachzudenken, schüttelte dann den Kopf. »Nein, wir können es nicht tun. Nicht, ohne zu wissen, um wen es sich handelt. Das schulden wir unseren Nachbarn.« Er ließ ein kurzes Schweigen folgen und sagte dann: »Es sei denn, Sie würden es uns sagen, und es könnte unter uns bleiben, nur unter uns dreien.« Und das ließ er im Raum stehen. Er war gut, und Norah fragte sich, ob das etwas war, was er auch bei der Arbeit machte, um Leuten ein Geständnis zu entlocken. Die Frau lächelte immer noch, konnte sich aber nicht entscheiden. Lange Zeit antwortete sie nicht, dann beugte sie sich schließlich vor und sagte: »Ehrenwort?« Nachdem die Frau gegangen war, blieben Norah und Packard im Wohnzimmer sitzen, während Norah das Sorbet aufaß. Sie zerbrach sich den Kopf über seinen Gesichtsausdruck. »Was denkst du?« fragte sie. »Unsere Nachbarn versuchen, uns loszuwerden«, sagte er. »Und?« »Ich weiß nicht. Ich hab’ irgendwie daran gedacht, nach draußen zu gehen und im Vorgarten mit dir zu vögeln.«

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22 PARADISE DEVELOPMENTS

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REITAG ABEND KAM MR. COOPER schwitzend und außer Atem herein und verkündete, daß es auf der Bank einen Irrtum mit dem Lohn gegeben habe. Daß sie bis Montag auf ihre Umschläge warten müßten, bis die Sache geklärt sei. Mr. Cooper trug einen grünen Anzug, der aussah, als hätte seine Mutter ihn in der Erwartung gekauft, daß er noch hineinwuchs. Seine Frau wartete draußen im Auto darauf, daß er mit ihr zu der großen Ausstellungseröffnung fuhr. Train blickte aus dem Fenster und sah sie bei offener Tür auf dem Beifahrersitz. Mit einer Hand fächelte sie sich frische Luft zu, mit der anderen rauchte sie. Blies den Rauch nach oben. Draußen war es immer noch heiß, und er vermutete, sie versuchte, nicht zu schwitzen. Plötzlich schaute sie auf und schien ihn im Fenster zu bemerken. Einen Moment hielt sie ihren Blick, dann schaute sie verärgert fort. Aufgeregt wegen ihrer Ausstellung, dachte er.

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IE VERNISSAGE WAR AUF DEM SUNSET, wo alle Galerien lagen, eine Fotoausstellung mit dem Titel »Arbeitende Männer«, von einer jungen Künstlerin, die keinen Nachnamen benutzte, susan. Alle großen Galerien befanden sich in ein und demselben Häuserblock, und alle, soweit Packard das erkennen konnte, wurden von Leuten geführt, die ausschließlich schwarze Kleidung trugen. Packard fuhr sie mit dem Jaguar zur Ausstellung, den sie eben erst aus der Werkstatt zurückbekommen hatten, und sagte während der Fahrt kein Wort. Er mochte diese Ereignisse nicht, mochte die Leute dort nicht. Im Mittelpunkt der Ausstellung stand eine Fotosequenz, in der sich zwei Neger systematisch mit landwirtschaftlichen Werkzeugen zerstückelten. Insgesamt vierzehn, von der Decke hängende Fotografien, in einer Scheune beginnend und sich dann einen unkrautbewachsenen Weg hinauf fortsetzend, während die Männer in Etappen starben, die Kamera den bestürzten Ausdruck auf ihren Gesichtern festhaltend, als sie begriffen, was passierte, wie weit es gekommen war, und dann diese andere Art von Bestürzung, als sie verbluteten und selbst da noch mit ihren Werkzeugen nicht voneinander abließen. Die ersten zwölf Fotos waren schwarz gerahmt bei geringfügig unterschiedlichen Größen und führten, während man durch den Hauptraum der Galerie ging, zu den

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letzten beiden – den Leichen –, die in identischen Rahmen nebeneinander am Ende des Raumes hingen. Unter ihnen stand die Fotografin persönlich. Sie hatte sich in ein kleines schwarzes Kleid gezwängt und stand in der Mitte eines Kreises von Bewunderern, blasses Make-up und feuerroter Lippenstift. Hübsch auf eine teigige Art, entfernt asiatische Augen. Bemerkenswert, sagten die Männer. Die Bilder waren bemerkenswert. Die Luft war verräuchert; jeder rauchte irgendwas. Mäzene und Kunsthändler und Dichter und Beatniks. Die Fotografin schien in Begleitung eines älteren Mannes zu sein, doch sie ignorierte ihn und drehte sich fort, sobald er sich in ihre Richtung bewegte. Schämte sich seiner, so sah es zumindest aus. Norah beobachtete, wie die Fotografin auswählte und flirtete, die Hand des einen Mannes berührte, den Armel eines anderen, sich selbst. Frauen wie diese kannte sie bereits ihr ganzes Leben, war mit Frauen wie ihr aufgewachsen, die auf vertraute Weise unbekümmert waren, und sie wußte, daß früher oder später das, was unter der Unbekümmertheit lag, zum Vorschein kommen und die Fotografin weder besonders jung noch hübsch aussehen lassen würde. Für den Augenblick jedoch gehörte ihr die Welt. Die Ausstellung war bereits berühmt; die Kritiker hatten es in sämtlichen Kunst-Publikationen untereinander ausgefochten, erbittert, persönlich, giftig, bis es am Ende nicht unterhaltsamer hätte sein können, wenn auch sie sich mit landwirtschaftlichen Werkzeugen in Stücke gehackt hätten. Norah warf einen kurzen Blick auf die beiden ersten Fotografien – auf einem eine Fleischwunde bis auf den Knochen – und konnte sich den Rest nicht mehr ansehen. Sie spürte aber, daß sie neben ihr in der Luft hingen, und dann wurde ihr, ohne genau zu wissen warum,

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schlecht, auf die gleiche Art, wie ihr auf dem Schiff schlecht gewesen war. Packard, fiel ihr auf, berührte das alles offenbar nicht. Er betrat diese Kunstgalerie, wie er alle Kunstgalerien betrat, so wie sie sich vorstellte, daß er auch ein Krankenhauszimmer betreten würde – einer dieser Besucher, der sich noch zu erledigende Besorgungen ausdachte, sobald er eintraf. Ohne eine besondere Reaktion zu zeigen, ging er an den Bildern vorbei und verschwand dann in einen kleineren, weniger überfüllten Raum, in dem eine Bar aufgebaut worden war. Inzwischen war er auf einem halben Dutzend solcher Veranstaltungen gewesen und fand instinktiv immer den Alkohol. Sie ging nach draußen, nahm eine Tablette und rauchte eine Zigarette, beruhigte sich und wartete. Es tat ihr leid, hergekommen zu sein, wollte wieder gehen. Eine halbe Stunde verstrich, und er kam nicht wieder heraus. Sie fand ihn immer noch in diesem kleineren Raum, wo er vor dem Foto eines jungen Negers mit dem Gesicht eines Kindes stand, der barfuß auf einem Traktor saß und eine Erektion hatte. Der Junge hatte mit seinen Beinen in einer unbeholfenen, unnatürlichen Haltung posieren müssen, damit seine Füße zu sehen waren, und in seiner Miene lag etwas Geduldiges, als wäre dieses Modellsitzen nur eine weitere Demütigung, eine weitere Zumutung. Packard trank Punsch, offenbar sehr zufrieden mit diesem Bild. Oder vielleicht war er auch nur zufrieden mit sich selbst. Sie schaute das Bild wieder an. Der Junge hatte ein hübsches Gesicht, ein Gesicht, das auch bei einer Frau hübsch gewesen wäre. Es gab noch weitere Fotos im Raum, Porträts von Negern, aufgenommen in derselben Scheune, in der zuvor Blut vergossen worden war, doch sie waren aus-

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nahmslos wenig bemerkenswert, eintönig und unbekümmert, gerade so, als bedeuteten die dargestellten Männer überhaupt nichts. Sie wollte schon nach Pakkards Arm greifen, ihn fragen, was es mit dem Jungen auf dem Traktor auf sich hatte, doch gerade als sie ihre Hand bewegte, drehte er sich fort, sah sie überhaupt nicht, und kehrte in den Hauptraum der Ausstellung zurück. Glücklicher, als er den ganzen Abend gewesen war. Sie sah das Bild noch einmal an und folgte ihm dann. Man konnte unmöglich wissen, was Packard dachte. Die Fotografin stand noch am gleichen Ort wie zuvor, umhüllt von Rauch und Bewunderern. Sie rauchte jetzt selbst, hielt die Hand mit der Zigarette am Handgelenk abgeknickt, als griffe sie durch die Tür nach draußen, um zu sehen, ob es regnete, während der Ellbogen darunter an ihrer Seite anlag. Bemerkenswert, sagten sie. Sie habe ein bemerkenswertes Auge. Manche der Bewunderer waren so alt wie der Mann, mit dem die Fotografin gekommen war. Norah sah, daß er abgelenkt war, mit einem Stück Kuchen auf dem Schoß und einem Glas Punsch zwischen den Knien etwas abseits auf einem Klappstuhl saß. Er schien vergessen zu haben, wo er war, und sagte etwas, führte offensichtlich Selbstgespräche. Die Fotografin kontrollierte ihr Spiegelbild im Fenster und strich das Kleid über ihrem Hintern glatt, als sie plötzlich direkt in Miller Packards Gesicht schaute. Sie lächelte, als wäre er genau das, wonach sie gesucht hatte – und vielleicht war er es ja auch; sie machte kein Geheimnis daraus, daß sie auf der Suche war –, und gab ihm über ihre Schulter hinweg eine gewisse Ermutigung. Packard trat vor sie und lächelte sie mit seinem Zweidrittellächeln an, bis sie sich unbehaglich fühlte, sich entschuldigte und ein wenig abwandte. Aber er

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bewegte sich mit ihr, sorgte dafür, daß er genau vor ihr blieb. Jetzt begann sie sich zu fragen, wer er war. Er trat nicht auf wie ein Kunstmäzen, und einige der Männer schienen ihm aus dem Weg zu gehen. Er gehörte nicht hierher, das sah sie. »Kann ich Ihnen helfen?« fragte sie. Ließ ihn wissen, daß sie sich belästigt fühlte. »Das hoffe ich«, sagte er. Es folgte eine lange Pause. »Die Sache ist die, ich wüßte gern, wo Sie diese Aufnahmen gemacht haben.« Sie sah ihn einen Moment an, blinzelte, als verstehe sie nicht. »Entschuldigen Sie?« Doch er wiederholte die Frage nicht, sondern starrte sie weiter auf eine Art an, die in einer Kunstgalerie völlig unangebracht war. Sie schaute sich hilfesuchend um, aber niemand trat vor, um sie zu verteidigen. Sie lüpfte ihr Kleid vorn ein wenig und sah ihn herausfordernd an. Wahrscheinlich meinte sie, darin gut zu sein, Rabauken herausfordernd anzusehen. »Oh, ich verstehe. Sie sind grob«, sagte sie und schaute schnell auf seinen Ehering. »Lassen Sie mich raten. Ihre Frau findet es erregend.« Er grinste weiter, und trotz all ihrer Bewunderer und Unterstützer in der Galerie wich sie weiter zurück. »Ich will nur wissen, wo Sie die Aufnahmen gemacht haben«, sagte er. »Was man auf den Fotos sieht, kann überall sein, darum geht es doch gerade«, sagte sie. Jetzt lag ein Anflug von Panik in ihrer Stimme. Einige der Männer fingen an, sich zu unterhalten, oder entschuldigten sich, um einen Drink zu holen. In einem ganzen Teil des Raums war es plötzlich still geworden. »Nur diese«, sagte er. »Nur wo Sie diese aufgenommen haben.«

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»Erstens«, sagte sie, weniger an ihn als an die Männer gerichtet, die geblieben waren, »nehme ich Fotos nicht auf, ich mache sie.« Aber sie hatte Angst und schaffte es nicht, diese zu verbergen. »Das ist cool«, sagte jemand. »Das ist cool.« »Haben Sie sie dazu gebracht, das zu tun?« fragte er und deutete auf die toten Männer an der Wand. Die Fotografin warf wieder einen kurzen Blick in Richtung des Mannes, der sie hergebracht hatte, doch er war völlig in Gedanken versunken, seine Lippen bewegten sich, seine Hände wischten geistesabwesend Krümel von seiner Hose. »Ist Ihnen schon mal in den Sinn gekommen«, sagte sie und klang, als ob dieser Gedanke jedem käme, »daß man jedesmal, wenn man Kunst definiert, sie gleichzeitig herabsetzt?« Norah sah, daß die Fotografin wieder auf vertrautem Gelände war. Sie konnte über Kunst reden. »Daß jedesmal, wenn man ein Stück diskutiert, damit automatisch seine Beziehungen limitiert werden?« Als Packard sie nur weiterhin ansah auf diese Weise, die in ihr den Wunsch weckte, sich zu bedecken, sagte sie: »Alles, was Sie wissen müssen, befindet sich genau dort in den Fotografien.« »Miss«, sagte er, veränderte alles bis auf den Ton seiner Stimme, »es ist nichts in diesen beschissenen Fotos, was ich wissen müßte, außer, wo sie aufgenommen wurden.« Sie starrte ihn einen Augenblick lang an, musterte wieder seine Kleidung, seine Schuhe, seinen Ehering, als läge da irgendein Irrtum vor, und dann wurde ihr Gesicht plötzlich häßlich, und sie begann zu weinen. Der Mann stellte seinen Kuchenteller auf den Boden und stand auf. Er ging langsam zu ihr, entschuldigte sich, als er an Packard vorbeikam, und nahm sie in den

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Arm, während sie weinte, hielt sie auf eine müde, mechanische Weise, als denke er immer noch über etwas anderes nach, oder vielleicht war er ihr Weinen auch einfach nur gewohnt. »Er macht alles kaputt«, sagte sie an seinen Hals gepreßt. Der Mann sah Packard an, klopfte ihr auf den Rücken. »Auf dem Golfplatz«, sagte der Mann. »Paradise Developments. Ungefähr drei Meilen östlich von Griffith Park.« »Das war nett«, sagte sie zu ihm auf dem Heimweg. Alles, was sie anhatte, fühlte sich zu eng an. Was Pakkard getan hatte, war ihr weniger unangenehm gewesen, als daß es sie überraschte. Sie war verwundert, daß er überhaupt mit der Fotografin gesprochen hatte. Sie erinnerte sich, daß man bei Packard nie sicher sein konnte, was als nächstes kam. Er fuhr die Maschine schaltfreudig aus – »vergnügt fahren«, nannte er das. »Das ist perfekt«, sagte er, »perfekt.« Und sie selbst fühlte sich für ein paar Minuten perfekt und fragte nicht, was er meinte.

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ONTAG MORGEN UM NEUN UHR kam Mr. Cooper mit einem nervösen Zucken herein, das er irgendwann im Verlauf des Wochenendes entwickelt hatte. Er rief das Personal vor der Scheune zusammen, war so nervös wie die Rosenbergs auf dem Stuhl, und als sich alle eingefunden hatten, feuerte er jeden, von Whitey bis Lester. Benutzte das Wort gefeuert zwar nicht – er nannte es »die Arbeit ruhen lassen« –, aber alle wußten, was es letzten Endes war. Alle bis auf Lester, der dachte, Mr. Cooper wollte, daß sich alle ausruhen sollten, was er dann auch tat, indem er sich hinlegte. Die Bank habe die Konten gesperrt, sagte Mr. Cooper, und es seien keine Gelder mehr da, um jemanden zu bezahlen, bis das Darlehen umgeschuldet war, daher könne er fairerweise nur eines machen, und das sei, den Betrieb bis auf weiteres einzustellen. Dann gab er sein Ehrenwort, daß alle jeden einzelnen Penny bekommen würden, der ihnen noch zustand, daß er einfach etwas Zeit brauche, um die Details auszuarbeiten. Und da wußte dann sogar Lester, daß sie übel in den Arsch gekniffen waren. Warum das ausgerechnet ihm passierte, sagte er, nachdem er all die Jahre ein erfolgreicher Geschäftsmann gewesen sei, das wußte er auch nicht, und er kratzte sich am Kopf und schaute sich nach einer Antwort suchend um.

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Er sagte: »Es ist immer noch eine einmalige Idee«, aber wie er das sagte, ließ erkennen, daß er wußte, was immer es sonst noch war, es war Geschichte. Ein heißer, trockener Wind wehte kräftig eine Woche lang jeden Nachmittag, und soweit Train das beurteilen konnte, schien das unterirdische Feuer dem Wind jetzt nach Westen zu folgen, quer über die gesamten hinteren Neun und weiter auf die Bauparzellen, wo die Bulldozer standen. Der Platz war an diesem Morgen seltsam sonnig und still – an den Holzgerüsten der Häuser hämmerten keine Zimmerleute, und auch die Bulldozer waren verstummt. Train vermutete, daß der letzte Rest von Mr. Coopers Geld durch ihren Auspuff geblasen worden war. Und dann, nur wenige Minuten nachdem Mr. Cooper gegangen war, erhob sich ein Lärm genauso ordinär wie die Bulldozer. Die meisten Leute der Crew trotteten inzwischen zur Straße hinauf, ihre Henkelmänner in den Händen, mit so schweren Schritten, als stiegen sie eine Leiter hinauf. Train und Plural waren noch nicht aufgebrochen, und Train folgte dem Lärm um die Scheune und sah Whitey dahinter, die sich mit einer Hand an einem Baum abstützte und Bröckchen hustete. Sie schaute zu ihm auf, mit geröteten bösen Augen, ein Speichelfaden klebte an ihrer Unterlippe, und Train dachte, nicht mal Jesus faßt das an. Plural, der Whitey nicht gesehen hatte und essen konnte – Train vermutete, alles, sogar blind zu sein, hatte wohl irgendeinen Vorteil –, bediente sich im Büro mit einem Sandwich, ehe sie zur Straße gingen, um einen Bus zu nehmen. Als sie jedoch das Tor erreichten, hielt ein Cadillac am Bordstein. Er hielt, und sie blieben ebenfalls stehen. Train brauchte eine Weile, bis er sich erinnerte, daß der

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Name des Mannes Mr. Packard lautete, aber er erkannte ihn, sobald er das Auto sah. Der Meilenweit-weg-Mann. Mr. Packard öffnete die Tür und stieg aus, trug einen Anzug, der im späten Sonnenlicht glänzte. Er schien erleichtert, Train gefunden zu haben. »Mr. Walk«, sagte er. »Schön, Sie zu sehen.« Es überraschte Train, aber dann auch wieder nicht zu sehr. In einer Welt, in der man einen Baumstumpf niederbrannte, der wiederum die Erde in Brand setzte, was konnte sich da noch unbemerkt an einen ranschleichen? »Du erinnerst dich an mich?« sagte Mr. Packard. Dann schaute er an Train vorbei zu Plural, der Waschpulver dabei hatte, das er für seine persönliche Hygiene benutzte. In letzter Zeit hatte er es sich angewöhnt, unter einem Schlauch hier in Paradise Developments zu duschen, wo der Wasserdruck besser war als in der Boxhalle. »Wer ist das?« fragte Mr. Packard. Schien so glücklich, daß Train befürchtete, der Mann würde sie beide noch umarmen. »Wer bist du?« sagte Plural. Das gefiel Mr. Packard; ihm schien alles zu gefallen. »Niemand«, sagte er. »Wir auch«, sagte Plural. Mr. Packard bot ihm die Hand an, und Plural stellte ohne ein weiteres Wort seine Tasche ab und schlug ihm auf die Nase. Es passierte, noch bevor Train auch nur einen Muskel anspannen konnte, um es zu verhindern. Train stand da und erinnerte sich an die Kanone, die der Mann in seiner Golftasche aufbewahrte, was bedeutete, daß er sie jetzt unter seiner Jacke trug, doch Mr. Packard saß einfach auf dem Beton, wohin Plural ihn geschickt hatte, hielt sich die Knie, sah perplex aus und ließ Blut auf sein Hemd, die Krawatte und auf diesen glatten, glänzenden Anzug tropfen.

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Schließlich schüttelte Mr. Packard seinen Kopf – das Blut lief aus seiner Nase zwischen die Zähne, etwas tropfte von seinem Kinn –, legte eine Hand darunter, was aussah, als versuchte er zu retten, was noch zu retten war, und bekam dann einen Schluckauf, der nicht enden wollte. Train versuchte, einen Ausweg aus dieser Sache zu finden, der nicht damit endete, daß er und Plural erschossen wurden oder im Gefängnis landeten, aber es fiel ihm keiner ein. Die Erde brannte, sie waren arbeitslos, hatten keine Unterkunft mehr und waren ganz allgemein übel in den Arsch gekniffen. Mr. Packard hickste weiter und schaute dann vom Boden auf, das Blut, das ihm aus beiden Nasenlöchern lief, war jetzt beinahe schwarz, und Train sah, daß er lachte. Plural hatte es bereits im Geräusch des Schluckaufs erkannt, und dieser Klang sprach sein Naturell an, und so lachte er selbst ein wenig. Mr. Packard zeigte auf Plural und sagte: »Er ist blind, stimmt’s?« »Yessir«, sagte Train. »Er weiß nicht, was er tut.« Bei diesen Worten konnte Mr. Packard sich nicht mehr halten. Er legte seinen Kopf zurück, versuchte die Blutung zu stoppen, doch dadurch schien es nur noch schlimmer zu werden. Plural reichte ihm sein Taschentuch. Soweit Train wußte, war dieses Taschentuch noch nie gewaschen worden, außer in der Hosentasche, und jetzt drückte Mr. Packard es auf sein Gesicht. »Ein Blinder«, sagte er, »wir hätten Eintrittskarten verkaufen sollen.« Er benutzte das Taschentuch, um sich die tränenden Augen abzutupfen – man konnte nicht sagen, ob es wegen des Schlags war oder ob der Mann sich einfach nur köstlich amüsierte –, und versuchte dann wieder, damit das Blut aufzufangen. »Das wird ja immer besser und besser«, sagte er. »Ja, nicht wahr?« sagte Plural.

