The Scorpion's Gate

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Ein Jahrzehnt ist seit den Attentaten auf das World Trade Center vergangen. In Saudi-Arabien, einst Bündnispartner der USA im Nahen Osten, haben fundamentalistische Sunniten die Macht ergriffen und das Land in Islamijah umbenannt. Nachdem die Amerikaner schon im Irak aus dem Land gedrängt worden sind, wollen sie jedoch auf keinen Fall dulden, dass sich die wichtigsten Ölquellen der Welt in den Händen von Islamisten befinden. Als die neue Weltmacht China Atomraketen in Islamijah stationiert, eskaliert die Situation: Es schlägt die Stunde der Falken im Weißen Haus und im Pentagon. Doch noch eine weitere Atommacht wirft ihren bedrohlichen Schatten über die Ölfelder am Arabischen Golf – der Iran. Eine unheimliche Allianz zwischen »Gottlosen« und dem »Reich des Bösen« bahnt sich an. Einige entschlossene Männer wollen um jeden Preis verhindern, dass der Nahe Osten in Flammen aufgeht und die ganze Welt in Brand setzt. Dabei wird ihnen Hilfe von unerwarteter Seite zuteil …

Richard A. Clarke, geboren 1951 in Pennsylvania, war mehr als drei Jahrzehnte lang im Weißen Haus, im State Department und im Pentagon als Berater für vier US-Präsidenten tätig. In den Stunden nach den Terroranschlägen des 11. September leitete Clarke den Krisenstab des Weißen Hauses. Im März 2003 schied er auf eigenen Wunsch aus der BushRegierung aus und veröffentlichte 2004 den Aufsehen erregenden Bestseller »Against All Enemies«. Der Antiterrorismus-Experte gilt als einer der schärfsten Kritiker der Politik des amtierenden US-Präsidenten George W. Bush. Richard A. Clarke lebt in Arlington, Virginia.

RICHARD A. CLARKE

THE SCORPION’S GATE ROMAN Aus dem Amerikanischen von Karin Dufner

| Hoffmann und Campe |

Die Originalausgabe erschien 2005 unter dem Titel »The Scorpion’s Gate« im Verlag G. P. Putnam’s Sons, New York.

1. Auflage 2005 Copyright für die deutschsprachige Ausgabe © 2005 by Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg www.hoca.de Copyright der Originalausgabe © 2005 by RCA Enterprises, Inc. All rights reserved including the right of reproduction in whole or in part in any form. This edition published by arrangement with G. P. Putnam’s Sons, a member of Penguin Group (USA) Inc. Schutzumschlaggestaltung: Steigenberger Grafikdesign, München Foto: CORBIS/Royalty-Free Satz: Offizin Hummer GmbH, Waldbüttelbrunn Druck und Bindung: GGP Media GmbH, Pößneck Printed in Germany ISBN (10) 3-455-00866-6 ISBN (13) 978-3-455-00866-1

HOFFMANN UND CAMPE Ein Unternehmen der GANSKE VERLAGSGRUPPE

Gewidmet allen, die im Kampf gegen den Terrorismus gefochten haben, die starben oder verwundet wurden, und den Menschen, die sie lieben.

Danksagung Ohne die Hilfe dreier enger Verbündeter und Freunde wäre dieses Buch nie geschrieben worden: Neil Nyren, der beste Lektor aller Zeiten; Len Sherman, ein wundervoller Agent; und Beverly Roundtree-Jones, die treueste Assistentin der Welt. Ihnen allen bin ich zu großem Dank verpflichtet. Einige Leser dieses Buches mögen vielleicht glauben, sich selbst oder andere in der Geschichte wiederzuerkennen. Doch sie irren sich. Es handelt sich um einen Roman, in dem alle Figuren frei erfunden sind und der auch keine Vorhersagen für die Zukunft treffen will. Allerdings können und sollten wir uns eine bessere Zukunft wünschen. Die Fragen, mit denen die handelnden Personen konfrontiert werden, sind jedoch genau die, die sich uns allen in den kommenden Jahren stellen werden: der Öldurst rivalisierender Mächte, die Notwendigkeit kompetenter Geheimdienstarbeit, die Bedrohung durch Massenvernichtungswaffen, die Herausforderung durch Terrororganisationen, die Möglichkeit, dass eine Regierung ihre Bevölkerung belügen könnte, und das Verantwortungsgefühl und die Unbestechlichkeit derer, die in besagter Regierung sitzen. Ich hoffe, dass dieses Buch den Leser dazu anregen wird, sich oben genannte Punkte durch den Kopf gehen zu lassen. Es soll ihm Einblicke in eine Wirklichkeit vermitteln, in der real existierende Menschen 9

sich mit ebensolchen Problemen auseinander setzen müssen. Denn es ist unabdingbar, dass wir, auf nationaler wie auf internationaler Ebene, einen Dialog über diese Themen führen – und zwar einen, der auf dem nötigen Wissen beruht.

Kapitel 1 28. Januar

The Diplomat Hotel Manama, Bahrain Der Kellner flog quer durch das Café in der Hotelhalle. Ihm folgte ein Hagelsturm aus Glasscherben und scharfkantigen Splittern der zerborstenen Fensterscheiben, die sich wie Dolche in Arme, Augäpfel, Beine und Schädelknochen bohrten. Die Druckwelle wurde von den Marmorwänden zurückgeworfen, es fühlte sich an wie ein Huftritt in die Magengrube. Im nächsten Moment schon kam der ohrenbetäubende Schall der Explosion, so laut, dass er physisch greifbar zu sein schien und jeden einzelnen Knochen und jedes Organ seines Körpers erschütterte. Brian Douglas warf sich hinter einem umgestürzten Tisch in Deckung. Eine automatische Reaktion, so als hätten seine Muskeln den Befehl gespeichert; diese Reflexe waren ihm damals in Bagdad in Fleisch und Blut übergegangen, in jenen schlimmen Jahren, als so etwas fast jeden Tag geschehen war. Während Brian sich Schutz suchend in den plüschigen Teppich presste, spürte er, wie der Boden des Hotels erzitterte. Angst stieg in ihm hoch, dass das vierzehnstöckige Gebäude über ihm einstürzen könnte. Brian musste an New York denken. 13

Einige endlose Sekunden lang war es still. Dann hörte er die Schreie. Allah und Gott wurden auf Arabisch und Englisch um Hilfe angerufen, gellende Frauenstimmen, schmerzhaft schrill und durchdringend laut, gingen durch Mark und Bein. Männer stöhnten unter Schmerzen, während weiterhin rings um sie Glas auf dem Boden zersplitterte. Über allem heulte ebenso durchdringend wie nutzlos eine Alarmsirene. Nur ein paar Meter von Brian entfernt wimmerte ein alter Mann, dem das Blut über die Stirn strömte und sein weißes Gewand durchtränkte: »Hilfe! Helft mir doch! O Gott, bitte hierher, Hilfe …« Obwohl Brian bereits einige Bombenanschläge miterlebt hatte, wurde er wieder von einem eiskalten Schauder ergriffen; sein Magen krampfte sich zusammen, in seinem Schädel hämmerte es, und er rang würgend nach Luft. Ein unwirkliches Gefühl überkam ihn, als wäre die Verbindung zur Realität um ihn herum gekappt worden. Er blickte sich benommen um und bemerkte eine Bewegung nur wenige Zentimeter links neben seinem Kopf. Zu seinem Entsetzen erkannte er im nächsten Moment, dass es sich um die zuckenden Finger einer Hand handelte, die vom restlichen Körper abgetrennt worden war. Blut floss in Rinnsalen die Platte des umgekippten Tisches rechts von ihm hinunter, als hätte jemand eine Rotweinflasche dagegengeworfen. Sofas, Sessel, Teppiche, die Palmen in ihren riesigen Keramiktöpfen, alles brannte lichterloh in dem Trümmerfeld, das eben noch die elegante, lichtdurch14

flutete Vorhalle eines Fünf-Sterne-Hotels gewesen war. Als Nächstes nahm Brian den übermächtigen Geruch wahr, einen Gestank, der erneut Brechreiz in ihm auslöste, als er sich mühsam umdrehte. Hustend und spuckend atmete er die widerwärtige, nur allzu vertraute Mischung aus Ammoniak, Nitrat und Blut ein. Es stank nach sinnlosem Tod, und traurige Erinnerungen an die im Irak verlorenen Freunde wurden in ihm wach. Durch die zerborstene Scheibe, die auf die Hotelauffahrt hinausging, war ein weiteres Geräusch zu hören, das Brian sofort als Maschinengewehrfeuer erkannte. »Brrrrt, brrrrt …« Sekunden später gellte eine Kakophonie von Sirenen durch die Straßen. Diejenigen der in Europa hergestellten Krankenwagen ähnelten einem an- und abschwellenden Singsang, das Jaulen der amerikanischen Rettungsfahrzeuge ließ einen eher an die Landung von Außerirdischen denken. Plötzlich beugte sich Alec, einer von Brian Douglas’ Leibwächtern, über ihn, und Brian fragte sich, wie lange er wohl schon hier auf dem Boden lag. War er bewusstlos gewesen? »Sind Sie verwundet, Sir?«, erkundigte sich Alec. Brian bemerkte, dass ihm Blut über die Kopfhaut lief und sein blondes Haar verklebte. »Nein, Alec, offenbar hatte ich wieder mal Glück«, erwiderte er, stützte sich auf ein Knie und hielt sich an dem umgestürzten Tisch fest. Brians Kopf fuhr Karussell, als er versuchte, sich Blut, Staub und Schmutz aus dem Gesicht zu wischen. »Wo ist Ian?« 15

In den drei Jahren, die Brian Douglas inzwischen die Niederlassung des britischen Geheimdienstes SIS in Bahrain leitete, hatte sein Stab stets darauf bestanden, dass er sich auf Schritt und Tritt von zwei Leibwächtern begleiten ließ, ganz gleich, ob er mit dem Wagen sein Haus am nördlichen Strand von Manama verließ, Reisen in andere Teile des kleinen Landes unternahm oder die ihm unterstellten Niederlassungen in den anderen Golfstaaten besuchte. Im vergangenen Jahr waren es fast immer Alec und Ian gewesen, zwei frühere Sergeants der Scots Guards, die ihn mit professioneller Fürsorglichkeit bewachten, als wäre er ihr Lieblingsneffe. »Er stand Posten an der Tür, Sir«, erwiderte der kräftig gebaute Mann und stützte Brian, dem es endlich gelungen war, sich aufzurichten. »Ian ist nicht mehr bei uns.« Alec sagte diese Worte zögernd und traurig in seinem weichen Aberdeen-Akzent, schicksalsergeben, denn es war nun einmal nicht zu ändern, dass sein Kollege und Freund getötet worden war. »Darum kümmern wir uns später, Sir. Zuerst müssen wir so schnell wie möglich hier raus.« »Aber die Menschen hier brauchen Hilfe …«, stammelte Brian, während Alec ihn mit Nachdruck am Arm packte und geschickt durch die Trümmer zur Hintertür hinaus und zum Poolbereich lotste. »Rettungskräfte sind unterwegs, um ihnen zu helfen, Sir. Außerdem können Sie in Ihrem Zustand sowieso nichts tun.« Alec hatte die Personaltreppe hinter dem Pool entdeckt und schob Brian darauf zu. 16

»Hören Sie die Schießerei vor dem Gebäude? Es ist noch nicht vorbei.« Die beiden Männer tasteten sich durch den rauchenden Schutt voran und versuchten, nicht in Blutlachen oder die rosafarbene, weiße und graue Masse zu treten, die gerade eben noch ein lebendiger Mensch gewesen war. Glas knirschte unter ihren Schritten, als sie sich der Treppe näherten, an deren Fuß sich ein Ausgang befand. Die Notbeleuchtung sorgte für einen fahlen Lichtschein, der den Männern den Weg die dunkle Treppe hinunter wies. Unten angekommen, rüttelte Alec an der Tür. »Natürlich abgeschlossen«, stellte er fest und bedeutete Brian, zurückzutreten. Er zog seine Browning Hi-Power Kaliber .40 aus dem Halfter unter dem linken Arm und feuerte dreimal auf Türknauf und Schloss. Das Dröhnen der Schüsse in dem Treppenhaus aus Beton verwandelte das Hämmern in Brians Schädel in ein unerträgliches Stechen. Nachdem Alec die Tür aufgetreten hatte, drehte er sich mit einem Lächeln zu Brian um. »Keine Sorge«, sagte er und steckte die Pistole zurück ins Halfter. »Im Magazin sind noch neun Schuss.« Brian folgte Alec einen langen Flur entlang, an dessen Ende er zwei weitere Mitarbeiter der Niederlassung erkannte. Sie bewachten eine Tür, die auf eine Seitengasse hinter dem Hotel hinausging. »Dieser Fluchtweg steht schon seit vier Jahren auf unserer Liste, seit hier die Außenministerkonferenz stattge17

funden hat«, hörte er Alec trotz des Klingelns in seinen Ohren erklären. Die beiden kräftigen Männer an der Tür, die unter ihren Windjacken Maschinenpistolen trugen, verfrachteten Brian hastig in einen weißen Bedford-Transporter ohne Aufschrift, der die Gasse blockierte. Wenige Sekunden später rollte der Wagen durch die Straßen von Manama und entfernte sich rasch von dem brennenden Ort der Verwüstung, der einst das Diplomat Hotel gewesen war – von den Flammen, den Leichen und denen, die in ihren Qualen die Toten beneideten. Der Transporter raste am Hilton und am Sheraton vorbei, wo Polizisten und Sicherheitsleute eilig Barrikaden an den Eingängen errichteten, um nicht als Nächste getroffen zu werden. Dann passierte der Wagen das Gebäude Government Avenue 21, seit 1902 Sitz des Kutty, des britischen diplomatischen Corps. Beim Anblick der Gurkha-Wachen mit ihren einen halben Meter langen Kukri-Säbeln und den schussbereiten belgischen Maschinenpistolen, die die Straße vor der Botschaft säumten, nickten Alec und Brian beifällig. Die Männer waren Mitglieder des 2nd Battalion der Royal Gurkha Rifles mit Hauptsitz in Brunei. Die kleinwüchsigen Soldaten gehörten zu den wenigen Nepalesen, die in fast zweihundert Jahre alter Tradition noch in der britischen Armee dienten. Alec war an der Ausbildung des 2nd Battalion beteiligt gewesen, als Whitehall beschlossen hatte, die Gurkhas zum Schutz der britischen Botschaften am 18

Golf einzusetzen. »Lautlose, grausame, gefährliche kleine Kerle«, sagte Alec, als der Wagen weiter die Government Avenue entlang und an der Botschaft vorbeifuhr. »Sie würden ohne zu zögern ihr Leben opfern, um das Kutty zu schützen.« Sobald man in der Niederlassung die Explosion der Bombe gehört hatte, war der Aktionsplan für den Fall eines Terrorangriffs ausgelöst worden, und man hatte die wichtigsten Mitarbeiter an einen geheimen Ort außerhalb der Botschaft – ein mögliches nächstes Angriffsziel – gebracht. Der Bedford wurde langsamer, bog links in die Isa al Kabeer Avenue gleich hinter der Botschaft ein und steuerte auf ein Gebäude zu, das zwei Häuserblocks weiter auf der rechten Straßenseite lag. Beim Abbiegen spähte Brian durch den Spalt in der Hecktür und erkannte drei Warrior-Schützenpanzer der bahrainischen Armee, die auf der Straße standen und schwarze Abgaswolken ausstießen. Dann bewegten sich die Warriors zur Vorderfront des Außenministeriums auf der gegenüberliegenden Seite der Government Avenue. Als der Bedford das fünf Meter hohe graue Metalltor der Maschinenfabrik Al Mudynah, des konspirativen Ausweichquartiers der Niederlassung, erreichte, glitt dieses in derselben Sekunde zur Seite. Der Wagen raste auf den Hof und bremste scharf ab. Sofort umringten bewaffnete Männer das Fahrzeug. Ein britischer Militärarzt in Zivil folgte ihnen, schob die Seitentür des Wagens auf und kletterte hinein. Er versorgte Brian Douglas’ 19

Kopfwunde, bevor der Leiter der Niederlassung aus dem Wagen stieg. Brians Stellvertreterin Nancy Weldon-Jones wartete neben dem Fahrzeug, als ihr Vorgesetzter herauskam. Beim Anblick seines Kopfverbandes zuckte sie zusammen. »Kein Grund zur Sorge, Nance, ich werd’s überleben.« Brian hielt inne und senkte den Kopf. »Leider kann man das von Ian nicht sagen.« Er sah wieder auf. »Wie ist der Stand der Dinge?« »Ich habe mit Admiral Adams vom US-Marinestützpunkt gesprochen«, meldete Nancy. »Es sind sowohl Briten als auch Amerikaner ums Leben gekommen, vermutlich jeweils ein Dutzend. Unter dem einheimischen Personal und den Gastarbeitern gab es dreimal so viele Tote. Wir glauben, dass die Bombe in einem Lastwagen deponiert war, vermutlich eine Sprengstoffmischung auf der Basis von AmmoniumPerchlorat.« Als sie Douglas den Arm anbot, schüttelte dieser den Kopf und ging voran. Nancy berichtete weiter. »Anschließend wurden Schüsse aus einem fahrenden Wagen abgefeuert, genau als die Rettungsteams gerade eintrafen. Angeblich soll der Schütze in einem Wagen des Roten Halbmondes gesessen haben. In einer der oberen Etagen hielt sich irgendein amerikanischer Unterstaatssekretär auf, und natürlich ist dem Glückspilz kein Haar gekrümmt worden. Er war nicht in dem Café, weil er sich für ein kleines privates Frühstück den Al Fanar Club auf der Dachterrasse hatte aufschließen lassen.« Von Alec, der wieder die Waffe in der Hand hielt, 20

zur Eile angetrieben, überquerten der Leiter der Niederlassung und seine Stellvertreterin den Hof und betraten das weiße Betongebäude. »Okay, Nance, aber wir wissen ja, dass vorläufige Berichte normalerweise mit Vorsicht zu genießen sind. Bekennt sich jemand zu dem Anschlag?« »Noch nicht. Aber das ist eigentlich auch überflüssig. Ohne Zweifel steckt die bahrainische Hisbollah dahinter, also die netten Pasdaran-Perser und ihre Freunde vom Al-Quds-Kommando.« Das Al-QudsKommando war der verdeckt operierende Arm der iranischen Revolutionsgarde. »Haben wir schon eine sichere Videoleitung nach London?«, fragte Douglas, während er mühsam die Treppe zum Notfall-Kommunikationszentrum der Niederlassung hinaufstieg. »Die steht. Sie werden mit den Großen Vier sprechen: der Chefin persönlich, ihrem Stellvertreter, der Stabschefin und …«, sie schmunzelte, »dem Leiter der Abteilung Naher Osten.« »Na prächtig. Was sollten wir nur ohne ihn anfangen?«, kommentierte Douglas sarkastisch. Roddy Touraine, sein direkter Vorgesetzter, schien eine diebische Freude daran zu haben, ihm das Berufsleben zur Hölle zu machen. Brian und Nancy gingen durch zwei gepanzerte Türen zu einer Kabine im Raum, deren Wände aus dickem, durchsichtigem Kunststoff bestanden, worin sich laut summend Entlüftungsventilatoren drehten. Die Kabine war gerade groß genug für den Konfe21

renztisch, der darin stand. An einer Wand war ein großer Flachbildschirm angebracht, der gestochen scharf einen wesentlich eleganteren Konferenzraum mit Holzvertäfelungen und einem Teeservice aus Porzellan zeigte. Gerade nahm Barbara Currier, die Chefin des britischen Geheimdienstes SIS, auf einem hellblau gepolsterten Stuhl am Kopf des Tisches Platz. Sie eröffnete die Besprechung, kaum dass sie sich gesetzt hatte. »Douglas, Sie sehen ja furchterregend aus. Mein tief empfundenes Beileid wegen Ian Martin. Ich rufe seine Frau an, sobald wir hier fertig sind. Natürlich werden wir uns um sie kümmern.« Currier ließ sich von Roddy Touraine eine Tasse Tee reichen. »Gehen wir recht in der Annahme, Brian, dass wir es hier mit einem offenen Versuch der neuen Machthaber in Riad zu tun haben, Bahrain zu destabilisieren?« »Ich stimme insoweit zu, als dass es sich vermutlich nicht um eine einmalige Angelegenheit handelt«, erwiderte der Leiter der Niederlassung mit Blick in die Kamera oberhalb des Monitors. »Außer, diese Leute hätten es auf eine bestimmte Person abgesehen gehabt, zum Beispiel auf den amerikanischen Politiker, der sich gerade in der Stadt aufhält. Nein, ich würde Whitehall mitteilen, dass das hier nur der Anfang war. Allerdings glauben wir nicht, dass der Anschlag auf das Konto von Riad geht. Eher auf das des Iran. Unser kleiner König hier soll offenbar dazu überredet werden, die Amerikaner aus ihrem Marinestützpunkt rauszuwerfen.« 22

»Wird König Hamad sich breitschlagen lassen, Brian?«, erkundigte sich Curriers Stabschefin Pamela Braithwaite, die schon unter drei Geheimdienstchefs gedient hatte. »Sehr unwahrscheinlich, Pam. Die Jungs hier sind nicht auf den Kopf gefallen und haben trotz ihrer Freundschaft mit den Amerikanern das selbständige Denken nicht verlernt.« Douglas lehnte sich zurück, fuhr sich mit den Fingern durchs zerzauste Haar und rückte seinen Verband zurecht. »Meiner Ansicht nach haben wir es mit dem Anfang einer neuen Terrorwelle in Bahrain zu tun, die von Teheran ausgeht. Und vergessen Sie nicht«, fuhr Douglas nach einem kurzen Blick auf die Papiere fort, die seine Stellvertreterin ihm zuschob, »dass die Schiiten hier die Mehrheit bilden, auch wenn sich die Regierung des Königs hauptsächlich aus Sunniten zusammensetzt. Die Iraner haben dieses Konfliktpotenzial schon or Jahren erkannt. Sie sind zwar jedes Mal mit ihren Versuchen gescheitert, diesen Hebel anzusetzen, aber sie lassen trotzdem nicht locker.« Douglas bemerkte, dass sich sein Widersacher, der Leiter der für den Nahen Osten zuständigen Geheimdienstabteilung Roddy Touraine, ins Bild schob. »Bei allem Respekt vor unserem heldenhaften und, wie ich sehe, halb verbluteten Niederlassungsleiter glaube ich, dass er vor lauter Bäumen den Wald nicht sieht. Der Terrorangriff geht nicht vom Iran aus, sondern von der anderen Seite des Dammes, den Saudis. Riad will erreichen, dass König Hamad den Yankees nicht 23

erlaubt, seine kleine Insel als Stützpunkt für Aktionen gegen ihr aufstrebendes Kalifat zu benutzen.« »Ganz gleich, wer auch dahintersteckt«, widersprach Douglas, dessen Gesicht sich zusehends rötete, »müssen wir König Hamad mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln unterstützen. Aber wir sind damit nicht allein, denn die Amerikaner werden ihren Stützpunkt auf gar keinen Fall aufgeben. Nach dem Fall des Hauses Saud und der Gründung von Islamijah wenige Jahre nach dem amerikanischen Rückzug aus dem Irak sind die kleinen Golfstaaten alles, was sie noch haben. Inzwischen könnte man die Situation der Yankees mit einer dünnen Wurstscheibe vergleichen, die zwischen zwei dicken, feindlichen Stücken Brot eingeklemmt ist – dem Iran und Islamijah.« In London schüttelte Barbara Currier bedrückt den Kopf. »1979 aus dem Iran rausgeflogen, 2003 aus Saudi-Arabien hinauskomplimentiert und 2006 vom dortigen Frankenstein aufgefordert, den Irak zu verlassen. Und zu guter Letzt der Sturz der al-Sauds im vergangenen Jahr. Nun haben sie Schwierigkeiten, sich in der Region zu halten, und sind auf die Hilfe der ganz Kleinen angewiesen: Kuwait, Bahrain, Qatar, die Emirate, Oman. Wie lange werden sie sich wohl behaupten können? Sic transit gloria imperii. Mit der Vergänglichkeit des Ruhms kennen wir uns ja bestens aus.« Sie hielt inne, als aus dem Konferenzraum in Bahrain ein Geräusch zu hören war. »Was ist denn das?« Ein dumpfes Grollen ließ die Kabine im Ausweich24

quartier erzittern. Auf ihrem Bildschirm sah Barbara Currier, dass in Bahrain kurz darauf jemand den Raum betrat, sich über Brian Douglas beugte und ihm etwas zuflüsterte. Douglas’ Hand ruhte auf dem Mikrofon. Nach ein paar Worten an die anderen Anwesenden blickte er wieder in die Kamera. »Der Anschlag auf das Diplomat war offenbar wirklich erst der Anfang. Was Sie gerade gehört haben, war der Einsturz des Crowne Plaza, das in derselben Straße stand.«

Unweit der Oase As-Sulajiil Südlich von Riad Islamijah (ehemals Saudi-Arabien) »Der weiße Streifen in der Schwärze der Nacht ist das Rückgrat unserer Galaxie«, sagte Abdullah leise. Die beiden Männer lehnten sich in die Kissen zurück und betrachteten träumerisch die unendlichen Weiten des Himmels. Hier draußen in der Wüste, weit entfernt von den Lichtern der Stadt und den Gasfeuern der Raffinerien, war der Sternenhimmel deutlich zu sehen. Abdullah setzte sich auf, um einen Zug aus der Wasserpfeife zu rauchen, die mit Apfel aromatisierten Tabak enthielt. Bis auf das gedämpfte Gurgeln der Pfeife war in dem Schweigen, das über den sanften Sandhügeln hing, kein Laut zu hören. Ahmed erhob sich und ging zu der ersterbenden Glut des Feuers hinüber. »Du bist wirklich ein Poet, 25

mein Bruder, aber du versuchst, das Thema zu wechseln.« Er stocherte in dem verkohlten Holz herum. »Die Chinesen unterscheiden sich in nichts von den Amerikanern, als deren Truppen noch hier stationiert waren«, fuhr er fort und spuckte in die erlöschenden Flammen. »Auch sie sind Ungläubige.« »Ja, sie sind Ungläubige, Ahmed, aber ohne die chinesischen Waffen stünden wir nackt vor unseren Feinden. Viele von unseren amerikanischen Waffen funktionieren nicht mehr, weil wir keine Ersatzteile bekommen. Meine Brüder in der Schura haben zwar nicht immer Recht, aber in diesem Fall schon. Wir brauchen diese Waffen, und die Chinesen müssen bleiben, um uns im Umgang mit ihnen zu schulen.« Ahmed schüttelte missbilligend den Kopf, aber sein Bruder sprach weiter. »Wir benötigen diese Waffen, um unsere Feinde abzuschrecken. Die al-Sauds haben einflussreiche Amerikaner bestochen, damit diese ihnen zurück auf den Thron helfen. Währenddessen stiften die Perser unter unseren Schiiten und denen in Bahrain Unruhe. Und nun besitzen die Perser auch noch atomare Sprengköpfe für ihre neuen mobilen Raketen.« Abdullah stand auf und ging langsam auf seinen jüngeren Bruder zu. »Wir werden die Chinesen abgeschottet mitten in der Wüste unterbringen.« Er betrachtete die letzten glühenden Kohlen. »So können sie unsere neue Gesellschaft nicht vergiften. Und da die Chinesen es aufs Öl abgesehen haben, werden sie sich darauf einlassen müssen. Außerdem ist es bereits beschlossene Sache. Die Waffen sind hier.« 26

Die beiden Männer entfernten sich von der Feuerstelle, um die herum halbkreisförmig Decken und Kissen angeordnet waren, und stiegen zum Kamm der Düne hinauf. Die Wüste unter ihnen war in den bläulichen Dämmerschein der Sterne und des Halbmondes getaucht. »Du weißt ja, Ahmed, dass Mohammed der Prophet – gesegnet sei sein Name – ganz in der Nähe dieser Oase gelagert hat. Und unser Großvater kam auch häufig hierher. Sie beide liebten die Schönheit dieses Ortes.« Er packte seinen Bruder am Arm und zwang ihn, ihm in die Augen zu sehen. »Ich habe nicht diesen weiten Weg hinter mich gebracht, um mich wieder in Ketten legen zu lassen. Während du in Kanada gelernt hast, Menschen zu heilen, Ahmed, habe ich gelernt, sie zu töten. Ich selbst habe im letzten Jahr Mitglieder des Hauses al-Saud hingerichtet, und vor über einem halben Jahrzehnt habe ich im Irak gegen ihre amerikanischen Herren gekämpft. Und deshalb werde ich unser Land nicht wieder an diese Schweine ausliefern. Und auch an sonst niemanden. Der große und gnädige Allah hat uns den Auftrag gegeben, aus dem verwesenden Kadaver, der Saudi-Arabien war, Islamijah zu erschaffen. Diese so genannten saudischen Prinzen leben in ihren kalifornischen Villen in Sünde, trinken und tanzen und zählen dabei das Geld, das sie unserem Volk geraubt haben. Sie kaufen sich ihre Huren im amerikanischen Kongress, damit der uns die Ersatzteile verweigert, ohne die wir unse27

re amerikanischen Waffen nicht verwenden können. Sie bestechen die jüdische Presse, damit diese Stimmung für einen Einmarsch in unserem Land macht. Sie verbünden sich mit habgierigen britischen Diplomaten, die unsere Botschaften ausspionieren und unsere Unterlagen stehlen. Sie werden nicht lockerlassen, ehe sie in diesem Land nicht wieder das Sagen haben. Jetzt, in diesem Augenblick, heuern die al-Sauds und ihre verbrecherischen Helfershelfer in Houston Mörder an, die alle Mitglieder der Schura umbringen sollen. Und die Perser unterwandern Dhahran und die restliche Ostprovinz mit ihren Agenten und geben sich dabei als Retter der Schiiten aus.« Abdullah ließ Ahmeds Arm los. Er liebte seinen jüngeren Bruder, der einen halben Kopf größer war und die dunkelbraunen Augen ihres verstorbenen Vaters geerbt hatte, und es lag ihm viel daran, ihn zu überzeugen. »Vielleicht war das, was wir bis jetzt getan haben, noch nicht genug. Was haben die Amerikaner und die Perser vorzuweisen, dass sie glauben, unsere junge Nation einschüchtern zu können? Du kennst die Antwort: Es ist die Bombe von Hiroshima, die todbringende Kraft, die Sand in Glas verwandelt und das Land viele Generationen lang vergiftet. Wenn wir uns widersetzen, werden sie unsere Städte in Schutt und Asche legen und unser Volk verbrennen, damit sie uns wieder das Öl stehlen können. Deshalb, Ahmed, denken meine so genannten Freunde in der Schura, dass wir unsere eigene Bombe brauchen.« 28

Ahmed ließ sich nicht beirren. »Was ist mit den Pakistanis? Die al-Sauds haben ihnen das Geld für die Bombe gegeben. Du hast die Unterlagen selbst entdeckt. Die Pakistanis werden uns beistehen.« Abdullah machte kehrt und ging langsam die Düne hinunter und zurück zum Lager. »Ja, das mag sein, Ahmed, aber im Grunde genommen sind die Pakistanis nur an Indien interessiert. Sie geben zwar Lippenbekenntnisse zum Islam ab, doch sie werden ihre wenigen Waffen für sich behalten, um den Hindus Angst einzujagen. Auf die Pakistanis können wir uns nicht verlassen. Außerdem sind ihre Raketen primitiv. Uns ist mit ein paar kleinen pakistanischen Pfeilen nicht gedient.« Hinter der nächsten Düne war ein leises Knacken, gefolgt von einem hohen Surren, zu hören. Eine Sandwolke erhob sich in die Wüstennacht. Die Helikopter ließen die Motoren an. Es war Zeit, in die Stadt zurückzukehren. »Warum waren wir heute Nacht hier, Abdullah? Ich bezweifle, dass es nur darum ging, den Himmel zu bewundern und uns an Großvater zu erinnern.« Ahmed war sieben Jahre jünger als sein Bruder, erst vor zwei Wochen hatte er seinen neunundzwanzigsten Geburtstag gefeiert. Nach acht Jahren in Kanada hatte er seine Facharztausbildung zum Internisten vorzeitig abgebrochen und war zurückgekehrt, als Abdullah Mitglied der neuen Regierung, der Schura, geworden war. Ahmed wollte unbedingt zum Team seines großen Bruders gehören, genauso wie er vor 29

zwanzig Jahren darauf gefiebert hatte, mit Abdullah und seinen Freunden Fußball spielen zu dürfen. Seit Ahmed wieder in der Heimat war, bestürmte er seinen Bruder mit Vorschlägen, wie er der neuen Regierung seines Landes dienen könne. Doch Abdullahs Antworten fielen stets ausweichend aus. »Nein, nicht nur, um uns an Großvater zu erinnern.« Abdullah senkte den Kopf und schob die Hände in die Ärmel seines Gewandes. »Es war sehr schwierig, von der Schura die Erlaubnis zu bekommen, dass du in meinem Ministerium arbeiten kannst. Viele Mitglieder misstrauen dir, weil du so viele Jahre fort warst.« »Schließlich bekommt man hier keine brauchbare medizinische Ausbildung«, gab Ahmed spitz zurück. »Noch nicht. Doch eines Tages werden wir in diesem Bereich wieder führend sein. Und du solltest weiterhin deinen Beruf als Arzt ausüben, Ahmed«, sagte Abdullah, während er wieder zur Düne sah. »Aber, Abdullah, ich möchte mit dir zusammenarbeiten. Ich will unserem Land helfen und unserem Volk den Stolz zurückgeben.« Abdullah schmunzelte. Ahmed klang wieder wie ein kleiner Junge. »Das wirst du auch. Nächste Woche fängst du in einem Krankenhaus an.« Als er Ahmeds enttäuschte Miene bemerkte, beschloss er, ihn nicht länger auf die Folter zu spannen. »Doch in Wirklichkeit bist du unmittelbar mir unterstellt. Der Posten im Krankenhaus dient nur als Tarnung für deine tatsächlichen Aufgaben. Du wirst in dem Schlangennest auf 30

der anderen Seite des Damms mein Auge und mein Ohr sein.« Abdullah grinste breit, als hätte er seinem Bruder gerade ein großes Geschenk gemacht. »Bahrain?«, fragte Ahmed erstaunt. »Ja. Obwohl uns nur fünfundzwanzig Kilometer auf der Dammstraße trennen, gibt es dort Tausende von ungläubigen Seeleuten mit ihren Schiffen. Auch die Perser sind da, spielen die Unschuldslämmer, geben sich als reisende Händler aus und fahren auf ihren Daus hin und her. Aber in Wahrheit schmieden sie eine Verschwörung gegen unsere neue Nation. Du wirst dich dort niederlassen. Offiziell hast du dich mit mir überworfen und lehnst unsere neue Regierung ab. Während du im Krankenhaus in Manama Dienst tust, wirst du Informationen sammeln, und zwar ausschließlich für mich. Du musst dich wieder mitten in die Höhle des Löwen begeben, kleiner Bruder.« Bei diesen Worten versetzte Abdullah Ahmed einen spielerischen Boxhieb in den weichen Bauch. Ahmed zuckte nicht mit der Wimper. Ein weißer Land Rover kam über den Rand der Düne gefahren, um die Brüder zu dem improvisierten Helikopter-Startplatz in der Wüste zu bringen. Als sie bei den Black Hawks eintrafen, drehte sich Ahmed um und rächte sich an seinem Bruder mit einem Klaps auf den Arm. »Abdullah, bist du wirklich sicher, dass diese amerikanischen Hubschrauber ohne Ersatzteile nicht lebensgefährlich sind?«, fragte er. »Wenigstens in dieser Hinsicht sind die Pakistanis nützlich, denn bis jetzt konnten sie für uns Ersatzteile 31

auftreiben.« Mit diesen Worten kletterte Abdullah bin Rashid, stellvertretender Vorsitzender der Schura der Islamischen Republik Islamijah und Minister für Sicherheitsfragen, in seinen persönlichen Black Hawk. Unter dem frischen hellbraunen Lack waren noch die Umrisse des grünen Emblems der saudiarabischen Luftwaffe zu erkennen. Während der Black Hawk in die Höhe stieg und dabei einen Sandsturm aufwirbelte, setzte Ahmed seinen Helm auf, steckte jedoch nicht das lange Kabel ein, das ihn mit der Bordsprechanlage verband. Er wollte in Ruhe seinen Gedanken nachhängen, ohne den kaum verständlichen Fliegerjargon der Besatzung hören zu müssen. In geringer Höhe flogen sie über die Dünen. Die Rotorblätter des Black Hawk peitschten durch die dünne Luft, als sie rasch auf ein Licht am Horizont zusteuerten. Die Seitentür des Helikopters stand offen, und Ahmed konnte unter sich Kamele sehen, die reglos wie Statuen verharrten, ohne sich von dem Motorenlärm beirren zu lassen. Als er seinen Blick hob, erkannte Ahmed die Türme der Raffinerie, deren emporzüngelnde orangerote Flammen im nächtlichen Himmel tanzten. Da liegt unser Problem, dachte er. Diese Türme und die schwarze Masse, die sich unter unserem Sand verbirgt und die Menschen verdirbt. Einerseits verhilft sie unserem Volk zu Reichtum, doch sie ist auch wie das Blut eines verwundeten Kamels im Sand. Sie zieht todbringende Skorpione an. Und Islamijah ist wie ein 32

verwundetes Kamel. Die Amerikaner, die Iraner und die Chinesen, sie alle haben das Blut dieses Landes gewittert, das hier aus seiner sandigen Haut hervorquillt. Als der Black Hawk Höhe aufnahm, um nicht mit einer der riesigen Dünen unter ihnen zu kollidieren, dachte Ahmed, dass diese Länder wie Skorpione waren. Und nun kehrten die Skorpione zurück.

Geheimdienst-Analysezentrum (IAC) Foggy Bottom Washington, D. C. »Wir haben zwanzig Grad am 28. Januar, und das Weiße Haus streitet immer noch ab, dass die Erderwärmung ein Problem sein könnte! Die Polarkappen schmelzen, die Eisbären verenden, die Eskimos saufen ab, Bäume und Blumen blühen drei Monate zu früh, und trotzdem behaupten sie weiterhin stur, es gäbe nicht genügend Beweise.« Nach einer raschen Bewegung seines Handgelenks warf Russell MacIntyre einen Blick auf seine Uhr. Das LCD-Display der billigen Digitaluhr zeigte 19:28. Er würde zu spät zu den Silversteins in McLean kommen, mit denen seine Frau und er verabredet waren. »Ist noch was, Deb?«, wandte er sich deshalb an seine attraktive Sekretärin. Diesmal erwartete er auf seine Frage tatsächlich eine Antwort – anders, als wenn er sich, wie so oft, über Politik und Klimaveränderung ausließ. 33

»Ms. Connor wartet immer noch unten«, erwiderte sie in einem Tonfall, der andeutete, dass sich die junge Mitarbeiterin, die da im Empfangsbereich saß, bereits seit einiger Zeit in Geduld übte. »Mist«, rief MacIntyre, bereute es aber schon im nächsten Moment. Connor gehörte zu den Besten unter den frisch ausgebildeten Analysten, die er an Spitzenuniversitäten des ganzen Landes angeworben hatte. Er hatte ihnen einen spannenden Job versprochen, mit dem sie etwas bewirken würden. Außerdem hatte er ihnen zugesichert, dass sie sich jederzeit an ihn wenden konnten. MacIntyre seufzte. »Okay, Debbie, bitte holen Sie sie ab, und schicken Sie sie zu mir.« Mit achtunddreißig Jahren war Russell MacIntyre stellvertretender Direktor des neuen Intelligence Analysis Center. Das IAC war im Rahmen der Neuorganisation der Geheimdienste gegründet worden. Der Bericht der 9/11-Kommission und das Fiasko mit den Massenvernichtungswaffen im Irak hatten schon lange die Schwachpunkte der amerikanischen Geheimdienstarbeit deutlich gemacht. Dass schließlich weder die CIA noch der neue Direktor des Nationalen Geheimdienstes den Putsch – die »Revolution« – in Saudi-Arabien vorhergesehen hatten, hatte den Kongress endgültig davon überzeugt, dass der Bereich Analyse dringend auf Vordermann gebracht werden musste. Und das IAC war die Lösung dieses Problems. Es war befugt, Einsicht in sämtliche von den anderen Regierungsbehörden gesammelten Informationen zu nehmen und alle gewünschten Daten bei ihnen anzufordern. 34

Auf Beharren des Geheimdienstbeauftragen im Senat, Paul Robinson, waren Analyse und Informationsbeschaffung voneinander getrennt worden, damit die Analysten sich Unvoreingenommenheit und Unabhängigkeit bewahren konnten. Außerdem hatte Robinson angeordnet, dass dem neuen IAC sämtliche technischen und personellen Ressourcen zur Verfügung stehen sollten, um auch öffentliche Quellen wie Presse, Internet, wissenschaftliche Abhandlungen und Fernsehen weltweit auswerten zu können. »Ich bin fest entschlossen, nie wieder nach einer Krise, die wir eigentlich hätten kommen sehen müssen, aber trotzdem verschlafen haben, den Vorsitz bei einer dieser Ach-du-meine-Güte-Sitzungen zu führen«, hatte Robinson im Senat getobt. Ausgestattet mit zweihundert handverlesenen und ausgezeichnet ausgebildeten Mitarbeitern, war das IAC von den Informationsbeschaffern der anderen so genannten Drei-Buchstaben-Behörden wie CIA, NSA, NGA, FBI und NRO auch in Verwaltungsangelegenheiten unabhängig. Die Analysten gehörten sämtlichen Altersgruppen an – hochkarätige Spezialisten mit langjähriger Erfahrung arbeiteten Seite an Seite mit jungen Überfliegern, die gerade ihren ersten Job bei der Regierung ergattert hatten. Als Robinson und eine Gruppe einflussreicher Senatoren und Vertreter beider Parteien den Präsidenten mehr oder weniger dazu gezwungen hatten, Botschafter Sol Rubenstein zum Leiter der neuen Behörde zu ernennen, hätte der achtundsechzigjährige Veteran ihnen beinahe einen 35

Korb gegeben. Erst nachdem jede einzelne Verwaltungs- und Haushaltsfrage in seinem Sinne geklärt worden war, hatte er sich dem Thema zugewandt, wo seine neue Behörde ihren Sitz haben sollte. Seit Rubenstein sich vor dreißig Jahren auf der Dachterrasse des damals gerade neu eröffneten Kennedy Center für die darstellenden Künste hin und wieder einen Cocktail genehmigt hatte, schlug sein Herz für jenen alten Gebäudekomplex auf den Hügeln über dem Potomac. Das Anwesen befand sich gegenüber dem Außenministerium im Stadtteil Foggy Bottom. Ursprünglich hatte es den Namen Navy Hill getragen und das Marineobservatorium beherbergt. Nach dem Umzug des Observatoriums im neunzehnten Jahrhundert war die Gesundheitsbehörde der Marine eingezogen, die eigentlich immer noch Mieter war. Allerdings waren einige Gebäude der Navy zu Beginn des Zweiten Weltkriegs geräumt worden, um Platz für die erste echte Geheimdienstorganisation der Vereinigten Staaten, das Office of Special Services, OSS, zu machen. Botschafter Rubenstein hatte darauf bestanden, seine Behörde auf diesem vier Hektar großen Gelände unterzubringen. Er selbst bezog dieselbe Bürosuite im Parterre, in der 1942 der erste Leiter des OSS, Wild Bill Donovan, residiert hatte. Russell MacIntyre, der stellvertretende Direktor des IAC, hatte sein Büro gleich neben seinem neuen Chef. MacIntyre war Rubensteins erster Mitarbeiter in seiner neuen Behörde gewesen. Der weißhaarige Bot36

schafter im Ruhestand hatte ihn aus der Chefetage eines Rüstungsunternehmens abgeworben, denn »Sie haben den Ruf, gründlich aufzuräumen, ohne sich darum zu kümmern, wem Sie dabei auf den Schlips treten«. MacIntyre gab sich große Mühe, Rubensteins Worten gerecht zu werden. Außerdem war er dem Botschafter von Senator Robinson wärmstens empfohlen worden. Obwohl seit Russells Zeit als Mitglied der Schwimm-Mannschaft der Brown University schon sechzehn Jahre vergangen waren, trainierte er noch immer zweimal wöchentlich im Pool des Watergate-Hotels. Sein kastanienbraunes Haar zeigte zwar nur vereinzelt graue Strähnen, aber seine Frau Sarah lag ihm ständig damit in den Ohren, sie doch zu überfärben. »Tut mir Leid, dass ich Debbie so sehr bedrängt habe, damit sie mir noch heute Abend einen Termin bei Ihnen gibt, Mr. MacIntyre. Ich weiß, wie sehr Sie mit den Bombenanschlägen in Bahrain beschäftigt sind, aber Sie meinten doch, dass wir, wenn es wirklich nötig ist …« Susan Connor betrat sichtlich nervös den großen Raum und nahm auf der Sofakante Platz. Schweißperlen standen ihr auf der hohen Stirn. »Nennen Sie mich doch Rusty. Mr. MacIntyre war mein verstorbener Vater«, beruhigte der stellvertretende Direktor die dreiundzwanzigjährige Analystin und ließ sich dann in seinen abgewetzten Ledersessel am Fenster sinken. »Ich sagte, dass Sie mich jederzeit sprechen können, wenn es nötig ist, ob Tag oder Nacht. Also, was gibt es?« 37

»Nun, Sir, Sie haben uns einmal erklärt, eine geheimdienstliche Analyse sei wie die Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Der Trick dabei sei, im richtigen Heuhaufen nachzusehen, nämlich in dem, mit dem niemand rechnet. Richtig?« »Klingt ganz so, als wäre es von mir.« MacIntyre schmunzelte. Es amüsierte ihn, zitiert zu werden. Seine Worte schienen also bei zumindest einem seiner Zuhörer einen bleibenden Eindruck hinterlassen zu haben. »Und Sie sind auf einen interessanten Heuhaufen gestoßen, Susan?« Womit zum Teufel war Connor eigentlich beschäftigt? Mit der Armee von Saudi-Arabien? Islamijah, korrigierte er sich. »Kann sein, Sir. Vielleicht ist es ja auch eine interessante Nadel.« Allmählich legte sich Connors Aufgeregtheit, und sie wurde lockerer, als sie zu erzählen begann. »Ich habe heute Morgen diesen 505-Bericht entdeckt.« Ein 505-Bericht war eine Meldung der NSA, der National Security Agency in Fort Meade, Maryland, die für Abhöraktionen zuständig war. Es handelte sich um routinemäßig übermittelte Berichte ohne hohe Priorität oder besondere Zugriffsbeschränkungen. Tagtäglich gab die NSA Tausende dieser Schreiben heraus und verstopfte damit die Mailboxen der Geheimdienstanalysten, die an das hochgradig abgesicherte Intelwire-Network, das die verschiedenen Behörden miteinander vernetzte, angeschlossen waren. »Und …?« MacIntyre wollte endlich auf den Punkt kommen. Er starrte auf den Fluss hinaus, auf den in38

zwischen ein Januarregen niederging. Dann drückte er auf den Knopf der Gegensprechanlage. »Deb«, sagte er zu seiner Assistentin. »Rufen Sie bitte meine Frau am Mobiltelefon an, und richten Sie ihr aus, dass ich es nicht rechtzeitig zum Abendessen bei den Silversteins schaffe. Ich melde mich später bei ihr. Sie sollen schon mal ohne mich anfangen.« MacIntyres Freunde waren seine häufigen Absagen gewohnt und hatten es längst aufgegeben, sich nach den Gründen zu erkundigen. Er forderte seine aufgeregte Mitarbeiterin auf, fortzufahren. »Tja, Sir, es handelte sich um eine Frequenz, die nicht vom saudischen Militär benutzt wird. Aber trotzdem kam der Funkspruch mitten aus dem leeren Viertel, also der offenen saudischen Wüste. Plötzliche Amplitudenanhäufung, stark kodiert, Richtstrahl auf den Thuraya.« Thuraya war ein kommerzieller Satellit über dem Indischen Ozean. Connor breitete eine Karte von Saudi-Arabien auf dem Couchtisch aus. »Was weiter …?« Mist, dachte MacIntyre. Die Kleine erzählt mir hier von einem ganz normalen 505-Bericht, dem üblichen unwichtigen Kram … Ich hätte doch besser zum Essen zu den Silversteins gehen sollen … Sarah wird wieder mal sauer auf mich sein. »Also habe ich die NSA angerufen, wie Sie uns geraten haben, wenn wir zu einem ihrer Berichte weitere Informationen brauchen. Fast den ganzen Tag bin ich von Pontius zu Pilatus weiterverbunden worden, aber schließlich, um kurz nach fünf, hat mich der stellvertretende Chef der Abteilung D-3 zurückgerufen …« 39

»Abteilung D-3?« MacIntyre fuhr in seinem Ledersessel hoch. »Das ist doch die China-Abteilung der NSA, nicht die für Saudi-Arabien.« »Ich weiß, Sir.« Zum ersten Mal, seit sie den Raum betreten hatte, lächelte Susan. »Die in dem Bericht genannte Frequenz wird nur vom strategischen Raketenkommando der Chinesen benutzt.« »Was? Und welche Erklärung hatte der Mann von Abteilung D-3 dafür?« MacIntyre betrachtete die Karte. Das rote X, das Connor markiert hatte, befand sich eindeutig mitten in der Einöde. »Dieser Standort ergibt keinen Sinn. Die Chinesen? Das ist doch mitten in der gottverdammten Rub al-Khali. Warum zum Teufel sollte ein Funkspruch aus dem leeren Viertel kommen? Dort gibt es doch nichts außer Zigtausenden Quadratkilometern Sanddünen.« »Er sagte, er wisse es auch nicht, was ihn jedoch nicht allzu sehr zu beunruhigen schien. Er wollte wohl gleich Feierabend machen und meinte, sein Fahrer warte auf ihn …« MacIntyre sprang auf und lief zum Schreibtisch. »Vielleicht hätte ich Sie nicht belästigen sollen, Sir, wenn die NSA schon nicht …«, stammelte Connor. Doch der stellvertretende Direktor griff bereits nach einem grauen Telefon. »Hier spricht MacIntyre vom IAC. Verbinden Sie mich mit dem SOO.« Der Senior Operations Officer war als Einsatzleiter der NSA für die Kommandozentrale der Spionagebehörde zuständig. »Hallo, ich bräuchte eine Information über die Frequenz, die in Ihrem Bericht Nummer 505-37129-08 40

erwähnt wird. Man hat uns gesagt, es handle sich um eine strategische Frequenz der Chinesen.« Connor lauschte nervös und sah ihre Karriere schon beendet, bevor sie noch richtig begonnen hatte – wenn es am Ende nichts weiter als Funksprüche eines panamesischen Frachters waren. »Okay, und laut Breitengrad ist das wo?« Wieder eine Pause, die ewig zu dauern schien. MacIntyre hatte Connor den Rücken zugewandt und blätterte in einem Adressenverzeichnis. »Gut. Aber das ist doch ein bisschen seltsam, oder? Alles klar, danke.« Als Nächstes griff MacIntyre zum roten Telefon. Wieder sah er auf die Uhr und drückte dann auf eine Schnellwahltaste. »Ich habe eine Spätanfrage, Priorität zwei, für Placeset. Meine Codenummer lautet IACzero-two-zulu-papa-romeo-niner.« Connor versuchte sich zu erinnern, was Placeset war. Vielleicht der hoch auflösende elektrooptische Satellit. »Koordinaten: Breite fünf null Grad, drei null Minuten Ost; Länge zwei drei Grad, zwei sieben Minuten Nord«, sagte MacIntyre. Er beugte sich über den Couchtisch, als er die Ortsangaben von der Karte ablas. »Ich brauche einen Fünfzehn-Kilometer-Radius auf Fokusstufe 7. Wie lange dauert das?« Das Fokusstufen-System funktionierte wie das Objektiv einer Kamera, nur dass sich diese Kamera in dreihundert Kilometer Höhe im Weltraum befand. Soweit Connor sich erinnerte, war Stufe 7 eine Nahaufnahme, auf der man beinahe die Straßenschilder ablesen konnte. Ihr wurde klar, dass MacIntyre ihre 41

Meldung ernst genug nahm, um besondere Maßnahmen einzuleiten. Schließlich handelte es sich um eine persönliche Anfrage nach Dienstschluss, die einem Satelliten ein anderes Ziel zuweisen würde als jene, die erst heute Morgen von einer behördenübergreifenden Kommission aus CIA, DOD, NSA und IAC festgesetzt worden waren. MacIntyre legte mit der rechten Hand den Hörer auf und griff gleichzeitig mit der linken nach der Gegensprechanlage. »Deb, bestellen Sie uns die übliche Pizza, und gehen Sie dann nach Hause. Danke.« Schwer ließ sich der stellvertretende Direktor in seinen Sessel fallen und lächelte der jungen Analystin zu. »Nun müssen wir abwarten. Hoffentlich mögen Sie Sardellen.« In Augenblicken wie diesem fühlte sich Rusty MacIntyre stets wie ein Einarmiger, der eine Tapete anbringen muss. Er und Rubenstein hatten erfolgreich versucht, das IAC so klein wie möglich zu halten, um den Wasserkopfeffekt zu vermeiden, der die CIA beinahe handlungsunfähig machte. Allerdings bedeutete das auch, dass Rusty letztlich für alles persönlich zuständig war, das hieß vom Korrigieren von Berichten über Verhandlungen mit der Verwaltungs- und Haushaltsabteilung des Weißen Hauses und mit dem Kongress wegen zusätzlicher Mittel bis hin zu nächtlichen Pizzamahlzeiten mit jungen Analystinnen. Außerdem bekam er seine Frau kaum noch zu Gesicht. Ihre Ehe war kinderlos geblieben, und nun, mit achtunddreißig, war es für eine Familiengründung 42

schon beinahe zu spät. Sarah beschwerte sich nie darüber. »Keine Entscheidung ist auch eine Entscheidung«, pflegte sie zu sagen, »und ich bin zufrieden damit.« Vielleicht störte sie die Kinderlosigkeit auch deshalb nicht, weil sie ganz in ihrer Arbeit bei einer Hilfsorganisation für Flüchtlinge aufging. Bei Rusty hingegen war es eine andere Sache. »Ach, ich habe ganz vergessen, Ihnen Ihr Wechselgeld für die Pizza zu geben«, sagte Susan und legte vier Vierteldollarmünzen auf den kleinen Tisch. Rusty MacIntyre grinste, dann nahm er sein leeres Glas und stellte es unter den Tisch. Susan sah verdutzt zu, schwieg aber. MacIntyre nahm wortlos die Münzen, platzierte eine davon mitten auf dem Tisch und drückte mit dem Daumen darauf. »Pling.« Die Münze verschwand. Als wieder ein »Pling« zu hören war, warf Susan Connor einen Blick unter den Tisch, wo zwei Geldstücke im Glas lagen. MacIntyre wiederholte das Kunststück noch zweimal, und es sah wirklich so aus, als presse er die Münzen durch den Tisch hindurch. Susan Connor fuhr mit der Hand über die Tischplatte. »Wie haben Sie …?«, fragte sie und griff dann nach dem Glas. »Zaubern ist ein Hobby von mir. Allerdings kann man daraus auch eine wichtige Lehre ziehen: Nicht alles ist so, wie es zunächst zu sein scheint«, sagte Rusty und lehnte sich zurück. »Es funktioniert folgendermaßen …« »Brrrr. Brrrrr.« Das abhörsichere Telefon läutete. 43

Es war in der Zwischenzeit fast elf geworden, als der Leiter der Bodenstation des Satelliten anrief und meldete, das von MacIntyre angeforderte Bild könne nun per Intelwire betrachtet werden. Als stellvertretender Direktor des IAC genoss Rusty nicht viele Privilegien, doch eines davon war ein 72-Zoll-Flachbildschirm. Darauf war nun eine erstaunlich hoch aufgelöste Aufnahme der arabischen Wüste zu sehen, in deren Mitte ein roter Fadenkreuz-Cursor blinkte. Mithilfe der Maus vergrößerte MacIntyre einzelne Bildausschnitte, bewegte den Cursor hin und her und suchte rasch den Fünfzehn-Kilometer-Radius ab, den er angefordert hatte. Connor, die mit dem Tempo ihres Chefs nicht mithalten konnte, wurde schwindelig, als sie zusah, wie die Darstellung auf dem Bildschirm vor ihr die Größe veränderte und hin und her schwankte. Sie fühlte sich, als blicke sie aus einer Blase, die nur wenige Meter über dem Sand schwebte, auf die arabische Wüste und einige Gebäude hinab. Plötzlich hielt MacIntyre inne und lehnte sich zurück. »Ein toller Heuhaufen, Susan«, sagte er und schüttelte den Kopf, als er die überraschte Miene der Analystin bemerkte. »Eine tolle Nadel.« »Ich bin nicht sicher, ob ich Sie richtig verstehe, Sir. Was war denn auf dem Bild?« Connor kauerte wieder auf der Sofakante, einen Teller mit Pizzakrusten, Tomatensauce und Sardellen auf dem Schoß. »Das, Ms. Connor, waren zwölf unterirdische Raketensilos und ein zentraler Leitstand für mobile Raketen. Nach dem einen Exemplar zu urteilen, das sich 44

auf dem Tieflader befand, würde ich sagen, dass wir es mit einer chinesischen CSS-27 zu tun haben, Pekings modernster ballistischen Mittelstreckenwaffe. Nur dass die Dinger nicht in China stehen, sondern in Saudi-Arabien, äh, Islamijah.« Susan Connor stand auf und stieß einen leisen Pfiff aus. »Ver-damm-ter Mist«, sagte sie langsam. Die Sardellen lagen jetzt auf dem Teppich.

An Bord der USS Ronald Reagan Im Persischen Golf, auch als Arabischer Golf bekannt In der Admiralssuite gleich unter dem Flugdeck des 77 000 Tonnen schweren schwimmenden Luftwaffenstützpunktes war kaum etwas davon zu merken, dass das Schiff mit einer Geschwindigkeit von fünfundzwanzig Knoten Fahrt machte und kurz davor stand, eine Staffel von F-35-Kampfflugzeugen aufzunehmen. »Hätten Sie gern eine Zigarre, Admiral? Es ist eine Cohiba«, schlug der neue Lieutenant vor. Vizeadmiral Bradley Cannon Adams griff grinsend in den offenen Humidor aus Mahagoni. »Erstens, Lieutenant, ist es verboten, hier Zigarren zu rauchen. Zweitens handelt es sich bei Cohibas um Schmuggelware. Und drittens hat Ihr Vorgänger Sie offenbar gut eingewiesen.« Flottillenadmiral Frank Haggerty, der am Fuß des Tisches im Esszimmer des Admirals saß, beugte sich 45

vor und nahm das zerbeulte Zippo-Feuerzeug, das sein Vorgesetzter ihm hinhielt. Die Worte »HVT Bar, Bagdad« waren darin eingraviert. Haggerty schmunzelte, als er sich daran erinnerte, wie dehnbar Adams das Einfuhrverbot für kubanische Zigarren interpretierte, und zündete seine Cohiba an. »Ruck, haben Sie die in Jebel Ali besorgt?« Andrew Rucker war der Kapitän der USS Ronald Reagan, eines mehr als dreihundert Meter langen Ungetüms, das über zwei Nuklearreaktoren und eine Besatzung von 5900 Mann verfügte. Nun sah er seinen Vorgesetzten über den Tisch hinweg an. »In Dubai kriegt man alles«, erwiderte er, während er sich wie Adams und Haggerty eine Zigarre anzündete. Schon seit Jahren war auf sämtlichen Schiffen der amerikanischen Marine das Rauchen in Innenräumen streng verboten, doch der Kommandant der Fünften Flotte und der Flottillenadmiral, der den Kampfverband der Reagan befehligte, ließen sich in dieser Hinsicht keine Vorschriften machen, wovon auch der Kapitän der Reagan profitierte. »Ich glaube, meine Herren, dass wir, wenn Castro endlich den Löffel abgibt, schnell Kubas beste Freunde sein werden.« Admiral Adams zog bedächtig an seiner Zigarre und genoss ihren Duft, der sich langsam im Raum ausbreitete. Der etwas stämmige zweiundfünfzigjährige Marineoffizier war für seine drei Sterne noch ziemlich jung, und trotz seines allmählich schütter werdenden blonden Haars hätten ihn die meisten nicht auf dieses Alter geschätzt. In den ver46

gangenen fünfundzwanzig Jahren hatte er in einer beachtlichen Geschwindigkeit Karriere gemacht, und er scherzte gern, er habe vermutlich Salzwasser in den Adern, denn in den letzten zweihundert Jahren hatten zwei Cannons und drei Adams als Admirale in der U. S. Navy gedient. Obwohl er erst seit einem Monat in der doppelten Funktion eines Kommandanten der US-Seestreitkräfte – Regionales Oberkommando für den Nahen Osten – und als Befehlshaber der Fünften Flotte in Bahrain stationiert war, bekam er in dem winzigen Inselstaat bereits Hüttenkoller. Also hatte er sich mit dem Hubschrauber auf den Weg gemacht, um mit seinen Freunden Haggerty und Rucker auf dem Flugzeugträger zu Abend zu essen. Er hatte Sehnsucht nach einem Schiff auf hoher See und ertrug es nur schlecht, an Land an einen Schreibtisch gekettet zu sein. Heute Abend hatte er außerdem eine Nachricht zu überbringen, die nur für die Ohren der beiden anderen bestimmt war. Als er mit einer fast unmerklichen Handbewegung auf die beiden Ordonnanzen im Raum wies, verstand Rucker sofort. »Lopez, Anderson, das wäre alles. Vielen Dank.« Der Lieutenant und der Matrose verließen das Esszimmer und schlossen leise die Tür hinter sich. Adams stand auf und zog noch einmal genüsslich an seiner Zigarre. »Mr. Kashigian war zwar noch ein wenig erschüttert, nachdem die Lobby seines Hotels in ein Schlachthaus verwandelt worden war, doch nach einer Weile hat er sich wieder aus seinem Ver47

steck gewagt und ist zur Besprechung auf dem Stützpunkt erschienen. Wie sich herausstellte, hatte er mir etwas mitzuteilen.« Adams reichte Haggerty ein getipptes Schreiben, auf dem oben das eingeprägte Siegel des Verteidigungsministers prangte. Unten trug es die schwungvolle Unterschrift von Unterstaatssekretär Ronald Kashigian. »Schauen Sie sich das mal an.« Während die beiden Männer das Dokument lasen, schlenderte Brad Adams zur Wand hinüber, um die dort hängende Luftaufnahme des Golfs und seiner Anrainerstaaten zu betrachten. Aus dem Weltall sieht es aus, als wäre alles beim Alten geblieben, dachte er. Doch nun sind die al-Sauds fort, die Iraner haben Atomwaffen, und wir sitzen mittendrin und können uns nur auf diese Flotte stützen. »Verlangt der Verteidigungsminister etwa, dass wir das alles umsetzen, ohne dass jemand Wind davon bekommt?«, wunderte sich Haggerty. Rucker las das Schreiben ebenfalls aufmerksam und schüttelte dabei missbilligend den Kopf. »Admiral, wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf, verstößt es gegen die Vorschriften, derartige Befehle per Hand und nicht über ARNET zu übermitteln«, sagte er mit sarkastischem Unterton. Adams drehte sich zu den beiden Männern um. Rucker, inzwischen zweiundvierzig, tendierte schon seit seiner Zeit an der Marineakademie in Annapolis zum Rebellentum und war ein Freigeist, der sich nur ungern unterordnete. Ein Wunder, dass er es bis zum Kapitän eines Flugzeugträgers gebracht hatte. »Sie 48

machen sich Sorgen wegen undichter Stellen. Wie immer eigentlich. Aber jetzt scheinen sie in Washington fast schon an Paranoia zu leiden. Man kriegt beinahe das Gefühl, sie befürchten, dass, falls auch nur CIA, NSA oder IAC davon erfahren, es sofort in den Abendnachrichten gebracht würde.« Adams setzte sich wieder an den Tisch. Die beiden anderen legten das Papier weg. »Wie könnte man angesichts der Größe der Operation auch verhindern, dass etwas nach außen dringt?«, wollte Haggerty wissen. »Denen muss doch klar sein, dass bald jemand Lunte riechen wird, und zwar nicht nur, was unsere Aktionen hier betrifft, sondern auch die in den Vereinigten Staaten und im Mittelmeerraum. Es ist unmöglich, unbemerkt so viele Männer, Schiffe und Stellungen zu verlegen und eine solche Anzahl von Leuten in Marsch zu setzen.« »Richtig, Frank, und genau das habe ich auch Kashigian zu erklären versucht«, entgegnete Adams. »Aber der Verteidigungsminister hat sich nun einmal darauf versteift, und zwar mit einem fast schon religiösen Eifer, der die Schura wie eine Sonntagsschulklasse aussehen lässt. Ich verstehe zwar den Grund nicht ganz, doch sie treiben die Sache in einem Tempo voran, wie ich es noch nie zuvor erlebt habe. Ich kann es mir nur damit erklären, dass sie Informationen besitzen, die sie uns und dem Rest der Welt vorenthalten, oder …« »Oder was, Admiral? Ich verstehe das einfach nicht. Die Iraner drohen, die ganze Region in die Luft 49

zu jagen. Im Irak regiert immer noch das Chaos, und wir werden auf Schritt und Tritt von Terroristen verfolgt. Warum, zum Teufel, sollten wir ausgerechnet jetzt ein gewaltiges Manöver mit den Ägyptern im Roten Meer veranstalten und den Großteil der Fünften Flotte zehn Tage lang aus dem Golf abziehen?« Haggerty stand auf und schlenderte zu der Luftaufnahme des Golfs hinüber, die Adams zuvor betrachtet hatte. »Ich weiß wirklich nicht, ob ich diese Zeitvorgabe schaffen kann, Admiral«, meinte er, während er sich das Bild ansah. »Hier passiert eine ganze Menge, und genau deshalb dürfen wir nicht wegen einer dämlichen Übung sämtliche amerikanischen Truppen vom Golf abziehen. Was sollen wir Ihrer Ansicht nach tun?« »Ich erwarte von Ihnen, dass Sie Ihre Befehle befolgen, Frank. Vergessen Sie nicht, dass in der Armee letztlich Zivilisten das Sagen haben, obwohl ihre Anweisungen manchmal nicht viel Sinn ergeben. Sie und Ruck veranlassen alles Nötige, um diese Mission durchzuziehen, ohne dass etwas nach außen dringt. Das größte amphibische Manöver seit Menschengedenken, zwei Flugzeugträger-Kampfverbände, der Großteil unserer Truppen am Golf – und das alles für eine Landung an der Rotmeerküste Ägyptens? Vielleicht soll das eine Botschaft an Islamijah sein. Für welches Datum ist die Aktion denn geplant?« Captain Rucker warf noch einen Blick auf den Befehl. »Die Marines werden den Green Beach am 15. März angreifen.« 50

»Die Iden des März, offenbar hat da jemand Sinn für Humor – oder Geschichte. Also haben wir ein bisschen Zeit, um alles vorzubereiten … und um herauszufinden, was eigentlich gespielt wird. Wir müssen uns zwar beeilen, aber es ist machbar«, sagte Adams und lächelte Admiral Haggerty und Captain Rucker zu. Dann zog Vizeadmiral Brad Adams ein letztes Mal an seiner Zigarre. Während er sie in dem großen Aschenbecher aus Messing ablegte, landete eine F-35 elegant auf dem Flugdeck direkt über der Admiralssuite, wobei sie einen Lärm erzeugte, den ein Außenstehender vermutlich für einen Absturz gehalten hätte. Die Blicke der drei Männer wanderten zu dem Monitor, der in einer Ecke des Raums an der Decke hing, um sich zu vergewissern, dass das ohrenbetäubende Geräusch wirklich nur von einer Landung herrührte.