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Mr. Packard streckte seine Hand aus und umklammerte mit der anderen sein Bein, als Train ihm wieder aufhalf, aber ungeachtet dessen und seiner Nase schien er nicht nachtragend zu sein. Mr. Packard lud sie in seinen Wagen, ließ Plural vorne einsteigen, wo er ihn im Auge behalten konnte, und fuhr zum Polizeirevier. Train drückte sich etwas tiefer in die Polster, als er sah, wo sie waren. Auf dem Parkplatz stieg Mr. Packard aus dem Wagen, beugte sich wieder herein und sprach zu Train. »Kommt ihr zwei hier draußen für ein paar Minuten allein klar? Ich will kurz rein und mal sehen, ob die mich ihre Dusche benutzen lassen. Ich sollte mich besser umziehen, bevor ich nach Hause fahre. Ich will Mrs. Packard ja nicht beunruhigen …« »Mir könnte’s auch nicht schaden, wenn ich mich umziehe«, sagte Plural. Mr. Packard musterte ihn von oben bis unten und sah, daß da was dran war. »Warum nicht?« sagte er. Und dann zu Train: »Du auch?« »Ich glaube, ich warte hier«, sagte Train. Mr. Packard öffnete den Kofferraum, nahm einige Kleidungsstücke heraus, holte dann Plural vom Vordersitz, und beide verschwanden im Polizeirevier, Plural sein Waschpulver unter dem Arm. Train saß mit einer Scheißangst auf der Rückbank des Cadillac und dachte, wenn es nicht bedeutete, Plural allein zurückzulassen, könnte er jetzt schon auf dem Weg zur Union Station sein, um die Stadt zu verlassen. Sie blieben ziemlich lange drin. Train machte sich klein und sah Polizisten kommen und gehen. Manchmal hatten sie einen Gefangenen mit Handschellen dabei – meistens Mexikaner und Farbige, manche wurden beim Hineingehen noch etwas frisch gemacht. Mr. Packard und Plural waren dreißig, vierzig Minu-

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ten fort, und je länger sie im Revier blieben, desto mehr rechnete Train damit, daß Mr. Packard dort drinnen erfuhr, daß er ein gesuchter Mann war. Oder daß jemand vorbeiging, ihn in dem Caddy sitzen sah und ihn mit hinein nahm, um die Sache zu klären. Es gab Leute in diesem Gebäude, die ihn immer noch suchten; soviel wußte er. Ein Streifenwagen hielt an, und zwei Cops zogen einen Jungen vom Rücksitz, mußten ihn gewaltsam herausholen, er schrie und trat und heulte, war vielleicht elf Jahre alt. Es waren beide nötig, um ihn die Treppe hinaufzutragen, einer von ihnen hielt seine Füße fest. Train erinnerte sich, selbst durch diese Tür gebracht worden zu sein. Er hatte versucht stehenzubleiben, unmittelbar bevor er hineinging – es schien, als brauchte er ein wenig mehr Zeit –, und dann schob ihn jemand von hinten, und aus allen Richtungen drangen Stimmen auf ihn ein. Es war ein feuchter, kalter Ort, und man hörte nichts anderes als Befehle, und alle Befehle kamen viel zu schnell und überlagerten sich, während das eine Geräusch gegen das nächste prallte. Man ging durch diese Tür und fand heraus, wie Menschen verrückt wurden – was, wie er zu verstehen begann, nicht so lief, wie die Leute dachten. Es sah nicht alles wie verkehrt herum aus; man bekam kein Glas Wasser und sah darin einen Fisch schwimmen. Es war vielmehr so, daß man unter Druck gesetzt wurde, bis man eine undichte Stelle bekam. Er beobachtete den Jungen und empfand ein gewisses Mitleid, aber andererseits, Dinge passierten eben, wenn sie passierten, und manchmal konnte man etwas dagegen unternehmen, meistens aber nicht. Er fragte sich, welches Verbrechen ein Junge dieses Alters überhaupt begangen hatte, um in solche Schwierigkeiten mit dem Gesetz zu geraten. Train lehnte sich zurück, schloß

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die Augen und versuchte, den Dingen einfach aus dem Weg zu gehen und sie von der Zeit mitnehmen zu lassen, so wie es immer geschah. Er hörte sie, bevor er sie sah, direkt neben der Tür. Plural trug ein sauberes weißes Hemd, eine Krawatte und eine neue Hose. Die Hose war fünfzehn Zentimeter zu lang und wurde unterhalb seines Brustkorbs von einem Gürtel gehalten, das Hemd war bis zum Kragen zugeknöpft. Mr. Packard trug die Kleider, die er schon vorher getragen hatte. Er hatte eine etwas hellere Hose an als Plural. Außerdem hatte er sich das Blut abgewaschen und sich die Haare gekämmt. Seine Nase war inzwischen bis zu einem Punkt angeschwollen, an dem man nicht mehr sagen konnte, wo sie anfing und wo seine Stirn endete. Die Schwellung zog sich bis unter seine Augen, verlieh seinem ganzen Gesicht ein plattes Aussehen und verfärbte die Haut unter seinen Augen. Mr. Packard jedoch schien sich nicht zu schämen, wie ein Pudding auszusehen. Er öffnete Plural die Tür und nahm seinen Arm, um ihm beim Einsteigen zu helfen, als wären sie unterwegs zum Abschlußball. Sie hatten die ganze Strecke bis nach Beverly Hills zurückgelegt, bevor Train wieder ein- und ausatmen konnte, ohne sich selbst immer wieder daran erinnern zu müssen, es zu tun. Mr. Packard schien sein Vergnügen an der Situation nicht verloren zu haben, während er weg war. Er pfiff eine Weile vor sich hin; dann wandte er sich an Plural und erkundigte sich nach einem Kampf, als setze er die Unterhaltung zu einem Thema fort, über das sie auf dem Revier geredet hatten. »Und was hast du dann bei diesem Burschen gedacht?« fragte er. »Ich meine, als du in den Ring gestiegen bist.« Plural schürzte die Lippen und dachte darüber nach. »Also erstens mal«, sagte er, »du denkst dauernd, hey,

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das kann doch nicht das Arschloch sein, gegen das ich kämpfe. Die müssen sich irgendwie vertan haben. Der sieht ja doppelt so groß aus wie ich.« Train lehnte sich gegen die Tür, preßte seine Wange gegen die Scheibe, lauschte dem Summen der Reifen. Irgendwo spürte er einen kühlen Luftzug, konnte aber nicht genau sagen, woher er kam. Plural erzählte noch ein wenig mehr über die Kämpfe im Olympic und wie er herausfand, daß er keinen Tank hatte, und dann war es eine kurze Zeit still. »Hast du schon mal an einem Haus gearbeitet?« fragte Mr. Packard, immer noch mit Plural sprechend. »Was meinen Sie?« »Ich weiß nicht. Als Zimmermann, Elektriker, Klempner, Dachdecker. An einem Haus gibt’s immer irgendwas zu tun. Das kümmert sich nicht um sich selbst.« »Strom fass’ ich nicht an«, sagte Plural. »Einmal hab’ ich einem Mann geholfen, ein Dach zu stehlen, aber vom Strom lass’ ich die Finger.« Ein Dach stehlen? Train setzte sich auf, als er das hörte. »Ein Dach stehlen?« wiederholte Mr. Packard, als fragte er sich gerade, warum er das noch nicht selbst versucht hatte. Plural zuckte die Achseln. »Ein Mann errichtet es, ein Mann kann es auch wieder abnehmen«, sagte er, »aber wie sich herausstellte, ich mag die Höhe nicht.« Mr. Packard fuhr mit ihnen eine Weile die Straße entlang, bog hier und da ab, und dann schaute er nach hinten zu Train und sagte: »Dein Mann hier und ich, wir haben über eure momentane Lage geredet, und ich habe ihm gesagt, ich habe ein Gästehaus, das niemand benutzt, und es gibt keinen Grund, daß ihr nicht dort bleiben könntet. Zumindest, bis ihr wieder auf die Füße

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kommt. Nur werdet ihr wahrscheinlich das Dach reparieren wollen.« Er fuhr eine Weile weiter und sagte dann: »Vielleicht behaltet ihr auch für mich ein bißchen Mrs. Packard im Auge, falls sie irgendwas braucht, solange ich nicht zu Hause bin.« Er sah Train im Rückspiegel direkt in die Augen und sagte: »Sie hatte es die letzten paar Monate ziemlich schwer. Hat ihren Mann verloren.« Plural sagte: »Ich frage mich, kennt sie Digger Love.« »Wen?« fragte Mr. Packrad. »Ein Mann aus der Beerdigungsbranche«, sagte Plural. »Draußen in Ohio. Er hat auch schon mal Boxkämpfe veranstaltet.« »Nein«, sagte Mr. Packard, »es war hier. Es ist hier passiert.« »Ich weiß nur«, sagte Plural, »dieser Digger, der kommt viel rum.«

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AS KLEINE GÄSTEHAUS BEFAND SICH unmittelbar hinter dem Eisentor, hinter der Garage. Ein vom Wetter vergilbtes Haus, an dem der Efeu bis zum Dach hoch rankte. Das Dach selbst hatte seine ursprüngliche Farbe längst verloren, war durch den Efeu verzogen und aufgerissen und undicht bei Regen. Das Häuschen besaß vier Zimmer, und der Boden hatte Schlagseite nach Süden, als würde es sinken. Es gab dort Termiten und Spinnen und Hornissen unter der Spüle. Alec hatte vorgehabt, das Cottage zu entkernen und umzubauen, und sie hatten sich gestritten, als sie ihn bat, es zu belassen, wie es war. Damals war es noch etwas Neues für sie, Geld zu besitzen, und es gefiel ihr, wie das kleine Haus aussah, ihr gefiel die Vorstellung eines Schandflecks in der Landschaft. Sie wachte auf, steckte noch halb in einem Traum, in dem sie das gute Porzellan nach Packard warf. Er wich aus und lachte. Sie lag still, versuchte sich zu erinnern, warum sie mit dem Porzellan warf, und dann hörte sie ein Geräusch aus dem Garten, etwas zerbrach. Sie rollte sich aus dem Bett, fühlte sich aufgedunsen, und schaute aus dem Fenster. Ein Neger auf dem Dach des Cottage, in der Hand ein Brecheisen. Ohne Hemd und glatt, ein Junge. Sie beobachtete ihn einige Minuten vom Fenster aus, fragte sich zunächst nicht einmal, warum er überhaupt dort war. Er entfernte die Schindeln, eine nach der anderen, und warf sie hinunter in

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den Garten. Mit einem lauten Knall fielen sie aufeinander, das Geräusch erinnerte an ein Gewehr. Manchmal zerbrachen sie. Plötzlich erkannte sie, worum es ging – die Moffits. Auf die eine oder andere Art spielte er immer, es lag in seiner Natur. Gestern abend war er mit zwei verfärbten Augen nach Hause gekommen, die Nase zog sich über sein ganzes Gesicht. Keiner von ihnen hatte ein Wort verloren. Dies war ein anderes Spiel – eines, das sie mit ihm spielte –, wer als erster etwas sagte. Trotzdem war es merkwürdig, daß Packard das Dach reparieren ließ, ohne es ihr vorher zu sagen. Normalerweise hielt er einen respektvollen Abstand zu allem, was bereits vor ihm hier war. Bislang war ihr nicht übel und sie hoffte, ihr Glück würde anhalten. Vielleicht war die Zeit der Schwangerschaftsübelkeit vorbei. Sie war im späten dritten Monat, und noch war ihr eigentlich nichts anzusehen. Der kleine Otis, empfangen in einem Aufzug. Der Junge warf eine weitere Schindel in den Garten, und sie bemerkte einen zweiten Arbeiter, einen älteren Neger, ebenfalls ohne Hemd, der sich auf den Ellbogen neben einer Schubkarre zurücklehnte, während die Sonne auf den angespannten Muskeln seiner Schulterblätter schimmerte. Er machte keine Anstalten, dem Jungen zu helfen, und sie dachte, er müsse dann wohl der Chef sein. Zwei Neger im Garten, und sie war ganz allein. Im dritten Monat schwanger. Mit einem Mal war sie sich jedes Atemzugs bewußt, den sie machte. War wütend auf Packard, der sie in diese Lage gebracht hatte, wütend, daß er nicht sah, wie sie sich fühlen würde nach allem, was auf dem Schiff passiert war, daß er nicht einmal fragte, ob sie beim Arzt gewesen war. Er war immer entweder zuviel oder zuwenig.

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Der Neger auf dem Boden drehte sich leicht und schien etwas am Himmel zu verfolgen, sein Kopf wakkelte merkwürdig, und sie trat schnell vom Fenster zurück, versteckte sich, bewegungslos hinter dem Fliegenfenster, hoffte, ohne zu wissen, warum das eine Rolle spielen würde, daß er der Vater des Jungen war. Es kam ihr vor, als hätte sie den Jungen schon einmal gesehen, entschied dann aber, daß wahrscheinlich nur eine Ähnlichkeit mit einem der Angeklagten aus Waycross bestand. Sie konnte nicht sagen, mit welchem. Sie hatte ihre Fotos noch irgendwo, und es kam ihr plötzlich in den Sinn, daß sie sie seit Monaten nicht mehr angesehen hatte. Sie wachte nicht mehr empört über die Ungerechtigkeit im tiefen Süden auf. Heute dachte sie kaum noch daran, die Welt zu verändern. Sie schob sich wieder näher ans Fenster und beobachtete den Jungen bei der Arbeit, die Muskeln unter seiner Haut. Sie legte eine Hand auf ihren Bauch, als hielte sie das Baby, und schaute zu. Der Mann auf dem Boden nickte und schien Selbstgespräche zu führen, ähnlich wie die Drogensüchtigen, die man in Venice auf der Straße sah. Sie fragte sich, warum Packard darauf bestand, warum er die Dinge nicht einfach auf sich beruhen lassen konnte. Sie ging ins Bad und zog Shorts, T-Shirt und Tennisschuhe an. Sie putzte sich die Zähne, bürstete sich das Haar, ging hinunter und vor die Tür und holte die Zeitung aus dem Strauch, in den der Botenjunge sie geworfen hatte. Sie sah sie wieder durch das Küchenfenster, war einen Augenblick wie hypnotisiert von der merkwürdigen Leichtigkeit, mit der der Junge arbeitete. Das Dach schien sich fast von allein abzudecken. Die Schindeln verursachten ein ständiges Geklapper, während sie nacheinander aufs Gras fielen. Sie verquirlte vier Eier und aß am Küchentisch – Rühreier und fast ein Liter Oran-

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gensorbet –, beobachtete sie, lauschte durch das offene Fenster den Geräuschen. Der Junge auf dem Dach stand auf, und sie sah, daß er größer war, als sie zunächst gedacht hatte, und jünger. Der Mann auf dem Boden redete, und sie begann, das eine oder andere Wort auszumachen, allerdings ergab nichts davon einen Sinn. Sie meinte, er habe gesagt, ein Hühnchen wisse nie, wer es gestohlen hat. Als sie genug gegessen hatte, balancierte sie ihren Löffel quer über der Eisverpackung, ehe er auf den Tisch fiel. Der Mann auf dem Boden hörte das Geräusch und drehte sich um, und sie bekam einen Schrecken – hätte fast geschrien –, als sie sah, daß er blind war. Sie hielt still, zitterte, hatte Angst um die Augen des Babys. Der blinde Mann wandte sich ab. Sie vermutete, daß der Junge auf dem Dach ungefähr das gleiche Alter hatte wie der, der mit dem Mulatten aufs Schiff gekommen war. Die Zeitungen – als sie schließlich die Zeitungen las, sich zwang, sie zu lesen – hatten geschrieben, daß er erst siebzehn gewesen sei. Seitdem hatte sie versucht herauszufinden, ob das etwas an dem änderte, was geschehen war. Sie bemerkte die alte Leiter, die gegen die Regenrinne am hinteren Ende des Dachs gelehnt war, und wünschte sich, sie weggeschmissen zu haben, als sie die Sachen in der Garage durchgegangen war. Aber damals wie heute hatte sie Angst davor, Alecs Sachen aus dem Haus zu räumen. Sie hatte weder die Kleider in seinem Schrank noch die Bücher und Papiere auf dem Schreibtisch in seinem Arbeitszimmer angerührt, auch nicht seine Gemälde, die Bilder seiner Eltern. Sie war überhaupt nur ein einziges Mal in sein Arbeitszimmer gegangen und hatte es sofort wieder verlassen, kam sich vor wie ein Dieb.

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Der Junge ging zur Leiter – er schien die Schräge des Daches überhaupt nicht zu bemerken – und kletterte mühelos herunter, schaute dabei nach vorn, so wie man eine Treppe hinuntergeht, vertraute darauf, daß die Sprossen da waren, wo er seine Füße hinsetzte. Er ging zum Schlauch, drehte den Hahn auf und kühlte Hinterkopf und Nacken, bevor er trank. Das Wasser bildete Perlen in seinen Haaren. Packard kam am Nachmittag mit einem Tieflader nach Hause, auf dessen Tür Orange County School District stand. Der Lastwagen schien keinen Schalldämpfer zu haben. Auf der Ladefläche lagen ein Dutzend Pakete neuer Dachschindeln und mehrere schwer aussehende Rollen Teerpappe. Er setzte den Lastwagen in die Einfahrt zurück, vorbei am Haus, wo man ihn von der Straße aus nicht sehen konnte. Er trug einen blauen Anzug von der Stange, einen Anzug, den er normalerweise nur trug, wenn er vor Gericht aussagen mußte, wenn er einfacher, bescheidener aussehen wollte, als er war. Was natürlich auch wieder ein Spiel war, eine andere Art von Spiel. Er stieg aus dem Lastwagen, sagte etwas zu dem Jungen auf dem Dach und kam ins Haus. Zwei Minuten später lagen die Shorts, die sie angezogen hatte, in der Spüle, und sie lag auf dem Küchentisch, er in ihr. Sie drehte den Kopf, während er es machte, und erhaschte einen flüchtigen Blick durch die Scheiben in der Küchentür von dem Jungen, der auf dem Lastwagen stand und dem blinden Mann die neuen Schindeln anreichte, der sie sorgfältig auf dem Gras entlang des betonierten Wegs aufstapelte. »Wer sind die zwei?« fragte sie später. Packard saß in Unterwäsche da, zog einen Streifen vom Etikett einer Bierflasche ab. Die Bratpfanne, in der sie sich Rühreier ge-

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macht hatte, stand noch auf dem Herd. Seine Schuhe lagen auf dem Boden neben seinem billigen blauen Anzug. Und draußen lud der Junge immer noch Schindeln ab. Er schaute von seinem Bier auf, dachte, er sollte es ihr jetzt erklären, erklären, was das Schöne daran war, und daß sie es auch sehen würde. Als er jedoch hinsah, wurde er auf der anderen Seite des Tisches von einem Mob erwartet, der nach Lynchjustiz schrie. Die letzten paar Monate mit ihr war jede zweite Nacht Vollmond. Er versuchte zu lächeln, aber es tat weh, sein Gesicht zu bewegen. Sie beobachtete, wie er lächelte und sofort wieder aufhörte. Er kippte den Stuhl auf zwei Beinen nach hinten und griff in den Kühlschrank nach einem weiteren Bier. »Der Junge hatte ziemlich viel Pech«, sagte er schließlich. »Der andere, ich schätze mal, der hatte auch ziemlich viel Pech.« »Er kann nicht sehen«, sagte sie, und er zuckte mit den Achseln, als wäre es nicht das, was er meinte. »Du wirst doch wohl keinen Blinden aufs Dach lassen …« »Nein, keine Angst«, sagte er. »Der Junge paßt auf ihn auf. Er wird ihn nicht mal in die Nähe der Leiter lassen.« »Wer sind sie?« fragte sie wieder. »Dachdecker?« sagte er. »Ja, ja, die brauchen wir allerdings unbedingt«, sagte sie. »Noch mehr Dachdecker.« »Es gibt immer irgendwelche Dinge, die getan werden müssen«, sagte er. »Der Junge ist sehr geschickt …« Sie wartete, fixierte ihn und wartete. »Du willst also die ganze Geschichte? Er ist nur ein Junge, der in etwas hineingeraten ist, das nicht seine Schuld war«, sagte er. Er trank ein paar Schlucke Bier und erzählte es ihr. »Er war Caddie in Brookline.«

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Sie stand auf, barfuß und nackt unter ihrem T-Shirt, ging zum Eisfach, nahm erst ein Glas heraus, dann einen neuen Becher Sorbet. Schließlich ging sie zu dem Schrank, in dem sie den Alkohol aufbewahrten, füllte das Glas zur Hälfte mit Wodka und fügte eine Portion Sorbet hinzu. Eine Minute wartete sie, damit alles schmelzen konnte, dann leerte sie das Glas in vier Zügen. Sie setzte sich wieder an den Tisch, fühlte sich mit einem Mal innerlich warm. Sie schmeckte die Eier und das Eis und den Wodka auf einmal. Eigentlich gar nicht so übel. »Was war das?« fragte er. »Ein Float.« Dann seufzte sie und spürte, wie sie nachgab. Sie war nur nicht sicher, wem oder was. »Warum mußt du solche Sachen machen?« fragte sie. »Es ist einfach nur das, was es ist«, sagte er, und sie sah, daß er enttäuscht von ihr war. »Es hat nichts weiter zu bedeuten.« Es dauerte eine ganze Weile, bis er hinzufügte: »Hör zu, es ist nicht für immer. Wenn wir sie, sagen wir mal, nach ein oder zwei Wochen nicht mehr hier haben wollen, dann sind sie sofort wieder weg.« »Du läßt sie ins Gästehaus einziehen, stimmt’s?« »Der Junge hat ein Händchen für Pflanzen, er läßt Dinge wachsen«, sagte er. »Es gibt viele Dinge, die hier zu tun wären.« Sie saß reglos da, dünstete bereits den Wodka aus. Der Junge stieg wieder die Leiter aufs Dach hinauf, eine Rolle Teerpappe auf der Schulter. Die Leiter bog sich unter dem Gewicht, und sie wartete darauf, daß sie unter ihm zusammenbrach. Aber er war furchtlos und jung und sah es als selbstverständlich an, daß sie ihn trug. Er war wie Packard. »Geben wir der Sache ein paar Wochen Zeit«, sagte er. Dann hob er seine Bierflasche, berührte den Rand ihres Saftglases und lächelte. »Auf die Moffits.«

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Sie erhob sich, um duschen zu gehen. Es gab ein Geräusch, als ihr Hintern sich von der Sitzfläche löste. Der Junge und der Blinde verschwanden am späten Nachmittag mit Packard und kehrten dorthin zurück, wo immer er sie aufgegabelt hatte, und als sie am nächsten Morgen aufwachte, waren sie erneut im Garten. Auch jetzt stellte sie sich wieder ans Fenster, beobachtete einfach den Jungen. Sie fühlte sich heute sicherer, und eine Zeitlang stellte sie sich die Moffits nebenan vor und sah, daß Packard recht hatte: Es war witzig. Der Junge riß die letzten alten Schindeln ab, kletterte dann auf den Dachfirst und ging dort in die Hocke, hielt als Sonnenschutz eine Hand über die Augen und betrachtete sein Werk. Er verschwendete nicht mehr Gedanken ans Abstürzen als die Vögel. Der blinde Mann saß unter ihm auf dem Gras, war still heute, sagte nicht viel. Sie bemerkte einen langen, schmalen blauen Fleck entlang der Innenseite ihres Oberschenkels – sie vermutete, man konnte wohl nicht ohne gewisse Abnutzungsspuren auf einen Küchentisch gelegt und benutzt werden –, und die Haut fühlte sich kühl an, als sie die Stelle berührte. Sie spulte noch einmal in Gedanken ab, was er gesagt hatte, als sie ihm erzählte, ihre Periode nicht bekommen zu haben, diese Sache mit Mexiko. Sie dachte an Pedro und seine Frau, die immer noch irgendwo da unten auf ihn wartete, und sie hatte Angst davor, daß Packard sie dazu überreden könnte, so wie er sie auch zu allem anderen überredete. Er wollte sie für sich allein. Es kam ihr in den Sinn, daß sie sich von Anfang an stillschweigend gegenseitig die Erlaubnis gegeben hatten, alles zu tun. Sie ging ins Bad und drehte die Dusche an. Das

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Wasser lief nur langsam ab, und sie beobachtete, wie es allmählich ihre Füße bedeckte. Sie rasierte sich die Beine, schnitt sich unterhalb eines Knies, und das Blut wurde über ihren Knöchel und ins Wasser gespült, wurde blasser und verdünnt auf dem Weg vom Schnitt hinunter und verschwand dann völlig. Sie drehte sich zur Seite, um die Wunde vor dem spritzenden Wasser zu schützen, und schaute zu, wie sie blutete. Wenig später, als die Blutung nachließ, hielt sie die Rasierklinge an das andere Bein und schnitt sich absichtlich noch einmal. Dem blinden Mann fehlte ein Schneidezahn, und irgend etwas an seiner Art, sich zu bewegen, deutete an, daß er noch nicht sehr lange blind war. Daß er es noch nicht gewöhnt war, nichts zu sehen. Sie merkte, daß sie sich Gedanken um ihn machte, wohin er wohl gehen würde, wenn das hier vorbei war. Sie beobachtete ihn im Garten; er schien fasziniert vom Wasserschlauch, vom Wasser selbst. Manchmal, wenn die Rasensprenger an waren, klemmte er einen zwischen seine nackten Füße und stand breit grinsend im Garten darüber, während ihm das Wasser über die Hosenbeine spritzte. Sie dachte, vielleicht hatten er und der Junge schon zusammen gearbeitet, bevor es passierte, und das war ihr ein kleiner Trost. Erlaubte ihr zu glauben, daß es dadurch für ihn jetzt irgendwie leichter war. Der Junge brauchte drei Tage für die Arbeiten am Dach, und am Morgen danach zogen er und der blinde Mann ein. Sie trugen ihre Habe in Einkaufstüten, während die Moffits von den Fenstern aus zuschauten. Am gleichen Tag begannen die Moffits, abends zu ungewöhnlichen Zeiten in ihren Garten zu gehen. Der eine oder andere von ihnen schaute immer herüber, ob-

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wohl man sah, daß Mr. Moffit kein sonderlich großes Interesse hatte. Manchmal saßen sie zusammen im Garten, schlugen nach Moskitos, lasen Illustrierte im Licht der Strahler in ihren Bäumen oder fütterten einfach nur die Fische oder Flamingos, wobei Mrs. Moffit bei dem kleinsten Geräusch oder der geringsten Bewegung auf der anderen Seite des Zauns sofort aufschaute. Für Packard war das ein größerer Spaß als der Zirkus. Er ließ das Haus jetzt unverschlossen, wenn sie zum Essen ausgingen, als wolle er beweisen, daß er ihnen vertraute. Er ließ Geld und Schlüssel auf dem Tisch neben dem Pool liegen, wenn er schwamm. Jetzt betrachtete sie ihn im Restaurant über den Tisch hinweg, und mit der Schwellung und den blauen Flekken unter seinen Augen wirkte sein Gesicht nur noch entfernt vertraut. Es erinnerte sie irgendwie an ihr eigenes Gesicht nach dem Zwischenfall auf dem Schiff. »Tut’s weh?« fragte sie. Das erste Mal, daß einer von ihnen es überhaupt ansprach. Er nahm seine Salatgabel und drückte sie vorsichtig unter beide Augen, dann in seine Nasenlöcher. Er dachte darüber nach, suchte nach einer Antwort, und dann nickte er. »Ja«, sagte er. Ohne es zu wollen, mußte sie darüber lächeln. »Irgendwas auf der Arbeit?« fragte sie. Er schüttelte verneinend den Kopf. »Der blinde Bursche«, sagte er. »Ich hab’ ihm Drives beigebracht.« Sie sah ihn aufmerksamer an, und er winkte einem Kellner und bat um eine saubere Gabel. »Gewiß, Sir«, sagte der Kellner. Er hatte ihren Tisch bereits seit einer Weile mit freundschaftlichem Interesse beobachtet, aber es ließ sich nicht mit Bestimmtheit sagen, wen von ihnen er mochte. »Ich entschuldige mich.«

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»Denken Sie nicht weiter drüber nach«, sagte Pakkard. Der Kellner sah Packards Augen an, dann Norah. »Vielleicht wäre es sicherer für Sie mit Löffeln«, sagte er, und Packard mußte laut lachen. Er lächelte sie glücklich an, war zufrieden mit sich selbst. Sie erinnerte sich an den Blinden, wie er im Garten mit dem Fuß über dem Rasensprenger stand, an die schlichte Freude daran, und empfand auf einmal Gewissensbisse. »Du kannst Menschen nicht einfach so benutzen«, sagte sie. »Sie benutzen? Ich gebe ihnen ein Dach über dem Kopf.« Sie sah jedoch, daß ihm diese Bemerkung keine Ruhe ließ, vielleicht rührte es ebenfalls an sein Gewissen. »Du weißt, was ich meine«, sagte sie. »Sie brauchen einen Ort, wo sie unterkommen«, sagte er. »Sie haben in einer Boxhalle geschlafen, und der Besitzer hat sie vor die Tür gesetzt.« Er dachte einen Moment nach, fügte dann hinzu: »Außerdem werde ich einige Zeit mit dem Jungen verbringen und mit ihm an seinem Golfspiel arbeiten. Er könnte sich als richtig guter Golfer herausstellen.« »Dann hat er eine große Zukunft vor sich«, sagte sie. Aber die Wahrheit war, für einen Neger lag im Golf genausoviel Zukunft wie in allem anderen. »Weißt du, ich werde das Baby behalten«, sagte sie. »Es ist noch jede Menge Zeit, darüber nachzudenken«, sagte er. »Du mußt im Moment noch gar nichts entscheiden.« »Wenn du keine Babys willst«, sagte sie, »solltest du nicht Frauen in Fahrstühlen vögeln.«

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S WAR MITTEN AM MORGEN, als er sie sah. Das alte Dach knarrte unter seinen Füßen und begann, nach Teer zu riechen, während es die Hitze der Sonne speicherte, und er spürte, wie die Schweißtropfen von seinen Achselhöhlen auf die Rippen fielen und dann weiter in seine Hose hinunterliefen. Es war nur ein flüchtiger Blick – sie kam heraus, um die Zeitung zu holen, und lief dann schnell wieder ins Haus –, aber sie war schön, und ihr Haar war aus dem Gesicht zurückgebunden, am deutlichsten konnte er sich nachher aber an ihre Ohren erinnern. Noch nie zuvor hatte er solch feine, perfekte Ohren gesehen. (Die Ohren, die Train zu sehen gewohnt war, waren nämlich die von Plural, die knotig und geschwollen waren, und es tat ihm weh, nachts auf ihnen zu liegen, daher schlief er auf dem Rücken.) Mrs. Packards Ohren jedoch erinnerten Train an die Muscheln, die an Ständen am Santa Monica Pier verkauft wurden, rosa und perlmuttfarben bis hinunter zu der Stelle, wo sie sich in die Dunkelheit verjüngten, und dahinter lag der verborgene Ort, wo das Ding selbst gelebt hatte. Er versuchte sich vorzustellen, wie es wohl dort drinnen war, doch es gelang ihm nicht. Drei Tage später zogen sie ein. Er und Plural. Irgendwer hatte Laken, Kissen und Decken auf die Betten gelegt, aber Plural sagte, der Fußboden wäre vollkommen in Ordnung für ihn. »Leute mit so einem

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Haus, die lesen die Laken«, sagte er. »Du weißt nicht, was sie in die Luft gehen lassen könnte.« Seit er von zu Hause fortgegangen war, hatte Train nicht mehr in einem Bett oder in einem Zimmer geschlafen, und er wandte seinen Blick vom Bett ab, versuchte, sich nicht an all das zu erinnern, denn früher oder später führte das nur wieder zu dieser Situation dort in der Küche. Obwohl er es nicht wollte, beherrschte es dennoch seine Gedanken. Er dachte daran, wie das Stuhlbein auf den Boden fiel, wie es den Hund erschreckte. Bis dahin hatte Lucky friedlich geschlafen. »Außerdem«, sagte Plural, »liegst du in einem Federbett, und alles kommt wieder hoch, fühlt sich zu vertraut an.« Plural brauchte eine ganze Weile, sich an einen neuen Raum zu gewöhnen, und bis er sich daran gewöhnt hatte, sprach er im Schlaf. Vorher hatte er nur dieses wiehernde Geräusch gemacht, wenn er träumte. »Sie hätten sie nicht so umbringen müssen«, sagte er in dieser ersten Nacht. Train war gerade dabei einzuschlafen. Er setzte sich im Bett auf. »Plural?« »So ein klitzekleines Ding, sie war doch gerade mal eins dreißig, eins vierzig groß.« »Wer soll das sein, Mann?« »Hätten sie wirklich nicht so umbringen müssen.« Wurde jetzt lauter. Train stand auf und berührte seine Schulter, achtete darauf, sich nicht so zu stellen, daß er einen Schlag abbekommen konnte. »Plural«, sagte er, »du redest im Schlaf.« Die Muskeln von Trains Fingern zuckten, und dann schlug Plural die Augen auf. Abgesehen davon lag er still. »Du redest im Schlaf«, sagte Train wieder.

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»Sie hatte niemanden, der sie rettete«, sagte er. »Wer?« »Johanna von Orleans«, sagte er. »Was denkst du denn, über wen wir geredet haben.« Mr. Packard kam morgens mit Schinkensandwichs. »Ich hoffe, die Betten waren in Ordnung«, sagte er. »Nein, Sir«, sagte Plural, »wir haben die Betten in Ruhe gelassen.« Das machte ihn einen Moment sprachlos, doch dann fuhr er einfach fort. »Also, falls ihr mehr Decken oder Kissen braucht. Norah hat welche in den Schrank gelegt.« Er wollte schon gehen, erinnerte sich dann aber an die Farbe, fragte, welche Farbe sie innen haben wollten. Plural ließ sich das durch den Kopf gehen und sagte schließlich: »Lachs ist immer schön.« Wie sich jedoch herausstellte, bekam Plural von frischer Farbe Kopfschmerzen und sie ließ seine Nase laufen, weswegen er anfing, draußen zu schlafen, und Train brachte seine Decke und das Kopfkissen ebenfalls hinaus, um sicherzugehen, daß Plural nachts nicht redete und ins Haus ging oder in den Swimmingpool. Er wußte nicht, ob Plural schwimmen konnte; das Thema war bislang bei keiner Unterhaltung aufgekommen. Ihre Unterhaltungen – diejenigen, bei denen sie wußten, worüber der andere sprach – verliefen mehr und mehr in Richtung Geflügel. Das oder der Wasserdruck. Plural hatte den größten Teil seines Lebens in Watts oder Darktown verbracht, hatte niemals so einen Wasserdruck gehabt wie hier. Er liebte den Wasserschlauch. Also lagen sie nachts zusammen im Freien. Train schaute zu den Sternen auf, Plural zu dem, was immer man sah, wenn man blind war. Die Nachbarschaft war ruhig, und weit entfernt konnte man Autos und manchmal Musik hören. Auch der Swimmingpool machte Ge-

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räusche, es klang wie der Magen eines Menschen, und von Zeit zu Zeit rührten sich die Flamingos im Garten des Nachbarn. »Weißt du«, sagte Plural eines Nachts, »ich hab’ noch nie eine Ente gegessen.« Mr. Packard kam um zwei Uhr nachmittags nach Hause und sah sich das Innere des Hauses an. Er ging in alle Zimmer, die Train gestrichen hatte, sprach dann mit Plural, der am Küchentisch saß, Kräcker aß und Milch trank. »Sieht gut aus«, sagte er. Plural zuckte mit den Achseln. »Wir mögen’s«, sagte er. »Kommst du eine Weile allein klar?« fragte Mr. Packard und schaute sich wieder um. Die Wahrheit war, daß er sich in Plurals Gegenwart nie wirklich wohl fühlte, seit er den Schlag abbekommen hatte, nicht einmal jetzt, wo sie wußten, wer der andere war. Hielt sich immer einen Fluchtweg offen. »Ich möchte mit Lionel raus zur Western Avenue.« Es war jetzt zwei Wochen her, und die blauen Flecken unter seinen Augen hatten sich zu Gelb- und Brauntönen verfärbt, Farben, die bewirkten, daß er eher aussah, als sei er krank gewesen, statt einen Schlag ins Gesicht bekommen zu haben. »Ich komm’ schon mein ganzes Leben lang klar«, sagte Plural. Train wußte nicht, was Mr. Packard mit ihm in der Western Avenue wollte, aber ihm war schon die ganze Zeit klar, daß der Mann nicht einfach eines Tages aufgewacht war und beschlossen hatte, daß er ein paar Neger als Hausgäste brauchte. Tausend Gedanken trieben vorbei, und dann blieb einer haften – daß Mr. Packard herausgefunden hatte, was mit Mayflower passiert war – , doch dann trieb auch dieser Gedanke wie die anderen stromabwärts. Es hat keinen Sinn, sich über verschüttete

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Milch den Kopf zu zerbrechen. Das hatte Mayflower immer gesagt. Mr. Packard fuhr auf Nebenstraßen raus nach Inglewood. Sie überquerten die Stadtgrenze und sahen ein Schild: INGLEWOOD, EINE STOLZE WEISSE GEMEINDE. Mr. Packard fuhr weiter Richtung Westen, hinaus zum Flughafen. In der Ferne starteten und landeten Flugzeuge, und Train versuchte sich vorzustellen, wie es wohl wäre, in einem davon zu sitzen und Mutter Erde zu verlassen. Mr. Packard bog zweimal links ab, und wenig später sah Train den Golfplatz. Er erinnerte sich, schon vor langer Zeit einmal hier draußen gewesen zu sein, als er einen Job suchte. Unmittelbar nachdem er bei Sugars eingezogen war. Er brauchte drei Busse und anderthalb Stunden, um hierherzukommen, und als er dem Mann hinter der Rezeption sagte, er sei auf Arbeitssuche, da beugte der Mann sich über sein Mittagessen, um es zu verdecken, als hätte Train ihn gerade um die Hälfte seines Sandwichs gebeten. Sie fuhren auf den Parkplatz, und Mr. Packard hielt an. Der Motor hustete noch einige Male, bevor er ausging. »Alles klar«, sagte er, »sehen wir uns mal an, womit wir arbeiten können.« Das jetzt herauszufinden, nachdem der Mann ihn bereits zu sich ins Haus geholt hatte, wirkte irgendwie merkwürdig. Nachdem Paradise Developments wegen des unterirdischen Brandes geschlossen worden war, gab es in Los Angeles nur noch zwei Plätze, auf denen Neger Golf spielen konnten, die Western Avenue und Griffith Park, und was Griffith Park betraf, machten Geschichten die Runde. Farbige, die auf der Suche nach ihrem Ball ins Gebüsch gingen, endeten an einem Ast hängend eben-

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dort oder wurden zusammengeschlagen und landeten in der Notaufnahme eines Krankenhauses. Jeder hatte diese Geschichten schon gehört, und Teile der weißen Bevölkerungsgruppe verabscheuten sie, hatten Briefe an die Zeitung geschrieben, wie sehr sie sie verabscheuten, und Train vermutete, daß diese Geschichten Mr. Cooper vorgeschwebt hatten, als er auf die Idee mit Paradise Developments kam. Der Mann hatte die Zukunft gesehen, und die lag im harmonischen Miteinander der Rassen. Schließlich gab der Motor auf und erstarb, Mr. Packard zog die Handbremse an und stieg aus, und als er den Kofferraum öffnete, sah Train, daß sich zwei Bags mit Schlägern darin befanden, darunter ein nagelneuer Satz Tommy Armours. Dieses Bag hob er nun heraus und gab es Train. Sagte kein einziges Wort. Dann schlug er die Kofferraumklappe zu, ließ sein eigenes Bag im Auto. Train stand wie angewurzelt da und starrte die Schläger an. Bis zu diesem Augenblick hatte ihm in seinem ganzen Leben noch nie jemand etwas gegeben, das nicht zuvor ausrangiert worden war. Selbst sein Hund war kaputt, als er ihn bekam. Er ging ein Stück hinter Mr. Packard, trug seine neuen Schläger und betrachtete sie gleichzeitig. Es lag eine gewisse Erregung darin, die über die Schläger selbst hinausging. Als er das letzte Mal Golf gespielt hatte, war er mit neunzehnhundert Dollar nach Hause gegangen, und es verging kaum ein Tag, an dem er nicht daran dachte, wie es war, all dies Geld auf einmal zu sehen. Sie gingen hinaus zur Driving Range, wo Mr. Packard ihn verließ und ins Büro verschwand, um Bälle zu holen. Als er zurückkam, suchte er sich eine bequeme Stelle auf dem Boden und setzte sich zum

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Zuschauen hin. Train kippte einen Eimer Bälle um, die oben liegenden verteilten sich über den Boden, und er nahm das Eisen Neun aus dem Bag, wobei er bemerkte, daß er sich in dessen Schaft spiegelte. Zunächst wirkte er noch etwas unbeholfen, in Gegenwart von Mr. Packard, der ihn beobachtete, doch allmählich spürte Train das Gewicht des Schlägers in seinen Händen, fühlte, wo er sich befand, und von da an lief sein Schwung ganz von allein, so wie es immer gewesen war, wie etwas, das er versteckt und nun wiedergefunden hatte. Er wechselte zu einem längeren Eisen, aber jetzt spielte es überhaupt keine Rolle mehr, was er in der Hand hatte, denn es schwang von selbst. Die Bälle flogen niedrig und weit, und er schlug ein halbes Dutzend hintereinander auf dieselbe Stelle an der Unterseite des Zauns knapp zweihundert Meter entfernt. Er spürte, wie sich Mr. Packard hinter ihm bewegte, und erinnerte sich, daß er sich noch nicht bei ihm bedankt hatte, wußte nicht, was er sagen sollte, und einen Moment später, noch darüber nachdenkend, erwischte er einen Ball dünn und spürte den Schlag bis hinauf in seine Ellbogen. »Ein Gedanke«, sagte Mr. Packard. »Konzentrier’ dich auf einen Gedanken.« Natürlich hatte Train diesen Rat auch vorher schon gehört – alle Golfer mit einem Handicap von sechsundzwanzig waren jetzt irgendwo auf einem Platz und teilten sich gegenseitig Schwunggedanken mit –, aber er selbst verfolgte zu keinem Zeitpunkt nur einen Gedanken und wußte auch nicht, wie er das anstellen sollte. Zunächst mal besaß alles, was er sah, einen Namen – der Ball, das Gras, der Schläger, seine Schuhe –, und er sah diese Dinge an und kannte ihre Namen, und die Namen waren Gedanken. Genau wie Frieren ein Gedan-

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ke war, oder Hungrig- oder Besorgtsein. Und außer dem Ding, wegen dem er besorgt war, war das Besorgtsein selbst ein Gedanke. Dinge kamen und gingen; man konnte es nicht verhindern, selbst wenn man es versuchte. Er fragte sich, ob es bei Menschen genauso war, die sich die großen Gedanken machten – Eisenhower und General MacArthur –, oder ob sie vielleicht irgendwie die Namen ausschalten konnten, während sie sich eine bessere Welt vorstellten. »Was ist dein Schwunggedanke?« fragte Mr. Packard hinter ihm. »Was sagst du dir, wenn du über dem Ball stehst?« »Ich weiß nicht«, antwortete er. »Ich trete einfach aus dem Weg und lasse ihn fliegen.« Das schien Mr. Packard zu amüsieren, und er lehnte sich auf die Ellbogen zurück und schwieg, um zuzusehen. Der Grund dafür, daß es richtig funktionierte, war sowieso kein Gedanke. Es war vielmehr das, was die Ideen und Gedanken in Bewegung hielt, die Brise, die bewirkte, daß Dinge in den Kopf hinein- und wieder hinauswehten mit einer Geschwindigkeit, bei der nichts übereilt war, aber auch nichts so lange blieb, daß man es bemerkte. Mehr wollte man nicht in seinem Kopf haben, um einen Golfschläger zu schwingen, eine sanfte Brise, um alles auszuleeren. Was nicht bedeutete, daß man dumm sein mußte, um das Spiel zu beherrschen, aber es schadete bestimmt nicht. Eine halbe Stunde später kamen ein zerbrechlicher alter Mann und seine Frau mit Bällen und ihren Schlägern aus dem Büro. Sie hatte rauchblaue Haare und trug mehr Make-up als bei einer Aufbahrung, und ihr Hut paßte zu ihren Socken und ihrem Lippenstift. Der Mann ging ein paar Schritte voraus und schaute sich nicht um. Man sah, es war nicht seine Idee gewesen, daß sie mit dem Sport anfing.