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Kapitel 2 30. Januar

Das Weiße Haus, Westflügel Washington, D. C. Nachdem die Chevrolet Suburbans, die Vor- und Nachhut bildeten, den ersten Kontrollposten passiert hatten, stoppten sie unweit der Ellipse am Straßenrand. Während der schwarze Chrysler, zu dessen Schutz sie abgestellt waren, rasch zum zweiten Wachhaus rollte, ließ der uniformierte Geheimdienstmitarbeiter eine v-förmige Barriere aus Metall herunter, die auch einen Sattelzug aufgehalten hätte. Macintyre sah, wie sich die Augen seiner jungen Analystin vor Ehrfurcht weiteten, als sie sich dem Zaun und dem großen Tor näherten, das zur West Executive Avenue führte. »Waren Sie schon einmal im Weißen Haus, Susan?«, fragte er. »Nur während meiner Highschool-Zeit. Die Touristen-Tour: Red Room, Blue Room, Green Room, East Room … aber diesen Teil hier haben wir damals nicht besichtigt.« Susan Connor kramte nach ihrer Dienstmarke, während Macintyre dem Geheimdienstmitarbeiter seine durch das Wagenfenster zeigte. »Sie müssen sich immer vor Augen halten, dass es sich eigentlich nur um eine Behörde voller Beamter 52

mit einer Einliegerwohnung für den Chef handelt.« Der Wagen bremste vor einer doppelflügligen Tür, über die sich eine Markise spannte. Dahinter befand sich das Erdgeschoss des Westflügels. »Es wird Sie wundern, wie klein alles im Westflügel ist. Schließlich ist das Gebäude hundert Jahre alt und wurde seit einem halben Jahrhundert nicht erweitert … In dieser Straße, der West Executive Avenue, befinden sich die begehrtesten Parkplätze der Stadt. Früher konnten Touristen und Einheimische nach Belieben hier herumspazieren, aber inzwischen wurden drei Sicherheitszonen eingerichtet. Die meisten Mitarbeiter des Weißen Hauses sind eigentlich in dem großen Gebäude hinter uns untergebracht«, erklärte Rusty und wies auf das meist kurz EOB genannte Eisenhower Executive Office Building. »Früher passten das gesamte Kriegsministerium, die Navy und das Außenministerium gleichzeitig ins EOB. Das war zu einer Zeit, als ein Army-General namens Dwight Eisenhower sich eine Fahrkarte für die Straßenbahn zum Capitol Hill holen musste, wenn er vor dem Streitkräfte-Ausschuss Bericht erstatten wollte.« Während MacIntyre sich über die militärische Führung vor einem Dreivierteljahrhundert ausließ, kam die Wagenkolonne des gegenwärtigen zivilen Leiters des Pentagon mit quietschenden Bremsen vor der Markise des Westflügels zum Stehen. Umringt von Assistenten in Zivil und Ordonnanzen, alle mit Aktenkoffern und Mappen bewaffnet, entstieg Verteidigungsminister Henry Conrad seinem gepanzerten 53

Lincoln und marschierte durch die offenen Türen, ohne MacIntyre und Connor eines Blickes zu würdigen. Dabei deutete er immer wieder mit dem Zeigefinger auf einen anderen Mann. »Bei uns heißt das immer noch guten Morgen«, zischte Susan. »Wer ist übrigens der arme Teufel, den er gerade abkanzelt?« »Sein Kofferträger, der Oberste unter den Kriechern, die nach der Pfeife des großen Meisters tanzen müssen«, erwiderte MacIntyre. »Verzeihung, selbstverständlich handelt es sich um den Unterstaatssekretär im Verteidigungsministerium Ronald Kashigian, der offenbar gerade den Unwillen Seiner Hoheit, des Oberbefehlshabers der Streitkräfte, erregt hat.« Connor warf ihrem Vorgesetzten einen Seitenblick zu. »Ich dachte immer, der Präsident wäre der Oberbefehlshaber.« »Das stimmt nur zur Hälfte. Der Präsident und der Verteidigungsminister teilen sich diese Funktion und dürfen beide militärische Maßnahmen, einschließlich des Einsatzes von Atomwaffen, anordnen.« Als Rusty sah, wie Susan zweifelnd das Gesicht verzog, fuhr er fort: »Auf diese Weise soll ein Enthauptungsschlag erschwert und verhindert werden, dass es zu zeitlichen Verzögerungen kommt, weil man den Präsidenten aus einem Fototermin mit den Red Sox holen muss … Gehen wir rein.« Drinnen im Erdgeschoss des Westflügels stellte Susan zu ihrem Erstaunen fest, wie dunkel und niedrig die Flure hier waren. Ein Geheimdienstmitarbeiter in 54

blauem Blazer fragte sie noch einmal nach ihren Dienstmarken und kontrollierte ihre Namen auf einem Computermonitor, während junge Angestellte des Weißen Hauses mit Essentabletts vorbeieilten. MacIntyre setzte seine Führung fort. »Die Kantine des Weißen Hauses befindet sich am Ende dieses Flurs. Sie wird von der Navy betrieben und bietet auch einen Lieferservice für viel beschäftigte Mitarbeiter, die ihre Wichtigkeit dadurch unterstreichen, dass sie ihre Mahlzeiten am Schreibtisch einnehmen. Die Navy ist für die Kantine zuständig, die Air Force für die Präsidentenmaschine, die Marines für die Hubschrauber und die Army für die Kommunikation.« »Haben Sie früher auch mal hier gearbeitet?«, fragte Susan ihren Vorgesetzten. »Ich saß drei Jahre lang in Clintons Nationalem Sicherheitsrat«, flüsterte Rusty. »Ich werde schweigen wie ein Grab«, antwortete Susan ebenso leise. Sie stiegen einige Stufen hinunter, bis sie vor einer Holztür mit Fernsehkamera und Telefon standen. An der Tür hingen ein großes Präsidentensiegel aus bemaltem Gips und darunter eine Messingplakette mit der Aufschrift »Lageraum, Zutritt für Unbefugte verboten«. Rusty griff zum Telefon und blickte in die Kamera. »MacIntyre mit einer Begleitperson.« Ein Summen ertönte, und sie traten in ein enges Vorzimmer. Vom Vorzimmer ging ein kleiner, mit Holz getäfelter Konferenzraum ab, in dem zehn große Ledersessel 55

eng gedrängt um einen massiven Holztisch standen. Vor jedem Platz befand sich ein Messingschild mit dem Namen eines Mitglieds dieses RessortleiterGremiums des Nationalen Sicherheitsrates. Entlang der Wände waren einige kleinere Stühle aufgereiht. An der Wand am Kopf des Tisches prangte ein weiteres Präsidentensiegel. Susan bemerkte in einer Ecke eine Überwachungskamera hinter einer getönten Glaskuppel, in einer anderen eine Tür mit Guckloch. Neben dem Tisch stand eine große weiße Telefonkonsole. An der gegenüberliegenden Wand hingen drei Digitaluhren: »Bagdad«, »Zulu« und »POTUS«. Zulu war, wie Susan wusste, Militärjargon für Mittlere Greenwichzeit, also London. Als sie rasch nachrechnete, kam sie zu dem Ergebnis, dass POTUS – das war das Kürzel für den Präsidenten der Vereinigten Staaten –, der sich gerade an der Westküste aufhielt, heute in der Zeitzone von Los Angeles sein musste, denn »POTUS-Zeit« bezog sich stets auf den aktuellen Aufenthaltsort des Oberbefehlshabers. »Ich habe die endgültige Liste der Gesprächspunkte für das Treffen Ihres Chefs mit dem chinesischen Premierminister nicht zu sehen bekommen«, beschwerte sich Verteidigungsminister Conrad gerade bei Vize-Außenministerin Rose Cohen. »Sie dürfen diese Dreckskerle nicht mit Glacéhandschuhen anfassen. Die sind nämlich hinter demselben Öl her wie wir.« Cohen vertrat heute den Außenminister, der nach Asien gereist war. Ehe sie etwas erwidern konnte, 56

kam Dr. William Caulder, der Nationale Sicherheitsberater, hereingeeilt und nahm am Kopfende des Tisches unter dem Präsidentensiegel Platz. »Fangen wir an. Obwohl es heute hauptsächlich um China geht, gibt es auch noch eine Reihe weiterer offener Fragen.« Er blätterte in einer Mappe, bis er die Tagesordnung gefunden hatte, und las laut die einzelnen Punkte vor. »China: strategische Einschätzung und die chinesischen Raketen in Islamijah, MacIntyre, IAC; Bombenattentate in Bahrain, Peters, Nationales Antiterrorismuszentrum; Manöver Bright Star, General Burns. Und dann wollten Sie noch eine vertrauliche Angelegenheit erörtern, Henry?« Über den Rand seiner Lesebrille hinweg warf der Nationale Sicherheitsberater dem Verteidigungsminister einen Blick zu. Dieser nickte. Wie die Vize-Außenministerin Rose Cohen war auch MacIntyre in Vertretung seiner Vorgesetzten – Sol Rubenstein vom IAC und Anthony Giambi, Leiter des Nationalen Geheimdienstes – hier, die sich zunehmend häufig vor diesen Zeit raubenden Sitzungen drückten, ein Grund, warum Rusty dem Ressortleiter-Gremium schon häufig Bericht erstattet hatte. Es bestand, bis auf den Präsidenten und den Vizepräsidenten, ausschließlich aus Mitgliedern des Nationalen Sicherheitsrates. Wenn man die verschiedenen Geheimdienste und Sicherheitsbehörden mit einem Großkonzern verglich, dann entsprach dieses Gremium gewissermaßen dem Aufsichtsrat. »Gut, zuerst also die Zusammenfassung der letzten 57

Geheimdienstberichte über China. Ich erteile das Wort Mr. MacIntyre vom Geheimdienst-Analysezentrum«, verkündete der Nationale Sicherheitsberater in einem Tonfall, als führe er den Vorsitz bei einer mündlichen Doktorprüfung. Während MacIntyre seine Mappe aufschlug, glitt an der Wand ein Holzpaneel zurück und gab einen großen Plasmamonitor frei, auf dem das erste Bild seines Vortrags zu sehen war: »China, kühn geworden durch ökonomischen Erfolg«. MacIntyre begann: »Das erstaunliche Wirtschaftswachstum Chinas im letzten Jahrzehnt hat das Land in die Lage versetzt, seine Städte zu sanieren, eine heimische Automobilindustrie zu etablieren, die mittlerweile erfolgreich in die Vereinigten Staaten exportiert, sowie die Forschung im Technologiebereich beachtlich auszuweiten und eine schlagkräftige, wenn auch verkleinerte, Armee aufzustellen.« Auf dem Bildschirm erschienen Aufnahmen der Olympiade in Peking, der Wolkenkratzer von Gwangjo und eines Laborparks, gefolgt von Tabellen, die Chinas steil ansteigendes Wirtschaftswachstum illustrierten. »Dieser Prozess ging mit den üblichen Problemen einer Modernisierung einher, wie zum Beispiel gesellschaftlichen Verwerfungen, insbesondere in den ländlichen Gebieten und den alten Industriestädten, Luftverschmutzung durch Industrie und Straßenverkehr und, was am wichtigsten ist, einer gestiegenen Nachfrage nach Öl und Erdgas. Wie Sie an dieser Grafik erkennen können, liegt China nun dicht hinter den 58

Vereinigten Staaten auf dem zweiten Platz beim Ölund Gasimport, und in den nächsten beiden Jahren könnte das Land uns sogar überrunden. Da die Chinesen, was die pro Kopf erzeugte Elektrizitätsmenge betrifft, noch weit hinter uns liegen, können wir mit einem weiteren Ansteigen dieser Importkurve rechnen, wenn mehr Strom benötigt wird. Auf diese Weise gerät China wieder einmal in Abhängigkeit von Russland und den ehemaligen Sowjetstaaten in Zentralasien, von denen das Land den Großteil seines Öls bezieht. Geheimdienstquellen zufolge ist die chinesische Führung nicht sehr erfreut darüber und sucht deshalb nach weiteren Bezugsquellen für Öl. Das könnte auch der Grund dafür sein, dass die Chinesen neuerdings in Islamijah präsent sind, worauf ich später noch zu sprechen kommen werde.« MacIntyre stellte fest, dass fast alle Anwesenden gebannt an seinen Lippen hingen. Als er sich den militärischen Aspekten zuwandte, wachte sogar Finanzminister Fulton Winters auf. Normalerweise hörte Winters nur auf, an seiner Krawatte herumzuspielen, wenn er eine zweideutige Bemerkung machen wollte. »Ständig wird darüber geredet, welche militärische Bedrohung die Chinesen für uns darstellen«, begann er. »Aber die gibt es in Wirklichkeit gar nicht. Die chinesische Wirtschaft kann ohne unsere doch gar nicht existieren. Wir sind ihr Markt. Ja, es stimmt, dass sie durch den Kauf von amerikanischen Treasury-Notes den Großteil unserer Staatsverschuldung 59

halten und dass sie sie theoretisch verkaufen oder nicht mehr weiter kaufen könnten. Das würde hierzulande zu einer Inflation führen und vermutlich die Immobilienblase zum Platzen bringen … Doch davor werden sie sich hüten.« Winters schmunzelte. »Denn eine wirtschaftliche Scheidung würde ihnen viel mehr wehtun als uns.« Als niemand etwas erwiderte, beschäftigte Winters sich wieder mit seiner Krawatte. Rusty fuhr fort. »Eine der eher überraschenden Entwicklungen im strategischen Bereich ist der Ausbau der chinesischen Marine. Seit Jahrzehnten kamen in China nur sowjetische Restbestände und kleine Küstenschiffe einfacherer Bauart sowie Fregatten und Zerstörer zum Einsatz. Später wurden dann ein paar moderne Kreuzer und primitive Flugzeugträger aus der Ukraine und Russland dazugekauft. Doch nun, innerhalb der letzten fünf Jahre, haben die Chinesen drei moderne Flugzeugträger auf dem neuesten Stand der Technik in Dienst gestellt, die mit Kampfflugzeugen bestückt sind, und zwar die Tscheng He, die Hung Bao und die Tschu Man. Die Schiffe wurden alle in Guadar in Pakistan gebaut. Weiterhin haben sie eigene Raketen und Atom-U-Boote entwickelt. Der Besuch des Kampfverbandes Tschu Man in Sydney im letzten Jahr war eine gute Gelegenheit, uns die Schiffe einmal aus der Nähe anzusehen, und sie sind wirklich beeindruckend«, fuhr MacIntyre fort, und auf dem Bildschirm waren Aufnahmen der chinesischen Schiffe zu sehen, die im Hafen von Sydney lagen. 60

»Tschu Man klingt wie der Teenager-Slang meines vierzehnjährigen Sohnes«, scherzte General Burns. »Tschu Man war ein chinesischer Admiral, dessen Flotte um 1420 nach Australien und weit darüber hinaus gesegelt ist, General«, erwiderte MacIntyre. »Die anderen Flugzeugträger wurden ebenfalls nach Admiralen aus dem fünfzehnten Jahrhundert benannt, deren Flotten den Pazifik und den Atlantik erkundeten. Die Botschaft ist eindeutig: Wir Chinesen haben bereits einmal die Weltmeere beherrscht und könnten es auch wieder tun. Doch nun genug von der chinesischen Marine. Befassen wir uns lieber mit dringenderen Angelegenheiten«, fuhr MacIntyre fort, und ein neues Bild erschien auf dem Flachbildschirm. Es handelte sich um eine erstaunlich deutliche Aufnahme des Raketenstützpunkts in Islamijah. Rusty begann zu erläutern: »IAC-Analysten haben vor zwei Tagen diesen von den Chinesen gebauten Raketenstützpunkt in Islamijah entdeckt. Offenbar steht er kurz vor der Inbetriebnahme. Im Jahr 1987 haben sich die Saudis heimlich chinesische Mittelstreckenraketen beschafft. Von der Regierung Reagan zur Rede gestellt, schworen sie, dass sie die Raketen nicht mit Atomsprengköpfen versehen würden. Dank ihres Steuerkreisdurchmessers hätten diese Raketen kaum jemandem geschadet, außer vielleicht den Mannschaften, die an den überirdischen Abschussrampen mit dem Flüssigtreibstoff hantieren mussten.« Der Nationale Sicherheitsberater, der in seinen Unterlagen blätterte, blickte über den Brillenrand. 61

»Steuerkreisdurchmesser?« »Damit ist ihre Zielgenauigkeit gemeint, Billy«, kanzelte ihn Verteidigungsminister Conrad ab. »Machen Sie weiter«, bedeutete er dann mit einer lässigen Handbewegung in MacIntyres Richtung. »Heute, über zwei Jahrzehnte später, sind diese Raketen plötzlich ersetzt worden. Bei einigen handelt es sich um mobile Flugkörper auf fahrbaren Lafetten, andere sind in Silos stationiert. Sie werden mit festem Brennstoff betrieben und haben eine hohe Treffgenauigkeit. Bei den chinesischen Streitkräften sind sie mit Atomsprengköpfen ausgestattet, und zwar mit dreien pro Rakete. Geheimdienstmeldungen zufolge halten sich auf dem Hauptstützpunkt mitten im leeren Viertel zweitausenddreihundert chinesische Militärs auf. Die Zahl der Raketen schätzen wir auf vierundzwanzig auf den Abschussrampen und möglicherweise einige als Reserve. Abgesehen von ihrer militärischen Brisanz deutet diese Stationierung darauf hin, dass die Chinesen viel engere Beziehungen zu dem Regime in Riad unterhalten, als wir zunächst dachten. Obwohl diese Raketen noch von den al-Sauds bestellt wurden, haben die Chinesen sie nach der Revolution dennoch heimlich geliefert und installiert. Unserer Ansicht nach bezahlt die aufgrund unserer Sanktionen finanziell klamme Regierung von Islamijah dafür mit Öl. Bis jetzt weist noch keine der verschiedenen Geheimdienstquellen auf das Vorhandensein von Atomwaffen hin. Wir vermuten, dass die Chinesen mit der 62

Lieferung von Atomsprengköpfen noch zögern, weil sie damit gegen das internationale Verbot der Verbreitung von Atomwaffen verstoßen würden. Was die Treffgenauigkeit der Waffen angeht …« »Das ist doch alles Schwachsinn, MacIntyre!«, fiel der Verteidigungsminister ihm ins Wort. Conrad beugte sich mit finsterer Miene vor und fixierte MacIntyre. »Warum, zum Teufel, glauben Sie, haben die in Islamijah diese Dinger denn gekauft? Um zum Ramadan ein chinesisches Feuerwerk zu veranstalten?« Im Lageraum war es plötzlich totenstill, und alle Augen richteten sich auf den Verteidigungsminister, dessen Schimpftirade nicht mehr aufzuhalten war. »Ich bin überzeugt, dass diese Al-Qaida-Banditen in Riad es auf Atomwaffen abgesehen haben. Kann sein, dass Peking ihnen die Bombe nicht gibt. Durchaus möglich. Aber von den Spinnern in Nordkorea oder ihren Al-Qaida-Kumpeln in Pakistan kriegen sie sie sicher. Oder wollen Sie mir etwa weismachen, dass diese Kerle in Islamabad ihren Glaubensbrüdern nicht ein paar von ihren Bomben verkaufen würden? Verdammt, dabei ist Abdul Khan schon vor zehn Jahren mit seiner ›Islamischen Bombe‹ wie mit einem Bauchladen hausieren gegangen.« Conrad schüttelte den Kopf und verzog die Lippen. »Das IAC begreift einfach nicht, welche Bedrohung diese Regimes darstellen.« Nach einer Weile hob MacIntyre die Hand und streckte zwei Finger hoch. Als er das Wort ergriff, sprach er langsam, aber mit Nachdruck. »Ich kann Ihnen aus zwei Gründen nicht zustimmen. Erstens 63

wurden die Waffen eindeutig von unseren Freunden, den al-Sauds, bestellt, als sie noch an der Macht waren. Die Vorlaufzeit ist so lang, dass die Raketen in dem Jahr seit der Entmachtung der al-Sauds unmöglich bestellt und geliefert worden sein können. Und zweitens passen nur Sprengköpfe aus chinesischer Fabrikation auf diese Raketen. Man kann nicht einfach einen pakistanischen Sprengkopf nehmen und auf eine CSS-27 schrauben. Schließlich handelt es sich bei diesen Dingern um Präzisionswaffen. Meiner Ansicht nach haben wir es im Moment mit sehr treffsicheren und sprengstarken konventionellen Waffen zu tun, Blockbustern im wahrsten Sinne des Wortes, mit einer Waffe also, die den Zweck verfolgt, den Iran abzuschrecken, indem man sie auf die Innenstadt von Teheran richtet.« Der Verteidigungsminister schnaubte höhnisch und blätterte weiter in seinem Aktenordner. »Gut. Ich danke Ihnen, Russell. Und nun zu den Bombenanschlägen in Bahrain. NCTC?« Sean Peters, der Leiter des Nationalen Antiterrorismuszentrums NCTC, schilderte die bei den Anschlägen auf die Hotels in Manama angewandten Techniken, die Schäden und nannte einen möglichen Schuldigen. »Aller Wahrscheinlichkeit nach war es das iranische Al-Quds-Kommando, auch als JerusalemKommando bekannt, eine Kombination aus Untergrundarmee und Sondereinsatzkommando, das schon seit Jahren Sprengstoffanschläge in Bahrain und der übrigen Golfregion verübt.« 64

»Schwachsinn! Ich kann diese angeblichen Geheimdiensterkenntnisse allmählich nicht mehr hören. Die Iraner haben nichts damit zu tun!« Diesmal schlug Verteidigungsminister Conrad sogar mit der Faust auf den Tisch. »Ron, erklären Sie es ihnen. Schließlich hat man versucht, Sie umzubringen.« Unterstaatssekretär Ronald Kashigian, der auf einer Bank hinter Conrad saß, räusperte sich. Mit seiner dicken Brille und dem Stoppelhaarschnitt sah er aus wie der Trainer einer College-Mannschaft. »Ich war gerade im Hotel, als der Anschlag stattfand. Unsere Geheimdienstleute nehmen an, dass er mir galt.« Seine Ohren liefen rot an. »Sie, also die Experten vor Ort, sagten, dass der Übergriff eindeutig die Handschrift von Riad trägt … Islamijah also.« »Wir sind überzeugt, Billy«, ergriff der Verteidigungsminister wieder das Wort und fuchtelte dem Nationalen Sicherheitsberater mit dem Zeigefinger vor der Nase herum, »dass dieses Al-Qaida-Regime in Riad König Hamad von Bahrain eine Botschaft zukommen lassen wollte: Wirf die Amerikaner raus, oder wir werden dein Land durch weitere Anschläge dieser Art unsicher machen. Diesen Leuten genügt ihr fanatisches Kalifat in Saudi-Arabien noch nicht. Sie wollen ihre Revolution in die gesamte Golfregion exportieren!« »Und wen halten die Bahrainis für den Schuldigen?«, fragte Dr. Caulder, früher Professor an der University of Chicago, der vor einem halben Jahr nach dem tödlichen Schlaganfall seines Vorgängers 65

als Nationaler Sicherheitsberater eingesprungen war, höflich. »Sie wissen es nicht, Dr. Caulder«, erwiderte der Leiter des NCTC nur und setzte sich wieder. »Dann lassen Sie uns fortfahren. Vielleicht schaffen wir es ja, uns auf den nächsten Punkt zu einigen. Manöver Bright Star. General Burnside?« »Burns, Sir.« Der gut aussehende Vier-SterneGeneral der Air Force strahlte Gelassenheit aus. Nach einer Karriere als Pilot war er nun der zweitmächtigste Militär der USA und Vizedirektor der Vereinigten Stabschefs. »Bright Star ist ein gemeinsames Manöver des Regionalen Oberkommandos mit den Ägyptern, das schon seit über zwanzig Jahren regelmäßig stattfindet. Eine Zeit lang war die Sache ein wenig eingeschlafen, und in den vergangenen Jahren fand das Manöver stets nur in kleinem Rahmen statt. Doch nun, nach der Revolution in Saudi-Arabien, wollen die Ägypter im Roten Meer eine gute Show aufführen, um Riad zu demonstrieren, dass sie die volle militärische Unterstützung der Vereinigten Staaten genießen. Nur für den Fall, dass die Regierung von Islamijah auf den Gedanken kommen sollte, ihre Revolution nach Westen auszudehnen. Wir planen das größte kombinierte Manöver von See- und Landstreitkräften der jüngeren Vergangenheit, den umfangreichsten Einsatz von Fallschirmjägern und das gewaltigste Übungsbombardement, das wir je durchgeführt haben. Drei Amphibieneinheiten 66

der Marines werden an drei Stellen an der ägyptischen Rotmeerküste an Land gehen, und zwar mit etwa 15 000 Mann.« Mit einem Laser-Pointer projizierte der General einen roten Punkt auf den Flachbildschirm. »Zwei Fallschirmjägerbrigaden der 82nd Airborne Division werden ihnen mit rund 9000 Mann folgen, um den Strand einzunehmen. Die Zielgebiete werden von B-1 und B-2 der Air Force bombardiert, die in den Staaten stationiert sind, zusätzlich noch von Marinefliegern der Flugzeugträger-Kampfverbände Bush und Reagan im Roten Meer. Die Marines und die Fallschirmjäger werden mit der 1. und 2. ägyptischen Panzerdivision zusammentreffen und sich dann gemeinsam das Niltal hinaufbewegen, um zu demonstrieren, wie perfekt die Zusammenarbeit zwischen den diversen Truppenteilen und den beiden Armeen funktioniert. Sinn und Zweck der Übung ist, dass die Leute in Riad aus dem Fernsehen und durch ihre Geheimdienste erfahren, was die gewaltige militärische Schlagkraft der Vereinigten Staaten von Amerika alles bewirken kann.« General Burns schaltete den Laser-Pointer aus und setzte sich wieder. »Hat jemand Fragen an General Burns? Nein? Dann danke ich Ihnen. Sie können jetzt gehen, mit Ausnahme der Leiter und stellvertretenden Leiter der einzelnen Ressorts«, sagte Dr. Caulder. »Wir treffen uns am Auto, Susan.« MacIntyre drehte sich vom Tisch weg und flüsterte seiner Analystin zu, die hinter ihm saß. Nachdem wieder Ruhe eingekehrt war, wandte 67

sich der Nationale Sicherheitsberater Caulder an den Verteidigungsminister. »Was gibt es, Henry? Worüber wollten Sie im kleinen Kreis sprechen?« Conrad war hoch gewachsen, breitschultrig und trug einen offensichtlich teuren Doppelreiher. Voller Tatendrang rutschte er unruhig auf seinem Stuhl herum. »Es handelt sich um eine sehr heikle Angelegenheit, Billy«, begann er, um einiges leiser als zuvor. »Ich habe deshalb so auf meinem Standpunkt beharrt – tut mir Leid, MacIntyre –, weil wir über sehr gute Quellen innerhalb der chinesischen Volksbefreiungsarmee verfügen. Diese Informanten haben uns mitgeteilt, die Armee und die Marine hätten den Befehl erhalten, eine Infanteriedivision zu mobilisieren und sie heimlich nach Saudi-Arabien zu schicken, und zwar mit Ro-RoFrachtern und Boeing-777-Passagierjets der Air China. Das Ganze wird von einem Expeditionskorps der chinesischen Marine geschützt, einschließlich zweien der bereits erwähnten neuen Flugzeugträger, und begleitet von ihren Kreuzern, bestückt mit neuen AntiSchiff-Raketen, sowie von U-Booten. Diese Operation wird als Flottenbesuch getarnt, und zwar mit Stationen im australischen Perth, in Pakistan und zu guter Letzt in Saudi-Arabien. Natürlich werden sie am Golf sofort die Hosen voll haben – damit meine ich die kleineren Golfstaaten und den Iran –, während die Inder die Krise kriegen, was nur gut für uns sein kann. Allerdings haben wir ein echtes Problem: rotchinesische Infanterie in 68

Saudi-Arabien und ihre Flotte zum ersten Mal im Indischen Ozean. Sehen Sie, und deshalb halte ich es für gar nicht so unwahrscheinlich, dass die Chinesen die Atomsprengköpfe liefern werden, die auf MacIntyres Raketen passen. Solange sich massenweise chinesische Soldaten im Land befinden, könnten sie genau das versuchen, weil sie davon ausgehen, dass wir nie chinesische Truppen bombardieren würden. Die Chinesen unterstützen das islamische Regime, solange es noch schwach ist, um sich langfristig den Zugriff auf die gesamten dortigen Ölvorräte zu sichern. Wir hingegen brauchen unsere strategischen Ölreserven auf und sitzen von Michigan bis Maine im Kalten, weil wir Öl aus Saudi-Arabien mit Sanktionen belegt haben. Auf dem Weltmarkt bezahlen wir deshalb Höchstpreise für Öl, das vermutlich ohnehin aus Saudi-Arabien kommt, nur dass wir es dann von Mittelsmännern kaufen. Wir pumpen Alaska trocken und schlagen uns mit den Leuten herum, die unseren Abzug aus dem Irak gefordert haben. Gleichzeitig blockieren Chinesen das saudiarabische Öl durch langfristige Verträge, die sie mit Hilfe ihrer gottverdammten Armee schützen!« Wieder einmal hatte der Verteidigungsminister die Anwesenden im Lageraum zum Verstummen gebracht. »Und wann genau soll das passieren?«, fragte Vizeaußenministerin Cohen schüchtern. 69

»Irgendwann im März«, erwiderte der Verteidigungsminister, ohne zu zögern. »Vielleicht müssen wir es auf eine Konfrontation ankommen lassen und sie daran hindern, mit ihrem Flottenverband am Golf vor Anker zu gehen.« Nun wurde es Cohen zu bunt, und sie schlug mit der flachen Hand auf den Konferenztisch. »Dem Gesetz nach haben Sie nicht die geringste Handhabe zu solch einer Aktion, Henry. Ausländische Marineeinheiten an der Weiterfahrt zu hindern würde als kriegerischer Akt angesehen werden. Denken Sie doch an die Kubakrise, die damals beinahe einen Atomkrieg ausgelöst hätte. Was zum Teufel haben Sie vor? Wollen Sie etwa einen Atomkrieg mit China riskieren?« »Auf dem Schreibtisch des Präsidenten liegt der von mir verfasste Entwurf eines Plans, um dieses fanatische Mördergesindel in Riad zu stürzen. Das Seeembargo ließe sich in den Maßnahmenkatalog integrieren. Wir müssen etwas unternehmen, bevor die Chinesen uns zuvorkommen. Angesichts unserer militärischen Überlegenheit werden sie mit Sicherheit einen Rückzieher machen. Schließlich wissen sie, dass wir nur eine Stunde brauchten, um ihre gesamte Flotte zu versenken. Und die Inder würden uns auch noch unterstützen.« Conrad klappte laut seine Mappe zu. »Dr. Caulder, weshalb weiß ich nichts von einem solchen Plan?«, fuhr Cohen entrüstet den Nationalen Sicherheitsberater an. »Das liegt daran, dass Sie nicht die nötige Sicherheitsfreigabe besitzen, meine Liebe«, antwortete Con70

rad mit Genugtuung in der Stimme, stand auf und marschierte aus dem Lageraum. Der Nationale Sicherheitsberater drehte sich zu Rose Cohen um. »Sein Plan wird nicht ernsthaft in Erwägung gezogen, Rose«, sagte er. »Deshalb ist er auch so wütend.« Dr. Caulder ließ seine Mappe auf dem Tisch liegen, als er dem Verteidigungsminister hinterhereilte. »Warten Sie einen Moment, Henry«, rief er ihm nach. »Ich denke, das bedeutet wohl, dass die Sitzung geschlossen ist«, sagte Macintyre in den Raum hinein. Kashigian, der im Gegensatz zu den übrigen »Hinterbänklern« geblieben war, kam auf Macintyre zu und stellte sich ihm in den Weg. »Mischen Sie sich bloß nicht ein. Sonst werden Sie und Ihr Chef Rubenstein sich vor der Geschichte verantworten müssen, wenn Sie verstehen, was ich meine.« »Ich habe keine Ahnung, wovon Sie reden, aber für mich klang es ganz wie eine Drohung«, verkündete Macintyre laut, sodass alle ihn hören konnten. »Halten Sie sich einfach aus Dingen raus, die Sie nichts angehen, kapiert?«, erwiderte Kashigian, machte auf dem Absatz kehrt und eilte hinaus, um den Verteidigungsminister einzuholen, der bereits von seiner Wagenkolonne erwartet wurde. Der Lageraum leerte sich rasch. Macintyre ging in die Kantine, wo er an der Theke zwei Becher Joghurteis kaufte. Die beiden Becher auf einem Tablett balancierend und seine Mappe unter dem Arm, marschierte er an den Geheimdienstmitarbeitern vorbei 71

und steuerte auf Susan Connor zu, die neben dem schwarzen Chrysler vor dem Gebäude stand. »Rusty, wir haben Februar. Wer isst im Februar Eis?«, platzte Susan heraus. »Schön, dass Sie mich endlich nicht mehr Mr. Macintyre nennen. Außerdem ist das Joghurt, kein Eis. Und nach dieser Sitzung tut ein bisschen Abkühlung nur gut«, antwortete Macintyre und reichte ihr einen Becher. »Die spinnen doch alle, Chef«, meinte Susan, als sie ihr Eis in der Hand hielt. »Das ganze verdammte Pentagon hat eine Schraube locker.« Die beiden setzten sich ins warme Auto. »Im Pentagon arbeiten etwa 30 000 Menschen. Für das Verteidigungsministerium sind rund drei Millionen Leute tätig. Und nicht alle davon spinnen.« Rusty löffelte sein Eis, während der Chrysler den Hof des Eisenhower-Gebäudes überquerte und in die 17th Street einbog. Ein Geheimdienstmitarbeiter schaltete die Ampel auf Rot, um den Verkehr anzuhalten, als der erste Suburban das Tor verließ. »Tja, aber deren Boss sollte man wirklich einweisen lassen«, meinte Susan kichernd. »So etwas habe ich ja noch nie erlebt.« »Willkommen in der Oberliga.« Macintyre schmunzelte. »Das Beste haben Sie verpasst. Conrad ist so scharf darauf, die al-Sauds wieder auf den Thron zu hieven, dass er sogar einen Krieg mit China anzetteln würde. Und zwar am liebsten schon in den nächsten Wochen.« 72

»Was hat er davon, dass er sich aufführt, als wäre er Vizekönig der Welt von Gottes Gnaden?«, lispelte Susan, deren Zunge von dem gefrorenen Joghurt ganz taub war. »Und wie ist er nur an diesen Job gekommen? Besitzt er vielleicht Fotos, auf denen der Präsident es mit einer Ziege treibt?« »Er war an der Wall Street Spezialist für Firmenübernahmen, kaufte marode Unternehmen billig auf, sanierte sie und verkaufte sie dann für den sechs- bis siebenfachen Preis weiter.« Macintyre betrachtete durch das Wagenfenster einige Touristen auf dem Gehweg, die sich offenbar fragten, welche wichtige Persönlichkeit da gerade das Weiße Haus verließ. »Dann kandidierte er als Gouverneur von Pennsylvania, seinem Heimatstaat. Aber das wussten Sie vermutlich schon. Er stammt aus einer wohlhabenden Familie und trat unter dem Motto ›Hilfe zur Selbsthilfe‹ an. Zumindest war das sein Wahlkampfslogan. Außerdem hat er im Präsidentschaftswahlkampf Pennsylvania für den Präsidenten erobert und ihm zu 300 Millionen Dollar von der Wall Street verholfen. Der Präsident hält Conrad für einen brillanten Kopf.« MacIntyre verspeiste einen großen Löffel Joghurt, während der Wagen die Corcoran Gallery entlang und in Richtung Foggy Bottom raste. Nach der Rückkehr ins GeheimdienstAnalysezentrum ging MacIntyre sofort ins Büro seines Vorgesetzten, um ihm über die Sitzung Bericht zu erstatten. Sol Rubenstein brütete gerade über einer Analyse der Lage in Nordkorea. 73

»Wie ich höre, hatten Sie eine kleine Auseinandersetzung mit dem allmächtigen Verteidigungsminister«, begrüßte er seinen jungen Stellvertreter, ohne aufzublicken. »So was spricht sich offenbar rasch herum«, meinte Rusty und ließ sich in einen der beiden großen Ledersessel neben dem Schreibtisch sinken. »Ich habe eben gute Quellen«, erwiderte Rubenstein und nahm in dem anderen Sessel Platz. »Rosie hat mich aus dem Auto angerufen. Sie sagte, Sie hätten sich gut gegen diesen Mistkerl geschlagen. Richtig so. Zum Teufel mit ihm.« »Ich glaube seinen militärischen Geheiminformationen in puncto China nicht. Ob man Raketen verkauft oder Truppen zur Verteidigung von Islamijah entsendet, das sind immer noch zwei Paar Stiefel. Und dann seine Wahnidee, die Chinesen würden Riad Atomwaffen liefern. Ich glaube nicht einmal, dass Islamijah diese Art von Hilfe überhaupt annehmen würde. Die holen sich doch nicht noch mehr Ungläubige in ihr heiliges Land.« MacIntyre beugte sich zu seinem Vorgesetzten hinüber. »Ich weiß nicht so recht, Rusty. Es sind schon merkwürdigere Dinge geschehen. Theoretisch ist alles möglich«, sagte der Direktor des IAC. »Passen Sie auf. Wenn Sie der Chef von Islamijah waren, hätten Sie derzeit sicher auch nichts gegen militärischen Beistand einzuwenden. Ihre Waffen funktionieren nicht, weil alle Amerikaner abgezogen sind und weil wir keine Ersatzteile herausrücken. Conrad verkündet jede Wo74

che in einer Rede, dass das Böse in Riad ein neues Zuhause hat. Die Iraner mischen wieder in Bahrain mit. Inzwischen hat Teheran die Iraker auf seine Seite gezogen. Wer weiß, was daraus noch entstehen kann.« »Für mich passieren momentan zu viele Dinge gleichzeitig. Auf dem Schachbrett wimmelt es von Figuren, und es hat außerdem drei Ebenen«, meinte MacIntyre. »Richtig. Die Ereignisse überstürzen sich. Und deshalb braucht Amerika wirklich gute Analysten«, entgegnete Rubenstein und richtete sich auf. »Ich mache Ihnen folgenden Vorschlag: Fliegen Sie nach London. Dort gibt es einige kluge Leute, die sich in dieser Sache auskennen und gute Kontakte haben, und zwar bessere als wir. Doch sie geben ihre Informationen nicht auf dem üblichen Dienstweg an die CIA weiter. Mit jemandem in Ihrer Position werden sie jedoch offen reden. Außerdem haben Sie so die Möglichkeit, Sarah etwas Hübsches aus der Portobello Road mitzubringen. Sie hat doch eine Schwäche für Antiquitäten, richtig?« »Sie kennen sich ja wirklich gut aus«, erwiderte Rusty und stand auf. »Ein Mann in meiner Position darf diesmal sicher erster Klasse fliegen?« »Nein, Business Class«, entgegnete Rubenstein und wandte sich wieder seinen Unterlagen über Nordkorea zu. MacIntyre schlenderte auf Rubensteins Schreibtisch zu und legte lautlos ein kleines blaues Gerät darauf. 75

»Was zum Teufel ist das?«, fragte sein Vorgesetzter. »Ein BlackBerry. Es ist bereits für Sie programmiert und auf Ihren Namen bei Yahoo angemeldet. Außerdem ist es so eingestellt, dass es mir mit dem PGP-Verschlüsselungsprogramm codierte E-Mails an eine Adresse bei Yahoo schickt, die nur Sie und ein paar andere kennen. Kurz gesagt handelt es sich um Ihr ganz privates Kommunikationssystem. So halte ich mit Ihnen Kontakt, während ich unterwegs bin.« MacIntyre reichte seinem Chef das BlackBerry. »Bestimmt werde ich nie begreifen, wie dieses Ding funktioniert«, antwortete Rubenstein und hielt das Gerät von sich weg wie einen von Außerirdischen abgeworfenen Kultgegenstand. »Ich weiß. Und deshalb habe ich eine meiner neuen Analystinnen, Susan Connor, gebeten, Ihnen zu helfen. Sie ist – im Gegensatz zu manchen anderen Menschen – technisch sehr begabt.« Lachend ging MacIntyre zur Tür. Endlich blickte Rubenstein auf. »Es stört Sie doch nicht, nach Großbritannien fliegen zu müssen?« »Ich habe Debbie bereits gebeten, den Flug zu buchen«, erwiderte Rusty. »Eigentlich bin ich nur gekommen, um Sie zu überreden.« »Raus!«, brüllte der Direktor. »So hauen Sie schon endlich ab!«

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Salmanijah-Klinik Manama, Bahrain »Dr. Rashid, ich bin ja so froh, dass Sie hier sind. Außerdem möchte ich Ihnen sagen, dass Sie nur fragen müssen, wenn Sie Hilfe brauchen, um sich hier zurechtzufinden.« Die reizende pakistanische Krankenschwester sprudelte förmlich über vor Begeisterung, als sie sich am Abend von dem neuen Arzt verabschiedete. Es war das Ende von Ahmeds erstem Dienst, und er war hundemüde. Trotzdem durfte er sich keine Ruhe gönnen, denn er hatte heute Abend noch eine Menge vor. Ahmed bin Rashid überquerte den nahezu leeren Parkplatz und ließ den verbeulten Nissan an, der ihn zusammen mit einer Wohnung und dem Job hier erwartet hatte. Die Mitarbeiter seines Bruders hatten sich um alles gekümmert. Er fuhr zu dem Wohnblock an der Strandpromenade von Manama, in dem er lebte, und parkte auf der Straße unweit der Promenade, die einen malerischen Blick auf die Bucht bot. Ahmed betrat das Haus durch den Hintereingang, der praktischerweise nicht abgeschlossen war. Drinnen brannte kein Licht. Doch sobald er einen Fuß über die Schwelle gesetzt hatte, wurde er von zwei Händen an den Schultern gepackt und herumgedreht. Ein fester Griff umfasste seine Arme dicht oberhalb der Ellenbogen. Ahmed konnte in der Dunkelheit nichts sehen und versuchte erschrocken, sich aus der Umklammerung zu befreien, doch der 77

Unbekannte, der ihn festhielt, war deutlich stärker als er. »Einen Moment bitte, Doktor«, sagte eine ruhige Stimme. Im nächsten Moment wurde er von einem zweiten Händepaar abgetastet. Offenbar war der Mann zufrieden, denn Ahmeds Arme wurden plötzlich losgelassen. »Hier entlang«, befahl die Stimme. Die Männer gingen voran. Während Ahmed ihnen folgte, gewohnten sich seine Augen allmählich an die Dunkelheit, und er konnte die Gestalten vor sich besser erkennen. Als sich sein rasender Herzschlag wieder beruhigte, schickte er ein stilles Dankgebet zum Himmel, weil er sich nicht blamiert und wie ein verängstigtes kleines Mädchen aufgeführt hatte, denn offenbar handelte es sich bei diesen Männern um die Agenten, mit denen er zusammenarbeiten sollte. Ahmed eilte hinter ihnen her und durch eine weitere Tür in einen dämmrig erleuchteten Lagerraum im Keller, wo drei weitere Männer warteten. Jetzt, dachte er, jetzt geht es los. Plötzlich war seine Müdigkeit wie weggeblasen. Der Mann, der ihn gepackt hatte, drehte sich zu ihm um und ergriff das Wort. »Willkommen, Bruder. Wir sind dein Team. Mein Name ist Saif, und wir erwarten deine Befehle.« Der Mann hatte breite Schultern und den Körperbau eines Bodybuilders. Ahmed schätzte ihn auf Mitte bis Ende zwanzig; vermutlich war er der Älteste in dieser Gruppe junger Männer. 78

Ahmed holte tief Luft, als ihm zu seinem Entsetzen klar wurde, dass er als der Unerfahrenste im Raum offenbar das Kommando übernehmen sollte. Die anderen schienen es jedenfalls von ihm zu erwarten. »Warum erzählt ihr mir nicht zuerst, wo ihr arbeitet und warum ihr euch unserer Sache angeschlossen habt?« Sie waren alle bahrainische Sunniten, kamen jedoch nicht aus wohlhabenden Familien. Sie entstammten dem Kleinbürgertum, dem eine gute Ausbildung meist verwehrt war und das so gut wie keine Chance hatte, einen guten Job zu ergattern. Vor vier oder fünf Jahren hatten sie in Riad eine Koranschule besucht und waren anschließend rekrutiert und nach Bahrain zurückgeschickt worden, wo sie noch zwei alte Freunde angeworben hatten. »Wir sind nur eine kleine Zelle, aber wir glauben, dass es außer uns noch andere gibt«, erklärte Saif bin Razaq, der Anführer. »Unsere Stärke ist die Kunst der Infiltrierung«, fuhr er fort und wies nacheinander auf seine Freunde. »Wir arbeiten im Reisebüro, auf dem amerikanischen Marinestützpunkt, in der Vermittlungszentrale für Auslandsgespräche, im Außenministerium und am Flughafen. Ich bin bei einer iranischen Import/Export-Firma in Sitra beschäftigt, die als Tarnung für das Quds-Kommando dient.« »Aber warum geht ihr für uns solche Risiken ein? Was erhofft ihr euch davon?«, fragte Ahmed und musterte im Dämmerlicht angestrengt die Gesichter der fünf Eiferer. 79

»Wir tun es nicht für dich, Doktor, sondern für Allah«, erwiderte Fadl, der am jüngsten aussah, und fügte leise hinzu: »Wir möchten, dass Bahrain ein Teil des neuen Islamijah wird. Zurzeit werden wir von einer Familie regiert, die zwar aus Sunniten besteht, aber von den Schiiten, der Mehrheit hier, bedroht wird.« »Der Iran unterstützt die Schiiten«, ergänzte Saif. »Die Mullahs haben geschworen, Bahrain dem Iran einzuverleiben, wie der Schah es schon seinerzeit vorhatte. Die Mehrheit der Schiiten soll vom sunnitischen Joch befreit werden. Pah!« Er spuckte auf den Boden. »Von hier aus wollen sie dann in die östlichen Provinzen von Islamijah vorrücken, um auch dort angeblich der schiitischen Mehrheit zu ihrem Recht zu verhelfen. Doch in Wirklichkeit haben sie es nur auf das Öl abgesehen.« »Wenn Bahrain Teil eines Großreichs Islamijah wird, gehören wir Sunniten zur Mehrheit einer gewaltigen neuen islamischen Nation, die die Perser zurückdrängen kann«, beendete Fadl den Gedanken. »Die Perser haben viel Geduld und ebenso viel Zeit«, wandte Ahmed ein. »Sie glauben, sie brauchen nur abzuwarten und weiter Unfrieden zu stiften, bis ihnen alles in den Schoß fällt wie eine reife Feige vom Baum.« »Nein, Doktor, sie wollen nicht warten«, protestierte Saif aufgeregt. »Das sind die Neuigkeiten, die wir dir mitteilen sollen. Sie planen im Monat des ersten Jamada eine große Operation. Deshalb haben sie 80

auch die Bombenanschläge in Manama verübt und sie anschließend uns in die Schuhe geschoben.« Saif zog eine amerikanische Zeitung aus der Tasche. »Schau dir nur an, welche Lügen sie verbreiten. Lies das. Sie behaupten, der Anschlag sei das Werk von Terrorzellen aus Islamijah!« »Wisst ihr genau, dass die Perser hinter den Bombenangriffen stecken?«, fragte Ahmed und griff nach der Ausgabe von USA Today. »Wie ich schon sagte, Doktor, arbeite ich in einer Firma, die dem iranischen Quds-Kommando als Tarnung dient. Ich warte den Fotokopierer und die Drucker.« Zum ersten Mal huschte ein Lächeln über Saifs Gesicht. »Und manchmal stecke ich auch ein, was sie so ausdrucken.« Er reichte Ahmed ein dickes Papierbündel in einer roten Aktenmappe. »Das QudsKommando ist hier, um weitere Sprengstoffanschläge auf die amerikanische Marine zu verüben. Dann, im ersten Jamada, wollen sie einen Staatsstreich anzetteln, einen Volksaufstand, wie sie es schon vor zehn Jahren geplant hatten. Nur dass sie diesmal von der Abwesenheit der amerikanischen Flotte ausgehen. Also kann niemand die persischen Streitkräfte daran hindern, zu landen und den Aufstand zu unterstützen.« »Die amerikanische Flotte verlässt Bahrain niemals«, entgegnete Ahmed und klappte die rote Aktenmappe auf. »Doktor, in den letzten Jahren haben die Amerikaner ihre Soldaten und Schiffe aus dem Libanon, Somalia, Saudi-Arabien, Afghanistan und dem Irak 81

zurückgezogen.« Fadl blickte lächelnd auf. »Vielleicht wissen die Perser ja, wann sie auch von hier fortwollen.« Ja, dachte Ahmed. Vielleicht tun sie das wirklich. Er hob den Kopf. »Saif, du musst herausfinden, wann und wie das Quds-Kommando das nächste Mal gegen den amerikanischen Marinestützpunkt losschlagen will.« Er stand auf. »Wir können nicht zulassen, dass die Perser ihre Übergriffe auf Islamijah schieben. Die Amerikaner dürfen keinen Vorwand für Vergeltungsmaßnahmen bekommen.« Ahmed bin Rashid ging zur Tür. »Hör dich um, Saif. Und nun, Brüder, entschuldigt mich bitte. Ich habe noch etwas zu erledigen.« Als Ahmed seinen Nissan aufschloss, war er mit den Männern in seiner Zelle und mit seinem eigenen Auftritt als Oberspion sehr zufrieden. Er würde die Kontakte und Fähigkeiten seiner Leute nutzen, um Informationen für Islamijah zu sammeln und seinem Bruder Abdullah zu beweisen, wie wertvoll seine Arbeit für ihn war. Wenn er Belege dafür fand, dass die Iraner einen Anschlag auf die Amerikaner planten und Islamijah dafür verantwortlich machen wollten … oder – noch besser – wenn es ihm, Ahmed, sogar gelang, diesen Terrorakt zu vereiteln … Als Ahmed den Parkplatz hinter dem Hochhaus überquerte, war er auf dem kleinen Monitor gut zu erkennen. Dieser befand sich im Inneren eines Bedford-Lieferwagens, der auf der anderen Straßenseite parkte. »Danke, Dr. Rashid«, flüsterte eine Stimme 82

auf Englisch mit britischem Akzent. »Wir haben uns schon lange gefragt, wer die Zelle im Auftrag von Riad leiten wird. Mr. Douglas wird sich über diese Information sicher freuen.«

1. Februar Ein Gästehaus der Regierung Jamaran, Iran (im Norden von Teheran) »Die Elburz sind bei Schnee wunderschön«, sagte der Mann im Anzug. »Ja, das sind sie, General. Aber das sind die Berge eigentlich das ganze Jahr über«, antwortete der Geistliche. »Setzen wir uns ans Feuer, und trinken wir einen heißen Tee.« Die beiden Männer ließen sich in großen Sesseln neben dem gemauerten Kamin nieder. Zwischen ihnen stand eine Teekanne auf einem Tisch. »Phase eins von ›Fischbecken des Teufels‹ ist abgeschlossen. Auf der ProTslamijah-Website ist ein Bekennerschreiben erschienen, aber die Geheimpolizei von Bahrain hält unsere schiitischen Brüder für die Schuldigen. Man wird Maßnahmen gegen sie in die Wege leiten«, berichtete der General. »Ausgezeichnet. Dann werden die Amerikaner glauben, dass Riad dahintersteckt. Und die al-Khalifas in Bahrain werden hart gegen die Schiiten durchgreifen.« Der Geistliche grinste breit. »Gut gemacht. Was kommt jetzt?« 83

»Wir führen das ›Fischbecken des Teufels‹ zu Ende. Im Anschluss daran werden der Armenier und sein Chef von Riad sicherlich Vergeltung für den Tod so vieler tapferer Seeleute fordern«, erwiderte der General, während er für sich und den Geistlichen Tee einschenkte. »Kann man dem Armenier und seinem Chef denn wirklich vertrauen?«, erkundigte sich der Geistliche. »Sie, mein Freund, sind der Einzige, dem ich absolut vertraue.« Der General schmunzelte. »Aber die beiden sind leichtgläubig und habgierig. Und da ihnen klar sein muss, dass wir unser kürzliches Treffen mit dem Armenier aufgezeichnet haben, werden sie nicht wagen, uns zu betrügen. Sonst müssten sie nämlich damit rechnen, dass alles ans Licht kommt und sie weg vom Fenster sind.« »Werden Sie in Phase zwei die Iraker einsetzen?«, fragte der Geistliche, worauf der General nickte. »Können uns die Iraker denn von Nutzen sein?« »Allerdings. Unsere Freunde in Bagdad haben jedoch Schwierigkeiten mit den Kurden und den Sunniten. Einige unserer Leute finden, dass es bald an der Zeit sein könnte, Basra abzuspalten.« Der Geistliche erhob sich, strich seine Gewänder glatt und schlenderte zum Fenster hinüber, um die mit Schnee bedeckten Fichten zu betrachten. Dann drehte er sich wieder zum General um. »Sie und das Quds-Kommando sind uns schon seit langer Zeit eine große Hilfe: Sie haben die Hisbollah benutzt, um die Israelis aus dem Libanon zu verjagen. Dann kam 84

Buenos Aires, all das, was Imad Mugnijah erledigt hat, und außerdem die Vereinigung der ZawahiriGruppe mit al-Qaida. Sie haben die Amerikaner dazu gebracht, unseren Mann zu unterstützen und Saddam zu stürzen, anschließend die Regierung in Bagdad … Aber Ihr großer Plan ist viel komplizierter und riskanter. Es sind viele Akteure daran beteiligt, inzwischen vielleicht sogar die Chinesen.« Der Geistliche ließ seine Gebetsperlen durch die Finger gleiten. »Bei allem Respekt, mein Freund, aber es ist allgemein bekannt, dass wir Atomwaffen besitzen.« Der General stand auf und ging zum Feuer. »Allerdings weiß niemand, wie viele es sind und wo sie sich befinden. Deshalb kann uns auch dann nichts geschehen, wenn der große Plan aus irgendeinem Grund scheitert. Allah wird uns beistehen.« Der Geistliche nickte. »Ich glaube, es ist unsere Bestimmung, Allah zu dienen, die Schiiten zu vereinen und sie in ein goldenes Zeitalter zu führen«, sagte er, und seine Begeisterung kehrte zurück. Er ging auf den Al-Quds-Kommandanten zu und legte ihm die Hand auf die Schulter. »Ja, Sie haben Recht. Allah wird uns beistehen.«

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Kapitel 3 2. Februar

U. S. Navy, Verwaltungsstützpunkt (ASU) der Fünften Flotte Juffair, Bahrain In seinem Privatwagen, einem grünen Jaguar, fuhr Brian Douglas von seiner Strandvilla am Stadtrand in den Bezirk Juffair, wo das ASU Bahrain – die Zentrale der amerikanischen Fünften Flotte – untergebracht war. Das vierundzwanzig Hektar große Gelände war von einer hohen, sandfarbenen Ziegelmauer umgeben. Ein Marine im Kampfanzug stoppte den Jaguar und winkte Douglas auf die Haltespur. »Bitte öffnen Sie Motorhaube, Kofferraum und alle vier Türen, und treten Sie vom Wagen zurück, Sir«, befahl ein weiblicher Marine mit M-16-Gewehr, als ein Kamerad mit einem Schäferhund erschien. Während Douglas dastand und zusah, wie der Hund an seinem Jaguar schnupperte, hörte er, dass sich das Turbinengeräusch eines Helikopters näherte. Ein mattgrauer Black Hawk landete auf der Hubschrauberplattform auf der anderen Seite der Mauer und entfesselte dabei auf dem nahe gelegenen Fußballfeld einen kleinen Sandsturm. Nachdem Douglas die Erlaubnis zur Weiterfahrt erhalten hatte, rollte er auf den mit Stuck verzierten 86

Torbogen zu, der den Haupteingang darstellte und aussah, als wäre er auf dem Hinterhof eines Hollywoodstudios von der Kulisse von Aufstand in Sidi Hakim übrig geblieben. Er zeigte den von der Navy ausgestellten Besucherausweis vor und wurde zu Bau 1 geschickt, an dessen Wand die Aufschrift »HQCOMUSNAV-CENT« prangte – eine für die Navy typische Buchstabensuppe, die in knappest möglicher Form darauf hinwies, dass Douglas hier das Hauptquartier des Kommandanten der Fünften Flotte betrat. Kaum hatte Douglas im Empfangsraum Platz genommen, als schon ein kräftiger Mann, der eine Marinefliegerjacke trug, hereingestürmt kam und auf seinen Gast zusteuerte. »Brian Douglas, wie schön, Sie zu sehen, alter Junge.« Mit seinem schütteren rotblonden Haar und dem jungenhaften Gesicht sah er überhaupt nicht aus, wie man sich den Kommandanten der Fünften Flotte vorstellte. »Kommen Sie rein, Brian. Lieutenant, zwei große Tassen Kaffee. Bin gerade mit dem Hubschrauber nach zwei Tagen auf der Reagan zurückgekommen.« Der Leiter der britischen SIS-Niederlassung folgte dem Admiral in das ausgesprochen geräumige Büro. »Tut mir Leid, dass ich Sie seit meiner Ankunft vor einem Monat noch nicht eingeladen habe, aber ich wusste vor lauter Kennenlern-Treffen den Golf hoch und runter kaum noch, wo mir der Kopf stand. In der letzten Woche habe ich mehr königliche Familienstammbäume auswendig gelernt als während mei87

nes Studiums der europäischen Geschichte«, fuhr Admiral Adams fort und durchquerte den Raum. »Setzen wir uns an den Konferenztisch. Sie kennen ja meine Nummer zwei, John Hardy von der Aufklärung.« Die drei Männer ließen sich an dem langen Tisch nieder. »Johnnie, Brian Douglas und ich kennen uns schon seit 2003, als wir in der Grünen Zone böse Jungs gejagt haben. Ich war damals dem Regionalen Oberkommando der US-Streitkräfte im Irak zugeteilt, und wir hingen nach Feierabend gemeinsam in der HVTBar am Flughafen rum. Er weiß mehr peinliche Dinge über mich, als ihr Jungs vom Navy-Geheimdienst je rauskriegen werdet. Wenn er mich also sehen will, so wie heute Morgen, lasst ihn sofort zu mir. – Ich bin immer für Sie da, denn Sie sind der beste Verbündete, den wir haben. Verstanden, Johnnie?« »Admiral, ich weiß es zu schätzen, dass Sie mich so kurzfristig empfangen.« Douglas betrachtete die gewaltige Kaffeetasse, in die jemand bereits eine großzügige Portion Milch gegossen hatte. »Sie sind bereits seit einer Weile in Bahrain stationiert und wirklich ein Fachmann für dieses Gebiet. Wie lange sind Sie jetzt schon hier, Brian? Erzählen Sie Johnnie von Ihrer Laufbahn«, sagte der Admiral und griff nach einem Teller mit Plätzchen. »Wie Ihnen bekannt ist, Sir, habe ich während des ersten Golfkriegs hier in Bahrain als Offizier gedient. Nach dem zweiten Golfkrieg war ich in Bagdad. Jetzt bin ich wieder zurück, und zwar als Leiter der Ge88

heimdienstniederlassungen in Bahrain, Qatar und den Vereinigten Arabischen Emiraten«, erwiderte Douglas, um einen bescheidenen Ton bemüht. »Offenbar gefällt es Ihnen hier in Bahrain.« Captain Hardy tunkte ein Löffelbiskuit in seine Tasse. »So geht es vielen Leuten«, wandte der Admiral ein. »Verdammt, wenn es Bahrain nicht gäbe, könnte ich mich heute nicht Admiral nennen. Das Wort stammt nämlich von hier. Amir ist die Bezeichnung für den Mann, der die Verantwortung für die Daus trägt. Die Araber sind bereits in Daus nach Afrika und Indien gesegelt, als wir Angelsachsen uns noch die Gesichter blau angemalt und gegen die Römer gekämpft haben.« Um Bestätigung heischend wandte er sich an Douglas. »Ich glaube, es waren eher die Pikten, die sich blau angemalt haben, aber sonst stimmt es. Dieses Fleckchen Erde war schon immer heiß umkämpft und kann auf eine lange Geschichte zurückblicken. Und deshalb wollte ich Sie auch sehen, Sir«, entgegnete Brian Douglas in dem Versuch, wieder zum Thema zurückzukehren. »Schon gut, Brian ich weiß, dass Sie nicht hier sind, um geschichtliche Themen zu erörtern. Was gibt es?« Adams lehnte sich zurück und musterte seinen Besucher. »Ich war bereits in Ihrer Botschaft, um meinen dortigen Kollegen Bescheid zu geben, aber ich wollte, dass Sie es direkt von mir erfahren.« Brian Douglas zog einige Papiere aus der Innentasche seines Sakkos 89

und las vor: »Sehr zuverlässige geheimdienstliche Quellen haben verlauten lassen, dass das iranische Quds-Kommando das ASU Bahrain zum Ziel eines Terroranschlags bestimmt hat, der möglicherweise innerhalb der nächsten vier Wochen stattfinden soll. Weiterhin vermuten die Informanten, der Iran könnte einen Aufstand der Schiiten in Bahrain anzetteln, wie er es bereits 1996 und 2001 versucht hat.« Douglas reichte Captain Hardy das Papier und dachte darüber nach, wie erfolgreich die Überwachung von Ahmed bin Rashid gewesen war. »Interessant. Sie sind heute schon der Zweite, der mich vor einem Terrorangriff auf meinen kleinen Stützpunkt hier warnen will. Deshalb haben wir auch die höchste Sicherheitsstufe ausgerufen. Selbstverständlich wurde das sofort nach den Anschlägen auf das Diplomat und das Crowne Plaza veranlasst.« Admiral Adams nahm den Bericht von seinem Geheimdienstoffizier entgegen. »Allerdings glaubt man im Pentagon, dass der Anschlag von Agenten aus Islamijah ausgeführt werden wird.« Der britische Geheimdienstmann hüstelte und nahm einen Schluck von dem stark mit Milch verdünnten Kaffee. »Bei allem Respekt vor dem Pentagon heißt es in unserem Bericht, dass Teheran die Absicht verfolgen könnte, Riad zum Sündenbock zu machen. Doch es ist höchst unwahrscheinlich, dass die Täter von dort kommen. Diese Leute würden es niemals schaffen, einen erfolgreichen Anschlag auf das ASU zu verüben. Al-Quds hingegen wäre sehr 90

wohl dazu in der Lage. Allerdings – und das steht nicht in dem Bericht, den wir nach Washington und an die hiesige Niederlassung weitergeleitet haben – haben wir Grund zu der Annahme, dass man in Islamijah über das Vorhaben der Iraner Bescheid weiß, ihnen die Schuld in die Schuhe zu schieben.« »Ganz gleich, wer nun etwas gegen uns im Schilde führt, wir werden demjenigen einen Strich durch die Rechnung machen. Dieser Stützpunkt wird gut bewacht, Admiral«, sagte der Captain. »Kann sein, Johnnie, kann sein. Doch absolute Sicherheit gibt es nicht. Natürlich könnte ich die Schutzmaßnahmen noch verschärfen, aber die beste Alternative ist und bleibt, diesen Burschen zuvorzukommen.« Der Admiral beugte sich über den Tisch. »Würden die Bahrainis das hinkriegen? Könnten Sie und deren Behörden diese Kerle schnappen?« »Der bahrainische Geheimdienst besteht aus sehr fähigen, vom SIS ausgebildeten Leuten.« Douglas schmunzelte. »Und außerdem verfügen wir und die Niederlassung über unsere eigenen Quellen. Wenn wir die Terrorzelle finden, werden die Bahrainis ihr das Handwerk legen.« »Ich habe auch SEAL-Spezialeinheiten und ein Terrorismus-Abwehrteam der Flotte hier, falls Sie Hilfe brauchen.« Brad Adams stand auf. »Das sind Leute, die lieber kämpfen, als die Jaguars von Diplomaten zu durchsuchen.« Brian musste lachen. Adams hatte seine Hausaufgaben gemacht. Auf dem Weg zur Tür veränderten sich Adams’ Tonfall und Miene. 91

»Wir dürfen uns kein zweites Bagdad erlauben«, meinte er leise zu Douglas. »Ich könnte es nicht ertragen, wenn wieder so viele amerikanische Soldaten fallen. Zwar war ich nicht so lange im Irak wie Sie, aber Sie erinnern sich bestimmt noch an die Abende, an denen wir zusammen mit den Geheimdienstleuten und den Spezialeinheiten am Tresen der HVT-Bar unsere Sorgen ertränkt haben. Zwei Jahre habe ich dort Sunnitenaufstände bekämpft und gleichzeitig versucht, die Pläne der Iraner zu durchkreuzen.« »Eine schlimme Sache und wirklich eine Tragödie«, erwiderte Douglas und blickte kopfschüttelnd zu Boden. »Ja, da haben Sie ganz Recht, Brian. Aber ich hielt es zu diesem Zeitpunkt für das Richtige. Verdammt, damals glaubten schließlich noch alle, dass sie Massenvernichtungswaffen haben. Seit unserem Abzug herrscht dort weiter Chaos. Die Schiiten werden es nicht schaffen, die Sunniten in ihre Schranken zu weisen. Das geht jetzt schon seit Jahren so, und nichts deutet darauf hin, dass eine Seite irgendwann nachgeben wird. Vermutlich werden die Kurden bald ihre Unabhängigkeit erklären, und dann werden wir sehen, wie Bagdad darauf reagiert. Kirkuk rücken sie nicht heraus. Was für eine schreckliche Verschwendung von Menschenleben und Geld. Und wofür? Damit der Iran der Regierung des Irak Vorschriften macht?« Brad Adams sprach nun nicht mehr wie ein Admiral der Navy. »Passen Sie auf, Brian. Morgen wollte ich eigentlich abreisen, um eine Woche in Tampa und Wa92

shington zu verbringen. Kann ich das tun, oder steht der Anschlag auf den Stützpunkt unmittelbar bevor?« »Ich fliege heute Abend selbst nach London, Brad. Wir gehen davon aus, dass es noch einige Wochen dauern wird, und bis jetzt haben wir in der Stadt noch keine Anzeichen für Aktivitäten des Al-QudsKommandos entdecken können. Es gibt nur Gerüchte. Falls wir mehr herauskriegen, schießen wir eine Leuchtkugel ab.« Douglas freute sich schon auf die Zusammenarbeit mit diesem großen, jungenhaften amerikanischen Seemann. Adams hatte an einer Eliteuniversität studiert und war deshalb von der Gleichmacherei an der Militärakademie verschont geblieben. Außerdem hatte er seine Tüchtigkeit und Vertrauenswürdigkeit im Irak wiederholt unter Beweis gestellt. Als Brian Douglas durch die Hollywoodkulisse davonfuhr, stoppte gerade ein zweiter gepanzerter Hummer am Tor. Der Marine in der Dachluke entsicherte das M-60-Maschinengewehr und richtete es auf die Zufahrtsstraße.

Capitol Hill Washington, D. C. Russell MacIntyre stieg in der Delaware Avenue nördlich des Capitol Hill, wo die Anhöhe sanft zur Union Station hin abfällt, aus einem verbeulten Taxi. Da es heute feuchtkalt war und nach Schnee roch, erregte er mit seinem tief in die Stirn gezogenen Hut 93

kein Aufsehen. Außerdem fehlte den Mitarbeitern, die – auf dem Weg zur U-Bahn, nach Hause oder wenigstens in eine warme Bar – aus der Hintertür des Senatsgebäudes hasteten, ohnehin die Muße, sich Gedanken über ihn zu machen. MacIntyre betrat das Hart Senate Office Building, das neueste der drei Gebäude, die die Personal- und Ausschussbüros der einhundert amerikanischen Senatoren beherbergten, durch die Hintertür. »Nur für Mitarbeiter« stand auf einem Schild an der Wand. MacIntyre hielt den drei Polizisten, die Metalldetektor und Röntgenapparat bedienten, seine Dienstmarke hin. »In Ordnung, Sir, gehen Sie einfach durch«, sagte der große schwarze Sergeant und machte dabei die dazugehörige Geste. »Wenn das Ding piepst, kümmern Sie sich nicht drum.« Die Dienstmarke hatte dort, wo man sie kannte, einige Vorteile. So gingen die Mitarbeiter im Sicherheitsdienst davon aus, dass man bewaffnet war, und kümmerten sich nicht darum. MacIntyre trug allerdings keine Waffe, obwohl er dazu berechtigt gewesen wäre. Da das Geheimdienst-Analysezentrum, dessen Leitung er angehörte, keine aktiven Einsätze durchführte, wäre es ihm ein wenig seltsam erschienen, seine Dienst-Glock ständig mit sich herumzuschleppen. MacIntyre hatte das Hart Senate Office Building zwar auf Kellerebene betreten, fuhr jedoch nicht etwa mit dem Aufzug nach oben, sondern öffnete eine Tür und stieg eine weitere Treppe hinunter. Im zweiten Kellergeschoss bog er in einen Flur ein, an dessen 94

niedriger Decke ein Gewirr von Rohren verlief. Capitol Hill zeigte sich hier nicht unbedingt von seiner elegantesten Seite. Auf halber Höhe des Korridors hielt er vor einer Tür, an der ein Schild mit der kryptischen Aufschrift »SH-B2-101« hing, und griff nach einem Telefon an der Wand. Doch noch ehe er sich den Hörer ans Ohr halten konnte, summte der Türöffner, und er betrat das Vorzimmer. Drinnen saß eine etwa sechzigjährige Frau hinter einem Schreibtisch und begrüßte ihn mit einem Lächeln: »Gehen Sie nur rein, Rusty. Der Senator erwartet Sie schon«, sagte sie. Das Büro war komfortabel eingerichtet: dunkle Holzvertäfelungen, ein dicker rostroter Teppichboden, grüne Ledersessel mit Messingbeschlägen. So stellte sich MacIntyre das Büro des Weihnachtsmanns vor, falls dieser einmal zum Vorstandsvorsitzenden des Nordpols ernannt werden sollte. In Wirklichkeit handelte es sich um das »Ausweichbüro« des Vorsitzenden des Senatsausschusses für Geheimdienstfragen Paul Robinson. Jeder Senator verfügte über einen solchen Schlupfwinkel, einen geheimen Ort, an den er sich zurückziehen und, ungestört von Wählern oder Reportern, arbeiten konnte. Außerdem hatte ein Senator so die Möglichkeit, Besprechungen abzuhalten, ohne dass neugierige Blicke registrierten, mit wem er sich traf, und Wahlkampfspenden von Lobbyisten entgegenzunehmen, die sich für die Arbeit des Ausschusses interessierten. Robinson hatte jedoch noch nie eine Spende von jemandem akzeptiert, der nicht 95

in Iowa, seinem Heimatstaat, ansässig war. Aber das hatte er ohnehin nicht nötig, denn bei der letzten Wiederwahl hatte er keinen Gegenkandidaten gehabt. Nun stand Robinson an einem Servierwagen, schenkte zwei Wild Turkey pur ein und reichte MacIntyre ein Glas mit den Worten: »Ist draußen ziemlich kalt geworden. Hier haben Sie was zum Aufwärmen.« Bevor MacIntyre nach dem Glas griff, zog er ein Blatt Papier aus der Innentasche seines Sakkos und legte es auf den Tisch. »Das ist die Schätzung des chinesischen Ölkonsums, um die Sie mich gebeten hatten.« Er nahm einen großen Schluck von dem Bourbon. »Sie hatten Recht. Die Chinesen verbrauchen fast so viel wie wir. Inzwischen fahren dort viele Autos herum. Die Industrie floriert. Außerdem haben sie nur wenige langfristige Verträge abgeschlossen und müssen daher so wie wir die häufig höheren aktuellen Tagespreise bezahlen. Im Pentagon ist wegen China die Hölle los, und zwar wegen der Aufrüstung der chinesischen Marine und der Raketenlieferungen an Islamijah. Übrigens waren es die al-Sauds, nicht die neuen Machthaber, die die Raketen bestellt hatten, bevor sie gestürzt wurden. Unbestätigten Geheiminformationen des Verteidigungsministeriums zufolge soll sogar ein Expeditionskorps der chinesischen Volksbefreiungsarmee heimlich nach Islamijah verlegt worden sein.« Der Senator drehte sich um. »Sie machen wohl Witze. Die chinesische Armee in Arabien?« 96

»Ich glaube, dass da jemand ein Märchen in die Welt gesetzt hat, um der Aufklärungsabteilung des Verteidigungsministeriums eins auszuwischen. Doch im Pentagon glauben sie alle fest daran. Außerdem ist die Sache natürlich streng geheim. Eigentlich dürften wir Ihnen und den Ausschüssen noch gar nichts davon sagen«, gab MacIntyre zu und folgte dem Senator zu zwei Ledersesseln, die vor einem elektrischen Kamin standen. »Was gibt es also Wichtiges, dass wir unsere wöchentliche kleine Privatsitzung ausgerechnet heute abhalten müssen, obwohl ich mich auf einem langweiligen Empfang der amerikanischen Nachwuchsfarmer amüsieren könnte?«, fragte der Senator. »Die restliche Woche bin ich nicht in der Stadt. Ich fliege nach London, um von unseren Cousins etwas in Erfahrung zu bringen. Ich habe so einen Verdacht, dass da etwas im Busch ist«, erwiderte MacIntyre und nippte noch einmal an seinem Wild Turkey. »Erstens redet unser furchtloser Verteidigungsminister ständig von einer bescheuerten Geheimdienstquelle, der zufolge die Entsendung der chinesischen Marine in den Indischen Ozean nur eine Tarnung für die Stationierung von Truppen aus Peking in Saudi … äh … Islamijah ist …« »Sie haben doch gerade selbst gesagt, dass die Chinesen Öl brauchen. Allerdings kann ich mir nicht vorstellen, dass die Schura von Islamijah Ungläubigen den Zutritt zu ihrer geliebten Wüste gewährt. Was meinen Sie?«, sagte der Senator und lehnte sich zurück. 97

»Ganz Ihrer Ansicht. Außerdem hat sonst niemand etwas von chinesischen Truppenbewegungen berichtet. Aber da wäre noch mehr: Zweitens plant Minister Conrad nämlich ein riesiges Manöver an der ägyptischen Rotmeerküste, und zwar schon im nächsten Monat.« Senator Robinson zog eine Augenbraue hoch. »Drittens, Senator, hat der britische Geheimdienst SIS gerade gemeldet, dass in Wirklichkeit der Iran und nicht Islamijah hinter den Sprengstoffanschlägen in Bahrain steckt. Die Iraner planen, unseren dortigen Stützpunkt anzugreifen und die Schuld dann Islamijah in die Schuhe zu schieben. Außerdem soll die schiitische Mehrheit in Bahrain zu Unruhen aufgewiegelt werden. Der dortige König ist zwar Sunnit, hat den Schiiten aber die Hand gereicht und macht seine Sache eigentlich recht gut. Viertens kann ich nicht ganz glauben, dass die neue Regierung in Islamijah wirklich so schlimm ist, wie sonst alle in Washington behaupten. Ja, ich weiß, dass einige ihrer Mitglieder früher Verbindungen zu al-Qaida unterhalten haben, doch unseren Quellen zufolge planen sie für das nächste Jahr demokratische Wahlen.« »Und was kommt dabei raus, wenn Sie all diese Informationen in Ihren berühmten analytischen Mixer stecken, Rusty?«, fragte Senator Robinson und blickte in sein Glas. »Keine Ahnung, und das genau ist es, was mir so zu schaffen macht. In Krieg der Sterne gibt es einen 98

Satz, der das wohl am besten beschreibt: ›Wir haben eine Störung in der Macht.‹« MacIntyre bewegte die Finger, als wolle er ›die Macht‹ heraufbeschwören. »Also, Obi-Wan, was haben Sie vor?«, erkundigte sich der Senator und stand auf, um sein Glas nachzufüllen. »Ich werde morgen erst einmal nach London fliegen und sehen, was ich rauskriegen kann. Ein persönliches Gespräch bringt meistens mehr, denn es gibt Vermutungen, die man aus den verschiedensten Gründen nicht in einen Bericht an uns aufnehmen kann«, erwiderte MacIntyre und lehnte mit einer Handbewegung ein zweites Glas Bourbon ab. »Außerdem haben sie offenbar bessere Analysten als wir. Mich würde brennend interessieren, wie sie das machen, damit ich unser kleines Analysezentrum auch auf Trab bringen kann.« »Eine Reise nach London ist eine gute Idee. Und wenn Sie schon einmal unterwegs sind, könnten Sie doch auch unseren Freunden am Golf einen Besuch abstatten. Die wissen auch immer mehr, als in ihren Berichten steht«, schlug der Senator vor und nahm hinter seinem Schreibtisch Platz. »Es gibt da jemand, den Sie kennen lernen sollten. Brad Adams. Er ist in Bahrain stationiert und Kommandant der Fünften Flotte. Als er noch Captain war, haben wir hier gemeinsam einen Offizierslehrgang absolviert. Danach sind wir weiter in Kontakt geblieben. Er teilt einige unserer, nun ja, Befürchtungen, was die zivile Führung des Pentagon angeht. Ich werde ihm Ihren Besuch ankündigen.« 99

»Gut.« Rusty nickte und versuchte, sich an den Gedanken zu gewöhnen, dass seine Stippvisite in London sich offenbar ausweiten würde. »Aber nun verraten Sie mir eines, Rusty. Glauben Sie wirklich, dass diese Schura in Islamijah bereit ist, die Macht an frei gewählte Politiker abzugeben? Verdammt, wir haben es hier immerhin mit Burschen zu tun, die bei ihrem Staatsstreich Angehörige der saudiarabischen Königsfamilie getötet haben. Einige von ihnen waren früher Mitglieder von alQaida und haben in Afghanistan und im Irak gegen uns gekämpft.« »Senator, vielen Berichten zufolge verläuft ein Riss quer durch die Schura, und zwar zwischen den Dschihadisten, die die Revolution exportieren wollen, und den moderaten Kräften, deren Ziel ein modernes und demokratisches Islamijah ist. Bei Revolutionen scheint es ein Naturgesetz zu sein, dass sich die Revolutionäre anschließend gegenseitig in die Haare geraten. So war es schon bei der Französischen Revolution, bei der russischen …« Senator Robinson betrachtete die Karte des Nahen Ostens an der Wand und überlegte laut. »Sie haben Recht, Rusty. Bei deren Staatsstreich gab es insgesamt verhältnismäßig wenig Blutvergießen. Es stehen keine Adeligen Schlange vor der Guillotine. Der Großteil der al-Sauds ist in die USA geflohen. Binnen drei Tagen war der Spuk vorbei, da der Großteil des saudischen Militärs die Revolution unterstützt hat. Und bis jetzt haben sie bis auf den Rauswurf unserer Rüs100

tungsfirmen eigentlich nichts getan, um uns zu verärgern.« »Senator, wir selbst waren es, die nach dem Staatsstreich ihre Bankkonten eingefroren und anschließend die Lieferung von Ersatzteilen für die Waffen eingestellt haben, die wir an die Saudis verkauft hatten.« MacIntyre wusste, dass er offen mit seinem früheren Vorgesetzten reden konnte. »Durch das unilaterale Wirtschaftsembargo haben wir der amerikanischen Wirtschaft die Möglichkeit genommen, auf legalem Weg an saudisches Öl zu kommen. Erst dann haben sie Aramco zu einhundert Prozent verstaatlicht und die Öllieferverträge mit den USA aufgekündigt. Wir sind selbst schuld daran. Außerdem, Sir, herrschte unter den al-Sauds auch nicht unbedingt eitel Sonnenschein. Sie ließen Menschen köpfen, sie verweigerten den Frauen die Gleichberechtigung, sie finanzierten verschiedene wahhabitische Schulen und Organisationen, die vor dem 11. September und sogar noch danach den Terrorismus unterstützten. Die Anzahl der königlichen Prinzen belief sich zuletzt auf mehrere Tausend, und die Korruption blühte.« »Das ist mir alles bekannt, Rusty.« Paul Robinson seufzte. »Inzwischen residiert die saudische Königsfamilie in den Nobelvierteln von Los Angeles und Houston. Ihre Mitglieder werfen mit Geld nur so um sich und mischen sich in die amerikanische Politik ein, und zwar noch mehr als früher. Schließlich waren die Bushs und die al-Sauds schon immer ein Herz 101

und eine Seele. Sie müssen das für sich behalten«, fuhr der Senator fort, beugte sich vor und tippte MacIntyre mit den Zeigefinger aufs Knie, eine Geste, die an das Picken eines Spechts erinnerte. »Aber vor zwei Monaten hatte ich einen von diesen miesen kleinen Exilkönigen hier in diesem Zimmer sitzen. Er sagte, er habe fünfundzwanzig Millionen Dollar auf einem Off-Shore-Konto liegen, das er auf mich übertragen würde, wenn ich bereit wäre, eine geheimdienstliche Aktion mit dem Ziel zu unterstützen, das Regime in Islamijah zu stürzen und die al-Sauds wieder einzusetzen.« Rusty stieß einen erstaunten Pfiff aus. »Senator, dafür hätten Sie ihn verhaften lassen können.« »Ich weiß, aber mir fehlten die Beweise«, erwiderte Robinson und lehnte sich zurück. »Und was haben Sie dann getan?«, fragte Rusty. Er kannte Paul Robinson nun schon, seit dieser ihn gleich nach seinem Abschluss an der Brown University vor fünfzehn Jahren als Assistenten in seinem Senatsbüro eingestellt hatte. Robinson war ein von Grund auf ehrlicher Mensch, verabscheute jegliche Form von Betrug und Unaufrichtigkeit und war ein erklärter Gegner der Korruption. Zu landesweiter Bekanntheit hatte er es als Vorsitzender eines Unterausschusses gebracht, der wegen unlauterer Machenschaften im Zusammenhang mit Subventionen und Krediten im Wohnungsbau ermittelte. Senator Robinson hatte deshalb so auf die Einrichtung eines Geheimdienst-Analysezentrums gedrun102

gen, weil weder er noch die Exekutive ausgewogene Berichte erhielten. Als die Behörde gegründet wurde und der nationale Geheimdienstchef Botschafter Sol Rubenstein zu ihrem Direktor bestimmte, hatte der Senator ihm klar gemacht, seine Bestätigungsanhörung würde um einiges schneller verlaufen, wenn er sich für MacIntyre als Stellvertreter entschiede. Als Rusty davon Wind bekam, hatte er den Senator angerufen, um sich zu bedanken. »Sie wussten doch, wie gut es mir in der freien Wirtschaft ging«, meinte er scherzhaft. »Und jetzt haben Sie mein Gehalt gerade halbiert.« »Verschonen Sie mich damit, Rusty«, erwiderte Robinson. »Ihnen kommt es doch gar nicht aufs Geld an. Mir auch nicht. Sondern auf eine ehrliche Regierung, und ich fühle mich inzwischen wie Diogenes, während ich nach jemandem suche, der hochwertige und ehrliche geheimdienstliche Analysen anfertigen kann. Sie sind dieser Mann.« Nie im Leben würde der Senator einen Bestechungsversuch wie den der Saudis einfach unwidersprochen durchgehen lassen. »Russell, ich habe nicht das FBI angerufen, um diesen Mistkerl anzuzeigen. Allerdings habe ich einen Zusatz in das Mantelgesetz einfließen lassen, dem zufolge das Finanzministerium sämtliche Gelder, die das saudische Königshaus in den Vereinigten Staaten angelegt hat, auch weiterhin einfrieren muss. Und zwar so lange, bis wir einen detaillierten Bericht darüber erhalten haben, welche Mittel tatsächlich Privatbesitz sind und welche als Staatseigentum betrach103

tet werden müssen. Wir haben sechs Monate, um den Bericht zu sichten, und jeder Vorsitzende eines beliebigen Ausschusses beider Häuser, der wichtige Gründe geltend machen kann, bekommt die Möglichkeit, eine Fristverlängerung zu beantragen«, entgegnete der Senator, und ein zufriedenes Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus. Er war wirklich ein Meister darin, die Gesetze in seinem Sinne auszulegen. »So habe ich ihnen Beine gemacht. Und wie kann ich Ihnen helfen, Rusty, während Sie in Europa und dem Nahen Osten unterwegs sind?« »Ich war ja schon eine ganze Weile nicht mehr in der Golfregion. Was Sie tun können, Sir? Schauen Sie sich um, und spitzen Sie die Ohren, insbesondere bei Ihren Freunden in den Streitkräften.« MacIntyre stand auf, um seinen Mantel zu holen, der auf dem Ledersofa lag. »Und halten Sie mir den Rücken frei.« »Das werde ich tun, Rusty.« Die beiden Männer schüttelten sich die Hand und umarmten einander. »Und richten Sie der reizenden Revoluzzerin, mit der Sie verheiratet sind, schöne Grüße von mir aus.« Der Senator schmunzelte. »Ich muss unbedingt ein Geschenk für sie besorgen. Im Moment sitzt sie draußen im Auto, friert und wartet darauf, mich zum Dulles Airport zu fahren«, antwortete Macintyre und ging zur Tür. »Dann setzen Sie Ihren Hintern in Bewegung, mein Junge«, bedeutete ihm der Senator lachend. »So hauen Sie schon ab. Eine schöne Frau lässt man doch nicht in der Kälte sitzen.« 104

Sarah Lipman fror wirklich, und das lag nicht nur an den Temperaturen. Macintyre seinerseits empfand die gemeinsame Fahrt zum Dulles Airport als mindestens so anstrengend wie die Verhandlungen mit Vertretern des brasilianischen Geheimdienstes vor drei Monaten. (Er hatte gehofft, von der erfolgreichsten südamerikanischen Spionageorganisation etwas über die Präsenz der Hisbollah im »Dreieck« unweit von Uruguay zu erfahren.) »Ich meckere ja nicht, dass du wegen deines Jobs ein Abendessen bei unseren Freunden verpasst und morgen beim Besuch meines Bruders nicht dabei sein wirst. Ich kann es nur nicht leiden, wenn du es mir erst in letzter Minute sagst«, beklagte sich Sarah und umfasste das Lenkrad ein wenig zu fest. »Ich weiß, dass du mir in deinem Job die Gründe nicht immer erklären kannst, und ich habe mich auch damit abgefunden, dass er wichtiger ist als das, was ich mache, aber …« »Liebling, ich habe nie behauptet, dass mein Beruf wichtiger ist als deiner. Bei deiner Arbeit mit Flüchtlingen geht es ebenso häufig um Leben und Tod«, erwiderte Macintyre und bereute schon im nächsten Moment, dass er sich so ausgedrückt hatte. Auf der Suche nach seinem Pass klopfte er seine Taschen ab. »Das Problem ist allerdings, dass meine Tätigkeit nicht nur geheim ist, sondern auch eine gewisse Flexibilität voraussetzt. Wenn ich den morgigen Besuch deines Bruders nicht vergessen gehabt hätte, hätte ich 105

meine Abreise um einen Tag verschoben. Du weißt doch, wie gern ich Danny habe. Und wenn ich sagen könnte, wann ich zurückkomme, würde ich das natürlich tun, aber das Ende dieser Reise ist leider wirklich nicht absehbar«, fügte er hinzu, während er seinen abgewetzten schwarzen Diplomatenpass aus dem neuen Aktenkoffer, einem Weihnachtsgeschenk seiner Schwiegermutter, nahm. »Schon gut, Rusty, wirklich«, antwortete sie und sah ihn an, anstatt auf den Verkehr zu achten. »Aber am Sonntag fliege ich nach Somalia. Den Kater bringe ich zu Max und Theo. Wenn du zurückkommst, denk bitte daran, Mr. Hobbs wieder bei ihnen abzuholen. Und vergiss nicht, ihn auch zu füttern. Lass den Armen nicht wieder fast verhungern wie im letzten Sommer, als ich im Sudan war.« Mr. Hobbs war gewissermaßen ihr Ersatzbaby, eine Lösung, mit der Sarah die meiste Zeit über völlig zufrieden zu sein schien. Immer wenn Rusty von ihr verlangte, sich endlich für ein Kind zu entscheiden, wies sie ihn darauf hin, dass das wegen ihrer vielen beruflichen Reisen und seiner Arbeitszeiten ohne Karriereeinbußen nicht möglich sei. »Es kann nicht nur meine Aufgabe sein, unser Kind großzuziehen. Schließlich bleibt die Verantwortung für Mr. Hobbs auch meistens an mir hängen. Wir müssten uns die Arbeit teilen.« Obwohl Rusty diesem Vorschlag in der Theorie zustimmte, konnte er sich nicht vorstellen, seinen Job gegen eine Dreißig-StundenStelle in einem langweiligen Think-Tank wie Broo106

kings oder RAND einzutauschen, wo kaum etwas los war und niemand wusste, warum er eigentlich hier saß. Wenn er den ganzen Tag hätte Berichte schreiben müssen, die nie jemand las, wäre er vermutlich verblödet. Aber dennoch wünschte er sich ein Kind, ihr Kind. Sarah beendete solche Gespräche stets mit demselben wenig überzeugenden Fazit: »Schließlich sind wir keine Versager, wenn wir keine Kinder kriegen. Ich bin nicht wie meine Mutter, und ich halte es nicht für meine Pflicht, mich fortzupflanzen, um mein Dasein auf Erden zu rechtfertigen. Glaub mir, es gibt genug Leute, die Kinder haben wollen, da müssen wir nicht auch noch welche kriegen.« An der Abflughalle angekommen, schlängelte sich Sarah durch die in dritter Reihe geparkten Pkw, Taxis und Polizeifahrzeuge, bis sie den Eingang zu Virgin Atlantic erreicht hatte. Nachdem sie die Warnblinkanlage eingeschaltet hatte, stieg sie aus, um Rusty zu umarmen, während ein Flughafenpolizist brüllte: »Fahren Sie den Wagen weg, junge Frau!« »Pass auf dich auf und sei vorsichtig, ganz gleich, wohin du auch fliegst«, sagte Sarah. Als ihre Lippen sich lösten, stieg ihr Atem zwischen ihnen wie zwei Säulen in die kalte Nachtluft. »London ist derzeit sicher …«, versuchte er sie zu beruhigen, aber sie legte ihm den Finger auf den Mund, um ihn zum Schweigen zu bringen, und steckte dann die Hand in seine Manteltasche. »Du hast genau verstanden, was ich meine«, fügte sie dann 107

hinzu, schenkte dem Polizisten ein unwiderstehliches Lächeln und stieg wieder in den Wagen. Rusty winkte ihr nach, in der Hoffnung, dass sie ihn im Rückspiegel sehen würde. Dann kramte er nach seiner Dienstmarke, um die Sicherheitsschleuse zu passieren. Doch als er in seiner Manteltasche wühlte, stieß er zuerst auf ein Päckchen Spielkarten und eine Notiz auf einem gelben Post-it-Zettel: »Sie müssen für die IAC-Wohltätigkeitsveranstaltung Ihren Kartentrick üben. Gute Reise, Chef. Debbie.« MacIntyre ließ die lange Schlange, die vor der Sicherheitsschleuse anstand, links liegen und ging in den Red Carpet Club, um auf seinen Flug zu warten. Als er am Tresen das Kartenpäckchen öffnete, wurde ihm wieder einmal klar, dass er seine Reisen angesichts der Spannungen in seiner Ehe inzwischen beinahe als befreiend empfand. Er spürte bereits, wie seine Muskeln sich lockerten. Während er die Karten mischte, die Debbie in seine Manteltasche geschmuggelt hatte, betrachtete er den Plasmabildschirm, wo gerade CNN lief. Verteidigungsminister Henry Conrad hielt in Dallas eine Rede vor Kriegsveteranen. MacIntyre bat den Barmann, den Ton einzuschalten. »… seit dem Treffen zwischen Franklin Roosevelt und der saudischen Königsfamilie an Bord des Kreuzers USS Quincy. Die Leute, die die al-Sauds gestürzt haben, sind nichts weiter als skrupellose Mörder und Gefolgsleute von al-Qaida. Mit ihrem Vorhaben, den Herrschaftsbereich ihres dschihadistischen Regimes auf die gesamte Region auszuweiten, bedrohen sie 108

unsere Verbündeten in Ägypten, Bahrain und anderswo. Aber ich habe eine klare Botschaft für sie: Die Vereinigten Staaten von Amerika werden niemals zulassen, dass sie unseren Freunden Schaden zufügen. Wir werden dafür sorgen, dass auf der Arabischen Halbinsel wieder Gesetz und Ordnung einkehren.« Das Publikum in Dallas jubelte. Auf dem Flughafen Dulles hob Rusty MacIntyre die Karten ab und bestellte einen Wild Turkey.

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Kapitel 4 4. Februar

Hotel Burj al Arab Dubai, Vereinigte Arabische Emirate Kate Delmarco, Reporterin beim New York Journal, nahm sich ein Taxi zum höchsten Hotel der Welt. Das Gebäude, geformt wie das Segel einer gewaltigen Dau, stand auf einer künstlichen Insel vor Dubais Küste. Doch anstatt das Hotel zu betreten, stieg Delmarco in ein Golfcart, das sie über den kurzen Damm zurück zum Ufer brachte. Am Wild-Wadi-Wasserpark vorbei fuhr sie hinunter zu einem Dock, wo kleine Elektro-Daus zum nahe gelegenen Hotel und zu den Suks, den Einkaufszentren, ablegten. Nachdem sie das moderne klimatisierte Shopping-Paradies erreicht hatte, folgte sie den Hinweisschildern bis zu einem italienischen Restaurant. Obwohl sie in Dubai lebte, war ihr Freund Brian Douglas, der in der britischen Botschaft in Bahrain tätige Diplomat, ihre beste Informationsquelle. Kate wusste, dass seine Aufgaben weit über die eines Sektionsleiters für regionale Energiefragen – mit diesem Titel war er im Telefonverzeichnis der Botschaft vermerkt – hinausgingen. Doch nicht einmal während ihrer gemeinsamen mehrtägigen Segelausflüge auf seiner zehn Meter langen Jacht Bahrain Beauty hatte 110

Douglas seine Tarnung fallen gelassen und zugegeben, womit er sich in Wirklichkeit befasste. In der vergangenen Woche hatte er angerufen und Kate den geheimnisvollen Vorschlag gemacht, »einen seiner Freunde in Dubai« kennen zu lernen. Und genau deshalb war sie jetzt hier. An der Bar wurde sie von Jassim Nakeel erwartet, dessen Familie zu jenen gehörte, die das neue Dubai errichteten: hoch in den Himmel ragende Bürotürme, künstliche Inseln vor der Küste mit Villen und Eigentumswohnungen und Freizeitparks für die Touristen. Er war nicht traditionell arabisch gekleidet und sah aus, als wäre er gerade aus Malibu oder Laguna Beach eingeflogen. »Sie dachten wohl, ich hätte eine Schwäche für italienische Restaurants, weil ich Delmarco heiße«, bemerkte sie, als er sie zu einem Tisch draußen auf dem Balkon begleitete. Tatsächlich sah Kate Delmarco mit ihrer gebräunten Haut und dem langen schwarzen Haar aus, als stamme ihre Familie aus Süditalien. Obwohl sie in diesem Jahr ihren fünfundvierzigsten Geburtstag feiern würde, war sie gut in Form, was sie unter anderem dem Umstand verdankte, dass sie die Erlaubnis hatte, nach Belieben die königlichen Reitställe zu nutzen, was inzwischen ihr Samstagvormittagsritual geworden war. »Nein, eigentlich dachte ich, dass es Ihnen hier gefallen würde, weil man von hier aus einen wunderbaren Blick auf die Lightshow hat, die das Burj al Arab jeden Abend veranstaltet«, erwiderte Nakeel und bot Kate den Platz mit Aus111

sicht auf das riesige segelförmige Hotel an. »Außerdem ist die Weinkarte hier nicht zu verachten.« »Weinkarte! Gibt es in Dubai überhaupt noch etwas Arabisches? Weinkarten, Freizeitparks, Hochhäuser mit Eigentumswohnungen, in denen Europäer leben, und Sie selbst natürlich in Armani.« Kate hielt inne, als das Hotel Burj sich violett verfärbte. Sterne funkelten erst auf der einen, dann auf der anderen Seite des Turms. Dann verblasste das Gebäude und wurde rosafarben. »Dubai ist das Zentrum der neuen arabischen Welt, Kate. Erfolgsorientiert, geschäftstüchtig, kosmopolitisch«, entgegnete Nakeel und griff nach der Weinkarte. »Für die meisten Europäer ist es erschwinglicher und hat mehr zu bieten als Südfrankreich. Außerdem ist es in Frankreich um diese Jahreszeit kalt. Den 1999er Barolo bitte«, teilte er dem Kellner mit, ohne Kate nach ihren Wünschen zu fragen. »Nach den Ereignissen in Riad haben die meisten internationalen Firmen ihre Regionalbüros nach Dubai verlegt, in eine Stadt, die modern und gut organisiert ist, in der es kaum Kriminalität und keine politischen Verwerfungen gibt. Außerdem zahlt man hier keine Steuern. Alle sind begeistert.« Kate runzelte die Stirn. »Aber liegt Dubai nicht ein wenig zu nah an der alten arabischen Welt wie Islamijah und dem Iran? Von der Bar in der obersten Etage des Dubai Tower aus kann man die Lichter der iranischen Ölplattformen sehen.« Sie angelte eine Peperoni von dem Antipasti-Teller. 112

»Ja, das bereitet uns auch ein wenig Sorgen«, erwiderte Nakeel und legte die Speisekarte weg. »Und genau darüber wollte ich mit Ihnen sprechen.« »Ich bin ganz Ohr.« »Seit Generationen schon würden die Mullahs im Iran die schiitische Welt gerne zu einer einzigen Macht vereinen, die von Teheran oder Qum, dem Sitz ihrer religiösen Führung, aus regiert wird«, begann er. »Gleich nach ihrer Machtübernahme im Jahr 1979 haben sie angefangen, die schiitische Mehrheit im Irak aufzuwiegeln. Deshalb hat Saddam sie 1980 auch angegriffen.« »Ja, mag sein«, antwortete Kate und brach ein Stück von einem Pizzabrötchen ab. »Vielleicht wollte er sich auch nur ihre Ölprovinzen unter den Nagel reißen, solange sie nach dem Sturz des Schahs noch geschwächt waren.« »Die Sache ist die«, fuhr Nakeel fort, »dass in diesem fast ein Jahrzehnt dauernden Krieg fast eine Million Menschen ums Leben gekommen sind, bis beide Seiten vor Erschöpfung die Waffen streckten, ohne dass jemand gewonnen hätte. Fünfzehn Jahre später erscheint die amerikanische Armee auf der Bildfläche und jagt Saddam in nur drei Wochen zum Teufel. Und drei Jahre darauf haben die Schiiten mit iranischer Unterstützung mehr oder weniger das Sagen im Irak. Washington hat Teheran also gewissermaßen die Arbeit abgenommen. Während die Amerikaner durch Autobomben in Bagdad abgelenkt waren, haben die Iraner heimlich Atomwaffen gebaut, es aber 113

gleichzeitig abgestritten. Den Europäern und Amerikanern haben sie weisgemacht, dass sie noch fünf Jahre bis zur Fertigstellung einer Bombe brauchten.« Kate verzog gelangweilt das Gesicht. »Jassim, so sieht Ihr Geschichtsverständnis aus. Meiner Ansicht nach haben wir verhindert, dass der Irak sich wieder Massenvernichtungswaffen beschafft, und außerdem die Demokratie im Land eingeführt. Demokratie bedeutet, dass die Mehrheit herrscht, und deshalb sind die Schiiten an der Regierung. Das bedeutet doch noch lange nicht, dass der Irak unter iranischem Einfluss steht. Haben Sie sonst noch etwas Neues für mich?« »Die nächsten Schritte, Kate. Sie werden bald geschehen.« Er kostete den Schluck Barolo, den der Kellner ihm eingeschenkt hatte, und bedeutet ihm dann mit einem Nicken, das Glas der Dame zu füllen. »Nun soll auch in Bahrain die schiitische Mehrheit an die Macht gebracht werden, um den Iranern ihr Treiben auf der anderen Seite des Golfs zu erleichtern. Glauben Sie wirklich diesen Unsinn, den das Pentagon verbreitet, dass Islamijah hinter den Sprengstoffanschlägen in Bahrain steckt?«, fragte Nakeel rhetorisch. »Nein, natürlich nicht, doch meine Chefredaktion tut es. Sie hat meinen Bericht, der Teheran die Schuld nachwies, aus dem Blatt genommen und stattdessen einen Artikel von unserem Korrespondenten im Pentagon gebracht, in dem Riad verteufelt wird«, gab Kate zu. 114

»Ihr Verteidigungsminister Conrad stellt die dortigen Machthaber als Ungeheuer hin, seit sie die alSauds davongejagt haben.« Nakeel hielt inne und sah Kate in die Augen. »Wir glauben, dass Conrad von den al-Sauds bezahlt wird«, fügte er leise hinzu. »Wer ist wir? Die Vereinigung der Bauunternehmer Dubais?«, gab Kate zurück. »Oder üben Sie vielleicht noch eine Nebentätigkeit aus?« Nakeel ging nicht auf diese Frage ein. »Wenn Sie eine Story schreiben wollen, die Ihr Chefredakteur nicht streichen kann, Kate, reden Sie mit meinem Freund in Bahrain.« Während er sprach, wurden das Burj al Arab und das Hotel daneben, das wie eine gewaltige Welle geformt war, von einer Fontäne strahlender Sterne erleuchtet. Ein Feuerwerk stieg über den Dächern auf, und aus den Lautsprechern im Suk erklang Elton Johns Klassiker »Rocket Man«. »Offen gestanden habe ich für morgen bereits einen Flug dorthin gebucht, aber ich danke Ihnen für den Tipp, Jassim«, meinte sie kühl. »Darf ich Ihnen vielleicht noch einen Vorschlag machen, wen Sie interviewen sollten, eine kleine Empfehlung von Dubais Vereinigung der Bauunternehmer?« Ein Lächeln huschte über sein Gesicht, als sein Kalbsschnitzel und Kates Schweinelende serviert wurden. Inzwischen war ein Stück von Abba zu hören.

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5. Februar The Ritz-Carlton Hotel Manama, Bahrain »Haben Sie denn keine Angst, sich in Bahrain in einer Hotelhalle aufzuhalten, Ms. Delmarco?«, fragte Ahmed, als er sich Kate gegenüber niederließ. In seinem blauen Blazer und der Khakihose sah er aus wie ein amerikanischer Juniorprofessor. »Sollte ich denn welche haben, Doktor?«, gab sie zurück und hielt ihm die Hand hin, um festzustellen, ob er sie schütteln würde. Er tat es. »Vielleicht. Im Diplomat und im Crowne Plaza hat es viele Tote gegeben, allerdings nicht, wie Ihre Zeitungen behaupten, durch die Schuld von Islamijah«, fügte er rasch hinzu und machte es sich in seinem Sessel bequem. »Danke, dass Sie Zeit für mich hatten, Dr. Rashid. Ich weiß, dass Sie ein viel beschäftigter Mann sind, im Krankenhaus … und auch sonst«, erwiderte Kate und zündete sich eine Zigarette an. »Heute hatte ich auf dem Stützpunkt eine Besprechung mit einem Offizier des amerikanischen Marine-Geheimdienstes, der sagte, dass eindeutig Riad hinter den Anschlägen steckt. Sie gehörten zu dem Plan, die Navy aus Bahrain zu vertreiben.« »Wir sollten in Bahrain das Rauchen verbieten«, scherzte Ahmed, »und das Lügen. Und Sie brauchen offenbar bessere Informanten als diesen Mann vom Geheimdienst der Navy.« 116

»Jeder hat seine Laster«, entgegnete sie und drückte die Kent nach nur zwei Zügen aus. »Und die Schwäche dieses Captain bestand offenbar darin, Journalistinnen schöne Augen zu machen. Wir sind heute Abend zum Essen verabredet. Und welche Laster haben Sie, Doktor?« »Ich bin süchtig nach amerikanischen ComedySerien.« Er schmunzelte. »Meine Familie hätte niemals Verständnis dafür. Kennen Sie Frasier?« Kate fand, dass Ahmed ein warmes und aufrichtiges Lächeln hatte. Sosehr sie Brian Douglas auch mochte, hielt er sich um einiges bedeckter als der gute Doktor, der nebenberuflich offensichtlich auch Spion war. »Frasier? Aber Sie sind doch nicht Psychologe, sondern Kardiologe. Sie sind doch auf das menschliche Herz spezialisiert.« Sie lächelte zweideutig. »Oder etwa auch auf die Gedanken?« »Einige Leute versuchen, den Amerikanern Angst zu machen, Ms. Delmarco. Doch die Vereinigten Staaten brauchen die neue Regierung von Islamijah nicht zu fürchten. Wir haben ein korruptes und undemokratisches Regime abgelöst und durch eines ersetzt, das mit den Traditionen und dem Glauben unseres Volkes in Einklang steht. Wir verkaufen weiterhin Öl auf dem Weltmarkt. Wir greifen keine Amerikaner an. Warum lässt man uns nicht in Ruhe?« Wieder schenkte er ihr ein gewinnendes und jungenhaftes Lächeln. »Wir, Doktor? Ich dachte, Sie wären ein Arzt, der nur rein zufällig einen Bruder hat, der in Riad eine 117

hohe Stellung bekleidet. Einen Bruder, mit dem Sie, wie der Presseattaché der Botschaft von Islamijah mir versicherte, nicht mehr in Kontakt stehen. Was genau hat er wohl damit gemeint, Doktor?«, fragte Kate Delmarco und schaltete ihren Digitalrecorder ein. »Darf ich Sie Kate nennen?«, erkundigte er sich. Sie nickte. »Also, Kate, am besten hören wir jetzt auf, um den heißen Brei herumzureden. Man sagte mir, ich könnte Ihnen vertrauen, und Ihnen hat man dasselbe über mich mitgeteilt. Die Nakeels kenne ich schon seit zwanzig Jahren. Meine Eltern besitzen ein Ferienhaus in Spanien, wo wir Nachbarn sind. Zugegeben, viele Mitglieder unserer neuen Regierung würden es ablehnen, mit einem amerikanischen Reporter, und dazu noch einer Frau, zu sprechen, aber gerade weil ich diese Regierung unterstütze, sitze ich hier. Ich werde versuchen, Ihnen bei der Suche nach der Wahrheit zu helfen, vorausgesetzt, dass Sie sie auch schreiben …« Unvermittelt hielt Ahmed inne und tippte auf sein Mobiltelefon, das blinkte. »Entschuldigen Sie, aber diesen Anruf muss ich annehmen.« Kate nippte an ihrem Kaffee und versuchte, das Gespräch zu belauschen. Ahmeds Miene hatte sich verändert, und er wirkte besorgt, ja, fast ängstlich. »Ich muss mich entschuldigen, aber ich werde auf der Intensivstation gebraucht. Können wir unser Gespräch morgen fortsetzen? Darf ich Sie anrufen?«, sagte er und legte bahrainische Dinare auf den Tisch. Lächelnd reichte Kate ihm ihre Karte mit der Mobil118

funknummer, unter der sie in Dubai zu erreichen war. »Jederzeit, Doktor.« Im nächsten Moment war er verschwunden. Während Kate ihren Recorder abschaltete, fragte sie sich, welcher Zwischenfall auf der Intensivstation dem netten jungen Mann wohl einen solchen Schrecken eingejagt hatte. Den verbeulten Nissan gab es nicht mehr. Er hatte den Wagen, den die Zelle ihm zur Verfügung gestellt hatte, verkauft und sich ein Fahrzeug zugelegt, das mehr nach seinem Geschmack war. Dank des kleinen Obolus an den Portier hätte Ahmed Rashids neuer BMW eigentlich vor der Hoteltür warten müssen, doch er war nirgendwo zu sehen. Ein junger Parkplatzwächter kam, den Schlüssel in der Hand, auf ihn zu geeilt. »Verzeihung, mein Herr, aber wir mussten Ihren Wagen umsetzen. Er steht gleich um die Ecke. Soll ich ihn Ihnen bringen, oder möchten Sie gleich mitkommen?« Mit einer ungeduldigen Geste sagte Ahmed: »Also gehen wir.« Der Parkplatzwächter nickte, setzte sich, dicht gefolgt von Ahmed, raschen Schrittes in Bewegung, bog um die Ecke und war verschwunden. Als Ahmed die Seitengasse erreicht hatte, sah er seinen BMW. Während er sich noch fragte, wo der Mann wohl abgeblieben war, bemerkte er rechts von sich ein Zucken. Und als er sich umdrehte, stand der Parkplatzwächter, eine Hand weit ausgestreckt, vor ihm. Doch 119

anstelle des Autoschlüssels hielt er nun einen großen, schwarzen metallischen Gegenstand umklammert. In dem Moment, als Ahmed klar wurde, dass es sich um eine Waffe handeln musste, kippte die Gestalt plötzlich vornüber und fiel erst auf die Knie und dann aufs Gesicht. Im nächsten Moment sah Ahmed Saif vor sich. Sein Atem ging keuchend, die dunklen Augen hatten sich zu schmalen Schlitzen verengt. Ahmed betrachtete den am Boden liegenden Parkplatzwächter. Ein Messer steckte in seinem Nacken, und Blut quoll aus der Wunde auf seine Uniform und den Asphalt. Der Parkplatzwächter – oder der Mann, der sich dafür ausgegeben hatte – war schon tot gewesen, als sein Körper den Boden berührte. »Iraner«, verkündete Saif. »Quds. Er beschattete dich schon seit einigen Tagen und wartete auf die richtige Gelegenheit.« Und du hast ihn beschattet, dachte Ahmed. Oder mich. »Danke«, sagte er nur und hoffte, dass seine Stimme nicht so zittrig klang, wie er sich fühlte. Saif nickte. »Fahr los. Ich beseitige die Spuren und komme nach.« Ahmed stieg in seinen BMW und fuhr zügig durch die belebten Straßen von Manama. Der Schreck saß ihm noch immer in den Gliedern. Außerdem wurde er sich nun seiner eigenen Verwundbarkeit bewusst, und Angst überfiel ihn. Was, wenn Saif nicht zur Stelle gewesen wäre? Wie lange planten die Iraner wohl schon, ihn umzubringen? Würden sie es wieder ver120

suchen? Wie hatte er nur so dumm sein können? Er, der Amateur-Meisterspion. Schluss jetzt! Ahmed wusste, dass er sich solche Gefühlsausbrüche nicht leisten konnte. Nur ein klarer Kopf würde ihm in dieser Lage nutzen. Schließlich musste sein Bruder Tag für Tag mit dieser Gefahr leben. Und nun war eben er an der Reihe. Gut. Er steuerte den BMW weiter durch den Verkehr, der jetzt, am späten Nachmittag, immer dichter wurde, und wechselte häufig die Spur. Sein Ziel war Sitra, das südlich gelegene Industriegebiet unweit der Raffinerie. Eine Viertelstunde später nahm er ein zweites Mobiltelefon aus der Konsole zwischen den Vordersitzen und wählte eine einprogrammierte Nummer. »Zwei Straßen entfernt«, sagte er nur und unterbrach die Verbindung. Als sich der blaue BMW der schäbigen Vorderseite des Lagerhauses näherte, rollte ein Metalltor hoch und schloss sich wieder, nachdem Rashid hindurchgefahren war. Zwei Stufen auf einmal nehmend, hastete er die Treppe zu einem Büro hinauf, von dem man einen Blick auf die dunkle Lagerhalle hatte. »Du hast das Codewort für den Notfall benutzt, Fadl«, begann Ahmed, als er in das Büro trat. »Was ist passiert?« »Saifs Gerät im Büro des Quds-Kommandos … er hat es in ihren Drucker eingebaut. Vor zwei Stunden haben wir die Daten heruntergeladen, und …«, berichtete Fadl nervös. Dann reichte er Ahmed bin Rashid ein Blatt Papier. 121

Ahmed nahm es entgegen und musterte dabei Fadl. Er war sicher, dass die Bestürzung des jungen Mannes nichts mit dem Zwischenfall hinter dem Hotel zu tun hatte. Fadl ahnte nichts. Ahmed beschloss, dass das auch so bleiben sollte, und studierte die Seite. »Ich verstehe kein Wort, Fadl. Was soll ich damit anfangen?«, sagte Ahmed schließlich und schaute auf das Blatt. Fadl, der neben ihm stand, wies auf einen Absatz unten auf der Seite und las laut vor. »Kerbela-Team heute um 1600 Einsatzort, unauffällig einsteigen und übernehmen. Abfahrt nicht später als 1730. Jamal 2157 rückt wie gewöhnlich auf Markierung Rot zwölf vor, dann mit Höchstgeschwindigkeit nach ASU. Wenn möglich DD rammen oder auf Land setzen, dann Zündung.« Der Arzt betrachtete den ernsthaften jungen Mann, der vor ihm stand. »Was hat das zu bedeuten, Fadl? Wer ist Jamal 2157? Und Kerbela? Was interessiert mich irgendein schiitischer Schrein im Irak?« Die Tür ging auf, und Saif kam herein. »Jamal, Bruder Ahmed, ist kein Mensch, sondern ein japanisches Schiff, auf dessen Rumpf die Nummer 2157 aufgemalt ist. Die Quds haben heute Nachmittag zwei Lastwagen zu einem Pier hier in Sitra gebracht. Taha, ein Mitglied unserer Gruppe, ist ihnen gefolgt. Er sagte, die Quds seien in Begleitung von Irakern gewesen. Vor etwa einer Stunde seien sie mit zwei Hafenbooten hinaus zum Schiff gefahren. Jetzt liegt Taha auf einem Dach in der Nähe des Docks und hält Wache.« 122

Ahmed musste schlucken. »Kann ich die Nachricht noch einmal sehen? Was für ein Schiff ist das? Was wollen sie denn nach Bahrain schmuggeln? Sprengstoff?« »Was für ein Schiffstyp? Taha meinte, es sei sehr groß …«, erwiderte Saif. Besorgt sah sich Ahmed in dem mit Büchern, Kartons und Papieren voll gestopften Büro um. »Hat der Computer Internetzugang?« Er tippte www.google.com und dann »Jamal 2157« ein. Sekunden später erschien eine Liste von Websites auf dem Bildschirm. Ahmed klickte die erste Nennung an, und das Bild eines riesigen Schiffes war zu sehen, auf dessen Deck fünf Kuppeln aufragten. Auf dem Rumpf des roten Schiffes prangte in weißen Buchstaben die Aufschrift »LNG Jamal«. »Allah steh uns bei«, keuchte Ahmed. »Flüssiggas! Wo ist dieses Schiff jetzt?« »Taha sagt, es liegt vor der Küste und ist an einem speziellen schwimmenden Dock oder einer Boje festgemacht. Ich rufe ihn an.« Rasch wechselte Saif die SIM-Karte in seinem Telefon und gab eine Nummer ein. Nachdem er ein paar Wörter hineingemurmelt und kurz gelauscht hatte, unterbrach er hastig die Verbindung. »Sie fangen an, die Leinen zu lösen und das Schiff zu bewegen. Es wurde kein Sprengstoff nach Bahrain geschmuggelt. Taha … Taha glaubt, dass der Spreng-Stoff stattdessen raus zum Schiff gebracht wurde. Einige der Quds-Leute haben das Schiff verlassen. Die Iraker sind noch an Bord.« 123

Fadl hatte eine Seekarte von der Wand genommen und breitete sie nun vor Ahmed auf dem Tisch aus. »Hier sind sie jetzt«, verkündete er und zeigte auf einen Kanal unweit des Öl- und Gaswerks von Sitra. Als Ahmed die Navigationskarte betrachtete, erkannte er östlich vom Standort des Schiffes ein rotes Dreieck mit der Aufschrift »R-12«. Von dort aus führte ein Kanal nach Osten zum Arabischen Golf. Doch unmittelbar nördlich dieser Boje befand sich ein weiterer Vermerk: »NOMAR: Militärischer Sperrbezirk«. Oberhalb dieser Linie lagen Juffair und der ASU genannte Marinestützpunkt der Amerikaner. »Kennen wir jemanden in der Hafenmeisterei oder bei der Hafenpolizei?«, fragte Ahmed und ging zur Tür. »Wir haben einen Kontaktmann bei der Verkehrspolizei«, erwiderte Saif. Ahmed bin Rashid stand in der Bürotür oben an der Treppe. »Schickt ein Notfallsignal an alle eure Leute. Sie sollen untertauchen, verschwinden und fünf Tage lang Funkstille halten. Dann macht ihr euch aus dem Staub und fahrt durchs Landesinnere zur Westküste. Sofort!« Er hastete die Treppe hinunter und durchsuchte das Fach in der Mittelkonsole hektisch nach der Karte, die Kate Delmarco ihm gegeben hatte. Als das Rolltor hochging, setzte er den BMW zurück und wählte dabei Kates Nummer in Dubai. Beim fünften Klingelton hob sie ab. »Kate Delmarco.« »Sagen Sie jetzt nichts, Kate. Hören Sie einfach nur 124

zu. Ich bin der Mann, mit dem Sie vor einer Stunde Kaffee getrunken haben. Sprechen Sie meinen Namen nicht aus. Sind Sie schon in Begleitung des Mannes, mit dem Sie zu Abend essen wollten? Antworten Sie mit ja oder nein.« »Ja, ja, wir trinken gerade unsere Cocktails, ja …«, erwiderte sie etwas konsterniert. »Passen Sie gut auf. Sie müssen ihn davon überzeugen, dass diese Information aus zuverlässiger Quelle und äußerst dringlich ist. In diesen Minuten liegt ein Tanker mit Flüssiggas im Hafen. Die LNG Jamal befindet sich in der Hand eines iranischen Kommandos und legt jeden Moment in Richtung des amerikanischen Stützpunkts ab, wo die Männer das Gas zur Explosion bringen wollen. Die Folgen werden katastrophal sein. Wir haben es gewissermaßen mit einem Mini-Hiroshima zu tun. Für Fragen ist jetzt keine Zeit. Unterbrechen Sie jetzt nicht die Verbindung, sondern legen Sie das Telefon einfach auf den Tisch, damit ich mithören kann …« Eine lange Pause entstand, und Ahmed hörte Musik und Gläserklingen. Dann drang Delmarcos Stimme an sein Ohr, und er konnte auch einen Teil der Worte verstehen. »Ausgezeichnete Quelle, Johnny … Geheimdienst … in diesem Moment könnte ein entführter Gastanker … nein, er fährt direkt auf ASU zu … das meine ich ernst … sehr ernst … hören Sie zu … Überprüfen Sie es einfach … rufen Sie an … Was haben Sie zu verlieren …« Als ob der Teufel hinter ihm her wäre und mit ei125

ner Hand das Telefon umklammernd, raste Ahmed zum Krankenhaus. Wenn sein Anruf nicht überzeugend genug gewesen war, würde es bald Tausende von Verletzten geben, die sofort ärztliche Hilfe brauchten. Aus dem Telefon waren nur noch Musik und Nebengeräusche zu hören. Er überfuhr eine rote Ampel. Als er sich rücksichtslos in einen Kreisverkehr drängte, wäre er fast mit einem Bus kollidiert, und das Telefon fiel zu Boden. Sobald er den Kreisverkehr hinter sich hatte, stoppte er auf dem Seitenstreifen, um das Telefon aufzuheben. Er hielt es ans Ohr und hörte gerade noch eine Stimme, die auf Englisch mit amerikanischem Akzent sagte: »… könnte etwas im Argen liegen … lieber vorsichtig sein, als es anschließend zu bereuen … Threatcon Delta ausrufen … mein Wort … Übung … SEAL … bleiben Sie, wo Sie sind … bin gleich zurück …« Dann vernahm er laut und deutlich die Stimme von Kate, die offensichtlich mit ihm sprach. »Er ist gerade gegangen. Er ist stinksauer, aber sein Dienst habender Offizier hat auch das Gefühl, dass etwas nicht stimmt, und er hat deshalb alles Nötige veranlasst. Offenbar glaubt er, dass ich ihn auf den Arm nehmen will. Ist das auch wirklich kein schlechter Scherz?« »Nein, Ehrenwort. Es ist die Wahrheit. Sie werden es gleich mit eigenen Augen sehen. Falls Sie von dort, wo Sie gerade sind, den Hafen sehen können, schauen Sie es sich selbst an.« Ahmed beendete das Gespräch und setzte, mittlerweile in leicht gemäßigtem Tempo, seine Fahrt ins Krankenhaus fort. 126

Kate befand sich in einem Lokal an der Uferpromenade. Sie blickte sich um. Auf der anderen Straßenseite, etwa einen Häuserblock entfernt, erhob sich der Büroturm der Bank Bahrain, auf den sie nun zuhastete. Als sie in die Vorhalle trat, bemerkte sie ein Schild, das auf den Expressaufzug zur obersten Etage hinwies. Kurz darauf stieg Kate, dreiundfünfzig Stockwerke über der Straße, aus dem Lift, stellte sich an ein Fenster in der Dachterrassenbar und suchte den Horizont ab. »Brauchen Sie vielleicht das hier, Miss?«, fragte der Barmann mit starkem Akzent und schob ein Nokia-Fernglas über die Theke. »Erwarten Sie ein Schiff?«

U. S.-Navy-Stützpunkt (ASU) Juffair, Bahrain Endlich verstummte die Alarmsirene. »… auf Alarmbereitschaft gehen, Stufe Threatcon Delta, wiederhole, Threatcon Delta«, dröhnte eine gewaltige Stimme aus unzähligen Lautsprechern überall auf der Basis. Marines, in kugelsicheren Westen und mit M-16-Gewehren bewaffnet, strömten aus ihren Wachbaracken, während Hummer-Jeeps mit blinkenden Blaulichtern die Straße entlang zum Haupttor rasten. Am Dock der SEAL-Spezialeinheiten sprach Lieutenant Shane Buford am roten Notfalltelefon mit dem 127

Einsatzzentrum der Flotte am anderen Ende des Stützpunkts. »Es wird schwierig werden, die Aktion mit den Hubschraubern der Marines zu koordinieren, Commander, wenn es so schnell gehen soll … Aye, aye, Sir.« Buford warf seinem Maschinisten, einem erfahrenen Gefreiten mit wettergegerbtem Gesicht, der doppelt so viele Dienstjahre auf dem Buckel hatte wie er selbst, einen Blick zu. »Lassen Sie alle drei Boote zu Wasser. Wir werden mit dem Einsatzboot zusammentreffen, zum Kanal fahren und … in der Nähe der Boje R-12 an Bord des LNG-Tankers Jamal gehen. Wir müssen annehmen, dass der Tanker sich in der Hand von schwer bewaffneten Männern befindet, die außerdem möglicherweise über Sprengstoff verfügen. Das Anti-Terror-Einsatzkommando der Marines kann sich von Black Hawks auf das Deck abseilen, sofern sie es schnell genug schaffen, und zwar wenn möglich gleichzeitig mit unserem Angriff. Und …«, der junge SEAL-Lieutenant schüttelte den Kopf, »das ist keine Übung.« Achtzehn Männer hasteten das Dock entlang und sprangen in die Zodiacs. Jedes Boot war mit drei schweren Maschinengewehren ausgestattet. Die Leinen wurden gelöst, und schon wenige Sekunden später waren die Boote unterwegs. Mit Kurs aufs offene Meer rasten die Zodiacs durch das Wasser in Richtung Kanal und entfernten sich rasch vom Stützpunkt. Buford betrachtete die grauen Rümpfe der Schiffe, die am Hauptdock vor Anker lagen. Er sah 128

die Brücke eines Zerstörers der Aegis-Klasse, die Masten zweiter Minensuchboote und die gewaltigen Umrisse eines Munitions- und Versorgungsschiffes. Drei Küstenpatrouillenboote waren nebeneinander am Pier vertäut. Inzwischen war es Zeit fürs Abendessen, und viele Navy-Mitarbeiter, die außerhalb des Stützpunkts »auf dem freien Markt« wohnten, waren in ihre nahe gelegenen Wohnungen zurückgekehrt. Dennoch hielten sich momentan mindestens viertausend Amerikaner auf dem Stützpunkt selbst auf. Weitere zweitausend befanden sich in einem Umkreis von wenigen Kilometern, also noch innerhalb der Reichweite der Explosion, falls der Flüssiggas-Tanker in die Luft gehen sollte. Nun jagten die Zodiacs die Hauptschifffahrtsrinne entlang, und Buford verfolgte mithilfe seines Kopfhörers mehrere Frequenzen gleichzeitig. Sein Rufzeichen lautete Alpha Drei Eins. »Alpha Drei Eins, der Hafenmeister meldet verdächtige Reaktionen auf seine Funksprüche an die LNG Jamal. Ein Patrouillenboot der bahrainischen Marine bricht gerade aus Jaffair Ost auf …« Kurz darauf war eine andere Stimme zu hören: »ASU Operations, hier spricht Küstenwache D342. Wir sind etwa drei Klicks von R-12 entfernt und haben verdächtiges Schiff gesichtet … Es fährt mit einer Geschwindigkeit von acht Knoten nach Osten …« Schon vor Jahren hatte die Küstenwache ein Seeüberwachungs- und Sicherheitsteam eingesetzt, das der 129

Navy beim Patrouillieren im Hafen von Bahrain unter die Arme greifen sollte. Die Männer waren noch vor Ort und fuhren acht Meter lange Boote der Defender-Klasse, die eigens für Wachaufgaben im Hafen gebaut waren. Währenddessen besprachen die Vorgesetzten in den drei Zodiacs mit ihren Mannschaften die Regeln des Einsatzes: »Vermutlich schwer bewaffnete Männer, wahrscheinlich Sprengstoff … aber wir sind nicht sicher, also knallt mir keinen Matrosen der japanischen Handelsmarine ab, ohne ihn vorher eindeutig als Feind identifiziert zu haben.« Das vierte Zodiac der SEALs, das Dienstboot, hatte westlich des Stützpunkts patrouilliert und raste nun zu seinem Rendezvous mit den drei Einsatzbooten. Buford funkte es auf einer taktischen Frequenz an. »Alpha Drei Vier, Sie werden mit Alpha Drei Drei zusammentreffen und am Zielobjekt backbord beidrehen.« Noch während er das sagte, wurde ihm klar, dass ihnen diesmal – anders als sonst beim Stürmen eines Schiffes – das Überraschungsmoment fehlte. Die Sonne war zwar gerade untergegangen, doch Stadt und Raffinerie strahlten genügend Licht ab, sodass sie nicht im Schutz der Dunkelheit würden zuschlagen können. Bufords an Deck befestigter Laptop gab ein Piepsen von sich, und als er einen Blick darauf warf, bemerkte er eine neue PDF-Datei mit den Deckplänen der LNG Jamal, die der Stützpunkt ihm gerade übermittelt hatte. »ASU Operations, hier spricht Küstenwache Delta 130

342, Zielobjekt nimmt Kurs auf den Kanal von Jaffair und macht Fahrt … bald haben wir es eingeholt … Wie lauten unsere Befehle?« Es dauerte eine Weile, bis das ASU Operations Center dem Defender-Boot der Küstenwache antwortete. »Verstanden, 342. Sie werden per Funk sowie mit Lichtsignalen, Leuchtkugeln und Lautsprechern versuchen, Kontakt zum Zielobjekt aufzunehmen. Weisen Sie die Besatzung darauf hin, dass sie im Begriff ist, in ein Sperrgebiet einzudringen, und fordern Sie sie auf, unverzüglich umzukehren. Nachdem das Schiff die Sperrzone verlassen hat, teilen Sie der Besatzung mit, dass Sie an Bord kommen wollen. Haben Sie einen bahrainischen Offizier bei sich?« Zur Mannschaft des Defender-Boots gehörte wie bei allen Booten und Schiffen der Küstenwache in dieser Region stets ein Angehöriger des Militärs des Gastlandes, der in dem souveränen Staat, dessen Hoheitsgewässer sie befuhren, polizeiliche Befugnisse besaß. Seine Gegenwart machte es möglich, auf die Einhaltung hiesiger Gesetze zu bestehen und ohne die Erlaubnis des jeweiligen Kapitäns an Bord jedes beliebigen Schiffes zu gehen. Inzwischen konnte Buford das orangefarbene Boot der Küstenwache in zwei Kilometern Entfernung erkennen. Der Tanker hingegen hatte seine Lichter offenbar gelöscht. Da er das riesige Schiff mit dem Fernglas nicht ausmachen konnte, nahm er das Nachtsichtgerät vom Gürtel. Im grünen Schimmer war der große LNG-Tanker mit seinen runden Behäl131

tern nun deutlich in der Ferne zu sehen. Mittlerweile fuhr er den Jaffair-Kanal entlang und geradewegs auf den amerikanischen Stützpunkt zu. Als im Nachtsichtgerät plötzlich ein grelles Licht aufblitzte, nahm Buford es rasch von den Augen. »Die Küstenwache feuert Leuchtkugeln ab«, meldete der Maschinist. »Das Schiff hat den Kontakt zum Hafenmeister abgebrochen und ignoriert seine Funksprüche.« Buford schaltete auf die Frequenz der Küstenwache. »LNG Jamal, LNG Jamal«, hörte er eine Stimme auf Englisch. »Hier spricht die Küstenwache der Vereinigten Staaten von Amerika. Sie fahren in ein Sperrgebiet ein. Ändern Sie Ihren Kurs auf volle Kraft zurück. Ich wiederhole …« Im nächsten Moment sah er, wie etwas aus dem Bug des Tankers schoss. Dem Lichtblitz folgte eine Leuchtspur. Und dann … ein Feuerball, wo gerade noch das Boot der Küstenwache gelegen hatte. Krachende und knisternde Geräusche hallten über das Wasser. Offenbar hatte die Jamal eine schwere tragbare Anti-Panzer-Rakete auf das Defender-Boot abgefeuert, das sofort in Flammen aufgegangen war. Brennende Trümmer wurden in alle Richtungen geschleudert. »Alpha Drei Eins an alle Alpha-Patrouillenboote. Zielobjekt ist feindlich, wiederhole, Zielobjekt ist feindlich«, schrie Buford ins Mikrofon. »Der Plan wird geändert. Durchführung von Redskins Blue Zwei, wiederhole, Redskins Blue Zwei. Alpha Drei schließt sich 132

mir an; Zwei und Vier bilden eine Barriere«, gab Buford die Anweisung zu einem Manöver aus dem Maßnahmenkatalog der SEALs. Er fühlte sich wie damals vor sieben Jahren, als er noch als Quarterback der Springfield Highschool die Spielzüge angesagt hatte. Mit ausgeschalteten Scheinwerfern fuhren die Zodiacs mit voller Kraft voraus und schlugen immer wieder Haken, um nicht wie das Boot der Küstenwache von dem Schützen mit Nachtsichtgerät getroffen zu werden, der sich offenbar im Bug der Jamal versteckt hielt. Auf einer anderen Frequenz hörte Buford den Kommandanten von FAST, dem Anti-Terror-Einsatzkommando der Marines. »Wo zum Teufel stecken die Black Hawks? Mein Team steht zum Abholen bereit.« Inzwischen warteten sechsunddreißig Marines in vollem Kampfanzug an der Landezone des Stützpunkts auf ihre Hubschrauber, die sie zu ihrem Einsatz auf dem Deck des Zielobjekts bringen sollten. Während die Helikopter über dem Schiff schwebten, wollten sich die Marines an Seilen herunterlassen. Dieser Plan war nur unwesentlich wahnwitziger als das, was Buford und die SEALs an diesem Abend vorhatten – nämlich mit Raketen Seile an Bord des Schiffes zu schießen und es dann über Spezialleitern siebzig Meter über dem Meeresspiegel zu entern. Inzwischen kam eine andere Stimme durch den Kopfhörer. »Hier spricht das Patrouillenboot der bahrainischen Marine. LNG Jamal, hören Sie. Wir nähern uns Ihrem Schiff. Stoppen Sie sofort die Ma133

schinen. Wir kommen an Bord.« Buford warf einen Blick auf die taktische Karte, die der Bildschirm seines Laptops zeigte. Die Bahrainis befanden sich noch etwa zwölf Minuten entfernt. In zwei Minuten würde Bufords Redskins-Spiel beginnen. »Brrrt … Brrrt.« Buford hörte Schüsse und sah, dass an Bug und Backbord der Jamal Lichter aufblitzten. Allerdings handelte es sich diesmal nicht um Anti-Panzer-Raketen. Offenbar feuerten die Leute an Bord der Jamal, wer immer sie auch waren, Automatikwaffen ab, um die Froschmänner zu vertreiben, die sie im Wasser vermuteten. Mit etwas mehr Zeit hätten die SEALs sich vermutlich tatsächlich auf Taucherschlitten an das Zielobjekt herangepirscht. Und die Schützen schienen damit zu rechnen. Eine Leuchtkugel erhellte den Nachthimmel wie ein Feuerwerk, gefolgt von einer zweiten, die Steuerbord abgeschossen wurde. Nun waren die Zodiacs auch ohne Nachtsichtgerät deutlich auszumachen, und jeden Moment drohte eine neue Rakete von der Jamal. Als das Schiff nun den Kanal entlang und in voller Geschwindigkeit auf die Zodiacs zuraste, wirkte es gewaltig. »Alpha Drei Drei, Feuer frei, wiederhole, Feuer frei«, rief Buford und erteilte seinem Maschinisten das Startzeichen. Kurz darauf gab es einen Knall, ein Zischen und einen Lichtblitz. Der Zodiac bäumte sich auf wie ein Pferd, wenn man eine Papiertüte platzen lässt. Dann feuerte ein anderes Zodiac, einen Kilometer entfernt, ebenfalls eine Javelin-Anti-Panzer134

Rakete ab. Sofort nach dem Abschuss begannen die beiden Zodiacs mit Ausweichmanövern, damit sie nicht vom Bug aus unter Beschuss genommen werden konnten. Als Bufords Javelin die Brücke des Tankers traf, ging diese in Flammen auf wie ein verdorrter Weihnachtsbaum. Dann schlug die zweite Javelin ein, und die Flammen loderten noch höher empor. Wer immer von der Brücke aus das Schiff gesteuert oder die Geschwindigkeit bestimmt hatte, war nun jedenfalls geröstet. Wenn die SEALs ihr Ziel verfehlt und einen der fünf runden Gastanks getroffen hätten, die an Deck aufragten, wäre der gesamte Hafen in die Luft geflogen. Allerdings war diese Gefahr noch längst nicht gebannt, denn schließlich konnte sich das Feuer auf dem Schiff ausbreiten. Das war im Drehbuch nicht vorgesehen. Die Jamal fuhr weiter mit hoher Geschwindigkeit den Kanal hoch. Als Buford aus dem Augenwinkel den Black Hawk erkannte, schaltete er auf die Frequenz von FAST. »FAST Eins geht in Position für Angriff am Heck. Wo sind meine anderen drei Vögel?« »O Gott«, flüsterte Buford, doch seine Worte wurden vom Dröhnen des Zodiac übertönt. Sein Maschinist reagierte dennoch sofort: »Was ist los?« Buford musste seinem Maschinisten regelrecht ins Ohr brüllen, um den Lärm zu übertönen. »Offenbar hatte der Kommandant der Marines keine Lust mehr, auf die Hubschrauber zu warten, und hat mit dem ersten Helikopter, den er kriegen konnte, einfach eine 135

einzelne Abteilung losgeschickt. Außerdem will er einige Männer am Heck abseilen, obwohl Alpha Drei Zwei und Drei Vier gerade im Begriff sind, auf die Schrauben des Tankers zu schießen.« Buford war nur Lieutenant der Navy, während der FAST-Kommandant den Rang eines Majors der Marines bekleidete. Nun würde Buford einem vorgesetzten Offizier, der hoch in der Luft in einem Black Hawk saß, melden müssen, dass die SEALs in ihren Zodiacs sich dem Tanker von hinten näherten, um die Schiffsschrauben unter Beschuss zu nehmen. Wenn man dabei richtig vorging, bestand keine Gefahr, dass die Treibstofftanks Feuer fingen. Doch die Marines, die sich auf das Deck oberhalb der Schiffsschrauben abseilten, konnten dadurch in eine brenzlige Situation geraten. »FAST Eins, hier spricht Alpha Drei …«, begann Buford, als er sah, wie vom Deck des Schiffs ein Lichtblitz nach oben schoss. Im nächsten Moment explodierte der Black Hawk in einer orangegelben Wolke, und er beobachtete, wie der Rumpf in der Mitte durchknickte, während sich die Rotorblätter weiter drehten. Die Männer auf der Jamal hatten eine Stinger-Rakete oder eine russische SA-14 auf die Marines abgefeuert. Zwölf Männer fielen den Flammen zum Opfer, als der Black Hawk ins Meer stürzte. Nun hörte Buford die Einschläge, als seine beiden Zodiacs die Schiffsschrauben unter Beschuss nahmen. Wenn es ihnen gelang, sie zu treffen, würde das Schiff zumindest an Fahrt verlieren. Allerdings hatte es 136

dann trotzdem noch genug Schwung, um sich bis zum Stützpunkt treiben zu lassen. »Wenn die den LNG in die Luft jagen wollen«, rief er seinem Maschinisten zu, »wäre jetzt der richtige Moment dafür. Wir müssen an Bord, um sie aufzuhalten.« »Entermannschaft, aye, Sir«, rief der Maschinist zurück. Buford informierte die übrigen Zodiacs, damit alle vier Boote ihre Entermannschaften an verschiedenen Teilen des Schiffes absetzen konnten. Dann setzte er ein Stück zurück, um seinen Leuten mit den Maschinengewehren Feuerschutz zu geben. Als sein Boot längsseits zum Tanker beidrehte, erschienen ihm die siebzig Höhenmeter, welche ihn vom Deck trennten, wie eine riesige stählerne Wand, die sich über ihnen erhob und dabei gleichzeitig vorwärts bewegte. »Holt die Bohnenstange«, rief Buford den drei SEALs in seinem Zodiac zu. Das Gerät aus Titan schien auf den ersten Blick nur knapp zwei Meter lang zu sein. Doch die beiden dicken Stangen ließen sich ausfahren. Als Buford den Auslöseknopf drückte, schossen die Stangen fünfundzwanzig Meter in die Höhe. Zwischen ihnen bildeten dünne, schmale Sprossen eine Leiter. Mit Saugnäpfen und Magneten ließen sich die Stangen an der Schiffswand befestigen. Die Männer stellten die Hebevorrichtung und die Bohnenstange so auf, dass sie sich an einem Speigatt am Tanker einhaken ließ, und begannen dann, angeführt von Buford, mit dem Aufstieg. Der Zodiac setzte ein Stück zurück, um eventuell 137

an Deck befindliche Personen aus dem richtigen Winkel unter Feuer nehmen zu können. Normalerweise verfügten die SEALs über ihre eigenen Helikopter vom Typ AH-6C Little Bird, bei denen Soldaten auf den Landekufen saßen, um Feuerschutz zu geben. Leider jedoch befanden sich die Little Birds derzeit gemeinsam mit dem Großteil der SEALs bei einer Übung auf Schiffen draußen im Golf. Buford war eigentlich nur zurückgeblieben, um das Fort zu bewachen – wie sich nun herausstellte, im wahrsten Sinne des Wortes. Während der Zodiac sich vom Tanker entfernte, wurde Buford von einem Geräusch und einer Bewegung über sich aufgeschreckt. Als er nach oben blickte, sah er die Nachbrenner-Flammen zweier bahrainischer F-16, die in hundertfünfzig Meter Höhe über das Meer jagten. Wie er hoffte, wussten die Piloten, dass sie nichts weiter zu tun brauchten, als abschreckend zu wirken. Dann hörte er ein anderes, vertrautes Geräusch: Black Hawks. Der Rest von FAST war mit drei oder vier weiteren Maschinen eingetroffen, und bis jetzt hatte niemand eine Stinger auf sie abgefeuert. Rasch schaltete Buford auf FAST-Frequenz. »FAST-Kommandant, hier spricht Alpha Drei Eins. Wir klettern gerade mit einem Dutzend Mann auf den Positionen eins, zwei und sechs den Rumpf hinauf. Ich brauche Feuerschutz von Ihren Helikoptern. Schlage vor, alle Männer an Bord auf dieselbe taktische Frequenz zu legen. Ende.« »Verstanden, Alpha, wir werden uns auf die Posi138

tionen drei, vier und fünf abseilen und an Deck in der Nähe Ihrer Positionen das Feuer eröffnen, bis Sie oben angekommen sind«, erwiderte der Marine im Führungshubschrauber. Er verwendete die Zahlen, mit denen die SEALs und die Marines Standorte auf einem Schiff bezeichneten, das sie aus der Luft oder vom Meer aus angreifen wollten. »Alpha, lassen Sie Ihre Männer auf taktische Frequenz 198.2z schalten. Ende.« Inzwischen hatten Buford und sein Team die an der Schiffswand eingehakte Bohnenstange überwunden und zogen die Leiter hinter sich ein. Nachdem sie das Gerät weitere fünfundzwanzig Meter nach oben geschoben hatten, befestigten sie es wieder. Endlich hatten sie den Turm erreicht und schossen Seile an Deck. Sobald diese augenscheinlich Halt gefunden hatten, kletterten die SEALs das letzte Stück am Rumpf des gewaltigen Ungetüms empor. Mittlerweile hörte Buford Schüsse aus leichten Waffen. Er malte sich aus, wie der Anführer der Terroristen im Inneren des Schiffes Sprengsätze legte, um die fünf riesigen mit Gas gefüllten Kuppeln in die Luft zu jagen. Selbst hier draußen würde eine Explosion eine Druckwelle und einen Feuerball erzeugen, die Hunderte von Menschen auf dem Stützpunkt in den Tod reißen würden. Jeden Moment konnte es so weit sein … Plötzlich drang das Heulen einer Sirene an Bufords Ohr. Als er sich umdrehte, sah er, dass das bahrainische Patrouillenboot mit voller Kraft auf sie zusteuer139

te. Es war hell erleuchtet, und auf dem Dach blinkte ein Blaulicht wie bei einem Streifenwagen. Dann hörte er eine Stimme in seinem Kopfhörer: »Wir kreisen über den Trümmern des Defender … Das sieht nicht gut aus …« Offenbar hatte es auf dem Boot der Küstenwache keine Überlebenden gegeben. Inzwischen feuerten die Zodiacs und die Black Hawks mit ihren Maschinengewehren auf das Deck der Jamal, wo möglicherweise jemand lauerte, um die SEALs – die noch an den Seiten des Schiffes hinaufkletterten – und die Marines – die sich gerade zum Abseilen bereit machten – unter Beschuss zu nehmen. »Passt bloß mit den Kuppeln auf«, hörte Buford jemanden über Funk sagen. »Feuer einstellen«, hieß es dann, als sich die SEALs dem Deck näherten. »Feuer einstellen, nur auf feindliche Individuen schießen.« Endlich war er oben an Deck. Seine Unterarmmuskeln schmerzten, und er spürte ein Pochen in Bizeps und Rücken. Buford hatte die SEALs in vier Angriffsteams – Rot, Blau, Grün und Gold – zu je vier Mann eingeteilt. Er selbst und die anderen drei Männer von seinem Zodiac bildeten die Gruppe Gold. »Hier spricht Gold Eins, wir sind an Deck«, meldete Buford und nahm mit der rechten Hand sein Sturmgewehr vom Rücken. Kurz darauf bestätigten die übrigen Teams, dass sie das Deck ebenfalls erreicht hatten. Nun befanden sich sechzehn SEALs an Bord der Jamal, und trotz der gefährlichen Kletterpartie die Schiffswand hinauf hatten sie keinen einzigen Mann verloren. 140

Die SEALs gingen hinter verschiedenen Gegenständen in Deckung, um den Marines von FAST Feuerschutz zu geben, die nun an Backbord und Steuerbord das Schiff enterten. Wie Buford wusste, hatte ein weiteres FAST-Team mittlerweile den Bug erreicht. Buford selbst befand sich am Heck. Der Qualm von der schwelenden Brücke des Tankers versperrte ihm die Sicht auf den Bug. Die Javelins hatten ganze Arbeit geleistet. »Blaues Team, treffen Sie mit Gold zusammen. Wir gehen runter, um die Hilfsschaltanlage im Maschinenraum zu suchen«, rief er ins Mikrofon. »Grün, Rot, Sie vereinen sich mit FAST, gehen mittschiffs runter und halten Ausschau nach Fallen, Zündvorrichtungen oder sonstigen Anzeichen dafür, dass jemand das Schiff in die Luft jagen will.« Danach übergab Buford das taktische Kommando dem Leiter von FAST, einem Captain der Marines, denn unter Deck würde die Reichweite seines Funkgeräts vermutlich nur wenige Meter betragen. Als er eine Luke öffnete, bemerkte er, dass im Inneren des Schiffs kein Licht brannte. Also setzte er sein Nachtsichtgerät auf und gab seinem Team ein Handzeichen, bevor sie in den Bauch des Schiffes vordrangen. Buford versuchte, sich an den Lageplan zu erinnern, den er am Bildschirm seines Laptops gesehen hatte. Die beiden Abteilungen pirschten sich einen dunklen Gang entlang. Auf ihrem Weg drei Ebenen nach unten gaben die Männer einander Deckung, wie sie es so oft geübt hatten. 141

Buford schob die Luke in einen weiteren Gang auf. Wenn sein Gedächtnis ihn nicht trog, lag hinter der zweiten Tür links die Ersatzbrücke, von der aus sich das Schiff steuern ließ. Laut den Dateien, die er seinem Laptop entnommen hatte, während der Zodiac hinaus zur Jamal fuhr, verfügte dieses Schiffsmodell auch über zwei kleine Notfallschrauben mittschiffs, die er nun anwerfen und auf volle Kraft zurück schalten wollte. Buford und das restliche Team Gold fanden die fragliche Tür und nahmen ihre Positionen – geduckt oder stehend, damit sie einander Feuerschutz geben konnten – ein, um den Raum gemeinsam zu stürmen. Nachdem Buford die Klinke heruntergedrückt hatte, drangen die Männer ein. »Nicht schießen, nicht schießen«, flehte ein Asiate, der ein T-Shirt trug. Sonst konnte Buford durch sein Nachtsichtgerät niemanden im Raum erkennen. »Gehören Sie zur Besatzung der Jamal?«, brüllte er und hielt dem Asiaten die Waffe vor die Brust. Der verängstigte Mann nickte. »Wo sind die Schalter für die Schrauben mittschiffs?«, schrie Buford dann. Der Asiat streckte die Hand nach einem Schalter aus. »Nein«, rief Buford und stieß ihn weg, denn er wollte sich die Schalter selbst ansehen. Sie machten einen ziemlich benutzerfreundlichen und leicht zu handhabenden Eindruck. Alles war auf Japanisch und Englisch beschriftet. »Damit sollte die Sache erledigt sein«, meinte er zu seinen Männern, während er die Schrauben anwarf. 142

Dann schaltete er auf volle Kraft zurück. »Auf diese Weise wird wenigstens der restliche Schwung gebremst. In wenigen Minuten müsste das Schiff rückwärts fahren. Und jetzt machen wir uns auf die Suche nach dem Sprengstoff.« Der junge SEAL-Lieutenant packte den zitternden asiatischen Matrosen am T-Shirt und schubste ihn auf den Stuhl vor der Konsole, auf dem er gesessen hatte, als die Soldaten den Raum stürmten. »Wo sind sie? Wo sind die Terroristen?«, schrie Buford den verängstigten Seemann an. »Raus mit der Sprache!« Anstelle einer Antwort bewegte sich plötzlich ein Schatten in der Dunkelheit, und hinter einem Aktenschrank dröhnten Schüsse hervor, die in dem winzigen Kontrollraum widerhallten. »Allah akbbar!«, rief eine Stimme. Buford wirbelte nach rechts herum und wollte schon die Waffe heben, als drei Schüsse einer nach dem anderen in seine kugelsichere Weste einschlugen. Der vierte traf ihn oberhalb der Nasenwurzel, ließ seinen Kopf zerplatzen, und sein Körper sank rückwärts auf die Schalttafel. Das Feuer zweier SEALs zerfetzte den Schützen. Vom Dröhnen der Waffen hatte der Soldat ein Klingeln in den Ohren, als er den Transmitterknopf des Mikrofons betätigte, das er unter dem Kinn trug. Beißender Qualm stieg ihm in die Nase. »Gold Eins getroffen. Tot. Ich wiederhole, Gold Eins getroffen, tot.« Doch durch den dicken Stahlmantel des Rumpfs konnte niemand an Deck ihn hören.

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Das Fernglas des Barmanns und ihr Mobiltelefon jonglierend, drückte sich Kate Delmarco die Nase an der Fensterscheibe der Dachterrassenbar platt, während sie dem Nachrichtenmoderator von CNN in Atlanta ihren Bericht durchgab. Das tat sie schon seit einer halben Stunde, und der Text wurde bereits von Associated Press weltweit verbreitet. »Die Helikopter kreisen noch immer über dem Deck und leuchten es mit sehr hellen Scheinwerfern aus. Die Männer aus den Helikoptern befinden sich inzwischen seit fast zehn Minuten an Bord; allerdings kann ich sie nicht sehen. Offenbar ist das Feuer auf der Brücke erloschen.« Kate spähte angestrengt nach draußen. »Und ich würde sagen, dass das Schiff eindeutig gestoppt hat. Inzwischen wimmelt es dort von kleineren Booten, und ich erkenne an den Lichtern, dass noch weitere unterwegs sind. Die Kampfflugzeuge kreisen weiter am Himmel … Ich kann den Bericht nicht bestätigen, dem zufolge der amerikanische Stützpunkt geräumt worden sein soll. Doch dieser riesige Tanker, beladen mit flüssigem Erdgas, ist ganz klar darauf zugesteuert. Wenn die Terroristen ihn gesprengt hätten, wären mit Sicherheit Tausende von Menschen – Amerikaner und Bahrainis – gestorben … Ich muss hervorheben, dass wir bis jetzt nicht wissen, um welche Terrorgruppe es sich handelt, obwohl bereits diverse Gerüchte kursieren.« Noch nie hatte der Barmann einen Gast erlebt, der ein so gutes Trinkgeld gab wie diese Amerikanerin. Nun legte er den Hörer des Telefons hinter dem Tresen 144

auf und notierte etwas auf eine Serviette. Dann kam er hinter der Theke hervor, ging zum Fenster und hielt Kate Delmarco die Serviette hin. »Mann von Krankenhaus anruft«, stand darauf. »Er sagen shokran jazeelan. Nur sagen Ihnen shokran.« Nein, dachte Kate, der die Tränen in die Augen traten. Ich bin es, die Ihnen zu Dank verpflichtet ist, Doktor. Auf der anderen Seite der Stadt, in einem kleinen Büro der Intensivstation der Sulimijah-Klinik, war Dr. Rashid damit beschäftigt, eine codierte E-Mail an seinen Bruder Abdullah in Riad zu verfassen. »… obwohl die Iraner versuchen werden, alles zu vertuschen, sind die von den Amerikanern auf dem Tanker gefundenen Entführer – irakische Schiiten – eigentlich ein eindeutiger Hinweis darauf, dass wir es mit dem iranischen Quds-Kommando zu tun haben. Durch die amerikanische Journalistin, mit der ich mich auf Nakeels Vorschlag hin getroffen habe, wurden die Amerikaner rechtzeitig über den Anschlag informiert, sodass sie ihn noch verhindern konnten. Diese Journalistin wird bestätigen, dass Islamijah nicht für den Übergriff verantwortlich ist und sogar dazu beigetragen hat, die Terroristen unschädlich zu machen. Ich denke, man wird ihr glauben. Laut Nakeel verfügt sie über gute Kontakte zu Militär und Geheimdienst. Jedenfalls haben wir Teherans Pläne durchkreuzt, ein Blutbad unter den Amerikanern anzurich145

ten und uns die Schuld dafür unterzuschieben. Allerdings bin ich sicher, dass es nicht bei diesem einen Versuch bleiben wird. Es wird zu weiteren Anschlägen kommen. Dir immer treu ergeben, Ahmed.«

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Kapitel 5 5. Februar

Vauxhall Cross, London Zentrale des Secret Intelligence Service (SIS) »Mich gruselt es jedes Mal, wenn ich hier bin, Pammy«, vertraute Brian Douglas Pamela Braithwaite, der Assistentin der Geheimdienstchefin, an. »Ich hätte Angst, in so einem Glaspalast zu arbeiten. Man sitzt hier ja wie auf dem Präsentierteller.« »Tja, Sie werden sich vermutlich nicht mehr daran erinnern, Brian, denn damals waren sie mit den Omanis in Dhofar. Wenn ich mich recht entsinne, haben Sie im Jahr 2.000 im Jemen diverse Suchaktionen nach al-Qaida geleitet, als es geschah.« Pamela schloss die Augen und ließ die Szene Revue passieren. »Eine russische Anti-Panzer-Rakete ist in den achten Stock dieses Gebäudes eingeschlagen. Die Iren. Ergebnis war ein schreckliches Tohuwabohu, und wir mussten die gesamte Etage einen Monat lang räumen. Inzwischen haben wir natürlich Überwachungskameras in der ganzen Nachbarschaft installiert, und auf der Themse patrouillieren Polizeiboote.« Barbara Currier, die Chefin des Geheimdienstes SIS, kam – beladen mit einem Papierstapel und gefolgt von Roddy Touraine, dem Leiter der Abteilung 147

für den Nahen Osten – herein. »Hallo, Brian, kaum kehren Sie Bahrain einen Tag den Rücken, ist dort schon die Hölle los«, meinte sie und hielt Douglas forsch die Hand hin. »Der Zeitpunkt hat mich selbst überrascht, Direktor. Allerdings hatten wir die Amerikaner gerade erst gewarnt, dass sie bald mit einer solchen Aktion rechnen müssten«, versuchte Brian sich zu rechtfertigen. »So nehmen Sie doch Platz«, forderte die Geheimdienstchefin ihn auf. »Ja, das habe ich dem Direktor des amerikanischen nationalen Geheimdienstes in der Videokonferenz von heute Morgen auch ausdrücklich gesagt. Und – welch ein Wunder! – er hat es sogar eingesehen.« »Meine Mitarbeiter haben in den letzten vierundzwanzig Stunden ganze Arbeit geleistet, um weitere Einzelheiten zu erfahren. Möchten Sie sie hören, Direktor?«, begann Brian und griff nach seinen Unterlagen. Mit einem interessierten Nicken schenkte Currier sich eine Tasse Earl Grey ein. »Die Männer, die die Amerikaner an Bord angetroffen haben, waren Iraker. Ob Sunniten oder Schiiten, wissen wir noch nicht. Die meisten sind bei der Schießerei mit den Marines ums Leben gekommen, doch einen konnten die SEALs gefangen nehmen. Er hat ausgesagt, sie hätten Anweisung gehabt, das Schiff erst dann zu sprengen, wenn sie einen amerikanischen Zerstörer gerammt oder das Schiff in der Nähe des Stützpunkts auf Grund gesetzt hätten. Zwei der Erdgaskuppeln waren mit genug RDX-Sprengstoff bestückt, 148

um einen Feuersturm in einem Umkreis von fast drei Kilometern auszulösen. Alles deutet darauf hin, dass die Einreise der Männer nach Bahrain und ihre Unterbringung von einer Strohfirma namens Darab Trading organisiert worden ist, die Verbindungen zur Hisbollah, zum iranischen Geheimdienst und zum Quds-Kommando unterhält. Die Amerikaner wurden kurz vor dem Anschlag von einer amerikanischen Zeitungsreporterin gewarnt, die den Tipp wiederum von einem Informanten aus Islamijah bekommen haben will. Wir überprüfen noch, wer diese Person sein könnte. Allerdings bestätigt das meinen früheren Bericht, dass die Terroranschläge in Bahrain vom Iran und nicht von Islamijah aus gesteuert werden«, schloss Brian und faltete die Unterlagen wieder zusammen. »Da habe ich aber über dem Großen Teich was anderes läuten hören«, mischte sich Roddy Touraine ein. »Es soll sich nämlich nur um ein Täuschungsmanöver handeln. Die Yankees sind auch weiterhin überzeugt davon, dass das Al-Qaida-Regime in Islamijah hinter allem steckt.« Roddy Touraine hatte sich früher als Steuerberater getarnt und sah auch noch immer so aus. »Es ist kein Al-Qaida-Regime, auch wenn einige ehemalige Mitglieder der Regierung angehören«, widersprach Douglas. »Ehemalige Mitglieder? Kann man denn ein ehemaliges Mitglied von al-Qaida sein, Direktor?«, rich149

tete Roddy Touraine eine rhetorische Frage an Barbara Currier. »Ich dachte immer, einmal Terrorist, immer Terrorist. Ein Kamel ist und bleibt ein Kamel.« »Dasselbe gilt offenbar auch für ehemalige Pentagon-Informanten«, entgegnete Brian spitz. »Meine Herren, es reicht«, fuhr die Geheimdienstchefin dazwischen und brachte die beiden Streithähne mit einer energischen Handbewegung zum Schweigen. »Mich interessiert eher, was als Nächstes kommt. Wie verhindern wir weitere Anschläge und beweisen, wer nun die Hände im Spiel hatte?« »Wenn Sie erlauben, Direktor«, begann Brian. »Wie Sie sicher wissen, habe ich vor einigen Jahren in Teheran ein kleines, aber höchst effektives Netzwerk betrieben. Die Treffen fanden zwar meist im Ausland statt, doch hin und wieder bin ich, getarnt als Geschäftsmann, auch selbst in den Iran gereist. Mein Nachfolger hat das Netzwerk aufgelöst, da ein Mitglied der Gruppe vom VEVAK, dem iranischen Geheimdienst, in Baku enttarnt und getötet wurde. Kurz darauf wurden drei weitere Kontaktleute in Teheran festgenommen. Um das Leben unserer restlichen Mitarbeiter nicht auch noch aufs Spiel zu setzen, haben wir damals beschlossen, das Netzwerk in der Versenkung verschwinden zu lassen. Soweit wir wissen, sind die übrigen Mitglieder nie aufgeflogen und bekleiden weiterhin Positionen, die es ihnen ermöglichen, uns mit den benötigten Informationen zu versorgen. Ich würde gern wieder nach Teheran reisen und einen 150

von ihnen aktivieren, um etwas über die Rolle der Iraner in Bahrain herauszufinden. Außerdem bin ich neugierig, was die Iraner allgemein im Schilde führen: im Irak, mit ihren Atomwaffen und der Situation im Nahen Osten.« Kurz herrschte Schweigen im Raum. Brian hörte, dass unten am Ufer eine Sirene losging. »Persönlich? Sie wollen die Kontaktpersonen aktivieren, indem Sie selbst in den Iran reisen?«, fragte Touraine ungläubig. »Sind Sie dort inzwischen nicht schon bekannt wie ein bunter Hund? Ist der VEVAK Ihnen noch nicht auf die Schliche gekommen?« »Dazu müsste ich lange genug bleiben, um den Iranern die Zeit zu geben, die Fotos miteinander abzugleichen. Doch das würde ein paar Tage dauern, und so lange brauche ich nicht«, beharrte Douglas. »Es gibt sonst keine Möglichkeit, meinen Informanten oder die Mitglieder seiner Zelle zu kontaktieren. Außerdem bin ich der Einzige, den unsere Leute dort kennen und dem sie vertrauen. Zugegeben, es ist ein wenig gefährlich, doch das Risiko ist abwägbar, und ich bin bereit, es einzugehen.« »Wenn Sie nur Ihren eigenen Kopf und Kragen aufs Spiel setzen würden, meinetwegen«, entgegnete Touraine barsch. »Aber es wäre eine Katastrophe für unseren Direktor, den Geheimdienst und unsere Regierung, wenn die Iraner überall herumposaunen würden, sie hätten einen leitenden britischen Geheimdienstoffizier dabei erwischt, wie er sich, vertrauliche iranische Regierungsdokumente in der Ta151

sche, in den Freudenhäusern von Teheran vergnügt!« Nur das Rauschen der Heizung war zu hören. Geheimdienstchefin Barbara Currier bekritzelte ihren Notizblock mit Schmetterlingen. »Wir müssen auch mal ein Risiko eingehen. Immerhin sind wir hier nicht bei den Pfadfinderinnen«, erwiderte sie schließlich und stand auf, um Brian die Hand zu schütteln, das Signal, dass die Besprechung vorbei war. »Lassen Sie sich nicht schnappen, Brian. Versprochen?« Pamela Braithwaite begleitete Brian zu den Aufzügen. »Als Geheimdienstmann braucht man sich nicht gleich zu gebärden wie ein Cowboy.« Er warf ihr einen erstaunten Blick zu. »Ich dachte, Sie wären meine Freundin.« »Bin ich auch. Warum, glauben Sie denn, hat sie Ihr kleines Abenteuer genehmigt? Ich habe ihr erst heute Morgen erklärt, dass sie sich auf Sie verlassen kann.« Pamela schmunzelte. »Fallen Sie mir also nur nicht in den Rücken, indem Sie Roddy Recht behalten lassen.« Brian erwiderte ihr Lächeln. »Danke. Ohne Sie hätte Roddy das ganze Vorhaben sicher sabotiert. Ich traue diesem Mann einfach nicht. Ständig läuft er zum Grosvernor Square, um Onkel Sam brav Meldung zu machen. Und eines sage ich Ihnen: Von mir wird dieser Kerl keine Einzelheiten über diese Mission erfahren.« Pamela wandte sich zum Gehen. »Nein. Ich veranlasse alles Nötige mit der Einsatzzentrale und besorge Ihnen eine Legende, Rückendeckung, einen Flucht152

plan für den Notfall. Außerdem kümmere ich mich darum, dass Sie alle Genehmigungen bekommen, die Sie brauchen … also dann, bis später!«

Büro des Vorsitzenden des Koordinierenden Geheimdienstausschusses (JIC) Kabinettsbüro Whitehall, London »Ich freue mich sehr, dass Sie es einrichten konnten, Russell. Natürlich tue ich Sol immer gern einen Gefallen. Schließlich stehe ich tief in seiner Schuld. Wir haben uns schon gefragt, wie sich die neue Analysebehörde so schlägt, und gehofft, wir könnten vielleicht das eine oder andere von Ihnen lernen.« Dennis Penning-Smith war Ende sechzig und sah mit seinem dichten weißen Haarschopf, dem dreiteiligen Anzug und der Brille mit Drahtgestell genau so aus, wie man sich einen Mitarbeiter in diesem alten Regierungsgebäude in Whitehall vorstellte. Rusty fand, dass er mit seinem vogelartigen Gesicht und der langen Nase wie ein Cambridge-Professor wirkte. Doch Penning-Smith war alles andere als das. »Sir Dennis, als Vorsitzender des JIC wissen Sie viel mehr über Analyse, als wir je zu lernen hoffen können. Ihre Erfolgsquote hier ist besser als alles, was Washington in den vergangenen zwanzig Jahren vorweisen konnte«, antwortete Rusty. »Das ist sehr freundlich von Ihnen, Russell, sehr 153

freundlich. Aber wir alle machen Fehler. Auch wir haben die Frage, ob der Irak nun Massenvernichtungswaffen besitzt, nicht richtig beantwortet, obwohl es uns gelungen ist, den Aufstand und den Bürgerkrieg vorherzusagen. Außerdem liegt Washington schließlich nicht immer daneben. Hin und wieder landet die kleine Analyseabteilung INR des Außenministeriums auch einen Treffer. Dabei ist klein das Schlüsselwort. Im Analysegeschäft lautet das Motto nämlich: Je kleiner, desto besser. Zu viele Köche verderben den Brei. Die meisten durch moderne Technik, das heißt durch Satelliten oder Ähnliches, gewonnenen Informationen stammen aus Amerika«, fuhr Sir Dennis fort. »Doch zum Glück geben Sie das meiste davon an uns weiter. Wir steuern zwar ein paar Dechiffrierungen und Abhöraktionen bei, aber unser Beitrag besteht zum Großteil in der guten Aufklärungsarbeit unserer Jungs und Mädchen drüben in Vauxhall Cross. Und die meisten dieser Informationen teilen wir auch mit Ihnen. Aus für mich unerfindlichen Gründen hat die CIA noch nie ein Händchen fürs Spionieren gehabt. Und wenn sie mal einen guten Mitarbeiter erwischen, dann haben sie ihn meist nicht selbst ausgesucht, sondern er hat sich beworben. Doch ganz gleich, wie, alles landet erst mal hier und anschließend bei Ihnen – die Berichte der Agenten, die abgehörten Gespräche, die Satellitenfotos und die so genannten nicht klassifizierten, öffentlich zugänglichen Informationen. Häufig geben die am 154

meisten her, obwohl Washington nicht viel davon hält. Dort beurteilt man nämlich alles als Desinformation, solange man es nicht selbst gestohlen, gekauft oder im Äther aufgeschnappt hat. Wir haben hier im Haus einen kleinen festen Mitarbeiterstamm, der alle eingehenden Daten sichtet und dann Einschätzungen – oder Analysen, wie Sie es nennen – verfasst. Oft bitten wir jemanden vom Außenministerium, die erste Einschätzung vorzunehmen. Abhängig vom Thema ziehen wir auch ein oder zwei Professoren aus Oxford oder Cambridge hinzu, selbstverständlich erst, nachdem alle verfänglichen Daten gelöscht wurden. Anschließend können sich Verteidigungsministerium, Außenministerium, Innenministerium, Geheimdienst und alle anderen nach Herzenslust die Zähne daran ausbeißen. Zu guter Letzt landet die Sache beim JIC, wir geben ihr den letzten Schliff. Und dann schicken wir sie durch die Wand.« Beim letzten Satz runzelte Rusty fragend die Stirn. »Durch die Wand?« »Ja, und zwar im wahrsten Sinne des Wortes.« Sir Dennis stand auf und ging in den hinteren Teil seines schlauchartigen Büros. »Ich verfüge zwar nicht über so viel Macht wie der Direktor Ihres nationalen Geheimdienstes, doch in meiner Funktion als Geheimdienstkoordinator ist der Premierminister mein wichtigster Kunde.« Er zog einen Schlüssel aus der Westentasche und schob das mit Rollen versehene Bücherregal beiseite. Dahinter befand sich eine Tür, die er aufschloss und öffnete. »Ta-ta!«, verkündete Sir 155

Dennis. »Nummer zehn.« Mit diesen Worten verschwand er durch die Tür. »Penning-Smith hier«, konnte man ihn sagen hören. »Ich schließe wieder ab.« Kein Alarmsignal ertönte, und die Tür schien auch nicht elektronisch gesichert zu sein. Als Sir Dennis zurückkehrte, lachte MacIntyre immer noch. »Heißt das, dass Sie eine Geheimtür haben, durch die Sie ungehindert in die Downing Street 10 spazieren können? Was passiert, wenn der Premierminister noch im Schlafanzug ist?« »Keine Sorge«, erwiderte Sir Dennis, während er die Tür wieder verschloss und das Bücherregal mühelos zurück an seinen Platz schob. »Die Familie wohnt im Obergeschoss. Der Zweck dieses kleinen Zaubertricks ist es, Russell, klar zu machen, dass der Premierminister stets für mich zu sprechen ist. Mit dieser Vorstellung habe ich bis jetzt noch jeden Mitarbeiter des JIC beeindruckt.« Sir Dennis klopfte sich den Staub von den Händen und nahm wieder in seinem Lesesessel im Queen-Anne-Stil Platz. »Ich habe auch ein paar Zaubertricks auf Lager«, meinte Rusty schmunzelnd. »Allerdings ist es bei mir reines Hobby. Stimmen Sie dieser Bewertung von öffentlich zugänglichen Informationen zu?«, fuhr er dann fort, um wieder auf das ursprüngliche Thema zu sprechen zu kommen. »Wir haben nämlich gerade einen Großauftrag zur Entwicklung einer Software erteilt, die das Internet durchsuchen und die dort gefundenen Daten auswerten soll. Wenn es funktioniert, geben wir es natürlich gern an Sie weiter.« 156