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Sie gingen an eine Stelle nicht weit entfernt von der, wo Train immer noch Bälle schlug, und sie beugte sich vor und nahm einen Ball aus dem Korb, musterte ihn von allen Seiten, als würde sie Äpfel kaufen wollen, kniete sich dann hin und brauchte sehr lange, um ihn auf dem Tee zu halten. Ächzend kam sie wieder hoch. Train konnte nie sagen, wie alt Menschen waren – jenseits der Fünfzig sahen alle gleich aus –, doch er sah, daß diese zwei älter waren als die meisten. Sie stand einen Moment bewegungslos da, außer Atem und sich wieder sammelnd, dann nahm sie einen der Schläger aus ihrem Bag und schwang. Der Ball blieb, wo er war. Eine Minute herrschte Stille, dann schaltete sich der Ehemann ein. Er korrigierte ihren Griff, er beugte ihre alten Knie, er zog ihren Ellbogen gerade, richtete ihren Rücken auf und hob ihr Kinn. Er sagte, sie solle ihren Po herausdrücken und nicht so sehr von oben schlagen. Und dann sagte er ihr, sie solle sich entspannen. Sie lehnte den Schläger an ihr Bag, sehr würdevoll, öffnete ihre Handtasche und nahm eine Zigarette heraus. Sie zündete sie an, starrte ihn an und zog dann den Rauch tief ein, als wäre sie überrascht. Ein rosafarbener Lippenstiftkuß hatte sich auf der Zigarette abgebildet, und ein winziges Stück Zigarettenpapier klebte an ihrer Lippe. »Was jetzt?« sagte er. »Entspannen«, sagte sie. »Du hast gesagt, ich soll mich entspannen.« »Wenn ich mich nicht irre«, sagte er, »war nicht ich derjenige, der das hier für so eine wunderbare Scheißidee gehalten hat.« Mr. Packard beobachtete sie jetzt, lächelte wie ein Baby mit Blähungen. Er konnte nichts dagegen machen; Train sah es deutlich. Es entlockte ihm selbst ein Lächeln. »Aber natürlich nicht, Phillip. Natürlich nicht. Es

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war alles nur meine Idee.« Es lag etwas in ihrem Ton, das Packard einfach liebte. »Ich habe dir doch gesagt, daß dir Golf nicht gefallen wird«, sagte der Mann. »Man muß viel zuviel üben.« »Wir haben doch noch gar nicht gespielt«, sagte sie. »Bislang habe ich nichts anderes gemacht, als zu versuchen, einen einzigen Ball zu treffen, was zehn Minuten Kritik an jedem einzelnen Aspekt meiner Haltung hervorgerufen hat.« »Was erwartest du? Du kannst nicht einfach so auf einen Golfplatz gehen.« Sie starrte ihn an und kniff die Augen zusammen. »Hinter dir würde sich doch eine Schlange bis zum Parkplatz bilden. Du mußt das Spiel beherrschen, ehe du auf den Platz gehen kannst.« »Du sagst, man muß das Spiel spielen können, um das Spiel zu spielen«, sagte sie. Mr. Packard bedeckte sein Gesicht. »Du mußt in der Lage sein, den Ball irgendwo zu treffen«, sagte er. »Wie, wenn ich mir die Frage gestatten darf, lernt man dann?« fragte sie. Die Frau war schlagfertig, das mußte man ihr lassen. »Man hört zum Beispiel zu«, sagte er, nahm ihr Eisen und machte selbst einen Schwung damit. Er war ein alter Mann und hatte den Golfschwung eines alten Mannes. Er schlug einen Ball und dann noch einen und noch einen, als würde er sie bestrafen. Train stellte sich ihn und drei andere alte Männer draußen auf dem Platz vor, wie sie Zigarren rauchten, über Regelfragen stritten und kleine Wettspiele. Witze erzählten über Strafschläge für das Töten von Ehefrauen mit Golfbällen. Der alte Mann sah plötzlich auf und bemerkte, daß Train zuschaute. Er starrte ihn einen Moment an und trat dann vom Ball fort, den er gerade schlagen wollte. Ein Neger starrte ihn an, während er mit seiner Frau stritt –

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er sah Mr. Packard an, als wollte er, daß dieser etwas unternahm, doch dann sah er, daß auch Mr. Packard ihn anstarrte. Anstarrte und lachte. Der alte Mann schien den Atem anzuhalten und lief bläulich an. »Beschissene öffentliche Plätze«, fluchte er. »Verzeihung, Phillip?« »Gehen wir«, sagte er und nahm seine Tasche. Sie blieb stehen, wo sie war. »Phillip«, sagte sie, »du verhältst dich wie ein absolutes Arschloch.« »Kommst du?« »Wir haben noch nicht gespielt«, sagte sie. »Ich will spielen.« Der Mann ging ohne ein weiteres Wort. Sie verschränkte die Arme und schaute ihm nach. Er marschierte auf den Parkplatz und verschwand, und sie drehte sich wieder zu dem Korb mit Bällen auf dem Boden, kniete sich hin und setzte einen weiteren Ball sorgfältig auf ein Tee. Während der gesamten Rückfahrt war Mr. Packard amüsiert über die Welt im allgemeinen. Ungefähr zehn Minuten nach seinem Abgang war der alte Mann zu ihr zurückgekehrt, mit wildem Blick und zerzausten Haaren, er sah aus wie jemand, der geschlafen hatte, als das Haus zu brennen anfing. Zu diesem Zeitpunkt hatte die alte Frau ungefähr sechs Bälle geschlagen, sie sah ihn kommen, erwartete ihn mit stählernem Blick, und einen Moment lang dachte Train, sie würde ihm vielleicht mit dem Eisen den Schädel einschlagen. Am Ende nahm sie dann nur ihre Schläger auf und folgte ihm zum Wagen. Mr. Packard griff herüber und polierte Trains Schlägerkopf, und für kurze Zeit war zwischen ihnen alles angenehmer als je zuvor. Auf dem Rückweg hielten sie an einem Supermarkt, gingen die Gänge auf und ab und warfen alles mögliche in den Einkaufswagen. Kräcker und Käse und Mayon-

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naise für Plural. Mr. Packard hatte gesehen, wie Train in Brookline Traubensaft getrunken hatte, und er kaufte eine ganze Kiste davon. Er nahm Dosenspinat, Frühstücksfleisch, scharf gewürzten Schinken, Kartoffelchips und gebackene Bohnen. Er kaufte eine Tüte Möhren und einen Dosenöffner. Train warf einen Blick in den Wagen, in dem die meisten Lebensmittel lagen, die er auf einer Stelle gesehen hatte, seit er von zu Hause fortgegangen war. Toilettenpapier, Servietten, Pappteller. Sie gingen einen Gang hinunter, wo es Marmelade und Erdnußbutter gab, und Train erinnerte sich an einen Abend oben in der Boxhalle, als er und Plural ein Glas Erdbeermarmelade als Abendbrot gegessen hatten. Die Leute in dem Geschäft starrten Train von hinten und um die Enden der Gänge herum an, fragten sich, was er hier zu suchen hatte, fragten sich, was er und Mr. Packard hier zusammen zu suchen hatten. Einen Mann hörte er zu seiner Frau sagen: »Warum verschwinden sie damit nicht einfach zum Pershing Square?« Bepackt mit vier Lebensmitteltüten betraten Train und Mr. Packard an diesem Abend das Gästehaus. Mr. Packard stellte seine Tüten auf der Spüle in der Küche ab, hielt einen sicheren Abstand zu Plural und ging dann hinüber, um die Missus zu besuchen. Genau das sagte er: »die Missus besuchen«. Anscheinend wäre er noch gern geblieben, aber irgend etwas rief ihn nach Hause. Plural half Train beim Wegräumen der Lebensmittel, betastete alles, interessierte sich für die Form der Dinge, wie ein Opossum. »Was will er?« fragte er später, nachdem sie gegessen hatten. »Bis jetzt will er nur losziehen und Golfbälle schlagen«, sagte Train. »Er sitzt einfach nur da und sieht zu, wie ich Golfbälle schlage.«

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»Aber was will er?« Es war still dort in dem kleinen Haus, und dann hörten sie die Flamingos. Einer von ihnen legte los, alle stimmten ein, und dann beruhigten sie sich langsam, als ob jeder von ihnen unbedingt das letzte Wort haben mußte. Es wurde dunkel im Gästehaus, aber Train sah sein Lächeln.

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OLANGE SIE PACKARD KANNTE, war er zu völlig unterschiedlichen Zeiten gekommen und gegangen, tauchte nachmittags oder morgens im Haus auf, manchmal mitten in der Nacht. Manchmal ging er eine Woche lang gar nicht zur Arbeit. Jetzt fuhr er jeden Nachmittag zur gleichen Zeit den Jungen zum Golfplatz, und es war immer kurz nach Einbruch der Dunkelheit, wenn er ihn zurückbrachte. Die Vorstellung, daß er ein klares Tagesprogramm hatte, beunruhigte sie. Der blinde Mann war den ganzen Nachmittag allein im Gästehaus und kam nur selten heraus. Er hielt die Türen und Fenster geöffnet, und jeden Abend um halb sechs schaltete er das Radio ein und hörte »Sky King« und danach »Sergeant Preston of the Yukon«. Nachher, wenn das Radio wieder verstummt war, hörte sie ihn manchmal mit sich selbst über die eine oder andere Sendung reden, darüber, was sie hätten tun sollen. Mr. Packard ging mit Train Golfschuhe kaufen, bevor sie hinausfuhren, um Bälle zu schlagen. Der Schuhverkäufer ließ ihn einen Blick durch das Fluoroskop werfen, um zu sehen, wie sie paßten. Die Knochen seiner Füße waren zu sehen. Train zog die Schuhe an, als sie die Western Avenue erreichten, und ging in ihnen über den Parkplatz, als trage er hohe Absätze. Zuerst waren ihm die Schuhe peinlich, aber kein Mensch achtete wei-

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ter darauf. Und als er später darüber nachdachte, war es auch nicht ungewöhnlicher, einen farbigen Jungen in Golfschuhen zu sehen, als ihn überhaupt Golf spielen zu sehen. Mr. Packard holte Bälle aus dem Büro, wie er es immer tat, und setzte sich dann hin, um Trains Abschläge zu beobachten. Zunächst fühlten sich die neuen Schuhe merkwürdig an – seine Füße rutschten nicht mehr so auf dem Gras weg wie noch in seinen Tennisschuhen –, doch als er sich erst einmal an sie gewöhnt hatte, benötigte er für seinen Schwung auf einmal weniger Raum, und es fühlte sich leichter und natürlicher an als zuvor. Auf dem Nachhauseweg sagte Mr. Packard dann: »Du scheinst deine Schwungebene am höchsten Punkt des Rückschwungs ein bißchen abzuflachen, dadurch schließt sich das Blatt leicht. Das ist alles, was mir aufgefallen ist.« Train dachte darüber nach, konnte es nicht nachvollziehen. »An der höchsten Stelle des Rückschwungs«, sagte Mr. Packard. »Versuch deine Schwungebene zu halten …« »Was wollte der Mann heute?« fragte Plural. Sie waren im Freien, lagen unter dem Mond. »Hat mir Schuhe mit Spikes gekauft«, sagte er. »Hat gesagt, ich würde am Scheitel abflachen.« Plural lachte leise, aber Train wußte nicht, welchen Teil davon er witzig fand. Beim nächsten Mal auf der Driving Range holte Mr. Packard seine eigenen Schläger aus dem Kofferraum und zeigte Train, was er meinte. Der Junge versuchte, es auf Mr. Packards Art zu machen, richtete den Schlägerschaft hinter seinen Schultern auf die Fahne aus, doch wenn er daran dachte, wo der Schaft sein soll-

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te, konnte er dem Schwung nicht mehr aus dem Weg gehen. Er machte es wieder und wieder, mindestens hundertmal, aber es war immer das gleiche: Über eine Sache nachzudenken führte dazu, über eine andere nachzudenken, und wenn man erst einmal damit angefangen hatte, dann mißlang der Schlag. Wenn man etwas Lebendiges auseinandernimmt, um herauszufinden, wie es funktioniert, tötet man es. Mr. Packard schaute vom Gras her eine Stunde zu, dann ließ er Train aufhören und sagte, er solle alles vergessen, was er gesagt hatte. »Was machst du den ganzen Nachmittag?« fragte sie. »Die meiste Zeit schlägt er Bälle, und ich sehe zu.« »Das ist alles?« Sie wollte über das Baby sprechen, wußte aber nicht, wie. Jedesmal, wenn sie es versuchte, sagte er, es wäre noch genug Zeit, darüber nachzudenken. »Es lohnt sich wirklich, das zu sehen«, sagte Pakkard. »Ich bin nicht sicher, ob ich jemals so was gesehen habe.«

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28 WESTERN AVENUE

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RST AM ENDE DER WOCHE erzählte Mr. Packard ihm schließlich, was er vorhatte. Sie waren am späten Nachmittag auf den Platz hinausgegangen, als sie die vorderen Neun für sich allein hatten, und Mr. Packard droppte einen Ball unter einen Baum oder in ein Divot, den Train dann schlagen sollte, und es war niemand mehr hinter ihnen, der sich aufführte, als würde er Nierensteine ausscheiden, weil er warten mußte. Sie kamen einen Hügel hinunter, wo Mr. Packard ein Schlangenloch auf dem Fairway entdeckte, gut hundert Meter bis zum Grün, und er nahm einen Ball aus seiner Tasche und legte ihn auf die Öffnung. Lag da wie eine Kugel Eiscreme auf einem Hörnchen. Train mochte keine Schlangen, hatte sie noch nie gemocht. Er blickte zur Fahne, dann auf den Ball und den Haufen frischer Erde, gegen den er lehnte, und zog statt eines Wedge das Eisen Acht aus seinem Bag und verkürzte seinen Schwung. Er erwischte den Ball tief und gab ihm viel Backspin, wodurch er auf dem Grün am Aufschlagpunkt liegenblieb. Sofort. Mr. Packard sah sich diesen Schlag an und sagte, er spiele dieses Spiel bereits den größten Teil seines Lebens, und es gebe nichts, was er über das Schlagen eines Golfballs wußte, das der Junge nicht bereits kenne. Es schien ihn richtig sentimental zu machen. »Ben Hogan hätte den nicht besser schlagen können als du gerade eben«, sagte er.

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Die Wahrheit war, Train hatte noch nie den Eindruck gehabt, daß es überhaupt jemand konnte. Er hatte selbst noch niemanden gesehen, der auch nur annähernd an ihn herankam. Er erinnerte sich, Ben Hogan einmal in einer Wochenschau gesehen zu haben, als er nach einem Autounfall im Krankenhaus lag. Die Ärzte verkündeten, daß er nie mehr würde gehen können, aber in diesem Jahr war er einfach losgegangen und hatte die Masters gewonnen. Es war nicht das erste Mal, daß Train so etwas hörte – die Ärzte sagten, sie würden nie wieder gehen, und dann gewinnen sie einen Tanzwettbewerb oder wandern durch das Death Valley. Train hatte den Eindruck, daß es vielleicht das erste war, was einem Doc durch den Kopf ging, wenn man eingeliefert wurde. Train steckte seinen Schläger zurück ins Bag, und sie gingen zum Grün. Auf dem Weg dorthin erwähnte Mr. Packard, daß er von einem Wettspiel in Milwaukee gehört habe, ein Mann namens Frankie Cassidy spielte dort ein Zweitausenddollar-Nassau. Mr. Packard schien den Mann zu kennen, ließ sich aber nicht näher darüber aus, wie gut. Er musterte Train, um zu sehen, ob die Höhe des Einsatzes ihn erschreckte. »Milwaukee?« wiederholte Train. »Wisconsin, wo die ganzen Milchprodukte hergestellt werden. Der Mann ist berühmt im Mittleren Westen, allerdings verläßt er niemals seinen eigenen Golfplatz. Das sagt ja schon alles.« Train zuckte mit den Achseln. »Ein Zweitausenddollar-Nassau«, wiederholte er. »Das Geld kommt von seinem Bruder Happy, Happy Cassidy aus Cicero? Praktisch am Stadtrand von Chicago?« Train schüttelte den Kopf. »Er ist das Oberhaupt des Cassidy-Syndikats. Alles kleine Menschen mit riesigen Köpfen, jeder einzelne

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von ihnen. Alle haben einen Kopfschuß abbekommen, und keiner ist dran gestorben. Die glauben, es wäre das sprichwörtliche Glück der Iren – die rennen durch die Gegend und bilden sich ein, als Glückskinder auf die Welt gekommen zu sein. Aber noch nie ist auch nur einem von denen in den Sinn gekommen, daß gar nicht erst dauernd auf sie geschossen würde, wenn sie wirklich solche beschissenen Glückspilze wären.« »Ich hab’ gehört, es soll gar nicht so leicht sein, in Chicago an sein Geld zu kommen«, meinte Train. Das hatte er von Plural, der schon mal dort gekämpft hatte und erzählte, man hätte ihn in einem Hotel in der South Side untergebracht, er hätte die Fenster aufmachen und im Mülleimer ein Feuer anzünden müssen, weil’s keine Heizung gab, und die ganze Zeit, während er in der Stadt war, hätte man ihm nichts anderes als immer nur Weißbrot zu essen gegeben. »Das ist kein Problem«, erwiderte Mr. Packard. »Der Bruder mit dem Geld – dieser Happy –, als er das letzte Mal angeschossen wurde, hat er eine Kugel ins Rückgrat bekommen, und jetzt besteht sein einziger Spaß nur noch darin, auf seinen Bruder zu setzen. Quasi, um auf der Sonnenseite des Lebens zu bleiben. Wenn er seine Spielschulden nicht bezahlen würde, hätte er keine Freude.« Mr. Packard beobachtete Train immer noch, wollte sehen, ob ihm irgendwas davon zu schaffen machte. »Und, wie sieht’s aus?« fragte er. »Wie kommen wir denn da hin?« »Mit dem Flugzeug. Du siehst die Erdkrümmung, und die Stewardessen bringen dir alles, was du willst.« Train empfand Erregung und Enttäuschung zugleich. Solange er sich erinnern konnte, hatte er schon mit einem Flugzeug fliegen wollen, und er wollte die Erdkrümmung mindestens so gern sehen wie jeder andere,

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doch als es jetzt zum Greifen nahe war, konnte er dafür Plural nicht so lange allein lassen. Wie es soweit gekommen war, wußte er auch nicht. Irgendwo unterwegs hatte er ihn einfach mitgenommen – je länger man ging, desto größer wurde das Gewicht, das man trug, wie bei einem Rennpferd. Wieder so ein Spruch aus Brookline, den die alten Männer sagten, und Train fand eigentlich, daß er noch viel zu jung war, um sich ihren Redensarten anzupassen, aber Plural hatte sonst niemanden, der auf ihn hätte aufpassen können. »Ich muß mich um Plural kümmern«, sagte er. Mr. Packard zuckte mit den Achseln. »Ist doch nur für ein paar Tage. Abreise nächsten Donnerstag, Rückkehr Sonntag oder Montag. Wenn du willst, lasse ich Mrs. Packard nach ihm sehen. Er scheint im Garten ziemlich gut zurechtzukommen.« Train stellte sich Plural und Mrs. Packard im Garten vor, wie sie vielleicht am Pool saßen und von einem silbernen Tablett zu Mittag aßen. Er hatte Plural bisher nur ein einziges Mal bei so was wie einem geselligen Beisammensein erlebt, und das war der Abend, als er das fette Mädchen in die Boxhalle mitgebracht hatte. Was hatte er da noch gesagt? »Guck mal hier, Lionel, ich hab’ genug für uns beide mitgebracht«? Train dachte an Plural und Mrs. Packard und das Teeservice – oder was immer es war –, und er dachte wieder über das Flugzeug nach. »Und was passiert, wenn ich den Mann in Milwaukee besiege?« Das schien Mr. Packards Interesse an der Reise nur noch zu vergrößern. »Dann werden Leute wie Happy Cassidy zu uns kommen.« Train brauchte eine Minute. »Und jeder spielt mit dem Geld von irgendeinem anderen …« »Ja, so läuft’s normalerweise.«

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»Und mit wessen Geld spiele ich?« »Zerbrich dir darüber mal nicht den Kopf.« Mr. Packard klopfte ihm auf den Rücken. Obwohl er Train an diesem einen Tag im Auto schon einmal den Kopf genibbelt hatte, berührte er Train normalerweise nicht, und es verwirrte sie beide. »Eines darf man bei Geld nie vergessen«, sagte Mr. Packard wenig später. »Wenn man genug davon hat, fängt’s an zu stinken.« Train dachte an all die Bags, die er schon getragen hatte, daran, wie er das Geld sparte, das Mayflower dann später aus seinen Socken gestohlen hatte. All diese Bilder von George Washington mit blauen Augen. Er erinnerte sich, daß es für seinen Geschmack gut gerochen hatte. Es gab zwei Schlafzimmer im Gästehaus, aber die Nacht war wieder warm, und so schliefen sie im Freien. »Was hat er heute gesagt?« Train wollte nicht mit ihm reden. Er wollte über Geld nachdenken und über die Erdkrümmung. »Er will wissen, was ich denke«, antwortete Train. »O Scheiße.« »Ja.« Es war wieder still, und dann: »Und was denkst du so?« »Nicht viel«, sagte er. Es war eine Weile still, und dann sagte Plural: »Hast du schon mal darüber nachgedacht, daß man keinen Knochen vor seiner Tür liegenlassen kann, weil dann bestimmt irgendwas vorbeikommt und ihn dir wegfrißt?« »Nein, hab’ ich noch nicht«, sagte Train. Ihm gingen andere Dinge durch den Kopf. »Die Welt da draußen ist hungrig, Mann.« Plural ließ

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sich das noch eine Weile durch den Kopf gehen, dann sagte er: »Und egal, was du bist, irgendwas ist bestimmt da draußen, das genau so was gerne frißt. Das ist nur natürlich. Denn so sorgt die Welt dafür, daß sie sauber bleibt.« Train konnte nicht sagen, warum, doch diese Bemerkung hinterließ bei ihm ein beklemmendes Gefühl.