»Eine automatische Crawler-Suchmaschine, tja … Kann sein, dass wir unter einer öffentlich zugänglichen Information etwas anderes verstehen als Sie, Russell. Zur Verdeutlichung erzähle ich Ihnen mal eine kleine Anekdote über unsere gemeinsamen Freunde, die Israelis. Die hatten ein Problem mit Libyen. Aber das geht uns schließlich allen so. Offenbar hatte der alte Moamar vor, sich in Korea ein paar Raketen zu kaufen. Natürlich wollte der israelische Premierminister sofort wissen, wann die verdammten Dinger denn eintreffen würden.« Sir Dennis’ Tonfall wurde leidenschaftlicher, als er fortfuhr. »Also gründeten sie eine israelische Version des JIC und beauftragten sämtliche Behörden mit Nachforschungen. Eine Woche später meldete die Luftwaffe, sie hätten Erkundungsflüge über dem Hafen von Tripolis durchgeführt, dabei aber keine neuen Erkenntnisse gewonnen. Die Leute vom Geheimdienst der Marine hatten ein U-Boot vor der Küste stationiert und sich in den Hafen geschlichen, um nachzusehen: nichts. Also bestach der Mossad Gaddhafis Schneider, irgendeinen Schwulen aus der Via Veneto in Rom, und versteckte einen Sender im Futter eines der auffälligen Gewänder, die er immer trägt. Doch bis auf Musik von den Beatles war nichts zu hören. Übrigens war es das White Album. Schließlich, Russell, erzählt irgendein kleiner Angestellter des Außenministeriums, ein gewisser Avi Soundso, am Mittwoch sei ein Schiff aus Pjöngjang eingetroffen, habe an Pier zwölf die Ladung gelöscht 157

und sei am Samstag wieder in See gestochen. ›Woher wissen Sie das bloß?‹, wundern sich alle im Chor. ›Ich habe einfach den Hafenmeister angerufen und ihn gefragt‹, erwidert da der kleine Avi. Das sind öffentlich zugängliche Informationen, nicht solche, die man aus dem Internet herausfischt.« Schmunzelnd lehnte Penning-Smith sich zurück. »Sie könnten Recht haben, Sir Dennis«, gab MacIntyre kichernd zu. »Und wo drückt Sie zurzeit der Schuh?« Der Vorsitzende des Geheimdienstausschusses stand wieder auf und öffnete eine Tür, hinter der sich eine Tafel verbarg. Er oder jemand anderes hatte mit roter, grüner und weißer Kreide den Arbeitsplan für das erste Quartal darauf aufgezeichnet. »Als Nächstes kommt: ›Quo vadis, Islamijah‹ – also wer sich in der Schura als Anführer durchsetzen wird und was er dann vorhat. Und da wir schon in der Region sind, stehen anschließend die neuesten Entwicklungen in den Beziehungen zwischen dem Iran und dem Irak auf dem Programm. Können wir die Sollbruchstellen finden, um die Entente cordiale zwischen den beiden großen schiitischen Nationen zu stören? Wenn wir ein Stück weiter östlich gehen, kommen wir zu der allseits beliebten Heroinproduktion in Afghanistan, die übrigens gerade wieder gesteigert wurde. Wie verhindern wir, dass die Ware hier in Brixton landet? Dann zum Fernen Osten: ›Chinesische Wirtschaftstrends‹. Werden sie es schaffen, weiter Geld in die 158

Modernisierung ihres Militärs zu pumpen und gleichzeitig jeden kleinen Chinesen mit Technikschnickschnack ruhig und zufrieden zu stellen? Und zu guter Letzt – eigentlich dürften Sie das gar nicht sehen – ›Amerikas nächste Schritte. Lernen aus Fehlern?‹, eine Untersuchung der Frage, inwieweit Verfahrensfehler in Irak, Afghanistan, Pakistan, Iran und Saudi-Arabien die kurz- und mittelfristige Entscheidungsfähigkeit Washingtons beeinflussen. Aber mit diesem Thema bin ich bei Ihnen bestimmt richtig.« Penning-Smith klappte die Türen vor der Tafel wieder zu. »Meinen Sie das ernst? Ich weiß nicht, ob wir je aus unseren Fehlern lernen«, antwortete MacIntyre, der dem nicht widersprechen konnte. »Ja, wir hatten einen schlechten Start ins einundzwanzigste Jahrhundert. Der Irakkrieg hat uns bei der dortigen Bevölkerung nicht beliebt gemacht. Außerdem herrscht seitdem andauernder Widerstand der Sunniten gegen die schiitische Regierung, die sich offenbar zunehmend Teheran annähert. Wenigstens haben wir endlich unsere Truppen dort abgezogen. Bei den Iranern konnten wir nie sagen, ab welchem genauen Zeitpunkt sie Nuklearwaffen besaßen und wo sie sie lagerten. Allerdings sind wir inzwischen ziemlich sicher, dass die Lieferungen uns durch die Maschen geschlüpft sind, während wir in Bagdad beschäftigt waren. Afghanistan könnte man wahrscheinlich am besten als hart an der Grenze zum Scheitern bezeichnen. Das 159

Regime in Kabul tanzt eindeutig nach der Pfeife der fundamentalistischen Koalition in Pakistan, die ihrerseits aus ihren Atomwaffen keinen Hehl macht. Dieses Bündnis aus Militär und Geistlichkeit in Islamabad ist es, das mir am meisten Sorge bereitet. Die Pakistanis haben die Jagd nach al-Qaida eingestellt, die Beziehungen mit Indien abgebrochen und scheinen mit dem neuen Regime in Saudi-Arabien unter einer Decke zu stecken. Und dann ist da noch Saudi-Arabien selbst. Dort haben wir zu lange aufs falsche Pferd gesetzt. Wir hatten keine eigenen Informanten im Land, die uns meldeten, dass der Widerstand gegen die al-Sauds zunahm, sich organisierte und Bündnisse einging. Die Folge war, dass das Land jetzt Islamijah heißt. Es ist noch zu früh, um Aussagen über seine Zukunft zu treffen. Meiner Überzeugung nach können wir verhindern, dass es eine Bedrohung für uns wird, wenn wir uns nicht feindselig verhalten. Die Revolution dort ist noch jung und beeinflussbar. Mich würde brennend interessieren, wer sich Ihrer Einschätzung nach als Anführer herauskristallisieren wird«, beendete MacIntyre seine Ausführungen und breitete die Hände aus. »Einige dieser Leute waren früher bei alQaida oder gehören dem Klerus an. Doch bei den meisten handelt es sich um Reformer, Demokraten oder einfach nur um enttäuschte Beamte und Militärs, die die Stagnation und Inzucht des Hauses alSaud satt hatten.« »Ja«, sagte Sir Dennis und warf einen Blick in sei160

nen roten Terminkalender, ein Werbegeschenk des Economist. »Ja, da gibt es wirklich eine Menge politischer Probleme. Wissen Sie was, Russell, Sie sind heute mein letzter Termin. Was halten Sie davon, dieses Gespräch bei einem kleinen Scotch fortzusetzen?«

The Travellers Club Pall Mall, London Nach einer kurzen Fahrt über den belebten Trafalgar Square setzte der Chauffeur des Kabinettsbüros die beiden Männer vor einem Gebäude am Ende einer ruhigen Sackgasse ab, das an einen florentinischen Palast erinnerte. Sie gaben ihre Mäntel an der Garderobe ab und gingen die große Treppe hinauf. Es kostete MacIntyre Mühe, nicht wie ein Landei zu wirken, als er die Porträts, Kronleuchter und das griechische Fries in der Bibliothek bewunderte. »Ja, das haben wir aus dem Apollotempel gestohlen. Und die Griechen wollten es doch tatsächlich zurück, diese Mistkerle.« Nachdem sie sich in zwei Ledersesseln am Fenster niedergelassen hatten, drückte Sir Dennis auf einen großen roten Knopf. »Haben Sie Lust auf einen Balvenie, Russell?«, fragte er, als ein Bücherregal zur Seite glitt und eine Teeküche freigab, aus der ein Butler mit einem Tablett mit sechs Gläsern erschien. Drei davon enthielten Wasser. Kein Eis. 161

Schmunzelnd betrachtete MacIntyre die zweite als Bücherregal getarnte Tür, die er an nur einem Tag zu sehen bekam. »Wenn Sie das nächste Mal in den Staaten sind, Sir Dennis, müssen Sie mich in ein Schloss in Los Angeles begleiten, zu dem nur Vereinsmitglieder Zutritt haben. Dort gibt es auch solche Türen.« »Ein Schloss? Was ist das denn für ein Verein?«, erkundigte sich Sir Dennis und schnupperte am Single Malt. »Zauberer«, erwiderte MacIntyre. »Dann könnte Sir Dennis dort ja problemlos Mitglied werden«, kommentierte plötzlich eine dritte Stimme. MacIntyre hatte den Mann nicht eintreten sehen. »Russell, darf ich Ihnen Brian Douglas vorstellen? Der alte Schwerenöter arbeitet bei der Konkurrenz, beim SIS. Unser Mann in Bahrain auf einem kurzen Heimatbesuch«, machte Sir Dennis MacIntyre mit einem sonnengebräunten Mann bekannt, der zwanzig Jahre jünger aussah als er. Dann reichte er ihm ein Glas. »Ich habe Brian gebeten, kurz vorbeizuschauen, um Sie kennen zu lernen. Nach dem zu urteilen, was ich von Sol Rubenstein über Sie weiß, Russell, haben Sie und Brian ähnlich gelagerte Interessen, einschließlich der Themenbereiche Irak, Iran und Islamijah. Außerdem wird Brian bald auf Reisen gehen. Das darf ich doch verraten? Russell wird uns in Langley oder Foggy Bottom sicher nicht verpetzen, nicht wahr, Russell?« »Er will damit sagen, dass ich unter falschem Na162

men nach Teheran fliegen werde«, erklärte Douglas leise über den Rand seines Whiskyglases hinweg und setzte eine leicht zweifelnde Miene auf. »Und wie heißen Sie diesmal, nur für den Fall, dass ich etwas über Sie in der Zeitung lese?«, hakte Sir Dennis nach und drängte Brian, mehr zu verraten, als ihm offenbar recht war. »Ian Stuart, südafrikanischer Teppichhändler aus Durban. Das ist zwar eine neue Legende, aber unser Büro hier hat alles genau geplant«, flunkerte Douglas, der dem Amerikaner seine wahre Tarnung nicht preisgeben wollte. »Außerdem wollen wir hoffen, dass Sie nichts über mich lesen werden, zumindest nicht in der Zeitung.« »Russell, Brian hat mir heute Morgen eine Frage gestellt, die ich ihm nicht beantworten konnte. Vielleicht wissen Sie ja die Lösung«, meinte Sir Dennis, schlug die Beine übereinander und wandte sich dem Amerikaner zu. Sein Ton wurde geschäftsmäßig. »Warum hat sich der Unterstaatssekretär im Pentagon, Kashigian, um die Weihnachtszeit mit den Revolutionsgarden in Teheran getroffen? Ich hätte nicht gedacht, dass der Iran auf der offiziellen Reiseliste für Mitarbeiter des Verteidigungsministeriums steht. Allerdings klang seine Legende ziemlich glaubhaft. Er hat sich als armenischer Diplomat ausgegeben, richtig, Brian?« Allmählich dämmerte Russell MacIntyre, worum es bei diesem Gespräch in Wirklichkeit ging, nämlich darum, ihn auf Herz und Nieren zu prüfen. Konnte 163

man sich darauf verlassen, dass er Washington nicht Bericht erstatten würde, wenn der SIS einen hochrangigen Offizier unter falschem Namen in den Iran schickte? Würde er seine Vertrauenswürdigkeit unter Beweis stellen, indem er seinerseits den Briten erklärte, warum ein wichtiger amerikanischer Regierungsbeamter in geheimer Mission ebenfalls nach Teheran geflogen war? Das Problem war nur, dass MacIntyre überhaupt nichts von Ronald Kashigians Iranreise gewusst hatte. Nun musste er das seinen Gastgebern begreiflich machen, ohne dass dadurch sein Wert für sie sofort sank. »Ich will ganz offen mit Ihnen sein: Wenn Kashigian über Weihnachten im Iran war, hat man mir diese Information offensichtlich vorenthalten. Ich bin überzeugt, dass Sol Rubenstein ebenfalls nichts davon weiß. Sind Sie sicher, dass es sich wirklich um Kashigian gehandelt hat und nicht um einen echten armenischen Diplomaten?«, erwiderte MacIntyre in möglichst Vertrauen erweckendem Ton. Die beiden Briten wechselten kurze Blicke. Dann nickte Sir Dennis Brian Douglas zu. »Er ist in einer zivilen Gulfstream des Pentagon hingeflogen«, meinte dieser knapp. »Die Reise wurde vom amerikanischen Verteidigungsattaché in Ankara arrangiert und geplant.« »Mist«, platzte es aus MacIntyre heraus, und er runzelte die Stirn. »Warum sollten sie – wir – das tun?« »Genau das fragen wir uns auch, Russell. Ein ei164

genartiger Zeitpunkt, um einen Schritt auf die Perser zuzugehen, nachdem das alte Europa vor gar nicht so langer Zeit gezwungen worden ist, den Anti-NuklearSanktionen ebenfalls zuzustimmen.« Sir Dennis’ Stimme war kaum zu hören, und er lehnte sich in seinem Sessel zurück. MacIntyre ließ sich das Gesagte rasch durch den Kopf gehen. »Moment mal. Um das zu erfahren, haben Sie offenbar dem amerikanischen Verteidigungsattaché in der Türkei nachspioniert oder ihn abgehört. Ich dachte, wir hätten vereinbart, dass Großbritannien und die Vereinigten Staaten einander nicht nachschnüffeln.« »Wir schnüffeln den Vereinigten Staaten nicht nach, Russell«, erwiderte Sir Dennis bemüht geduldig. »Wir hören nur, genauso wie Sie auch, gelegentlich dritte Parteien ab, die in ihren Gesprächen hin und wieder auch die Aktivitäten der Amerikaner erörtern. Obwohl einige NSA-Berichte Fort Meade nie verlassen«, fügte er hinzu, womit er auf die Zentrale der National Security Agency, der Abhörbehörde in Maryland, anspielte, »kennen wir sie durch das GCHQ, unsere Abhörbehörde, die alle Informationen auffängt, die auch die NSA erreichen. So läuft das schon seit 1943.« Russell fragte sich, wer wohl die Befugnis besaß, die NSA zur Zurückhaltung eines Berichts anzuweisen. Aber offenbar gab es da jemanden. »Wir sind überzeugt, dass der Iran hinter den Sprengstoffanschlägen auf die Hotels in Bahrain 165

steckt. Vielleicht sogar hinter der Entführung des LNG-Tankers, obwohl die an Bord gefundenen Männer offenbar Iraker waren«, meinte Brian rasch zu MacIntyre. »Ich fliege hin, um ein paar alte Kontakte wiederzubeleben. Denn ich habe so ein Gefühl im Bauch, dass die Iraner etwas im Schilde führen. Die Sache ist, Mr. MacIntyre, dass es riskant für mich werden könnte, falls jemand in Washington von meiner heimlichen Reise erfährt, insbesondere dann, wenn zwischen Washington und Teheran Gespräche stattfinden.« Beim Reden hielt Douglas die Hand halb über den Mund. »Warum erzählen Sie mir das alles?«, wunderte MacIntyre sich kopfschüttelnd. »Ich komme da nicht ganz mit.« »Wir erzählen es Ihnen deshalb, Russell«, erwiderte Sir Dennis, »weil Sol Rubenstein und ich uns schon seit einigen Monaten – natürlich auf abhörsicheren Kanälen – austauschen und unserer beider Sorge erörtern, die Iraner könnten zu selbstbewusst werden. Sie führen Übungen mit ihren mobilen Atomraketen-Abschussrampen sowie amphibische Manöver mit Panzern durch, mischen sich in Bagdad ein und infiltrieren mit ihren Leuten sogar mehr oder weniger offen die irakische Regierung. Die momentane Lage am Golf ist ziemlich heikel. Laut Sol vertreten Sie die Ansicht, dass wir Islamijah noch nicht abschreiben sollten. Seinen Worten nach sind Sie so ziemlich der Einzige in Washington, der diese Auffassung vertritt, was den guten alten Sol 166

dazu zwingt, Sie vor dem Direktor des nationalen Geheimdienstes, dem Verteidigungsminister und der Meute im Weißen Haus in Schutz nehmen zu müssen«, fuhr Sir Dennis fort. MacIntyre waren diese Dinge völlig neu, denn sein Chef hatte sie nie mit auch nur einem Wort erwähnt. »Und wir teilen Ihre Meinung, auch wenn einige untere Dienstgrade in Vauxhall Cross und anderswo das möglicherweise anders sehen. Also ist diese Zufallsbegegnung mit Mr. Douglas in der Bibliothek des Travellers Club eigentlich ein Anwerbungsversuch. Während Sol Sie aus der Stadt schickt, damit sich die Gemüter wieder beruhigen, haben wir gehofft, mit Ihrer Hilfe ein paar Informationen sammeln zu können. Vielleicht erzählen die amerikanischen Diplomaten, die Geheimagenten und die Seeleute am Golf Ihnen mehr, als sie uns verraten haben. Möglicherweise reden die Bahrainis mit Ihnen ja auch offener als mit uns. Schließlich bezahlen Ihre Leute – und nicht mehr wir – inzwischen den Großteil ihrer Rechnungen.« Sir Dennis wirkte jetzt ganz und gar nicht mehr wie ein freundlicher, leicht zerstreuter Professor. Gerade hatte er einen persönlichen Kontakt mit MacIntyres Vorgesetztem Sol Rubenstein zugegeben, von dem Russell bis jetzt nicht das Geringste geahnt hatte. Außerdem hatte er durchblicken lassen, dass Rubenstein MacIntyre gegen Kritik in Schutz nahm – und zwar ohne dass der Kritisierte selbst je davon erfahren hatte. Nun zeigte Sir Dennis sein wahres Gesicht als hochrangiger Regierungsbeamter, der die Fäden in der 167

Hand hielt, als mit allen Wassern gewaschener Realist und Angehöriger der britischen Intelligenzija. »Was haben die Iraner vor? Nicht, dass ich auch nur eine Minute daran zweifeln würde, nach Brians Rückkehr aus den persischen Teppichhandlungen alles von ihm zu erfahren. Wie stabil ist Bahrain, wenn die iranischen Revolutionsgarden beschließen, den König zu stürzen? Wie nutzen wir das Zeitfenster, das Ihrer Ansicht nach besteht, um in Islamijah etwas bewegen zu können? An wen wenden wir uns? Wer ist der Castro, der hinter der Revolution in Islamijah steckt? Und wie verhindern wir, dass dieser Castro nun, nachdem seine Revolution geglückt ist, Kommunist wird? Ich glaube, wir müssen uns beeilen, da sich das Zeitfenster in Islamijah bald schließen wird. Wenn Douglas richtig liegt, werden die Iraner jeden Moment auf der anderen Seite des Golfs in Bahrain zuschlagen.« Sir Dennis stand auf und nahm ein Buch aus einem Regal, das die lapidare Aufschrift »Von Mitgliedern« trug, und reichte es MacIntyre. »Es heißt Arabische Wüsten und wurde von einem Reiseschriftsteller namens Thesinger vor über fünfzig Jahren verfasst. Der Autor kleidete sich wie ein Beduine, lebte mit den Stämmen und liebte das Land. Die Ölfunde hat er sehr bedauert, da sie seiner Ansicht nach alles zerstört hätten.« Der Direktor des JIC schickte sich an zu gehen. »Und vermutlich stimmt das auch, solange man die Lebensqualität nicht daran festmacht, Auto zu fahren oder mit dem Flugzeug zu verreisen. Am besten schließen Sie beide unten bei ei168

nem guten Abendessen Freundschaft. Ich muss jetzt zu einem grässlichen Dinner zu Ehren meines australischen Amtskollegen, der gerade zu Besuch ist. Machen Sie sich keine Gedanken wegen des Buches. Ich werde es ersetzen.« Mit diesen Worten und nach einem raschen Händedruck verschwand Sir Dennis und überließ es Brian Douglas und Russell MacIntyre, sich, in diesem Raum voller Bücher vor ihren leeren Whiskygläsern sitzend, besser kennen zu lernen. Bald darauf erschien der Kellner aus der Teeküche, um die nächste Runde zu servieren. Douglas wirkte inzwischen ein wenig gelöster als in Sir Dennis’ Gegenwart. »Diese Reisen sind natürlich nicht immer erfolgreich. Es gab da ein anderes Mitglied des Travellers Club, einen gewissen Tomkinson, der nach Socotra fuhr. Das ist eine Insel, vierhundert Kilometer vor der Küste des Jemen gelegen. Er wollte Forschungen im Rahmen einer Abhandlung über den ungewöhnlichen Akzent und das Altarabisch betreiben, das auf dieser idyllischen Insel noch gesprochen wird.« »Und was ist passiert?«, erkundigte sich Macintyre. »Haben die Eingeborenen ihn etwa geköpft?« »Nein.« Schmunzelnd nippte Douglas an seinem Scotch. »Aber kein Mensch hat etwas gesagt, kein einziges Wort – bis er wieder weg war.« »Ich habe den Verdacht, dass es bei Ihnen besser klappen wird als bei diesem Tomkinson«, meinte Macintyre und stieß auf die geplante Reise seines neuen Bekannten an. 169

»Es wird nur eine Stippvisite. Anders geht es nicht. Schließlich darf ich den Iranern keine Gelegenheit geben, mein Foto aus irgendwelchen staubigen Archiven hervorzukramen. Außerdem wird mein Informant entweder reden oder nicht. Am Leben sein oder nicht. Es wäre zwecklos, eine Woche mit Warten zu vergeuden«, sagte Douglas, mehr zu sich selbst als an Macintyre gewandt. »Ich reise durch Dubai zurück, angeblich, um dort in die Maschine nach Durban umzusteigen. Könnten wir uns da am zehnten um acht Uhr in der Altstadt treffen, um Informationen auszutauschen? Es gibt dort ein kleines Curryrestaurant«, fuhr Douglas fort und schob eine Karte über den Tisch. »Ich werde einen Bericht über meine und Ihre Ergebnisse für Sir Dennis und Sol Rubenstein schreiben müssen.« »Natürlich werde ich da sein. Zuerst fliege ich nach Kuwait, aber anschließend muss ich noch etwas in Bahrain erledigen und habe ohnehin in den Emiraten zu tun«, antwortete Macintyre und hielt inne, als ihm klar wurde, was Douglas gerade gesagt hatte. »Sie erstatten Sir Dennis direkt Bericht? Sie sind Niederlassungsleiter des Geheimdienstes, während er im Kabinettsbüro sitzt. Außerdem ist Ihr Bericht nicht nur für Sir Dennis, sondern auch für meinen Chef bestimmt? Was wird da gespielt?« Brian Douglas erhob sich und leerte sein Glas. »Nun, der SIS und Sir Dennis haben jeweils ihre eigenen internen Abläufe. Wie Sie sicher bereits vermuten, wenn Sie sich hier umsehen, haben wir es mit 170

Verbindungen zu tun. Sir Dennis und Sol Rubenstein gehören zu einer lockeren Gemeinschaft von Intellektokraten, wie sie sich nennen. Diesen Begriff hat übrigens der Thrillerautor John le Carré geprägt. Und trotz seines Gejammers hat Sir Dennis nicht das Geringste gegen ein Treffen mit einem der wichtigeren Mitglieder dieses Clubs im Haus des australischen Botschafters einzuwenden. Er erwartet einen Bericht über geplante Aktivitäten der Chinesen im Indischen Ozean, ein geheimdienstliches Juwel, das Canberra von einer ausgezeichneten Quelle hat. Diese ist so gut, dass man sie nicht riskieren möchte, indem man die Informationen mit London oder Washington teilt. Doch heute Abend wird Sir Dennis sie bekommen«, erklärte Brian und stellte das leere Glas aufs Tablett. »Sollen wir essen gehen? Ich habe noch eine Menge mit Ihnen zu besprechen.« Als Russell MacIntyre die Büste des griechischen Gottes Hermes betrachtete, fühlte er sich wie an dem Abend, als er sich um die Mitgliedschaft in dem Verein Magic Castle beworben hatte. Eigentlich hatte er sich bis zu diesem Abend für ziemlich erfahren in Taschenspielertricks gehalten, doch er war rasch eines Besseren belehrt worden, als er die Darbietungen der übrigen Mitglieder sah. Und hier … Er schüttelte den Kopf. Als MacIntyre und Douglas die Bibliothek verließen, rollte das falsche Bücherregal zurück an seinen Platz. Der Balvenie und die leeren Whiskygläser waren verschwunden.

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Kapitel 6 8. Februar

Dammstraße nach Islamijah »Dr. Ahmed bin Rashid«, las der bahrainische Grenzpolizist am Zugang zum Damm, der nach Islamijah führte, von Ahmeds neuem islamijischen Pass ab. Ahmed erinnerte sich an die Zeit, als es am Damm noch keine Grenzkontrollen gegeben hatte. Doch seit der Revolution, die die al-Sauds aus dem Land geworfen hatte, war das anders geworden. »Wie lange werden Sie wegbleiben, Doktor, und was ist der Grund Ihrer Reise?«, fragte der Grenzpolizist auf Arabisch, während er neugierig den Bildschirm des Navigationsgerätes am Armaturenbrett des neuen BMW beäugte. »Morgen bin ich zurück. Ein Notfall in der Familie«, erwiderte Ahmed höflich. Der Polizist scannte den Pass in einen Computer ein. Als Ahmed in den Rückspiegel sah, stellte er fest, dass eine Fernsehkamera auf das hintere Nummernschild seines BMW gerichtet war. Eine weitere Kamera filmte ihn durch die Windschutzscheibe. Der Polizist wartete, bis der Computer im Wachhäuschen ein Piepsen von sich gab, und betätigte dann die Fernbedienung. Die vförmige Barriere, ein Metallschild, das vor dem Wagen hochgefahren war, senkte sich, und die Ampel 172

schaltete auf Grün. Ahmed machte sich auf seinen Weg über die fünfundzwanzig Kilometer lange vierspurige Schnellstraße. Die Grenzkontrolle auf der islamijischen Seite verlief um einiges unkomplizierter. Ahmed brauchte nur den grüngoldenen Sonderpass hochzuhalten, den sein Bruder ihm gegeben hatte, um durchgewinkt zu werden. Am Festland angekommen, wandte er sich nach Osten und fuhr zur fünfzehn Minuten entfernten Strandpromenade von Al-Khobar, wo das Golden Tulip Park Hotel gleich neben dem Aramco-Gebäude stand. Aramco, der weltweit größte Ölkonzern, befand sich zwar inzwischen zu hundert Prozent im Besitz der Regierung von Islamijah, hatte seinen Namen jedoch beibehalten. Ansonsten war, wie Ahmed bemerkte, alles umbenannt worden. Die Schilder mit der Aufschrift King Fahd Causeway oder Khalid Street hatte man entfernt oder übermalt, und Ahmed fiel auf, dass die neue Namensgebung einem festen Muster folgte. Die Straßen trugen nun die Namen der frühen Kalifen, die einander nach dem Tode des Propheten als Führer der Umma abgelöst hatten, und hießen inzwischen Abu Bakr Khalifa Causeway, Umar I Street, Muawija Abu Sufyan Street und Yazid I Street. Allerdings war davon auszugehen, dass die alten schiitischen Kalifen wie al-Hasan und al-Husayn außen vor geblieben waren, dachte Ahmed, obwohl die überwiegende Mehrheit der Einwohner der Ostprovinzen dem schiitischen Glauben anhing. 173

In der verschlüsselten E-Mail seines Bruders hatte es geheißen, er werde sich den Großteil des Tages bei Aramco aufhalten, um die Sicherheitsmaßnahmen für die gewaltige Öl-Infrastruktur zu überprüfen. Er hatte vorgeschlagen, sich zu einem frühen Abendessen im Golden Tulip zu treffen. Gegen sechs erschien einer von Abdullahs Leibwächtern in Ahmeds Zimmer, um ihn zu einer Privatterrasse neben dem Grillplatz am Pool zu begleiten. Während die Kellner einen kleinen Vorspeisenteller für zwei Personen servierten, näherte Abdullah sich raschen Schrittes. »Mein heldenhafter Doktor«, rief er aus und packte seinen jüngeren Bruder an den Schultern. Ahmed hauchte seinem Bruder als Zeichen der Freundschaft und des Respekts einen Kuss auf beide Wangen. Vier von Abdullahs Leibwächtern bezogen Position am Rand der Terrasse und hielten, den Brüdern den Rücken zugekehrt, nach möglichen Attentätern Ausschau. »Selbst die Hardliner in der Schura fanden, dass ich dich zur Aufdeckung des geplanten persischen Sprengstoffanschlags beglückwünschen sollte. Ganz sicher hätte man uns die Schuld gegeben, und nun musste sogar der Sprecher des Weißen Hauses einräumen, dass es sich bei den Männern an Bord um Iraker handelte.« Abdullah tat sich am Baba-Ganush, einem Auberginenpüree, gütlich. »Hast du schon eine Vermutung, mit welcher irakischen Gruppierung wir es zu tun haben?« »Was ich glaube und was ich beweisen kann, ist 174

zweierlei«, entgegnete Ahmed. »Mein Bauch sagt mir, dass die Täter zu den Märtyrerbrigaden gehören, die von den iranischen Revolutionsgarden ausgebildet worden sind. Allerdings fehlen uns noch die Fakten. Die beteiligten Iraner haben Bahrain auf einigen kleinen Booten verlassen und sind spurlos untergetaucht. Abdullah, dieses iranische Quds-Kommando besteht aus fähigen Männern.« »Ja, das stimmt. Und momentan muss es unser oberstes Ziel sein, diesen Leuten einen Strich durch die Rechnung zu machen. Der König von Bahrain muss auf dem Thron bleiben«, antwortete Abdullah in verschwörerischem Ton. »Ja, ja, ich weiß, auch er ist Mitglied eines Königshauses. Aber er hat die Korruption bekämpft und das Volk in die Entscheidungsprozesse einbezogen. Wer würde sein Nachfolger werden, wenn wir ihn stürzen, Ahmed? Das Ergebnis wäre eine weitere iranische Marionettenregierung wie die in Bagdad, die auf der gegnerischen Seite steht«, sagte der Sicherheitschef von Islamijah und klopfte mit dem Zeigefinger auf den Tisch. »Heute Morgen haben wir beschlossen, unsere geheimen Geldtransfers an die Regierung von Bahrain fortzusetzen, die für soziale Projekte und Arbeitsstellen in den ärmsten schiitischen Gemeinden eingesetzt werden sollen.« Die Sonne war untergegangen, und aus dem Norden wehte eine leichte kühle Brise heran. Zwei Kellner zündeten Heizstrahler an und zogen sich dann zurück. »Dann haben sich die Gemüter in der Schura seit 175

unserem letzten Gespräch offenbar beruhigt«, sagte Ahmed. »Das würde ich nicht unbedingt behaupten.« Die Kellner servierten den ersten Gang, bestehend aus gegrilltem Barsch. Bedächtig zerteilte Abdullah das Filet mit der Gabel. »Es gibt eine starke Fraktion, angeführt von Zubair bin Tayer, die auf eine strikte Einhaltung der Scharia pocht und alle Frauen ins Haus verbannen will. Du kennst diese Forderungen ja. Außerdem«, fuhr Abdullah fort und warf die Gabel auf den Tisch, »wollen sie die Revolution ausweiten und den Wahhabismus in allen islamischen Ländern einführen, bis sie stark genug sind, um den Ungläubigen den Krieg zu erklären. Das sind dieselben Leute, die auch auf den Abschluss des chinesischen Raketenprojekts gedrängt haben. Nun verlangen sie Atomsprengköpfe für diese Raketen. Wir sollen sie entweder in China, in Korea oder in Pakistan kaufen oder unsere eigenen bauen.« Entsetzt umfasste Ahmed mit beiden Händen die Tischkante, als müsse er sich festhalten. »Bruder, das sind doch genau die Fehler, die die al-Sauds den Kopf gekostet haben. Dieser Weg führt zum Stillstand oder sogar zu noch Schlimmerem. Das Volk wird eine solche Politik niemals in Wahlen unterstützen.« Schweigend sah Abdullah seinem Bruder in die Augen. »Sie wollen auch die Wahlen ausfallen lassen. Vielleicht gestatten sie noch eine einzige Wahl, damit sie im Amt bestätigt werden. Später sollen nur noch islamische Geistliche wählen dürfen.« 176

»Ein Mann, eine Stimme, ein Mal«, murmelte Ahmed leise vor sich hin. »Was?«, fragte sein Bruder. »Das haben die Amerikaner über die Wahlen in Algerien gesagt – ausschließlich Männer durften an die Urne, und zwar nur ein einziges Mal. Danach hatten sie ihr Wahlrecht für alle Zeiten verwirkt. So etwas darf hier nicht passieren!«, erklärte Ahmed bestimmt. »Die Amerikaner!«, stieß Abdullah hervor. »Die Amerikaner halten die Demokratie für die Lösung aller Probleme. Dabei haben sie selbst hundert Jahre gebraucht, bis ihr gesamtes Volk wählen durfte, also auch die Armen, die Frauen und die Schwarzen. Haben sie ihre Probleme dadurch gelöst? Sie verschwenden so viel Zeit und Geld mit ihren Wahlen. Und im Ergebnis unterscheiden sie sich kaum von uns. Während wir die dynastische Erbfolge abgeschafft haben, gilt sie bei ihnen unvermindert weiter: Söhne übernehmen die Firmen von ihren Vätern, und Ehefrauen treten in die Fußstapfen ihrer Männer. Sie haben eine Bevölkerung von dreihundertfünfundzwanzig Millionen Menschen – und wie viele herrschende Familien gibt es?«, fuhr Abdullah fort und wedelte mit der Hand. »Existiert bei ihnen keine Armut? Müssen die Menschen nicht bezahlen, wenn sie einen Arzt brauchen oder an der Universität studieren wollen? Und das im angeblich reichsten Land der Welt. Und dabei halten sie sich für so überlegen, dass sie 177

die arabische Welt unbedingt nach ihren Vorstellungen gestalten wollen. Und wie? Indem sie unsere Städte bombardieren, unsere Frauen und Kinder töten und unsere Männer jahrelang ins Gefängnis werfen? Sie sogar vergewaltigen?«, ereiferte sich Abdullah. Ahmed hatte diese Schimpftirade schon öfter gehört. »Bei allem Respekt, aber hier geht es nicht darum, dass wir wie die Amerikaner werden sollen«, wandte er deshalb ein. »Sondern um die Versprechen, die wir unserem Volk gegeben haben: größere Freiheiten, mehr Fortschritt, Möglichkeiten, die Zukunft zu gestalten, Teilhabe am politischen Leben und Einfluss in seinem eigenen Land.« Ahmed wiederholte nur die Forderungen, die sein Bruder vor der Revolution aufgestellt hatte. »Der springende Punkt ist, dass wir es anders machen müssen als die al-Sauds. Sie haben unser Volk unterdrückt und die Petrodollars unseres Landes dafür ausgegeben, ihre wahhabistische Auffassung vom Islam zu exportieren, der die Mehrheit der Bevölkerung gar nicht anhängt. Außerdem haben sie teure Waffen in Amerika, Großbritannien, Frankreich und China gekauft. Und sie haben die Talente unserer Schwestern vergeudet und ihre geheimen Familienzusammenkünfte unter Ausschluss der Öffentlichkeit abgehalten. Hast du, mein Bruder, so lange gekämpft und Menschen getötet, damit sich neue al-Sauds erheben und unser Volk weiter wie Bürger zweiter Klasse behandeln?« Obwohl Abdullah ihn entgeistert anstarrte, konnte 178

Ahmed nicht mehr an sich halten, so lange brannte dieses Thema ihm schon unter den Nägeln. »Ja, ich habe in Nordamerika gelebt, aber ich kenne auch Deutschland und Singapur und habe Ärztekongresse in China und Großbritannien besucht. Dort werden die Erfindungen im technologischen und pharmazeutischen Bereich gemacht. Und was haben wir in den letzten tausend Jahren erfunden? Mit dem Wahhabismus als Klotz am Bein fallen wir hinter den Rest der Welt zurück. Unsere Wissenschaftler befassen sich ausschließlich mit dem Koran, was eigentlich ja auch gut ist. Allerdings wird in jeder Generation nur eine bestimmte Anzahl von Korangelehrten gebraucht.« Ahmed zog ein blaues Buch unter seinem Gewand hervor. »Dieser UN-Bericht wurde von Arabern verfasst. Er behandelt unser Abschneiden im weltweiten Vergleich. Und das ist gar nicht gut. In einer modernen Welt sind Wissensgesellschaften die Gewinner, Länder also, die den Schwerpunkt auf Bildung, auf das Weitergeben von Informationen und auf Forschung legen. Schau dir diese Zahlen an«, fuhr Ahmed fort und blätterte hastig um. »Nur zwei Prozent unserer Bevölkerung besitzen einen Internetzugang, im Gegensatz zu achtundneunzig Prozent in Südkorea. Pro eine Million Menschen werden jährlich fünf Bücher ins Arabische übersetzt, verglichen mit neunhundert Übersetzungen ins Spanische. Selbst in unserer eigenen Sprache veröffentlichen wir nur ein Prozent der weltweit erschei179

nenden Bücher, und eines von fünfen behandelt ein religiöses Thema. Nur ein knappes Drittel unseres Bruttosozialprodukts geben wir für Forschung aus. Vielleicht erklärt das, warum jeder vierte unserer Akademiker der arabischen Welt so schnell wie möglich den Rücken kehrt. Wir bringen kein Wissen hervor und lassen auch keines ins Land. Stattdessen importieren wir fertige Güter. Doch so funktioniert es nicht in einer modernen Welt. Denn die lässt uns in einer Staubwolke zurück. Man kann modern und trotzdem Moslem sein. Die islamischen Wissenschaftler, die ich in Kanada, Deutschland und Amerika kennen gelernt habe, sind gläubige Menschen. Der Islam ist die am schnellsten wachsende Religion in den Vereinigten Staaten! Niemand hindert die dortigen Moslems daran, den Lehren des Propheten zu folgen. Außerdem hat der Prophet nie von uns verlangt, Christen und Juden zu bekehren oder zu töten. Und wenn wir es versuchen, werden wir dabei diesen kleinen Planeten verwüsten, auch wenn es vielleicht Jahrhunderte dauern würde. Ist das Allahs Wille? Die Atomwaffen, falls wir sie bekommen, werden den Untergang unseres Landes bedeuten. Wenn du zulässt, dass diese Fraktion sich im Rat durchsetzt, werden wir auch weiterhin Sklaven unseres eigenen Öls sein und nichts weiter tun können, als zuzuschauen, wie das, was Allah in den Boden gelegt hat, wieder daraus hervorquillt. Und das Geld, das wir dabei verdienen, werden wir für angeblich ›religi180

öse‹ Abenteuer verschwenden. Wir sind kein Land, sondern ein Öllager! Und solange das so ist, werden andere kommen. Die Skorpione werden sich ihre Nahrung, ihren kostbaren schwarzen Lebenssaft, holen und uns in Knechtschaft halten. Und währenddessen kaufen wir bei ihnen alles, was wir brauchen – einschließlich der Waffen, die uns ins Verderben reißen. Stattdessen könnten wir unseren Reichtum zum Eintritt ins einundzwanzigste Jahrhundert nutzen. Wir könnten die großen Zeiten wieder auferstehen lassen, in denen Araber die Mathematik, die Astronomie, die Pharmazie und die übrigen Wissenschaften begründeten. Du hättest die Möglichkeit dazu, mein Bruder.« In der Angst, zu weit gegangen zu sein, verstummte Ahmed mit einem Mal. Er ließ den Kopf hängen und wandte den Blick ab, während Abdullah ihn sprachlos anstarrte. Irgendwo im Hotel lief ein Fernseher, und Ahmed konnte hören, dass gerade eine Nachrichtensendung eingeschaltet war. Die Gasflamme des Heizstrahlers über seinem Kopf zischte. »Glaubst du wirklich, kleiner Bruder, dass ich mein Leben riskiert, mich in Kellern versteckt und fremde Menschen getötet habe, um eine Gesellschaftsform zu schaffen, an der unser Volk scheitern muss? Und all das, während du dich beim Skilaufen und in Diskotheken amüsiert hast? Glaubst du das wirklich?« Abdullahs Stimme wurde erst lauter und senkte sich dann zu einem Flüstern. »Ich habe 181

schreckliche Dinge getan und hoffe, dass Allah sie mir verzeihen wird. Doch wenn ich den Koran lese, bin ich nicht sicher, ob ich je Vergebung finden werde. Als du noch ein Junge warst, gehörte ich im Jahr 1996 hier in Khobar einer Zelle an, die gemeinsam mit der Hisbollah und dem iranischen QudsKommando einen Anschlag auf einen amerikanischen Luftwaffenstützpunkt verübte.« Ahmed hörte diese Geschichte zum ersten Mal, denn sein Bruder hatte ihm nie Einzelheiten über sein früheres Leben als Terrorist anvertraut. »Quds«, hakte er nach. »Das sind dieselben Leute, die den amerikanischen Navy-Stützpunkt in Bahrain in die Luft jagen wollten. Mit denen hast du zusammengearbeitet?« »Nein, ich habe mich Khalid Scheich Muhammad angeschlossen, der bin Ladens Einsatzleiter war. Und zwar, weil ich dachte, dass sie die ausländischen Truppen aus dem Land werfen wollten«, gab Abdullah widerstrebend zu. »Khalid wurde von den QudsLeuten gebeten, ihnen ein paar Männer für einen geplanten Einsatz gegen die US-Basis in Khobar zur Verfügung zu stellen. Also half ich ihnen, nicht weit von hier ein Lager zu errichten. Da Khalid sagte, dass wir den Quds eine Menge verdankten, habe ich mitgemacht.« Aus Angst, sein Bruder würde nicht weiterreden, wagte Ahmed kaum, etwas zu sagen. Dennoch konnte er sich eine Zwischenfrage nicht verkneifen. »Was hatte al-Qaida den Quds zu verdanken?« 182

Abdullah schwieg, als müsse er die Erinnerungen erst aus einem Winkel seines Gedächtnisses hervorkramen, dem er lange keine Beachtung geschenkt hatte. »Ich habe bin Laden, seinen Vordenker Dr. Zawahiri und seinen starken Arm Khalid Scheich Muhammad persönlich kennen gelernt. Osama selbst war für die Durchführung der Operationen nicht so wichtig wie diese beiden Männer, die ihn nur als Symbolfigur der Einigkeit benutzten. Ich bin nach Afghanistan gereist, um mich mit ihnen zu treffen. Und warum? Weil sie die Einzigen waren, die sich gegen das Regime der alSauds auflehnten. Sonst war niemand bereit, etwas zu unternehmen, um unser Volk von diesen Blutsaugern zu befreien. Eigentlich hatte ich gar nichts gegen das Königtum an sich, denn ich weiß, dass es in England und den kleineren Golfstaaten auch gute Monarchien gibt. Doch bei uns verhielt sich das eindeutig anders! Die al-Sauds bestahlen und unterdrückten unser Volk. Außerdem haben sie Ausländern erlaubt, im Land der heiligen zwei Moscheen ihre Stützpunkte einzurichten, und zwar nicht, um uns zu beschützen, sondern um sich selbst das Öl zu sichern!« Ahmed spürte, dass Abdullah wegen seiner Vergangenheit vom schlechten Gewissen geplagt wurde. Deshalb versuchte er, das Gespräch von der Rolle seines Bruders auf die aktuelle Situation im Iran zu lenken. »Und du hast in bin Ladens Lagern QudsLeute gesehen?« »Nein, nein. Die bekam man nie zu Gesicht. Wenn man über besondere Fähigkeiten verfügte und ihr 183

Vertrauen genoss, wurde man von Khalid zu einer Ausbildung für Fortgeschrittene zu den Quds oder zu Imad Mugniyehs Hisbollah geschickt. Dr. Zawahiri unterhielt seit seiner Zeit als Leiter des ägyptischen islamischen Dschihad ein Büro in Teheran und war häufig dort. Viele der Brüder reisten in die afghanischen Lager, indem sie zuerst nach Teheran flogen. Dort wurden sie von den Quds-Leuten durch die Passkontrolle geschleust und mit dem Bus weiter über die Grenze geschafft«, erinnerte sich Abdullah. »Doch man musste striktes Stillschweigen darüber bewahren, dass die Quds al-Qaida finanziell und bei der Ausbildung unterstützten, denn nicht einmal der iranische Präsident wusste etwas davon. Die Amerikaner ahnten selbstverständlich ebenso wenig.« Überrascht schüttelte Ahmed den Kopf. Das QudsKommando der Revolutionsgarden war eigentlich eine Armee innerhalb der Armee und nur dem Großajatollah, also dem obersten iranischen Führer, unterstellt. »Was ist zwischen dir und al-Qaida vorgefallen, Abdullah? Warum hast du dich von ihnen getrennt und in unserem Land deine eigene Bewegung gegründet?« Abdullah zuckte die Achseln, wie um zu sagen, dass die Antwort auf diese Frage auf der Hand liege. »Nach dem 11. September habe ich mich von bin Laden abgewandt. Meiner Ansicht nach war al-Qaida mit dem Töten unschuldiger Menschen zu weit gegangen. Dann, nach dem amerikanischen Einmarsch in 184

den Irak, habe ich dort eine Weile mit Abu alZarqawi, diesem Wahnsinnigen, zusammengearbeitet. Warum? Aus demselben Grund, warum unser Onkel in Afghanistan gekämpft hat und weshalb ich gegen die al-Sauds rebelliert habe: um die ausländischen Truppen aus dem Land zu verjagen. Ich habe mitgemacht, ich habe viel gelernt, und dann habe ich die Führung übernommen, damit wir wieder ein unabhängiges Land werden, eine große Nation, nicht nur ein amerikanischer Militärstützpunkt oder die Geldmaschine einer einzelnen Familie.« Ahmed war sehr stolz auf seinen Bruder, der die Fehler und Exzesse der anderen erkannt und seine eigene Bewegung gegründet hatte, um seine Heimat zu retten. Ahmed meinte, in Abdullahs Vorgehensweise gewisse Parallelen zu al-Qaida zu erkennen, denn während er selbst die schwere Arbeit übernommen hatte, Einsätze zu planen und durchzuführen, war es Theoretikern wie Zubair bin Tayer überlassen, die Bewegung in der Öffentlichkeit zu vertreten. »Und du hast es geschafft«, meinte er. »Ja, aber im Augenblick sind wir schwach. Die alSauds haben unser Geld außer Landes geschafft«, wandte sich Abdullah wieder einem seiner Lieblingsthemen, den Finanzen, zu. »Die Amerikaner haben den Großteil davon eingefroren, vermutlich, um es sich selbst in die Tasche zu stecken. Doch selbst mit dem, was ihnen geblieben ist, können die al-Sauds Leute kaufen, die uns Knüppel zwischen die Beine werfen. Sie wollen zurückkommen und wieder die 185

Macht an sich reißen. Dann werden sie mich und die übrigen Ratsmitglieder töten. Ich weiß nicht, wie viel Zeit mir noch bleibt, bis es so weit ist. Jeden Tag erhalte ich neue Berichte.« Ahmed hob den Kopf, und ihre Blicke trafen sich. Dann wies Abdullah auf einen seiner Leibwächter. »In der Schura akzeptiere ich viele Dinge, denen ich eigentlich nicht zustimme«, fuhr er fort, »und von denen ich glaube, dass sie nicht gut für die Zukunft unseres Volkes sind. Doch für den Moment nehme ich es so hin, denn wir sind schwach und können uns keine Spaltung im Inneren leisten, da unsere Feinde, die Skorpione, wie du sie nennst, das sofort ausnutzen würden.« Ahmed überlegte kurz. »Ich weiß, dass ich nur deshalb über diese Themen sprechen darf, weil das Blut unseres Vaters in uns beiden fließt«, sagte er dann bescheiden. »Im Gegensatz zu dir habe ich mir noch nicht das Recht verdient, eine Meinung zu äußern. Aber ich liebe dieses Land, und ich liebe auch dich und möchte deshalb nicht mit ansehen müssen, dass alle deine Bemühungen vergebens gewesen sind. Wenn du deinen Gegnern im Rat nicht sofort Einhalt gebietest, werden sie Islamijah eine feste Gestalt geben, die rasch verhärten wird. Und dann werden sie dich vernichten, weil du nicht hinter ihren Zielen stehst. Doch das System, das ihnen vorschwebt, wird Islamijah schwächen und die Skorpione in Scharen anziehen, insbesondere dann, wenn sie versuchen, sich Atomwaffen zu beschaffen.« Ahmed packte seinen Bruder am Unterarm. »Wenn du schon so sicher 186

bist, dass du getötet werden wirst, dann stirb wenigstens für etwas, an das du glaubst, und nicht für die Ziele anderer.« Sanft legte Abdullah seine rechte Hand auf die seines Bruders, die seinen Unterarm in einem schraubstockartigen Griff umklammert hielt. »Lautet so dein ärztlicher Rat? Soll ich mich umbringen lassen?« »Nein, dass meine Patienten durch meine Fürsorge zu Tode kommen, geschieht nur selten.« Ahmed schmunzelte. »Ich verschreibe dir, vorbeugende Maßnahmen zu treffen. Die neue Armee würde dir folgen, und die Polizei ist dir ohnehin bereits unterstellt. Nutze diese Macht, solange du sie noch hast. Und zwar zum Wohl unseres Volkes, das noch nicht vollständig befreit ist. Wenn das Volk wirklich auf deiner Seite steht, kann es auch die Skorpione verscheuchen.« »Inshallah«, erwiderte Abdullah und umarmte seinen Bruder. Hand in Hand kehrten die beiden Männer – begleitet von ihren Leibwächtern – ins Hotelgebäude zurück. Auf dem Tisch auf der Terrasse blieben die Reste von Vorspeisen und Barsch zurück. Abdullah hatte den blauen UN-Bericht in seinem Gewand verstaut. »Komm mit nach oben. Ich stelle dir mein Team vor, das den ganzen Tag damit verbracht hat, die Bücher von Aramco zu überprüfen. Erklär ihnen deine Theorien.« Abdullah steuerte auf den Aufzug zu. Vom Speisesaal des Restaurants in der obersten Etage ging ein Nebenraum ab, dessen Fußboden mit Teppi187

chen und Kissen bedeckt war. Eine Räucherampel in einer Ecke sonderte einen süßlichen Geruch ab. Als Abdullah in den Raum kam, standen die Männer, die im Kreis auf dem Boden gesessen und Wasserpfeife geraucht hatten, respektvoll auf. Abdullah trat in den Kreis seiner Getreuen, schüttelte Hände, küsste Wangen und stellte seinen Bruder einen nach dem anderen vor. »Nun habt ihr also die Sicherheitsvorkehrungen unseres Ölkonzerns untersucht und die Bücher geprüft«, meinte er, nachdem er sich auf einem Kissenstapel auf dem Boden niedergelassen hatte. »Zu welchem Ergebnis seid ihr gekommen? Haben die al-Sauds alles Öl abgezapft und mit nach Kalifornien genommen?« Ein Bediensteter brachte Abdullah eine Wasserpfeife und half ihm beim Anzünden. »Nein, Scheich, nicht einmal die al-Sauds konnten alles stehlen«, erwiderte Muhammad bin Hassan. Er war Teilhaber einer großen Steuer- und Unternehmensberatung in London gewesen und nach der Revolution zurückgekehrt, und zwar auf Bitte des Mannes – Abdullah bin Rashid –, mit dem er als kleiner Junge in Riad Fußball gespielt hatte. »Offiziell verfügen wir noch über Reserven von 290 000 Millionen Barrel und noch einmal über 150 000 bis 200 000 in den brachliegenden Feldern.« »Das ist bestimmt sehr viel, Muhammad, aber was genau bedeutet es? Wie stehen wir im internationalen Vergleich da?«, fragte Abdullah und stieß eine nach Apfel duftende Rauchwolke aus. 188

»Das heißt, dass wir über ein Drittel des inzwischen noch auf der Welt verfügbaren Öls besitzen. Ein weiteres Drittel liegt irgendwo sonst am Golf, und das letzte Drittel verteilt sich auf Russland, Venezuela und Nigeria. Allerdings ist unser Öl am billigsten in der Förderung, denn es plätschert einfach aus dem Sand hervor. Die Russen müssen enorme Summen investieren, um es in ihren Ländern ausfindig zu machen und es unter dem Eis oder vom Meeresgrund zu fördern. Auf Grund ihrer Nachfrage und der Förderkosten ist der Ölpreis auf neunzig Euro pro Barrel gestiegen. Unser Öl ist außerdem billig in Raffinerien zu verarbeiten, während der Großteil des sonst auf der Welt geförderten Öls erst kostspielig aufbereitet werden muss. Auch die gegenwärtigen Verbrauchszahlen sprechen für uns. China und Amerika importieren jährlich mehr als 10 000 Millionen Barrel, Tendenz steigend. Das ist der Schlüssel, denn alle anderen Ölproduzenten haben das billig zu fördernde Öl bereits zum Großteil abgepumpt und können den Zeitpunkt absehen, wann nichts mehr übrig sein wird. Bei unserer derzeitigen Förderrate reicht unser Öl noch für mehr als einhundert Jahre. Auch wenn alle anderen Quellen versiegt sind, werden wir noch genug für unseren eigenen Verbrauch und zum Verkauf haben.« Alle Anwesenden schmunzelten – das hieß alle bis auf Ahmed, der seinen Bruder mit einem Blick um die Erlaubnis bat, etwas einwenden zu dürfen. »Ahmed, was sagst du zu dieser guten Nachricht?«, fragte Abdullah. 189

»Mit allem Respekt vor Muhammad bin ich nicht sicher, ob es sich tatsächlich um eine gute Nachricht handelt«, erwiderte Ahmed zögernd. Das Lächeln der anderen Männer gefror. »Aber lasst uns nicht über heute und morgen reden«, fuhr er fort, »sondern versetzen wir uns zurück in die Zeit unseres Großvaters. Nehmen wir einmal an, er ist Kamelhändler, was auf Abdullahs und meinen Großvater sogar zutrifft. Wenn unter den Kamelen in der Umgebung eine Seuche ausbricht, sodass sie alle sterben, während er noch gesunde Tiere besitzt, muss er doch befürchten, dass andere Stämme kommen, um sie zu stehlen.« In der Runde wurde beifällig genickt. Ahmed sprach weiter. »Und ohne dass unser Großvater es ahnt, gibt es im Ausland Leute, die diese Gelegenheit nutzen, um Land Rover zu importieren und den anderen Stämmen das Autofahren beizubringen, sodass sie gar keine Kamele mehr brauchen. Und so hat Großvater ganz umsonst gekämpft und viel Geld ausgegeben, um seine Kamele zu verteidigen, weil niemand sie mehr haben will und alle sich lieber einen Land Rover oder einen Mercedes zulegen.« Die Männer lachten. »Und worauf willst du nun hinaus, Ahmed? Wie ich höre, fährst du inzwischen auch einen BMW?«, fragte Muhammad mit einem Seitenblick zu Abdullah. »Deine Angst vor den Skorpionen. Nur zu, Bruder, erkläre sie uns«, forderte Abdullah ihn auf. »Ich möchte damit sagen, dass das Öl, das wir noch 190

haben, alle möglichen Skorpione auf den Plan rufen wird. Zum Beispiel Amerika und China. Wir werden zur Zielscheibe werden, und man wird uns herumschieben wie Schachfiguren. Währenddessen wird man in anderen Ländern endlich eine Alternative zum Öl entwickeln, und nachdem sie einen Krieg gegen unser Land angezettelt haben, um sich das Öl zu holen, werden sie den Vorrat für die letzten fünfzig Jahre gar nicht mehr brauchen. Es wird genauso wertlos sein wie die Kamele.« »Kamele sind nicht wertlos!«, protestierte einer der Männer. »Ahmed, ich schätze dich zwar als Mediziner, aber du bist kein Wirtschaftsexperte«, gab Muhammad zurück. »Seit Jahren schon wird an diesen Alternativen herumexperimentiert. Die Wasserstoffzellen für Autos verbrauchen mehr Energie, um dieselbe Leistung wie ein gewöhnlicher Verbrennungsmotor zu erzeugen. Außerdem kann man mit Wasserstofftechnik oder Solarenergie weder Flugzeuge noch Schiffe betreiben. Kernkraft erzeugt gefährlichen Atommüll. Die amerikanischen Ölimporte sind um fast zwei Prozent jährlich gestiegen, die chinesischen sogar um mehr als zehn Prozent.« »Mag sein, Muhammad, aber Ahmed hat in einem Punkt Recht. Wenn wir als einziges Land noch über einen großen Ölvorrat verfügen, werden die Skorpione kommen, um es sich zu holen«, meinte Abdullah nachdenklich und stocherte in der Asche herum. »Aber das ist ja genau deine Aufgabe, dies zu ver191

hindern. Du bist für unsere Sicherheit verantwortlich, und ich habe vollstes Vertrauen zu dir. Als du noch Verteidiger beim Fußball war, kam ich auch nie an dir vorbei, um ein Tor zu schießen«, scherzte Khaleed, der ahnte, dass das Thema für diesen Zeitpunkt und Ort zu ernst geworden war. »Wenn unsere Feinde nur so leicht auszuschalten wären wie du damals, Muhammad«, gab Abdullah scherzhaft zurück. »Aber vielleicht sollten wir den Doktor bitten, eine Skorpionfalle zu bauen. So etwas wie dieses Ding, das es in Amerika gegen Kakerlaken gibt. Wie heißt es noch mal?« »Roach Motel«, erwiderte einer der Männer auf Englisch. »Sie checken ein, aber sie checken nicht mehr aus.« »Ja, aber wir wollen doch, dass sie gar nicht erst reinkommen, Jassim. Genau darum geht es doch«, erwiderte Abdullah lachend. »Ahmed, also musst du ein Tor erfinden, dass sie fern hält, ein Skorpiontor.« Der ganze Raum lachte laut über die scherzhafte Bemerkung des Scheichs. Währenddessen schlang Abdullah spielerisch den Arm um seinen Bruder und flüsterte ihm ins Ohr: »Überleg es dir. Ich werde mir das, was du über den UN-Bericht gesagt hast, durch den Kopf gehen lassen. Gib mir Bescheid, wenn du einen Plan hast.« Die Anwesenden beruhigten sich wieder. »Also, Jassim, lass deinen Bericht über die Sicherheitsmaßnahmen in der Öl-Infrastruktur hören. Anschließend sprechen wir über die Arbeiter, mit denen wir die 192

Amerikaner ersetzt haben«, sagte Abdullah und legte damit die Tagesordnung für den restlichen Abend fest.

Zentrale des Regionalen Oberkommandos der US-Streitkräfte für den Nahen Osten (CENTCOM) Luftwaffenstützpunkt MacDill Tampa, Florida »Achtung an Deck!«, brüllte der Sergeant, als der Kommandant des Regionalen Oberkommandos, der Commander in Chief oder kurz CinC, den abgedunkelten Planungsraum betrat. Zweiundvierzig Offiziere, darunter Admirale und Generäle, erhoben sich in dem kleinen Amphitheater von ihren Sitzen. Auf den zwölf großen Flachbildschirmen vor ihnen zeigten Computeranimationen die derzeitigen Standorte der Truppen im Indischen Ozean, dem Roten Meer, dem Persischen Golf, vom höchsten Punkt der Erde am Hindukusch bis zum tiefsten auf dem Grund des Toten Meeres. »Nehmen Sie Platz«, murmelte der Vier-SterneGeneral der Army Nathan Moore und ließ sich auf den ihm vorbehaltenen überdimensionierten Sessel sinken. Möbelrücken und Füßescharren waren zu hören, als sich die Offiziere wieder setzten und ihre Stühle an die Tische heranrückten. »Zu unserer Freude können wir heute den stellvertretenden Stabschef der ägyptischen Streitkräfte, General Fahmi, bei 193

uns begrüßen. Herzlich willkommen, Sir. Wir freuen uns schon auf die gemeinsame Planungskonferenz dieser Woche und, was noch wichtiger ist, auf das anstehende Manöver Bright Star. Bitte beginnen Sie.« Die im Kellergeschoss gelegene Kommandozentrale war in einem gesichtslosen Bürogebäude des Luftwaffenstützpunktes untergebracht, der in die Tampa Bay hineinragte. Im Jahr 1981, bei der Gründung des Kommandozentrums der US-Streitkräfte für den Nahen Osten, das die wenigen amerikanischen Truppen in dieser Region koordinieren sollte, hatte keines der betroffenen Länder der Einrichtung eines amerikanischen Stützpunktes auf seinem Boden zugestimmt. Deshalb hatte das Pentagon verärgert beschlossen, die Zentrale vorübergehend auf einen F-16-Stützpunkt in Florida zu verlegen, und bald war auch das Sonderkommando dorthin umgezogen. Inzwischen, drei oder vier Kriege später, waren die F-16 und die anderen Flugzeuge vom Stützpunkt MacDill verschwunden. Doch CENTCOM war noch da. Mittlerweile verfügte man auch über hoch technisierte »Außenstellen« in Qatar und einen Marinestützpunkt in Bahrain im Persischen Golf (oder Arabischen Golf, wie das Pentagon ihn nennt). Als ein junger Air-Force-Offizier das Podium betrat, verblasste das Emblem von CENTCOM (ein amerikanischer Adler, der über die Arabische Halbinsel hinwegfliegt) auf dem Hauptbildschirm und wurde von einer großen Wetterkarte abgelöst. Der nun folgende Vortrag ähnelte in vielem dem Wetterbericht in 194

der internationalen Ausgabe von CNN. »Weiterhin heftige Regenfälle in Mumbai … achtzehn Zentimeter Neuschnee in Kabul … Dreißig Grad und sonnig in Dubai … fünfzehn Meter hohe Wellen vor der Küste von Alexandria.« Die Zuhörer senkten die Köpfe über ihre Unterlagen. Als Nächstes war ein Brigadegeneral der Army an der Reihe, der J-2, also der Leiter der Geheimdienstabteilung von CENT-COM. Aufgrund der Anwesenheit des Ägypters fiel sein Vortrag recht kurz aus, auch verzichtete der J-2 auf die Satelliten-Nahaufnahmen, die er Schnappschüsse nannte, sowie auf die abgehörten Nachrichten, aus denen er gern in seinen morgendlichen Ansprachen zitierte. »Und nun zum Thema Bahrain«, sagte der General, während auf dem Hauptbildschirm eine Aufnahme des kunstvoll verzierten Haupttors zu Brad Adams’ Hauptquartier erschien. Adams glaubte fast hören zu können, wie sämtliche Köpfe in dem dunklen Raum sich zu ihm umdrehten. »Die Ermittlungen hinsichtlich der Identität der Terroristen, die den Erdgastanker Jamal entführt haben, dauern an. Offenbar verfolgten die Männer die Absicht, das Schiff innerhalb des Verwaltungsstützpunkts der Fünften Flotte zur Explosion zu bringen. Erste Berichte weisen darauf hin, dass es sich bei den Entführern um Iraker handelt, deren Namen nicht bekannt sind. Der militärische Geheimdienst im Pentagon vermutet, dass sie für das Regime in Riad, das sich den Namen Islamijah gegeben hat, tätig sind.« Der CinC, der die Spannung im Raum spürte, un195

terbrach die Ausführungen. »Lassen Sie mich zu diesem … äh … Zwischenfall Folgendes anmerken: Admiral Adams’ Mannschaft hat ausgezeichnete Arbeit geleistet, um diesen Anschlag zu verhindern – sowohl die SEALs als auch die Marines und natürlich die ums Leben gekommenen Angehörigen der Küstenwache. Wo ist Captain Barlow?« Der General sah sich suchend nach dem Verbindungsoffizier der Küstenwache um. »Wirklich gut gemacht. Sie haben Tausenden von Menschen das Leben gerettet. So müssen Schutzmaßnahmen bei der Truppe funktionieren. Admiral«, fügte er mit einem Blick zu der Sitzreihe hinzu, wo Adams rechts neben einem ägyptischen Marineoffizier saß. »Sie können stolz darauf sein, wie gut Ihre Leute ausgebildet und auf Draht sind, dass sie selbst in Ihrer Abwesenheit eine solche Leistung erbringen. Gut gemacht.« Adams schluckte. »Danke, Sir.« Als der Einsatzleiter, der J-3, ein Generalmajor der Army, aufs Podium trat, um über das Manöver Bright Star zu referieren, schob der Offizier, der rechts von Adams saß, einen zusammengefalteten Zettel unter dessen Schreibmappe. Der Kommandant der Fünften Flotte öffnete ihn und las: »War das ein Lob oder ein Anschiss?« Der Verfasser der Nachricht, Generalmajor Bobby Doyle von den Marines, war der neue Leiter der Abteilung Strategie und Planung, der J-5. Er hatte gemeinsam mit Adams vor sieben Jahren das National War College besucht und war damals sein Gegner im Finale des Tennisturniers gewesen. Doyle hatte gewonnen. 196

»Wie Sie wissen, Sir, begann die Bright-Star-Serie der amerikanisch-ägyptischen Manöver bereits in den frühen Achtzigern.« Der J-3 führte stolz einen kurzen Dokumentarfilm über die ersten Manöver vor. Im Anschluss daran schilderte er seine Pläne für die anstehende Übung. »Es wird das größte bis jetzt da gewesene amphibische Manöver unter Einbeziehung von Fallschirmjägern, unterstützt durch Bomber aus den Vereinigten Staaten und taktische Luftkommandos von den Flugzeugträgern …«, erklärte er und deutete auf die Symbole, die auf einer großen Karte des Roten Meers auf dem mittleren Bildschirm erschienen. »Dann vereinen wir uns mit ägyptischen Panzereinheiten und rücken ins Landesinnere vor …« Währenddessen kritzelte Adams eine Antwort auf Doyles Zettel und schob ihn zurück. »Und deine Eintrittskarte.« Nachdem Doyle die Antwort gelesen hatte, riss er eine weitere Seite von seinem Notizblock und schrieb wieder etwas; Adams stellte fest, dass er ihm offenbar eine Menge mitzuteilen hatte. Inzwischen hatte sich der Vortrag des J-3 Einzelheiten zugewandt, die keinen der Anwesenden sonderlich interessierten. »Unterstützte Wüstenoperationen … zweihundertundvierzigtausend Tonnen …« Schließlich entfaltete Adams diskret Doyles zweiten Brief. »Du und ich, Essen, einundzwanzig Uhr, Restaurant Colombia, Ybor City, Tisch schon reserviert, Zivil, Treffpunkt dort.« Adams lächelte in sich hinein, als er sich den Verlauf des Abends ausmalte 197

und überlegte, ob seine Leber dem wohl gewachsen sein würde. »… Stryker-Panzer, die von Ro-Ro-Schiffen transportiert werden …«, setzte der Generalmajor währenddessen seinen Sermon fort. Ein Lichtstrahl fiel in den Raum, als sich im hinteren Teil eine Tür öffnete, die auf einen Kellerflur hinausführte. Adams verrenkte sich den Hals, um festzustellender der Zuspätkommer war, der mit Sicherheit den Zorn des CinC auf sich ziehen würde. »Hier entlang, Herr Unterstaatssekretär …«, sagte eine junge Frau aus der Protokollabteilung. Ein Zivilist, den Adams nicht erkannte, tastete sich den Gang entlang zu einem freien Platz links vom CinC vor. Niemand erhob sich, und die Besprechung wurde nicht unterbrochen, bis General Moore das Eintreffen seines Gastes bemerkte. »Herr Unterstaatssekretär, darf ich Sie mit General Fahmi bekannt machen, der …« Der J-3 hielt in seinem Vortrag inne, als die VIPs zu plaudern begannen. Adams drehte sich zu Doyle um. »Was will der hier?«, flüsterte er. Anstelle einer Antwort kritzelte Doyle ein paar Worte auf ein Blatt Papier. »Unterstaatssekretär des Verteidigungsministeriums Ronald Kashigian = Dr. Evil«. »Also gut.« Der CinC klopfte mit dem Zeigefinger gegen das Mikrofon. »Fahren wir fort, General. Sie sagten gerade, der Treibstoff …« Adams wurde schlagartig von Müdigkeit ergriffen. Die Zeitverschiebung 198

machte sich bemerkbar, und er fragte sich, wie er nur bis zu seinem flüssigen Abendessen mit Doyle um neun durchhalten sollte. Um wach zu bleiben, bohrte er sich einen Bleistift in die Handfläche.

Restaurant Colombia Ybor City, Tampa Der Kommandant der Fünften Flotte, der kurz vor neun an der 21st Street aus einem Taxi stieg, hätte auch als Vertriebsleiter durchgehen können, der sich wegen eines Kongresses in der Stadt befand. Er war allein und trug ein Polohemd, das ein Bäuchlein erkennen ließ. Für gewöhnlich reiste er nur mit Assistenten und Leibwächtern, doch zu Hause in den Vereinigten Staaten und in ziviler Kleidung hätte man ihn für alles Mögliche gehalten, nur nicht für einen Vizeadmiral. Der Oberkellner bemerkte Adams, sobald er zur Tür hereinkam. »Admiral, ich freue mich, Sie heute hier begrüßen zu dürfen. Gleich hier entlang. General Doyle erwartet Sie bereits im Innenhof.« Adams fragte sich, woran dieser Mensch, dem er noch nie zuvor begegnet war, ihn nur erkannt hatte. Doch der Oberkellner gab ihm keine Gelegenheit, sich danach zu erkundigen. »Zu Beginn der Woche ist bei uns nie viel los, und einige Räume sind geschlossen. Aber Sie haben einen Tisch gleich hinter dem Delphin, wo Sie völlig ungestört sind.« Sie betra199

ten ein helles Atrium in spanischem Stil, das mit einem Glasdach versehen war. Der Oberkellner redete unbeirrt weiter: »Es ist die Kopie eines Brunnens, der in den Ruinen von Pompeji gefunden wurde. Falls Sie noch nie bei uns waren, kann ich Ihnen wärmstens unsere Paella Valencia empfehlen …« Adams entdeckte Doyle, der bereits, eine Zigarre im Mund, am Tisch saß. »Ich glaube, du verstößt gerade gegen das Rauchverbot, Dr. Evil?«, zog Adams den durchtrainierten Marine auf und versetzte ihm einen spielerischen Klaps, bevor er Platz nahm. »Machst du Scherze, alter Junge? Ybor City ist die Heimat der Zigarren. Früher wurden hier eine Viertelmilliarde Stück pro Jahr hergestellt. Milliarde. Alle auf den Oberschenkeln von Jungfrauen gedreht«, erwiderte Doyle und zog aus einem ledernen Zigarrenetui eine Cohiba, die er Adams reichte. »Als Nachtisch. Direkt von der kubanischen Front eingeschmuggelt. Du weißt schon, nach unserer letzten richtigen Invasion in Kuba ist ein Großteil der amerikanischen Armee hier in Ybor City gestrandet, wo die Bahnlinie aus dem Norden endete.« »Illegale Zigarren. Jetzt muss ich dich aber wirklich melden«, antwortete Adams und nahm die Zigarre entgegen. »Sollen wir die Paella versuchen? Der Kellner behauptet, sie soll hier sehr gut sein.« Vierzig Minuten später war Adams gesättigt und fühlte sich durch den Wein wieder ein wenig belebt. Musik erklang, und durch drei der vier Türen kamen 200

Flamencotänzer ins Atrium. Doyle rückte mit seinem Stuhl neben Adams, scheinbar, um den Künstlern zuzusehen. Doch als die Musik seine Stimme übertönte, flüsterte er seinem Freund zu: »Ist dir bei diesem Manöver Bright Star nichts komisch vorgekommen?« »Soweit ich es beurteilen kann, wird dabei das komplette Jahresbudget verpulvert, das bei CENTCOM für Manöver vorgesehen ist. Und zusätzlich ist noch eine Finanzspritze von den Vereinigten Stabschefs fällig«, entgegnete Adams, während er die Solotänzerin betrachtete. »Warum?« »Warum? Weil mich das Ding an meinen Schwanz erinnert – einfach viel zu groß«, sagte Doyle. »Nein, jetzt mal im Ernst. Dieses Manöver ist übertrieben, überflüssig und zu realitätsnah.« Kurz wandte Adams den Blick von den Tänzern ab und betrachtete Doyle, der fortfuhr: »Während du in der Besprechung heute vor dich hin gedöst hast, hat unser obergeschwätziger General Eierlutscher ein paar sehr interessante Daten heruntergespult. Die Waffen, die sie in diese Gegend karren wollen, würden reichen, um zwei Wochen lang einen richtigen Krieg zu führen. Was zum Teufel soll dieser Mist? Hast du dir schon mal überlegt, wie viel es kosten wird, den ganzen Kram anschließend wieder zurückzuverfrachten?« Adams’ Interesse an den Tänzern war mit einem Mal verflogen. »Sag du es mir.« »Ich stelle mir vor allem eine Frage, alter Junge«, entgegnete Doyle und beugte sich noch dichter zu 201

Adams hinüber. »Warum müssen wir und die Ägypter ein gemeinsames Manöver durchführen? Rechnet etwa irgendjemand damit, dass die Libyer durch die Sahara marschieren, um ihnen ihre bescheuerte Sphinx zu klauen? Und warum war auf der supergeheimen Karte dieses Manövers, die ich gestern gesehen habe, dein Kampfverband nicht im Roten Meer vertreten, sondern stattdessen in einer Linie entlang des Indischen Ozeans verteilt? Warum lässt sich Dr. Evil diese Woche bei der Manöver-Planungskonferenz blicken, anstatt in Washington zu bleiben, um dem Verteidigungsminister die Schuhe oder sonst was zu wichsen? Ich verrate es dir: Weil Dr. Evil und seine Freunde aus den ThinkTanks das amerikanische Militär für eine Ansammlung von Schachfiguren halten, die man nach Belieben hin und her schieben kann, um ihre dämlichen globalen Theorien umzusetzen. Es will ihnen einfach nicht in den Schädel, dass diese Schachfiguren tatsächlich bluten, während sie in irgendeiner idiotischen Talkshow rumsitzen und dummes Zeug labern. Und warum spielen meine Freunde vom SEALTeam Sechs in dieser Übung die Rolle eines Erkundungstrupps, während der Teamchef in seinem Büro detaillierte Karten der Küste rings um Dschiddah und Yanbu liegen hat? Dämmert es dir jetzt endlich, Einstein?« Adams versuchte, General Doyles Argumenten zu folgen. »SEAL-Team Sechs ist dem Zentralkomman202

do unterstellt und sollte nicht an einer regionalen Übung wie dieser teilnehmen.« Forschend sah der Admiral seinen alten Freund an. »Dschiddah und Yanbu liegen am Roten Meer, allerdings auf der falschen Seite, nämlich …« Endlich begriff er, was Doyle sagen wollte. Unterdessen beendeten die Fiamencotänzer elegant ihre Darbietung. »O mein Gott!«, entfuhr es Adams, als die Musik verstummte. »Ja, sie sind wirklich sehr gut«, bemerkte ein Kellner. Nachdem sie die Rechnung bezahlt hatten, schlenderten die beiden hochrangigen Offiziere in Zivil die Seventh Avenue entlang und rauchten dabei ihre Cohibas. »Glaubst du wirklich, sie wollen in SaudiArabien, der Heimat der beiden heiligen Moscheen, einmarschieren? Die islamische Welt wird schäumen!«, meinte Adams. »Das befürchte ich tatsächlich. Meiner Ansicht nach geht Conrad allen Ernstes davon aus, dass wir die al-Sauds wieder auf den Thron hieven können. Wir mussten sogar die Analyse der bei der Besetzung des Irak begangenen Fehler noch einmal durcharbeiten. Warum? Damit wir sie bei einer Okkupation von Islamijah nicht wiederholen?«, fragte General Doyle und kaute auf seiner Zigarre. »Bobby, Army und Marines wären an der Besetzung des Irak beinahe zerbrochen. Sie waren total überfordert, und die Nationalgarde und die Reserveeinheiten sind völlig in die Knie gegangen. Danach waren die Rekrutierungszahlen nie wieder so wie 203

früher. Inzwischen gibt es bei uns fünftausend junge Leute, die kriegsversehrt sind und ihre Beine oder das Augenlicht verloren haben, ohne dass wir etwas dafür vorweisen könnten«, sagte Adams und spürte, wie Wut in ihm aufstieg. »Ich war dort im Einsatz. Du auch. Freunde von mir haben dran glauben müssen. Und wofür? Weil unser Verteidigungsminister die Sache nicht zu Ende gedacht und zu wenig Leute hingeschickt hat und außerdem völlig planlos war. Wenn du denkst, dass das amerikanische Volk so etwas noch einmal mitmacht, bist du schief gewickelt.« Doyle lotste sie in den Eingang eines geschlossenen Ladens. »Warum, meinst du, gehen sie es so an? Kannst du dir vorstellen, dass Conrad oder der Präsident auch nur eine einzige Stimme kriegen würden, wenn sie sich mit dem Vorschlag, ein weiteres arabisches Land anzugreifen und zu besetzen, an den Kongress wenden? Wahrscheinlich würde man ihnen das Misstrauen aussprechen.« Doyle spuckte einen Tabakkrümel aus. »Deshalb die ganze Heimlichtuerei. Wir werden ganz zufällig Invasionstruppen vor der Küste Saudi-Arabiens liegen haben, wenn, na ja, eben aus heiterem Himmel etwas passiert. Vielleicht stecken die Ägypter ja auch mit drin. Kann sein, dass sie mit von der Partie sind, wie damals 1990. Verstehst du jetzt, was ich meine? Eines jedenfalls weiß ich genau. Ich war 2004 mit meiner Einheit in Falludscha und habe gesehen, was wir dort angerichtet hatten. War dir bekannt, dass der Generaloberst der Marines, der für uns im Irak 204

zuständig war, sich gegen einen Angriff auf die Stadt ausgesprochen hatte? Wusstest du das? Es gab dort keine Massenvernichtungswaffen. Weder Saddam Hussein noch Osama bin Laden hatten sich dort versteckt. Als wir das zweite Mal in Falludscha waren, haben wir die Stadt buchstäblich dem Erdboden gleichgemacht. Eine Stadt mit einer Viertelmillion Einwohnern, einfach futsch. Haben wir wirklich angenommen, dass wir uns mit so einer Aktion beliebt machen würden? Kein Wunder, dass es immer noch Iraker gibt, die versuchen, dein Hauptquartier in Bahrain in die Luft zu jagen. Und weißt du was? Wir wollten diese kleine Eskapade damit finanzieren, indem wir billig an ihr Öl kommen. Und was haben sie gemacht? Sie haben ihre eigenen Pipelines, die Lagertanks und die gesamte Infrastruktur gesprengt. Wenn wir in Saudi-Arabien einrücken, wird es dort auch knallen. Nur damit niemand das gottverdammte Öl kriegt. Ich rate dir, zieh nach Florida. Es ist ganz nett hier im Winter.« Doyle rutschte näher an Adams heran und tippte dem Admiral mit dem Finger auf die Brust. »Ich erinnere mich noch an Dorian Dale, meinen G-3. Seine Mutter hat sich krumm geschuftet, damit der Junge in Howard studieren konnte. Ohne sie und ein Förderprogramm der Army hätte er es nie geschafft. Er hätte der nächste Colin Powell werden können – wenn man ihm nicht in Falludscha die Rübe weggepustet hätte. Sein Kopf flog einfach weg, und das Blut spritzte in alle Richtungen. Und warum? Weil ein 205

paar Spinner aus einem Think-Tank ausgebrochen sind und das Pentagon übernommen haben. Deshalb, zum Teufel!« Doyle holte Luft. »So etwas dürfen wir nicht noch einmal zulassen. Wir müssen diesen Wahnsinn stoppen, Adams. Das ist unsere Pflicht. Unsere Pflicht als Soldaten unseren Leuten und unserem Land gegenüber.« Kurz wandte Adams den Blick ab und sah dann seinen Freund an. »Bobby, mein ganzes Leben lang, seit ich siebzehn war, habe ich salutiert und Befehlen gehorcht, und glaube mir, es waren einige ziemlich schwachsinnige darunter. Ich denke, ich würde mich überfordert fühlen, wenn ich jetzt plötzlich anfangen sollte, Widerstand zu leisten«, flüsterte er. »Wir haben in diesem Land Gesetze. Das Militär steht unter ziviler Kontrolle. Vielleicht passieren dabei hin und wieder Fehler, doch diese Leute werden dafür bezahlt, dass sie das Gesamtbild im Auge behalten. Außerdem sind einige von ihnen vom Volk gewählt worden. Ganz im Gegensatz zu uns. Der Präsident und Minister Conrad sind kluge Männer und viel besser informiert als wir. Für mich ergibt es durchaus Sinn, jetzt ein großes Manöver durchzuführen, um der Regierung von Islamijah zu zeigen, worauf sie sich mit uns einlassen. Ich weiß nicht, Bobby, was du da vorhast, aber es verstößt ganz sicher gegen das Militärgesetz. Damit würden wir nicht nur die nächste Beförderung riskieren, sondern alles aufs Spiel setzen und die Zukunft unserer Familien gefährden. Das Militär ermöglicht es mir, meine beiden Kinder an 206

der Pennsylvania State University studieren zu lassen. Das sind hunderttausend Dollar jährlich in Stipendien und Darlehen.« Sie traten wieder hinaus auf den Gehweg. Beim Sprechen hielt Adams den Kopf gesenkt und betrachtete das Pflaster, als sie weiter die Seventh Avenue hinunterschlenderten. Er ahnte, dass Doyle sich von ihm im Stich gelassen fühlte. »Also gut, Bobby, nehmen wir mal an, du hast mit dieser Invasion Recht.« Der Admiral überlegte sich seine Worte sorgfältig. »Weiß der CinC davon? Was könnten wir überhaupt tun, um die Sache zu stoppen, falls du dich wirklich entschließt, etwas zu unternehmen? Du kannst ja nicht einmal beweisen, dass sie tatsächlich so etwas vorhaben.« »Der CinC? Nathan Bedford Moore?«, höhnte Doyle. »Keine Ahnung, inwieweit der im Bilde ist. Den interessiert doch nur, so schnell wie möglich die Nummer eins zu werden. Er hofft, dass Minister Conrad ihn zum nächsten Vorsitzenden der Vereinigten Stabschefs macht, und wird deshalb bestimmt nicht gegen den Strom schwimmen. Er hat Conrad sogar eingeladen, sich sein so genanntes Manöver anzusehen und auf der USS George H. W. Bush mit den Truppen im Roten Meer zu kreuzen. Ich weiß nicht, was ich tun soll, Adams, ich weiß es beim besten Willen nicht«, meinte Doyle mit einem flehenden Blick auf den Admiral. »Deshalb wollte ich ja mit dir reden. Du bist der Einzige, dem ich vertrauen kann, und ich dachte, du hättest vielleicht eine Idee.« 207

Der Admiral starrte Doyle entgeistert an und wusste nicht, was er sagen sollte. Er nahm seine halb gerauchte Cohiba aus dem Mund, warf sie aufs Pflaster, trat sie mit dem Absatz aus und betrachtete dann wieder seinen Freund. »Über dem Tor unseres College war ein Wahlspruch angebracht. Ich glaube, er stammte von Hannibal, dem General mit den Elefanten, der beinahe die Römer geschlagen hätte. Er lautete Inveniemus viam aut faciemus. Wir werden einen Weg finden oder einen machen.« Doyle legte seinem Freund die Hand auf die Schulter. »Tja, alter Junge, dann mach mal.« Auf der anderen Seite der Seventh Avenue küsste sich ein offenbar verliebtes Pärchen auf dem Gehweg. In Wirklichkeit jedoch handelte es sich bei ihnen um Master Sergeants, die einer nur wenigen bekannten Einheit aus Fort Belvoir im nördlichen Virginia angehörten – dem 504. Spionageabwehr-Bataillon.

Upper Pepper Street Kapstadt, Südafrika »Jetzt verstehe ich endlich, warum er Tafelberg heißt. Der ist ja platter als eine Flunder«, murmelte Brian Douglas vor sich hin. Er blickte aus dem Fenster in der obersten Etage und vertrat sich nach dem langen Flug von London die Beine. »Eine wunderschöne Stadt.« »Deshalb bin ich auch so gern hier. Die Aussicht 208

ist traumhaft«, erwiderte Jeannie Enbemeena, die mit einem Stapel Papier zurück ins Zimmer kam. Sie war Anfang dreißig, zierlich und eine ausgesprochen attraktive Schwarze aus Natal, die nun schon seit sechs Jahren für den SIS arbeitete. Zwei Jahre lang hatte sie das kleine südafrikanische Regionalbüro des britischen Geheimdienstes geleitet, das in einem Haus in Kapstadt untergebracht war und scheinbar keine Kontakte zur Botschaft in Johannesburg unterhielt. »Waren Sie noch nie in Kapstadt, Mr. Douglas?« »Es ist das erste Mal. Eigentlich habe ich mich auf Arabien spezialisiert«, erwiderte er und nahm die falschen Papiere entgegen, die Jeannie ihm reichte. »Darf ich mir die Frage erlauben, was Sie eigentlich machen, Ms. Enbemeena, wenn Sie nicht gerade Legenden erfinden oder reisende Arabien-Experten bemuttern?« »Ich behalte die malaiische Moschee am Ende der Straße im Auge. Wir können nachweisen, dass einige der Gemeindemitglieder mit einer Untergruppe von al-Qaida Kontakt haben, die Sprengstoffanschläge in Kuala Lumpur und Singapur plant. Die Gruppe hat hier vor zwei Jahren ein paar kleinere Bombenattentate auf die Büros von American Express und Barclays verübt.« Sie schmunzelte. »Ich war in Durban, und unsere Jungs dort haben, was Ihre Papiere und Ihre Legende anbelangt, ganze Arbeit geleistet. Selbst ich würde sie für echt halten. Sie heißen jetzt Simon Manley, sind seit kurzem im Obst- und Nussgeschäft tätig und suchen einen zuverlässigen und preiswerten 209

Lieferanten für Pistazien. Und wo sollten Sie das sonst tun als im Iran, wo die meisten Pistazien herkommen?« »Und wie kommt Simon, der Nusshändler, in der Welt herum?«, erkundigte Simon sich lachend. »Wir fliegen Sie mit einem unserer Lufttaxis in einen Vorort von Durban. Niemand wird Ihnen Fragen stellen. Von dort aus werden Sie zum Flughafen gefahren, wo Sie die Maschine der Emirates nehmen können, die einmal in der Woche nach Dubai fliegt. Dort haben Sie zwei Stunden Aufenthalt in der Transitzone und reisen dann mit der Iran Air nach Teheran, wo Marty Bowers Sie hinter der Zollkontrolle erwartet«, las Jeannie von ihren Aufzeichnungen ab. »Marty wer? Auf keinen Fall! Ich arbeite allein. Niemand von unserer Niederlassung in Teheran darf wissen, dass ich überhaupt im Land bin«, fuhr Brian Jeannie an. »Feuer einstellen!«, schoss sie zurück. »Mein Gott, wenn der Koch einen Fehler macht, nützt es nichts, der Kellnerin den Kopf abzureißen. London hat uns aufgefordert, jemanden von der Niederlassung Durban hinzuschicken, der Ihre Legende bestätigt und im Notfall für Sie da ist, und zwar genau deshalb, weil Sie sich nicht an die Botschaft wenden oder sich mit unseren Leuten von der dortigen Niederlassung treffen können. Laut seiner Legende ist Marty Bowers Betreiber eines Import-Lagerhauses in Durban. Wir haben ihn zum Geldgeber und Geschäftspartner von Manley 210

gemacht. Er wird Ihnen nicht im Weg herumstehen und vermutlich den Großteil seiner Zeit damit verbringen, die Stadt zu besichtigen. Befehl aus London.« Sie lächelte wieder. »London«, seufzte Brian Douglas. »Nur London konnte sich etwas Absurdes wie einen Obst- und Nusshändler Manley ausdenken. Befinden sich Simon Manleys Pass und Foto in der Datenbank der südafrikanischen Regierung?« »Natürlich haben wir uns in sämtliche Datenbanken gehackt und Ihre Vita dort untergebracht. Also, Simon Manley. Sie sind kahlköpfig mit einem grauen Haarkranz, haben braune Augen und tragen eine Brille«, fuhr Jeannie fort und steuerte auf den Nebenraum zu. »Wenn Sie mir also bitte folgen wollen, Mr. Manley …« Zwei Stunden später waren der dichte blonde Haarschopf verschwunden und die nun freiliegende Kopfhaut sonnengebräunt. Die eben noch blauen Augen waren braun geworden und wurden von einer Brille mit Schildpattrahmen verdeckt. Außerdem hatte der Maskenbildner die Form von Brians Nase und Ohren mithilfe eines Klebers auf Harzbasis und hautfarbener Modelliermasse verändert. Als Brian Douglas, wie durch Zauberhand in einen völlig anderen Menschen verwandelt, aus dem Hinterzimmer trat, traute selbst Jeannie Enbemeena ihren Augen kaum. »Simon, der spleenige Nusshändler, wie er leibt und lebt!«, entfuhr es ihr. »Eigentlich geht es mich ja nichts an, aber mich würde brennend 211

interessieren, warum wir Ihnen so etwas antun mussten. Wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf, sind Sie doch eigentlich ein recht gut aussehender Mann.« »Stimmt, es geht Sie eigentlich nichts an«, erwiderte Brian und kratzte sich den plötzlich kahlen Schädel. »Aber es besteht die Möglichkeit, dass Teheran mein Foto in den Akten hat. Und dank der neuen Gesichtsvergleichs-Software, die es inzwischen auf dem freien Markt gibt, könnten die Iraner rauskriegen, wer ich wirklich bin, bevor ich Zeit habe, mich aus dem Staub zu machen. Und das wäre dann ein schwarzer Tag für die Nussbranche.«

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Kapitel 7 11. Februar

U. S.-Navy-Stützpunkt (ASU) Juffair, Bahrain »Das da drüben ist der LNG-Tanker, Mr. MacIntyre. Die Japaner fliegen eine neue Besatzung ein und wollen ein paar große Schlepper mieten, um den Kahn wieder flott zu kriegen. Das Wasser hier ist nämlich ziemlich seicht.« Captain John Hardy sprach in das an seinem Kopfhörer befestigte Mikrofon und wies dabei auf die LNG Jamal, während die Boeing V-22 Osprey der Navy, ein Kipprotor-Flugzeug, vom Hubschrauberlandeplatz auf ASU abhob. Die beiden gewaltigen Rotoren zeigten zunächst nach oben, wodurch sich die Maschine wie ein Helikopter fliegen ließ. Als sie sich über dem Wasser befand, schwenkte sie mit einem Rütteln ihre riesigen Rotoren um neunzig Grad in eine horizontale Position. »Das Pentagon hat so oft versucht, das Osprey-Programm zu stoppen, dass man es inzwischen in Phoenix hätte umtaufen müssen«, scherzte Hardy. »Aber keine Sorge. Inzwischen haben wir Tausende erfolgreicher Flugstunden hinter uns, und zwar mit nur sechs oder acht Abstürzen.« »Ein klasse Spazierflug, Captain. Vielen Dank.« »Der Admiral meinte, Sie hätten gute Verbindungen, 213

Mr. MacIntyre. Ich soll Ihnen ausrichten, es täte ihm ausgesprochen Leid, dass er Sie nicht persönlich begrüßen kann. Er hat Ihnen diesen Brief hier hinterlassen. Ich glaube, darin steht, dass er sich gerne mit Ihnen treffen würde, wenn er aus den Staaten zurück ist, falls Sie noch Zeit haben, ein paar Tage zu warten.« Der Osprey umkreiste den Erdgastanker. »Sieht aus, als würde das Schiff gut bewacht«, stellte MacIntyre fest. »Stimmt. Zwei bahrainische Patrouillenboote plus drei von unseren, außerdem noch Taucher, Helikopter und eine Abteilung der bahrainischen Armee am Ufer. Wir wollen nicht das geringste Risiko eingehen. Schließlich ist das Schiff noch immer mit gefrorenem Gas beladen.« Hardy erschauderte förmlich, als er das Gas erwähnte. »Wenn das Ding in die Luft gejagt worden wäre, hätte das Feuer den Großteil des Stützpunktes ausradiert.« »Wer waren diese Leute, Captain? Mir sind die verschiedensten Theorien zu Ohren gekommen«, erkundigte sich Rusty, während der Osprey über die am Dock vertäuten amerikanischen Schiffe hinwegflog. »Die SEALs konnten einen der Terroristen lebend festnehmen. Es waren Iraker, die sich, offenbar ein wenig verspätet, für die amerikanische Besatzungszeit rächen wollten. Jedenfalls lautet so die Auffassung des Pentagon«, erwiderte Hardy ausweichend. »Allerdings ist mir zu Ohren gekommen, dass es sich bei den Männern um Schiiten handelt, weshalb 214

es ziemlich unwahrscheinlich ist, dass sie Vergeltung für Falludscha üben wollten. Ob sie für den Muhabarat, den Geheimdienst im Irak, arbeiten?«, mutmaßte Rusty. »Könnte sein«, antwortete der Captain und blickte seinen Gast über die Sonnenbrille hinweg an. »Das behauptet zumindest meine Informantin, die mich auch vor dem Terroranschlag gewarnt hat. Sie sagt, dass der Angriff eindeutig nicht auf das Konto von Islamijah geht. Sie sei sogar von einem Kontaktmann aus Islamijah informiert worden. Ich weiß allerdings nur, dass die Burschen aus dem Irak kamen.« »Der irakische Muhabarat, der unter dem Schutz der iranischen Revolutionsgarden und des QudsKommandos steht …« MacIntyre blickte auf den LNGTanker hinunter, der inzwischen direkt unter ihnen lag. »Wie ich schon sagte, Mr. MacIntyre, das ist durchaus möglich. Doch das Pentagon glaubt, dass die festgenommenen Iraker mit Islamijah unter einer Decke stecken …« MacIntyre musterte seinen Gastgeber. »Ganz gleich, wer es auch war, wird man es sicher nicht bei diesem einen Versuch bewenden lassen. Sind zusätzliche Sicherheitsmaßnahmen geplant?« »Natürlich«, entgegnete Hardy schmunzelnd. »Außerdem wird der Großteil unserer Kräfte demnächst wegen eines Großmanövers in See stechen. Solange der Stützpunkt praktisch verlassen ist, werden sie vermutlich abwarten.« »Ja, Ende des Monats fängt Bright Star an«, erwi215

derte MacIntyre, um dem Geheimdienstoffizier der Navy mitzuteilen, dass er über das Vorhaben im Bilde war. »Ist es nicht ein wenig merkwürdig, alle Kräfte vom Golf abzuziehen, um im Roten Meer eine Übung abzuhalten, insbesondere dann, wenn die Iraner hier in der Gegend für Unruhe sorgen?« »Dieses Thema ist eine Nummer zu groß für mich, Sir. Und außerdem nicht mein Spezialgebiet«, antwortete Captain Hardy, während der Osprey Kurs auf den Golf nahm. Dabei blickte er aus dem Seitenfenster des V-22. »Dieses Schiff, das Sie da draußen im Dunst sehen, kenne ich gut. Es ist die Zagros, ein Zerstörer der iranischen Marine, russische Sovremenny-II-Klasse, gebaut in St. Petersburg. Ausgestattet mit Anti-Schiffund Anti-Luft-Raketen.« Hardy reichte MacIntyre das 7 x 35-Fernglas. »Ein ziemlich großer Kahn«, bemerkte MacIntyre und stellte das Fernglas schärfer ein. »Was hat er so nah an der bahrainischen Küste zu suchen?« »Ich würde vermuten, dass er unsere Funksprüche abhört und die Bewegungen unserer Schiffe beobachtet, wenn sie den Hafen verlassen. Außerdem setzt er wahrscheinlich hin und wieder ein paar Taucher mit Unterwasserschlitten ab, um die Küste auszuspionieren. Unsere SEALs haben vergangene Woche ein paar von ihnen verscheucht.« »Aus welchem Grund, Captain, könnten die Iraner die bahrainische Küste unter Wasser auskundschaften wollen?«, fragte MacIntyre und gab das Fernglas zurück. 216

»Soweit ich höre, geht unser SEAL-Team Sechs im Roten Meer im Rahmen von Bright Star genauso vor. Das ist vor einer Landung üblich, um sich zu vergewissern, dass sich unter Wasser nichts befindet, auf das die Landungsboote auflaufen könnten.« »Die Iraner besitzen Landungsboote?«, erkundigte sich MacIntyre beiläufig, während der Osprey an der Steuerbordseite der Zagros entlangflog. »Massen davon. Selbst gebaute Landungsschiffe für Panzer der Kerbela-Klasse, Luftkissenboote, Schwimmpanzer. Also alles, was der Mensch so braucht.« Hardy grinste MacIntyre zu. »Vor ein paar Monaten haben sie mit sämtlichem Gerät ein Manöver veranstaltet und eine Invasion ihres eigenen Landes geprobt.« »Soll das heißen, dass die Iraner eine Landung in Bahrain planen? Haben Sie eine Idee, wann das stattfinden soll?«, fragte MacIntyre. »Ich befasse mich mit geheimdienstlicher Aufklärung, Mr. MacIntyre. Das heißt, mit Möglichkeiten, nicht mit konkreten Absichten. Obwohl sich alle wünschen, dass wir hellsehen könnten, ist das nicht unsere Aufgabe. Doch was die Möglichkeiten der Iraner angeht, sollten sie meiner Ansicht nach in ein bis zwei Wochen die höchste Bereitschaftsstufe erreicht haben.« Nach einer bedeutungsvollen Pause fügte Hardy hinzu: »Aber ich habe keine Ahnung, was sie im Schilde führen, Sir.« Die V-22 flog eine Kurve und hielt dann auf die Küste von Qatar zu. »Links von uns befindet sich die weltweit bedeutendste Erdgasquelle. 217

In Qatar befindet sich auch die Außenstelle des Regionalen Oberkommandos der US-Streitkräfte für den Nahen Osten. Es würde sich also für sie mehr lohnen als Bahrain. Aber wer weiß. Vielleicht veranstalten die Iraner ja nur eine Übung, so wie wir.«

Dachgartenrestaurant The Ritz-Carlton Hotel Manama, Bahrain »Ms. Delmarco? Rusty MacIntyre. Verzeihen Sie die Verspätung«, sagte er und hielt Kate die Hand hin. »Ich habe mir die Gegend aus der Luft zeigen lassen und darüber die Zeit vergessen.« Kate hatte ihn an der Bar erwartet. »Kein Problem«, erwiderte sie und klappte ihr Buch zu. »So hatte ich wenigstens Gelegenheit, mein Buch zu Ende zu lesen. Hier, das kann ich Ihnen empfehlen. The World at Night von Alan Fürst. Alle seine Romane spielen im Europa der späten dreißiger Jahre und schildern die Vorahnung der Durchschnittsbürger und der kleinen Leute, dass ein Krieg naht. Doch sie können nichts dagegen unternehmen und werden davon verschlungen. Liest sich ziemlich überzeugend.« »Vielleicht sollte ich mal einen Blick hineinwerfen«, antwortete Rusty und nahm das Buch, das sie ihm reichte. Dabei versuchte er, Kates Alter zu schätzen: etwa so alt wie er, plus oder minus ein paar Jahre. Und sie besaß Ausstrahlung und Stil. 218

»Also waren Sie das in dem Ding, das wie aus einem Roman von Jules Verne aussieht und gerade auf dem Navy-Stützpunkt gelandet ist? Sie haben aber Mut. Ja, hier oben hat man eine gute Aussicht.« Kate Delmarco rutschte von ihrem Barhocker. »Ich verhungere. Besorgen wir uns einen Tisch.« Der Oberkellner, der Delmarco zu kennen schien, führte sie zu einem Tisch in der Ecke, von wo aus sie in zwei Richtungen auf den Golf blicken konnten. »Soweit ich im Bilde bin, haben Sie hier oben vor kurzem eine Menge beobachtet«, begann Rusty, während der Kellner mit den Speisekarten erschien. »Ja. Wahrscheinlich hatte ich Glück«, entgegnete Kate mit einem unschuldigen Lächeln. »Eine tolle Story. Über eine Stunde lang haben Sie live bei CNN berichtet. Aber es war nicht nur Glück, oder? Sie waren doch diejenige, die Captain Hardy vor dem Anschlag gewarnt hat.« Rusty legte die Speisekarte weg und musterte Delmarco. »Johnny kann einfach den Mund nicht halten. Sein Gerede wird mich noch Kopf und Kragen kosten.« Delmarcos Stimme senkte sich zu einem Flüstern. »Geben Sie Captain Hardy nicht die Schuld. Ich habe nur geraten und wohl den Nagel auf den Kopf getroffen«, antwortete Rusty, ebenso leise. »Als Brian Douglas mir vorschlug, mich mit Ihnen zu treffen, wenn ich schon einmal hier sei, habe ich gleich vermutet, dass Sie mehr sind als eine gewöhnliche amerikanische Auslandskorrespondentin. Und offenbar hatte ich damit ebenfalls Recht.« 219

Der Kellner servierte einen kleinen Vorspeisenteller mit Tabouli, Hummus, Oliven, Schafskäse und Auberginenmus. Unten am Dock stieß ein amerikanisches Minensuchboot eine Rauchwolke aus und legte ab. »Sie nehmen ja kein Blatt vor den Mund. Was ich von Brian nicht gerade behaupten kann, wenn es um seinen Job geht.« Sie fragte sich, ob sie, was ihre Freundschaft mit Brian betraf, zu viel verraten hatte. Was hatte er dem Amerikaner wohl anvertraut? »Ich wusste von dem bevorstehenden Anschlag, weil ich von einer Person gewarnt wurde, die ihrerseits Kontakte zum Geheimdienst von Islamijah hat. Ich kenne diesen Mann, weil ein Immobilienmagnat aus Dubai, der mir wiederum von Brian empfohlen wurde, uns einander vorgestellt hat. Unser gemeinsamer Freund Brian wird ja wohl wissen, dass Dr. Ahmed bin Rashid, der hier in der Sulimanijah-Klinik arbeitet, der Bruder des Geheimdienstchefs von Islamijah ist. Warum hat er es mir dann nicht einfach erzählt?« Schweigend ließ MacIntyre die Worte auf sich wirken. »Kate, ich bin kein Agent. Ich verfasse Analysen – oder besser: Ich verfüge über einen Mitarbeiterstab aus klugen Leuten, die Analysen verfassen, und zwar auf der Basis von Informationen, die Profis wie Brian sammeln. Also kann ich nur mutmaßen … Wahrscheinlich wollte Brian lediglich verhindern, dass Dr. Rashid alles abstreitet. Wie hätte er wohl reagiert, wenn Sie ihn angerufen und gefragt hätten: ›Würden Sie mir ein Interview geben, da die Briten Sie soeben als Spion enttarnt haben?‹« 220

»Er hätte vermutlich einen Schock erlitten«, antwortete Kate lachend. »Sie haben Recht. Stattdessen ist er inzwischen durch die Vermittlung unseres gemeinsamen Freundes aus Dubai eine zuverlässige Quelle geworden. Seit der Tankerentführung habe ich mich ein paarmal mit ihm getroffen. Er macht sich Sorgen. Und genau das würde ich auch dem geheimnisvollen Brian Douglas berichten, wenn er sich nicht nach London verdrückt hätte.« »Sorgen? Worüber denn? Dass die Briten und die Bahrainis wissen könnten, wer er ist und was er hier treibt?«, hakte Rusty nach. »Da gibt es eine ganze Reihe von Gründen«, entgegnete Delmarco mit einem Blick in ihre Notizen. »Zum Beispiel, dass die Schura in Islamijah bald eine gewaltige Dummheit begehen und die Amerikaner gegen sich aufbringen könnte. Dass dieser Rat möglicherweise jetzt schon unter der Fuchtel von Fundamentalisten steht, die die Fehler der al-Sauds wiederholen. Dass seine Informanten, die hier ein Auge auf die Iraner haben, glauben, eine große Sache könnte anstehen. Unser Herr Doktor ist ein sehr nervöser Mensch. Ich würde mich nicht gern in der Intensivstation von ihm behandeln lassen.« »Ich würde ihn gern kennen lernen«, sagte MacIntyre. »Kommt nicht in Frage. Wie stellen Sie sich das vor? ›Verzeihung, Ahmed, aber ich möchte Sie gern mit einem Freund, einem Geheimdienstmann aus Washington, bekannt machen.‹ Ich würde nie wieder 221

von ihm hören«, entgegnete Kate, klappte ihr Notizbuch zu und legte ihre Serviette auf den Tisch. Rusty MacIntyre griff danach. »Ist es nicht seltsam, dass ein teures Restaurant wie dieses Papierservietten verwendet«, sagte er, während er die Serviette in vier Stücke zerriss. »Was … was machen Sie da?«, fragte Kate überrascht. MacIntyre hielt die Serviettenstücke in der rechten Hand, bewegte die linke darüber hin und her, sah Kate in die Augen und sagte: »Ich muss Ahmed treffen.« Er nahm die Serviette in die rechte Hand und gab sie Kate in einem Stück zurück. Dann griff er erneut nach der Serviette, ließ sie durch die Hände gleiten und wiederholte: »Ich muss Ahmed treffen.« Die Serviette war plötzlich zur Form einer Rose gefaltet. Mit einer galanten Handbewegung überreichte er der Reporterin die Papierblume. »Verzeihen Sie diesen abgedroschenen Taschenspielertrick. Ich wollte nur Eindruck bei Ihnen schinden. Kate, wenn Ahmed Recht hat und in Islamijah und im Iran etwas im Busch ist, haben wir keine Zeit, um den heißen Brei herumzureden. Es wird noch einige Tage dauern, bis Brian aus London zurückkommt. Ich muss aber sofort etwas unternehmen. Geben Sie mich Rashid gegenüber doch einfach als Ihren New Yorker Chefredakteur oder als Ihren älteren Bruder aus …« »Sie schrecken ja vor nichts zurück. Älterer Bruder! Nettes Kompliment. Ich habe Ihnen mindestens 222

fünf Jahre voraus.« Kate überlegte. »Wenn ich zustimme und ihn am Ende als Informanten verlieren sollte, müssen Sie mir mit Ihren Zaubertricks zu Material verhelfen, das mindestens genauso gut ist. Abgemacht?« »Abgemacht. Versuchen Sie, ihn dazu zu bringen, dass wir uns noch heute Abend sehen«, drängte MacIntyre. »Ich tue mein Bestes, aber er hat Spätdienst im Krankenhaus.« Kate holte ihr Mobiltelefon heraus. »Wohnen Sie im Ritz?« »Nein. Ich bin im Gästehaus des amerikanischen Botschafters untergekommen. Es ist … sicherer dort«, gab Rusty zu. Während Kate Delmarco Dr. Rashid anrief und eine Nachricht auf seiner Mailbox hinterließ, in der sie ihn um ein Treffen möglichst noch heute Abend bat, ging Rusty MacIntyre seine E-Mails auf dem BlackBerry durch. Nur drei Menschen kannten diese Adresse. Einer davon war Sarah: Sie musste wegen einer Flüchtlingszählung nach Somalia und würde in zehn Tagen wieder in Washington sein. Der Nachbarsjunge würde sich um die Katze kümmern. Brian Douglas hatte sich gemeldet, um sich nach seiner Rückkehr im Jaipur, »einem heruntergekommenen Curry-Restaurant« am Dubai Creek, zu verabreden, wo er nach seiner »Einkaufsreise« – damit war der Ausflug nach Teheran gemeint – Station machen würde. Selbst in einer verschlüsselten E-Mail drückte Brian sich stets vorsichtig aus. 223

Die dritte Nachricht ließ MacIntyre aufmerken: Rusty. Ich gestehe, ich habe diese Notiz mit der Hand geschrieben und sie dann Ms. Connor gegeben, damit sie sie abtippt. Die Tastatur auf diesem Ding ist viel zu klein. Es geht um Folgendes: Conrads Informant in China sagt inzwischen, dass die chinesischen Soldaten am 28. Februar, einen Tag nach Ankunft der chinesischen Flotte in verschiedenen Häfen von Islamijah, ebenfalls dorthin fliegen werden. Da wir noch immer keine weiteren Quellen haben, die das bestätigen, hat Conrad diese Information vielleicht auch nur erfunden. Unabhängig davon meint einer unserer Mitarbeiter, ein Freund bei CENTCOM habe ihm erzählt, das Datum für das Manöver Bright Star sei plötzlich vom 15. März auf den 25. Februar vorverlegt worden. Ich habe keine Ahnung, warum. Seien Sie vorsichtig, aber versuchen Sie rauszufinden, was Sie können. Dann kommen Sie so schnell wie möglich zurück. Wir haben nicht viel Zeit. R. »Hallo? Tut mir Leid, dass ich störe …«, sagte Kate. Als Rusty von seinem BlackBerry aufblickte, fügte sie hinzu: »Ich habe ihm eine Nachricht hinterlassen. Wenn er zurückruft und sich einverstanden erklärt, meinen Chefredakteur kennen zu lernen, melde ich mich bei Ihnen.« »Welches Datum haben wir heute?«, fragte Rusty, der gedanklich noch anderswo war. 224

»Den 11. Februar«, sagte Delmarco. »Heute Nacht. Ich muss ihn wirklich noch heute Nacht sehen.« Eine Dreierformation bahrainischer F-16 flog in geringer Höhe über den Hafen und auf den Golf hinaus und nahm Kurs auf die Zagros.

Internationaler Flughafen Imam Khomeini Teheran, Iran »Simon, alter Junge. Wie war der Flug? Scheußlich kalt hier, verglichen mit zu Hause, stimmt’s?«, wurde Brian lautstark von einem hochgewachsenen, kräftigen Mann im dicken Mantel begrüßt, als er in die hohe Glaskathedrale des internationalen Ankunftsterminals trat. »Hat Limpopo uns wirklich geschlagen? Du meine Güte, kaum ist man aus Durban weg, verliert unsere Mannschaft gegen Flaschen wie die aus Limpopo. Als Nächstes werden wir wahrscheinlich noch von Nieten wie Mpumalanga fertig gemacht. Warte, gib mir das Ding«, fuhr der Mann mit dröhnender Stimme fort. Ganz offensichtlich handelte es sich um Martin Bowers von der SIS-Niederlassung in Durban, der einen Nussimporteur und den Geschäftspartner seines südafrikanischen Landsmannes Simon Manley mimte. Brian Douglas ließ sich von seinem neuen Freund die Tasche abnehmen und sah sich erstaunt auf dem modernen Flughafen um. »Ja, wirklich ein Wunder, 225

Simon. Der alte Flughafen soll eine richtige Bruchbude gewesen sein, Mehrabad, ein Dreckloch, wie es im Buche steht«, fuhr Bowers fort, während sie sich durch die Menschenmenge am Ausgang hinter dem Zoll drängten. »Wir befinden uns hier fünfundvierzig Kilometer südlich der Stadt. Das ist um diese Uhrzeit eine Autofahrt von knapp zwei Stunden. Seit ich den Verkehr hier kenne, werde ich mich nie wieder über die Staus in Durban beschweren. Deshalb habe ich mir den Luxus gegönnt, uns für die Fahrt einen Chauffeur zu engagieren. Bei dem Verkehr hier würden wir sonst niemals lebend ankommen.« Sehr gut, dachte Brian. Der Chauffeur mit dem Auftrag, zwei Ausländer vom internationalen Flughafen in die Stadt zu bringen, würde anschließend vermutlich umgehend beim Geheimdienst VEVAK Meldung machen. Sollte man dort ruhig wissen, dass die beiden weißen Südafrikaner die ganze Fahrt über nur über Fußball, Rugby und Pistazien geplaudert hatten. Jemand, der vermeiden wollte, die Aufmerksamkeit des Geheimdienstes zu erregen, wäre gewiss mit dem überfüllten Bus in die Stadt gefahren, während Simon Manley und Marty Bowers keinen Gedanken an das VEVAK verschwendeten. Offenbar war Bowers in Wirklichkeit ganz und gar nicht der prahlerische Großkotz, als der er sich ausgab. »Wir wohnen im Hotel Homa«, begann Bowers, als sie im Wagen saßen. »Früher gehörte es angeblich mal zur Sheraton-Kette. Sehr nett und an der besten Einkaufsstraße – oder zumindest dem, was man hier als 226

solche bezeichnet – gelegen. Ich glaube, sie heißt Valiasr. Und jetzt klär ich dich mal über Teheran auf …« Brian Douglas lauschte nur mit halbem Ohr den Erläuterungen, die hauptsächlich dazu dienten, dem Fahrer Stoff zum Mithören zu geben. Stattdessen dachte er an das Teheran, das er so gut kannte: die Seitengassen hinter dem Basar, die Straßen in den ärmeren Vierteln im Süden des riesigen, schmutzigen Molochs, der die Hauptstadt Persiens – oder der Islamischen Republik Iran – war. Er erinnerte sich an das Netzwerk iranischer Informanten, das er erfolgreich angeleitet hatte, bis der Beste seiner Mitarbeiter vor Ort kurz nach Brians Ernennung zum Niederlassungsleiter in Bahrain vom VEVAK auf offener Straße erschossen worden war. Erst zwei Tage zuvor hatte der Mann die Pläne für das neue Luftverteidigungssystem des Iran in einem toten Briefkasten in Baku deponiert. Vor diesem Zwischenfall hatte alles wie am Schnürchen geklappt, hauptsächlich auch deshalb, weil die britische Botschaft in Teheran nicht involviert gewesen war. Der VEVAK behielt das gesamte Personal der Botschaft nämlich immer gut im Auge, und Brians Agentennetzwerk hatte nur überlebt, weil lediglich er selbst und einige wenige Leute in Vauxhall die Namen der Beteiligten kannten und die Treffen fast immer im Ausland stattfanden: Ankara, Istanbul, Dubai und, natürlich, Baku. Nach dem Mord hatte London eine absolute Kontaktsperre angeordnet, bis man herausgefunden hatte, 227

wodurch der Informant enttarnt worden war. Doch man war nie dahintergekommen. Die Monate vergingen, und Brian wurde in Bahrain als Niederlassungsleiter für die untere Golfregion eingesetzt, war also auch für die Posten in Doha, Dubai und Muscat verantwortlich. Auf Grund von Personalkürzungen war das SIS gezwungen gewesen, alle vier Außenstellen einem einzigen hochrangigen Offizier anzuvertrauen. Nun, drei Jahre später, wusste Brian nicht einmal, ob die Mitglieder seines Netzwerks noch lebten, ob sie vielleicht umgezogen waren und ob sie weiterhin die Stellungen bekleideten, die sie früher so unersetzlich gemacht hatten. Und er konnte auch nicht einschätzen, ob sie die Einladung zu einem Treffen überhaupt noch verstehen würden. Er dachte an die Kameras am Zoll und an der Passkontrolle im Flughafen und fasste sich unwillkürlich an die aufmodellierte Nase. »So, hier wären wir, das Homa«, verkündete Bowers und riss Brian aus seinen Grübeleien. »Es sieht nicht gerade wie ein Fünf-Sterne-Hotel aus, aber etwas Besseres gibt es im Iran nicht. Bei uns würde ein Laden wie dieser zwei Sterne kriegen.« Das Zimmer war schlicht und verhältnismäßig sauber. Aus dem Fenster, dessen Verglasung den Lärm des in Teheran unablässig tosenden Straßenverkehrs kaum dämpfte, hatte man einen Blick auf den Vanak-Platz. Rasch und unauffällig durchsuchte Brian den Raum nach Abhör- und Videoüberwachungsgeräten. Wenn die Iraner seine Tarnung bereits durchschaut hatten, würden die Apparaturen zu 228

gut versteckt sein, um sie zu entdecken. Hielten sie ihn hingegen für einen südafrikanischen Nusshändler, musste er mit willkürlich im Zimmer verteilten Geräten von zweitklassiger Qualität rechnen. Dass er nichts entdecken konnte, sagte ihm, dass er entweder als unverdächtig galt oder unter High-Tech-Überwachung stand. Am Abend aß er mit Bowers in einem Restaurant unweit des Vanak-Platzes, in dem Einheimische und ausländische Geschäftsleute verkehrten. Der Hotelportier hatte es empfohlen. Zurück im Homa, wandten sie sich an die Rezeption. »Könnten Sie mich morgen früh um acht Uhr wecken?«, fragte Brian auf Englisch. Dann drehte er sich zu Bowers um. »Wir treffen uns um neun unten beim Frühstück. Schließlich haben wir erst um elf den ersten Termin.« Bowers hatte einen Besuch bei einem Pistazienexporteur in der Nähe des Basars vereinbart. Bevor Brian Douglas zu Bett ging, stellte er den Wecker an seiner Armbanduhr auf halb sechs.

Gulf Café Strandpromenade Manama, Bahrain Wieder sah Russell Macintyre ungeduldig auf die Uhr. »Ich dachte, Sie sagten, er würde gegen elf kommen. Jetzt ist es fast halb zwölf.« Kate Delmarco trank einen Schluck von ihrem Gin Tonic. »Damit meinte ich, dass sein Dienst um elf 229

endet, vorausgesetzt, dass kein neuer Notfall eingeliefert wird. Immer mit der Ruhe. Die Menschen hier leben nach einem anderen Zeitrhythmus als in Washington.« »Miss Delmarco, mein Name ist Fadl.« Der junge Mann war plötzlich aus dem Nichts erschienen. Er trug Jeans und ein T-Shirt mit dem Aufdruck »Texas University«; unter der Schrift prangte die Karte des Bundesstaates. »Dr. Rashid bittet Ihren Gast, mich zu begleiten. Ich bringe Sie zu ihm, Sir.« »Wir würden aber gern beide …«, erwiderte Rusty. »Nur Sie, Sir. Dr. Rashid hat sich eindeutig ausgedrückt«, beharrte Fadl. »Die Frau nicht.« »Also gut, meinetwegen … Kate, wir sehen uns später im Ritz. Ich rufe Sie in Ihrem Zimmer an. Dann können wir uns in der Bar im Dachgeschoss treffen.« Um auf Nummer sicher zu gehen, wollte Rusty sich für den späteren Abend verabreden, damit ihn im schlimmsten Fall jemand vermisste. Er hoffte nur, dass sie seine Absicht verstanden hatte. »Und wenn ich nichts von Ihnen höre, bevor die Bar schließt?«, erkundigte sich Kate schmunzelnd und genoss MacIntyres Verlegenheit. Eigentlich war sie verwundert, dass er bereit war, diesem wildfremden jungen Mann allein zu folgen. »Dann bitten Sie meine Gastgeber, eine Laterne für mich anzuzünden.« MacIntyre ging mit Fadl zu einem Minivan, der neben ihnen am Straßenrand hielt. Drinnen saßen 230

zwei weitere Männer. Fadl stellte die beiden vor. »Das ist Jassim. Er wird Sie abtasten. Keine Waffen, Kameras und Aufnahmegeräte. Verstanden?« Nachdem Jassim das BlackBerry einer Musterung unterzogen hatte, entfernte er den Akku. »Sie kriegen ihn zurück, wenn wir Sie wieder am Haus Ihres Botschafters absetzen, Mr. MacIntyre.« So viel zu seiner Tarnung als Chefredakteur des New York Journal, dachte Rusty. Sämtliche Versuche, die drei jungen Männer in ein Gespräch zu verwickeln, scheiterten kläglich, obwohl sich mindestens zwei von ihnen fließend auf Englisch verständigen konnten. Wenigstens hatten sie ihm nicht die Augen verbunden, sagte sich Rusty erleichtert. Doch obwohl er sah, wohin sie fuhren, bezweifelte er, dass er den Weg durch Seitengassen und enge Straßen ohne Straßenschilder je wiederfinden würde. Endlich hielt der Minivan in einer schmutzigen Nebenstraße, die von heruntergekommenen Wohnblocks gesäumt wurde. »Er erwartet Sie«, verkündete Fadl und schob die Tür auf. »Wo?«, fragte MacIntyre und blickte den schummrig erleuchteten Fußgängerweg hinunter, der zwischen die Gebäude führte. »Dort drüben. Im Café Mustafa«, erwiderte Fadl und wies in die entgegengesetzte Richtung, wo auf der anderen Straßenseite noch ein Schaufenster erleuchtet war. Eine kleine Pepsi-Reklame verbreitete Dämmerlicht, darunter stand auf Arabisch der Name des Lokals. MacIntyre stieg aus und überquerte die 231

kleine T-Kreuzung. Eine der Straßen war ungeteert, bei den anderen fehlten Teile des Bordsteins. Die geparkten Wagen waren alt und verbeult. Nur einige der Straßenlaternen funktionierten. Offensichtlich handelte es sich hier nicht um ein besseres Wohnviertel. Als er die Tür öffnete, läutete ein Glöckchen und meldete dem Besitzer, dass Kundschaft gekommen war. Brian stand in einer Kombination aus Gemischtwarenladen und Café, wie sie normalerweise um Mitternacht nicht mehr geöffnet hatten. »Hier drüben, Mr. MacIntyre«, sagte ein Mann, der am hintersten Tisch an der Wand saß. Er erhob sich, kam dem Amerikaner entgegen und hielt ihm die Hand hin. »Danke, dass Sie sich in meine Gegend gewagt haben. Hoffentlich stört es Sie nicht. Ich bin Dr. Ahmed bin Rashid. Man sagte mir, Sie wollten mich sehen.« Nachdem sie einander die Hand geschüttelt hatten, nahmen sie an dem kleinen Tisch Platz. Rashid trank Pepsi. Für seinen Gast stand eine zweite, schon geöffnete Flasche mit einem kleinen Glas bereit. MacIntyre bemerkte, dass sich sonst niemand im Laden befand. »Dr. Rashid, in Amerika gibt es verschiedene Geheimdienst-Organisationen. Ich gehöre zu einer von ihnen«, begann MacIntyre und legte seine Visitenkarte auf den Tisch. Er bezweifelte, dass es viele Anwerbungsgespräche gab, die auf diese Art verliefen. »Unsere Aufgabe ist nicht das Durchführen von Aktionen, sondern die Analyse der Informationen, die andere gesammelt haben. Manchmal jedoch, nämlich 232

dann, wenn wir die gewünschten Daten nicht bekommen können, müssen wir selbst Nachforschungen betreiben. Und ich bin hier, um etwas von Ihnen zu erfahren.« Ahmed musterte die Visitenkarte und zog dann seine eigene heraus. Stationsarzt, Intensivstation, Sulamanijah-Klinik, stand darauf. Als Ahmed Rustys Schmunzeln beim Lesen der Karte bemerkte, fügte er hinzu: »Und wie Sie sicher wissen, ist mein Bruder Abdullah bin Rashid ein Mitglied der Schura von Islamijah. Was wollen Sie denn gern erfahren, Mr. MacIntyre?« »Alles über die Schura. Außerdem würde mich interessieren, was die Amerikaner beitragen könnten, um zu verhindern, dass es langfristig zu Feindseligkeiten zwischen unseren Ländern kommt. Ich persönlich denke – und ich muss betonen, dass es sich dabei um meine Privatmeinung handelt –, unsere beiden Länder könnten zu einer Einigung kommen. Natürlich nur, wenn die Schura sich nicht auf einen politischen Kurs begibt, der uns das unmöglich machen würde.« »Und wie würde ein solcher politischer Kurs aussehen, Mr. MacIntyre?«, fragte Ahmed in übertrieben höflichem Ton. »Zum Beispiel, wenn strenge wahhabitische Regeln durchgesetzt, die Menschenrechte verletzt und der Terrorismus exportiert würden. Dazu gehören auch die Einfuhr von Massenvernichtungswaffen und eine Beschränkung des Ölexports auf einen einzigen Markt. Doch ich bin nicht als Politiker oder Unter233

händler hier. Wie ich schon sagte, möchte ich etwas in Erfahrung bringen, Dr. Rashid.« »Sie sind gezwungen, in ein Café in einer schmutzigen Seitengasse von Manama zu kommen, um Informationen über Islamijah zu erhalten, weil Ihre Botschaft in Riad Ihnen da nicht weiterhelfen kann. Die haben Sie nämlich aus Angst und Kurzsichtigkeit selbst geschlossen.« Ahmed rutschte auf seinem Stuhl herum. »Also gut. Ich sage Ihnen, was Sie wissen müssen. Die Äußerungen Ihrer Regierung, insbesondere des Pentagon, weisen darauf hin, dass Sie die Veränderungen in meinem Land nicht wahrhaben wollen. Die al-Sauds haben die Macht verloren, Mr. Macintyre, und sie haben das Geld, das unserem Volk gehört, außer Landes geschafft. Ihre Minister stecken mit dem Königshaus unter einer Decke und wollen es wieder auf den Thron hieven. Und das wiederum veranlasst einige Mitglieder der Schura, Mittel und Wege zu suchen, um unser Land vor Amerika zu schützen. Außerdem stärkt dieses Vorhaben die Position der Fraktion, die den von Ihnen erwähnten wahhabitischen Kurs einschlagen will.« »Dr. Rashid«, erwiderte Macintyre in ruhigem und geduldigem Ton. »Ich bin nicht sicher, ob ich genug über die einzelnen Fraktionen in der Schura weiß. Allerdings ist mir bekannt, dass Ihr Bruder Abdullah früher Mitglied von al-Qaida war. Keine Ahnung, ob er persönlich für den Tod amerikanischer Bürger verantwortlich ist, aber eines steht fest: Die Regierungszugehörigkeit von Leuten, die Terroristen sind oder 234

waren, erschwert eine Normalisierung des Verhältnisses zwischen unseren beiden Ländern beträchtlich.« Als Ahmed aufsprang, bauschte sich sein weißes Gewand. Er stellte sich an die Kühltheke mit nach muslimischen Ernährungsvorschriften hergestelltem Fleisch, verschränkte die Arme vor der mageren Brust und musterte den Amerikaner mit finsterem Blick. »Sie verhandeln mit israelischen Premierministern, die früher Terroristen waren und britische Soldaten getötet haben. Sie geben sich mit Palästinenserführern ab, die Sie selbst vor wenigen Jahren als Terroristen bezeichneten. Sie empfangen sogar irische Terroristen im Weißen Haus. Was, wenn ich mir die Frage erlauben darf, war Samuel Adams, einer Ihrer Führer in Ihrem Unabhängigkeitskrieg, nach dem heute sogar eine Biermarke benannt ist, anderes als ein Terrorist? Mein Bruder wollte sein Land von einem unterdrückerischen Verbrecherregime befreien, das das Volk ausraubte. Zugegeben, er musste sich dabei mit einigen zwielichtigen Gestalten einlassen. Aber haben Sie das nicht auch schon getan, Mr. MacIntyre?« »Ich bin sicher, dass die amerikanische Regierung eine Menge Fehler gemacht hat. Allerdings hat sie auch mehr als jede andere Weltmacht zur Durchsetzung der Demokratie und der Menschenrechte beigetragen«, erwiderte Rusty wie aus der Pistole geschossen. »Und Sam Adams war ein Patriot.« Doch Ahmed ließ sich nicht beirren. »Mein Bruder, Sir, ist ebenfalls ein Patriot. Abdullah hat miter235

lebt, wie sich die amerikanischen Truppen nach Ihrem ersten Krieg gegen Saddam einfach in unserem Land und in Kuwait festgesetzt haben. Er wurde Zeuge, wie die al-Sauds von den Vereinigten Staaten gestützt wurden, um den Amerikanern den Zugriff aufs Öl zu sichern. Und dabei ist Ihr Land der schlimmste Ölverschwender auf der Welt. Mit all Ihrem technischen Fortschritt könnten Sie so viel bewirken, aber Sie versuchen es gar nicht und haben für alternative Energiequellen nur Lippenbekenntnisse übrig. Und warum? Weil Sie glauben, Sonderrechte auf die größten Ölvorräte der Welt zu haben. Sollen die anderen Länder doch Energie sparen! Wen interessiert schon, was die al-Sauds mit dem vielen Geld anfangen und ob sie ihr Königreich in Grund und Boden wirtschaften?« MacIntyre drehte sich zu Rashid um und schlug – ein Versuch, entspannt zu wirken und die Situation aufzulockern – die Beine übereinander. »Manchmal haben Terroristen dem Terrorismus auch abgeschworen, wenn sie an die Macht gekommen oder in Friedensgespräche eingetreten sind. Wir würden uns freuen zu sehen, dass Islamijahs Führung solche Schritte unternimmt. Doch wir wissen zu wenig über die unterschiedlichen Fraktionen. Vielleicht würden wir sogar die falschen Leute unterstützen, weil wir keine Ahnung haben, wer wer ist und was eigentlich in der Schura gespielt wird. Schließlich werden ihre Sitzungen nicht im Radio oder dem Fernsehen übertragen. Wenn wir endlich einen Weg finden könnten, 236

ins Gespräch zu kommen, wären wir möglicherweise zu einer klügeren Politik in der Lage.« Rashid ließ die Arme sinken und kehrte zu dem kleinen Tisch zurück. »Einverstanden, Mr. Macintyre. Reden wir.« Er setzte sich und trank einen Schluck Pepsi. »Weil Amerika sich gebärdet, als wolle es unsere Regierung stürzen und mit einem Staatsstreich die al-Sauds wieder an die Macht bringen, verhandeln die Gegenspieler meines Bruders mit den Chinesen. In der Washington Post von letzter Woche habe ich gelesen, dass Sie die neuen chinesischen Raketen in meinem Land bereits entdeckt haben. Noch sind die Waffen nicht mit Atomsprengköpfen bestückt. Doch in der Schura gibt es Leute, die beschließen könnten, welche anzuschaffen, wenn sie sich unter Druck gesetzt fühlen. Dass Amerika das Vermögen der al-Sauds beschlagnahmt hat, ohne es uns zurückzugeben, schwächt die Position meines Bruders, der die Auffassung vertritt, die Einführung der Scharia und andere Maßnahmen zur Förderung des Wahhabismus würden uns in der modernen Welt zu Außenseitern machen. Denn seine Widersacher halten stets dagegen, dass wir bereits ausgeschlossen und deshalb nicht in der Lage seien, von den technologischen Neuerungen zu profitieren. Schließlich setzt Amerika die Europäer unter Druck, die Wirtschaftssanktionen gegen uns nicht aufzuheben.« Rusty fand, dass sich in dem jungen Arzt eine seltsame Mischung von Weltanschauungen vereinte. Zum einen waren die westlichen Einflüsse unverkennbar, 237

andererseits aber verteidigte er ein radikal islamisches Regime, das durch Blutvergießen an die Macht gekommen war. Der Mann machte ihn neugierig. »Also, Dr. Rashid, soll das heißen, dass Ihr Bruder es ablehnt, die religiösen Gesetze der Scharia zur Grundlage des Rechtswesens von Islamijah zu machen? Und dass er dagegen ist, die wahhabistische Philosophie, also den Hass gegen Nicht-Muslime, weiterzuverbreiten?« Wieder erhob sich Dr. Rashid, verschränkte die Arme und begann, im Kreis zu gehen. Anscheinend musste er nachdenken oder sich beruhigen, bevor er weitersprach. »Sie wollen also nicht, dass wir den Wahhabismus exportieren. Obwohl es genau das ist, was Ihre Freunde, die al-Sauds, all die Jahre getan haben.« »Mir ist klar, dass die al-Sauds die Errichtung und den Unterhalt von Moscheen und Koranschulen in sechzig Ländern finanziert und gefördert haben und dass dort der Hass gegen Nicht-Muslime, gegen Israel und gegen die Amerikaner gepredigt wird«, gab Rusty zu. Ahmed lachte. »Diesen Leuten geht es nicht nur um Nicht-Muslime. Sie predigen auch Hass gegen schiitische Muslime und selbst gegen die wichtigsten Schulen des sunnitischen Glaubens, da es sich bei ihnen ihrer Ansicht nach um Polytheisten handelt.« Rusty war verwirrt. »Moslemische Polytheisten? Was soll das sein? Ich dachte immer, der Monotheismus sei eine Säule des Islam.« 238

Statt ihm zu antworten, schüttelte Dr. Rashid ungeduldig den Kopf. »Sie haben wirklich keine Ahnung«, meinte er schließlich. »Sie kommen in unsere Welt und wollen uns vorschreiben, wie wir zu leben und wie unsere Regierungen sich zu verhalten haben … und dennoch wissen Sie nichts über unsere Kultur, unsere Religion und unsere Geschichte.« Rustys Geduld war zu Ende. »Passen Sie auf, Doktor, ich muss kein Historiker sein und mich auch nicht in tausend Jahre alten religiösen Disputen und anderen Kleinigkeiten auskennen, um zu wissen, dass das Töten von Amerikanern bei Ihnen als ehrenvoll gilt. Dass Selbstmordattentäter von siebzig Jungfrauen im Himmel erwartet werden. Das ist keine Religion, sondern Schwachsinn!« Er bemerkte, dass er wütend die Stimme erhoben hatte, und versuchte, sich wieder zu fangen. »Entschuldigen Sie bitte meinen Ausbruch. Also gut. Was sollte ich Ihrer Ansicht nach wissen?«, meinte er in versöhnlichem Ton. Langsam, als spräche er mit einem Kind, begann Dr. Rashid zu erzählen. »Vor rund dreihundert Jahren waren die al-Sauds die größte Familie in der Umgebung der kleinen Stadt Diriyah in der Provinz Nadschd unweit von Mekka. Muhammad ibn Abd al-Wahhab stammte aus einer nahe gelegenen Stadt. Er predigte eine Lesart der Lehren von Ahmed ibn Tajmijah, einem Fanatiker, der vor achthundert Jahren gelebt hatte. Sie hingen der von ihnen so genannten reinen Lehre des Koran an, die von allen vier Schulen des Islam abgelehnt wurde. Wahhab über239

zeugte die al-Sauds von seinem Glauben und überredete sie dazu, alle Abweichler zu töten. Sie sicherten sich die Macht in der Region, eroberten schließlich Riad und richteten dort ein Blutbad an. Wahhabs Tochter heiratete einen Sohn des Hauses Saud. Die gekreuzten Schwerter im saudischen königlichen Siegel stehen für die al-Sauds und die Wahhabs. Und seit dieser Zeit finanzieren die al-Sauds den wahhabistischen Missionseifer.« Endlich fügten sich die Bruchstücke für Rusty zusammen. Offenbar hatte der Wahhabismus für die Saudis dieselbe Bedeutung wie die Unabhängigkeitserklärung oder die Verfassung für manche Amerikaner – und war etwa ebenso jung. Es handelte sich also gar nicht um einen jahrtausendealten Glaubensstreit. »Und jetzt, Mr. MacIntyre, kommt der größte Witz an der Angelegenheit. Ibn Tajmijah und Wahhab lehrten, dass es die Pflicht jedes Moslems sei, korrupte oder ungläubige Regierungen zu stürzen. Deshalb hat bin Laden den Sturz der al-Sauds mit einer wahhabistischen Theorie gerechtfertigt, obwohl diese stets den Wahhabismus gefördert hatten. Verstehen Sie jetzt, was ich meine?«, fragte Ahmed. »Allmählich dämmert es mir«, antwortete Rusty zögernd. »Aber was ist mit Ihrem Bruder und seinen Freunden, die die al-Sauds verjagt und mit al-Qaida zusammengearbeitet haben? Sind sie Wahhabisten?« »Einige Mitglieder der Anti-Saud-Bewegung gehören dazu. Andere sind eher weltlich orientiert. Und 240

manche könnte man als Durchschnittssunniten bezeichnen.« Langsam wurde Rusty klar, dass die Schura von Islamijah gespaltener war, als Washington es sich je hätte träumen lassen. Innerhalb der Anti-SaudKoalition herrschten gewaltige Differenzen. Nachdem Dr. Rashid seinen Vortrag beendet hatte, nahm er wieder neben Rusty Platz. »Also, Ahmed. Darf ich Sie so nennen? Ich heiße übrigens Russell«, begann MacIntyre, der spürte, dass das Eis zwischen ihnen gebrochen war. Rashid nickte. »Ahmed, Sie haben Recht. Wir sind nicht so gut informiert, wie wir sein sollten. Aber wir verstehen etwas von internationaler Sicherheit. In Ihrer Regierung gibt es Leute, deren Verhalten Sie Kopf und Kragen kosten könnte. Und, ja, vermutlich ist es bei uns genauso. Deshalb liegt es an Menschen wie uns beiden, unsere Regierungen davon zu überzeugen, das Richtige zu tun. Wir müssen eine Menge Schäden wieder gutmachen, doch zuallererst geht es darum, weitere Krisen zu verhindern. Sobald in Islamijah Atomsprengköpfe auftauchen, ist Schluss mit den Verhandlungen. Das wissen Sie so gut wie ich. Falls Sie also den Verdacht bekommen sollten, dass eine solche Aktion unmittelbar bevorsteht, müssen wir uns gemeinsam etwas einfallen lassen.« Eine lange Pause entstand. Rashid schien es nicht im Mindesten peinlich zu sein, dass er Zeit brauchte, um sich eine Antwort zu überlegen. MacIntyre hörte den Motor der alten Kühltheke surren. Schließlich 241

hob der junge Arzt den Kopf. »Wenn die Schura zu der Auffassung gelangt, dass der Iran einen Schlag gegen unser Land plant, könnte sie versuchen, entweder in Pakistan, Nordkorea oder China Atomsprengköpfe für die Raketen zu besorgen, und zwar mit dem Ziel, eine Pattsituation mit dem atomar bewaffneten Iran beizuführen. Hat der Iran etwas in dieser Richtung vor, Russell?« Nun war es MacIntyre, der nachdenken musste. »Wir haben Anzeichen dafür gefunden, dass der Iran eine Intervention erwägt und entsprechende Manöver durchführt. Allerdings gibt es keine konkreten Hinweise auf einen bevorstehenden Einsatz. Schließlich führen wir auch immer wieder Manöver durch. Wir haben außerdem keine Ahnung, wo genau der Iran einmarschieren würde. Nach Ansicht einiger unserer Analysten könnten die Iraner es wieder einmal auf Bahrain abgesehen haben. Aber offen gestanden tappen wir noch im Dunkeln.« Während MacIntyre diese Worte aussprach, fiel ihm Kashigian ein. Wenn die Briten von Kashigians Besuch in Teheran wussten, war man in Islamijah vielleicht auch im Bilde. Möglicherweise war Ahmed darüber informiert. »Ich zumindest kann Ihnen da nicht weiterhelfen«, fügte er hinzu. »Sie haben nur deshalb so viel Ärger am Hals, weil Sie nach so langer Zeit immer noch von unserem Öl abhängig sind«, stellte Ahmed mit einem ungläubigen Kopfschütteln fest. »Und da Sie sich keine Alternativen einfallen lassen, gefährden Sie die Zukunft unse242

res Landes, indem Sie und alle Welt um unser Öl kämpfen. Ihr Versagen ist der Grund für dieses Dilemma, und das wissen Sie ganz genau.« »Mag sein«, erwiderte Rusty. »Ich nehme an, Ms. Delmarco hat Ihnen mitgeteilt, dass meine Leute die iranischen Gruppierungen hier infiltriert haben. So haben wir von ihrem Plan erfahren, den Tanker zu kapern«, sprach Rashid in sachlichem Ton weiter. »Wenn unsere Informanten richtig liegen, steht uns möglicherweise am Ende dieses Monats ein weiterer Schlag von der anderen Seite des Golfs bevor. Wir müssen davon ausgehen, dass er uns gelten wird, denn ein offener Angriff auf Bahrain würde einen sicheren Konflikt mit der U.S. Navy nach sich ziehen.« »Und wenn die Schura überzeugt ist, dass das geschehen wird, wird sie sich Atomsprengköpfe beschaffen?«, fragte MacIntyre. »Einige Mitglieder der Regierung werden gewiss dafür plädieren«, entgegnete Rashid. »Und würden die Amerikaner uns angreifen, wenn sie glauben müssten, dass Islamijah vorhat, sich atomar zu bewaffnen?« »Einige Mitglieder der Regierung werden gewiss dafür plädieren«, wiederholte Rusty die Worte seines Gegenübers. Die beiden Männer in dem schäbigen kleinen Café sahen einander forschend an. »Dann müssen wir in enger Verbindung bleiben und uns überlegen, wie wir den Ereignissen Einhalt 243

gebieten können, die uns vielleicht noch in diesem Monat bevorstehen«, sagte Ahmed schließlich. »Ja. Auch wir haben gehört, dass für diesen Monat etwas geplant sein könnte. Und nach unserem Kalender haben wir Februar, einen sehr kurzen Monat, der schon beinahe zur Hälfte vorbei ist.« Fast freundschaftlich schüttelten sie einander die Hand. Als Rusty aus dem Laden kam, war der Minivan verschwunden, und ein Mercedes-Taxi erwartete ihn. Er stieg ein. »Ins Ritz-Carlton oder zur Botschaft?«, fragte der Fahrer auf Englisch. Ahmed bin Rashid trat aus dem Laden auf die dämmrig erleuchtete Straße. Er wurde von zwei Männern gefilmt, die sich im Kofferraum eines alten Chevrolet Impala auf der anderen Straßenseite versteckten. Sie gehörten zur militärischen Spionageabwehr der Vereinigten Staaten.

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Kapitel 8 12. Februar

Hotel Homa Teheran, Iran Um halb sechs Uhr morgens wurde Brian Douglas vom Wecker seiner Armbanduhr aus dem Schlaf gerissen. Rasch schlüpfte er in die alten Kleider, die er vor Jahren in Teheran gekauft hatte. Für den Fall, dass jemand neugierig fragen sollte, wie er als Ausländer an diese Sachen gekommen war, hatte er die Etiketten herausgetrennt. Darüber trug er einen abgewetzten Mantel und eine Mütze, wie man sie im Winter auf Teherans Straßen häufig sah. Er lief über die Treppe fünf Stockwerke nach unten und verließ das Gebäude, unbemerkt von etwaigen Beobachtern in der Hotelhalle, durch eine Seitentür neben der Küche. Obwohl es vor sechs Uhr und die Sonne noch nicht aufgegangen war, hatte der Berufsverkehr bereits eingesetzt. Grüne Busse und orangefarbene Taxis steuerten ihren Anteil zur alltäglichen Luftverschmutzung bei. Die Wolken hingen tief und schwer, und der Himmel war grau. Der vor drei Tagen gefallene Schnee hatte sich mittlerweile in bräunlichen Matsch verwandelt, sofern er nicht bereits von Schneepflügen zu kleinen weißlichen Wällen zusammengeschoben worden war. Die Luft roch feucht und nach Diesel. 245

Brian Douglas schritt rasch aus und passierte, sich immer wieder diskret nach einem möglichen Verfolger umsehend, die brasilianische Botschaft. Dann bog er in Richtung des Mellat-Parks und der Untergrundbahn ab. Der Park war in den sechziger Jahren als englischer Garten angelegt worden. Nun, mitten im Winter, boten seine immergrünen Bäume einen seltenen und aufmunternd lebensfrohen Anblick. Obwohl die Metro-Station von außen wie ein Betonbunker wirkte, war ihr Inneres hell, sauber und bunt gestaltet. In der Schalterhalle schmückte moderne Kunst die Wände. Die Rolltreppe hinunter zum Bahnsteig verlief in einer Röhre aus gebürstetem Edelstahl, und der Bahnsteig selbst war breit und gut beleuchtet. Nur wenige Menschen warteten auf die U-Bahn, die bald kam. Douglas schmunzelte beim Anblick der Waggons, die in Teheran rot, weiß und blau lackiert waren, ausgerechnet in den Farben der amerikanischen Flagge. Er fuhr nur eine Haltestelle weit bis zur ImamKhomeini-Station, dem großen Umsteigebahnhof, wo sich die drei U-Bahn-Linien trafen und der in seiner Pracht an die palastartige Moskauer Metro erinnerte. Der prunkvolle neue Flughafen und die blitzblanke Untergrundbahn erinnerten in nichts mehr an das bedrängte Teheran der achtziger und neunziger Jahre. Offenbar wurde der mit Öl erwirtschaftete Reichtum des einundzwanzigsten Jahrhunderts in moderne Infrastruktur investiert. Inzwischen hatte die morgendliche Rushhour be246

gonnen. Immer mehr Menschen hasteten durch die Gänge. Douglas stieg eine Treppe ins Hauptgeschoss hinauf. Verkaufsstände, die Blumen, Gebäck, Tabak und Zeitschriften feilboten, säumten den Korridor. Douglas ging zum letzten Stand im Gang. Während er sich eine Zeitung kaufte, musterte er unauffällig die beiden Männer hinter der Theke. Der Vater war immer noch da. Brian wartete, um seinen Kauf bei dem älteren der zwei Männer zu bezahlen. Den Kopf über die Zeitschrift gesenkt, fragte er in der Landessprache Farsi: »Führen Sie das Baghiatollah Azzam Medical Journal?« »Nein, das bekommen Sie nur in der Universitätsbuchhandlung«, erwiderte der Mann nach einem kurzen Stutzen mit leiser Stimme. »Wissen Sie, wo das ist?« »Ja, danke, in der Mollasara«, entgegnete Douglas mit Teheraner Akzent, eilte den Flur entlang davon und verschwand in der gewaltigen Menschenmenge, die die Vorhalle des U-Bahnhofs bevölkerte. Bald war sein Mantel inmitten all der anderen ebenfalls grauen Gestalten nicht mehr zu sehen. Als um acht Uhr der Weckruf der Hotelrezeption das Telefon läuten ließ, hob ein schlaftrunken wirkender Brian Douglas nach dem dritten Klingelton ab und erkundigte sich auf Englisch, wie denn das Wetter sei. Um neun gesellte er sich zu Bowers in den Frühstücksraum.

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Büro des Verteidigungsministers Pentagon, Suite E-389 Arlington, Virginia »Waren Sie schon mal hier, Admiral?«, erkundigte sich der Sergeant. Brad Adams schüttelte den Kopf. »Der größte Schreibtisch von Washington, vielleicht sogar der ganzen Welt. Er stammt noch vom ersten Verteidigungsminister in den Vierzigern. Der Job ist ihm zu Kopfe gestiegen, und es heißt, er soll durchgedreht sein. Jedenfalls hat er sich ein Zimmer im Bethesda genommen und ist aus seinem Zimmerfenster im obersten Stockwerk gesprungen. So habe ich es zumindest gehört.« Adams lauschte dem Empfangssekretär im Vorzimmer des Verteidigungsministers nur mit halbem Ohr, denn ihn beschäftigte die Frage, was er eigentlich hier verloren hatte. Nach der Planungskonferenz zum Manöver Bright Star in Tampa war er nach Washington geflogen, um ein paar Freunde in der Navy-Zentrale zu besuchen. Schließlich konnte es nicht schaden, wenn man sich hin und wieder dort blicken ließ, um den neuesten Klatsch aufzuschnappen. Nur so erfuhr man, bei wem eine Beförderung fällig war und wem man welches Kommando übertragen würde. Da Adams inzwischen Vizeadmiral war, waren seine Beförderungsaussichten beschränkt, obwohl noch immer die Möglichkeit bestand, dass er einen vierten Stern und vielleicht die Leitung von PACOM, dem Pazifikkommando, bekommen würde. Der Oberkommandierende des Pazi248

fikkommandos, der so genannte CinCPAC, trug den Beinamen »der Vizekönig«, da er gleichzeitig als Washingtons Prokonsul im Pazifik fungierte. Allerdings musste man sein Gesicht öfter in Washington zeigen, als Adams es tat, wenn man sich Aussichten auf einen solchen Posten ausrechnen wollte. Außerdem musste man einige Zeit bei den Vereinigten Stabschefs … »Admiral Adams?«, riss ein Offizier der Air Force Adams jäh aus seiner Karriereplanung. »Major Chun, Sir. Tut mir Leid, dass Sie warten mussten, Sir. Bitte begleiten Sie mich.« Adams folgte dem jungen Offizier in einen kleinen fensterlosen Raum. Offenbar befanden sie sich im zweiten Kreis der gewaltigen Bürosuite, in der Verteidigungsminister Henry Conrad und sein engster Mitarbeiterstab untergebracht waren. Adams wusste, dass das Gesamtbüro des Verteidigungsministers eine eigene Behörde war, die über zweitausend Menschen beschäftigte und die Spitze einer Pyramide von mehr als einer Million zivilem und knapp zwei Millionen militärischem Personal bildete. Die unterste Ebene dieser Pyramide bestand aus den über fünf Millionen Angestellten der Rüstungskonzerne. Also traf der Mann, der in diesen vier Wänden residierte, Entscheidungen, von denen acht Millionen Menschen unmittelbar und viele weitere indirekt betroffen waren. »Admiral, ich bedaure sehr, Sir, aber es sieht ganz so aus, als ob der Minister Sie heute Nachmittag nicht empfangen kann. Es hat in letzter Minute Änderungen in seinem Terminplan gegeben. Das passiert 249

hier leider ständig. Jedenfalls musste er heute Vormittag ins Weiße Haus. Anschließend hätte dann die Haushaltsanhörung stattfinden sollen, die verlegt wurde …« Major Chun saß hinter einem kleinen Schreibtisch, auf dem sich Aktenordner und Papiere türmten, und redete ununterbrochen weiter. »Hören Sie auf, Major«, unterbrach Adams ihn leise und hob die rechte Hand. »Schalten Sie mal einen Gang runter, junger Mann. Warum wurde ich überhaupt herbestellt? Ich war im Navy-Hauptquartier, als ich einen Anruf von einem Assistenten des Chefs erhielt, der mich dringend bat, meinen Hintern so schnell wie möglich hierher zu bewegen.« Major Chun verdrehte lachend die Augen. »Admiral, ich bin hier nur der Laufbursche und mache, was der Colonel mir sagt. Der wiederum tut, was der militärische Berater General Patterson ihm aufträgt. Und der General, Sir, tanzt nach der Pfeife des Verteidigungsministers oder nach der von Staatssekretär Kashigian. Alles fließt nach unten, Sir, wenn Sie mir die Bemerkung gestatten.« »Major, ich bin nicht als Admiral auf die Welt gekommen. In einem anderen Leben, als ich noch jünger war als Sie heute, war ich Adjutant des CinCPAC in Honolulu. Ich habe kein einziges Mal die Sonne gesehen und war auch nie am Strand. Genauso gut hätte ich auch in Kansas sein können.« Schmunzelnd erinnerte sich Adams daran, dass er sich nach dieser Erfahrung stets darum bemüht hatte, auf einem Schiff eingesetzt zu werden. 250

»Ja, Sir, Admiral. Tja, Sir, ich weiß nur, dass Ihr Name im ersten Terminplan von heute Morgen vermerkt war. Sie waren für eine Audienz … Verzeihung, eine Besprechung mit dem Verteidigungsminister vorgesehen. Nur Sie beide und Mr. Kashigian. Aber jetzt reicht die Zeit nicht mehr, weil er heute Abend zur Ministerkonferenz der Nato in die Türkei fliegt. Also … soll ich Sie stattdessen nach unten zur Einsatzbesprechung bringen und Sie anschließend über den Türkeiflug heute Abend informieren. Wahrscheinlich wird Ihr Gespräch im Flieger stattfinden.« Adams’ Gedanken überschlugen sich. Die Unterredung unter vier Augen mit dem Verteidigungsminister war vielleicht als Vorstellungsgespräch für den Posten eines Vier-Sterne-Admirals gedacht. Allerdings hatte die Navy bis jetzt noch niemanden benannt. Es war noch zu früh dazu. »In die Türkei? Tja, eigentlich wollte ich heute Abend eine Linienmaschine zurück nach Bahrain nehmen. Aber die Türkei liegt ja in derselben Richtung. Worum geht es denn bei dieser Einsatzbesprechung?« »Keine Ahnung, Sir. Jedenfalls findet sie in einem SCIF im Keller statt«, erwiderte der Major und studierte eine E-Mail auf seinem Monitor. SCIFs – »Special Compartmented Intelligence Facilities« – waren abhörsichere und abgeschirmte Räume, wo streng geheime Daten gelagert und Besprechungen abgehalten wurden, von denen kein Außenstehender erfahren durfte. »Am besten begleite ich Sie, Admiral. Da unten ist es ein bisschen schummrig.« 251

Major Chun eskortierte Adams auf Rolltreppen drei Stockwerke nach unten. Niemand, den sie unterwegs trafen, schien von der Anwesenheit eines Vizeadmirals beeindruckt zu sein. Während Adams in Bahrain sowohl auf dem Stützpunkt als auch an Bord seiner Schiffe als eine Art Halbgott galt, war er hier nur einer unter vielen Vizeadmiralen. Die nächsten beiden Etagen mussten sie eine schlecht beleuchtete Treppe hinuntersteigen, was Adams daran erinnerte, dass dieses Gebäude trotz des in den Fluren zur Schau gestellten Pomps zu Beginn des Zweiten Weltkriegs hastig aus dem Boden gestampft worden war. Im Tiefparterre angekommen, eilte Chun ein Gewirr von Korridoren entlang. Die fünf konzentrischen Kreise, die der Nummerierung der Zimmer in den oberirdischen Etagen des Pentagon eine gewisse Logik verliehen, galten in dieser dämmrigen Unterwelt nicht mehr. »Jetzt weiß ich, was Sie mit schummrig gemeint haben, Major. Verraten Sie mir eines: Wie ist es denn so, für den Big Boss zu arbeiten? Viele junge Männer in Ihrem Rang würden alles für so eine Chance geben«, fragte der Admiral den jungen Offizier im freundlichen Plauderton. »Ganz unter uns gesagt, Sir, können die den Job gern wiederhaben. In letzter Zeit bekomme ich den Big Boss nur nach elf Uhr abends zu sehen, wenn alle anderen Assistenten nach Hause gehen und ich bleiben muss, um hinter ihm abzuschließen. Manchmal arbeitet er bis in die frühen Morgenstunden und telefoniert in der ganzen Welt herum. Seit einigen Mona252

ten ist hier die Hölle los. Er schuftet wie ein Berserker, aber ich weiß nicht, was dahintersteckt. Man merkt es an seinen Augen. Es ist, als ob ein Feuer darin brennt. Entspannung ist ein Fremdwort für ihn. Selbst als er letzten Monat mit ein paar Ölbossen in Houston beim Golf war. Ich musste bei fast jedem zweiten Loch auf dem Satellitentelefon eine abhörsichere Leitung für ihn herstellen.« Inzwischen hatten sie eine Metalltür erreicht. Eine Kamera, die rechts davon hing, war auf sie gerichtet. Rechts waren an der Wand ein Telefon und ein kleines Kästchen aus Aluminium befestigt. Das Kästchen hatte keinen Deckel, und Major Chun steckte die Hand hinein, um – von außen nicht einsehbar – auf einem Tastenfeld eine Zahlenkombination einzutippen. Die Tür öffnete sich. »Admiral, ich lasse Sie jetzt mit Dr. Wallace allein, Sir, damit er Sie instruieren kann. Es wäre nett, wenn Sie anschließend wieder zu mir kämen, Sir. Bis dahin habe ich Ihre Befehle und Ihren Zeitplan fertig, damit Sie heute Abend ins Flugzeug steigen können. Für morgen besorge ich Ihnen eine Unterkunft in der Türkei«, erklärte der Major und stellte Adams einem Zivilisten vor, der schätzungsweise Ende fünfzig war. Dr. Wallace hatte lockiges graues Haar, trug eine randlose Brille und einen schlecht sitzenden braunen Anzug. Adams fragte sich, ob er je wieder den Rückweg zu dem viele Stockwerke über ihnen liegenden Büro des Verteidigungsministers finden würde. Zunächst forderte Wallace Adams auf, ein Papier 253

aus einer Mappe mit der Aufschrift »Sonder-Zugangsprogramm, vertraulich, Opal« zu unterzeichnen. Auf dem Papier standen bereits Adams’ Name, sein Rang, seine Dienstnummer und sein Geburtsdatum vermerkt. »Nun darf ich Sie instruieren«, begann Wallace und trat in den kleinen theaterähnlichen Raum hinter dem Eingangsbereich. Hier gab es drei Reihen von Kinosesseln, aber keine weiteren Zuschauer. Adams entschied sich für einen Gangplatz in der zweiten Reihe. Dr. Wallace trat hinter ein Rednerpult und drückte auf einen Knopf. Auf dem großen Bildschirm erschien ein gelber Drache an Bord einer chinesischen Dschunke vor einem grellroten Hintergrund, unterlegt mit den Worten »Sonder-Zugangsprogramm« und »Streng geheim, Opal«. Dr. Wallace wirkte um einiges lebhafter, als er sich nun vor dem Rednerpult aufbaute und die Fingerspitzen aneinander legte. »Ich erzähle Ihnen jetzt alles, was wir über die chinesische Flotte wissen. Und das ist eine ganze Menge.« Auf dem Bildschirm erschienen Videoaufnahmen eines großen Flugzeugträgers, der langsam in einen Hafen – offenbar den von Sydney – einfuhr. Der Film war von einem Helikopter aus gedreht worden. »Die Tschu Man hat Australien im letzten Jahr einen Freundschaftsbesuch abgestattet. Dazu wurde sie abgerüstet. Während des Besuchs waren nur wenige Flugzeuge an Bord. Keine Atomwaffen. Einige der Antennen fehlten. Der Großteil der Elektronik war 254

deaktiviert. Dennoch ein sehr beeindruckendes Schiff, finden Sie nicht, Admiral?« »Ich würde sagen, dass sie mindestens so groß ist wie die Stennis, die Reagan oder die Bush. Sie sieht nur moderner, schlanker aus«, erwiderte Adams, dem allmählich dämmerte, warum er hier war. »Als Kommandant der Fünften Flotte hatte ich bis jetzt keinen Grund, mich mit der Modernisierung der chinesischen Flotte zu befassen, Dr. Wallace. Doch ich muss zugeben, dass sie uns überrascht hat.« Wallace nahm in der Reihe vor Adams Platz und drehte sich zur Seite, um ihn anzuschauen. »Einige in der Navy mögen überrascht gewesen sein, ich jedoch nicht. Ich habe sie gewarnt. Schließlich konnte man es sich an allen fünf Fingern abzählen. Die Chinesen haben den Australiern die HMAS Melbourne, einen Dampfkatapultträger, abgekauft. Angeblich brauchten sie ihn für einen Meeres-Freizeitpark. Anschließend haben sie in der Ukraine die Varyaq, einen siebenundsechzigtausend Tonnen schweren Flugzeugträger, erworben, um ihn zum Casino umzubauen.« Dr. Wallace’ Augen funkelten. »Unseren Marineexperten zufolge würde Russland niemals Flugzeugträger-Technologie an eine konkurrierende Pazifikflotte verkaufen. Tja, das hat es auch nicht. Dafür aber die Ukrainer. Sie besaßen Erfahrung in diesem Bereich und verfügten auch über die nötigen Kenntnisse im Flugzeugbau. Außerdem hat die Ukraine keine Pazifikflotte und braucht sich deshalb auch nicht den Kopf darüber zu zerbrechen. Sie können mir folgen? 255