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S WAR WIEDER EIN GUTER TAG – es waren überhaupt nur noch gute Tage, seit sie sich wegen des Babys entschieden hatte –, und dann hatte sie kurz vor Einbruch der Nacht zweimal geweint, ohne zu wissen, warum. Weinte im Bad, wusch sich das Gesicht und fühlte sich besser, ging dann nach unten und weinte wieder. Packard bog auf die Einfahrt ein, als sie fertig war, und sie beobachtete, wie er und der Junge ausstiegen und sich trennten, und er kam auf das Haus zu, ging langsamer, als er sich dem Hintereingang näherte, als hätte er Angst hereinzukommen. Sie bemerkte ihr Spiegelbild im Küchenfenster, und ihr Gesicht sah breit und weiß aus, wie das eines Bauern. Sie fragte sich, warum er keine Bemerkung über die Veränderung gemacht hatte. Ob er einfach alles ignorieren würde bis zu dem Tag, an dem das Baby geboren würde. »Ich werde nächste Woche ein paar Tage fort sein«, sagte er. Sie spürte aufkeimende Panik, versuchte, sie im Zaum zu halten. Sie wollte nicht, daß er sie in Panik geraten sah. »Du willst mich mit denen allein lassen?« fragte sie. Darüber lachte er auf seine spezielle Art. »Du hast doch wohl keine Angst vor den beiden?« »Ich will nur nicht hier allein gelassen werden.« »Du solltest sie besser kennenlernen«, sagte er. »Du würdest sie mögen.«

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»Ich mag sie jetzt schon genug. Ich will nur nicht allein sein.« Er spielte jetzt mit dem Salzstreuer, drehte ihn auf dem Tisch. »Tja«, sagte er, »ich nehme den Jungen mit, also wirst du nicht mit beiden hiersein.« »Warum? Wo willst du hin?« »Milwaukee«, sagte er einsilbig. »Golf spielen. Ich halte ihn für einen großartigen Spieler.« Er wartete einen Moment, dann sagte er: »Und ich habe ihm gesagt, daß du vielleicht nach seinem Freund sehen würdest.«

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30 WISCONSIN

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us DER LUFT SAH WISCONSIN GRÜN AUS, aus dem Auto auch und immer noch grün, als sie am Golfplatz aus dem Wagen stiegen. Train sah, daß sie hier andere Grassorten hatten als in L.A., und sie ließen auch das Rough höher wachsen. Er und Mr. Packard gingen hinter das Clubhaus, Train trug seine Schläger, war gespannt auf diesen Frankie, schaute überall gleichzeitig hin. Sie kamen um die Ecke und blieben stehen. Das Putting Green war voller Menschen, Cocktails in Händen haltend, Speisen essend, die zu tropfen schienen, wenn hineingebissen wurde, alte Männer, die sich in ihren Golfschuhen vor und zurück wiegten, die Hände in den Taschen ihrer Hosen, die aussahen wie eine Schachtel Buntstifte. Mr. Packard bewegte sich nicht, ließ seinen Blick über die Menge wandern, fand dann, wonach er suchte, und zeigte auf einen Mann, der in einem Rollstuhl saß. Der Mann hatte ein hohes Glas in einem Halter, der an einem Arm des Rollstuhls befestigt war, mit zwei langen, rosafarbenen Strohhalmen und einem Schirmchen. Er trug einen Cowboyhut, der für seinen Kopf viel zu groß war, und am Ende seiner toten Beine Cowboystiefel. Sein rotes Haar unter dem Hut war so gerade eben zu erkennen. Eine Frau in einem gelben Kleid hatte eine Hand auf der Rückenlehne des Roll-Stuhls, beugte sich zu ihm vor, sprach, und plötzlich lachten alle laut über etwas, das er gesagt hatte.

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Er lachte, als wäre die Welt ein Ballon, und er versuchte, ihn aufzublasen. »Albert Cassidy«, sagte Mr. Packard, »der glückliche Cowboy. Er ist das Geld.« Mr. Packard schaute sich weiter um und deutete dann mit dem Kopf auf einen anderen Mann, ebenfalls mit roten Haaren, der jedoch stand. »Das ist sein Bruder Frankie, der Spieler. Und dort ist sein Bruder Tommy, und Arthur. Alles in allem ist es ungefähr ein halbes Dutzend. Ausnahmslos Rotschöpfe, glaube ich. Die ganze Familie kommt für diese Sache her; jeder bringt seine Freundin mit, ist so was wie ein großes Familientreffen.« Train folgte Packard näher zu der Menge, nahm alles gleichzeitig auf. Die Luft vibrierte für ihn vor Aufregung. Der Mann im Rollstuhl sah sie als erster und lächelte Mr. Packard auf eine Weise an, die an das erinnerte, was Plural über die Welt gesagt hatte. Daß sie hungrig sei. Mr. Packard ging schnurstracks zu ihm, lächelte ebenfalls, als wäre es so was wie ein Wettbewerb, und Train folgte einen Schritt hinter ihm, immer noch das Bag über der Schulter. Die Leute mit Drinks in der Nähe des Rollstuhls begannen aufzuschauen, und dann wichen sie zurück, als hätten sie Angst. Train hatte plötzlich das unbehagliche Gefühl, daß er zur falschen Zeit sichtbar geworden war. Dann schaute Bruder Frankie, der Spieler, herüber und erblickte Train ebenfalls. Sie starrten sich eine Minute lang an, ehe Frankie sich wieder zu seinem Bruder im Rollstuhl umdrehte. »Das ist der Caddie, richtig?« sagte Frankie. Albert lächelte Mr. Packard weiter an, wirkte, als hätte er nichts zu verlieren, und Mr. Packard lächelte zurück. »Er ist der Spieler«, sagte Mr. Packard. Der Bruder tat, als wären Mr. Packard und Train gar

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nicht da. »Du hast nichts davon gesagt, daß es ein Nigger ist«, sagte er zu seinem Bruder. »Ich kann hier nicht gegen einen Nigger spielen.« Der Mann im Rollstuhl sagte: »Tu mir einen Gefallen, Frankie. Klär das. Wir amüsieren uns hier, haben die ganze Familie zusammen. Kauf dir ein paar Drinks und klopf irgendwem auf die Schulter. Ich und Miller haben uns lange nicht gesehen.« Sein Bruder schaute sich um. »Albert«, sagte er, »es ist ein Nigger.« Dann warf er Train wieder einen verstohlenen Blick zu, als wolle er sich vergewissern. »Die werden ihn hier nicht spielen lassen. Was denkst du?« Dann wanderte sein Blick von Train zu Mr. Packard, und urplötzlich schien er bissig zu werden und sagte: »Wer ist dieser Arsch überhaupt? Was kennst du für Leute, die hier mit einem Nigger aufkreuzen?« Der Mann im Rollstuhl gab keine Antwort, und Frankie der Spieler drehte sich um, wußte, daß jeder zuschaute, und verschwand in Richtung Clubhaus. Um denen, die nichts hören konnten, zu zeigen, daß er nichts damit zu tun hatte. Inzwischen waren fünfzig, sechzig Leute auf dem Grün, und es wurden ständig mehr. Wann immer die Tür des Clubhauses aufging, kamen weitere drei oder vier heraus. Die Neuankömmlinge fragten diejenigen, die bereits dort waren, was passiert sei, und alle redeten mit gedämpften Stimmen über den Nigger auf dem Putting Green. Die Cassidy-Familie – zu der, wie sich herausstellte, auch einige schwarzhaarige Cousins gehörten – stand am Rand zusammen. Train hörte jemanden aus dem Clubhaus sagen, Frankie hätte das Richtige getan, indem er seinem Bruder die Stirn bot, denn hier in Wisconsin galten für alle die gleichen Regeln. Aber Frankie war bereits im Clubhaus verschwunden, und der Junge, der seine Schläger trug, entfernte

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sich zur Seite des Hauses, während der Mann im Rollstuhl Mr. Packard ansah und mit den Achseln zuckte. »Tja, das ist mal eine herbe Enttäuschung für dich«, sagte er. »Nachdem du all das Geld ausgegeben hast, um hierherzukommen.« Mr. Packard ging zum Rollstuhl hinüber, und Train sah den Beginn des Niedergangs zivilisierten Verhaltens. Train dachte, er würde jetzt gern ein paar Putts schlagen oder ein Eisen schwingen, um irgend etwas zu tun, das ihm vertraut war. Schaute sich nach einem anderen Ort um, an den er gehen könnte. »Was soll ich sagen, Miller?« sagte der Mann im Rollstuhl. »Frankie wird nicht gegen das Brikett spielen.« »Schon in Ordnung«, sagte Mr. Packard und klopfte ihm auf die Schulter. »Er wird’s nicht tun. Ich hab’ versucht, mit ihm zu reden – du hast es selbst gehört –, aber er ist stur. Außerdem, ich schätze, man könnte sagen, die Regeln sind die Regeln. Deshalb werden Leute Mitglied in einem Country Club.« »Du wußtest es«, sagte Mr. Packard. Train hörte das und begann sich zu entfernen. Wollte nicht hören, wie Mr. Packard darüber diskutierte, an welchem Punkt er dem Mann gesagt hatte, daß er farbig war. Er machte ein oder zwei Schritte, doch dann sah er, daß er nirgendwohin gehen konnte, und blieb stehen. Sie waren umzingelt. Train ließ seinen Blick in die Ferne wandern, spürte, wie seine Erregung sich in Angst verwandelte, wünschte nur, er wäre zu Hause bei Plural geblieben. »Man kann Frankies Situation verstehen«, sagte der Mann im Rollstuhl. »Sie könnten ihn vor den Vorstand zitieren. Es könnte aussehen, als wäre dein Junge sein Gast, als sollte alles heimlich ablaufen, ohne viel Aufsehen.«

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Mr. Packard nickte, als stimme er ihm in allen Punkten zu. »Sechsunddreißig Löcher, ein ZweitausendNassau, das macht zwölftausend«, sagte er. Der Mann im Rollstuhl schaute sich zu seinen Verwandten um, dann kicherte er, lachte und schüttelte seinen Kopf. »Miller Packard«, sagte er, »der Einzigartige.« Mr. Packard stieß mit dem Finger auf etwas unter dem Hemd des Mannes und sagte: »Albert, kackst du in diesen Beutel oder ist das dein Mittagessen?« Ein Raunen erhob sich; jemand sagte, das sei absolut ungebührlich gewesen, doch falls es den Mann im Rollstuhl störte, ließ er es sich zumindest nicht anmerken. »Laß mich dir eine Frage stellen«, sagte er zu Mr. Packard. »Glaubst du, du bist noch in Kalifornien? Siehst du hier vielleicht irgendwo scheiß Kokospalmen?« Mr. Packard schaute zu den Bäumen auf und suchte nach Kokosnüssen, zuckte dann mit den Achseln, streckte unerwartet eine Hand aus, schnappte sich den Cowboyhut vom Kopf des Mannes und setzte ihn sich auf. »Du hast recht«, sagte er, »wir sind quitt.« Einen Moment lang rührte sich niemand, dann trat einer der Cassidys hinter Mr. Packard und verpaßte ihm einen Handkantenschlag ins Genick. Mr. Packard drehte sich um und packte eine Handvoll roter Haare. Ein anderer sprang ihn von der Seite an, nahm ihn in den Schwitzkasten, dann verließ er den Boden wie Gorgeous George, und sie lagen zu dritt auf dem Boden. Weitere Verwandte kamen herübergelaufen und fingen an, alles zu treten, was sich bewegte, warfen sich dann selbst auf das Menschenknäuel, brüllten Worte, die einen Teil der weiblichen Mitglieder ins Clubhaus laufen ließen. Bei der nun einsetzenden Massenflucht schrie eine Frau auf und stolperte, weitere Leute fielen über sie.

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Aus einer Handtasche flogen Lippenstift, Dimes und Nickel sowie eine Damenbinde. Train sah ein Hörgerät, das neben einer Sonnenbrille lag. Bei dem anderen Haufen – der mit Mr. Packard mittendrin – rollte jemand gegen den Rollstuhl und kippte ihn um. Albert fiel seitlich heraus und lag, alle viere von sich gestreckt, auf dem Übungsgrün, seine Beine allerdings übereinandergebogen, als hätte jemand seine Hose achtlos auf den Boden geworfen. Er hatte einen roten Kopf, war gedemütigt worden, andererseits aber auch tot von den Nippeln abwärts, und nach einer Weile gab er den Versuch auf, selbst wieder auf die Füße zu kommen, und lag einfach still da, schaute zum Himmel auf und wartete auf das Ende des Familientreffens. Train hörte ein deutliches Knacken, wie ein brechender Knochen, dann schrie jemand, und wenige Sekunden später kroch Mr. Packard aus dem Berg Leiber, den Cowboyhut zwischen den Zähnen, breit grinsend wie am letzten Schultag.

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IE WOLLTE NICHT, daß Packard ging, und als er erst einmal fort war, wollte sie ihn nicht mehr zurückhaben. Sie dachte an die Dinge, die in seiner Nähe passierten, Dinge, die er verursachte, und wollte ihn nicht zurück. Sie erinnerte sich genau daran, wie er den Schuh des Mulatten vom Deck aufgehoben und ihm hinterher ins Meer geworfen hatte, als wolle er die Feststellung untermauern, daß nichts, was passiert war, ungeschehen gemacht werden könne. Sie erinnerte sich an das kurze, harte Geräusch, das der Schuh auf der Wasseroberfläche machte. Sie erinnerte sich an den Unfall auf dem Ocean Highway, an das Reh in der Windschutzscheibe, an den Mann und das Mädchen im Auto. O ja, Packard würde auch bis ans Ende der Straße gehen. Sie dachte an die Szene mit der Fotografin auf der Vernissage, an die Orte, an denen er sie nehmen mußte, an die Neger im Gästehaus. Er wurde von Bewegung und Reibung angezogen, vom Risiko, mußte immer etwas zu spielen haben. In ihren besten Augenblicken schienen sie es zusammen zu machen. In dieser Nacht lag sie wach, dachte an all die Gründe, ihn zu verlassen, all die Eigenschaften, die jetzt, wo sie das Baby bekommen würde, eine andere Bedeutung hatten. Am Morgen vermißte sie ihn so sehr, daß sie weinte. Später – am Abend – fühlte sie sich sicher, ruhig und

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glücklich und wußte, daß sich auch das winzige Ding, das in ihr Gestalt annahm, sicher fühlte. Sie dachte an den blinden Mann im Gästehaus und erinnerte sich, daß er Eier mochte und daß Packard sie gebeten hatte, in seiner Abwesenheit nach ihm zu schauen. Mit einem Tablett Sandwichs ging sie durch die Hintertür hinaus, dachte, was für ein schöner Garten das wäre, um darin aufzuwachsen, war so glücklich wie schon sehr lange nicht mehr. Sie klopfte an seine Tür und wartete, fühlte sich lebendig und voller Leben. Sie saß mit dem blinden Mann in der Küche des Gästehauses, beobachtete ihn beim Essen, war froh über ihre Entscheidung, herzukommen. Dachte, sie hätte es schon früher tun sollen. Er hatte kein Hemd an, trug eine Hose und Schuhe ohne Socken. Der Raum war winzig, die Luft abgestanden und warm, und die Fenster waren geschlossen. Da war irgend etwas Vertrautes zwischen ihnen, als würden sie sich schon sehr lange kennen. »Mein Mann sagte, Sie wären mal Boxer gewesen«, sagte sie. Er lächelte und steckte sich eines der Sandwichs in den Mund. Genaugenommen eine Hälfte davon, denn sie hatte sie in der Mitte durchgeschnitten. »Aber nicht bis zum Ende«, sagte er. »Stellte sich heraus, daß ich nicht genug Saft im Tank hatte.« Das Essen drehte sich in seinem Mund – es erinnerte sie an einen Wäschetrockner –, und sie fragte sich, ob er Frühstück und Mittagessen ausgelassen hatte. Sie hatte vier Sandwichs gemacht, und er nahm sich bereits die zweite Hälfte, während er die erste noch im Mund hatte, hielt sie ein paar Zentimeter über den Teller, als prüfe er ihr Gewicht. »Da ist dieser Mann, Art Love – ›Digger‹ wird er genannt –, und er finanziert das Programm aus eigener

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Tasche. Digger ist der Promoter, der Ringrichter und der Manager eines der Fighter im Hauptkampf, und er holt mich rein als Gegner von Irish Jack McKinney, und wir tänzeln was rum, Sie wissen schon, und dann, so in der dritten oder vierten Runde, wird auf einmal alles schwarz. Und dann brüllt Jack los, als wär’ er gebissen worden, ich kann nicht sehen, warum er das macht, nur, Irish Jack war ein absoluter Fighter. Der Mann konnte einem ein Mordspfund verpassen und einem gleichzeitig die Beine brechen. Aber egal, ich bin so neunzig Prozent sicher, daß Jack mich nicht k.o. geschlagen hat, aber wie kann man da sicher sein, wenn man komplett im Dunkeln steht? Ich sag’: ›Jack? Sind wir noch hier?‹ Und Jack sagt: ›Scheiße, hab’ gedacht, mich hätt’ ’ne Spinne gebissen.‹ Und ich sag’: ›Ich hab’ gehofft, du hast mich nicht k.o. geschlagen.‹ Er sagt: ›Nee, aber ich glaub’, ich hab’ irgendwie Digger erwischt.‹« »Wer ist noch mal Digger?« fragte sie. »Digger Love, der Ringrichter.« »Okay, Digger Love, der Ringrichter …« »Scheiße, der Junge, den er da hat, dieser Duke, der kommt mit einer Taschenlampe in den Ring und sagt, ihnen ist die Hauptsicherung durchgeknallt, und wir waren in so einem kleinen Club draußen in Ohio, wo die ganzen Leitungen so unten im Keller waren, und wo Jack und ich ja sowieso schon mal dreckig waren, ob’s einem von uns was ausmacht, da runterzugehen und einen Penny in den Kasten zu stecken, damit wir über den Abend kommen und die kein Eintrittsgeld zurückgeben müssen und jeder sein Geld kriegen kann. Jack sagt: ›Ich laß die Finger vom Strom‹ – der Mann hat immer gewußt, was er wollte –, und da denke ich mir, jetzt liegt’s an mir, ob wir bezahlt werden oder

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nicht, also geh’ ich mit dem Duke da runter, und er hält die Lampe, während ich in dieses Kellerloch krieche und die Hauptsicherung mit einem Penny kurzschließe. Und das Scheißding läßt mich aufleuchten wie ein Weihnachtsbaum. Wir wieder hoch – ich von oben bis unten voller Dreck und Wanzen, und Jack ist wieder total ausgeruht –, und sie holen einen neuen Ringrichter, weil Digger will nicht mehr vor die Öffentlichkeit treten, so wie er jetzt aussieht, und ich, ich spüre immer noch dieses Gefühl, das ich hatte, als der Strom mich leuchten ließ. ›Jack‹, sag ich, ›ich laß jetzt auch die Finger vom Strom.‹« Sie sah ihn an, wartete, daß er seine Geschichte zu Ende erzählte, aber für Plural war es das Ende. »Was ist dann passiert?« fragte sie. Er verstand die Frage nicht. »Der Kampf«, sagte sie. »Wer hat den Kampf gewonnen?« Plural dachte einen Moment nach, versuchte, sich zu erinnern. Dann gab er auf. »Jack müßte das eigentlich noch wissen«, sagte er. »Der hat bei so Sachen den besseren Überblick gehabt als ich. Aber als ich ihn das letzte Mal gesehen hab’, da haben wir uns bepißt vor Lachen wegen dem alten Digger Love, daß es überhaupt keine Spinne war, er hat den armen alten Digger einfach unter seinen Haaren weggehauen. Es flog auf Jacks Arm, und Jack hat’s abgeschüttelt, als wär’s Feuer gewesen.« »Das Toupet des Ringrichters?« sagte sie. »Ja, Ma’am. Ohne den Teppich auf seinem Kopf konnte er nicht mehr vor sein Publikum treten. Es gibt solche und solche, schätze ich.« Sie sah den blinden Mann voller Zärtlichkeit an, spürte, daß sie selbst den Tränen nahe war.