Für die chinesische Marine sind innerhalb von vier Jahren drei Flugzeugträger von Standardgröße und mit konventionellem Antrieb in der Werft von Delian vom Stapel gelaufen, und zwar nicht, wie von der Navy vermutet, mit Senkrechtstartern, sondern mit Katapultflugzeugen, Sukois und Yaks aus der Ukraine.« Adams fühlte sich, als wäre er mit einem verrückten Wissenschaftler in einem dunklen Raum eingesperrt. Er lehnte sich in dem Kinosessel zurück und bemerkte: »Aber ein Flugzeugträger ist doch nichts weiter als ein Supertanker mit einem flachen Deck. Viel wichtiger sind die Elektronik des Schiffs, die Elektronik der Flugzeuge und die Begleitschiffe.« »Die Begleitschiffe der Tschu Man besuchten Brisbane, Melbourne und Perth, während das Mutterschiff sich in Sydney aufhielt«, entgegnete Wallace. Er zeigte das nächste Bild. »Hier sehen Sie die Ping Yuen. Sie sieht aus wie ein Zerstörer der Burke-Klasse, der mit modernem Aegis-Radar ausgestattet ist. Abschusseinrichtungen für Überschallraketen, phasengesteuertes Radar. Bis jetzt wurden auf der Werft von Dschangnan sechs davon gebaut.« Adams war beeindruckt. Aber Wallace hatte noch mehr auf Lager. »Hier ist die Fu Po, ein achttausend Tonnen schweres AtomU-Boot, das es durchaus mit der russischen Victor III aufnimmt, bei der Einfahrt in den Hafen von Brisbane. Langstreckenraketen, mit denen man einen Flugzeugträger versenken könnte. Zwei von diesen Dingern sind bereits in Betrieb.« 256

Eigentlich hätte Adams all diese Dinge wissen müssen, doch leider hatte er seinen Jane’s Intelligence Report noch nicht gelesen. Und deshalb saß er nun mit diesem Wissenschaftler in einem abhörsicheren Raum, dachte er. »Zugegeben, sie haben große Fortschritte gemacht, und zwar mehr, als man ihnen in so kurzer Zeit zugetraut hätte. Aber was ist daran so geheim?«, erkundigte er sich schließlich. »Ich war neugierig, wann Sie mich das fragen würden«, erwiderte Wallace und stellte sich wieder hinter das Rednerpult. Auf dem Bildschirm war ein Offizier der chinesischen Marine zu sehen, der vor dem Opernhaus von Sydney posierte. »Wir behaupten immer, die DIA, der militärische Geheimdienst, hätte gute Quellen in China. Aber das stimmt nicht ganz. Admiral Fei Tianbao, Kommandant des Kampfverbandes Tschu Man, war nach diesem diplomatischen Freundschaftsbesuch ganz begeistert von Australien. Er hat sich bestens amüsiert und sich außerdem mit einem entfernten Cousin getroffen, der dort lebt. Die australischen Kollegen hatten ihn auch ins Herz geschlossen.« Verschiedene Aufnahmen zeigten Tianbao bei Abendeinladungen, in Lokalen und bei Sportveranstaltungen. »Eigentlich dürfte ich Ihnen seinen Namen nicht verraten, Admiral, aber es könnte sein, dass Sie ihn eines Tages kennen lernen, und dann sollten Sie besser Bescheid wissen.« Adams bemerkte unten rechts auf jedem Bild die Aufschrift ASIS. Der australische Geheimdienst. Offenbar war es gelungen, den chinesischen Admiral »umzudrehen«. 257

»Nur ein Dutzend Menschen in diesem Gebäude besitzt die Freigabe der DIA, die ihnen Zugang zu diesen Informationen gewährt. Dazu noch ein paar Leute im Weißen Haus und bei den verschiedenen anderen Geheimdiensten, allerdings niemand im Kapitol. Ich sollte Ihnen lediglich mitteilen, dass wir einen hochrangigen Informanten in der chinesischen Armee anwerben konnten, der bis jetzt zuverlässige Berichte geliefert hat. Von ihm haben wir Folgendes erfahren.« Ein weiteres Bild zeigte oben rechts das südliche China. Oben links waren der Iran, unten der Indische Ozean zu sehen. »Die Huang-Hai-Werft hat bis jetzt keine Kriegsschiffe gebaut, sondern nur Ro-Ro-Schiffe für den Transport von Autos und Lastwagen. Hier ist eines davon.« Ein langes, blauweißes kastenförmiges Schiff erschien auf dem Bildschirm. »Solche Schiffe sind etwa einhundertfünfzig Meter lang und bieten Platz für zweitausend Autos und Kabinenplätze für dreizehnhundert Personen. Die chinesische Schifffahrtsgesellschaft besitzt acht davon, die alle noch diesen Monat in Schanjiang in Südchina in See stechen sollen. Und zwar mit Kurs auf Karatschi in Pakistan und Port Sudan. An Bord befinden sich chinesische Autos für den Export. Allerdings meldet unser Freund Admiral Tianbao, dass die Schiffe mit leichten Panzern, Lastwagen und Soldaten der chinesischen Armee beladen sein werden, um sie nach Jizan und Jubail in Islamijah zu bringen.« Rote Pfeile sausten über die Karte des Indischen Ozeans zu den Häfen am Roten Meer und dem Persischen Golf. 258

»Dort werden sie sich mit weiteren, von Air China eingeflogenen Truppen vereinen. Und es kommt noch besser.« Wallace wippte auf den Fußballen. »Für das Ende dieses Monats sind zwei zeitgleiche Freundschaftsbesuche der chinesischen Armee geplant. Der Kampfverband Tschu Man wird in Karatschi erwartet, während die Kampftruppe Tscheng He Durban und Kapstadt ansteuert. Doch in Wahrheit werden die Schiffe laut Tianbao Kurs auf Damman und Dschiddah nehmen.« Blaue Pfeile erschienen auf der Karte und bewegten sich rasch zu den am Golf und am Roten Meer gelegenen islamijischen Häfen. »Admiral Tianbao hat keine Ahnung, was die Hintergründe angeht, doch er weiß, dass die beiden Kampfverbände Flugzeuge und Raketen an Bord haben und kampfbereit sein werden. Begleitet werden sie von zwei Atom-U-Booten.«

The Ritz-Carlton Hotel Manama, Bahrain Am Vorabend hatte das Mercedes-Taxi ihn am Ritz abgesetzt. Als er in die Dachterrassen-Bar gekommen war, hatte er diese leer vorgefunden, und der Barkeeper wollte gerade schließen. »Mr. MacIntyre?«, fragte der Mann. »Ms. Delmarco sagt, ich Ihnen Brief geben, wenn zurück.« Die Nachricht war auf einen Notizzettel des New York Journal gekritzelt. »Wenn Sie diesen Brief er259

halten, ist offenbar alles gut gegangen. Ausgezeichnet. Sie haben das Buch vergessen, das ich Ihnen leihen wollte. Kommen Sie runter und holen Sie es ab. Ich bin etwa bis zwei wach, weil ich noch einen Artikel nach New York schicken muss. Also schauen Sie vorbei und erzählen Sie mir, wie es war. Zimmernummer 1922. KD.« Zu seinem eigenen Erstaunen löste die Nachricht eine erregende Spannung in Rusty aus, die er schon lange nicht mehr gespürt hatte. Stand es um seine Ehe mit Sarah denn wirklich so schlecht? Wann hatten sie das letzte Mal zusammen Spaß gehabt und waren glücklich miteinander gewesen? Ihm schien es, als sei eine Ewigkeit vergangen, seit er zuletzt eine Vorfreude verspürt hatte wie in diesem Augenblick. »Ich weiß, dass Sie schließen wollen«, wandte er sich an den Barkeeper, denn er brauchte ein paar Minuten Bedenkzeit. »Aber könnte ich vielleicht trotzdem noch einen Balvenie kriegen?« Hastig kippte er den Single Malt hinunter und war zu sehr in Eile, um den Scotch wirklich zu genießen. Dennoch hatte er den Drink bitter nötig gehabt. »Dürfte ich mal Ihr Telefon benutzen?«, fragte er dann den Barkeeper bemüht lässig. Er kam sich schrecklich dämlich vor. Kate nahm sofort ab. »Hallo?« Er räusperte sich verlegen. »Ich bin es, Rusty. Rusty MacIntyre.« »Ja«, antwortete Kate, und Rusty hätte schwören können, dass sie schmunzelte. »Erfolg gehabt?« 260

»Nun«, antwortete Rusty. »Es war interessant.« »Warum kommen Sie dann nicht zu mir und erzählen mir alles?«, schlug Kate vor. »Wir können auch schweigen, wenn Ihnen das lieber ist.« Rusty überlegte nicht lange. »Warum nicht«, erwiderte er. Er war erschöpft gewesen, und außerdem hatte ihm die Zeitverschiebung noch immer zu schaffen gemacht – das versuchte er sich wenigstens einzureden, als er nun mit Kate Delmarco beim Frühstück auf dem Balkon ihres Zimmers saß. Er hatte ein leicht schlechtes Gewissen, doch hauptsächlich fühlte er sich verwirrt. »Kate, manchmal geht es in meinem Beruf und meinem Leben so drunter und drüber, dass ich einfach keine Ordnung hineinbringen und das Wichtige nicht vom Unwichtigen trennen kann. Und dann passieren Fehler«, sagte er stockend. »Willst du damit sagen, dass die letzte Nacht ein Fehler war?«, erwiderte Kate und ließ ihre Sonnenbrille die Nase hinunterrutschen. »Nein. Vielleicht. Wer weiß? Aber das habe ich auch gar nicht gemeint, sondern nur, dass alles andere schief zu laufen scheint. In Washington gibt es Leute, dir mir ans Leder wollen, und ich frage mich, wie ich bloß zu der Ehre komme. Ich habe doch nur meine Arbeit gemacht, und das habe ich auch weiterhin vor. Schließlich könnte ich genauso gut in irgendeinem Privatunternehmen sitzen und für die halbe 261

Arbeitsbelastung das Dreifache verdienen«, sagte Rusty und fuhr sich mit den Fingern durchs ungekämmte kastanienbraune Haar. »Warum fängst du dann nicht einfach dort an?«, gab Kate zurück und blickte auf den Hafen hinaus. »Weil ich nach den vielen Patzern nach dem 11. September, nach dem Fiasko mit den Massenvernichtungswaffen im Irak und nach dem Staatsstreich in Islamijah etwas dazu beitragen will, dass sich solche Katastrophen nicht wiederholen. Wenn unsere geheimdienstlichen Analysen nicht besser werden, wird es weiter zu tragischen und kostspieligen Fehlern kommen. Ich hatte nur die Hoffnung, ich könnte uns auf den richtigen Kurs bringen. Klingt das sehr arrogant?« Delmarco schüttelte den Kopf. »Warum gehst du denn nicht wieder nach Hause in die Staaten?«, fragte Rusty. »Weshalb schreibst du weiter hier in Dubai Reportagen, obwohl du in New York sicher schon eine leitende Position in einer Redaktion hättest?« Kate lachte. »Jetzt hörst du dich an wie mein Bruder. Welchen Grund hat ein Mädchen wie du, sich in irgendwelchen arabischen Drecknestern herumzutreiben, anstatt irgendwo eine Leitungsposition zu ergattern? Tja, erstens ist Dubai eine wundervolle Stadt. Und zweitens habe ich hier und am Golf eine Menge Freunde. Aber hauptsächlich liegt es daran, dass hier die wichtigen Dinge geschehen. Das Verhältnis zwischen Amerika und der arabischen Welt 262

wird die kommenden Jahrzehnte prägen, Rusty, falls dir das noch nicht aufgefallen sein sollte. Und wenn man in New York sitzt und Agenturmeldungen liest, versteht man nicht, was wirklich hier gespielt wird. Ich bin mit Leib und Seele Reporterin und habe keine Lust auf einen Leitungsjob. Außerdem gibt es in den außenpolitischen Ressorts nicht viele weibliche Chefredakteure. In mancher Hinsicht geht es im Journalismus noch immer zu wie in einem Herrenclub, und obendrauf liegt eine dicke Glasdecke. Ich bin beruflich und persönlich sehr zufrieden und habe keine Lust auf drogensüchtige Kinder und einen betrunkenen, frustrierten Ehemann mittleren Alters. Oder findest du das arrogant und egoistisch?« Rusty dachte eine Weile nach. »Nein, ich würde es als einen freiwilligen Entschluss bezeichnen, als Entscheidung, die nach reiflicher Überlegung entstanden ist. Du musst nur aufpassen, dass du dir nicht etwas vormachst. Aber offen gestanden habe ich nicht diesen Eindruck. Nein, du bist weder arrogant noch egoistisch.« Kate hob ihr Glas, um ihm zuzuprosten. »Auf uns zwei nicht arrogante Klugscheißer.« Rusty stieß mit ihr an und fügte dann hinzu: »Aber ich halte es dennoch für arrogant, zu glauben, dass ein einzelner Mensch eine Lokomotive zum Entgleisen bringen kann, die auf einen zugerast kommt. Und genau dieses Gefühl habe ich momentan. Ich spüre, dass es Krieg geben wird, Kate, und das wird ein schwarzer Tag für den guten alten Onkel Sam 263

sein. Doch jetzt bin ich hier, und Sarah ist wer weiß wo …« »Rusty, wir sind nun einmal Menschen, keine Heiligen.« Delmarco beugte sich über den Frühstückstisch und berührte seine Hand. »Ich muss aufhören, über mein Leben nachzugrübeln, Kate, und mich stattdessen mit den aktuellen Ereignissen beschäftigen. Trotz der letzten Nacht bin ich nicht hier, um Urlaub zu machen. Mein Boss und einige andere erwarten von mir neue Erkenntnisse. Deshalb haben sie mich hergeschickt, damit ich mich umhöre, bevor etwas geschieht. Inzwischen habe ich den Eindruck, dass eine ganze Menge im Busch ist, aber ich kriege die einzelnen Teile des Puzzles einfach nicht zusammen, geschweige denn, dass ich etwas dagegen unternehmen könnte.« Kate Delmarco holte einen gelben, mit Stichwörtern, Kreisen und Pfeilen bekritzelten Notizblock aus ihrer großen Korbtasche. »Ich gehe normalerweise folgendermaßen vor: Zuerst lasse ich meinen Gedanken freien Lauf, und dann verbinde ich die einzelnen Punkte.« »Und ist schon ein klares Bild dabei entstanden?«, erkundigte sich Rusty. »Noch nicht, doch das, was Ahmed dir erzählt hat, war mir eine große Hilfe. Die Machtverhältnisse in Riad sind weiterhin ungeklärt, und es konnte sich noch keine Fraktion durchsetzen.« »Gut, aber die Ereignisse könnten eine Entscheidung erzwingen.« Rusty stand auf, beugte sich über 264

das Balkongeländer und betrachtete das Wasser. »Nachher fliege ich nach Dubai. Ich bin heute Abend dort mit jemandem verabredet.« »Was für ein Zufall. Ich muss heute auch zurück. Mein dortiges Büro vermisst mich. Sind wir beide in derselben Maschine? Gulf Air um zwei?« Kate kramte das Ticket aus der Korbtasche hervor. »Nein, die Navy bringt mich in einer kleinen Propellermaschine hin, aber ich kann dich leider nicht mitnehmen. Es wäre nicht ratsam, der Gerüchteküche Stoff zu liefern.« Rusty stellte sich hinter sie, hauchte ihr einen Kuss aufs Haar und roch den Zitronenduft ihres Shampoos. »Ich rufe dich morgen im Büro an.« Rusty verließ das Hotel, ging am Taxistand vorbei und überquerte die Straße in Richtung Strandpromenade. Nachdem er zwei Häuserblocks weit den Bürgersteig entlanggeschlendert war, ließ er sich auf einer Betonbank mit hoher geschwungener Lehne nieder. Dann zog er das BlackBerry aus der Tasche, schaltete die PGP-Verschlüsselung ein und tippte rasch einen Text in das kleine Tastenfeld.

An Rubenstein Thema: Neue Informationen

1. Bei den hiesigen US-Streitkräften macht man sich Sorgen, weil der Iran Manöver mit Interventionstruppen durchgeführt hat und möglicherweise einen Einmarsch in Bahrain oder vielleicht auch 265

dem erdgasreichen Qatar plant. Allerdings kann ich noch immer nicht so recht glauben, dass der Iran Streit mit uns anfangen würde. Schließlich müssen die Iraner wissen, dass wir einschreiten würden, auch wenn sie inzwischen Atomwaffen besitzen. 2. Ein größeres Problem könnte die Zusammenarbeit von Islamijah und China bedeuten. Die Führungsstrukturen in Riad haben sich noch nicht gefestigt, aber wenn es hier in der Region zu kriegerischen Handlungen von Seiten der Iraner kommt, könnten die Kräfte in der Schura, die die neuen chinesischen Raketen mit Atomsprengköpfen bestücken wollen, Morgenluft wittern. Selbst wenn es nicht dazu kommt, berichtet die DIA, dass China plant, weitere so genannte Militärberater nach Islamijah zu schicken, was ein Hinweis auf einen geplanten Öl-Exklusivvertrag mit Peking sein könnte. Wenn dieses Öl vom Weltmarkt verschwindet, werden die Preise noch über die derzeitigen 85 Dollar pro Barrel steigen. Conrads Idee, Islamijah mit dem Manöver Bright Star vor seiner Küste einzuschüchtern, könnte genau die gegenteilige Wirkung haben. Möglicherweise wäre das Ergebnis eine Einigung in der Schura auf noch stärkere chinesische Präsenz, um sich vor uns zu schützen. 3. Apropos Conrad: Falls die Gerüchte stimmen, die ich in London aufgeschnappt habe, dass sein Helferlein Kashigian auf geheimer Mission in Teheran war, um den Leuten dort Angst einzujagen, 266

haben wir ein Problem in unserer eigenen Regierung: Wer nimmt welche Aufgaben wahr, und wer muss das genehmigen? 4. Ich habe auch weiterhin den Eindruck, dass uns noch einige Puzzleteilchen fehlen, und außerdem ein mulmiges Gefühl, eine Art Vorahnung, es könnte da etwas im Busch sein. Entschuldigen Sie meine Weitschweifigkeit, mir steckt die Zeitverschiebung noch in den Knochen. Heute geht es weiter nach Dubai. Hoffentlich erfahre ich dort mehr über die Pläne des Iran, und zwar von einem Reisenden, der in den nächsten Tagen aus Teheran eintreffen wird. Übrigens vielen Dank, dass Sie mir nichts über Ihren Freund Sir Dennis erzählt haben. Verschweigen Sie mir sonst noch etwas? Rusty Nachdem er die Mail abgeschickt hatte, sah er nach, ob auf seiner Mailbox Nachrichten auf ihn warteten. Eine war eingetroffen, und zwar von Sarah: »Ankunft Berbera. Mensch, die brauchen hier wirklich dringend Hilfe. Der Projektleiter vor Ort hat mich gebeten, mindestens einen Monat zu bleiben. Gebe dir Bescheid.« Rusty brauchte nicht mehr zu wissen, und er zweifelte keine Minute daran, dass Sarah so viel Zeit dort verbringen würde, wie sie es für nötig hielt. Seiner Frau war es offenbar wichtiger, die Welt zu retten, als etwas für ihre Ehe zu tun. Doch schon im nächsten Moment schalt Rusty sich für diese kleinlichen 267

Gedanken, denn schließlich konnte man ihm denselben Vorwurf machen. Allerdings änderte das nichts an seinem Gefühl. Rusty hatte Kopfschmerzen, und der Rücken tat ihm weh. Er hielt ein Taxi an.

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Kapitel 9 13. Februar

Großer Basar Teheran, Iran »Noch nie habe ich so viele Düfte auf einmal gerochen«, begeisterte sich Bowers, als er mit Brian Douglas die von Menschen wimmelnde schmale Gasse zwischen den Verkaufsbuden entlangschlenderte. »Jasmin, Kreuzkümmel, geröstete Nüsse, Weihrauch, Kaffee. Man wird richtig beschwipst davon.« »Ja, stimmt«, erwiderte Douglas und holte tief Luft. »Ich glaube, wir sollten uns hier nach einem guten Lieferanten umsehen. Schau dir nur die vielen Pistazien an. In Johannesburg wären die Leute begeistert.« Weder beim Verlassen des Hotels noch in der U-Bahn hatte Douglas den Eindruck gehabt, dass sie verfolgt wurden. Doch der iranische Geheimdienst VEVAK bestand aus fähigen Leuten. Keinen Beschatter zu sehen bedeutete noch lange nicht, dass auch keine vorhanden waren. Die beiden Männer gingen von Bude zu Bude, stellten Fragen auf Englisch, kosteten die verschiedenen Speisen und studierten ein paar Drucke. Am Ende einer Gasse befand sich ein Wegweiser zu den Toiletten. »Schau dich nur weiter um«, schlug Douglas Bowers vor. »Bei mir rumort es im Magen. Vielleicht 269

habe ich gestern was Falsches gegessen. Oder es liegt am Wasser. Ich komme gleich nach.« Brian hastete den Gang entlang in Richtung Toiletten, schlüpfte hinter einen hohen Kistenstapel und öffnete eine Hintertür, die in eine Teppichbude führte. Der ältere Mann vom Zeitungsstand im U-Bahnhof saß auf einem Teppichstapel und trank Tee. Neben der Teetasse stand eine Wasserpfeife. Eine nackte Glühbirne, die vom Zeltdach herunterhing, tauchte den Raum in ein dämmriges Licht. Ein Radio dudelte laut. Douglas schloss die Tür hinter sich ab. »Also sind Sie wieder zurück«, begrüßte der Mann den Engländer. Er blieb auf dem Teppichstapel sitzen. »Danke, dass Sie gekommen sind, Heydar. Es ist lange her«, erwiderte Douglas und ließ sich auf dem niedrigeren Teppichstapel dem Mann gegenüber nieder. »Eine lange Zeit, in der viele getötet wurden. Aber zuerst wurden sie gefoltert. Gelobt sei Allah, dass sie den Namen meines Sohnes nicht preisgegeben haben. Doch wenn es dazu gekommen wäre – wie hätten Sie uns dann zur Flucht verhelfen wollen, nachdem Sie den Kontakt bereits abgebrochen hatten?« Heydar Khodadad war älter geworden, und Falten hatten sich in sein Gesicht eingegraben. Seine Augen lagen tief in den Höhlen. »Sie haben Sie und Ihren Sohn nicht verraten, Heydar, weil sie Ihre Namen nicht kannten«, antwortete Douglas in schnellem, fließendem Farsi. »Ich ha270

be auf diese strenge Trennung geachtet, damit den anderen nichts geschehen konnte, falls einige von Ihnen enttarnt werden sollten. Indem Sie hier geblieben sind und sich unauffällig verhalten haben, waren Sie weniger gefährdet, als wenn wir versucht hätten, Sie rauszuholen. Ich habe jeglichen Kontakt abgebrochen, damit der VEVAK keine Verbindung zwischen Ihnen, mir und dem Netzwerk herstellt. Aber das Geld haben Sie doch sicher erhalten, oder?« Der Mann nickte. »Motesbakkeram. Danke.« »Wie geht es Soheil?«, erkundigte sich Brian, nachdem er sich aus der Kanne, die auf einer elektrischen Kochplatte stand, ein Glas Tee eingeschenkt hatte. »Mein Sohn ist in Sicherheit. Er verabscheut seinen Beruf und die Menschen, mit denen er dadurch zu tun hat, aber was bleibt ihm anderes übrig? Wenn er kündigt, wird man sofort Verdacht schöpfen und ihn für einen Verräter halten.« Heydars Stimmung wurde ein wenig versöhnlicher. Brian füllte das Glas seines Gastgebers nach, als der alte Mann weitersprach. »Diese Leute sind nichts als Zyniker. Sie lockern die Vorschriften ein wenig, damit der Dampf entweichen kann und der Eindruck entsteht, dass unsere Gesellschaft wirklich ein bisschen freier geworden ist. Sie tun sogar so, als hielten sie Wahlen ab. Aber in Wahrheit haben die Männer, die niemand sieht, und ihre Mullahs weiter die Zügel in der Hand. Sie füllen ihnen die Taschen. Sie spielen ihr Spiel im Libanon und im Irak. Sie bauen ihre Bomben, während die 271

Bevölkerung astronomische Preise für Lebensmittel, für ein Dach über dem Kopf und für die Gesundheitsfürsorge bezahlen muss. Ohne Ihr Geld wäre meine Frau vielleicht gestorben. Der staatliche Gesundheitsdienst ist ein schlechter Witz.« Douglas freute sich zu hören, dass sich Heydars Einstellung zur iranischen Regierung nicht geändert hatte. Er hoffte, dass für seinen Sohn dasselbe galt. »Bestimmt wollen Sie sich noch einmal mit Soheil treffen, nicht mit mir, einem alten Zeitungshändler. Dann werden Sie wieder sein Leben in Gefahr bringen. Falls Sie oder Soheil beschattet werden, werden Sie dann mehr zu unserer Rettung unternehmen, als Sie damals für Ebrahim, Yaghoub oder Cirrus getan haben?« Heydar zählte die Namen der im Auftrag der Briten operierenden V-Leute auf, die in den Gefängniszellen des VEVAK gelandet und dort eines qualvollen Todes gestorben waren. »Heydar, der VEVAK ist mir nie auf die Schliche gekommen. Sie konnten uns infiltrieren, weil einer von uns, nicht ich, nachlässig geworden war. Ich habe in den letzten zwanzig Jahren im Libanon, im Irak und in Bosnien gearbeitet, und dass ich noch am Leben bin, habe ich sicher nicht meiner Schlamperei zu verdanken. Ich lebe noch, weil ich gut in meinem Job bin. Soheil kann sich einen sicheren Treffpunkt aussuchen.« Nun war Brian weder der höfliche Diplomat noch der provinzielle Nusshändler, sondern ein Mann, der Erfahrung darin hatte, Agenten in Krisengebieten anzuwerben und sie dazu zu bringen, Risiken einzugehen. 272

»Morgen Abend«, erwiderte der Zeitungshändler knapp. »Ich habe ihm gesagt, dass Sie hier sind und mir das Signal zu einer Zusammenkunft gegeben haben. Allerdings habe ich ihm davon abgeraten, Sie zu treffen, weil es zu gefährlich ist. Doch es war ihm einfach nicht auszureden. Hier ist die Adresse. Morgen Abend um zehn.« Er reichte Brian einen Zettel. »Gehen Sie jetzt.« Nachdem Brian die Adresse auswendig gelernt hatte, nahm er ein Streichholz aus der Schachtel, die neben der Wasserpfeife des alten Mannes lag, zündete den Zettel an und ließ ihn auf den Betonboden fallen. »Motesbakkeram«, sagte er und verließ seinen Gastgeber. Erst morgen Abend. Eigentlich hatte er bis dahin längst fort sein wollen. Wieder dachte Brian an die Kameras am Flughafen, strich sich mit beiden Händen über den kahlen Schädel und über seine aufmodellierte Nase. Es war warm im Basar.

An Bord des Fluges United States Air Force Nummer 3676 Mobiler Kommandoposten des US-Verteidigungsministers (E-4B) 13 000 Meter über dem Nordatlantik »Brad Adams – schön, dich zu sehen, alter Junge. Ich habe gerade gehört, dass du an Bord bist.« Der Brigadegeneral der Air Force trug einen eng anliegenden 273

grünen Overall. »Herzlichen Glückwunsch zu deiner Karriere, Mann. Wie du siehst, ist es bei mir nicht ganz so prächtig gelaufen. Bis zum Brigadier habe ich es zwar gebracht, aber ich denke, das ist es dann wohl gewesen. Zumindest habe ich auf dieser Maschine als Kommandant das Sagen. Tut mir Leid, dass wir einem Vizeadmiral nichts Besseres zu bieten haben, aber der Chef belegt die Kabine vorne.« Adams warf einen raschen Blick auf das am Fliegeroverall des Offiziers befestigte Namensschild. Er erinnerte sich an George Duke, der ein Jahr als Austauschstudent an der Air University in Alabama verbracht hatte. Damals hatten sie beide in den Startlöchern gestanden – er selbst war kurz darauf Captain bei der Navy geworden, Duke Colonel bei der Air Force. Ihre Häuser auf dem Stützpunkt hatten aneinander angegrenzt. »Deine kleine Tochter hieß doch Shawndra, richtig? Mein Jackie hat mächtig für sie geschwärmt«, sagte Adams und stand von der Pritsche im hinteren Teil der Maschine auf. »Ja, meine Frau war gar nicht erfreut über diese Liebesgeschichte zwischen zwei Hautfarben. Sie ist eben ein bisschen altmodisch. Letztes Jahr hat mich Shawndra übrigens zum Großvater gemacht. Mann, habe ich mich alt gefühlt. Hast du Lust, dich ein wenig umzuschauen?«, fragte Brigadegeneral Duke und wies auf die Tür im Spant. Adams folgte ihm. »Der Vogel ist gerade auf Vordermann gebracht worden. Es ist zwar noch immer eine 747-200, aber alles ist 274

funkelnagelneu. Flugwerk überholt, neue Triebwerke, neues Kommunikationssystem, neue Computer. Früher, im Kalten Krieg, war dieses Ding so ausgestattet, dass wir von hier oben einen Atomkrieg hätten führen können. Die Interkontinentalraketen konnten direkt von der Kabine aus in Marsch gesetzt werden. Theoretisch ginge das natürlich immer noch, aber es ist nicht unsere Hauptaufgabe. Heute sind wir ein mobiles Kriseneinsatzkommando. Allerdings heißt die Kabine noch immer ›Gefechtsstand‹, und ich werde als Kommandant des Gefechtsstandes bezeichnet. Doch normalerweise bestehen unsere Einsätze darin, ein Katastrophenschutzteam in ein Hurrikangebiet zu fliegen und den Leuten so lange ein Büro und Kommunikationseinrichtungen zur Verfügung zu stellen, bis sie allein klarkommen.« Der Gefechtsstand war mit einer Reihe von Schreibtischen, mit Computerkonsolen, Kopfhörern und Mikrofonen ausgestattet. Die Sitze erinnerten an Kokons aus einem netzartigen Material und hingen von der Decke herunter. Die Beleuchtung war gedämpft, und bis auf das Rauschen der Belüftungsanlage und das Brummen der Triebwerke war es still in der Kabine. Nur wenige Plätze waren besetzt. Adams hatte beobachtet, dass sich der Großteil der Besatzung im rückwärtigen Teil der Maschine ausruhte. »Wir sollen jeden Moment mit einer KC-10 auf einen Drink zusammentreffen. Wenn du mal sehen möchtest, wie sich zwei Riesenvögel mitten in der Luft aneinander hängen, hole ich dich zum Auftan275

ken nach oben«, schlug Duke vor, während sie ihren Weg durch die große Maschine fortsetzten. Eine weitere Tür führte in eine kleinere Kabine, die als Konferenzraum eingerichtet war. »Das hier ist unser Lageraum. Angeblich ist er dem im Weißen Haus genau nachempfunden.« Es war kein Mensch zu sehen. »Wirklich hübsch, George«, erwiderte Adams und ließ sich auf Aufforderung des Generals in einem der großen Ledersessel nieder, die rings um einen auf Hochglanz polierten Tisch am Boden verankert waren. »Jetzt musst du mir nur noch verraten, warum der Verteidigungsminister in diesem Ding in die Türkei fliegt.« »Tja, wir mussten den Vogel ohnehin mal wieder bewegen. Ohne diesen Einsatz würden wir eben vierzig Stunden lang gemütlich über Oklahoma kreisen. Außerdem wurde die Maschine ja für den Verteidigungsminister gebaut. Höchst unwahrscheinlich, dass der Präsident sie je benutzen wird. Selbst in einer Krise würde er vermutlich die Air Force One nehmen oder sich in irgendeiner Höhle verkriechen. Der Verteidigungsminister ist genauso wie der Präsident ermächtigt, das Oberkommando über die Streitkräfte zu führen und sogar Atomwaffen einzusetzen. Falls es also zu einer Krise kommt, während er sich auf Reisen befindet, ist es besser, wenn er in dieser Maschine sitzt und nicht in einer zivilen 757, die gerade mal über zwei Satellitenfunk-Kanäle verfügt. Und dann, Brad, darf man nicht vergessen, wie die Leute auf diesen Vogel reagieren. Alle übrigen NATO-Verteidigungs276

minister werden in Gulfstreams oder anderen kleineren Jets in der Türkei eintrudeln. Und dann erscheint unser Mann in einer großen blauweißen 747, auf der in riesigen Buchstaben die Worte United States of America stehen. Es ist zwar nicht gerade die Air Force One, sieht aber nicht viel anders aus.« »Vermutlich hast du Recht. Außerdem ist es hier an Bord sicher bequemer als in einer der zivilen 757, mit denen wir unsere Kongressabgeordneten in der Welt herumkutschieren«, lachte Brad. »Minister Conrad ist jedenfalls begeistert von unserem Service«, entgegnete Duke grinsend. »Er hat den Vogel für die nächsten vier Wochen gebucht. Im Anschluss an die Türkei geht es nach Ägypten, und der Rest steht noch offen. Wir hatten Anweisung, Luftkarten und Flughafenpläne der Arabischen Halbinsel mitzunehmen. Dreimal darfst du raten, wo er hinwill.« »George, wenn die Reise auch nach Bahrain geht, musst du mich unbedingt besuchen«, erwiderte Adams, während er überlegte, welche Ziele auf der Arabischen Halbinsel wohl in Frage kamen. »Dann zeige ich dir meinen Kommandoposten. Er ist ein bisschen länger als deiner und nicht halb so elegant, aber er schwimmt besser.« Major Chun kam herein. »Admiral Adams, der Herr Minister möchte Sie jetzt sehen.« Chun begleitete Adams in einen anderen Konferenzraum und anschließend durch eine weitere Tür mit der Aufschrift NCA. »Das ist das Büro der Nati277

onal Command Authority – des Oberbefehlshabers –, Sir. Gleich hier um die Ecke sitzt der Minister.« »Brad Adams, richtig?«, begrüßte ihn Verteidigungsminister Henry Conrad, als er dem Admiral mit ausgestreckter Hand auf dem schmalen Flur entgegenkam. Sein Händedruck war fest, die Hand selbst schwielig. Der Verteidigungsminister trug eine Pilotenjacke der Air Force, ein blaues Hemd mit Buttondown-Kragen und eine hellbraune Khakihose, wodurch er ein wenig so aussah, als sei er gerade auf dem Weg zum fünfzigjährigen Klassentreffen. »Kommen Sie mit. Haben Sie schon gegessen? Ich wollte mir gerade was zwischen die Kiemen schieben. Leisten Sie mir doch Gesellschaft.« Die kleine Kabine des Ministers bot Platz für einen Tisch, zwei Stühle und ein Doppelbett. Eine Wand war nahezu komplett von Flachbildschirmen bedeckt, außerdem standen dort zahlreiche Telefone. Auf einem der Monitore war eine Landkarte zu sehen, über die langsam ein kleines weißes Flugzeug hinwegglitt. Zwei weitere zeigten dunkle Wolken, die Aussicht, die sich vor dem Bug und unmittelbar unterhalb der Maschine bot. Auf dem Tisch standen zwei Mahlzeiten unter Wärmehauben aus Metall. »Hoffentlich mögen Sie Steak, Admiral. Steak ist mein Leibgericht. Leuten, die kein Fleisch essen, kann man nicht trauen.« Als der Verteidigungsminister die Hauben entfernte, kamen zwei Porterhouse-Steaks mit Kartoffelpüree zum Vorschein. Ein Steward der Air Force erschien mit zwei kalten Flaschen Heine278

ken. »Auf Ihr Wohl«, prostete Henry Conrad seinem Gast zu. Er zerteilte das gewaltige Steak und fuhr fort: »Tut mir Leid, dass ich Sie so überrumpelt habe, aber im Büro wurde die Zeit knapp. Ich musste wegen einer dämlichen Ressortleitersitzung des Nationalen Sicherheitsrats ins Weiße Haus. Kolumbien mal wieder. Und dabei interessiert mich Kolumbien einen feuchten Dreck. Der Nahe Osten ist ein Pulverfass, die Chinesen wollen uns ans Eingemachte, und der Nationale Sicherheitsberater hat nichts Besseres zu tun, als eine Eilsitzung zum Thema Kolumbien anzuberaumen, weil irgendein Drogenermittler des Außenministeriums entführt wurde. Und wir sollen jetzt die Kastanien aus dem Feuer holen.« Adams hatte zwar vorhin in seiner Kabine bereits ein Sandwich gegessen, doch das Steak war so köstlich, dass er es mit Appetit verzehrte, während er diesem redseligen Mann mit den raumgreifenden Gesten lauschte. Er konnte sich nicht erinnern, je an Bord eines amerikanischen Militärflugzeugs oder -schiffes ein Heineken getrunken zu haben. »Die Lage sieht folgendermaßen aus, Brad: Die Chinesen haben eine Offensive gestartet. Ihre Wirtschaft überhitzt nun schon seit fast zwei Jahrzehnten, und zwar dank der zahlreichen Ideen, die ihre Wirtschaftsspione in unserem Land geklaut haben. Es gibt kaum ein Unternehmen, dem nicht Rezepte, Formeln und Designs gestohlen worden sind. Sie haben eine Automobilindustrie aufgebaut, und der Export läuft glänzend. Ein wahres Wunder. Gleichzeitig schlucken 279

ihre Autos im Inland sowie ihre Industrie Öl, als ob es unbegrenzt vorhanden wäre. Mittlerweile importieren sie so viel von dem Zeug wie wir. Das war kein Problem, solange der Großteil der weltweiten Ölreserven den Saudis gehörte und wir langfristige Verträge mit ihnen hatten. Doch jetzt haben es die Chinesen auf einen Exklusivvertrag für dieses Öl abgesehen. Seit dem Staatsstreich dort bezahlen wir uns dumm und dusselig, weil wir das Öl nach Tagespreis auf dem freien Markt kaufen müssen.« Er spuckte ein Stück Knorpel aus. »Wenn die Chinesen das Öl mit Exklusivrechten ganz vom Markt nehmen, kriegen wir nur noch die Reste ab, und zwar für astronomische Summen.« Der Steward servierte Käsekuchen mit Himbeersauce. Conrad reichte dem Mann den leeren Steakteller. »Und nun haben wir von diesem chinesischen Admiral, der für die Australier arbeitet, erfahren, dass Peking heimlich Truppen in Saudi-Arabien einschleusen will, eine Art Prätorianergarde für die Terroristen, die in Riad an der Macht sind. Für unsere Freiheitskämpfer wird es ganz schön schwierig werden, diese Terroristen zu verjagen, solange sie unter dem Schutz der Volksbefreiungsarmee stehen!« Adams fragte sich, wer diese Freiheitskämpfer wohl waren. Doch Minister Conrad hatte sich so in Fahrt geredet, dass der Admiral es für unklug hielt, ihn jetzt mit Fragen zu unterbrechen. »Und nicht nur das. Zusätzlich schicken sie die Hälfte ihrer gottverdammten Flotte in den Indischen 280

Ozean und vermutlich auch nach Saudi-Arabien. Mithilfe ihrer Flugzeugträger können sie dem Regime in Riad zusätzlich aus der Luft Feuerschutz gewähren. Vielleicht planen sie sogar, einen davon auf Dauer dort zu stationieren, um ihre Kommunikationsverbindungen über das Meer und die Öllieferungen aus China zu sichern. Wer weiß? Möchten Sie auch einen koffeinfreien Kaffee zum Nachspülen?« Ohne die Antwort abzuwarten, bediente Conrad die Gegensprechanlage und bestellte zwei Tassen Kaffee. »Vielleicht, aber nur vielleicht, kriegen die Islamisten von ihnen sogar Atomsprengköpfe für die Raketen, die sie ihnen gerade verkauft haben. Wäre das nicht spitze? Noch ein durchgeknalltes Regime mehr mit Terrorkontakten, das Atomwaffen besitzt? Das darf ich nicht zulassen, Brad. Auf gar keinen Fall. Nicht während meiner Amtszeit. Meine Vorgänger haben tatenlos zugesehen, wie sich Nordkorea, Pakistan und der Iran atomar bewaffnet haben. Die Chancen, dass eines von diesen Dingern in die Wall Street einschlägt, werden allmählich zu hoch.« Endlich erhielt Admiral Adams Gelegenheit, etwas einzuwenden. »Ich bin über die chinesische Marine und die Geheiminformationen, was ihre Pläne angeht, instruiert worden. Die Flotte, die sich derzeit auf dem Weg zum Indischen Ozean befindet, macht einen ziemlich guten Eindruck.« Conrad schüttelte den Kopf. »Auf den ersten Blick vielleicht schon, doch den Chinesen fehlt die Erfahrung im Kampf auf dem offenen Meer. Könn281

ten Sie die Kähne versenken, wenn ich Ihnen den Befehl dazu gebe?« Der Minister beugte sich über den kleinen Tisch, sein Gesicht war so dicht an dem von Adams, dass dieser das Bier in seinem Atem riechen konnte. Adams überlegte. »Wenn ich einen Erstschlag führen darf und zuvor ihre U-Boote aufspüren kann, ja«, erwiderte er zögernd. »In diesem Fall wäre ich mir meiner Sache ziemlich sicher, natürlich vorausgesetzt, dass mein Kampfverband im Indischen Ozean liegt, anstatt am Golf gebunden zu sein.« Offenbar gefiel Conrad diese Antwort, denn er grinste breit. »Drei U-Boote von CinCPAC beobachten die Chinesen im Südchinesischen Meer. Bis jetzt kennen wir den Standort ihrer U-Boote, während sie völlig ahnungslos zu sein scheinen. Unsere U-Boote werden die Chinesen bis zum Indischen Ozean verfolgen und anschließend zu Ihrer Unterstützung bereitstehen«, sagte der Verteidigungsminister und aktivierte einen Flachbildschirm, der eine Karte zeigte. Symbole, die Schiffe darstellten, waren entlang der Straße von Malakka verteilt. »Passen Sie auf, Adams. Ihr Kampfverband und unsere sämtlichen im Golf stationierten Kräfte werden die Region verlassen, und zwar unter dem Vorwand, dass Sie zum Manöver Bright Star ins Rote Meer aufbrechen. In Wirklichkeit jedoch werden Sie eine Abwehrkette bilden, um die beiden chinesischen Kampfverbände zu blockieren. Der eine wird vermutlich das Rote Meer ansteuern, der andere den Golf. Ich weiß nicht, wie lange 282

ich brauchen werde, um Ihnen die nötigen Befehle zu beschaffen. Die Angelegenheit liegt noch immer auf dem Schreibtisch des Präsidenten, und der ist nun einmal von Bedenkenträgern umgeben. Dieser Professor zum Beispiel, den er sich als Sicherheitsberater ins Haus geholt hat … Sie werden doch keine Probleme haben, den Befehl auszuführen, sobald Sie ihn von mir erhalten, oder, Brad?« Während der Minister diese Frage stellte, geriet die Maschine in eine Turbulenz und begann zu wackeln. »Herr Minister, wenn ich von Ihnen den Befehl erhalte, meine Flotte zu bewegen und eine Abwehrkette zu errichten, ist das so gut wie erledigt. Doch um den ersten Schuss abzugeben, brauche ich einen Befehl vom Oberbefehlshaber. Schießen die anderen jedoch zuerst oder feuern sie sogar atomar bestückte Marschflugkörper auf uns ab, bleibt von meiner Flotte vermutlich nicht mehr viel übrig. Wie dem auch sei, Sir, macht es jedenfalls ganz den Eindruck, dass wir durch eine solche Konfrontation – ob nun atomar oder nicht – in einen Krieg mit China verwickelt werden, und dort scheut man vor dem Einsatz von Nuklearwaffen sicher nicht zurück.« Henry Conrad schwieg eine Weile. »Sie werden alle notwendigen Befehle bekommen, Admiral. Und zwar vom Oberbefehlshaber selbst. Was einen möglichen Krieg mit China angeht, überlassen Sie das am besten mir. So dumm können die Chinesen gar nicht sein. Schließlich haben wir die Möglichkeit, ihre Atomraketen in wenigen Minuten auszuschalten, anschlie283

ßend die Infrastruktur ihrer Wirtschaft in Schutt und Asche zu legen und sie zurück ins Jahr 1945 zu bomben. Und das wissen sie ganz genau.« »Aye, aye, Sir«, erwiderte Adams. Conrad erhob sich. »Also gut. Und jetzt hauen Sie sich am besten aufs Ohr, falls Sie in dieser Schaukelkiste überhaupt schlafen können.« Der Verteidigungsminister legte Admiral Adams den Arm um die Schulter und brachte ihn zur Tür. »Sehen Sie, was da steht, Brad? NCA. National Command Authority – Oberbefehlshaber. Diese Ermächtigung besitzen nur der Präsident und der Verteidigungsminister. Einer meiner Vorgänger wäre diesen Titel gerne losgeworden und wollte auch die CinCs, die regionalen Oberkommandierenden, abschaffen. Doch ich habe sie wieder eingeführt. CinC. Das klingt doch nicht schlecht. Zum Beispiel CinCPAC.« Conrad zwinkerte ihm zu. »CinCPAC, Adams, dagegen hätten Sie doch sicher nichts einzuwenden. Sie werden meinen Auftrag erfolgreich ausführen, nicht wahr, Brad?« Conrad klopfte ihm auf den Rücken, wandte sich um und kehrte in die NCA-Suite zurück. Adams machte sich auf den Weg zu seiner Pritsche im Heck der Maschine; das Flugzeug wurde noch immer durchgeschüttelt, sodass er sich an den Wänden festhalten musste. Da der Gang zwischen den Konferenzräumen ziemlich schmal war. trat er beiseite, um einem entgegenkommenden Zivilisten Platz zu machen. Als die Maschine erneut heftig schlingerte, wurden die beiden Männer gegen die Wand geworfen. 284

»Admiral Adams«, hörte er da die Stimme von Unterstaatssekretär Ronald Kashigian. »Herr Staatssekretär«, erwiderte Adams, überrascht, dass der Mann ihn überhaupt wiedererkannte. »Haben Sie Ihren Besuch in Tampa genossen? Es gibt tolle Restaurants dort, auch wenn die Küche mir manchmal zu scharf würzt. Wir sehen uns in der Türkei, Admiral.« Mit diesen Worten steuerte Kashigian auf die Suite des Oberbefehlshabers zu.

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Kapitel 10 15. Februar

Fruits of Persia Ltd. Dolab-Viertel Teheran, Iran »Sie bekommen bei mir keine roten Nüsse«, beharrte Bardia Naqdi. »Wenn Sie trotzdem unbedingt welche wollen, müssen Sie sie eben selbst färben.« »Das wird unsere Kosten aber beträchtlich erhöhen«, wandte Simon Manley ein. »Dann müssen Sie dem Markt in Südafrika eben beibringen, die Nüsse in ihrer natürlichen Farbe zu akzeptieren. Pistazien sind nun einmal nicht rot. Wissen Sie eigentlich, wer mit der Färberei angefangen hat? Natürlich die Amerikaner. Wir Perser tun so etwas nicht.« Naqdi schlug mit der Hand auf den Tisch. Brian Douglas alias Simon Manley sah seinen Geschäftspartner fragend an. »Na, Bowers, glaubst du, wir können unseren Kunden naturbelassene Nüsse verkaufen?« »Ich denke schon, Simon. Die Endverbraucher sind inzwischen sehr gesundheitsbewusst, und wenn wir ihnen klar machen, dass die rote Farbe künstlich ist, werden sie solche Nüsse nicht mehr kaufen«, erwiderte Bowers und blickte von dem Block auf, in dem 286

er die Verhandlungsergebnisse des heutigen Tages notiert hatte. »Allerdings wäre da noch die Frage der Aflatoxine zu klären, die, wie du weißt, krebserregend sind. In der EU gab es in der Vergangenheit Schwierigkeiten mit iranischen Pistazien, da der Grenzwert von 15 ppb überschritten wurde, das sind 15 Teile pro Milliarde …« Naqdi rang die Hände. »Allah, steh mir bei! Wir Perser essen seit Anfang der Geschichtsschreibung vor fünftausend Jahren Pistazien. Vermutlich sogar noch länger. Und haben Sie hier jemals einen Menschen wegen ihrer Afladingsda tot umfallen sehen? Pistazien sind etwas für Liebende. Sie waren das Aphrodisiakum der Königin von Saba. Wenn ein junges Liebespaar nachts unter einem Pistazienbaum sitzt und hört, wie die Nüsse aufplatzen, kann es mit einem langen gemeinsamen Leben rechnen. Einem langen und gesunden Leben, Mr. Bowers.« »Schön und gut. Aber dennoch muss im Vertrag stehen, dass wir jegliche Verantwortung ablehnen, wenn die südafrikanischen Behörden uns aus gesundheitlichen Gründen die Einfuhr verweigern«, erwiderte Bowers und machte sich erneut eine Notiz. Douglas sah auf die Uhr. Es war kurz vor halb zehn Uhr abends. »Also gut. Sollen wir die Liste für die erste Lieferung noch einmal durchgehen? Eintausend Kilo Pistazienkerne ohne Häutchen. Fünfhundert Kilo geschält. Fünfhundert Kilo süße und bittere Mandeln, halb und halb. Eintausend Kilo Sultaninen und zweihundert Kilo getrocknete Feigen. Zwanzig 287

Prozent per Überweisung bei Vertragsabschluss und die restlichen achtzig, wenn wir von der Spedition die Bestätigung erhalten, dass die Lieferung unterwegs ist. Abgemacht?« »Ja, abgemacht. Allah sei Dank, dass es nicht länger gedauert hat. Ich habe schon befürchtet, uns noch ein Frühstück bestellen zu müssen«, scherzte Naqdi und wies auf die Überreste des Abendessens, das sie zuvor in seinem Konferenzraum eingenommen hatten. »Dann erwarten wir, dass der Vertrag morgen früh zu uns ins Hotel gebracht wird«, meinte Bowers, klappte sein Notizbuch zu und erhob sich vom Tisch. »Ja, und wir erhalten dann bis zum Abend eine Überweisung von Ihrer Bank«, entgegnete Naqdi und begleitete die beiden Südafrikaner zur Tür. »Allerspätestens einen Tag darauf«, versicherte ihm Simon Manley und schüttelte Naqdi die Hand. Naqdi öffnete die Tür zu einer Empore, von der aus man das dunkle Lagerhaus mit seinen Stapeln von Säcken und Kisten überblicken konnte. Der kräftige Geruch von Trockenfrüchten lag in der stickigen Luft. Doch die Kühle in dem riesigen Raum wirkte belebend auf die Männer, die fast sechs Stunden lang geraucht und verhandelt hatten. »Finden Sie den Weg zurück in die Innenstadt?«, erkundigte sich Naqdi an der Tür. »Das ist nämlich gar nicht so leicht. Es fehlen immer wieder Straßenschilder, und viele Laternen sind defekt. Obwohl wir hier diejenigen sind, die Devisen ins Land bringen, wird dieses Stadtviertel vernachlässigt.« 288

»Wir haben einen Stadtplan«, erwiderte Douglas. »Und außerdem haben wir den Hinweg ja auch gefunden. Salam.« Bowers und Douglas zwängten sich in den kleinen Mietwagen, den sie sich über das Hotel besorgt hatten. Während Bowers den Motor anließ, entfaltete Douglas die große Straßenkarte und studierte sie im winzigen Lichtkegel einer kleinen Taschenlampe. Naqdi kehrte in sein Reich der Nüsse und des Trockenobstes zurück. Bowers warf einen Blick in den Rück- und den Seitenspiegel. Auf der Straße waren keine anderen Fahrzeuge zu sehen. Offenbar wurde in diesem Gewerbegebiet nachts nicht gearbeitet. »Also gut, Navigator«, meinte er zu Douglas. »Du hast uns hergebracht. Also musst du uns wieder nach Hause lotsen. In welche Richtung fahren wir?« In den nächsten zehn Minuten holperten sie über von Schlaglöchern übersäte Straßen und landeten zweimal in einer Sackgasse. Ein Beobachter musste den Eindruck bekommen, dass sie sich verfahren hatten. Und falls ihnen tatsächlich jemand gefolgt wäre, hätten sie ihn dank Bowers’ zahlloser Wendemanöver vermutlich längst bemerkt. Endlich stießen sie auf eine Hauptstraße, die sie – scheinbar noch immer desorientiert – in nordöstlicher Richtung weiterfuhren, obwohl Teherans Innenstadt im Nordwesten lag. An einem Schild, das besagte, dass sie sich nun im Bezirk Doschan Tappeh befanden, hielten sie wieder an, um einen Blick auf die Karte zu werfen. Und falls der 289

Wagen doch abgehört wurde, war dem nun folgenden Gespräch deutlich zu entnehmen, dass die beiden Südafrikaner sich hoffnungslos verirrt hatten. »Du Blödmann! Deinetwegen sind wir in die völlig falsche Richtung gefahren, Simon!«, hallte Bowers’ Gebrüll durch das Auto. »Du bist wirklich ein Vollidiot. Erst hättest du uns fast das Geschäft mit den Nüssen vermasselt, und jetzt findest du nicht einmal mehr den Rückweg zum Hotel.« »Alleine hättest du den Geschäftsabschluss niemals hingekriegt, Bowers«, gab Simon Manley zurück. »Und mit dem Rückweg bist du vermutlich genauso überfordert. Wir werden ja sehen, wer zuerst wieder im Hotel ist!« Mit diesen Worten griff Brian Douglas, alias Simon Manley, nach Mantel und Mütze, die auf dem Rücksitz lagen, sprang aus dem Wagen, knallte die Tür hinter sich zu und marschierte in östlicher Richtung davon. Nachdem Bowers ein paar Minuten gewartet hatte, wendete er das Auto und fuhr langsam weg. Als er in den Seitenstraßen und im Rückspiegel nach möglichen Verfolgern Ausschau hielt, konnte er nichts entdecken. Die Hände in die Taschen des iranischen Wintermantels gesteckt und die Mütze tief in die Stirn gezogen, ging Douglas zwanzig Minuten lang weiter, vorbei an den Schneewällen zu beiden Seiten der Straße, die hier höher und weißer waren als in der Innenstadt. Brian erinnerte sich an andere kalte Nächte, die er in Mosul und Baku verbracht hatte, als sein irani290

sches Netzwerk sich allmählich auflöste. Um zehn nach zehn erreichte er eine Bushaltestelle, und schon vier Minuten später erschien zu seiner Erleichterung tatsächlich ein grüner Stadtbus. Douglas kaufte eine Fahrkarte und ging an den übrigen sieben Passagieren vorbei zu einem Platz neben der rückwärtigen Tür. Um 22.29 Uhr stoppte der Bus an der Endhaltestelle in dem Vorort Doschan Tappeh. Rings um die Bushaltestelle herrschte ein wenig Leben. Aus zwei Cafés drang ein Lichtschein, und auch ein kleiner Markt schien noch geöffnet zu sein. Douglas betrat eines der Cafés und bestellte am Tresen eine Tasse Tee und ein Baklava. Niemand folgte ihm in das Lokal. Auch bei einem Blick aus dem Fenster wies nichts darauf hin, dass sich draußen jemand herumtrieb. Seit dem Eintreffen des Busses war kein weiteres Fahrzeug auf dem kleinen Platz zu sehen gewesen. Um 22.42 Uhr verließ Douglas das Café, nachdem er das übliche kleine Trinkgeld auf dem Tresen hinterlassen und dem Wirt dahinter eine gute Nacht gewünscht hatte. Draußen angekommen, ging er von dem kleinen Platz aus nach links und bog an der nächsten Seitenstraße wieder links ein. Noch immer kein Verfolger in Sicht. Um 22.54 Uhr erreichte Brian Douglas ein Wohnviertel und schob die Tür des ersten Hauses an der Ecke auf. Sie war nicht verschlossen und führte in einen dämmrigen, weiß verputzten Flur. Etwa auf der Hälfte des Flurs, der zum Garten führte, drehte Douglas einen Türknauf auf der rechten Seite. 291

»Pünktlich wie immer«, stellte Soheil Khodadad fest und kam dem britischen Agenten durch das hell erleuchtete Zimmer entgegen. Die beiden Männer schüttelten sich freundschaftlich die Hand. »Setzen Sie sich doch ans Feuer. Ich habe Tee gekocht. Meine Frau ist bei ihrer Mutter, sonst würde ich Ihnen auch etwas zu essen anbieten«, sprach er weiter und nahm dem Besucher Mantel und Mütze ab. »Vater war nicht sehr erfreut, Sie zu sehen. Er nannte Sie eine Geisterscheinung, die kommt, um einen zu holen, wenn man tot ist.« Der durchtrainierte Iraner war etwa vierzig Jahre alt. Rings um seinen Sessel stapelten sich Bücher und Zeitschriften. »Aber ich bin sehr froh, dass Sie hier sind. Wir haben eine Menge zu bereden. Doch ich wusste nicht, wie ich Sie erreichen sollte. Am besten übernachten Sie hier und fahren morgen früh mit den Pendlern im Bus in die Stadt. Wenn Sie hier spätnachts auf der Straße herumlaufen, könnte das verdächtig wirken.« Douglas stimmte zu. Ihm fiel auf, dass das Telefonkabel aus der Steckdose gezogen war. Die Vorhänge waren geschlossen, und das Radio am Fenster übertrug eine Talkshow. »Wir hielten es nach Baku und der Festnahme der anderen für sicherer, den Kontakt für eine Weile vollständig abzubrechen«, erwiderte Douglas leise und nahm Khodadad gegenüber Platz. »Wie ich Ihrem Vater bereits sagte, kannten die anderen Sie nicht, weshalb Ihnen auch nichts geschehen konnte. Doch unsere Leute, die herkamen, um sich mit Ihnen und den anderen zu treffen, oder 292

die nach Dubai, Istanbul und Baku zu den toten Briefkästen und diversen Treffen gefahren sind, könnten möglicherweise enttarnt worden sein. Wenn ich Grund zu der Annahme gehabt hätte, dass Ihnen Gefahr droht, hätten wir Sie irgendwie rausgeholt.« »Gut, dass Sie es nicht versucht haben. Niemand verdächtigt mich. Und nun bin ich dank meiner Freunde von der Madras Haqqani sogar befördert worden.« Soheil lachte spöttisch. »Wenn ich mich recht entsinne, haben Sie auch eine Zeit lang an der theologischen Hochschule in Qom studiert.« Douglas versuchte, sich Einzelheiten aus Khodadads Akte ins Gedächtnis zu rufen. »Ja, das stimmt. Zwei Jahre lang, bevor ich an die Universität zurückgekehrt bin. Dort rekrutiert unser VEVAK viele seiner Leute. Meine Freunde aus dieser Zeit bekleiden inzwischen mittlere Führungspositionen im VEVAK. Und als sie jemanden im Außenministerium als Verbindungsmann zum VEVAK brauchten, haben sie sich an den stellvertretenden Leiter der dortigen Forschungsabteilung gewandt – also an mich.« Soheil Khodadad breitete die Arme aus. »Vor Ihnen sitzt der Leiter der Abteilung 108 im Außenministerium, oberster Verbindungsmann zum VEVAK.« Brian Douglas musste lächeln. »Wenn es das Netzwerk noch gäbe, hätte ich für Ihre Beförderung einen Bonus bekommen. Wirklich erstaunlich. Die Abteilung 108 gehört zu den großen Geheimnissen, von denen wir zwar gehört, die wir aber nie richtig verstanden haben. Und Sie sind jetzt der Chef?« 293

»Der VEVAK hat dort das Sagen, Andrew.« Soheil sprach Brian Douglas, alias Simon Manley, mit dem Namen an, unter dem er ihn kannte. »In mir haben sie einen zuverlässigen Beobachter gefunden, der das Ministerium für sie im Auge behält. Außerdem bekomme ich auf diese Weise hin und wieder Einblicke in das, was die andere Seite, der VEVAK, so treibt. Und das, was ich zurzeit dort sehe, macht mir Angst.« Douglas lehnte sich zurück. Er hatte schon so viele Gespräche mit Informanten geführt, dass er diesen Hinweis verstand. Der Mann hatte offenbar schon seit geraumer Zeit etwas auf dem Herzen. »Andrew, wir wählen zwar einen Präsidenten und einen majlis, aber das könnten wir uns genauso gut sparen. Es gibt auch einen Außenminister und einen Obersten Nationalen Sicherheitsrat. Doch das spielt keine Rolle. Es existiert nämlich eine Regierung innerhalb der Regierung. Sie besteht aus dem Faqih, dem Obersten Führer, unserem Großayatollah, und dem Wächterrat, seinen Gehilfen. Sie legen bei jeder Entscheidung des majlis ihr Veto ein, und sie bestimmen wer überhaupt kandidieren darf. Als die Strafverfolgungsbehörden unschuldige junge Leute in ihrem Studentenheim töten ließen, weil sie als Dissidenten verdächtigt wurden, taten sie das mit voller Billigung des Faqih. Und bei den Massenmorden an Schriftstellern durch den VEVAK war es dasselbe. Wissen Sie, wer unseren außenpolitischen Kurs bestimmt? Nicht etwa das Außenministerium, son294

dern General Hedvai, der Kommandant des QudsKommandos und der Pasdaran.« Brian nickte. »Dieser Name fällt immer wieder. Der Kommandant des Jerusalemkommandos der iranischen Revolutionsgarden. Als ich im Irak hinter alQaida her war, hat er mehr als einmal seinen Schatten geworfen.« »Natürlich!«, gab Soheil aufgebracht zurück. »Das Quds-Kommando war der größte Unterstützer von al-Qaida, der Hisbollah, des palästinensischen islamischen Dschihad und von Hamas. Diese Leute verfügen über unbegrenzte Finanzmittel, Andrew. Sie sind weltweit im Drogenhandel und auf dem Schwarzmarkt tätig. In Brasilien. In Großbritannien. In New York.« Soheil stand auf, stocherte im Kamin herum und ließ sich dann auf einem Fußschemel vor Douglas nieder. »Und nun plant das Quds-Kommando die Vereinigung aller Schiiten am Golf. Durch den Staatsstreich im Irak haben sie bereits eine schiitische Regierung installiert, die ihnen treu ergeben ist. Die Amerikaner haben sich damit abgefunden, sie haben behauptet, das Land sei stabil genug, um den Großteil ihrer Truppen abzuziehen. Und dann hat Bagdad den Rest ihrer Truppen endgültig aus dem Land gejagt. Allerdings können die Amerikaner nicht ignorieren, was die Quds und der Faqih jetzt vorhaben. Und deshalb haben sie einen Weg gefunden, sie matt zu setzen und auszubluten. Bald fängt es an. Alles steht in den Dokumenten auf diesem Flash-Speicher, den ich für Sie vorbereitet habe. Aber damit Sie nicht zu295

erst alles lesen müssen, um zu verstehen, was ich meine, will ich es Ihnen erklären.« Weil die Zeit nur für ein Treffen mit nur einem früheren Mitglied seines alten Netzwerks reichte, hatte Brian Douglas sich für Soheil entschieden. Er war intelligent und liebte sein Heimatland leidenschaftlich. Außerdem hatte er als Halbwüchsiger auf einen Nachbarsjungen aufgepasst, für den er später eine Art großer Bruder geworden war. Dieser Junge war einer von denen, die 1999 bei dem Polizeimassaker in einem Teheraner Studentenheim getötet worden waren. Diese Tragödie hatte Soheil die Augen geöffnet. Alle Kompromisse, die er als junger Beamter im Außenministerium eingegangen war, und alle persönlichen Nachteile, die er in Kauf genommen hatte, weil er für einen von ausländischen Einflüssen freien Iran kämpfte, waren im Dienst einer Farce geschehen. Die Versprechen der Revolution waren nicht gehalten, das Volk war verraten worden. Eine kriminelle Vereinigung mit religiös verbrämter Machtgier hielt die demokratisch gewählte Regierung in Schach. Und deshalb hatte Soheil Khodadad, als er sich anlässlich eines Islamkongresses in Istanbul aufhielt, während der Mittagspause einen Spaziergang in die Nähe des alten britischen Konsulats unternommen und einen britischen Diplomaten angesprochen. In den nächsten fünf Jahren war er ein wichtiger Informant gewesen. Und nun bekleidete er einen so wichtigen Posten, wie ihn der SIS bei seinen Kontaktleuten vielleicht einmal in zehn Jahren vorweisen konnte. 296

Brian Douglas war auf eine Goldader gestoßen. Während er seinen Tee trank und Soheils Worten lauschte, überlegte er schon, wie er diese Informationen so schnell wie möglich nach Vauxhall weiterleiten konnte. Aber das war unmöglich. Es wäre Wahnsinn gewesen, sich auch nur in die Nähe der britischen Botschaft zu wagen, und es hätte vermutlich seinen sicheren Tod bedeutet. Kurz vor zwei Uhr morgens war das Kaminfeuer heruntergebrannt. Soheil hatte, unterbrochen von Brians Nachfragen, seinen Bericht beendet. Woher er all das wisse? Ob es sich möglicherweise nur um aufgeschnappte Gerüchte handelte? Wie hatten Soheils Freunde im VEVAK herausgefunden, was das QudsKommando im Schilde führte? Welchen Grund hatten sie, diese Information Soheil mitzuteilen? Wurde er womöglich mit Desinformationen gefüttert? Wie sicher sei er, dass niemand ihn verdächtigte? Woher habe er die Kopien der Dokumente? Sei es nicht riskant gewesen, sie in seinen Computer einzuscannen? Wer außer seinem Vater wisse von seiner politischen Gesinnung? »Genug, Andrew«, meinte Soheil schließlich und rieb sich die Augen. »Legen Sie sich aufs Sofa, und schlafen Sie ein wenig. Hier ist eine Decke. Sie sollten mit den Frühaufstehern gegen sechs losfahren. Ich nehme den Bus um acht. Und, Andrew, Sie müssen sie unbedingt aufhalten. Sonst geht die gesamte Region wieder in Flammen auf.« Er legte Brian den Flash-Speicher in die Hand, umarmte ihn und stieg die Treppe hinauf. 297

Knapp vier Stunden später schlüpfte Brian in seinen dicken Mantel und setzte die Mütze auf. Wieder einmal war er froh, dass man dank seiner blonden Barthaare nach einem Tag kaum Stoppeln sah. Allerdings fühlte sich sein Kinn rau an, und er stellte fest, dass sein Hemd nach Schweiß roch. Als er sich auf den Flur hinauspirschte, schlug ihm kalte Morgenluft entgegen. Auf dem Gehweg wandte er sich nach rechts in Richtung Bushaltestelle. Einige andere Passanten waren ebenfalls dorthin unterwegs. Ein schwarzer Mitsubishi Pajero kam auf ihn zu. Zwei Männer saßen darin. Brian spürte, wie sich ihm schmerzhaft der Magen zusammenkrampfte, und seine Muskeln verspannten sich. Er ging weiter. Der Wagen fuhr vorbei. Aus dem Augenwinkel beobachtete Brian, dass der Pajero links abbog. Er marschierte weiter zur nächsten Ecke. Die Bushaltestelle befand sich ebenfalls links. Brian blieb stehen. Irgendetwas war hier faul. Deshalb ging er wieder nach rechts und dann nochmal nach rechts, bis er erneut vor Soheils Haus stand. An der Ecke bemerkte er den Pajero. Der Wagen stand vor dem Haus, wo Brian sich mit Soheil Khodadad getroffen hatte. Die beiden Insassen waren nirgendwo zu sehen. Falls der VEVAK vorhatte, Soheil zu verhaften, würde man wohl kaum nur einen Wagen und zwei Männer schicken, sagte sich Brian. Seine Gedanken überschlugen sich, und sein Herz begann zu klopfen. Falls es sich um Geheimpolizisten handelte, würden sie ihn mit Sicherheit anhalten und befragen, wenn sie 298

ihn zum zweiten Mal vor dem Haus sahen. Der FlashSpeicher steckte in Brians rechter Socke. Er sollte sich besser aus dem Staub machen. Und zwar sofort! Er wandte sich wieder in Richtung Bushaltestelle. »Ping! Ping!« Das Geräusch wurde zwar von den Gebäuden gedämpft, aber es handelte sich eindeutig um Schüsse. Douglas erstarrte. Im nächsten Moment war wieder ein Schuss zu hören. Höchste Zeit zu verschwinden! Aber er erinnerte sich an Baku und an seine ermordeten Agenten. Einige von ihnen waren zuerst gefoltert worden. Brian Douglas hastete den Gehweg entlang zum Haus. Die Mütze fiel ihm vom Kopf. Eine Frau auf der anderen Straßenseite rief ihm etwas zu. Er war unbewaffnet, um nicht im Fall einer Personenkontrolle erklären zu müssen, warum er eine Pistole bei sich trug. Was, zum Teufel, wollte er eigentlich tun?, warnte ihn eine innere Stimme Er stieß das Tor auf. Der Flur lag verlassen da. Douglas pirschte sich zur Tür und bezog links davon Position. Von drinnen war nichts zu hören. Also drehte er den Türknauf und riss die Tür auf. Er sah den Toten sofort. Das Blut floss immer noch aus dem, was von seinem Kopf übrig war. Der Geruch von Pulverdampf und Blut stieg Douglas in die Nase, als er eintrat und die Tür hinter sich schloss. Wie am Abend zuvor saß Soheil, umgeben von seinen Büchern, im Sessel. Sein Kopf war nach vorn geneigt, und Blut rann ihm aus dem Mund und am Hinterkopf hinunter. Auf seinem Schoß lag eine Pistole. 299

Der zweite Mann war auf das Sofa gesunken, wo Brian gerade noch eine unruhige Nacht verbracht hatte. Er hatte eine große Wunde in der Herzgegend. Douglas bemerkte ein Jagdgewehr auf dem Boden. Als er den Mann auf dem Sofa untersuchte, konnte er keinen Puls ertasten. Der Tote war unbewaffnet. Der Ausweis in der Brieftasche, die Brian in seiner Jacke fand, wies ihn, soweit er es verstand, als Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes des Außenministeriums aus. Soheil war nicht mehr am Leben. Wie waren sie ihm nur auf die Schliche gekommen? Das Gesicht von Roddy Touraine stand Brian vor Augen. Und dann hörte er, dass ganz in der Nähe eine Sirene losheulte. Rasch durchquerte er den Raum, um sich den dritten Mann anzusehen. Ebenfalls tot, doch seine Waffe befand sich noch im Halfter. Brian kannte die deutsche Heckler & Koch P2000, die in etwa mit der Browning High Power vergleichbar war, allerdings ein wenig moderner. Er steckte die Pistole ein. Die Sirene war verstummt. Jemand war an der Vordertür. Ob es einen Hinterausgang gab? Brian stieg über die Leiche und eilte durch eine Tür hinten im Raum, die in die Küche führte. Vorn wurde laut geklopft. Er bemerkte eine Treppe, die nach unten ging. Das Haus stand an einem Abhang, an dessen Fuß eine Garage und eine Seitengasse lagen. Fast ohne die Stufen zu berühren, rannte Brian die Treppe hinunter. Unten angekommen, zog er die Pistole aus dem Gürtel und steckte die Hand mit der Waffe in die Manteltasche. Dann spähte er durch das Fenster 300

in der Hintertür. Nichts. Vorsichtig schob er die Tür auf und schlüpfte auf die Seitengasse hinaus. Wenige Sekunden später hatte er die Nebenstraße erreicht und lief auf die Bushaltestelle zu. Weitere Sirenen ertönten. Brian ging langsamer. Inzwischen waren mehr Passanten unterwegs, die durch die morgendliche Kälte zum Bus eilten. Hinter dem Gebäude rechts von Brian war ein Blaulicht zu sehen, und schon im nächsten Moment bog ein grünweißer Streifenwagen mit eingeschalteter Sirene um die Ecke. Brian umklammerte die Waffe in seiner Manteltasche fester. Der Streifenwagen raste vorbei, ohne sein Tempo zu drosseln. Douglas kam zu dem Schluss, dass es zu riskant war, sich in die Warteschlange an der Bushaltestelle zu stellen. Plötzlich spürte er, dass sein Mund staubtrocken war. Er ging ein wenig langsamer und holte tief Luft. Sein gesamter Körper befand sich in Alarmbereitschaft, bereit, entweder zu fliehen oder zuzuschlagen. Brian schärfte sich ein, sich unbedingt vorsichtig und vernünftig zu verhalten. Er durfte sich nicht ausschließlich auf seine Instinkte verlassen. Schließlich galt es, das Wissen in seinem Kopf und die Daten in seinem Strumpf noch heute aus Teheran hinauszuschaffen. Auf der anderen Straßenseite öffnete ein Mann gerade das schmiedeeiserne Tor zu seiner Einfahrt. Rasch überquerte Douglas die Straße. »Hallo, mein Freund«, rief er auf Farsi und trat in die schmale Auffahrt zwischen zwei verputzten Mauern. »Könnten Sie mich 301

vielleicht mit dem Auto mitnehmen? Ich bin spät dran.« Der Mann, der an der Tür seines Wagens stand, drehte sich um, als Douglas auf ihn zugelaufen kam. »Nein. Wer sind Sie überhaupt? Verschwinden Sie!«, schimpfte der Mann. Doch schon im nächsten Moment zückte Douglas die Pistole und versetzte dem Mann, der kleiner war als er, mit dem Griff einen Schlag gegen die Schläfe. Der Mann sackte zusammen, aber Douglas fing ihn auf, bevor er zu Boden stürzte. Dann blickte er sich um. Niemand hatte ihn beobachtet. Mühsam wuchtete Douglas den Bewusstlosen ins Auto und verstaute ihn im Fußraum hinter dem Fahrersitz. Danach legte er den Rückwärtsgang ein und setzte den alten Mercedes Diesel zurück auf die Straße. Mit einem Mal wurde Brian bewusst, dass es ein Fehler gewesen war, die Pistole aus Soheils Wohnung mitzunehmen. Hätte er sie zurückgelassen, wäre die Polizei vielleicht von nur drei Beteiligten ausgegangen. Doch dafür war es jetzt zu spät. Ebenso war nicht mehr daran zu denken, dass er am Imam-KhomeiniFlughafen die Mittagsmaschine nach Dubai nahm. Nachdem der Polizei klar geworden war, dass alle drei Toten für das Außenministerium gearbeitet hatten, würde der Flughafen mit Sicherheit unter Bewachung stehen. Und bestimmt würde man bald auf den Gedanken kommen, dass noch ein vierter Mann dabei gewesen sein musste. Anstatt nach Teheran zurückzukehren, fuhr er deshalb in die entgegengesetzte Richtung. Hinter sich hörte er weitere Sirenen. 302

Jaipur Curry House Dubai Creek Dubai, Vereinigte Arabische Emirate »Möchten Sie noch ein Kingfisher, Mister?«, fragte der indische Kellner. Offenbar wollte er, dass Rusty entweder noch etwas bestellte oder endlich ging. Es waren nur noch wenige Gäste im Restaurant. »Haben Sie koffeinfreien Kaffee?«, fragte Rusty. Der Kellner starrte ihn an, als hätte er Schweinefleisch bestellt. »Gut, dann eben einen Scotch … einen Balvenie.« Der Kellner entfernte sich mit einem Lächeln. Russell MacIntyre betrachtete die Daus und Touristenboote auf dem Fluss. Das hier war das alte Dubai mit seinen engen Straßen, den niedrigen Gebäuden und dem Gewirr aus Gassen durch den alten GoldSuk. Am anderen Flussufer erkannte er die Spitze des Burj Dubai, des höchsten Gebäudes der Welt, das sogar den neuesten chinesischen Wolkenkratzer überragte. Plötzlich fühlte er sich allein und hilflos. Inzwischen hatte er The World at Night gelesen. Brian Douglas war nicht erschienen und hatte ihm auch keine Nachricht zukommen lassen, was überhaupt nicht zu ihm zu passen schien. Allmählich fragte sich Rusty, ob es nicht leichtsinnig von Douglas, immerhin ein hochrangiger Offizier beim SIS, gewesen war, unter falschem Namen nach Teheran zu reisen. Offenbar war es Selbstüberschätzung von ihm gewesen, zu glauben, er könnte das am strengsten ge303

hütete Geheimnis des Irans aufdecken, indem er sich in einer Stadt herumtrieb, die er jahrelang nicht besucht hatte. Möglicherweise führte die iranische Armee ja wirklich nur ein Manöver durch, wie die amerikanische es schließlich auch immer wieder tat. Es konnte ja durchaus sein, dass es Ahmed bin Rashids Informanten gar nicht gelungen war, eine iranische Zelle zu infiltrieren, und der Mann das Ganze nur erfunden hatte, um Rashid zufrieden zu stimmen. Oder … Als der Scotch serviert wurde, spürte Rusty, wie das Black-Berry in seiner Tasche vibrierte. Vielleicht war es ja eine Nachricht von Sarah aus Somalia. Er klickte die Datei an. Die Nachricht war von Susan Connor aus seinem Büro und codiert. Rusty, der Chef hat mich gebeten, Ihnen das hier zu schicken. Er kommt mit seinem BlackBerry noch immer nicht klar. Ich soll Ihnen ausrichten, dass das FBI heute hier war und sich nach Ihnen und Ihrer Beziehung zu Senator Robinson erkundigt hat. Sie wollten wissen, ob Sie autorisiert waren, ihm gewisse Informationen zu geben. Es hat irgendwas mit China zu tun. Dann haben sie sich erkundigt, ob Sie ermächtigt seien, sich mit Terroristen zu treffen, und ob das zu Ihrer Mission gehöre. Rubenstein hat sie abgewimmelt. Allerdings glaubt er, dass Ihr Freund Conrad – ich zitiere – ein Auge auf Sie geworfen hat. Ich weiß nicht, was das alles soll. Hoffentlich verstehen Sie es. Jedenfalls klingt es gar nicht gut. Hier gibt es nichts 304

Neues, nur dass die Anti-Islamijah-Propagandamaschine natürlich auf Hochtouren läuft. Anhörungen im Kongress. Zeitungsartikel. Interviews bei bestimmten Fernsehsendern. Die jüngsten Gerüchte besagen, dass zu den von uns entdeckten Raketen auch die passenden Atomsprengköpfe existieren. Aber ich habe sämtliche Informationen durchforstet, zu denen ich Zugang habe, und nichts, ich wiederhole, nichts weist darauf hin, dass in Islamijah Atomsprengköpfe aufgetaucht sind. Aber Senator Gundersohn findet, das sei Grund genug, »einzumarschieren, sie zu suchen und sie zu entfernen«. Es wäre beängstigend, wenn jemand Gundersohn ernst nehmen würde. Ich muss los. Passen Sie auf sich auf. Susan. MacIntyre stürzte seinen Scotch hinunter. Woher konnte jemand wissen, dass er mit Senator Robinson über den Informanten der DIA in China gesprochen hatte? Allerdings handelte es sich nur um einen Formfehler. Auch wenn Robinson möglicherweise nicht die Sicherheitsfreigabe des Verteidigungsministeriums für diese Geheimnisstufe besaß, war er immerhin der Vorsitzende des Geheimdienstausschusses. Ein Treffen mit Terroristen? Ahmed! Wie zum Teufel haben sie von meinem Gespräch mit Ahmed erfahren?, dachte Rusty. Er winkte den Kellner heran, um noch einen Whisky zu bestellen. Wieder vibrierte das BlackBerry. Diesmal war es ein Telefongespräch. 305

»Hast du Nachrichten gehört?« Es war Kate Delmarco. »Nein. Ich sitze schon seit einiger Zeit hier und warte auf Brian, aber der ist nicht aufgetaucht. Welche Nachrichten?« Rusty erhob sich und blickte nach Norden zum modernen Teil von Dubai hinüber, wo Delmarcos Büro lag. »Ein Flugzeug der Navy ist abgestürzt. Gerüchten zufolge soll es von Islamijah aus abgeschossen worden sein.« Delmarco war außer Atem. »Russell, es heißt, es hätte Admiral Adams erwischt. Er war nach einer Konferenz der NATO auf dem Weg von der Türkei nach Bahrain. Es soll keine Überlebenden geben. Die Suche vor der Küste von Kuwait dauert an.« Macintyre schluckte und wurde plötzlich von einem Gefühl der Beklemmung erfasst. »Rusty, wenn Islamijah dahintersteckt, werden wir das Land bombardieren, das weißt du so gut wie ich. Wir müssen uns unbedingt treffen.« Rusty erinnerte sich daran, was Ahmed bin Rashid ihm in dem kleinen Laden in Manama erklärt hatte. Wenn die Schura sich unter Druck gesetzt fühlte, würde sie versuchen, sich Atomwaffen zu besorgen. Und in diesem Fall … »Ich bin zu … Ich muss das erst mal verdauen«, murmelte Macintyre. »Was hältst du morgen von einem gemeinsamen Frühstück? Wo würde es dir passen?« Sie überlegte. »Okay. In meinem Büro um halb neun.« 306

»Danke.« Rusty schaltete das Telefon ab, zog ein Bündel Dirhamscheine aus der Tasche und warf sie auf den Tisch. Dann verließ er die Restaurantterrasse, die über dem Fluss lag, und durchquerte das Lokal in Richtung Ausgang. Der indische Kellner lief ihm nach. »Der Rest ist für Sie«, rief Rusty über die Schulter gewandt. »Ja, Sir, aber der Whisky?« Macintyre nahm eine Visitenkarte aus der Tasche und reichte sie dem Kellner. »Falls sich jemand nach mir erkundigt, geben Sie ihm diese Nummer.« Dann griff er nach dem Scotchglas, leerte es und dachte an den Mann, der ihn in London mit Balvenie bekannt gemacht hatte.