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M ELF UHR MORGENS saß Train mit Mr. Packard am Gate, als Mr. Albert Cassidy und alle seine Brüder und Cousins aus West Chicago auf dem Weg zu ihrem Flugzeug vorbeikamen, humpelnd, zusammengeflickt und niedergeschlagen. Sah aus wie die Armee der Konföderierten auf dem Rückzug. Albert saß wieder fest im Sattel, wurde von einem jüngeren, schwarzhaarigen Mann mit einem normal großen Kopf geschoben – vielleicht ein angeheirateter Verwandter –, an den Train sich nicht erinnern konnte. Aber der Mann war dabeigewesen. Hatte einen Verband über der Stirn, der wie ein Ohrenschützer aussah. Anders als einige der Verwandten war Albert selbst offenbar nicht lädiert, sah aber trotzdem mürrisch und bedrückt aus, und man konnte deutlich sehen, daß an diesem Morgen noch ein weiter Weg den Berg hinauf vor ihm lag, bis er wieder auf der Sonnenseite des Lebens angekommen war. Mr. Packard beobachtete die Prozession, und dann sagte er, etwa in der gleichen Lautstärke, die für die Durchsagen der Flüge benutzt wurde: »Das muß eine gottverfluchte Sträflingskolonne sein, Charlene.« Wer Charlene war, wußte Train nicht. Als sie diese Bemerkung hörten, schauten sich einige der Cassidys aus West Chicago suchend um und entdeckten Mr. Packard, sahen, daß er schon wieder mit ihnen spielte, erblickten auch Train, und derjenige, der

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den Rollstuhl schob, korrigierte sofort die Richtung, versuchte, Albert ein neuerliches Grübeln über die Demütigungen des Vortags und darüber, wie beschissen sich alles entwickelt hatte, zu ersparen. Doch Albert sah sie, beugte sich aus seinem Rollstuhl vor wie ein Hund, der sich bei voller Fahrt halb aus der hinteren Seitenscheibe hängt, und warf ihnen im Vorbeifahren giftige Blicke zu. Mr. Packard lächelte nur, öffnete seine Reisetasche, zog den Cowboyhut heraus und setzte ihn Train auf den Kopf. Der Hut paßte ihm wie ein Lampenschirm, ausbalanciert auf dem Schädel und um die Ohren locker herabhängend. Das Ereignis, die Cassidys in ihrem momentanen Zustand zu sehen, schien irgendwie den ganzen Tag zu retten, und Mr. Packard war während der gesamten Rückreise ausgesprochen vergnügt. Schien glücklicher als Moses in einem Schlauchboot. Sie saßen zusammen ganz vorn, Train am Fenster, und die Stewardeß sprach ihn mit »Sir« an, als sie ihm die Speisekarte brachte. Das Flugzeug hieß Constellation. Die Stewardeß servierte drei Drinks vor dem Essen, und Train hatte Angst, daß der Alkohol Mr. Packard mehr reden ließ als ihm lieb war, und daß ihm nachher, wenn die Wirkung nachließ, klar würde, was er getan hatte, und es ihm leid täte. Aber Mr. Packard redete gar nicht soviel, nachdem er angefangen hatte zu trinken, ließ die meiste Zeit nur seinen Kopf nach hinten aufs Polster sinken und beobachtete die Stewardeß, wie sie den Gang hinauf- und hinunterging. Train machte das gleiche. Das Mädchen hatte ein Hinterteil, man hätte am liebsten ihren Rock weggefuttert, obwohl es, als er hinüberschaute, nicht so aussah, als würde Mr. Packard mit ihm diesbezüglich auf einer Wellenlänge liegen. Vergnügt, aber irgendwo

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ganz weit weg. Der Meilenweit-weg-Mann war wieder unterwegs. Irgendwann nach dem Essen ging die Maschine in Querlage Richtung Süden, und für ein paar Minuten stand die Sonne genau in Trains Fenster, hing am Rand der Welt. Dann fiel sie über die andere Seite, und wenig später sank das Flugzeug mit ihr. Die Stewardeß holte die Gläser ab und wartete, bis Mr. Packard seinen letzten Drink geleert hatte. Als Train wieder nach draußen schaute, schien Los Angeles nach oben zu schweben, um ihnen entgegenzukommen. Er hörte Mr. Packard seufzen. Wo immer er gewesen war, er war noch nicht bereit zurückzukehren. Er trank den letzten Rest aus seinem Glas und gab es der Stewardeß. Sie lächelte und fragte: »Geht’s nach Hause?« Ein Mädchen aus dem Süden. Mr. Packard nickte und sagte: »Nach Hause von der Jagd.« »Seid ihr Leute Jäger?« fragte sie. Sie war offenbar vernarrt in Mr. Packard, das sah Train deutlich. Mr. Packard sah zu ihr auf, schien überrascht, wie hübsch das Mädchen war. Was Train zu der Frage führte, was er die letzten Stunden angestarrt hatte. »Ich, ich trage nur das Gewehr«, sagte Mr. Packard. »Das hier ist der Jäger. Ich trage nur die Gewehre.« Das amüsierte die Stewardeß, und sie gab ihm einen neckischen Klaps auf die Schulter und ging weiter den Gang hinauf. Mr. Packard seufzte wieder. Dann schloß er die Augen. Wenig später, als Train dachte, er wäre eingeschlafen, fing er plötzlich an zu reden. »Kennst du das, du liest eine Geschichte in der Zeitung«, sagte er, »daß jemand irgendwo draußen im Valley aus seiner Haustür getreten ist, um die Milch reinzuholen, und dann wird er vom Milchwagen überfahren? Weißt du, wovon ich rede?«

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Train nickte, meinte zu wissen, wie sich das anfühlen könnte, zumindest anschließend, wenn man, alle viere von sich gestreckt, in den Rosen liegt und versucht zu begreifen, wie man dort gelandet ist. »Tja«, sagte Mr. Packard, »nach allem, was ich erlebt habe, passiert so was häufiger, als man denkt. Wenn du lange genug lebst, muß so was früher oder später passieren. Und nachher, manche Leute scheinen schnell darüber wegzukommen, und manche Leute scheinen nie darüber wegzukommen. Die Ärzte können die Beine wieder zusammenflicken und sagen, die sind jetzt so gut wie neu, aber sie glauben es nie wirklich, und jedesmal, wenn das Unfallopfer aufsteht, fragt es sich, ob irgendwas da drinnen sich wohl lösen könnte, als ob jemand eine Dose ganz unten in der letzten Reihe einer Dosenpyramide in einem Lebensmittelgeschäft wegzieht, und dann bricht alles einfach in sich zusammen. Innerlich, meine ich. Sie rennen durch die Gegend und warten darauf, daß ihre Knochen zerbröckeln. Oder vielleicht wurden sie auch vom Blitz getroffen, als sie gerade telefonierten, und jetzt kann es selbst an einem Tag mit strahlendblauem Himmel klingeln, und sie schaffen es doch nicht, den Hörer abzuheben.« Train wartete, aber für lange Zeit schien das alles gewesen zu sein, was Mr. Packard zu sagen hatte. Doch dann riß er seine Augen weit auf – für einen Moment war es, als hätte er gerade den Milchwagen mit seinem Namen darauf über den Rasen herandonnern gesehen –, und seine Miene war so grimmig, daß Train sich auf seinem Platz ganz klein machte. »Ich erwähne das nur«, sagte er, ruhiger, als er aussah, »weil Mrs. Packard wieder eine schwere Zeit durchmacht. Damit du verstehst, was passiert.« »Nein, Sir. So etwas hab’ ich noch nie gesehen.« Mr. Packard behielt seinen starren Blick. Dann

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schien er sich mehr auf Train zu konzentrieren, als ob er das Wasser aus dem See abließe, um zu sehen, was auf dem Grund war.

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EN REST DES MONATS arrangierte Mr. Packard an jedem Wochenende ein Spiel für Train auf dem Western-Avenue-Platz. Manchmal sagte er, um was Train spielte, manchmal nicht. Mr. Packard ließ sich das Geld auf dem Parkplatz geben oder in der Bar des Clubhauses. Gab Train immer etwas. Fünfzig Dollar, manchmal einen oder zwei Hunderter. Train zählte das Geld und versteckte es, am meisten aber gefiel ihm die große Bedeutung der Sache. Wenn er auf dem Golfplatz war und es um Geld ging, wußte jeder, wer er war. Einige der Spieler, die er besiegte, hatten die üblichen Ausreden, daß sie einen Tennisarm hätten oder Blasen an den Füßen, und manche warfen einfach ihre Schläger in den Kofferraum und fuhren weg. Je schlechter die Leute spielten, desto mehr redeten sie über Krankheiten und Verletzungen. So war es immer. Er erinnerte sich, einmal als Caddie bei einem Viererflight gewesen zu sein, es war, als hätten sie einen Wettbewerb ausgeschrieben, wer als erster starb. Er gewann gern, und er mochte es auch, die Ausreden zu hören. Ihm gefiel das Gefühl, wenn er andere Spieler mutlos machte mit Schlägen, von denen sie nicht mal geträumt hatten. Er mochte es, wenn sie ihn neu beurteilen mußten. Er fing an, nach einer Möglichkeit zu suchen, wie er es schaffen könnte, daß alles so blieb, wie er über den

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nächsten Tag hinausschauen könnte. Fing an zu denken, als gehöre ihm die Zukunft. Im Haus schien es nicht so zu laufen, wie Mr. Packard sich das vorstellte. Es war zwei Wochen her, seit Train auch nur einen flüchtigen Blick von Mrs. Packard erhascht hatte. Aber was wußte er, gut möglich, daß Mr. Packard sie gefesselt hatte. In der nächsten Woche flogen sie nach New York, und in der Woche darauf nach Texas – er hatte geglaubt, schon bei Wind gespielt zu haben, bis er nach Texas kam –, und dann gab es zwei Wochen überhaupt keine Spiele mehr, und Train und Mr. Packard fuhren einfach raus zur Western Avenue und spielten gegeneinander um einen oder zwei Dollar. Mr. Packard machte keine Punkte, und inzwischen hatte Train gesehen, zu welchen Leistungen er fähig war, und es machte eigentlich auch keinen richtigen Spaß, immer wieder den gleichen Platz zu spielen, immer wieder den gleichen Mann zu besiegen, der ihn niemals besiegen konnte, und noch dazu, ohne daß am Ende etwas dabei heraussprang. Nicht mehr, nachdem er um Tausende von Dollars an Orten gespielt hatte, die nicht mal Plural gesehen hatte.

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N EINEM SAMSTAGABEND brachte sie dem blinden Mann etwas zu essen. Es war ihr zur Angewohnheit geworden an diesen langen Tagen, an denen Packard mit dem Jungen außerhalb der Stadt war. Es war heiß, sie hatte acht Pfund zugenommen, und nichts paßte mehr, nicht einmal ihr mexikanischer Ehering. Sie hatte ihn an diesem Morgen abbekommen, aber ihr Finger war immer noch eingekerbt und rundherum grün. Sie schwitzte jetzt nur noch und hielt sich von Badezimmerspiegeln fern. Sie versuchte, sich nicht anzusehen, wenn sie sich anzog. Ihre Füße waren geschwollen, und auf der Innenseite ihres Oberschenkels tauchte eines Morgens eine kleine Ader auf, blau und dick. Sie hatte ein aufgedunsenes Gesicht und fühlte sich einsam; sie merkte, daß sie sich nach der Gesellschaft des Blinden sehnte. Sie brachte ihm Rühreisandwichs und Karottenschnitze. Sie vermutete, daß Fingerfood für ihn am einfachsten zu essen war. »Ich dachte, Sie haben vielleicht Hunger«, sagte sie immer. Sie saß mit ihm wieder an dem kleinen Küchentisch, fühlte sich in seiner Gesellschaft auf eine Weise wohl, wie sie es weder mit Packard noch mit sonst jemandem kannte. Sie streifte ihre Schuhe ab. Die Riemchen hinterließen rote, häßliche Male, und plötzlich schnupperte

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er in der Luft, und sie dachte für einen Augenblick, es läge an ihren Füßen. »Eier«, sagte er, als wäre er verliebt. »Ich esse praktisch gar nichts anderes mehr«, sagte sie. »Eier und Sorbet.« Wurde sich dann bewußt, er könnte bemerken, daß sie ihm kein Sorbet mitgebracht hatte. »Das Sorbet ist leider alle«, sagte sie. »Ich habe aber vielleicht noch etwas Eiscreme.« Wußte er überhaupt, was Sorbet war? Er schien darüber nachzudenken. »Also, von welcher Seite aus man’s auch betrachtet«, sagte er schließlich, »es muß weh tun. Ein riesiges Ei wie das kommt aus diesem kleinen Arschloch.« Sie war sprachlos. Er schob ein Sandwich in seinen Mund und redete trotzdem weiter. »Man hört immer, wie sich Leute beschweren, dieses Hühnchen legt nicht, jenes Hühnchen legt nicht, aber Scheiße, ich würde auch nicht legen. Natürlich, was das betrifft, unterscheiden sie sich nicht so sehr von Frauen. Die dünnen, die’s nicht gewöhnt sind, die schreien, als ging’s um ihr Leben, und die anderen, die mit mehr Fleisch und Erfahrung, die spucken ein Baby einfach aus wie einen Wassermelonenkern.« Dann lächelte er höflich, zeigte das Ei in seinem Mund und sagte: »Hatten Sie selbst schon Kinder, Ma’am?« »Entschuldigen Sie mich«, sagte sie und hob ihre Schuhe auf, und nachdem sie das Gästehaus verlassen hatte, lief sie barfuß zu ihrem eigenen Haus hinüber und nach oben in ihr Schlafzimmer, schloß hinter sich alle Türen ab. Sie ging ins Bett und lag bewegungslos da, lauschte den Grillen und den Flamingos. Da war ein leises Summen von der Lampe im Flur, und sie hörte einen tropfenden Wasserhahn unten in der Küche. Das Haus

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machte von Zeit zu Zeit die Geräusche, die es sonst nachts machte, etwas, das an das Knacken von Knöcheln erinnerte. Sie lag mit dem Gesicht auf dem Kissen und hörte sich atmen. Sie dachte über das nach, was der blinde Mann gesagt hatte, und fragte sich, welche schrecklichen Dinge er getan hatte. Sie – die Neger – hatten alle eine Leiche im Keller; sie hatte es die ganze Zeit gewußt. Und er hatte sich über sie lustig gemacht. Er hatte es geschafft, daß sie verlegen wurde, Angst bekam und sich schämte, und sie wußte genau, er war jetzt dort drüben und lachte noch immer. Sie konnten Angst riechen.

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IE SASSEN WIEDER IM FLUGZEUG, dieses Mal mit Ziel Rocky Mountains. Der Spieler dort war ein College-Junge, nicht viel älter als Train. Er schlug den Ball sehr weit, konnte die Flugbahnen seiner Schläge an den Platz anpassen, links und rechts, aber Train sah, daß er zuviel nachdachte. Vielleicht über das Geld, vielleicht über die Männer, deren Geld es war, warf ihnen immer wieder kurze, verstohlene Blicke zu, nachdem er geschlagen hatte, wollte wissen, ob ihnen gefiel, was er tat. Versuchte, es jedem zur gleichen Zeit recht zu machen. Der Spieler hieß Otto Stiles, und er hatte es kurz vorher bis ins Viertelfinale der U.S. Amateur Championship geschafft. Train schlug ihn mit sechs vor bei fünf noch zu spielenden Löchern auf einem Golfplatz achtzehnhundert Meter hoch in den Bergen. Ohne einen einzigen schlechten Schlag. Sie beendeten die Runde in weniger als zwei Stunden am späten Nachmittag, und der Ball hatte länger in der Luft gehangen, als es möglich schien, so als wollte er gar nicht mehr runterkommen. Manchmal konnte Train ihn vom Abschlag aus landen hören, das weiche und doch solide Geräusch einige hundert Meter entfernt. Ohne es in Worte zu kleiden – es gab keinen Grund, es in Worte zu kleiden –, war es der reinste Tag, den er je hatte. Es würde bessere Ergebnisse geben – es war gerade mal ein Score von Sechsundsechzig Schlägen; er

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hatte schon oft bessere Ergebnisse gespielt – und auch Tage, an denen er weiter und gerader schlug, aber an diesem einen Nachmittag war irgendwie nichts vergeudet. Unter dem Strich war es doch genau das, worauf es ankam: nichts war vergeudet. In den Bäumen saßen Eulen, und der College-Junge und er spielten ein schönes Tempo, und niemand redete zuviel. Es hieß nicht ständig: »Schöner Schlag« oder »Leck mich« oder »Schlag ihn, Alice«. Niemand lachte oder heulte sich die Augen aus oder sagte, er habe sich verletzt. Die Männer in Begleitung des College-Jungen besprachen sich immer wieder kurz, während sie weitergingen und sahen, daß ihnen das Match entglitt, aber was sie sagten, behielten sie für sich, und sie achteten auf genügend Abstand zu Train und Otto Stiles, damit sie nicht gehört werden konnten. Nach dreizehn Löchern, als der College-Junge sechs zurücklag, gaben sie auf. Nach dem Spiel gingen sie zum Parkplatz, um abzurechnen; Mr. Packard und die Leute, die den CollegeJungen mitgebracht hatten, kümmerten sich ums Geld. Das war Train inzwischen gewohnt. Man ließ ihn den Platz spielen, aber es herrschte stillschweigende Übereinkunft, daß er nicht mit ins Clubhaus genommen werden konnte. Was ihm überhaupt nichts ausmachte; er war der Grund, weswegen alle überhaupt da waren. Er war das As. Mr. Packard saß auf dem Kofferraum des Autos der Zocker, während sie die Scheine hinblätterten. Wind war aufgekommen, es wurde kalt, und das Auto schüttelte ihn, während der Motor warmlief. Train sah seine Schnürsenkelenden auf dem Schuhleder tanzen. Dann wechselte das Geld die Besitzer – sah für ihn wie fünfzehntausend Dollar aus –, aber Otto Stiles sah es nicht. Er stand allein etwas abseits, starrte auf den Boden und fragte sich, wie das nur passieren

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konnte. Der Junge blinzelte gegen die Tränen in seinen Augen an. »Morgen?« fragte Packard und steckte das Geld ein. Er gab ihnen immer eine Chance auf Revanche. Train sah, wie Otto Stiles sich bei dieser Frage krümmte, es konnte aber auch einfach am kalten Wind gelegen haben. Der Mann, der das Geld gezahlt hatte, musterte den College-Jungen, als wäre das eine besonders heikle Frage. »Ich glaube nicht, nein«, sagte er. »Wir müssen nicht um irgendwas spielen«, sagte Mr. Packard. »Wenn Sie wollen, spielen wir einfach ums Abendessen. Was immer Sie möchten.« Dann wanderte sein Blick zu Otto Stiles. »Er ist ein guter Golfer«, sagte er. Bei den letzten vier Löchern nach der Wende hatte Otto Stiles völlig seinen Rhythmus verloren, als ihm klar wurde, daß ihm das Spiel entglitten war. »Ich denke, er braucht jetzt erst mal eine Pause«, sagte der Mann. An diesem Abend zählte Mr. Packard im Restaurant fünfzehn Einhundertdollarscheine ab und gab sie Train. Ohne nachzuzählen steckte Train das Geld in seine Brusttasche, genau wie Mr. Packard es gemacht hatte, als die Zocker es ihm gaben.

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S DAUERTE DEN GANZEN TAG, um nach L.A. zurückzukehren, und je näher sie kamen, desto schneller bestellte Mr. Packard seine Drinks, und ungefähr zehn Minuten nachdem Mr. Packard ins Haus gegangen war, hörte Train sie oben streiten, ihn und Mrs. Packard. Irgend etwas war nicht in Ordnung, aber sie wollte ihm nicht sagen, was. Gerade noch brüllte sie ihn an, er solle sofort das Haus verlassen, und im nächsten Augenblick wurde sie still, und Train wußte, das war irgendwie noch härter für ihn, als wenn sie schrie. Eine Tür wurde zugeschlagen, und er rief nach ihr, aber es kam keine Antwort. Er rief sie wieder und wieder, klang verletzt und ungeduldig zugleich, als hätte sie seinen Schniedel in der Tür eingeklemmt. Train und Plural saßen draußen neben dem Pool. Die Nacht war heiß und windig, und Train hatte Plural von den Eulen und dem Schnee in den Bergen erzählt. Er sei selbst schon mal in Denver gewesen, sagte Plural, an Eulen könne er sich nicht erinnern. Es war keine besonders gute Geschichte, aber hauptsächlich redete er, um die Peinlichkeit dessen zu überspielen, was im Haus stattfand. Das einzige Mal in letzter Zeit, daß Train ihn reden hören wollte, um die Geräusche im anderen Haus zu überdecken. »Ich habe in Denver einen einheimischen Burschen namens Milton Hopper k.o. geschlagen«, sagte Plural. »Sie nannten ihn ›Little Rhino‹, der Junge hat den gan-

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zen Abend versucht, mir ein Ding reinzuhauen, und dann hat das Publikum Pennies geworfen, als ich den Ring verließ. Die haben gebrüllt: ›Laß dich nicht mehr hier blicken, Junge.‹« Darüber mußte er lächeln, eine Erinnerung aus seinem Leben im Ring. Er grübelte noch eine Weile darüber nach und wurde ein wenig traurig. Er sagte: »Und dann hab’ ich herausgefunden, daß ich nur sechs Runden im Tank hatte.« Er drehte sich zum Haus um. »Sie ist rausgekommen, um mit dem Auto irgendwohin zu fahren, und ich hab’ versucht, ihr die Wagentür aufzuhalten, um ihr zu helfen, wie Mr. Packard gesagt hat, aber als die Frau mich sah, ist sie sofort wieder ins Haus gerannt. Einmal hat sie ›Aufhören!‹ gebrüllt, und dann ist sie plötzlich ins Auto gestiegen und mit quietschenden Reifen die Einfahrt runter, als hätte sie gerade die First National überfallen.« Sie saßen still da, lauschten auf Mr. Packards Stimme von drinnen. In einem anderen Zimmer ging das Licht an und dann wieder aus. Als würde er sie jetzt jagen. Der Wind rüttelte an den Bäumen, dann hörten sie, wie die Flamingos nebenan es sich für die Nacht bequem machten. Klang wie ein Hof voller Schweine. »Hat der Mann dir wieder Geld gegeben?« fragte Plural. »Ein bißchen«, sagte Train. Plural schüttelte den Kopf und flüsterte: »Was will er?« Train antwortete nicht – er wußte es nicht –, und in der Stille hörten sie oben im Haus Mr. Packard, der darum bettelte, daß sie ihm das gleiche sagte.

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IE POLIZEI VON BEVERLY HILLS traf am späten Nachmittag ein; die Sonne fiel schräg durch die Fenster. Packard und der Junge waren noch draußen auf dem Golfplatz. Die Polizei klopfte an die Haustür und wartete. Sie öffnete die Tür einen Spaltbreit, immer noch im Morgenmantel, und bemerkte, daß einige Nachbarn sich bereits auf der anderen Straßenseite versammelt hatten. Zigarren und Sandalen, eine alte Frau mit blauen Haaren und Lockenwicklern. Einer der Polizisten war jung, und er registrierte von ihr so viel, wie er durch den Spalt erkennen konnte. Es hatte Beschwerden gegeben, daß jemand die Flamingos der Nachbarn bedrohte, sagte er. Sie hörte es seiner Stimme an, daß er den täglichen Kleinkram der Polizeiarbeit genoß. Alecs Zwölf-Schuß-Zwillingsschrotflinte lehnte an der Wand, keine dreißig Zentimeter von ihrer Hand entfernt. An schlechten Tagen schleppte sie die Flinte jetzt mit sich herum, von Zimmer zu Zimmer, wußte immer, wo sie war. Das war natürlich nutzlos – selbst wenn sie gewußt hätte, wie man damit schießt, konnte sie das Gewehr kaum in Schußposition heben. An guten Tagen überlegte sie, die Flinte den Pfadfindern zu spenden, oder welche andere karitative Organisation auch immer Schußwaffen annahm. Dieser Tag hatte, wie so viele andere, hell begonnen und sich nachmittags verdunkelt.

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Es lag an all dem Warten und Sich-Sorgen-Machen um das Baby und Packard. Zuviel war in zu kurzer Zeit passiert. Manchmal fühlte sie sich, als wäre überhaupt kein Platz mehr in ihr. Und das Baby wuchs weiter. Beide Polizeibeamte waren höflich, hielten ihre Hüte unter den Armen. Sonnenbrillen. Sie sah die Kopfhaut durch ihre Bürstenschnitte schimmern. »Ma’am?« sagte er. »Ich hole meine Handtasche«, sagte sie. Auf der anderen Straßenseite waren jetzt weitere Leute dazugekommen, ein älteres Paar mit einem weißen Pudel. Es gefiel ihr nicht, die Polizei vor ihrem Haus zu haben, und sie wollte schon eine Spende für das Rodeo machen. Moment – das war das Sheriff’s Department. Das hier war die städtische Polizei. Sie führten eine jährliche Sammelaktion für die Witwen und Waisen durch, obwohl sie nicht glaubte, daß seit dem Krieg in Beverly Hills ein Polizist getötet worden war. Sie meinte, daß bei einem großen Hollywood-Begräbnis einer von einer Limousine angefahren worden war, aber sie konnte sich nicht erinnern, wessen Beerdigung das gewesen war. Sie erwog, ihnen die Schrotflinte anzubieten. »Es ist nicht nötig, Ihre Handtasche zu holen, Ma’am«, sagte der junge Polizeibeamte. »Wir haben uns nur gefragt, ob wir vielleicht mit Ihren Gästen sprechen dürften.« Wie der Gäste sagte, wußte er, was sie waren. Sie lächelte ihn an, versuchte, auf etwas zu kommen, das sie sagen könnte, versuchte, überhaupt etwas herauszubekommen, versuchte, sich dann wieder zu erinnern, wessen Beerdigung es gewesen war, bei der der Polizist verletzt wurde, und dann sah sie ein, daß nichts davon der Mühe wert war. Egal was. Alles war zu schwer. »Ma’am«, sagte der Jüngere, »wenn Sie mir einen persönlichen Gefallen tun könnten, würde es mir das

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Leben erheblich einfacher machen. Was ich gern tun würde, ist folgendes, ich würde jetzt gern einfach hinters Haus gehen und ein Wort mit Ihren Gästen wechseln.« Oh, er bezauberte sie. Sie schloß die Tür. Die Polizisten blieben eine Weile, wo sie waren, dachten vielleicht, daß sie sich anzog. Fünf Minuten vergingen, dann zehn. Sie beobachtete alles von oben, saß hinter einem Fliegengitter. »Weißt du, Dick«, sagte der Jüngere, »es ist dir vielleicht nicht aufgefallen, aber das war ein hübsches Bein. Wenn sie nur etwas Make-up auflegen und sich die Haare waschen würde.« Und sie berührte ihr Haar, um zu sehen, ob es sich strähnig anfühlte, und dann ging er allein die Zufahrt hinauf Richtung Garten. Und sechzig Sekunden später war er bewußtlos. Der ältere Cop stand immer noch vor dem Haus, saß im Streifenwagen, als Packard und Train vom Golfplatz zurückkamen. Es wurde dunkel. Packard zog die Handbremse an und stieg aus, ignorierte die Nachbarn auf der anderen Straßenseite und marschierte schnurstracks auf den Streifenwagen zu. Der Polizist sah ihn näher kommen und ließ sich viel Zeit, die Seitenscheibe herunterzukurbeln, um zu reden, kümmerte sich überhaupt nicht darum, wie der Mann über den Rasen auf ihn zumarschiert kam. »Gibt’s ein Problem?« fragte Packard. Es lag nichts Freundliches in dieser Frage, aber auch nichts Aufgeblasenes. Der Polizist verstand sofort, daß er hier keinen normalen Einwohner von Beverly Hills vor seiner Seitenscheibe stehen hatte, daß dieser hier wahrscheinlich in seinem ganzen Leben noch nie jemanden bedroht hatte. Diesen Schritt würde er einfach überspringen. Eine gewisse Furcht durchfuhr

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ihn, etwas wie ein Fallen, etwas wie kleine Affenhände auf seinen Eiern. »Wir gehen nur gerade einer Beschwerde aus der Nachbarschaft nach«, sagte er und hörte seinen veränderten Tonfall. Packard wartete, und der Polizist wendete sich ab, um sich eine Zigarette anzuzünden. Um sich zu sammeln. »Irgendwas wegen Flamingos. Mein Partner ist hinter dem Haus.« Packard fixierte ihn von oben herab durchs Fenster, und der Polizist sagte: »Er dachte, Sie haben bestimmt nichts dagegen, wenn er nach hinten ginge und mit ihnen redete. Einfach nur ein kleines Gespräch, eine Unterhaltung über Flamingos. Die Missus ist zwar zur Haustür gekommen, aber sie wirkte nicht sehr kooperativ.« »Er ist allein hinter das Haus gegangen?« »Nur auf eine Unterhaltung, Chef. Ein kleines Schwätzchen.« Train wartete immer noch beim Auto, Mr. Packard eilte besorgt an ihm vorbei, und Train schloß sich ihm sofort an, wie er es immer tat. Der andere Polizist lag auf seiner Seite neben dem Pool, Motten zogen ihre Kreise im Licht um seinen Kopf. Sahen aus wie die Piepmätze in einem Comic, nachdem jemand k.o. geschlagen worden war. Plural saß auf einem Gartensessel nicht weit davon entfernt, wiegte sich vor und zurück, wie eine Großmutter, die über ein schlafendes Baby wacht. Beim Geräusch der Schritte schaute Plural auf und erkannte, wer es war. »Die Golfer«, sagte er und lächelte breit. Als hätte er völlig vergessen, daß er einen Polizisten auf der Terrasse flachgelegt hatte. Der Polizist rührte sich nicht, es sah aus, als spielte er toter Mann. Mr. Packard untersuchte ihn kurz, hob ihn dann auf, als würde er überhaupt nichts wiegen, und

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setzte ihn auf einen Stuhl nicht weit von Plural entfernt. Eine Schwellung bedeckte eine Seite seines Kopfes und verschwand unter seinem Haaransatz, sah aus wie eine halbe Kartoffel. Der Polizist vergrub sein Gesicht in den Händen, versuchte, sich zu orientieren. Seine Pistole steckte noch in ihrem Holster, und sein Hut trieb im Pool. Das Gestell seiner Sonnenbrille befand sich noch auf seiner Nase, aber die Gläser waren dort, wo er gelegen hatte, etwa genau in dem gleichen Abstand zueinander wie im Originalzustand. Train hatte schon gesehen, wie Plural Leute schlug, aber es war schwer nachzuvollziehen, wie er es geschafft hatte, ihm die Gläser aus der Brille zu schlagen. Mr. Packard holte den Pool-Kescher und fischte den Hut aus dem Wasser. Der Polizist nahm ihn, ohne aufzuschauen, anscheinend ohne zu bemerken, daß er naß war. Er hielt ihn auf seinem Schoß, mit gesenktem Kopf, ihm war schlecht, und er schwitzte und wartete darauf, daß diese ganze üble Geschichte vorüber war. »Was haben Sie hier hinten zu suchen?« fragte Mr. Packard. Train erstarrte bei dieser Frage, und eine Sekunde lang kam es ihm vor, als ob Mayflower statt des Polizisten auf der Terrasse saß. Daß alles herausgekommen war. Wünschte sich in dieser Sekunde, Plural überhaupt nie begegnet zu sein. Wünschte sich, dieser ganze Ärger hätte überhaupt nichts mit ihm zu tun. Ohne aufzublicken gestikulierte der Polizist in den leeren Raum und fragte: »Wurde ich angeschossen?« »Nein«, sagte Mr. Packard, »Sie sind in Ordnung.« »Du bist in Ordnung«, sagte Plural. Der Polizist griff nach unten, um sich zu vergewissern, daß seine Waffe noch im Holster steckte. »Ich glaube, ich muß gleich kotzen«, sagte er. »Und auf geht’s«, sagte Plural und hob seine Füße.

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Die Übelkeit verging jedoch, und der Polizist ließ sein Gesicht wieder in seine Hände sinken und linste zwischen seinen Fingern hindurch auf seine Füße. Glänzende schwarze Schuhe, weiße Socken. Er führte die Finger durch das leere Brillengestell. Das ließ ihn einen Moment innehalten, er versuchte dahinterzukommen, was hier nicht in Ordnung war. »Scheiße«, sagte er, »ich kann mich nicht erinnern, wo ich bin.« Sein Hut fiel auf den Boden und rollte etwa einen halben Meter, und er zog an der Haut auf seinem Gesicht, als würde er gern seinen Kopf in die Hände nehmen und diese dann ausstrecken, um ihn sich genauer anzusehen. Train erkannte, daß die Situation für ihn immer noch völlig verworren war und er die Einzelteile nicht zusammenfügen konnte. Der Polizist sah wieder Plural an, schien ihn jetzt zu erkennen. »Dieser Mann da hat auf mich geschossen«, sagte er. »Sie wurden nicht angeschossen«, sagte Mr. Packard, »aber in der Nähe von Blinden sollte man seine Absichten immer unmißverständlich klarmachen.« Darauf reagierte Plural mit einem Nicken, als wäre es genau das, was er auch dachte, und dann scheuchte irgend etwas die Vögel auf der anderen Seite des Zaunes auf, das leise Zwitschern verwandelte sich in ein Kreischen, und sie schlugen mit den Flügeln und veranstalteten ein Mordsspektakel, dann ließen sie sich nach und nach wieder auf der Südseite des Teichs nieder. Ohne jeden Grund, die Vögel machten es einfach. Der junge Cop zuckte bei dem Flattern und dem Lärm zusammen, dann schaute er auf, und entweder durch das, was er sah, oder durch die Bewegung selbst wurde ihm schlagartig wieder todschlecht. »Mein Gott«, keuchte er, »wie könnt ihr Leute nur in diesem Chaos leben?«

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Train hörte, wie sie sich in dieser Nacht wieder stritten. Es kam von unten aus der Küche. »Er wußte nicht, wer es war«, sagte Mr. Packard. Train sah, wie sich ihre Schatten im Haus über eine Wand bewegten. »Er hat nur das Haus beschützt.« Trotzdem keine Antwort. Überhaupt nichts.

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38 SEATTLE

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N DIESEM WOCHENENDE ein weiteres Match auf dem Western-Avenue-Platz, und dann hinauf nach Seattle. Mr. Packard trank seinen ersten Drink, noch bevor das Flugzeug startete. Train sollte um einen Fünfziger gegen einen Mann in Seattle spielen – so nannten sie in dieser Zeit fünfzigtausend, einen Fünfziger. Aber es war nicht das Geld, worauf sie es abgesehen hatten. Das Geld einzustreichen schien Mr. Packard nicht glücklicher zu machen, als Albert Cassidys Cowboyhut an sich zu nehmen. Dennoch hatte Train überall etwas für ihn gewonnen, wo er auch spielte, und als die Einsätze höher wurden, fing Mr. Packard an, ihm anschließend fünfhundert oder tausend Dollar zu geben. Er riet Train, es auf einer Bank zu deponieren, aber Plural sagte, er solle es selbst aufbewahren. »Es gibt immer irgendwen auf dieser Welt, der auf dein Geld aufpassen will«, sagte Plural. Train sah, daß seine Sichtweise damit zusammenhing, daß er sich immer wieder fragte, was Mr. Packard wollte. Die Stewardeß kam vorbei, und Mr. Packard machte sie auf sich aufmerksam und zeigte auf sein Glas. Sie lächelte ihn an, aber da hatte er sich bereits wieder zum Fenster gedreht. Sie weitete das Lächeln auf den Nachbarsitz aus und fragte Train, ob er noch einen Orangen-

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saft wünsche oder vielleicht ein paar Erdnüsse. Er sah nicht alt genug aus für Alkohol – das sah er selbst – und fragte sich, ob sich das wohl jemals änderte. Der Pilot meldete sich über Lautsprecher und teilte mit, daß sie in fünfundvierzig Minuten Seattle erreichen würden. Train stand auf, um seine Beine zu strecken, ging dorthin, wo die Stewardessen das Essen zubereitet hatten, und schaute aus dem Fenster. Es war dunkel, und unter ihnen sah er eine Linie unregelmäßig verteilter Lichter, Lastwagen und Autos. Jeder ging seiner eigenen Wege, und Train hier oben über ihnen war unterwegs nach Seattle, um das Geld anderer Leute zu verwetten und anschließend nach Hause zurückzukehren. So wichtig wie Native Dancer auf dem Weg zum Kentucky Derby. Zwei weitere Stewardessen saßen auf ihren Plätzen und unterhielten sich, und als sie Train vor dem Fenster stehen sahen, starrte eine der beiden ihn an, und die andere schaute fort. Beide dachten hier oben dasselbe, nämlich daß er nicht in einem Flugzeug sein sollte. Sie hätten ihn spielen sehen müssen, um zu verstehen, daß er in das Flugzeug gehörte. Er kehrte zu seinem Platz zurück, und Mr. Packard nippte an seinem Drink. »Ich fürchte, wir haben ein kleines Problem, Mr. Walk«, sagte er. Es klang, als hätte das Leben ihn erschöpft. Train wartete darauf zu erfahren, um was es sich handelte. Er ahnte, daß es jetzt für ihn vorbei war, daß er sich jetzt etwas anderes suchen mußte. Er versuchte sich zu erinnern, wie es vorher gewesen war, als er noch nicht wichtig war. Train spürte, wie sich die Tonhöhe der Motoren veränderte, dann neigte sich die Maschine in die Nacht. Manchmal kam es ihm vor, als würde er alles, was passierte, unmittelbar davor spüren. Es schien, als sehe er zu viele Zusammenhänge, wisse zu viele Dinge im voraus.

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»Dein Freund Plural …« Train wartete, spürte es kommen. »Es wird zu einem Problem.« Train wollte schon sagen, er könne ihn loswerden, doch er bremste sich. Er dachte daran, was das bedeutete, wie er Plural sagen würde, daß er gehen mußte. »Wegen den Vögeln?« sagte Train, aber er wußte, daß es das nicht war. »Nicht wegen der Vögel«, sagte Mr. Packard. Der Mann in Seattle hieß Skagstead, war glatzköpfig wie ein Baby und auf die Welt gekommen, um Spaß zu haben. Der erste Spieler, seit sie in dieser Branche angefangen hatten, der mit Train herumalberte, während sie über den Platz gingen, und der eine gewisse Freundlichkeit während des Spiels wahrte. Skagstead und der Mann mit dem Geld fuhren in einem Golf Cart, in dem sie auch eine Kühltasche mit Bier transportierten, und er trank eines, und dann trank Skagstead auch eines, wie bei einem Duell von Steptänzern, die ganze Zeit. Sie gaben Mr. Packard ein Bier und boten auch Train eines an, und als Train dankend ablehnte, fragten sie, ob er lieber eine Limonade haben wollte. Sie blieben die ganze Runde gut gelaunt, und irgendwie erreichten sie bei all dem Biertrinken und der Freundlichkeit die Nummer Achtzehn und lagen nur ein Loch hinten. Der Glatzkopf sah beim Schlagen nicht wirklich bravourös aus, aber er konnte spielen. Das achtzehnte Loch war ein Par Fünf, und der glatzköpfige Mann erreichte mit zwei langen Schlägen das Grün. Train fehlten bis ins Loch zwölf Meter. Der glatzköpfige Mann war etwas weiter weg und schlug seinen Putt, seinen besten Putt an diesem Tag, vom unteren Rand des Grüns. Der Schlag sah zu fest aus, doch dann nahm er den Break des Grüns hart links,

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wurde langsamer und blieb dann genau am Rand des Lochs liegen. Der Ball schnupperte am Loch, schwankte halb drinnen und halb draußen. Train und Mr. Packard sahen sich an, und genau in diesem Augenblick schwebte ein Schmetterling ins Bild – nicht mal ein Monarchfalter, einfach nur ein kleiner weißer Schmetterling – und ließ sich auf diesem Ball nieder, und der Ball fiel ins Loch. Keiner von ihnen hatte so etwas schon mal gesehen, und alle wußten, daß sie es auch nie wieder sehen würden. Genau wie sie wußten, daß der Glatzköpfige bei einem Golfmatch nie wieder so dicht an Train herankommen würde. Mr. Skagstead verhielt sich ausgesprochen fair, sagte, sie sollten in den Regeln nachschauen, um sich zu vergewissern, daß es keine Strafe für die Hilfe eines Schmetterlings gab – was Trains Erfahrung nach genau einer der Fälle war, für die es in den Golfregeln tatsächlich eine Vorschrift gab –, doch das brachte Mr. Packard dermaßen zum Lachen, daß er am Ende fast erstickte. Als er wieder reden konnte, sagte er, Scheiße, das interessiere ihn nicht, was passiert war, war passiert, Train verfehlte seinen Putt bergauf, und sie ließen es dabei bewenden, im Gleichstand. Und Golf fühlte sich auf neue Art gut an, wie es bislang noch nie der Fall gewesen war. Es war unabhängig davon, im Mittelpunkt zu stehen und Geld zu gewinnen. Train dachte darüber nach, wie lange er dieses Spiel spielte, bevor er herausfand, daß er es des Spiels selbst wegen mochte. Mr. Skagstead und sein Mann kannten ein Lokal mit einer Schüssel Erdnüsse auf dem Tisch und Sägemehl auf dem Boden, und kein Mensch sah Train zweimal an, als sie alle zusammen hineinkamen. Sie aßen zusammen zu Abend und tranken Tequila, sogar Train versuchte es,

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aber er fand, daß es nach Schweiß schmeckte. Während des Essens schaute Mr. Skagstead plötzlich auf, als wäre ihm gerade eben etwas wieder eingefallen, und lächelte über den Tisch, mit Augen, denen der Alkohol schon deutlich anzusehen war, sein Kopf war verschwitzt, und er sagte dies nur zu Train, als würden allein sie beide es verstehen können. »Es hat einen Mordsspaß gemacht«, sagte er.