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Kapitel 11 16. Februar

An Bord der USS Jimmy Carter (SSN-23) Vor der Küste von Malaysia Südchinesisches Meer »Unterwasserschleuse öffnen, aye«, wiederholte der Offizier den Befehl und bediente dann einen Hebel an seiner Schalttafel. Draußen glitt der Rumpf des U-Boots hinter den Kommandoturm zurück, sodass Meerwasser hereinströmte. Das zwölftausend Tonnen schwere Schiff befand sich einhundert Meter unter der Wasseroberfläche und setzte seine Fahrt mit einer Geschwindigkeit von vierzehn Knoten fort. »Captain Hiang, Tony, jetzt wird es interessant. Am besten kommen Sie hier herauf, damit Sie den Monitor beobachten können«, forderte Captain Tom Witkovski seinen Gast aus Singapur auf. »Sie brauchen also nicht die Fahrt zu stoppen, um die unbemannten Mini-U-Boote abzusetzen?«, fragte Hiang und richtete sich im Besuchersessel auf. »Nein, das ist nicht nötig. Vor ein paar Jahren habe ich mir so etwas in meinen kühnsten Träumen nicht vorstellen können. Diese Dinger werden durch einen Hilfsmotor aus dem Rumpf befördert. Erst wenn sie einen Sicherheitsabstand zur Carter erreicht haben, springt der eigentliche Antrieb an.« 308

Der Lieutenant Commander, der an der Schalttafel stand, warf seinem Kapitän einen Blick zu. Captain Witkovski forderte ihn mit einem Nicken auf anzufangen. »Bereiten Sie das Absetzen von ASIP-1 vor«, befahl er dem Offizier. Fünf Minuten später erfolgte die letzte Order. »ASIP-3 absetzen, aye«, wiederholte der Lieutenant Commander. »ASIP-3 ist abgesetzt.« Die beiden Kapitäne beobachteten auf dem Bildschirm, wie sich drei grüne Symbole von dem blauen, das für die Carter stand, entfernten. Nachdem die Mini-U-Boote ausgeschwärmt waren, setzten sie ihren Kurs in Formation fort und beschleunigten. »Weil ihre akustische und sonare Signatur sehr schwach ist, werden die Chinesen niemals Verdacht schöpfen, dass etwas auf sie zukommt«, erklärte Witkovski. »Die ASIPs sind vollständig autonom, geben nur im Notfall Signale, kennen ihre Mission und führen sie aus. Wenn sie ihren Bestimmungsort erreicht haben, schalten sie auf BrennstoffzellenAntrieb um und verharren auf der Stelle. Dann warten sie auf ihre Ziele, bewegen sich in deren Richtung und unterlaufen sie backbord und steuerbord bis zum Kiel. Dort bleiben sie, bis die Chinesen wieder Fahrt aufnehmen. Und zu guter Letzt drehen wir längsseits bei und holen sie nach Hause. Die Chinesen werden nicht einmal ahnen, dass wir ihnen einen kleinen Informationsbesuch abgestattet haben.« Die Symbole auf dem Bildschirm verteilten sich 309

auf einen Radius von fünfzig Kilometern. Rote Symbole mit alphanumerischen Bezeichnungen erschienen. »Das ist der erste Kampfverband. Der Flugzeugträger da in der Mitte ist die Tschu Man. Er wird von zwei Achttausend-Tonnen-Lenkwaffenkreuzern flankiert, die mit Boden-Luft-Raketen bestückt sind. Absolut tödlich. Dann sehen Sie hier zwei Begleitfregatten, ein Versorgungsschiff, zwei Tanker und einen Nachschubfrachter.« Captain Hiang starrte auf die Symbole und die kleinen grünen Punkte. Diese stellten die ASIPs dar, die sich auf die Schiffe zubewegten. »Gehören diesem Flottenverband denn keine U-Boote an, Captain?«, fragte er. »Jeder Verband wird von einem begleitet, und zwar ihrem neuen achttausend Tonnen schweren KampfAtom-U-Boot der Keng-Klasse. Es ist ein Nachbau der russischen Victor III, macht allerdings einen Höllenlärm. Wir hören es schon einen Tag, bevor es tatsächlich da ist. In diesem Fall folgt es dem Flugzeugträger. Wir haben eines unserer U-Boote, die USS Greenville, darauf angesetzt.« Die grünen Punkte wurden langsamer und schienen auf halbem Wege zu den chinesischen Schiffen stehen zu bleiben. »So, jetzt warten sie«, verkündete Witkovski und sprang auf. »Und wir fahren einen Bogen, um sie wieder einzusammeln. Sie sind ja so still, Tony.« Der singalesische Kapitän hatte abwechselnd auf 310

den Bildschirm geschaut und die ihm überlassenen Unterlagen durchgesehen. Nun blickte er auf. »Captain, die Carter hat die zehnfache Wasserverdrängung eines meiner kleinen schwedischen Boote in Tschangi und ist fast dreimal so lang. Also habe ich nicht das Recht, Ihnen Ratschläge zu erteilen, Sir.« »Aber, Tony, die Größe spielt doch keine Rolle. Sie kennen diese Gewässer besser als wir. Und Sie waren einer der Besten im Lehrgang Strategie und Taktik in Newport. Ich habe mich erkundigt. Außerdem stehen drei Ihrer kleinen Boote bereit, um die Chinesen in unserem Auftrag eine Weile zu beschäftigen, wenn sie die Straße von Malakka erreichen. Also legen Sie los!« Witkovski meinte, was er sagte. »Gut. Wenn ich der chinesische Admiral wäre, würde ich mein U-Boot vor der Tschu Man oder unter ihr fahren lassen, um nach Ihren Jungs Ausschau zu halten. Sind Sie sicher, Tom, dass das U-Boot, dem die Greenville folgt, nicht in Wirklichkeit die Vorhut des zweiten Kampfverbandes ist?«, fragte Captain Hiang. »Ganz sicher, Tony. Und wollen Sie wissen, warum?«, erwiderte Witkovski und kam näher. »Weil die USS Tucson das chinesische U-Boot beschattet, das sich hinter dem zweiten Kampfverband befindet. Die Chinesen haben zwei U-Boote, und wir haben auf jedes davon eines von unseren angesetzt. Für sie ist es sinnvoll, ihre U-Boote die Nachhut bilden zu lassen, um festzustellen, ob ihnen jemand folgt. Pech für sie, dass sie uns wegen des Radaus, den sie veranstalten, nicht hören können.« 311

Hian musste lachen. »Ich hätte besser den Mund halten sollen.« Vierzig Minuten später fuhr die Carter mit einer Geschwindigkeit von fünf Knoten neun Kilometer östlich von der Tschu Man und hielt sich hundert Meter unter ihr. Auf dem Monitor umkreisten die drei grünen Punkte ihre Ziele, die Tschu Man, den Zerstörer Fei Hung und den Nachschubfrachter Xiang. »Zwei Fragen noch, Captain«, brach Tony Hiang das Schweigen im Kontrollraum. »Nur zu«, forderte Witkovski ihn auf. »Erstens: Woher wissen wir, wo die ASIPs sind und was sie tun, wenn sie nicht mit uns kommunizieren? Und zweitens: Wozu dient der Nachschubfrachter genau?« »Gut. Die erste Frage ist ganz einfach zu beantworten. Eigentlich wissen wir gar nicht, wo sie sind und was sie tun. Die Darstellung auf dem Bildschirm simuliert nur, was sie unserer Schätzung nach gerade tun sollten, und basiert auf ihrer Programmierung und den Daten, die wir über die Standorte der chinesischen Schiffe besitzen«, räumte Witkovski ein. »Die Antwort auf die zweite Frage ist ein wenig heikel. Lieutenant Commander, halten Sie sich die Ohren zu. Es würde uns nicht überraschen, wenn wir vom Flugzeugträger atomare Strahlung auffangen würden. Möglicherweise haben sie für die J-11, ihren Nachbau der russischen Flanker-Jagdbomber, ein paar taktische Atomraketen dabei. Wir wissen, dass sie Luft-Boden- und Luft-Schiff-Raketen für die J-11 312

besitzen. An Bord des Zerstörers befinden sich einige Anti-Schiff- und vielleicht auch Anti-Boden-Marschflugkörper. Es würde mich also nicht wundern, wenn einige davon mit Atomsprengköpfen bestückt wären. Es könnte sein, dass wir rein zufällig wissen, nach welcher Art von Strahlung wir bei dem jeweiligen Schiff suchen, aber das habe ich nie gesagt. Und falls wir wirklich etwas vom Nachschubfrachter auffangen, müssen wir Washington so schnell wie möglich informieren.« Hiang fragte sich, warum alle so aufmerksam den Bildschirm beobachteten, obwohl dieser doch nur bereits einprogrammierte Daten darstellte. Er stand auf und streckte sich. »Autsch! Verdammte Scheiße!«, schrie da der Seemann plötzlich auf und riss sich den Kopfhörer herunter. »Verzeihung, Sir, aber mir wäre von diesem Signal beinahe das Trommelfell geplatzt, Sir.« Captain Tom Witkovski griff nach dem Kopfhörer und hielt ihn sich ans rechte Ohr. »Mein Gott, was ist denn das?« Er ließ den Kopfhörer fallen und betätigte die Gegensprechanlage an der Wand. »Erster Offizier, was ist das für ein akustisches Signal?« Aus dem Kampf-Informationszentrum CIC, dem Leitstand des Boots ein Deck höher, meldete sich der Erste Offizier: »Wir lassen es gerade durch die Datenbank laufen, Captain. Hier haben wir es … das erste Geräusch war vergleichbar mit einem Boot der Kilo-Klasse beim Tauchvorgang. Und dann das Kreischen … da heißt es nur Vermutlich Kollision.« 313

»Scheiße!«, stieß Witkovski hervor und schlug mit der Faust gegen die Wand. »Ich gehe rauf ins CIC. Tony, ich brauche Sie dort.« Der amerikanische Captain verließ die Kabine und stieg, drei Sprossen auf einmal nehmend, die Leiter zum Leitstand hinauf. »Haben Sie das Schleppsonar draußen?«, rief er dem Ersten Offizier beim Betreten des Raums zu. »Aye, Sir. Die Hydrofone haben das Geräusch aufgefangen«, erwiderte der Offizier verdutzt. Als der Kapitän einen Hebel bediente, wurden die Unterwassergeräusche über einen Lautsprecher an der Schalttafel übertragen. Das metallische Quietschen, das an stählerne Kreide auf einer Tafel – und zwar in zehnfacher Verstärkung – erinnerte, gellte den Männern schmerzhaft in den Ohren. Witkovski verringerte die Lautstärke. »Wie tief ist hier das Wasser?« »Zweihundertfünfzig Meter, Captain«, antwortete der Seemann an der Schalttafel. »Und wie tief kann ein Boot der Kilo-Klasse höchstens tauchen?«, entgegnete der Kapitän. »Offiziell 300 Meter«, erwiderte Captain Hiang, der hinter Witkovski stand. »Doch die chinesische Version, das 877 EKM, ist für 375 zugelassen.« Witkovski wirbelte herum. »Was wissen Sie sonst noch über diese Boote? Bitte, Tony, raus mit der Sprache.« Der zierlich gebaute singalesische Offizier kam näher. »Sie haben eine Reichweite von über neuntausend Kilometer«, erklärte er, fast im Flüsterton. »Au314

ßerdem sind sie mit einem neuen schalldämpfenden und sonarabweisenden Anstrich versehen. Ihren niederwelligen Bugsonar kann man nur schwer orten. Und da sie in der Lage sind, eine ganze Zeit lang nur mit Elektroantrieb zu fahren, sind sie sehr, sehr leise. Insbesondere, wenn sie von den Geräuschen eines ganzen Flugzeugträger-Kampfverbandes übertönt werden.« Ein seltsames Geräusch hallte aus dem Lautsprecher. »Ebup, Ebup …« Der Erste Offizier erhöhte die Lautstärke und aktivierte das Analyseprogramm. »Die Mühe können Sie sich sparen, ich weiß, was das ist«, meinte Captain Witkovski kopfschüttelnd. »Sir?«, wunderte sich der Offizier. »Das ist das akustische Notsignal von ASIP-2. Offenbar schwimmt ein chinesisches Kilo-Boot über ihm und zwingt es nach unten. Ein ASIP hält dem Wasserdruck nur bis zweihundert Meter stand.« Witkovski seufzte. Dann drehte er sich zu Captain Hiang um. »Offenbar hat die Tschu Man ein Diesel-U-Boot der Kilo-Klasse dabei, und das spielt mit unsauberen Mitteln.« »Sir, wir sollten diesem Kilo einen Arschtritt verpassen«, schlug der Erste Offizier vor. »Schließlich können sie nicht wissen, dass das ASIP unbemannt ist.« »Heute nicht, Tim. Heute lassen wir das mit den Arschtritten. Wir haben noch zwei weitere ASIPs da draußen, die wir wieder einsammeln müssen, um die Daten zu sichern. So lautet unser Einsatzbefehl. 315

Also los. Nehmen Sie Kurs auf ASIP-3. Ruhe auf dem Boot!« »Ruhe auf dem Boot, aye.« Überall auf der einhundertvierzig Meter langen USS Jimmy Carter blinkten blaue Glühbirnen. Fast zwei Stunden später hatte der Kampfverband Tschu Man gewendet und Kurs nach Norden auf die Straße von Malakka genommen. Inzwischen war das Kommando »Unterwasserschleuse schließen« gegeben worden, und die beiden verbliebenen ASIPs befanden sich wieder an Bord. Captain Witkovski lud Captain Hiang zum Mittagessen in seine Kabine ein, während die Techniker die Daten der unbemannten Mini-U-Boote herunterluden. Als sie bei mit Käse überbackenen Steaks und Pepsi light saßen, hatte Witkovski das Gefühl, sich entschuldigen zu müssen. »Ich hätte auf Sie hören sollen, Tony.« »Und ich hätte mich direkter ausdrücken sollen, Tom. Wir Asiaten reden zu gerne um den heißen Brei herum und haben deshalb oft Schwierigkeiten, uns Amerikanern verständlich zu machen.« Captain Hiang schmunzelte. »Aber dafür kennen wir die Chinesen, denn schließlich stammen wir von ihnen ab. Wir sprechen ihre Sprache und sind mit ihrer Geschichte vertraut. Nehmen wir zum Beispiel die Stadt Malakka, die die Tschu Man heute Nacht passieren wird. Bis vor sechshundert Jahren war sie quasi eine chinesische Kolonie. Im Übrigen hätten Sie auch dann nichts unternehmen können, wenn Sie gewusst hät316

ten, dass das Kilo-U-Boot sich unter dem Kiel der Tschu Man versteckt.« Es klopfte an der Tür. »Herein«, erwiderte der Kapitän. Es war der Erste Offizier mit einem Klemmbrett, an dem der vorläufige Bericht befestigt war. »Das ist eine Zusammenfassung der Daten und der automatisierten Analyse der zwei ASIPs, Sir. Ich habe sie auf FLASH kodiert, Sir.« Mit hochgezogenen Augenbrauen nahm der Kapitän das Klemmbrett entgegen. Eigentlich war FLASH für Nachrichten der höchsten Prioritätsstufe – zum Beispiel »Mein Schiff wird beschossen« – reserviert. Witkovski setzte die Lesebrille auf und las: An: CinCPAC, Honolulu FLASH JCS/J-3 FLASH DIA, DT-1 FLASH Von: SSN-23 Betrifft: Verdacht auf Atomwaffen an Bord des Kampfverbandes Tschu Man (TS) Die telemetrische Analyse der ASIP-Inspektion des chinesischen Nachschubfrachters Xiang (C-SA-3) weist auf Neutronen- und Gammastrahlen hin; vermutlich sechs Sprengköpfe in Frachtbehältern am Bug und sechs weitere in Frachtbehältern am Heck, laut Analyseprogramm sind alle Sprengköpfe von ähnlicher Größe, schätzungsweise zehn bis dreißig Kilotonnen Sprengkraft. Analyseprogramm tippt unter Vorbehalt auf eine Ladung, bestehend 317

aus ballistischen Mittelstreckenraketen vom Typ CSS-27. Keine Strahlung an Bord des begleitenden Zerstörers festgestellt. Überwachung des Flugzeugträgers Tschu Man wurde nicht durchgeführt (Einzelheiten in separater Botschaft). EOT Captain Witkovski zeichnete das Dokument mit seinen Initialen ab und gab es seinem Ersten Offizier zurück. »Gut gemacht, Timmy. Jetzt dürfte in Washington bald die Hölle los sein, denn diesmal haben wir einwandfrei Massenvernichtungswaffen gefunden. Da gibt es nichts dran zu rütteln.«

Redaktion New York Journal Medienstadt Dubai, Vereinigte Arabische Emirate MacIntyres Taxi fuhr an den Gebäuden vorbei, in denen CNN und NBC untergebracht waren, und bog in den gepflegten Büropark ein, der den Namen Medienstadt trug. Internetstadt und Wissensstadt lagen bereits hinter ihm. Rusty überlegte, ob man sich hier in Dubai wohl auch zum Bau einer Zaubererstadt würde überreden lassen. Das New York Journal besaß kein eigenes Gebäude, sondern teilte sich eine Immobilie mit verschiedenen europäischen Zeitungen. Der Portier, ein Pakistani, erwartete MacIntyre bereits. Als er die Redaktion des Journal im vierten 318

Stock betrat, sah er Kate, die auf der anderen Seite des Raums vor einer Reihe von Bildschirmen stand, auf denen arabische und englische Nachrichtensender liefen. Kate hatte auf einem Tisch daneben ein kleines Frühstücksbuffet angerichtet. Der Ton war auf ABC eingestellt: »… aber militärische Kreise hier und im Pentagon betonen, dass man erst nach einer Untersuchung des Wracks feststellen kann, was wirklich mit der Lockheed S-3B Viking geschehen ist, die Admiral Adams nach einem Treffen mit Verteidigungsminister Conrad in der Türkei wieder zu seinem Posten in Bahrain bringen sollte. Am Rande des Nato-Kongresses in der Türkei äußerte der Minister, er werde alle nötigen Schritte unternehmen, falls es in der ölreichen Golfregion zu kriegerischen Auseinandersetzungen kommen sollte. Martha …« Kate Delmarco schaltete den Ton ab und drehte sich zu Rusty MacIntyre um. »Eigentlich hatte ich morgen eine Verabredung mit ihm in Bahrain«, sagte Rusty und starrte auf die Bildschirme. »Er hat mir eine handschriftliche Nachricht hinterlassen, als ich auf dem Navy-Stützpunkt war. Darin stand, er werde mich heute Abend anrufen, um einen genauen Termin zu vereinbaren. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Islamijah uns durch den Abschuss seiner Maschine provozieren würde.« »Vielleicht sind sie es ja gar nicht gewesen. Du hast ja gehört, was gerade bei ABC gemeldet wurde: Wir wissen es noch nicht«, erwiderte Kate und hielt ihm ein Glas hin. »Bloody Mary?« 319

»Nein danke, lieber einen Tomatensaft pur. Ich hatte gestern Abend genug und bin ziemlich erledigt. Außerdem bin ich von unserem gemeinsamen Freund Brian Douglas versetzt worden.« »Gut, dann bleib eben nüchtern, wenn du unbedingt möchtest«, antwortete Kate und setzte sich an ihren Schreibtisch. »Wo mag der geheimnisvolle Mr. Douglas nur stecken? Allmählich mache ich mir Sorgen um ihn. Nein, das würde ihm gar nicht gefallen. Aber ein flaues Gefühl habe ich schon.« »Keine Ahnung«, sagte Rusty und betrachtete die Eiswürfel in seinem Glas. Immerhin wusste er von Brian Douglas’ Reiseplänen, auch wenn er nicht sagen konnte, wo genau der Engländer sich in diesem Augenblick befand. Doch wenn Brian Kate nichts davon verraten hatte, würde sie es von ihm auch nicht erfahren. Eigentlich hatte er Brian nach seiner Rückkehr fragen wollen, wie seine Beziehung zu Kate aussah. »Du hast gehört, was Conrad gerade angedroht hat«, sagte er, um so rasch wie möglich das Thema zu wechseln. »Er will reagieren. Nicht der Präsident. Nicht die Vereinigten Staaten von Amerika. Nur er persönlich.« Rusty zog die Jacke aus und setzte sich, Kate gegenüber, auf die Schreibtischkante. »Pass auf, Kate, ich habe nachgedacht. Conrad ist unser Problem, denn schließlich ist er derjenige, der Islamijah ständig verteufelt. Er will das Land durch ein Riesenmanöver vor der ägyptischen Küste einschüchtern. Er versucht, in Washington Angst und Schrecken vor angeblichen Atomsprengköpfen für die in China gekauften Raketen 320

zu verbreiten. Dieser Mann wird uns wieder in einen Krieg führen, und zwar sehr bald und möglicherweise sogar mit China. Jemand muss ihn aufhalten.« »Warum interessiert er sich auf einmal für die Chinesen?«, wunderte sich Kate und wollte nach ihrem Notizblock greifen. MacIntyre legte seine Hand auf ihre. »Sei nur dieses eine Mal keine Reporterin, sondern lass uns zusammenarbeiten.« Delmarco bedachte ihn mit einem finsteren Blick. »Okay, Kate, du kannst wohl nicht anders. Dann wühl eben ein bisschen in Conrads schmutziger Wäsche und stoß unseren Saubermann und Retter Amerikas von seinem weißen Ross. Vielleicht ist das der einzige Weg, ihn zu stoppen.« »Du bist aber ganz schön gemein, mein Junge«, merkte Delmarco an und schlug die Beine übereinander. »Nicht gemeiner als die Gegenseite. Conrad hat mir nämlich das FBI auf den Hals gehetzt. Ich soll einem Senator Informationen verraten haben, für die er keine Sicherheitsfreigabe besaß. Vielleicht wissen sie sogar von meinem Treffen mit Ahmed und werden mir vorwerfen, ich hätte Staatsgeheimnisse an Islamijah verraten.« »Was? Rusty, wovon redest du? Wie sollen sie dahintergekommen sein? Außerdem kann niemand etwas dagegen haben, wenn du mit einem Informanten aus Islamijah sprichst. Schließlich bist du Geheimdienstoffizier. Es ist dein Beruf«, schimpfte Delmarco, ganz die aufgebrachte Reporterin. 321

»Nein, ist es nicht. Ich leite eine Analysebehörde und soll hier die Ohren spitzen und nicht auf eigene Faust Informanten anwerben. Allmählich frage ich mich, was ich überhaupt hier verloren habe.« Rusty klang müde. »Conrad könnte alle möglichen Missverständnisse herbeikonstruieren. Manchmal glaube ich, dass er vor nichts zurückschreckt, um Widersacher aus dem Weg zu räumen.« Wieder griff Kate nach ihrem Notizblock und klappte ihn auf. »Gut, welche Leichen könnte er also im Keller haben?« »Ich weiß es nicht genau. Vielleicht finden wir etwas im Zusammenhang mit saudiarabischem Geld und seiner Übernahmegesellschaft. Es könnte ja durchaus sein, dass sich die königlichen Hoheiten im Exil und der Minister ihre Fürsprecher im Kapitol kaufen. Ein Freund von mir bekleidet einen hohen Posten dort und kann uns möglicherweise mehr sagen. Bis jetzt hat er eisern geschwiegen, aber inzwischen bin ich so gut informiert, dass es mir gelingen könnte, ihn zu einem Gespräch mit dir zu überreden. Ich müsste ihn davon überzeugen, dass es nötig ist, ein wenig Sand ins Getriebe zu streuen.« Rusty ging zur provisorischen Bar hinüber und schenkte sich einen kleinen Scotch ein. »Es müsste doch möglich sein, dem Kerl etwas am Zeug zu flicken.« »Ich mag es, wenn du gemein bist«, meinte Delmarco mit einem hinterhältigen Grinsen und deutete mit ihrem Stift auf Rusty. »Lass das!«, protestierte MacIntyre und nahm ihr den Stift weg. 322

»Also rein geschäftlich. Schon verstanden«, entgegnete Kate. »Ich könnte heute am späten Abend nach Washington fliegen. In New York liegt man mir schon seit einem Monat in den Ohren, dass ich zu einer Besprechung nach Hause kommen soll. Ich hoffe nur, dass ich während meiner Abwesenheit hier nichts verpasse.« »Das kann ich dir nicht versprechen.« MacIntyre nahm den Stift und hielt ihn sich an die Jacke. »Badabing!«, rief er, und schon im nächsten Moment schien der Stift die Jacke zu durchbohren, sodass ein Ende auf der anderen Seite herausschaute. »Du Blödmann! Warum machst du dir ein Loch in die Jacke?«, fragte Kate lachend, woraufhin er ihr das Kleidungsstück reichte. Es war keine Beschädigung zu sehen. Kate lachte weiter. »Ich fand nur, dass wir ein bisschen Aufmunterung nötig hatten, und Zaubertricks wirken da meistens Wunder«, sagte Rusty und kramte in seiner Jackentasche nach dem vibrierenden BlackBerry. »Wer zum Teufel ruft mich ausgerechnet jetzt an?« MacIntyre hielt sich das Gerät ans Ohr und nahm das Gespräch entgegen. »Hallo? … Wie schön, dass Sie wohlauf sind. Haben Sie keine Nachrichten gehört? … Wie? … Hier in Dubai? Mittagessen im Four Seasons? … Ich freue mich darauf, Sie zu sehen.« Er ließ das BlackBerry sinken und sah Kate mit einem verdutzten Kopfschütteln an. »Was ist los? Wer war das?«, erkundigte sie sich. Immer noch perplex, antwortete MacIntyre nicht 323

sofort. Dann griff er nach Kates Notizblock und hielt ihn ihr hin. »Nun, ich würde sagen, das war eine Exklusivinformation für das New York Journal. Was hältst du von: ›Admiral Bradley Adams, Kommandant der Fünften Flotte, ist heute Morgen an Bord einer Linienmaschine aus der Türkei auf dem Internationalen Flughafen von Dubai eingetroffen. Bis jetzt wurde vermutet, dass Adams sich in einer Viking der Navy befand, die vor der Küste von Kuwait abgestürzt ist. Inzwischen hat sich jedoch herausgestellt, dass Adams auf den Mitflug verzichtete, da er in letzter Minute eine Einladung der türkischen Marine angenommen hatte. Von seinem angeblichen Ableben erfuhr der Admiral erst nach seiner Landung in Dubai.‹« »Wow!«, rief Kate. »Und wir treffen uns mit ihm zum Mittagessen?« »Nein, ich allein. Du musst noch alles für deinen Heimflug in die Staaten heute Abend vorbereiten. Schon vergessen?« Er warf einen Blick auf die Monitore, wo acht verschiedene Nachrichtensender liefen. »Wenn wir Conrad daran hindern wollen, die gesamte Arabische Halbinsel in Brand zu setzen, steht uns noch ein gutes Stück Arbeit bevor.«

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Flughafen Doschan Tappeh Östlich von Teheran »Um diese Jahreszeit haben wir hier viele Gäste von der Monash University, Herr Professor«, sagte der Mann am Ticketschalter. »Hier, das hätten wir: Platz 4B. Am Fenster, wie gewünscht. Wir versuchen, allen Wünschen Ihrer Reisebüros in Melbourne gerecht zu werden, die uns in letzter Zeit ja viele Passagiere vermitteln. Haben Sie Gepäck?« »Ja, unser Austauschprogramm mit der Universität Kish läuft ziemlich gut. Nein, das Gepäck habe ich bereits vorausgeschickt, da ich das ganze Semester dort verbringen werde. Eine ziemliche Schlepperei. Darf ich Ihnen zu Ihrem ausgezeichneten Englisch gratulieren? Vielen Dank«, sagte Professor Sam Wallingford und nahm das Ticket der Kish Air entgegen, die ihn von dem kleinen Flughafen vor der Stadt zu der Ferieninsel im Golf bringen würde. Als er zum einzigen Gate kam, hatte das Boarding bereits begonnen. Die Maschine war eine alte fünfzigsitzige Fokker 50, bunt angestrichen in den Farben von Kish Air. Da es sich um einen Inlandsflug zur Insel Kish handelte, hatte der Mann vom Sicherheitsdienst nur einen nachlässigen Blick auf den australischen Pass, das iranische Visum und den Einreisestempel geworfen und den Professor durchgewinkt. Falls er überhaupt eine Liste der gesuchten Personen besaß, hatte er sie nicht zu Rate gezogen. Auf dem internationalen Flughafen Imam Khomeini wäre so et325

was nie vorgekommen, doch Kish Air hatte flexibel auf den Markt reagiert und seine Flüge ins weniger überfüllte und billigere Tappeh verlegt. Tappeh war früher Militärstützpunkt und jahrelang geschlossen gewesen, bis man den Flugplatz für kleinere Maschinen und Inlandsflüge wieder geöffnet hatte. Während Brian Douglas, alias Sam Wallingford, in der Focker saß und auf den Start wartete, ließ er die Ereignisse des Vormittags noch einmal Revue passieren. Was war Soheil zugestoßen? Trotz seiner Beteuerungen, dass er keinen Verdacht erregt hatte, musste er etwas geahnt haben. Das ausgesteckte Telefon. Das Radio. Die zugezogenen Vorhänge. Das Gewehr. Und er hatte sich trotzdem mit Douglas getroffen, um ihm die Informationen zu geben. Anscheinend hatten Soheils eigene Sicherheitsleute vom Außenministerium etwas vermutet. Vielleicht war ja jemandem aufgefallen, dass er die Dokumente aus dem Intranet des Ministeriums heruntergeladen hatte. Allerdings hatten sie nur zwei Offiziere geschickt, um Soheil zu befragen. Und dieser hatte sie mit einem Jagdgewehr erwartet. Nachdem er die beiden erschossen hatte, hatte er einem von ihnen die Pistole abgenommen und sich selbst getötet. Die Waffe des zweiten Offiziers befand sich jedoch nicht mehr in Soheils Wohnung, sondern lag am Grunde eines Abwassergrabens. Eigentlich hatte Brian sie gar nicht gebraucht. Er hätte sie zurücklassen sollen. Wenn er den Besitzer des Mercedes nur mit der Hand anstatt mit der Pistole niedergeschlagen hätte, wäre er wahrscheinlich nur 326

bewusstlos gewesen und würde jetzt nicht tot im Kofferraum seines eigenen Wagens in einem Hinterhof unweit des kleinen Flughafens liegen. Noch nie hatte Brian einen Unschuldigen getötet. Aus Aufregung und Angst hatte er zu fest zugeschlagen, ein dummer Anfängerfehler, den er sich selbst nicht verzeihen konnte. Die Fokker setzte sich in Bewegung. Der Flug zur Insel Kish dauerte über zwei Stunden. Zwei Stunden, die die Polizei Zeit hatte, vom Verschwinden des Mannes mit dem Mercedes zu erfahren und den Wagen trotz des mit Schlamm beschmierten Nummernschildes in seinem Versteck aufzuspüren. Möglicherweise würde den Polizisten dann einfallen, dass der kleine Flugplatz am Ende der Straße inzwischen eine Verbindung zur Insel Kish im Golf anbot. Und in diesem Fall würde man gewiss den dortigen Zoll oder den VEVAK verständigen. Brian betrachtete den winzigen Riss im Futter seines alten Jacketts. Eigentlich war es ihm zu riskant erschienen, die australischen Ausweispapiere dort zu verstecken, und er hatte es für übertrieben vorsichtig gehalten, sich für eine Flucht aus dem Land vorzubereiten. Doch Pamela hatte wie immer Recht gehabt. Hoffentlich würde das auch so bleiben. Als die Maschine abhob, stellte sich Brian vor, wie Bowers Simon Manleys Sachen aus dem Hotelzimmer verschwinden ließ und ihre Zimmer an der Rezeption bezahlte. Gewiss saß er in diesem Moment bereits in einer Maschine nach Johannesburg. Würde die Da327

tenbank am Zoll des Khomeini-Flughafens eine Verbindung zwischen Bowers’ Visum und dem von Manley herstellen? Wo ist denn Mr. Manley? – Er wollte heute einen Tagesausflug nach Shiraz unternehmen. Brian Douglas schloss die Augen, doch er fand auf dem unruhigen Flug über die Berge keinen Schlaf, sein Herzklopfen dauerte an, und seine Gedanken überschlugen sich. Der arme Teufel im Mercedes. Dafür gab es keine Entschuldigung. Allerdings rechtfertigten die Daten auf dem Flash-Speicher in seinem Strumpf, dass er sein eigenes Leben aufs Spiel setzte und allein und trotz seines Alters Undercover-Aktionen durchführte. Außer ihm wäre es niemandem gelungen, diese Daten zu beschaffen. Soheil und sein Vater hätten keinem anderen vertraut. Doch was wäre gewesen, wenn er den Vater nicht am Zeitungsstand angetroffen hätte? Douglas wäre mit leeren Händen nach Hause zurückgekehrt und hätte sich zum Gespött gemacht. Aber der Vater war da gewesen, und bis jetzt hatte Brian – trotz der tragischen Ereignisse – Erfolg gehabt. Ein Glück, dass Pamela auf einem Notfallplan bestanden hatte. Der Ruck beim Aufsetzen ließ ihn hochschrecken. Schließlich war er doch noch eingenickt. Ihm taten alle Knochen weh. Das Terminal war größer und viel moderner als vermutet. Brian versuchte, sich den Lageplan ins Gedächtnis zu rufen, den Pamela ihm gezeigt hatte. Hier war auch schon die Herrentoilette. Seine Uhr zeigte 11.40 Uhr an. Sie waren zehn Minuten zu früh gelandet. Ob der Omani wohl schon da wäre? 328

Brian ging zur letzten Kabine und öffnete die Tür. »Oh, Verzeihung, es war nicht abgeschlossen, ich …« Der Omani, die Hose bis zu den Fußknöcheln heruntergelassen, gab einen Schwall arabischer Flüche von sich. Und er hatte die Papiere in der Hand. Die Übergabe dauerte nur drei Sekunden. Brian Douglas schlüpfte in die nächste Kabine. Die Unterlagen sahen glaubhaft aus. Ein neuseeländischer Pass mit einem AusreiseStempel von der Insel Kish. Das Ticket, ausgestellt von Hormuz Airlines, galt für einen Flug nach Scharjah, Vereinigte Arabische Emirate, dessen Boarding in wenigen Minuten beginnen würde. Sicher hatte jemand dafür ein ordentliches Bakschisch eingestrichen, doch das war im Iran ja nicht weiter außergewöhnlich. Außerdem gab es im ganzen Iran keinen anderen Flughafen, an dem ankommende Fluggäste sich unter die Passagiere mischen konnten, die das Land verlassen wollten. Aber schließlich befand man sich hier auf Kish, einer Insel, die von Teheran zur Freihandelszone und zum internationalen Tourismusziel erklärt worden war. Die neuen Hotelwolkenkratzer am Strand erinnerten an Dubai, und man sah die Dinge hier ein wenig lockerer. Was Hongkong für die Chinesen, war Kish für die Iraner, nämlich eine durchlässige Membran, ein Ort, wo das dringend notwendige Wirtschaftsleben stattfand und wo die Leute es mit den Regeln nicht so genau nahmen. Brian reihte sich in die Schlange ein. Die Maschine war eine russische Iljuschin. Nur noch zwei Passagiere standen vor ihm, als er die Durchsage in Farsi hörte: 329

»Valnford, Professor Valnford, bitte wenden Sie sich an einen Polizisten oder Zollbeamten.« Sein Magen krampfte sich zusammen. Hatte der Omani einen Fehler gemacht? Aber schließlich war er nicht mehr Samuel Wallingford. Der hatte sich in Luft aufgelöst. Nun hieß Brian Avery Dalton und kam aus Neuseeland. Er lächelte dem Ticketkontrolleur zu und stieg die Gangway der alten Iljuschin hinauf. Die Maschine war kaum in der Luft, als sie schon wieder landete. Brian befürchtete schon, das Flugzeug könnte auf Geheiß der Polizei oder des Zolls nach Kish zurückgekehrt sein. Aber nein, dieser Flughafen hier war kleiner, und sie befanden sich eindeutig nicht auf einer Insel. Die Iljuschin landete holpernd und schwerfällig. Nein, sie waren nicht mehr im Iran, was ein Schild über der Zoll- und Passkontrolle bestätigte: »Willkommen in den Vereinigten Arabischen Emiraten.« »Bitte begleiten Sie mich, Mr. Avery«, sagte der Beamte, nachdem er den Pass eingescannt hatte. »Wie? Ich heiße Dalton. Mr. Dalton. Avery ist mein Vorname«, stammelte Brian. »Wir haben keine Aufzeichnungen darüber, dass dieses Einreisevisum je ausgestellt worden ist. Es befindet sich nicht in der Datenbank. Es dauert nicht lange. Hier entlang, bitte.« Die Tür war mit einer verspiegelten Scheibe versehen, auf der in Englisch und Arabisch das Wort POLIZEI stand. Der Raum dahinter war jedoch hell und bequem eingerichtet. »Bitte nehmen Sie Platz, Sir.« 330

»Darf ich ein Ortsgespräch führen? Dann lässt sich vielleicht alles aufklären. Vielen Dank.« Kurz erstarrte er, als er sein Gedächtnis nach der Nummer durchforstete. Doch dann fiel sie ihm wieder ein. »Britisches Konsulat, Dubai«, meldete sich eine Frauenstimme in freundlichem Singsang. »Die Devisenstelle, bitte«, verlangte Avery Dalton alias Sam Wallingford alias Simon Manley. »Devisenstelle, kann ich Ihnen helfen?«, meldete sich ein mürrischer Mann mit Süd-Londoner Akzent. »Ich heiße Brian Douglas und komme aus Bath«, antwortete Brian – das Losungswort, das bedeutete, dass er Hilfe brauchte. »Ich befinde mich im Büro der Grenzpolizei am Flughafen von Scharjah. Es gibt Probleme mit meinen Ausweispapieren.« Am anderen Ende der Leitung war es kurze Zeit still, bis dem Beamten wieder einfiel, was »ich komme aus Bath« bedeutete. Im nächsten Moment wurde ihm schlagartig klar, dass der Leiter der GeheimdienstNiederlassung für die gesamte Golfregion nicht in Bahrain weilte, sondern sich zwanzig Autominuten von Dubai entfernt befand und festgehalten wurde. »Wir kommen sofort und holen Sie ab, Sir. Außerdem verständigen wir unsere Jungs vor Ort.« Brian Douglas, der sich nun nicht mehr hinter einem Decknamen verstecken musste, legte den Hörer auf und drehte sich zu dem jungen Grenzpolizisten um. »Könnte ich vielleicht eine Tasse Tee haben?«

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Kapitel 12 16. Februar

Sicherheitszentrale der Republik Islamijah Riad »Du hast doch selbst gesagt, dass wir den Chinesen nicht trauen und sie nicht ins Land lassen dürfen«, protestierte Abdullah bin Rashid. »Und jetzt verlangst du von mir, dass ich mit den Amerikanern gemeinsame Sache mache?« »Nicht mit den Amerikanern an sich, sondern nur mit einigen. Schließlich sind sie nicht alle imperialistische Kriegstreiber. Viele von ihnen sind eher wie die Kanadier …«, erklärte Ahmed und fuhr trotz der zweifelnden Miene seines Bruders fort: »Jedenfalls müssen wir verhindern, dass sie uns angreifen, weil sie irrtümlicherweise von Atomwaffen in unserem Land ausgehen. Und ich glaube wirklich, dass man mit einigen Amerikanern reden kann.« Abdullah reichte Ahmed eine Aktenmappe. »Lies das. Nichts als schmutzige Lügen. Es ist eine Zusammenfassung der amerikanischen Medienreaktionen auf den Absturz ihres Navy-Flugzeugs vor Kuwait. Die Artikel strotzen nur so von Anschuldigungen, wir hätten die Maschine abgeschossen.« »Und haben wir?«, fragte Ahmed, während er die Papiere durchsah. 332

Verärgert über diese Frage, hielt Abdullah inne. »Nein, natürlich nicht«, erwiderte er nach einer Weile. »Unser Radar hat keine Flugkörper in der Nähe dieser Maschine angezeigt, und es wurden auch keine Raketen darauf abgefeuert.« Ahmed gab seinem Bruder die Mappe zurück. »Also ist es einfach von selbst mitten in der Luft explodiert?« »Es sieht ganz danach aus, Ahmed. Erst wollten sie uns die Schuld an dem Anschlag auf den Marinestützpunkt in Bahrain in die Schuhe schieben, den du vereitelt hast! Und jetzt sollen wir für eine Explosion an Bord eines ihrer Flugzeuge verantwortlich sein. Sie suchen nur nach Vorwänden, Ahmed. Begreifst du nicht, was gespielt wird?« Abdullah kehrte hinter seinen Schreibtisch zurück. Ahmed stützte die Handflächen auf die Tischplatte. »Ich sehe nur eines, Bruder, und zwar die Notwendigkeit, Ruhe zu bewahren und einen Ansprechpartner bei den Amerikanern zu finden, um solche Irrtümer in Zukunft zu vermeiden.« Abdullah sammelte einige Akten auf seinem Schreibtisch zusammen. »Interessiert es dich, womit ich mich täglich herumschlagen muss? Weißt du, wie schwer es ist, meine Brüder in der Schura zur Mäßigung zu bewegen? Komm mit. Heute trifft sich der Rat hier in diesem Gebäude, weil es besonders gut abzuriegeln ist. Die Öffentlichkeit ist zwar ausgeschlossen, aber du kannst mich als mein Mitarbeiter begleiten.« 333

Ahmed bin Rashid folgte seinem Bruder, dem Sicherheitschef von Islamijah, die Flure des ehemaligen Palastes entlang bis in einen kleinen Konferenzraum. Dort drängten sich Grüppchen lautstark debattierender Männer, viele von ihnen mit wallenden Bärten. Mitten im Raum stand ein großer ovaler Tisch, der mit Mikrofonen vor jedem Platz ausgestattet war. Abdullah deutete auf den amtierenden Präsidenten der Republik, Zubair bin Tayer, einen Geistlichen, der den Großteil des vergangenen Jahrzehnts in Damaskus, Teheran und London verbracht hatte. Gerade schickte bin Tayer sich an, seinen Platz am Kopfende des Tisches einzunehmen, um die Sitzung zu eröffnen. Ein elektronisches Klingeln hallte durch den Raum. »Im Namen Allahs, des Barmherzigen, des Erbarmers …«, verkündete Tayer in sein Mikrofon. Das Gebet, das einige Minuten lang dauerte, schloss auch drei Suren aus dem Koran ein. Sobald bin Tayer geendet hatte und sich wieder setzte, begann ein Mann rechts von ihm, eine Resolution zu verlesen. Ahmed brauchte eine Weile, bis er verstand, dass es darum ging, eine Gruppe von Studenten angemessen zu bestrafen. Die jungen Männer waren von der Religionspolizei festgenommen worden, weil sie gegen die Ausweitung der Scharia protestiert hatten. Dafür sollten sie nun auf einem Platz in Riad öffentlich ausgepeitscht werden. »Stimmt die Schura dem zu?«, fragte der Mann zu bin Tayers Linken mit dröhnender Stimme. 334

Abdullah beugte sich vor und drückte auf einen Knopf an seinem Mikrofon, woraufhin vor ihm ein grünes Lämpchen aufleuchtete. »Die Religionspolizei hat die Aufgabe, auf die Einhaltung religiöser Sitten zu achten. Es steht ihr nicht zu, Gesetzesverstöße zu ahnden.« Als es still im Raum wurde, fuhr Abdullah fort. »Ich bin es, der für die Befolgung von Gesetzen und für die innere Sicherheit zuständig ist, gemäß dem Beschluss dieser Schura, und nicht das Ministerium für Religionsfragen. Öffentliche Meinungsäußerungen zu Erlässen der Schura, einschließlich denen, die mit der Scharia in Zusammenhang stehen, verstoßen nicht gegen unsere Gesetze.« Ein Chor protestierender Stimmen erhob sich. »Diese Männer haben nichts getan, was ihre Festnahme, geschweige denn eine Auspeitschung, rechtfertigt«, schloss Abdullah seine Ausführungen. Das missbilligende Gemurmel wurde lauter, und ein Mann, der das Gewand eines Geistlichen trug, forderte ungeduldig, ihm das Wort zu erteilen. »Und was sollen wir nach der Meinung unseres Sicherheitschefs mit diesen Jungen anfangen, die sich haram, verbotene Taten, haben zuschulden kommen lassen? Sollen wir sie etwa mit Süßigkeiten belohnen?« Abdullah richtete sich auf und beugte sich langsam vor. »Es handelt sich nicht um eine Meinung, sondern um eine Tatsache. Ich habe in Ausübung meiner amtlichen Befugnisse diese auf unrechtmäßige Weise festgehaltenen Bürger auf freien Fuß gesetzt, denn sie haben kein Gesetz gebrochen.« Im Raum brach ein 335

Tumult aus. Ahmed war froh zu sehen, dass sein Bruder auch Befürworter hatte, die, ebenso wie seine Gegenspieler, durcheinander schrien und wild gestikulierten. Nun ergriff bin Tayer das Wort. »Minister Rashid. Wofür, glauben Sie, haben wir in dieser Revolution gekämpft? Etwa, um die Dekadenz, die die al-Sauds hinter verschlossenen Türen und im Ausland blühen ließen, weiter zu dulden? Damit jedermann sich als Koranschüler ausgeben darf? Damit Moslems in anderen Ländern abweichende Richtungen des Islam praktizieren können? Um ungläubige Kaffer und Frauen an die Macht zu lassen? Nein, es ist das erklärte Ziel dieser Regierung, solcher jahilija, solcher Ignoranz, ein Ende zu bereiten. Wer gegen die Gesetze verstößt, muss bestraft werden!« Darauf folgte ein weiterer Tumult. »Erstens, Zubair«, erwiderte Abdullah schließlich, »ist mir nicht aufgefallen, dass Sie persönlich gekämpft hätten.« Wieder erhob sich empörtes Geschrei: »Munafigeen!« Abdullah wurde als Heuchler beschimpft. Doch er übertönte den Lärm. »Zweitens haben diejenigen unter uns, die zu den Waffen gegriffen haben, das getan, um unser Land zu verändern, nicht um andere Völker unserem Willen zu unterwerfen. Und drittens ist es nicht die Aufgabe der hakimija, der Regierenden, unserem eigenen Volk den Salafismus oder sonst eine Denkrichtung aufzuzwingen. Der Prophet Mohammed, Segen und Friede seien mit ihm, 336

hat die Juden und die Anhänger Jesu als Kinder Abrahams anerkannt. Seit Jahrhunderten sind Muslime ihre eigenen Wege gegangen. Manche entschieden sich dafür, murtadeen zu sein und ein weltliches Leben zu führen, während nur sehr wenige den Weg von Tajmijah, Wahhab oder der Salafisten gewählt haben. Wir haben nicht deshalb gekämpft, um die neunzig Prozent unserer muslimischen Brüder zu bekehren, die Ihre Auffassung nicht teilen, Zubair.« Abdullah drehte sich um und kehrte bin Tayer den Rücken zu, als er sich flehend an die übrigen Mitglieder der Schura wandte. »Es ist die Pflicht jedes Landes, seinem Volk Entwicklungsmöglichkeiten zu geben und es den Klügsten unter seinen Bürgern zu gestatten, für die Übrigen Aufbauarbeit zu leisten. Deshalb sollten wir als Regierung die Bildung, die Wissenschaften, die Medizin und die Mathematik fördern. Das sind keine unislamischen Ideen, sondern Kenntnisse, die islamische Wissenschaftler vor vielen Jahrhunderten entdeckt und entwickelt haben, als wir die Blütezeit unserer Macht erlebten. Damit müssen wir uns beschäftigen, anstatt Studenten auszupeitschen und Handlungen zu bestrafen, die eigentlich halal sind.« Nachdem eine weitere Stunde lang heftig und aufgeregt debattiert worden war, vertagte sich die Schura der Republik Islamijah, ohne dass eine Entscheidung gefallen wäre. Als Abdullah rasch durch eine Seitentür neben seinem Platz aus dem Raum schlüpfte, heftete Ahmed sich an seine Fersen. »Ich bin stolz 337

auf dich, Bruder«, sagte er auf dem Rückweg in Abdullahs Büro. »Weißt du jetzt, warum die Sitzungen nicht, wie von dir vorgeschlagen, im Fernsehen übertragen werden?«, meinte Abdullah lachend. »Nein. Das ist umso mehr ein Grund dafür, weshalb alle sie sehen sollten. Das Volk würde so etwas niemals dulden und dich gegen diese Neandertaler unterstützen«, beharrte Ahmed. Bald gesellten sich sechs von Abdullahs Fürsprechern in der Schura zu ihnen ins Büro. »Seid ihr nun zufrieden, meine Freunde?«, erkundigte sich Abdullah. »Es war richtig, dieses Thema anzusprechen, Abdullah. So wird dem Volk klar werden, dass es hier nicht um einen Religionskampf, sondern um die Frage geht, wie viel Mitspracherecht es in unserem Staat bekommen soll«, erwiderte Ghassam bin Khamis und klopfte Abdullah auf die Schulter. Ghassam war mit Abdullah im Jemen im Exil gewesen und leitete nun eine seiner Aufklärungsabteilungen. »Viel mehr von Bedeutung ist die Frage, ob wir den Übergang in die Moderne schaffen«, wandte Hakim bin Awad ein. »In einem modernen Staat wird nämlich niemand ausgepeitscht. Außerdem besitzen die Menschen dort das Recht zu sagen, was sie von den Gesetzen halten. Deshalb haben wir die al-Sauds ja schließlich gestürzt, denn sie haben uns eingesperrt, wenn wir gegen ihre Machenschaften protestiert haben.« 338

»Ghassam, Hakim, ihr habt beide Recht. Wir haben nicht dafür gekämpft, so zu werden wie die alSauds, zumindest ich nicht.« Abdullah ließ sich auf eines der vier Sofas fallen, die in seinem Büro einen Halbkreis bildeten, und zupfte sein Gewand zurecht. »Ich habe gekämpft, damit dieses Land wieder Luft zum Atmen bekommt, so wie damals, als unsere Großväter noch frei durch die Wüste zogen. Außerdem dafür, dass das Land dem Volk gehört und nicht einem Privatunternehmen, das Teil eines britischen oder amerikanischen Großkonzerns ist. Ich wollte, dass wir unseren eigenen demokratischen Weg finden.« Ahmed war erstaunt. Noch nie hatte er erlebt, dass sein Bruder so leidenschaftlich eine klare Meinung vertrat, die sich in weiten Zügen mit seiner eigenen deckte. »Darüber hinaus müssen wir der arabischen Welt wieder zu der Führungsrolle in der Kunst, der Wissenschaft, der Medizin und der Mathematik verhelfen, die sie einmal innehatte«, fuhr Abdullah mit einem Blick auf seinen Bruder fort. »All das ist uns verloren gegangen. Durch unsere eigene Schuld ist unser Volk engstirnig geworden.« Schmunzelnd erinnerte Ahmed sich an den arabischen Entwicklungsbericht, den er seinem Bruder zugesteckt hatte. »Das Problem sind die wahhabistischen Geistlichen, die es inzwischen noch schlimmer treiben als die al-Sauds«, stellte Hakim fest. »Ich werde euch etwas über den Wahhabismus er339

zählen«, erwiderte Abdullah. »Sie selbst würden dieses Wort nie benutzen, behaupten aber, dass es sich dabei um den wahren Islam handelt. Allerdings lehnen neunzig Prozent der Muslime den Wahhabismus ab. Also sollten Muslime in diesem Land auch die Möglichkeit dazu haben, wenn sie dies wünschen. Unsere Regierung darf ihren Bürgern nicht vorschreiben, welcher wissenschaftlichen Deutung des Heiligen Koran oder des Hadith sie zu folgen haben.« »Wenn du das öffentlich sagst, werden sie dich umbringen lassen, Abdullah«, warnte Ghassam. »Bin Tayer befürchtet, du könntest in den Wahlen gegen ihn kandidieren. Deshalb verschiebt er sie ja immer wieder, und darum fordern seine Anhänger das Wahlrecht ausschließlich für fromme Muslime. Du bist in Gefahr, Abdullah.« »Die Truppen stehen geschlossen hinter Ihnen, Scheich«, sagte General Khalid, der Kommandant der neuen Streitkräfte, die sich aus der ehemaligen saudischen Armee und der früheren Nationalgarde zusammensetzten. »Ihre Männer mögen hinter ihm stehen, doch der Großteil ihrer Waffen ist nicht mehr funktionstüchtig. Und unsere Gegenspieler holen immer mehr Chinesen ins Land. Können wir uns wirklich darauf verlassen, dass sie mit ihren Raketen in der Wüste bleiben werden?«, gab Ghassam zurück. Abdullah fuhr herum. »Was höre ich da, Ghassam? Noch mehr Chinesen?« »Ich hatte noch keine Zeit, es dir zu sagen, Abdul340

lah. Meine Männer haben mir bestätigt, dass in verschiedenen Häfen am Golf und am Roten Meer Vorbereitungen für die Anlandung und Unterbringung weiterer chinesischer Truppen getroffen werden. Noch mehr Chinesen werden auf dem Luftweg eintreffen. Das ist keine bloße Truppenrotation, da steckt mehr dahinter.« Abdullah strich sich über den kurzen Bart. »Das wurde nie in der Schura besprochen. Wozu brauchen wir so viele Chinesen?« Ahmed, der sich zurückgelehnt hatte, um dem Gespräch zu lauschen, mischte sich ein. »Vielleicht, um Atomwaffen zu bewachen?« »Nein«, gab Abdullah mit Nachdruck zurück. »Dass wir uns Atomsprengköpfe für die Raketen besorgen, wurde niemals beschlossen.« »Möglicherweise ist bin Tayer ja hinter dem Rücken der Schura tätig geworden«, mutmaßte Hakim. »Nein«, beharrte Abdullah. Dann wandte er sich an General Khalid. »Finden Sie es heraus.«

The Ritz-Carlton Hotel Dubai, Vereinigte Arabische Emirate »Sind Sie Russell MacIntyre?« Ein junger Mann mit britischem Akzent näherte sich dem Taxi. MacIntyre bezahlte den Fahrer und drehte sich um. »Und wer zum Teufel sind Sie?« »Ich bitte vielmals um Verzeihung, Sir«, erwiderte 341

der junge Mann und hielt Rusty eine Visitenkarte hin. »Clive Norman, britisches Konsulat. Ich komme von der Devisenstelle …« »Hören Sie, ich bin hier verabredet«, entgegnete MacIntyre und wollte sich schon an ihm vorbeidrängen. »Mit Admiral Adams. Ja, ich weiß, Sir. Doch es hat eine Änderung im Zeitplan gegeben. Er möchte sich in einer unserer Einrichtungen ganz in der Nähe mit Ihnen treffen.« MacIntyre musterte die Visitenkarte und betrachtete den jungen Mann, der zweifellos ein Brite war. Er glaubte kaum, dass er einen Terroristen oder einen Entführer vor sich hatte. »Ein Konsulatswagen mit Fahrer erwartet Sie, um Sie hinzubringen, Sir. Wenn Sie also bitte so gut sein würden …« Norman wies auf einen Jaguar mit Diplomatenkennzeichen, der in der Auffahrt stand. »Der Admiral sagt, Sie könnten ihn jederzeit anrufen, um zu bestätigen …« »Also gut, fahren wir«, erwiderte MacIntyre, obwohl sich sein Argwohn noch nicht ganz gelegt hatte. Nach wenigen Minuten bog der Wagen in ein Tor ein, an dem zwei uniformierte Mitarbeiter eines der vielen in Dubai tätigen Security-Unternehmen Posten standen. Drinnen auf dem Grundstück stoppte das Auto vor einer gewaltigen Villa, einem der schimmernden, viel zu großen Privatpaläste, die die Küste säumten. Clive Norman ging voran, die Treppe hinauf und durch eine Vorhalle mit Gewölbedecke und Marmorfußboden. Jenseits der Glastüren konnte MacIntyre 342

den Golf sehen. Noch immer wusste er nicht, was hier eigentlich gespielt wurde. »Die Herrschaften speisen auf der Terrasse hinter dem Haus, Sir. Wenn Sie bitte durchgehen wollen …« MacIntyre folgte der Aufforderung und öffnete die Terrassentüren, die ins Freie führten. »Hier drüben, Rusty!« Es war Brian Douglas. Er war kahlköpfig und hatte Tränensäcke unter den Augen. Außerdem schien seine Nase eine andere Farbe zu haben als das restliche Gesicht, und sein Polohemd saß viel zu eng. Aber es handelte sich eindeutig um Brian Douglas. »Ich glaube, Admiral Adams kennen Sie bereits.« MacIntyre schüttelte dem Navy-Offizier die Hand und wandte sich dann an Douglas. »Schön, Sie zu sehen. Sie beide, um genau zu sein. Gestern Abend dachte ich schon, es wäre aus und vorbei mit Ihnen.« »Tut mir Leid, dass ich Sie versetzt habe. Es hat … Komplikationen gegeben. Aber jetzt bin ich ja hier. Außerdem habe ich gerade ein abhörsicheres Telefonat mit Sir Dennis geführt, der mich dazu ermächtigt hat, Sie beide über die Ergebnisse meiner Nachforschungen in Kenntnis zu setzen. Allerdings nur unter der Bedingung, dass Sie es nicht weitermelden. Sie werden noch erfahren, warum.« »Meine Herren, das Mittagessen ist serviert«, verkündete Clive Norman. Er stand ein paar Meter entfernt an einem Tisch. »Ich lasse Sie jetzt allein. Klingeln Sie bitte, wenn Sie etwas brauchen.« Eine knappe Stunde später servierte Norman, durch ein Läuten herbeigerufen, noch einmal Kaffee. 343

»Ich weiß, in welche Lage es Sie beide bringt, insbesondere deshalb, weil Ihre eigene Regierung – oder zumindest einige ihrer Mitglieder – anscheinend in diese Sache verwickelt ist«, sagte Douglas und schenkte ein. »Aber ist es wirklich so schwer zu glauben?« Der Admiral ergriff als Erster das Wort. »Nein, ist es nicht. Und leider Gottes entspricht es vermutlich auch der Wahrheit.« MacIntyre erinnerte sich daran, wie sehr Senator Robinson diesen Mann schätzte, der für seine drei Sterne noch viel zu jung wirkte. Währenddessen fuhr Adams fort: »Letzte Woche war ich beim Regionalen Oberkommando der US-Streitkräfte für den Nahen Osten in Tampa. Dort habe ich einen Mann, einen hohen Offizier, dem ich absolut vertraue, getroffen, der die Meinung vertrat, das Manöver Bright Star sei nur eine Tarnung für eine geplante amerikanische Invasion von Islamijah. Seiner Ansicht nach sei die Übung viel zu groß angelegt. Eine Unmenge an Männern, Ausrüstung und Verpflegung für nur einen Monat. Er hat den Verdacht, dass das SEAL-Team Sechs bereits nach möglichen Landeplätzen Ausschau hält.« »Gut, aber dass sie deshalb gleich ein amerikanisches Flugzeug abschießen und Islamijah die Verantwortung zuschieben? Oder den Navy-Stützpunkt in Bahrain in die Luft jagen?« MacIntyre war skeptisch. »Aus den iranischen Dokumenten geht klar hervor, dass die Amerikaner nichts von dem geplanten Anschlag auf den Marinestützpunkt in Bahrain wussten. Es waren die Iraner, die wollten, dass man Islamijah 344

für den Schuldigen hält«, erklärte Brian Douglas. »Und es mag unglaublich klingen, aber Kashigian war tatsächlich damit einverstanden, dass sie eine Viking runterholen und es so aussehen lassen, als steckte Islamijah dahinter. Dass sich die Iraner ausgerechnet das Flugzeug ausgesucht haben, in dem der Kommandant der Fünften Flotte hätte sitzen sollen, muss man sich auf der Zunge zergehen lassen.« Die beiden Amerikaner wechselten bestürzte Blicke. »Aber ergibt es denn Sinn, Brian, dass Kashigian und Conrad – oder wer immer auch sonst die Finger im Spiel haben mag – eine Invasion der Iraner in Islamijah dulden würden?« »Leider ja, Rusty. Und zwar aus folgendem Grund: Das Pentagon wird den Einmarsch der Iraner als Anlass für ein amerikanisches Eingreifen nehmen. Natürlich werden die Iraner ihrerseits behaupten, dass die Regierung in Riad die Schiiten in den östlichen Provinzen blutig unterdrückt, weshalb sie etwas zu ihrem Schutz unternehmen mussten. Und Conrad wird sich daraufhin als Sieger präsentieren, da es ihm schließlich gelungen ist, die Iraner bis auf eine kleine Enklave an der Küste zurückzudrängen«, erläuterte Douglas und beugte sich über den Tisch. »Und jetzt kommt der springende Punkt: Die Iraner planen außerdem, Bahrain einzunehmen. Offenbar rechnen sie damit, dass die amerikanische Flotte zu diesem Zeitpunkt nicht vor Ort sein wird.« Admiral Adams lehnte sich zurück. »Stimmt. Denn ich soll alle Überwasserkampfschiffe in den Indischen 345

Ozean verlegen, vorgeblich, damit sie sich im Roten Meer an Bright Star beteiligen. Doch in Wirklichkeit soll ich die Schiffe der chinesischen Marine daran hindern, Islamijah zu Hilfe zu kommen. Inzwischen verstehe ich, warum der Minister es so eilig hatte, die dafür nötigen Befehle zu besorgen. Er möchte, dass die Amerikaner vor den Chinesen landen.« »Okay, bis hierhin passt es«, gab MacIntyre zu und klopfte geistesabwesend mit der Hand auf den Tisch. »Conrad rechnet damit, dass die Chinesen kommen, und nimmt an, dass sie auch die Atomsprengköpfe für die Raketen mitbringen, die sie an Islamijah verkauft haben. Aber wenn Sie ihre Flotte blockieren … das wäre ein kriegerischer Akt.« Adams warf MacIntyre einen Blick zu. »Das dürfen Sie laut sagen. Die chinesische Flotte ist gut ausgerüstet. Und sie hat tatsächlich Atomsprengköpfe für die Raketen an Bord. Diese Meldung habe ich heute Morgen von meinem Büro erhalten, als ich auf dem abhörsicheren Telefon der Botschaft dort anrief. Das hat die Jimmy Carter vor der Küste Malaysias einwandfrei festgestellt.« »Also hatte Conrad in dieser Hinsicht doch Recht«, murmelte MacIntyre. »Aber er irrt sich, was die Absichten des Iran angeht«, wandte Brian Douglas ein, der das Gespräch wieder auf das ursprüngliche Thema lenken wollte. »Er denkt, dass die Iraner ausschließlich in der Gegend von Dhahran landen werden. In Wirklichkeit jedoch wollen sie sich die gesamte Golfküste von Is346

lamijah inklusive Bahrain unter den Nagel reißen. Er glaubt immer noch, dass die Iraner sich wieder zurückziehen werden, nachdem sie ein Abkommen zum Schutz der Schiiten geschlossen haben. Tatsache ist aber, dass Teheran die Enklave als Versorgungsbasis für einen Terror- und Guerillakrieg benutzen will, und zwar mit dem Ziel, die Amerikaner und die alSauds ein für alle Mal aus dem Land zu verjagen. Sie planen, die Vereinigten Staaten in einem langen Wüstenkrieg ausbluten zu lassen.« »Na toll! Also hat Conrad mit den Iranern ein geheimes Abkommen getroffen, um den al-Sauds wieder an die Macht zu verhelfen. Und die Iraner ziehen ihn über den Tisch, indem sie sich gleich den halben Golf unter den Nagel reißen und uns in einen neuen Besatzungskrieg locken. Einfach großartig!« Verärgert schüttelte Adams den Kopf, und sein sonst blasses Gesicht rötete sich vor Wut. »Wir müssen diesem Dreckskerl einen Strich durch die Rechnung machen.« »Ja«, sagte Rusty leise. »Das müssen wir.« Eine Weile saßen die drei Männer schweigend da. Russell MacIntyre, der amerikanische Geheimdienstanalyst, blickte nachdenklich auf den Persischen Golf hinaus, bis ihm ein Ausweg aus seinem Dilemma einfiel. »Vor kurzem habe ich mit einer Freundin die Frage erörtert, ob ich arrogant sei. Sie meinte zwar, das träfe nicht zu, aber vielleicht stimmt es ja doch, denn jeden Abend bin ich aufs Neue der Ansicht, dass ich in 347

meinem Job dem amerikanischen Volk verpflichtet bin und nicht Conrad und Konsorten. Und niemand hat das amerikanische Volk gefragt, ob es damit einverstanden ist, dass noch mehr seiner Kinder in einem weiteren Krieg geopfert werden.« MacIntyre hatte sich entschieden. »Wenn wir drei beschließen, etwas zu tun, werden wir auf uns allein gestellt sein. Wir werden niemanden in Washington oder London finden, der uns unterstützt. Aber ich habe da eine Idee, wie wir vielleicht etwas erreichen könnten.« Er wandte sich an Bradley Adams. »Admiral, Sie haben Order, die Fünfte Flotte aus dem Golf abzuziehen, und ich weiß, dass Sie diesen Befehl befolgen müssen. Doch vielleicht könnten Brian und ich währenddessen hier einiges dafür tun, um Ihnen den Rücken freizuhalten, damit Sie die Möglichkeit haben, im richtigen Moment die richtige Entscheidung zu treffen. Brian, und wir beide machen uns selbständig. Wenn es schief geht, verlieren wir alles, unseren Job, unsere Pensionsansprüche und vielleicht noch eine Menge mehr. Aber ich habe einen Eid geschworen, mein Land vor Schaden zu bewahren – und nicht, eine Bande von Lügnern zu schützen, nur weil sie zufällig an der Macht sind.« Rusty schluckte. »Sind Sie dabei?« »Ja. Außerdem habe ich einige Freunde in der Golfregion, die uns helfen werden. Sie sicher auch, Admiral.« Der britische Agent lächelte. »Und wenn 348

wir scheitern, wird man in London vermutlich nicht halb so sauer auf mich sein wie Ihre Leute in Washington auf Sie.« Er schüttelte MacIntyre die Hand. Admiral Adams stand auf und legte den beiden Geheimdienstleuten die Hände auf die Schultern. »Sie halten mich vermutlich für einen schrecklichen Spießer, aber als ich ein Kind war, habe ich mir im Fernsehen leidenschaftlich gern die Disney-Serie über Davy Crockett angesehen. Und gerade eben ist mir wieder diese Zeile aus der Titelmelodie eingefallen: ›Sei immer sicher, dass du Recht hast, dann geh voran!‹ Meine Herren, ich bin sicher, wir sind im Recht. Wenn es einen Weg gibt, einen weiteren auf Lügen basierenden Krieg zu verhindern, in dem Abertausende von Arabern und Amerikanern ums Leben kommen werden, ist es unsere Pflicht, das zu tun.« »Es ist ein ziemliches Risiko, und alle Räder müssen nahtlos ineinander greifen«, gab Rusty zu bedenken und sah dabei den Marineoffizier an. »Aber es ist unsere einzige Chance. Brian, können Sie uns beide nach Islamijah einschleusen?«

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Kapitel 13 17. Februar

An Bord des Awacs-Aufklärungsflugzeugs E-10A der U. S. Air Force Rufzeichen »Quarterback Golf« 13 000 Meter über dem Persischen Golf »Wissen Sie, Major, es ist, als ob die Iraner müde geworden wären«, sagte Master Sergeant Troy White über das Intercom. »In den letzten Wochen sind sie wie die Wilden in ihren alten MiGs und anderen Mühlen hier herumgedüst. Und heute ist fast nichts am Himmel zu sehen. Nur ein paar planmäßige Linienmaschinen. Der heutige Einsatz wird ein Kinderspiel.« Dank des sich drehenden Rotodroms auf dem Dach der umgebauten Boeing 767 hatte Sergeant White über dreihundert Kilometer weit Sicht in den Iran, während die große zweistrahlige Maschine langsam mitten über den Persischen Golf von Abu Dhabi nach Kuwait flog. »Verstanden, Troy. Was ist mit der anderen Seite?«, wollte Major Kyle Johnson, der seinen Platz in der vorderen Kabine hatte, wissen. »Das gute alte Islamijah hat Probleme, seine Vögel zum Fliegen zu bringen, seit wir ihnen den Nachschub abgeschnitten haben. Tut sich da heute Morgen was?« 350

»Nein, Sir. Drüben ist alles ruhig. Der Global Hawk über Kuwait meldet einige große Flugzeuge, die im Norden kreisen. Sieht aus wie eine Übung von Air Islamijah. Vielleicht Erkundungsflüge. Sonst nur Routine.« Der Global Hawk war eine von zwei Drohnen, die in großer Höhe Schleifen an beiden Enden des Golfs – eine über Kuwait, die andere über der zu Oman gehörenden Halbinsel Musandam flogen. Sie bewegten sich in einer Höhe von mehr als zwanzigtausend Metern und verfügten über ein Look-down-Radar zur Erfassung tief fliegender Ziele, dessen Signale an einen Satelliten geschickt und von dort aus an die Awacs-Aufklärungsflugzeuge gesendet wurden. Zusätzlich zu den eigenen Radargeräten und denen der Global Hawks besaßen die unbewaffneten AwacsFlugzeuge noch Sensoren, die es ihnen ermöglichten, die Strahlung von Radar- und Funkgeräten in der Luft, auf dem Boden und auf dem Wasser zu orten und zu kategorisieren. Sämtliche von dem Flugzeug gesammelten Daten wurden unverzüglich an einen Satelliten weitergegeben, der sie dem Außenposten des amerikanischen Regionalen Oberkommandos in Qatar, dem Stützpunkt der Fünften Flotte in Bahrain, den Luftabwehrraketen-Batterien in Kuwait und an weitere militärische und geheimdienstliche Einrichtungen in den Vereinigten Staaten meldete. »Aufklärung, was sehen Sie?«, fragte Major Johnson über das Intercom. Zwei Kabinen von Johnson entfernt hörten ein 351

junger weiblicher Offizier der Air Force, zwei Unteroffiziere Ende dreißig und ein vierzigjähriger Geheimdienstmann von der NSA über Kopfhörer mit und beobachteten alles auf Flachbild-Monitoren. Lieutenant Judy Moore antwortete für ihre Abteilung: »Stimme Sergeant White zu, Sir. Auf iranischer Seite herrscht Grabesstille. In Islamijah sieht man ab und zu ein Patriot-Radar aufblinken. Die habe ich schon lange nicht mehr beobachtet. Aber sie bleiben nie lange an. Offenbar haben sie Probleme. Und Troy hat Recht, was die beiden großen Vögel angeht, die über Ar Ar an der irakischen Grenze kreisen. Sie haben sich als Aufklärer von Air Islamijah identifiziert. Ich glaube, es handelt sich in beiden Fällen um vierstrahlige Maschinen.« Judy drehte ihren Stuhl herum und blickte auf einen weiteren Monitor. Dort waren die von der in 22 000 Meter Höhe über der Straße von Hormuz kreisenden Global-Hawk-Drohne übermittelten Daten zu sehen. »Hier im Süden machen hauptsächlich wir selbst Alarm. Die Navy ist unterwegs zu Bright Star, sodass in der Umgebung alles aufleuchtet.« »Gut, Leute. Wir fliegen heute die übliche Runde«, kündigte der Major der Besatzung über das Intercom an. »Erst geht es nach Kuwait mit ein paar Abstechern zu den amerikanischen und kuwaitischen Patriot-Raketen-Basen und anschließend in einer engen Südkurve zurück nach Qatar. Und dann wiederholen wir das Ganze.«