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N DIESEM NACHMITTAG HATTE SIE GESCHLAFEN. Sie wachte mit klarem Kopf auf und dachte darüber nach, wie sie das Kinderzimmer gestalten würde. Eine Stunde später dachte sie an den blinden Mann, wie er immer versuchte, ihr die Autotür aufzuhalten, ihr die Lebensmitteltaschen zu tragen. Es versuchte. In der Sicherheit des Nachmittags war sie über sich selbst erstaunt, wie sie ihn behandelt hatte. Und sie war klug genug, nicht die Dinge zu sagen, die sie Packard gesagt hatte; sie wußte, sie waren nicht alle gleich. Sie berührte ihren Bauch und fragte sich, ob er es da drinnen gespürt hatte, ob sie dem Baby auch angst gemacht hatte. Später machte sie einen Teller mit Keksen fertig und ging zu ihm hinüber. Übte ihre Entschuldigung. Die Abenddämmerung hatte bereits eingesetzt; die Luft war heiß und unbeweglich. Sie klopfte an und wartete, und mit einem Mal registrierte sie einen gewissen Geruch, etwas Feuchtes und vage Metallisches. Im Inneren erhob sich ein Geräusch und erstarb wieder, dann ging die Tür auf, und er stand auf der Schwelle, ohne Hemd und in Unterhose, das Gesicht zum Mond gewandt, Arme und Brust mit Blut und rosa Federn bedeckt, und in der Luft und überall auf dem Boden und den Möbeln waren noch mehr Federn. Eine seiner Hände war direkt unterhalb des Kopfes des Tieres zu einer Faust geballt, und darunter, schlaff herabhän-

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gend, dreißig Zentimeter Hals, der vom Körper abgerissen worden war. Er schien zu wissen, was sie dachte. Er lächelte sie breit an, auch zwischen seinen Zähnen klebten Federn und Blut. Er hatte den Kopf abgebissen. »Die Hausherrin«, sagte er. »Was haben Sie heute abend für mich?« Sie rührte sich nicht, dachte, er wollte ihr auch das Baby aus dem Leib reißen. Daß es genau jetzt passieren würde. Was auf dem Schiff begonnen hatte, endete in diesem Augenblick. Der Kreis hatte sich geschlossen. Er schmatzte mit den Lippen, als sie zurückwich. »Wissen Sie, es ist eine hungrige Welt«, sagte er.

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40 HEIMKEHR

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UF DER RUNWAY WAR MR. PACKARD STILL und unruhig zugleich, und Train wußte, daß der Augenblick gekommen war, an dem Mr. Packard ihm sagen würde, was er ihm schon die ganze Zeit über versucht hatte zu sagen – daß er sich einen anderen Unterschlupf suchen sollte. Aber Mr. Packard wartete, bis das Flugzeug in der Luft war. »Es hat sich also herausgestellt, daß du ein echter Spieler bist«, sagte er. »Wenigstens ist das für dich dabei herausgekommen.« Als wäre so alles zwischen ihnen geklärt. »Das wußte ich schon«, sagte Train. Kein Widerspruch, er versuchte einfach nur, es noch etwas länger festzuhalten. Mr. Packard bestellte bei der Stewardeß zwei doppelte Bourbon und schloß die Augen. »Hör zu«, sagte er, »zu Hause ist etwas falsch gelaufen. Sie leidet ständig unter Todesängsten, und es wird immer schlimmer statt besser.« »Wovor?« »Vor Plural, glaube ich. Es ist schwer, das mit Sicherheit zu sagen.« Und jetzt unterhielten sie sich, wie Menschen sich normalerweise unterhalten, als stünde nichts zwischen ihnen, das zu berücksichtigen war. Train nickte, dachte wieder daran, Plural woanders unterzubringen. In einem Blindenheim oder wieder irgendwo in einer Boxhalle. Die Stewardeß brachte die

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Drinks, und Mr. Packard kippte ein Glas sofort und gab es ihr leer zurück, bevor sie sich von der Stelle bewegte. »Meine Güte«, sagte sie. »Da amüsiert sich heute abend aber jemand.« Sie lächelte kläglich wie jemand, der ihn gerade mit Mumps ins Bett gesteckt hatte. »Ich hoffe, du kannst das verstehen«, sagte er wenig später. »Daß du es uns nicht übelnimmst.« Uns. »Es geht im Grunde sogar nicht mal um deinen Freund, das glaube ich nicht. Sie hat Angst vor ihm wegen etwas, das vorher passiert ist. Für eine Weile war es fort, und jetzt ist es wieder da.« Seine Stimme hatte einen gewissen Klang, der Train daran erinnerte, wie Mr. Packard sich abends aus dem Haus angehört hatte. Der Mann suchte Erleichterung. Er drehte sich zu Train um, erhielt keinerlei Reaktion, schließlich lehnte er seinen Kopf gegen das Fenster. »Ich weiß nicht, wie das alles enden wird«, sagte er. »Aber wenigstens hast du herausgefunden, daß du spielen kannst und daß du mit jedem spielen kannst. Das ist etwas wert.« Doch das hatte er bereits gesagt. Das Flugzeug machte eine Zwischenlandung in San Francisco, wo Passagiere eines anderen Flugs zustiegen. Einer von ihnen, ein alter Priester mit gerötetem Gesicht, hatte Trains Platznummer auf seinem Ticket. Die Stewardeß überprüfte beide Flugscheine, während der Priester Train wie über den Lauf eines Gewehrs fixierte. Alle anderen Plätze der ersten Klasse waren belegt. »Wir könnten Sie weiter hinten unterbringen«, sagte die Stewardeß zu dem Priester. Er drehte sich zu ihr, um sich mit eigenen Augen diese Person anzusehen, die es wagte, den Leib Christi, oder wie immer man es nannte, in die Touristenklasse zu verbannen. Sie gab schnell auf, drehte sich um und lächelte

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Train an, wollte überhaupt nichts mit dieser Sache zu tun haben. Train bemerkte die Ringe an den Fingern des Priesters, vier an einer Hand; er hörte ihn atmen. Hörte sich an wie eine eiserne Lunge. Der Priester schwankte leicht, und Train roch Alkohol, etwas, das er nicht genau einordnen konnte, vielleicht Wodka. Er bemerkte die Äderchen auf der Nase und den Wangen des alten Mannes. Train blieb, wo er war, wartete darauf, daß Mr. Packard es in Ordnung brachte. Er klammerte sich an den Gedanken, daß Mr. Packard alles in Ordnung bringen konnte. Aber Miller Packard hatte schon sechs Drinks intus und starrte wieder nur aus dem Fenster, beobachtete, wie die Koffer über eine Rampe ins Flugzeug gebracht wurden. »Lassen Sie mich den Piloten holen«, sagte die Stewardeß und trat durch die Tür ins Cockpit. Inzwischen schaute jeder im Passagierraum auf Mr. Packard. Der Priester legte eine Hand auf die Rückenlehne des Sitzes; Train roch Zigarettenqualm an ihr, spürte das Gewicht des Mannes. Spürte, wie seine eigene Zeit ablief. Der Pilot kam heraus, setzte seine Mütze auf. Er sah sich die Tickets an, schüttelte den Kopf und schürzte die Lippen. Dann beugte er sich höflich lächelnd vor und sagte zu Train: »Sir, ich bin sicher, es wird Ihnen nichts ausmachen, wenn wir Ihnen einen neuen Platz geben?« Train wartete eine letzte Minute, aber Mr. Packard war irgendwo anders. Hatte ihn bereits hinter sich gelassen. Und das schien seine letzte Chance zu sein. Der Pilot beugte sich noch ein wenig weiter vor und flüsterte ihm zu, als wollte er dies von den anderen Passagieren fernhalten. »Es ist ein geistlicher Herr«, sagte er. Train stand auf und folgte der Stewardeß in den hinteren Teil des Flugzeugs. Als er durch den Vorhang ging, der die Klassen trennte, drehte er sich noch einmal

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um und sah, wie der Priester den Sitzplatz mit einem Taschentuch abwischte, bevor er sich setzte. Mr. Packard wartete am Gate auf ihn, als er aus der Maschine kam. »Was ist passiert?« fragte er. »Ich drehe mich um und sitze neben einem Priester.« Er wartete nicht auf eine Antwort, sondern zog sich meilenweit zurück und wurde traurig, starrte auf eine alte Frau, die auf einer Kiste saß und mit einem Hund namens Barney redete, der sich darin befand. Und dann das gleiche auf dem Rückweg. Eine Meile entfernt. Er kam lange genug zurück, um Train einen acht Zentimeter dicken Umschlag zu geben. Er war voller Geld, aber inzwischen roch es schlecht, genau wie Mr. Packard gesagt hatte. Es war vermutlich das gesamte Geld, das sie gewonnen hatten, von Beginn an. Mr. Packard setzte an, etwas zu sagen, doch dann ließ er es dabei bewenden. Wahrscheinlich, um ihm zu sagen, daß er wenigstens herausgefunden hatte, daß er spielen konnte.

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IE LAG DEN GANZEN TAG IM DUNKELN, die Arme über dem Bauch verschränkt, und starrte ins Nichts. Sie hatte drei Schlaftabletten genommen und einen Weihnachtsbaum, doch es schien sie nur noch wacher zu machen, bewußter der sich bewegenden Dinge, Muster auf der Decke, dunkle Schatten, die kamen und gingen; alles war vertraut, aber verschwommen. Sie wollte etwas Deutliches, Klares. Dann schaute sie in die Ecke des Zimmers, und für einen Augenblick sah sie den Kopf des toten Vogels über der Faust des blinden Mannes. Sie lag ganz still, konnte es nicht noch einmal sehen, wußte, daß es da war. Sie war sich des Babys bewußt, darüber, dem Baby angst zu machen, und bei Gott, sie wollte, daß sie gingen. Sie wollte, daß alle verschwanden. Alle Neger in ihrem Leben, in der Vergangenheit und in der Gegenwart. Sie wollte sie nicht in ihrem Gästehaus haben, oder draußen am Pool sitzend, bevor Packard aus dem Büro nach Hause kam. Sie wollte nicht wissen, warum sie in Waycross, Georgia, hingerichtet wurden. Sie wollte den Jungen nicht mit dem Rasenmäher im Garten haben oder den Pool reinigen sehen. Sie wollte den blinden Mann nicht wie einen Idioten in der Sonne lächeln sehen, mit einem Fuß über dem Rasensprenger, während das Wasser zwischen seinen Zehen hervorperlte. Sie wollte nicht, daß er lauschte, wenn sie

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in der Einfahrt war, versuchte, Türen aufzuhalten. Sie wollte nicht, daß er wußte, wo sie war. Was wollte sie? Sie versuchte nachzudenken. Was wollte sie? Nichts. Das würde genügen. Sie wollte in der Badewanne liegen, einfach so, in der Wanne liegen und nichts tun, sie wollte, daß niemand etwas für sie tat oder ihr etwas antat, einfach dort liegen, bis der Gestank von feuchten Federn und Vogelblut von ihrer Haut verschwunden war. Einfach die Tür abschließen und in die Wanne steigen, aber das konnte sie nicht. Bei den Geräuschen des Wassers hörte sie ihn vielleicht nicht hereinkommen. Oder er könnte sich auch hereinschleichen, wenn sie in der Wanne lag, und sie würde ihn im Dampf des Badezimmers nicht sehen. Woher sollte sie es wissen? Sie stellte sich vor, wie sie aus dem Wasser aufstand und irgendwie die Sicht frei machte – so wie man einen beschlagenen Badezimmerspiegel freiwischte –, und wie sie ihn dann auf dem Boden sitzen sah, den Rücken gegen die geschlossene Tür gelehnt, ihr Baby in seiner Faust haltend. Was hatte er noch gesagt? »Wissen Sie, es ist eine hungrige Welt«? Sie würgte, dann wartete sie, bis das Gefühl vorbei war, und schlich auf Zehenspitzen zum Fenster. Er saß jetzt am Pool, führte Selbstgespräche. Während sie ihn beobachtete, reckte er sich, und selbst im Dämmerlicht der Terrasse sah sie die sich abzeichnenden Muskeln auf seinem Rücken und an seinen Armen. Seine winzigen, mißgebildeten Füße. Ihre eigenen Füße begannen sich zu verkrampfen. Sie setzte sich wieder aufs Bett und tat nichts. Lange Zeit später hörte sie, wie unten die Tür geöffnet wurde. Eine Minute verging, es folgten keine weiteren Geräusche, und dann spürte sie, wie er am Fußende der Treppe stand, nach oben zur ersten Etage hi-

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naufschaute, sie lokalisierte. Die Hitzeausstrahlung ihres Körpers ortete. Sie sah ihr Spiegelbild im Fenster, erhaschte einen finsteren Blick auf ihr Gesicht. Es kam ihr unbekannt vor, vulgär und dick, so wie es sich angefühlt hatte, als sie es nach den Schlägen berührt hatte. Sie war nicht mehr hübsch, und es kam ihr in den Sinn, daß sie es nie gewesen war, daß die Leute nur davon ausgegangen waren, daß sie es war, weil sie so sehr versucht hatte, es zu sein. Sie schob sich in die Ecke und wartete darauf, daß er die Treppe heraufkam. Wartete lange, und dann ging plötzlich ein Licht über ihr an, und sie sah ihn im Türrahmen, schwankend, lächelnd, als wollte er gerade lachen, konnte es aber nicht, wie ein Mann, der darauf wartet zu niesen, und sie erkannte in der letzten Sekunde, bevor sie den Abzug zog, vor wem sie die ganze Zeit Angst gehabt hatte.

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RAIN UND PACKARD WAREN ZUSAMMEN nach Hause gefahren; keiner von ihnen fand Worte. Als wäre es bereits morgen oder nächste Woche, und jeder wäre schon seiner Wege gegangen. Es hatte begonnen, sich unheimlich anzufühlen, wenn sie zusammen waren, und als sie zu Hause ankamen, schaltete Mr. Packard den Motor aus und ließ den Wagen an den Bordstein rollen, um seine Frau nicht aufzuwecken. Er lenkte an den Straßenrand und hielt an. Die Straße vor Trains Fenster glühte rot im Bremslicht. Mr. Packard stieg aus, traurig und geduldig, wirkte so müde, daß er kaum die Tür schließen konnte, und ging die Einfahrt hinauf zur Seite des Hauses. Der Mann würde schon im Haus sein, bevor er selbst im Haus war, und sagte nicht mal gute Nacht. Mr. Packard blieb vor der Tür stehen, um seine Schlüssel zu suchen, und Train ging an ihm vorbei nach hinten, alles passierte in Zeitlupe und gleichzeitig mit hundert Meilen die Stunde. Er hörte, wie Mr. Packard den Schlüssel ins Schloß steckte, und Train sagte sich, daß das Schloß selbst eine weitere letzte Chance war, um alles in Ordnung zu bringen, daß Mr. Packard sich immer noch umdrehen und die Dinge in Ordnung bringen konnte, aber wenn der Riegel erst einmal aufglitt, dann war es, als würde er im Auto das Fenster aufmachen und alles würde hinausfliegen. Und der Riegel glitt auf.

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Auch die Tür öffnete sich, und Mr. Packard ging hinein. Train ging weiter durch das Tor zum Gästehaus. Er hörte die wiehernden Geräusche, die Plural machte, wenn er träumte, konnte es kaum ertragen, sie jetzt zu hören. Train öffnete die Tür und ging hinein. Plural war nackt, schlief auf dem Schaukelstuhl, eine Wange lag auf seiner Schulter. Überall im Raum Federn; es roch nach Blut und Geflügel. Plurals Füße hatten einen hohen Spann, und die Zehen berührten den Boden kaum. Train glitt ruhig in die Küche und starrte den Vogel an, der quer über dem Tisch lag. Zumindest Hals und Kopf. Der Rest lag in der Spüle, halb gerupft. Er ging wieder hinaus, um davon und auch von Plural wegzukommen. Er setzte sich auf einen der Liegestühle, zog Schuhe und Socken aus und legte sich auf den kühlen Kunststoff. Er meinte, eigentlich sollte er zum Haus gehen und Mr. Packard sagen, daß er nicht wollte, daß dies endete wie alles andere, daß einfach jeder seiner Wege ging. Und dann kam die Verbindung wie ein Blitz durchs Telefon. Es hallte durch die Dunkelheit, Dinge zerbrachen und zersplitterten im Inneren des Hauses, es klang wie ein Zusammenbrechen von Andenken und Erinnerungen, und in diesem Augenblick erkannte er, daß er überhaupt nichts verstanden hatte. Daß er die ganze Zeit darüber nachgedacht hatte, wie er für die Zukunft behalten konnte, was er hatte, wie er behalten konnte, was er und Mr. Packard gemeinsam hatten – all das Geld und das Ansehen –, doch die ganze Zeit war es immer nur um Plural gegangen. Er mußte Plural mitnehmen, oder nichts hatte einen Sinn. Er schaute zum Haus auf, stellte sich vor, wie es für

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die Polizei aussehen mußte, wenn sie kam, Plural bedeckt mit Federn und Blut, und oben war jemand erschossen worden. Er ging ins Gästehaus, und Plural schlief immer noch fest und unschuldig im Schaukelstuhl. Train schüttelte seinen nackten Fuß, um ihn zu wecken. Klebrig von Blut. »Komm schon, Plural«, sagte er, spürte, wie sich seine Finger von der Haut des blinden Mannes lösten. »Komm schon, Mann, wir müssen gehen.«

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43 DAS SCHLAFZIMMERFENSTER

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ICHTS KONNTE ZURÜCKGENOMMEN WERDEN oder übernommen. Die Dinge waren, wie sie waren. Er hatte das leere Bett gesehen; er hatte eine Bewegung gesehen. Er hatte das Licht eingeschaltet, und sie saß auf dem Boden, ans Bett gelehnt, die Knie aneinandergepreßt, der Lauf der Schrotflinte an der Stelle, wo sie auseinandergingen. Das Gewehr vom Schiff. Er sah sie, und sie sah ihn. Erkannte ihn über den Lauf, und was immer ihre Absichten gewesen sein mochten, es lag kein Mißverständnis vor. Eine Sekunde verstrich, und er fing an, ihr zu erzählen, daß der Junge und der blinde Mann gehen würden. Er setzte an zu fragen, was sie da auf dem Boden machte. Der Schuß fegte sein Bein unter ihm weg und schleuderte ihn gleichzeitig nach hinten, aus dem Zimmer. Auf dem Flur krümmte er sich zusammen und tastete nach seinem Knie, aber dort, wo es gewesen war, war jetzt nur noch eine warme Leere. Er bewegte seine Hand an die Seite, spürte den Riß in seiner Hose, suchte seine Kniescheibe und fand dann tatsächlich ein Stück davon, niedriger als es hätte sein sollen, unter dem Stoff, und sie bewegte sich, als er sie berührte, bewegte sich wieder, als er seine Hand zurück in die Wunde legte. Es war kein großer Schmerz – überall Blut, aber praktisch keine Schmerzen –, und er legte die Hand über

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die Wunde, versuchte instinktiv, die Teile seines Beins zusammenzuhalten, drückte die andere Hand in die Wunde und rollte seine Stirn hin und her auf der kühlen Wand, bewegte sich kaum. Er starb nicht – das war es nicht, noch nicht –, aber er war verletzt auf eine Art, die nicht geheilt werden konnte. Es war kein Versehen gewesen. Sie hatte gesehen, wer es war. »Ich wollte nur deine Aufmerksamkeit«, sagte sie, so leise, daß er nicht einmal sicher war, ob sie es wirklich gesagt hatte. Jetzt hörte er, wie sie am Telefon eine Nummer wählte. »Mein Mann ist angeschossen worden«, sagte sie. Dann spürte er, daß sie ihn beobachtete. Es war, als hätten sie jetzt über alles geredet, was zwischen ihnen nicht in Ordnung war. Er hörte zu. Und dann zog er sich zurück – ein alter, unendlich vertrauter Abstand glitt ins Bild –, und er entfernte sich, bis er alles klar sehen konnte, aus der Distanz, hinter ihr, vom Fenster über ihre Schulter blickend. Als würde er von draußen nach drinnen blicken. Er sah sich auf dem Boden, die Blutung stoppend, sein zerschmettertes Bein zusammenhaltend, ängstlich und nicht wissend, ob er lachen oder weinen sollte. Sie sprach ins Telefon, langsam, deutlich, wiederholte sich. »Mein Mann ist angeschossen worden. Könnten Sie mir bitte zuhören?« Wenn sie wissen, was gut für sie ist, dann werden sie das, dachte er. Sie nannte der Polizei zweimal die Adresse, bedankte sich dann und legte den Hörer auf. Im Zimmer war es still und gleichzeitig klingelte es, und in der Stille, der vertrauten, klingelnden Stille, hörte er noch etwas anderes. Packard weinte. Weinte und blutete in seinem eigenen Flur. Wußte, er konnte das eine sowenig aufhalten wie das andere.

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Er schaute vom Fenster aus zu und begriff, daß er nichts mehr im Griff hatte. 20. Mai 2003 Whidbey Island, Washington

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