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Außerhalb der Reichweite des Awacs-Radars starteten auf dem iranischen Luftwaffenstützpunkt Dezful fünf Kampfflugzeuge vom russischen Typ SU-27 Flanker. Jeder der zweistrahligen Abfangjäger hatte acht wärme- und radargelenkte Luft-Luft-Raketen an Bord. Zwei Jungen, die sich gerade in Dezful auf dem Weg zur Schule befanden, beobachteten gebannt die großen Überschalljets, obwohl in der Luft rings um Dezful häufig SU-27 zu sehen waren. Doch heute, so waren sich die beiden Schüler einig, verhielten sich die Kampfflugzeuge anders als sonst. Erstens waren sie zu fünft und nicht nur zu zweit, und zweitens stiegen sie beim Start nicht wie üblich senkrecht in die Höhe, sondern hielten sich dicht über dem Boden, sodass sie vom Radar nicht erfasst werden konnten. Ein Schweif aus dichtem schwarzem Rauch zog sich hinter ihren insgesamt zehn Triebwerken her, als sie Kurs nach Westen nahmen. Hätten die Schüler Ferngläser gehabt, wäre ihnen noch etwas Ungewöhnliches aufgefallen: Der Tarnanstrich war neu. Die Abfangjäger flogen nach West-Südwest, verließen den iranischen Luftraum und nahmen Kurs auf den Irak zwischen Al Kut im Norden und Al Amarah im Süden. Mit jeweils drei Kilometer Abstand rasten sie in hundert Meter Höhe über den Tigris hinweg, wobei sie weiter Kurs auf Südwesten hielten. Ihre Route führte sie den Euphrat entlang und an den heiligen Städten der Schiiten, Najaf im Norden und Nasariyah im Süden, vorbei. Unweit des Flussufers bemerkte ein Mann, der gerade Arbeiten an einem Mo353

bilfunkmast durchführte, die ungewöhnliche Fünferformation und rief einen Freund an, um ihn zu fragen, ob er die Flugzeuge ebenfalls sehen konnte. Das fruchtbare Land rings um die beiden Flüsse war Schlachtfeld gewesen, seit es auf Erden Machtinteressen gab. Doch die Landschaft, die nun vor den Flugzeugen lag, war eine gewaltige menschenleere Wüste. Hier warf jede Maschine einen leeren Außenbord-Benzintank als Ballast ab. Da die Gegend unbewohnt war, drosselten sie das Tempo, um den im Tiefflug erhöhten Treibstoffverbrauch auszugleichen. Als die Flugzeuge die Grenze zu Islamijah erreichten, schlossen sie ihre Formation enger und flogen noch tiefer über den Wüstensand. Der Führungspilot dirigierte seine Flügelmänner mit Handzeichen. Die Funkgeräte waren zwar eingeschaltet, sendeten aber nicht, das Radar war auf Stand-by geschaltet. Lediglich das IRST, das Infrarot-Such-und-Aufspürsystem, tastete den Boden ab. Bei dieser geringen Flughöhe betrug die Sichtweite zwar nur wenige Kilometer, doch so riskierten die Piloten nicht, dass ihre Radarsignale aufgefangen wurden. Laut ihrem IRST war die Luft rein. Nördlich von Rafha und südlich von Ar Ar passierten die Maschinen die Grenze. Unter ihnen war nichts außer Dünen zu sehen. Mit einem Handzeichen befahl der Führungspilot seinen Flügelmännern, eine Linkskurve zu fliegen; die Maschinen nahmen ein wenig Höhe auf, um das Manöver auszuführen, und schwenkten dann sanft in Richtung Süd-Südost. Auf dem Boden unter ihnen wies nichts darauf hin, 354

dass sie ihr Ziel erreicht hatten. Aber das Signal des Galileo-GPS-Satelliten, das sie auffingen, bestätigte ihnen, dass sie sich auf dem richtigen Kurs befanden. Rechts im Süden sahen sie die Wüstenstadt Baqa, was bedeutete, dass sie bald noch tiefer würde fliegen müssen. Nachdem sie Baqa hinter sich gelassen hatten, waren es noch einige Kilometer nach links bis zu den beiden militärischen Anlagen Hafr al Batin und KKMC – King Khalid Military City. Auf beiden Stützpunkten herrschte nach dem Staatsstreich mehr oder weniger Grabesstille. Beobachter des iranischen Quds-Kommandos, als Kameltreiber verkleidet, hielten sich in der Nähe der beiden Stützpunkte auf und bestätigten, dass dort den ganzen Vormittag über kein einziges Flugzeug gestartet war. Von ihrem Lager auf der anderen Seite der Zäune hatten sie den Flugplatz gut im Blick. Niemand unternahm Anstalten, eine Maschine startklar zu machen. Die Beobachter gaben die Nachricht über kleine Satelliten-Funkgeräte nach Teheran durch. Da die Luft offensichtlich rein war, brauchte Teheran keine Notfall-Satellitenverbindung zu den Abfangjägern herzustellen. Sobald sie südlich von KKMC waren, wollten die tief fliegenden SU-27 rasch in den Steigflug gehen und sich dann links halten, in westliche Richtung zum Persischen Golf südlich von Kuwait. Der Führungspilot kontrollierte seine Treibstoffanzeige. Er hatte bis jetzt etwas mehr Kerosin verbraucht als eingeplant. Sein Blick fiel auf den Bildschirm des Im355

pulsdopplerradars, das zwar eingeschaltet, aber noch nicht auf Sendung war. Wenn er den Kippschalter umlegte, würde das Gerät ihm die Möglichkeit geben, ein Ziel automatisch zu identifizieren und zu verfolgen, und gleichzeitig die Raketen steuern. Der Zeitpunkt dafür würde jeden Moment gekommen sein. Als der Pilot den Radarschirm betrachtete, bemerkte er, dass auf dem ELINT-Monitor ein Symbol aufblitzte, das im nächsten Augenblick bereits wieder erlosch. Der Pilot war überzeugt, dieses Symbol vor ein paar Minuten schon einmal auf dem Überwachungsmonitor gesehen zu haben; allerdings hatte er nicht weiter darauf geachtet. Nun drückte er auf den Knopf unterhalb des Bildschirms, um die Daten abzurufen. Wie sich herausstellte, hatte dieses Signal seinen Abfangjäger innerhalb der vergangenen sechzehn Minuten schon viermal getroffen, jedoch stets nur so kurz, dass kein automatischer Alarm ausgelöst worden war. Wieder betätigte der Pilot das Gerät, um sich das Signal analysieren zu lassen. »APY-2«, las er auf dem Bildschirm. Der Pilot verstand die Welt nicht mehr, denn APY-2 war ein Signal, mit dem er eigentlich erst in wenigen Minuten gerechnet hatte, nämlich das des starken Suchradars auf dem Dach der amerikanischen Awacs-Maschine. Er sah auf die Uhr: 0835. Wenn das Awacs seinen üblichen, leicht vorhersehbaren Kurs flog, hätte es in diesem Augenblick an der Küste von Islamijah auftauchen müssen, und zwar etwa fünfzehn Minuten südlich von Khafji und zwanzig Minuten vom kuwai356

tischen Luftraum entfernt. Das hieß, dass sich die Amerikaner östlich von ihm befanden. Und dennoch lag die Quelle des Signals laut ELINT im Nordwesten. Außerdem strahlte eine Awacs normalerweise konstante Signale und nicht in Intervallen ab. Es konnte sich also nur um einen Fehlalarm handeln. Diese russischen ELINT-Instrumente waren eben furchtbar unzuverlässig. Im nächsten Moment begann sein Navigationssystem zu piepsen. Die SU-27 hatten die GPSKoordinaten erreicht, an denen sie mit dem Steigflug beginnen mussten. Der Pilot gab seinen Flügelmännern ein Zeichen und zog genüsslich den Steuerknüppel zurück, sodass der Abfangjäger fast senkrecht von hundert auf dreizehntausend Meter stieg. Während die Schwerkraft den Iraner in den Sitz drückte, schaltete er unter Mühen einen Digitalrecorder an, der nachträglich an sein Funkgerät angeschlossen worden war. Im nächsten Moment übertrug das Funkgerät das aufgenommene und auf Arabisch geführte Gespräch einiger Kampfpiloten, die in Formation Kurs auf ein Ziel nahmen. Für einen Beobachter musste es sich so anhören, als kämen die Flugzeuge nicht aus dem Iran, sondern aus Islamijah. Sergeant Troy White hatte eine Sports Illustrated auf seinem Schoß liegen, in der er las, wobei er hin und wieder einen Blick auf seinen Radarbildschirm warf. »Hoppla! Sieht aus, als wäre in KKMC richtig was los!«, rief er plötzlich ins Mikrofon und ließ die Zeit357

schrift fallen. »Ich habe hier drei, vier, nein, fünf Kampfflugzeuge im Steigflug, die Kurs auf Khafji im Osten nehmen. Ich dachte, diese Scheißkisten wären längst schrottreif. Offenbar haben sie sie wieder aus der Gruft geholt.« »Keine Schimpfwörter über Funk«, tadelte Major Johnson und betrachtete seine eigenen Bildschirme. »Aufklärung, was halten Sie davon?« »Das sind Zweistrahlige. Ein paar der wenigen F15, die sie in Islamijah noch am Laufen halten, würde ich sagen. Aber ich fange kein Radarsignal auf, also funktioniert an Bord offenbar doch nicht alles«, erwiderte Lieutenant Moore. Sie hielt inne, als der NSA-Geheimdienstmann, der noch seinen Kopfhörer trug, ihr einen Zettel hinüberreichte. Nachdem sie ihn gelesen hatte, fuhr sie fort. »Bestätige Funkverkehr einiger Kampfpiloten aus Islamijah im Steigflug. Ich halte Sie auf dem Laufenden.« Die iranische Luftwaffe hat unseren Awacs schon einige Male Jäger auf den Hals gehetzt, nur damit wir nicht vergessen, dass es sie noch gibt, dachte Johnson. Aber Islamijah? Vielleicht bürgerten sich dort ja auch solche Sitten ein. Er beschloss, die Pilotin des Awacs daran zu erinnern, einen Blick in die Vorschriften zum Umgang mit ungebetenen Besuchern zu werfen. Obwohl Major Johnson den höheren Rang bekleidete, war Captain Phyllis Jordan der Flugkapitän, während er das Kommando über den Einsatz selbst führte. Für Johnson war das wieder einmal ein gutes Beispiel dafür, dass bei der Air Force immer die 358

Piloten das Sagen hatten. »Captain Jordan, es könnte sein, dass wir bald Besuch kriegen, ehe wir kuwaitischen Luftraum erreichen. Für diese Jungs ist es möglicherweise eine Premiere, diesmal kommen sie nämlich aus Islamijah.« »Verstanden«, erwiderte die Pilotin. »Wir behalten sie im Auge.« Das unbewaffnete Awacs setzte seinen Flug nach Norden fort. Sergeant White, der dem Gespräch gelauscht und dabei seinen Bildschirm beobachtet hatte, wartete mit einer weiteren Überraschung auf. »Major, da kommen noch mehr!«, rief er. »Ich schwöre, da sind noch sechs andere. Sie sind aus dem Winkel zwölf bis zwanzig einfach aus dem Nichts aufgetaucht. Keine Ahnung, was die hier alle wollen.« Als Kyle Johnson sich rasch zum Bildschirm umwandte, sah er die neuen Symbole, die sich eilig von Westen her näherten. Sie teilten sich in zwei Dreiergruppen auf und hängten sich an die Kampfflugzeuge, die er zuvor gesichtet hatte. Doch mit dieser Geschwindigkeit würden sie sie bald eingeholt haben. Inzwischen rasten fast ein Dutzend Kampfjets auf die Küste zu. »Major, hier spricht die Aufklärung«, meldete sich Judy Moore. »Was haben Sie für mich, Judy?«, fragte Major Johnson. »Sir, ich empfange zwei Radarsignale aus der Luft, und zwar aus der Nähe von Ratha. Sir, es sind zwei Awacs von der islamijischen Luftwaffe.« Man hörte ihr an, dass sie es kaum glauben konnte. 359

»Stimmt, wir haben den Saudis damals fünf Awacs verkauft, aber laut den Geheimdiensten soll nur eines von ihnen einsatzbereit sein. Und jetzt sehen Sie plötzlich zwei? Fliegen sie in Formation?«, erkundigte sich Johnson. »Ich weiß, es klingt verrückt, aber genau so scheint es zu sein. Keine Ahnung, woher die kommen. Auf einmal waren sie einfach da, und zwar auf dreizehntausend Metern«, meldete Judy Moore. »Und bei der zweiten Gruppe von Kampfflugzeugen handelt es sich eindeutig um F-15. Ihr Radar funktioniert und sendet starke Signale.« Johnson war misstrauisch. Er bediente die Tastatur auf seiner Konsole, damit sein Monitor die Daten von Aufklärung und Radar gleichzeitig anzeigte. Dabei richtete er den Cursor auf die Umgebung von Ar Ar und ließ die Aufzeichnung rückwärts laufen, um festzustellen, ob vor wenigen Minuten vielleicht etwas geschehen war, was sie verpasst hatten. Auf dem Bildschirm waren die beiden Symbole zu sehen, die nun als vermutlich Air Islamijah A-340 oder 747 bezeichnet wurden. Offenbar strahlte keine der beiden Maschinen ein Radarsignal ab. Dann, ganz plötzlich, schoss ein schmaler Radarstrahl nach Westen, gefolgt von einem zweiten, der nach Südwesten reichte. Die automatische Diagnosesoftware erkannte den Radarstrahl als ASY-2 Awacs. Er spulte weiter. Auf einmal leuchteten vor der 747 oder Awacs – oder was auch immer – drei Radarsymbole auf, die rasch wieder verschwanden. Die Software benannte sie mit F-15S – 360

diese Version der F-15 Eagle war an die Saudis verkauft worden. Während Johnson weiter den Bildschirm beobachtete, schien auch die andere große Maschine drei Symbole abzusondern, die ebenfalls umgehend als F-15S erkannt wurden. Offensichtlich handelte es sich nicht um zwei Passagierjets auf Probeflug, sondern um zwei Awacs-Maschinen, die sich in enger Formation und in Begleitung von jeweils drei F-15 direkt unter ihnen durch die Luft bewegten. Und nun hielten die sechs Kampfflugzeuge, wie Johnson deutlich sehen konnte, unmittelbar auf sie zu. Wie auch fünf weitere. Er griff zum Mikrofon. »Phil, Sie sollten sich beeilen, damit wir so schnell wie möglich kuwaitischen Luftraum erreichen.« Johnson fragte sich, ob die amerikanischen Abfangjäger in Kuwait schon in Alarmbereitschaft versetzt worden waren. Nachdem er das Rufzeichen der dortigen Einheit nachgeschlagen hatte, schaltete er auf die entsprechende Frequenz. »Kilo Light, Kilo Light, hier spricht Quarterback Golf, brauche sofort CAP, wiederhole, brauche sofort CAP. Wir haben hier mehrere unbekannte Flugzeuge, möglicherweise feindlich.« Er brauchte dringend Luftschutz, »Combat Air Patrol«, um die Kampfjets zu verscheuchen. Johnson hatte den Satz noch nicht beendet, als in seiner Kabine eine Alarmsirene losging. Eine aufgezeichnete Stimme ertönte: »Alarm. RaketenradarZielerfassung. Alarm …« Aber die Kampfflugzeuge hatten ihre Raketen nicht abgeschossen … noch nicht. 361

Während die russischen Flankers sich dem amerikanischen Awacs-Flugzeug näherten, hatten ihre Raketen – obwohl noch an den SU-27 befindlich – die USMaschine bereits als Ziel erfasst. Major Johnson spürte, wie ein Ruck durch den Rumpf der großen 767 fuhr, als die Pilotin in den Sturzflug ging. Gleichzeitig betätigte Captain Phyllis Jordan im Cockpit rasch hintereinander drei Hebel, um Abwehrmaßnahmen einzuleiten. Sie verteilte Aluminiumstreifen in der Luft, schoss Infrarotstrahlen seitlich aus der Maschine und schickte elektronische Störsignale in Richtung der Kampfflugzeuge, und zwar auf derselben Frequenz, die deren Raketen benutzten. Inzwischen empfing Johnson die Antwort der amerikanischen Einheit in Kuwait. »Quarterback Golf, hier spricht Kilo Light. Wiederholen Sie Ihre Anfrage …« Der Führungspilot in der iranischen SU-27 befand sich noch immer im Steigflug, als sein Radarwarngerät Alarm gab. Der Monitor flackerte auf, und auf einem orangefarbenen Hintergrund erschien die Meldung ASY-2 Awacs. Im nächsten Moment waren drei weitere Meldungen zu sehen: Er wurde vom Radar dreier Awacs bestrichen, von denen nur eines das amerikanische Zielobjekt war. Wieder warf er einen Blick auf sein eigenes Zielradar. Es hatte das amerikanische Awacs draußen über dem Golf erfasst; allerdings befand es sich immer noch außer Schussweite. Im nächsten Moment piepste das Radarwarngerät 362

erneut, und zwar schneller und in einem höheren Ton. Der Bildschirmhintergrund verfärbte sich rot, und die Meldung APG-70 erfasst war zu lesen. Das bedeutete, dass sich irgendwo da draußen eine amerikanische F-15 herumtrieb – oder sogar mehrere. Der Pilot fragte sich, ob es vielleicht die Saudis waren. Nachdem er das Funkgerät eingeschaltet hatte, stellte er es rasch auf eine geringe Reichweite, die genügte, um Kontakt mit seinen Flügelmännern aufzunehmen. Dann wandte er sich auf Farsi an zwei der vier SU-27. »Fallt zurück und schaut nach, was dahinten los ist.« Er selbst flog weiter. Seine Radarerfassung des Awacs blinkte immer wieder auf. Er lachte. Offenbar versuchten die Amerikaner, seinen Empfang zu stören, doch eine 767 war zu groß, um seinem starken Radar zu entgehen. Er erhöhte den Verstärkungsfaktor an der Zielerfassung. Zwei Piloten verließen – einer nach rechts, der andere nach links – die Formation, rissen ihre Jets in die Höhe und führten ein Immelmann-Manöver aus. Sobald sie sich wieder ausgerichtet hatten, konnten die Iraner durch ihre Weitwinkelkameras sechs F-15 sehen, die auf sie zugerast kamen. Einer der iranischen Piloten forderte über Funk Verstärkung durch zwei weitere Jets der Staffel an, da es vermutlich zu einer Kampfhandlung kommen würde. Feigling, dachte der Staffelkommandant, ich schaffe das auch allein. Er befahl seinen beiden verbliebenen Flügelmännern, abzudrehen und den anderen zu Hilfe zu kommen.

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Während die 767 tiefer ging, nahm auch die Reichweite ihrer Sensoren ab. Allerdings überwachte die Global-Hawk-Drohne weiterhin den Iran und unterstützte das Awacs-Flugzeug mit Daten. Major Kyle Johnson sah die Warnmeldung Raketen voraus auf seinem Bildschirm aufleuchten. Rasch tippte er eine Nachricht ein und drückte auf »Senden«: »KRITISCH: LuftLuft-Raketen abgeschossen.« Eine Nachricht, die die Überschrift KRITISCH trug, würde sofort in sämtlichen Kommandoposten bis hin zum Lageraum des Weißen Hauses die Alarmglocken läuten lassen. Im nächsten Moment bemerkte Johnson, dass die Raketen gar nicht auf sein Awacs zielten. Die Kampfflugzeuge beschossen sich gegenseitig! »Major, ich habe hier eine ELINT-Meldung, in der steht, dass es sich bei mindestens einem der Kampfflugzeuge um eine russische SU-27 Flanker handelt, und zwar um eine Exportversion. Und Islamijah hat definitiv keine SU-27«, berichtete Judy Moore von der Aufklärung. »Es könnten Syrer oder Iraner sein. Vielleicht sogar Iraker.« Johnson schaltete seinen Bildschirm um, damit er feststellen konnte, wie weit es noch bis zum kuwaitischen Luftraum war. Inzwischen flogen sie in nur knapp tausend Meter Höhe über den Golf, und zwar unmittelbar südlich von Khafji, nur wenige Minuten vom sicheren Kuwait entfernt. Plötzlich blinkte auf der Karte unweit von Khafji ein Symbol auf: SAM: PATRIOT (X). Nun sendete das Luftverteidigungsradar einer Patriot-Raketenstellung; es war eine Ex364

portversion, die die USA an die Saudis verkauft hatten. Innerhalb von wenigen Minuten war in dieser sonst recht ruhigen Gegend die Hölle ausgebrochen. Was zum Teufel sollte das Ganze? Er fragte Troy White im Kontrollraum nach der Lage. »Major, hier ist ganz schön was los. Diese Burschen, wer immer sie auch sind, haben mit einer AIM-120-Rakete einen Kampfjet runtergeholt. Und jetzt schießen sie alle wild drauflos. Ein paar Eagles stören mit ihren ALQ-135-Systemen das Zielerfassungsradar. Aber, Major«, fügte Troy White atemlos hinzu, »einer der Flankers kommt immer noch auf uns zu.« Zwei F-15 aus Islamijah stiegen auf fünfzehntausend Meter Höhe und setzten mit eingeschalteten Nachbrennern in Überschallgeschwindigkeit der fliehenden SU-27 nach. In etwas geringerer Flughöhe führten vier Eagles und drei Flankers einen abenteuerlichen Luftkampf, feuerten wärmegelenkte Raketen ab und beschossen sich mit ihren Bordkanonen, während sie waghalsige Flugmanöver vollführten. Das Radar des Führungs-Eagle hatte unterdessen die einsame Flanker erfasst, die immer noch auf den Golf zuhielt. Der Monitor meldete: Trefferwahrscheinlichkeit: 60%. Der Pilot hatte Anweisung zu warten, bis er auf mindestens 80 Prozent herangekommen war. Doch seine Treibstoffanzeige leuchtete rot auf. Die Nachbrenner hatten den letzten Rest im Tank verbraucht. Also klappte er die Sicherheitsabdeckung über dem Feuer365

knopf auf seinem Joystick zurück und drückte auf »Abschuss«. Von einer Rauchwolke gefolgt, schoss die AIM-120-Rakete los und raste auf die SU-27 zu. Unten am Strand unweit der Grenze zu Kuwait beobachtete ein Offizier aus Islamijah die Verfolgungsjagd auf einem Monitor, der sich in einem mit hellbrauner Tarnfarbe lackierten Wohnwagen befand. Der Offizier war Kommandant einer PatriotRaketen-Batterie, die erst am Vortag hier eingerichtet worden war. Sein Cursor befand sich über dem Symbol, das die SU-27 darstellte. Währenddessen näherte sich diese Maschine immer mehr dem amerikanischen Awacs. »Zwei abfeuern«, befahl der Offizier und hörte fast im selben Moment ein Zischen, als die Raketen die links und rechts von ihm hinter Böschungen versteckten Abschussrampen verließen. In der SU-27 leuchteten die Meldungen Luft-LuftRakete voraus und Boden-Luft-Rakete voraus auf. Gleichzeitig gellten dem Piloten Hupe und Alarmsirene in den Ohren. Sein Radarerfassungssignal zur Awacs kam nur noch in Intervallen und wurde so stark gestört, dass er plötzlich vier Radarsymbole vor Augen hatte, die alle dieselbe 767 darstellten. Der Pilot wusste nicht mehr, welches davon das richtige war und ob die Raketen treffen würden, wenn er sie jetzt abfeuerte. Dennoch drückte er auf den Knopf, und von jeder Tragfläche wurde eine Rakete abgeschossen. Eine flog nach rechts, die andere raste nach oben. Der Pilot glaubte, in ihrem Lichtschein unter sich und in der Ferne die Awacs zu erkennen. Wenn 366

er auf Nachbrenner umschaltete, würde er näher heranfliegen und die Bordkanone der SU-27 einsetzen können … Oberstleutnant Yousef Izzeldin stand in der Tür seines Kommando-Wohnwagens und sah von dort aus, wie die SU-27 in einem orangefarbenen Feuerball explodierte und Wrackteile in alle Richtungen geschleudert wurden. Er war überzeugt, dass seine Patriot-Raketen die Maschine getroffen hatten. An Bord des amerikanischen Awacs-Flugzeugs saß Major Kyle Johnson mit vor Erstaunen offenem Mund vor seinem Bildschirm. Er hatte beobachtet, wie von der Raketen-Batterie in Islamijah Patriots abgefeuert worden waren, und geglaubt, sein letztes Stündlein habe geschlagen. Dann jedoch war ihm klar geworden, dass die Raketen der Führungsmaschine der Flanker-Staffel gegolten hatten, die kurz darauf explodiert war. Wegen des stark gestörten Funkempfangs war nur schwer zu klären, was sonst noch alles geschah. Im nächsten Moment hörte er im Kopfhörer Sergeant Whites Stimme: »Sir, offenbar ist es vorbei. Sechs Jets abgeschossen. Sieben, wenn man den mitzählt, den die Patriot erwischt hat. Kapiert irgendjemand hier, was das gerade sollte? Was zum Teufel hatte das zu bedeuten?« Whites Stimme wurde von einer streng geheimen Nachricht höchster Priorität übertönt, die vom Oberkommando der U. S. Air Force, Langley Air Force Base, Virginia, kam: »Quarterback Golf, hier spricht 367

Blue Squire. Können Sie Ihre KRITISCHE Nachricht bestätigen: Raketenabschuss. Ende.«

Suite des Admirals An Bord der USS Ronald Reagan Straße von Hormuz »Machen Sie lauter, Andy. Ich möchte das gern hören«, bat Admiral Adams den Kapitän der Reagan, Andrew Rucker. Dieser griff zur Fernbedienung und stellte die Nachrichtensendung, die gerade im Fernsehen lief, lauter. Eine Reporterin stand vor der großen blauweißen Boeing 747 des Verteidigungsministers: … eine offenbar gescheiterte Revolte innerhalb der islamitischen Luftwaffe, wie ein hochrangiger Mitarbeiter des Pentagon verlauten ließ, der heute mit uns in der Maschine von Verteidigungsminister Conrad nach Kairo geflogen ist. Gut informierten Kreisen zufolge haben einige Piloten, die offenbar mit dem neuen Regime in Riad unzufrieden sind, mehrere Kampfflugzeuge gekapert und sind damit gestartet. Allerdings wurden sie von regimetreuen Kräften verfolgt und abgeschossen. Nach Auffassung des zitierten Pentagon-Mitarbeiters werden sich die Unmutsbekundungen im ehemaligen Saudi-Arabien in nächster Zeit häufen, sodass wir in den kommenden Wochen und Monaten mit ähnli368

chen Ereignissen rechnen müssen. Barbara Nichols, Kairo. Der Nachrichtensprecher ergänzte: »Zuvor hatte es in einer Verlautbarung der Regierung von Islamijah geheißen, mehrere ausländische Flugzeuge seien abgeschossen worden, nachdem sie den Luftraum des Landes verletzt hätten. Gleich geht es weiter mit dem neuen Diätratgeber …« »So ein Schwachsinn!«, rief Adams und schaltete mit der Fernbedienung den Ton ab. »Nichts als idiotisches Gefasel.« »Sir?«, wunderte sich Captain Rucker. »Sie haben die taktischen Berichte der AwacsFlugzeuge doch genauso gelesen wie ich. Es war ein Hinterhalt, der uns den Arsch und gleichzeitig auch unser Awacs gerettet hat. Aus irgendeinem Grund ist die islamijische Luftwaffe diesen Burschen zuvorgekommen und hat ihnen aufgelauert. Sonst hätten diese Dreckskerle das Awacs nämlich abgeschossen. Die Schlappschwänze von der Air Force können ja nicht einmal auf ihr eigenes Flugzeug aufpassen. Sie haben es selbst gesehen …« Adams wedelte dem Schiffskapitän mit einem Stapel Computerausdrucken vor der Nase herum. »Ja, Sir, aber wer waren diese Burschen, wenn es sich nicht um aufständische Piloten aus Islamijah handelt?«, fragte Rucker verlegen. »Dann überlegen wir doch mal. Erstens war es eine 369

neue Exportversion der SU-27, über die der Irak nicht verfügt. Also bleibt nur der Iran übrig, oder?« Adams ging zu der großen Karte des Golfs, die an der Wand hing. »Ja, aber das Awacs und die Global-Hawk-Drohne hätten doch bemerken müssen, wie sie über den Golf flogen«, wandte Rucker ein und wies auf die fragliche Stelle der Reliefkarte. Der Admiral trat neben Captain Rucker, um ihn auf einen Punkt weiter unten auf der Karte hinzuweisen. »Nicht wenn sie irgendwo hier im Iran gestartet und das Radar über dem Irak untergeflogen haben. Und schwups – plötzlich tauchen sie in Islamijah auf.« »Warum sollte jemand aus dem Stab des Verteidigungsministers behaupten …«, begann Rucker, aber Adams brachte ihn mit einem finsteren Blick zu Schweigen. »Lassen Sie uns auf die Brücke gehen, Andy«, schlug er vor, machte auf dem Absatz kehrt und steuerte auf die Tür zu. Einige Minuten später hatten die beiden Männer das Beobachtungsdeck, zehn Stockwerke über dem Flugdeck der Reagan und fünfundzwanzig über dem Wasser, erreicht. »Admiral an Deck!«, brüllte ein Seemann, als sie hereinkamen. »Kapitän an Deck.« Der Aufklärungsoffizier der Flotte, Captain John Hardy, hatte bereits ein gemütliches Plätzchen gefunden und blickte durch ein riesiges Fernglas nach draußen, als die beiden hochrangigen Offiziere erschienen. »Johnny, ich wusste, dass Sie an Bord sind«, be370

grüßte Adams den Captain und klopfte ihm auf die Schulter. »Aber ich habe Sie im CIC vermutet.« Das »Combat Information Center«, das Gehirn des Schiffes und des gesamten Kampfverbandes, war ein abgedunkelter, mit Computern voll gestellter Raum einige Decks unter ihnen – ein fensterloses Gelass, in dem man nach einer Weile den Verstand verlor. »Ich brauchte frische Luft, Admiral. Außerdem ist es, was Aufklärungsarbeit angeht, in diesem Teil des Golfs recht ruhig. Die Iraner benehmen sich, als hätten sie Urlaub. Dabei sollte man meinen, dass sie sich dafür interessieren würden, wenn wir fast die gesamte Fünfte Flotte durch diese schmale Schifffahrtsstraße vom Golf ins Arabische Meer und den Indischen Ozean verlegen. Was für eine Gelegenheit, uns mal richtig durchzuchecken! Wenn die Situation umgekehrt wäre, würde ich über ihren Köpfen kreisen, neben ihnen herschwimmen und unsere Jungs mit Kameras und Elektronik ausgerüstet überall auf diesen kleinen Inseln verteilen. Aber die tun einfach nichts, absolut gar nichts.« Captain Hardy schüttelte den Kopf. »Es ist ja nicht die ganze Fünfte Flotte, die abzieht, Johnny. Ich lasse zwei neue Schiffe zurück, das Küstengefechtsschiff Rodriguez und das moderne Küstenwachboot Loy. Außerdem zwei Minensucher und zwei Patrouillenboote«, erwiderte Adams und nahm das Fernglas von Hardy entgegen. »Wie ich schon sagte, Admiral«, fuhr Hardy fort. »Wir hatten seit 1979 nicht mehr so wenige Schiffe im Golf. Ich habe mich schlau gemacht.« 371

»Wir kommen ja wieder. Aber erst nachdem wir den Chinesen auf den Zahn gefühlt haben. Wie sieht es zurzeit bei denen aus?« Der Admiral nahm seinen Aufklärungsoffizier beiseite und ließ sich von ihm mit leiser Stimme alles berichten. »Die beiden chinesischen Kampfverbände sind inzwischen weit in den Indischen Ozean vorgerückt. Doch nachdem sie die Straße von Malakka hinter sich hatten, ist der eine im Norden und der andere im Süden geblieben. Die in Diego Garcia stationierten Orion-Überwachungsflugzeuge verfolgen zudem ein paar chinesische Ro-Ro-Schiffe, die sich als Vorhut des Kampfverbandes verteilt haben. Im Grunde genommen, Sir, bestätigt sich bis jetzt all das, was man Ihnen im Pentagon gesagt hat. Wir fahren direkt in das weit aufgerissene Maul eines Drachen hinein, und der hat sehr scharfe Zähne.« Adams holte tief Luft und ließ seine breite Brust anschwellen. Dann blickte er das große Flugdeck entlang, wo die F-35 Enforcer standen, das Modernste, was es zurzeit weltweit an Kampfflugzeugen gab. »Wann können wir wieder mit den Lufteinsätzen beginnen, Andy?« »Sobald wir diese Meerenge hinter uns haben, Admiral. Wahrscheinlich, wenn wir die Insel Qeshm passieren, falls der Wind weiter aus dieser Richtung weht. Allerdings habe ich gerade vier F-14 und zwei F-35 oben. Sie können in Oman, Seeb oder auf der Insel Masirah auftanken, wenn es nötig wird. Außerdem haben wir F-22 der Air Force auf dem Flugplatz 372

von Masirah und in Thumrait an der Küste von Oman in Rufbereitschaft. F-22 Raptor, F-35 Enforcer … Im Notfall sind wir den Chinesen überlegen«, meinte Captain Rucker mit einem Nicken. »Man darf den Feind nie unterschätzen, Andy. Das könnte verhängnisvoll sein«, antwortete Adams, biss sich auf die Lippe, machte kehrt und ging hinaus. »Admiral verlässt das Deck!«

Sicherheitszentrale der Republik Islamijah Riad »Ich war schon einmal hier, Rusty«, flüsterte Brian Douglas MacIntyre zu, während der Aufzug in den Keller der Sicherheitszentrale hinabfuhr. Als die Kabine stoppte und sich die Tür öffnete, standen sie vor Dr. Ahmed bin Rashid, der sie auf dem dunklen Flur erwartete. »Hoffentlich hatten Sie einen angenehmen Flug von Dhahran hierher«, meinte der Arzt und schüttelte dem Briten und dem Amerikaner die Hand. Dann wandte er sich an seine Sicherheitsleute. »Vielen Dank. Ich kümmere mich jetzt um unsere Gäste.« Sie gingen an großen verglasten Räumen vorbei, die eindeutig zu einem Kommandoposten gehörten. »Von hier aus hat General Schwarzkopf die Operation Desert Storm befehligt«, merkte Ahmed an. »Sie hätten damals wirklich abziehen sollen, wie Sie versprochen hatten. Wir hätten uns viel erspart …« Sie 373

kamen an eine Tür, vor der zwei Wachen postiert waren. Die Männer ließen Ahmed und seine beiden Gäste mit einem Nicken passieren. »Scheich Rashid, salam alaikum«, sagte Brian Douglas und hielt Abdullah, der allein in dem kleinen Raum saß, die Hand hin. Nachdem Ahmed die Besucher vorgestellt hatte, nahmen alle – die Araber auf der einen, der Amerikaner und der Brite auf der anderen Seite – auf zwei Sofas Platz. Ein Mann servierte heißen Tee in Gläsern, ein zweiter stellte einen Teller mit Trockenobst und Süßigkeiten auf den Tisch. Nachdem die Kellner fort waren, eröffnete Abdullah auf Englisch das Gespräch. »Ahmed hat mir erzählt, was Sie ihm auseinander gesetzt haben.« Nachdenklich hielt er inne. »Sie behaupten also, die Amerikaner seien im Begriff, in mein Land einzumarschieren. Und Sie, MacIntyre, sind Amerikaner und Geheimdienstoffizier. Wofür soll ich Sie also halten? Für einen Verräter? Warum sollte ich Ihnen glauben?« Als Rusty Brian einen Blick zuwarf, bedeutete ihm dieser, zu antworten. »Heute Vormittag hat eines Ihrer Flugzeuge einen Versuch der Iraner vereitelt, eine Maschine der U. S. Air Force abzuschießen und Ihnen die Schuld dafür in die Schuhe zu schieben. Aber Sie haben es verhindert, und zwar mithilfe von Informationen, die Ihr Bruder von uns, beziehungsweise von Brian, hatte. Richtig?« Abdullah nickte und sah seinen Bruder an. Währenddessen fuhr Rusty fort. »Mir ist klar, dass Ihre 374

Regierung in unterschiedliche Lager gespalten ist. Bei uns verhält es sich nicht anders. Ich gehöre zu denen, die zuerst alle friedlichen Möglichkeiten ausschöpfen wollen, bevor wir uns auf einen Krieg einlassen, und die davon überzeugt sind, dass unsere beiden Länder nicht verfeindet sein müssen. Falls jedoch jemand bei Ihnen beschließt, Atomwaffen einzuführen oder dieses Land zu einem Ausbildungslager für Terroristen zu machen, dann könnte sich meine Meinung sehr schnell ändern. Aber momentan besteht möglicherweise noch ein Zeitfenster, in dem wir eine Katastrophe verhindern könnten.« »Mr. MacIntyre, Mr. Douglas«, erwiderte Abdullah leise, aber nachdrücklich. »Wenn ausländische Truppen, mögen es Amerikaner oder Iraner sein, ohne unsere Erlaubnis auch nur einen Fuß auf unser Land setzen, wird unser gesamtes Volk sie bis zum Letzten bekämpfen. Und zwar mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln. Sie mögen das als Terrorismus bezeichnen. Ich betrachte es als patriotische Pflicht. Deshalb habe ich damals auch gegen die Amerikaner gekämpft, als sie unser Land besetzten, und die Iraker unterstützt, als Sie in deren Land einmarschiert sind. Warum nur fühlen Sie sich berechtigt, Ihre Armee auf der ganzen Welt zu stationieren? In Deutschland, Japan, Korea. Alle diese Länder okkupieren Sie schon seit Jahrzehnten.« »Scheich Rashid, ich bin nicht hier, um mich mit Ihnen zu streiten.« Allerdings konnte Rusty diese Behauptungen nicht unwidersprochen hinnehmen. »Wir 375

haben deshalb Truppen nach Japan und Deutschland geschickt, weil diese Länder uns zuvor angegriffen hatten. Nach unserem Sieg über sie haben wir ihnen mit Geld wieder auf die Beine geholfen. Die Koreaner hatten uns selbst nach einer Invasion um Hilfe gebeten. Außerdem haben wir amerikanische Soldaten nach Bosnien, Somalia und Kuwait geschickt, wo sie gekämpft und ihr Leben geopfert haben, um Muslime zu verteidigen. Wir haben diese Länder wieder aufgebaut und ihnen die Demokratie gebracht, genauso wie wir es auch im Irak versucht haben. Wir sind keine Teufel, ganz gleich, wie sehr Sie sich das auch einreden mögen.« Abdullah unterbrach ihn unwirsch mit einer Handbewegung. »Sie haben diesen Ländern die Demokratie gebracht? Offenbar begreifen Sie einfach nicht, dass Sie mit Ihren Armeen nicht die Demokratie verbreitet, sondern sie nur in Verruf gebracht haben. Und das ist Ihnen ja auch gründlich gelungen. Die Demokratie muss aus dem Boden sprießen wie eine einheimische Blume, die in jedem Land eine andere Farbe und Beschaffenheit hat. Sie haben es uns mit Ihrer Politik erschwert, mit unserem Volk überhaupt über dieses Thema zu diskutieren, weil es die Demokratie inzwischen für eine Erfindung Washingtons hält.« Ahmed und Brian wechselten einen besorgten Blick. Beide befürchteten, dass dieses Treffen in einem Streit zwischen dem Amerikaner und dem Araber enden würde, der die Vereinigten Staaten noch 376

vor kurzem bekämpft hatte. »Aber das ist doch längst Geschichte«, wandte Ahmed deshalb ein. »Wir müssen uns jetzt mit der Gegenwart befassen. Momentan stehen amerikanische, iranische und chinesische Streitkräfte kurz vor einer Invasion dieses Landes, und zwar ganz und gar nicht, um es aufzubauen oder ihm die Demokratie zu bescheren. Sie wollen uns besetzen, um uns unser Öl wegzunehmen. Doch damit werden sie sich lediglich einen langen Krieg einhandeln, der viele Menschen aus Amerika und Islamijah das Leben kosten wird.« Rusty griff das Stichwort auf. »Und unser Ziel ist es, Scheich Rashid, genau das zu verhindern, weil es für unsere beiden Länder eine Tragödie wäre. Und davon hatten wir genug. Deshalb haben wir Ihnen mitgeteilt, was Brian in Teheran erfahren hat.« Abdullah nickte zustimmend. »Aber Sie verraten uns nicht, wie wir die nächste Tragödie, also die dreifache Invasion, verhindern können«, wandte Abdullah ein. »Nein, aber wir und einige andere werden Ihnen helfen, falls wir die Möglichkeit dazu haben«, erwiderte Rusty. »Ich kehre nach Washington zurück, weil ich glaube, dort das Schlimmste verhindern zu können, wenn ich den richtigen Leuten von Verteidigungsminister Conrads Plänen erzähle …« Abdullah wechselte einen Blick mit seinem Bruder. »Hast du der amerikanischen Reporterin die Mappe zukommen lassen, die Muhammad für mich aus den gefundenen Unterlagen zusammengestellt hat?«, frag377

te er. »Daraus geht hervor, dass dieser Conrad nur eine bezahlte Marionette der al-Sauds ist.« »Sie hat die Papiere«, versicherte Ahmed. »Aber ich werde Russell am besten auch Kopien davon geben.« Obwohl MacIntyre nicht ganz verstand, wovon die beiden Brüder sprachen, schien die Audienz bei Scheich Rashid hiermit beendet zu sein. Als Abdullah bin Rashid aufstand, mussten sich die anderen ebenfalls erheben. Dann sagte der Scheich: »Schon bevor ich Ihre Informationen erhielt, habe ich einige Entscheidungen getroffen. Und ich habe Ahmed gebeten, für mich einen Plan auszuarbeiten für ein Tor, um die Skorpione aufzuhalten: die Chinesen, die Perser … und die Amerikaner. Bist du damit fertig, Ahmed?« Der junge Araber deutete auf einen Schnellhefter, den er in der Hand hielt. Abdullah fuhr fort: »Es wird Kämpfe geben, denn wir stehen kurz davor, selbst aktiv zu werden. Aber vielleicht lässt sich zumindest die große Schlacht noch verhindern.« »Inshallah«, schickte Brian Douglas ein Stoßgebet zum Himmel. »Inshallah.«

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Kapitel 14 21. Februar

An Bord der USS George Herbert Walker Bush Rotes Meer, südlich des Suezkanals »Vielen, vielen Dank für die Informationen, die Besichtigung des Schiffes und auch alles andere, Herr Minister«, sagte der ägyptische Verteidigungsminister, während er über den roten Teppich auf dem Deck zu dem wartenden V-22 Osprey ging. »Wir tun das Richtige. Und ich weiß, dass mein Präsident entsprechend handeln wird, wenn der Zeitpunkt gekommen ist.« Der Ägypter blieb stehen und berührte Minister Conrad am Arm. »Diese Menschen dürfen nicht glauben, dass sie einfach Regierungen stürzen und sie durch religiöse Fanatiker und Terroristen ersetzen können. Das hätten wir niemals zulassen dürfen. Eigentlich hätten wir schon viel früher eingreifen sollen, aber nun, mit Ihrer Hilfe, können wir unseren Fehler wieder gutmachen und die Region stabilisieren. Inshallah.« Er trat zurück, salutierte und bestieg dann die große Kipprotor-Maschine. Conrad, der eine Jacke der Marineflieger trug, erwiderte den militärischen Gruß. Er kehrte ins Innere des Schiffes zurück, bevor die riesigen Rotoren ansprangen und ein gewaltiger Sturm über das gesamte Deck fegte. Gefolgt von seinen Leibwächtern, begab 379

er sich wieder ins CIC und in einen kleinen Konferenzraum, der vom selben Flur abging. »Ich glaube, das hat großartig geklappt, Ron«, meinte Conrad und schloss die Tür. Unterstaatssekretär Kashigian war allein und hatte seinen Chef bereits erwartet. »Das wird sich noch zeigen. Wenn er Präsident Fouad Meldung macht, dass wir dem Chaos Einhalt gebieten und die Iraner stoppen wollen, werden wir sehen, ob die ägyptischen Truppen tatsächlich auf unserer Seite stehen. Man soll den Tag nicht vor dem Abend loben.« »Ron, es ist sehr wichtig, dass wir uns die Unterstützung eines weiteren arabischen Staates sichern. Und zwar eines wichtigen, nicht nur eines kleinen Wüstenfleckens«, erwiderte Conrad und setzte sich an den kleinen Tisch. »Wie reagiert die Presse auf den in die Hose gegangenen Luftkampf?« Kashigian reichte ihm einen Stapel Computerausdrucke. »Eigentlich recht gut. Auch wenn es nicht das war, was wir wollten, verstärkt sich der Eindruck, dass die Verhältnisse in Islamijah instabil sind. ›Aufstand der Piloten‹, lautete die Schlagzeile des Chicago Courier. Mich beschäftigt nur die Frage, warum es nicht geklappt hat. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Islamijah über eine so gute Luftverteidigung verfügt. In allen Geheimdienstberichten, die ich erhalten habe, stand …« »Mein Gott, wie oft muss ich Ihnen noch sagen, dass man sich auf Geheimdienstberichte nie verlassen kann!«, rief Conrad und warf den Papierstapel sei380

nem Untergebenen vor die Füße. »Aber erfolgreich war es dennoch. Was soll also noch schief gehen?« »Okay, schauen wir mal, was weiter passiert. Die Prinzen verlassen noch heute Abend Los Angeles und Houston und fliegen nach Genf. Außerdem sollen heute Abend die Aufstände in den schiitischen Stadtvierteln in der Ostprovinz beginnen. In Teheran wird morgen Nachmittag eine Großdemonstration gegen die Unterdrückung der Schiiten in Islamijah stattfinden. Die iranische Luftwaffe und die Marine stehen für einen Angriff bereit. Unsere Flotte ist gerade vom Golf aufgebrochen. Deshalb müssen Sie den Befehl für Adams unterzeichnen, in dem Sie seine Mission offiziell ändern, sodass er sich nicht mehr Bright Star anschließt, sondern die Chinesen blockiert …« Kashigian arbeitete Punkt für Punkt den Zeitplan und die Liste in seiner schwarzen Ledermappe ab. »Hat der Präsident schon den Befehl unterschrieben, die chinesischen Schiffe mit den Soldaten und den Atomraketen zu stoppen?« Conrad sah ihn missbilligend an. »Nein, der Präsident hat den Befehl noch nicht unterschrieben«, äffte er Kashigian nach. »Die gottverdammten Anwälte im Weißen Haus debattieren noch immer, ob es sich dabei um einen kriegerischen Akt handelt. Natürlich ist es einer! Also werde ich es selbst anordnen, wenn es so weit kommt. Schließlich bin ich ebenfalls Oberbefehlshaber!« »Natürlich, aber ich dachte, Sie wollten sich diesen Trumpf für den Notfall aufsparen, um zum Beispiel 381

in Saudi-Arabien einzugreifen, falls die Iraner nach ihrer Landung aufgehalten werden müssen«, wandte Kashigian ein. »Außerdem muss man sie daran hindern, von ihrer Enklave am Golf aus weiterzumarschieren … auf keinen Fall darf in Dschiddah und Riad ein Chaos ausbrechen, das Bürger westlicher Länder gefährdet«, fügte Conrad hinzu. »Richtig, obwohl ich keine Ahnung habe, woher wir die Beweise für das Chaos dort nehmen sollen, falls jemand sie sehen will«, räumte Kashigian ein. »Beweise? Wir sind doch hier nicht vor Gericht!« Conrad schlug mit der Faust auf den Tisch. »Wenn wir sagen, dass dort Chaos herrscht, dann werden die Medien das auch so berichten.« Die beiden Männer betrachteten eine Weile schweigend die Karte des Gebiets, die an der Wand des kleinen Raums hing. »Was sonst noch …?«, überlegte Conrad laut. »Da wäre zum Beispiel dieser MacIntyre vom IAC, der überall seine Nase hineinsteckt«, bemerkte der Staatssekretär. »Ach, der«, spottete Conrad. »Dieses armselige Würstchen.« »Als Erstes werden die Spezialeinheiten die ÖlInfrastruktur besetzen, um zu verhindern, dass die Einheimischen sie zerstören. Unser Ziel ist, die Produktion zu steigern und die Erträge so schnell wie möglich direkt an uns weiterzuleiten. Aber dem dürfte eigentlich nichts im Wege stehen. Haben wir sonst 382

noch etwas vergessen? Übrigens traue ich diesem Adams von der Fünften Flotte nicht ganz über den Weg«, fügte Kashigian hinzu. »Deshalb habe ich ihn auch von der Spionageabwehr überwachen lassen.« »Ach, ich weiß, dass Sie den Mann nicht mögen, aber ich habe ihn im Flugzeug etwas besser kennen gelernt. Der ist schon in Ordnung. Mit Leib und Seele Navy-Offizier; will eines Tages CinC werden. Der wird mit den Chinesen schon fertig«, beruhigte der Minister seinen Untergebenen. »Und was ist, wenn sie sich nicht fertig machen lassen wollen?«, gab der Staatssekretär zu bedenken. »Die haben sich völlig übernommen, und das wissen sie auch ganz genau. Dieser Admiral Tiansoundso, der Informant der Australier, sagt, dass sie im Fall eines Gefechts kneifen werden, weil sie nicht riskieren wollen, gegen uns das Gesicht zu verlieren. Und genau damit wäre momentan noch zu rechnen. Vielleicht sieht es in zehn Jahren anders aus, aber sie haben gerade erst mit dem Bau von Flugzeugträgern begonnen und können es unmöglich mit der Navy der Vereinigten Staaten aufnehmen. Außerdem«, fuhr Conrad fort und strich sich übers Kinn, »denken Sie an die Überraschung, die ich für sie habe.« »Dann wollen wir mal hoffen, dass dieser Tiansoundso Recht hat, Herr Minister.« Kashigian schmunzelte. »Ich verlasse mich auch nur ungern auf Geheimdienstberichte.« »Ach, scheren Sie sich doch zum Teufel«, gab der Verteidigungsminister zurück. 383

Zweiter Aussichtspunkt George Washington Parkway Fairfax County, Virginia »Inzwischen kann ich fast alles beweisen, Ray, und die Fakten stimmen mit dem überein, was ich von Ahmed weiß«, sprach Kate in ihr Mobiltelefon. »Gleich habe ich einen Termin mit einem Menschen von Dominion Commonwealth Partners, der mir noch mehr verraten wird.« Kate saß in ihrem gemieteten Ford Taurus, der auf einem Parkplatz mit Blick auf den Potomac stand. »Wer ist dieser Kerl?«, erkundigte sich Ray Keller, Chefredakteur des New York Journal. Er befand sich in seinem Büro, dreiundvierzig Stockwerke über Manhattan. »Bei meinem Besuch im Büro seines Hedge-Fonds in Tysons Corner hat er mich nach allen Regeln der Kunst abwimmeln lassen. Ich habe es nicht einmal am Empfang vorbeigeschafft, doch ich konnte meine Karte abgeben. Dann, zwei Stunden später, rief er mich an und meinte, er könne hier nicht reden. Allerdings hätte er die Antworten auf die Fragen, die ich ihm gefaxt hätte, und schlage deshalb vor, mich nach Büroschluss am zweiten Aussichtspunkt zu treffen und mir die Unterlagen zu geben«, erklärte Kate und überflog noch einmal die Notizen auf ihrem Laptop. »Tja, entweder hat er Sinn fürs Dramatische oder viel Humor«, meinte Keller lachend. »Wusstest du, dass sich einige Beteiligte am Watergate-Skandal am 384

zweiten Aussichtspunkt mit Tony Ulasewicz getroffen haben, dem pensionierten New Yorker Polizisten, der für die Geldübergaben verantwortlich war?« Auch Kate musste jetzt lachen. »Nein, wusste ich nicht. Allerdings ist es von hier aus auf dem Parkway nicht weit nach Turkey Run. Soll Bill Clinton nach Ansicht der Verschwörungstheoretiker dort nicht seinen alten Jugendfreund und Anwalt Vince Foster umgebracht haben, der wegen Depressionen Selbstmord begangen hat? Alles Spinner.« »Stimmt. Apropos Spinner: Sei bloß vorsichtig. Du bist an einer großen Sache dran, und es gefällt mir gar nicht, dass in Houston in dein Hotelzimmer eingebrochen wurde. Außerdem hast du gerade selbst gesagt, du hättest das Gefühl, dass dir jemand folgt.« Keller senkte die Stimme, was hieß, dass er es ernst meinte. »Wer ist jetzt dramatisch?«, gab Kate zurück. »Pass auf. Ich verlange einen Vierspalter über dem Bruch, wenn ich was rauskriege. Hier hast du schon mal die ersten vier Absätze.« Kate las den Text vom Laptop ab, der vom Zigarettenanzünder des Wagens mit Strom versorgt wurde. Verteidigungsminister Henry Conrad setzt sich schon lange für die Rückkehr der Familie al-Saud auf den Königsthron von Islamijah ein. Inzwischen liegen dem New York Journal Exklusivinformationen vor, denen zufolge die Finanzmittel von Henry Conrads sehr erfolgreicher Übernahme-Gesellschaft (LBO) fast ausschließlich von den 385

al-Sauds stammen. Auch ein Großteil der Wahlkampfspenden, die Conrad für den Präsidenten gesammelt hat, scheint er den Saudis zu verdanken. Über zwei Milliarden Dollar wurden gewaschen und von den al-Sauds auf das Konto von Conrad Conversion Partners überwiesen. Conrad ist aus dem von ihm gegründeten Unternehmen ausgetreten, um den Posten des Verteidigungsministers zu übernehmen. Das saudische Geld wurde durch eine Reihe von Off-Shore-Firmen und -Banken sowie Investmentfirmen in den Vereinigten Staaten (siehe Grafik) versteckt. Dem New York Journal liegen mittlerweile Beweise dafür vor, dass die Gelder ursprünglich auf Konten der al-Sauds lagen, wobei es noch unklar ist, ob es sich um Regierungsmittel oder Privatvermögen der königlichen Familie handelte. Ende letzten Jahres forderte Senator Paul Robinson das Finanzministerium auf, zu untersuchen, welche in den Vereinigten Staaten deponierten Gelder der Sauds Privatbesitz seien und welche zum Staatshaushalt gehörten. Eine beträchtliche Summe bleibt weiterhin eingefroren, bis ein abschließender Bericht vorliegt. Allerdings bezog sich Robinsons Anfrage nicht auf die Finanzen von Conrad Conversions, da man damals noch nicht wusste, dass es sich , hier ebenfalls um saudische Gelder handelt. Deshalb wurde das Geld von Conrad Conversions auch nicht durch das Finanzministerium eingefroren. 386

Über zwei Milliarden Dollar sind an eine Reihe politischer Gruppierungen gespendet worden, die den Präsidenten unterstützen, und zwar von Mitarbeitern und Investoren der Firmen, die Tochterunternehmen von Conrad Conversions sind. Falls diese Spender als Strohmänner für die ehemalige königliche Familie auftraten, haben sie sich möglicherweise der Verschwörung mit dem Ziel schuldig gemacht, das amerikanische Wahlkampfspendengesetz zu unterlaufen. Dieses Gesetz verbietet nämlich Wahlkampfspenden aus dem Ausland. Verstöße werden als Kapitalverbrechen geahndet. Ray Kellers Antwort war dieselbe, die er allen seinen Reportern gab. »Klingt nicht schlecht, Kate. Aber man muss noch ein bisschen dran feilen. Wann bist zu zurück?« »Nach meinem Gespräch mit dem Informanten heute Abend ist es wahrscheinlich schon zu spät für den letzten Flieger. Außerdem habe ich im Marriott noch nicht ausgecheckt. Also starte ich gleich morgen früh und bin so gegen elf wieder in der Redaktion. Bis dann also.« Kate streckte sich und bemerkte, wie müde sie von der Zeitverschiebung und den vielen Terminen war, die sie seit ihrer Rückkehr abgearbeitet hatte. Sie blickte nach rechts, wo sie durch die kahlen Bäume das hell erleuchtete Washington Monument sehen konnte, das über die Hauptstadt der Vereinigten Staaten wachte. Ein Wagen der Parkpolizei fuhr langsam über den Parkplatz. 387

Kate fand, dass es hauptsächlich den Medien zu verdanken war, dass man in der Hauptstadt ein wachsames Auge auf Conrad und seinesgleichen hatte und darauf achtete, dass niemand das Wohlergehen seiner wohlhabenden Freunde über das Schicksal der Nation stellte. Leute wie diese waren es nämlich, die die Kinder der Armen und der Mittelschicht in ihre Kriege schickten, anstatt die Probleme zu lösen, die den Konflikten zugrunde lagen. Zum Beispiel die Unfähigkeit, alternative Energiequellen zu erschließen. Mein Gott, dachte Kate. Wenn ich das schreiben würde, würde ich hochkant rausfliegen. Aufblitzende Scheinwerfer im Rückspiegel rissen sie aus ihren Grübeleien über existierende Machtverhältnisse. Kate Delmarco drehte sich um und betrachtete das Auto. Es war ein goldfarbener Lexus, wie der Finanzmanager ihn ihr beschrieben hatte. Nun würde sie endlich den Beweis dafür erhalten, dass Dominion Commonwealth Partners, ein Hedge-Fonds mit zwanzig Investoren, letztlich durch einige Strohmänner von einem saudischen Regierungskonto finanziert wurde. Jeder Mitarbeiter dieses Unternehmens hatte großzügige Spenden an dieselben politischen Gruppierungen geleistet, und zwar eine Woche nach einer Dividenden-Sonderausschüttung. Wenn das keine Wahlkampffinanzierung aus dem Ausland ist, dachte Kate, während sie die Tür des Taurus schloss, weiß ich auch nicht, wie man es nennen soll. Ihr Herz klopfte vor Aufregung, als ein Mann aus dem Lexus ausstieg. 388

Hussein-Moschee Marinestützpunkt Iranische Revolutionsgarden (Pasdaran) Bandar Abbas, Iran »Ich lasse Sie hier allein«, sagte der General der Pasdaran. »Sie nehmen nicht oft am Gebet teil, General«, tadelte der Geistliche, während er für den Gottesdienst, den er nun leiten würde, in sein Gewand schlüpfte. »Es gibt zu viel zu tun«, erwiderte der General und schnürte seinen Stiefel fester. »Aber Sie konnten sich ja bei der Führung selbst ein Bild davon machen, dass alle bereit sind, in diese Schlacht zu ziehen. Sie sind gut ausgebildet und ausgerüstet.« »Diese Dinge kann ich nicht beurteilen.« Die Stimme des Geistlichen war leise, sein Tonfall mild, ein himmelweiter Unterschied zu der Predigt, die er gleich halten wollte. »Und deshalb verlasse ich mich auf Sie. Genauso, wie ich darauf vertraut habe, dass unsere Flugzeuge ihre geheime Mission durchführen, die Amerikaner töten, Islamijahs Ruf schädigen und nach Hause zurückkehren würden.« Als der General sich aufrichtete, überragte er den Geistlichen um ein ganzes Stück. »Ein kleines Rädchen im Getriebe hat den Dienst versagt. Doch die Amerikaner verbreiten überall in der Welt, dass innerhalb der Luftwaffe von Islamijah eine Rebellion stattgefunden habe, was ein weiterer Hinweis auf die instabile Lage in diesem Land sei. Die Explosionen in 389

den schiitischen Kulturzentren heute Nacht werden zu weiteren Unruhen und zur Unterdrückung unserer Glaubensbrüder führen, vor der wir sie dann werden schützen müssen.« Der Geistliche blickte von dem Koran auf, der aufgeschlagen auf dem Tisch lag. »Der amerikanische Luftwaffenstützpunkt in Bahrain ist nicht explodiert, das amerikanische Spionageflugzeug wurde nicht abgeschossen, weil Islamijah es rechtzeitig verhindern konnte. Sind Sie schon einmal auf den Gedanken gekommen, General, dass wir vielleicht einen Maulwurf aus Islamijah in unserer Mitte haben?« Tatsächlich hatte der General ihm verschwiegen, worauf der Sicherheitsdienst des Außenministeriums gestoßen war: Ein Mann hatte geheime Dokumente aus dem Computer heruntergeladen, zwei Sicherheitsbeamte getötet und anschließend Selbstmord begangen. Die am Tatort gefundenen Fingerabdrücke gehörten einem britischen Spion, der noch immer auf freiem Fuß war. Keinem Agenten aus Islamijah. »Ich kann Ihnen versichern, dass wir gründliche Nachforschungen angestellt und keine Hinweise auf eine Unterwanderung aus Islamijah gefunden haben«, erwiderte der General in zackigmilitärischem Ton. Der Geistliche ging zur Tür des Vorzimmers, zupfte seine Gewänder zurecht und griff mit der rechten Hand nach dem Koran. Dann drehte er sich noch einmal zu dem General um. »Ich muss für unsere Soldaten und mit ihnen beten, damit Allah uns wieder einen Sieg schenkt!« Mit diesen Worten verließ 390

der Geistliche den Raum und ließ den General allein zurück. »Diesmal werden wir siegen«, sagte er. »Dafür werde ich persönlich sorgen.«

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Kapitel 15 22. Februar

CSS-27-Raketenstützpunkt Unweit von Al Juaifer Islamijah So viele Chinesen! Was haben die hier bloß in der Wüste zu suchen?, wunderte sich der Wachposten. Womit beschäftigen sie sich den ganzen Tag? Und warum, in Allahs Namen, war er gezwungen, inmitten von unreinen Ausländern Dienst zu tun? Er seufzte und ließ seine Gedanken schweifen. Nie hielt es jemand für nötig, ihm das alles zu erklären. Es war kurz nach Morgengrauen, als der Wachposten grübelnd am Haupttor saß. Doch plötzlich wurde er vom Anblick dreier schwarzer Rauchsäulen, die hinter einer Düne im Norden aufstiegen, aus seinen Überlegungen gerissen. Im nächsten Moment hörte er schrille Schmerzensschreie. Er wollte gerade nach dem Telefon im Wachhäuschen greifen, als drei Abrams-Panzer mit einem Satz über den Kamm der Düne brachen, auf dem Boden aufkamen, und dabei einen Sandsturm entfachten. Als hätte er eine Geisterscheinung gesehen, stolperte der entsetzte Soldat aus dem Wachhäuschen auf seinen Kameraden zu, der neben dem Hummer stand. Das metallische Kreischen steigerte sich zu einem un392

erträglichen Lärm, denn nun tauchten die riesigen Panzer aus der Sandwolke auf, steuerten auf die hohen Maschendrahtzäune rings um den Raketenstützpunkt zu und walzten sie – begleitet von einem ohrenbetäubenden Quietschen und schwarzem Qualm – binnen weniger Sekunden nieder. Dann drehte sich das Maschinengewehr vorn am ersten Panzer und deckte die beiden Soldaten und den Hummer mit einer Salve ein. Männer in grünen und khakifarbenen Uniformen strömten aus den Gebäuden im Lager, während eine Alarmsirene heulte und aus den Lautsprechern arabische und chinesische Befehle hallten. Ein großer grüner Tieflader raste – zwei Stufen einer mobilen CSS27-Rakete auf der Ladefläche – die schmale Gasse zwischen zwei Reihen von Lagerhallen entlang. Doch schon im nächsten Moment schien einer der AbramsPanzer auf dem Heck zu stehen, als er den Tieflader hinaufkroch, bis die Rakete in einem Feuerball zerbarst und Fahrzeug, Panzer und ein nahe gelegenes Gebäude in Flammen hüllte. Am Hafen von Jizan am Roten Meer sahen die Wachen die großen Helikopter rechtzeitig kommen, um noch Alarm auszulösen. Der Kommandeur der Hafenpolizei befahl seinen Männern, das Feuer zu eröffnen, und rief, dass es sich bei den Hubschraubern um amerikanische handelte, die lediglich in den Farben der Armee von Islamijah lackiert seien. Dann kauerte er sich hinter ein auf einem Pick-up montiertes Maschinengewehr, um die herannahenden CH-47 393

Chinook zu beschießen. Der Führungshubschrauber schien zunächst in der Luft zu verharren. Dann brach er, begleitet von einem orangefarbenen Blitz, auseinander. Die Front- und Heckrotoren drehten sich noch, als die Maschine wie ein Stein zu Boden stürzte. Die übrigen Chinooks wichen nach links aus und entfernten sich vom Hafen. Ihnen folgte eine Welle kleinerer Apache-Kampfhubschrauber. Die Hafenpolizisten sahen Rauchwolken, als die Raketen abgefeuert wurden. Schon im nächsten Moment gingen die Transportcontainer, die sich hoch im Hafen stapelten, in Flammen auf. Als der Polizeikommandeur sich umsah, bemerkte er einen Chinook, der über dem Dock schwebte und Staub aufwirbelte, während sich hinten an der Frachtluke Soldaten an Seilen hinunterließen. »Wir ergeben uns!«, brüllte der Kommandeur gegen den Lärm. Im Keller der Sicherheitszentrale saßen Abdullah bin Rashids Leute an Telefonen und Funkkonsolen und holten Berichte über die Fortschritte der Schutztruppen ein, wie Armee und Nationalgarde nach ihrer Zusammenlegung inzwischen hießen. Die meisten Meldungen waren positiv. Ölraffinerien und das Transportwesen waren gesichert. Die Religionspolizei an den beiden heiligen Moscheen war ohne großes Aufsehen durch Truppen ersetzt worden. An den Häfen und Flughäfen, wo weitere Chinesen erwartet wurden, blockierten nun Patrouillenboote und Panzer die Durchfahrt. Die CSS-27-Raketenstützpunkte befanden sich mittlerweile in der Hand der Schutz394

truppen, während die chinesischen Gäste gut versorgt wurden. Im Hamdurmat, unweit der Grenze zum Jemen, wurde jedoch noch gekämpft, denn eine dortige Einheit hatte sich auf die Seite des Provinzgouverneurs geschlagen, der Anhänger von Zubair bin Tayer und dessen Fraktion in der Schura war. Im Osten hatte ein Stützpunktkommandant die Verlautbarung verlesen, dass sich die personelle Zusammensetzung der Schura verändert habe. Anschließend waren zwei F-15 von Dhahran aus gestartet, um den Stützpunkt unter Beschuss zu nehmen. Der Kapitän eines Patrouillenbootes, ebenfalls ein Anhänger bin Tayers, hatte seinen Leuten befohlen, das Feuer auf eine Einrichtung der Armee unweit von Dschiddah zu eröffnen. Doch die schwersten Kämpfe tobten in und rings um Riad. Bin Tayer hatte Freunde in verschiedenen Einheiten von Militär und Polizei, und sein Bruder, ein Oberst, kommandierte ein Infanterieregiment, das dreißig Kilometer nördlich der Stadt lag. Außerdem hatten seine Getreuen sich in dem nahezu menschenleeren Industrie- und Wohngebiet verschanzt, das vor einigen Jahren im Auftrag eines amerikanischen Rüstungs-Unternehmens erbaut worden war. Da die Anlage von einer Mauer umgeben war, ließ sie sich leicht verteidigen. »Bin Tayer hält sich ganz sicher in dieser Siedlung auf«, meldete ein Offizier in Abdullahs unterirdischem Kommandoposten. »Er befindet sich in Begleitung der meisten seiner Anhänger aus der Schura und 395

bezeichnet das Ganze als Ratssitzung. Ihre Leute haben Abwehrstellungen bezogen und feuern auf uns. Zwei unserer Panzer wurden bereits von Anti-PanzerRaketen getroffen und stehen in Flammen. Es gab dort bereits viele Tote.« Abdullah strich sich über den kurzen Bart. »Lassen Sie die Anlage bombardieren, Scheich Abdullah«, drängte General Khalid. »Wir dürfen nicht weiter das Leben unserer Leute aufs Spiel setzen. Sprengen wir die Kerle in die Luft. Ich beordere eine Staffel Tornados dorthin, dann hat der Spuk ein Ende.« »Nein!«, rief Abdullah. General Khalid drehte sich zu ihm um. »Sie haben Recht, General. Unsere Männer dürfen nicht weiter ihr Leben opfern. Doch dasselbe gilt auch für die Gegenseite. Wir sind alle Brüder.« Abdullah ging auf General Khalid zu. »Ziehen Sie unsere Leute ein Stück zurück. Und dann schicken Sie die Tornados los. Aber sie sollen ihre Bomben dicht vor der Mauer der Anlage abwerfen. Die Amerikaner haben diese Taktik ›Angst und Schrecken‹ genannt. Und anschließend überreden wir sie zum Aufgeben.« »Einverstanden, Scheich. Aber wer soll bin Tayer und die Schwachköpfe aus seiner Schura zum Aufgeben bringen?« »Ich übernehme das. Ich spreche mit ihnen«, erwiderte Abdullah und wandte sich zur Tür. »Khalid, Sie führen hier das Kommando. Ahmed, du bist sein Stellvertreter. Und, Ahmed, sorge dafür, dass das Skorpion-Video sendebereit ist, wenn ich bin Tayer festge396

nommen habe, und ruf dann die chinesische Botschaft an.« Bevor jemand Einwände erheben konnte, verließ Abdullah bin Rashid die Kommandozentrale. Als Abdullah seinen Range Rover am Kommandoposten vor dem Lager der Rebellen stoppte, sah er in der Ferne die Tornados kreisen. »Worauf warten die noch?«, fragte er General Hammad, der den Angriff befehligte. »Auf Sie«, erwiderte Hammad lächelnd und gab einem Offizier, der neben einem Hummer-Funkwagen stand, ein Zeichen. Zwei Minuten später näherten sich drei Tornados im Tiefflug und warfen ihre Bomben rings um die Anlage ab. Als der mittlere Tornado wieder in den Steigflug ging, wurde er von einer tragbaren Rakete getroffen. Eine Rauchfahne hinter sich herziehend, verschwand er aus dem Sichtfeld. Kurz darauf war eine Explosion zu hören, und in der Ferne stieg eine schwarze Rauchwolke auf. »Noch einmal, Hammad«, befahl Abdullah. »Aber wirf die Bomben diesmal vor die Flugzeuge. Flieg nicht über die Anlage. Die Bomben sollen innen und dicht an der Mauer landen.« Vier Minuten später sah man, dass zwei F-15 in geringer Höhe auf die Stadt zuflogen. Als die beiden Eagles den Kommandoposten erreicht hatten, stiegen sie senkrecht in die Höhe, was aussah, als schienen sie auf der Heckflosse zu stehen. Doch auf halbem Weg löste sich eine große Bombe von jeder Maschine und raste auf das Rebellenlager zu. Abdullah zog General Hammad hinter den Range Rover. Die dröh397

nenden Detonationen, die einige Minuten andauerten, ließen das Fahrzeug erbeben. Als die beiden Männer aufblickten, waren der Großteil des Haupttors und ein beträchtliches Stück der Mauer verschwunden. Im Inneren der Anlage brannte es an mehreren Stellen. »Haben Sie mit bin Tayers Bruder, dem Oberst, gesprochen?«, fragte Abdullah General Hammad. »Rufen Sie ihn noch einmal an, und teilen Sie ihm mit, dass die gesamte Anlage dem Erdboden gleichgemacht wird, wenn sie sich nicht ergeben. Aber sofort!« Eine Viertelstunde später kehrte General Hammad vom Funkgerät im Hummer zurück. »Die Anlage ist eingenommen. Bin Tayer und die anderen befinden sich in Haft.« »Die Gefangenen müssen respektvoll behandelt werden«, befahl Abdullah dem General. »Gehen wir sie holen.« Die beiden Männer stiegen in Abdullahs Range Rover und fuhren in die Anlage, wobei sie Mauertrümmern und brennenden Fahrzeugen ausweichen mussten. »Wir werden sie alle unter Hausarrest stellen, und zwar in der verlassenen Villa der alSauds im Süden. Bis zu den Wahlen. Danach sollen sie meinetwegen frei herumlaufen und den Menschen auf friedliche Weise ihr Anliegen vermitteln. Vielleicht werden sie ja gewählt.« Ein Offizier zeigte ihnen den Weg zu einer großen weißen Villa in der Mitte der Anlage. Bin Tayer und drei weitere Mitglieder der Schura wurden von den Wachen drinnen bei einem Brunnen festgehalten. 398

Abdullah ergriff als Erster das Wort. »Zubair bin Tayer, Sie sind wegen Verschwörung mit ausländischen Agenten festgenommen. Außerdem wird Ihnen zur Last gelegt, dass Sie ohne Zustimmung der Schura zusätzliche ausländische Truppen ins Land holen und die Zukunft unseres Volkes gefährden wollten, indem Sie planten, Massenvernichtungswaffen im Land der zwei heiligen Moscheen zu stationieren.« Bin Tayer spuckte aus. »Sie sind es, der im Gefängnis landen wird. Und zwar wegen Mordes an unschuldigen Bürgern und weil Sie Ihre Macht als Sicherheitschef missbraucht haben.« »Zubair, wir vertreten da verschiedene Auffassungen. Wenn es Wahlen gibt, wird die Mehrheit der Männer und Frauen Ihre Meinung vielleicht unterstützen, obwohl ich bezweifle …« »Es wird keine Wahlen mit Frauen geben!«, unterbrach bin Tayer Abdullah. Mit diesen Worten griff er unter sein Gewand. Einen Moment schien die Zeit stillzustehen. Dann gab es eine Explosion, gefolgt von weiteren Erschütterungen und Lichtblitzen, die die Villa in gleißend helles Licht tauchten. Als Soldaten herbeigestürmt kamen, sahen sie eine Reihe von Menschen auf dem Boden liegen. Viele, darunter General Hammad, waren verwundet, rappelten sich gerade auf oder lehnten benommen am Brunnen. Neun Männer waren tot: Die vier aufständischen Mitglieder der Schura waren von der Explosion ihrer eigenen Handgranaten 399

in Stücke gerissen worden. Vier Soldaten waren ebenfalls ums Leben gekommen. Der neunte Tote war Abdullah bin Rashid. Blut rann General Hammad über das Gesicht, und die Augen traten ihm aus den Höhlen. Mühsam versuchte er, sich einem Offizier verständlich zu machen, der herbeigeeilt kam, um das Kommando zu übernehmen. »Rufen Sie die Zentrale an. Verlangen Sie Dr. Ahmed bin Rashid …«

Ausweichbüro von Senator Saul Robinson Vorsitzender des Geheimdienstausschusses im Senat Hart Senate Office Building, Capitol Hill Washington, D. C. »Rufen Sie den Präsidenten an«, drängte Russell MacIntyre den Senator. »Sagen Sie ihm, was sein Verteidigungsminister vorhat.« Anstelle des Senators antwortete Sol Rubenstein seinem Stellvertreter. »Der Senator kann nicht mir nichts, dir nichts die Nummer des Präsidenten wählen und gemütlich mit ihm plaudern. Außerdem befindet sich der Präsident derzeit ohnehin auf einer AsienPazifik-Konferenz in Chile.« »Seit wann gehört Chile denn zu Asien?«, scherzte Senator Robinson. »Passen Sie auf, Rusty, ich habe eine Menge aus dieser Angelegenheit gelernt und werde mir die nötige Unterstützung sichern, um etwas zu unternehmen. Schließlich darf unsere Ener400

giepolitik des nächsten Jahrhunderts sich nicht darin erschöpfen, Kriege um das restliche Öl zu führen. Das Wachstum in China hat die Krise verschärft, doch ihre Ursachen liegen weit zurück. Der Markt hat in diesem Bereich versagt. Die Privatwirtschaft kann die massiven Kosten und Risiken nicht tragen, die es braucht, um alternative Energiequellen zu entwickeln. Also ist der Staat gefragt. Und zwar mit neuen, schärferen Umweltgesetzen, Steuererleichterungen und einem noch nie da gewesenen Wissenschafts-Förderprogramm. Und was die Ereignisse von heute und morgen angeht …« »Hören Sie, Rusty, es geht nicht darum, dass wir Ihnen nicht glauben, wirklich nicht«, warf Rubenstein ein. »Wir wissen nur einfach nicht, was wir dagegen tun sollen. Der Aufklärungsbericht von heute Vormittag zeigt, dass die chinesische Flotte die Hälfte des Weges schon hinter sich hat. Vielleicht hat Conrad ja Recht damit, sie zu stoppen, bevor sie Truppen und Atomwaffen ins Land schaffen.« Rusty traute seinen Ohren nicht. »Auf diplomatischem Weg haben wir noch viel zu wenig unternommen, um die Chinesen zu überzeugen. Erinnern Sie sich an die Kubakrise? Wie haben wir denn damals verhindert, dass sowjetische Schiffe die Raketen ins Land brachten? Ganz sicher nicht allein mit der Navy. Außerdem will Conrad nicht nur die Chinesen von der Landung abhalten, sondern gleichzeitig eine amerikanische Invasion durchführen, um das gesamte gottverdammte Land zu besetzen«, fügte MacIntyre 401

verzweifelt hinzu. »Natürlich mit Ausnahme des Teils, den er dem Iran versprochen hat.« Die beiden älteren Männer wechselten Blicke, und Rubenstein ergriff das Wort. »Rusty, Sie haben keine Beweise dafür, dass Conrad etwas Derartiges vorhat. Ihre Dokumente, die übrigens ein Iraner verfasst hat, belegen bestenfalls, dass ein Treffen mit Kashigian stattfand. Selbstverständlich wird Kashigian dagegenhalten, es handle sich um üble Nachrede, denn er sei nur nach Teheran gereist, um die Iraner unter Druck zu setzen. Wir können Conrad höchstens mangelnde Absprache mit dem Außenministerium vorwerfen.« MacIntyre starrte seinen Vorgesetzten entgeistert an. »Sol, ich weiß, dass ich persönlich in diese Angelegenheit verwickelt bin, doch meiner Ansicht nach stehen wir kurz vor einem Krieg mit China und vor einer Besetzung des heiligsten Landes der Muslime durch amerikanische Marines.« MacIntyre sah Rubenstein und Robinson nacheinander an. »Oder habe ich da etwas verpasst, Senator?« Keiner von beiden antwortete. »Gut, und was ist damit, dass Kate Delmarco kurz davor steht, eine Wahlkampfspendenaffäre unter Beteiligung der alSauds und Conrads aufzudecken? Reicht das nicht, um ihn aus Ägypten zurückzupfeifen?« Der Senator ging zu einem Zeitungsstapel hinüber. »Sagten Sie gerade Kate Delmarco?« »Ja. Ist der Artikel etwa schon erschienen? Ich bin erst vor zwei Stunden aus dem Flieger gestiegen. Die 402

letzten zweiundzwanzig Stunden war ich entweder in der Luft oder auf einem Flughafen«, sagte MacIntyre und rieb sich die Stirn. Senator Robinson griff nach einer Zeitung und setzte die Lesebrille auf. »Hier steht es. In der Spätausgabe. Kate Delmarco, Pulitzerpreisträgerin und Reporterin beim New York Journal, wurde heute Abend tot aufgefunden. Man geht von einem Herzinfarkt aus …« »Was!«, schrie Rusty. Ihm wurde flau im Magen. Der Senator fuhr fort. »… Ms. Delmarco, 45, wurde von der Parkpolizei in der Nähe des George Washington Parkway entdeckt, wo sie, offenbar wegen Schmerzen in der Brust, angehalten hatte. Sie war unterwegs zu einem Termin in McLean …« Rusty sank auf einen Stuhl und starrte zu Boden. »Sie haben sie umgebracht!« »Wer hat sie umgebracht?«, fragte Senator Robinson. »Hier heißt es, sie sei einem Herzinfarkt am Steuer erlegen.« »Wer? Die Saudis? Kashigian? Das Militär? Keine Ahnung. Dieselben Typen eben, die Admiral Adams’ Flugzeug in die Luft gejagt, Brian Douglas’ Informanten enttarnt und ihn selbst in Teheran beinahe getötet haben. Die Leute, die das FBI auf mich angesetzt haben, weil ich mich angeblich mit Terroristen treffe … genau die.« Rusty lehnte sich zurück und schloss die Augen. Es hatte keinen Sinn. Offenbar war er dazu verurteilt, wie eine der Figuren in dem Buch von Fürst ohnmächtig dazustehen und zuzusehen, wie der 403

Krieg immer näher rückte, bis er vom Strudel der Ereignisse aufgesaugt wurde und alles verlor, was er liebte. »Was ist denn das?«, fragte Sol Rubenstein und deutete auf den Fernseher. »Paul, schalten Sie bitte mal den Ton ein. Ein bisschen lauter, okay?« Senator Robinson suchte die Fernbedienung und folgte der Aufforderung. Es lief gerade CNN. »… Kämpfe. In einer Verlautbarung des stellvertretenden Vorsitzenden der Schura, Abdullah bin Rashid, ist von einem Umsturzversuch durch iranisch finanzierte Elemente die Rede. Der Vorsitzende der Schura, Zubair bin Tayer, sei während der Kampfhandlungen ums Leben gekommen. Weiterhin heißt es, dass die Stabilität des Landes wieder hergestellt sei. Zwar wurden keine weiteren Beweise für eine Beteiligung des Iran vorgelegt, doch man sagt, Rashid werde sich morgen an die Nation werden. Nun weitere Nachrichten aus …« Als Rusty aufblickte, spielte ein Lächeln um seine Lippen. »Also doch. Jetzt hat es angefangen. Abdullah und Ahmed.« »Klingt fast, als wäre das eingetreten, was Sie befürchtet haben«, meinte Sol Rubenstein. »Nun können der Iran und Conrad behaupten, dass im Land das Chaos herrscht. Und der Iran wird behaupten, dass dieser bin Rashid Teheran nur deshalb die Schuld gibt, damit er weiter mit den Schiiten Schlitten fahren kann.« »Nein, nein«, widersprach Rusty. »Begreifen Sie 404

denn nicht, was hier geschieht? Ahmed und Abdullah bin Rashid haben die Macht übernommen. Sie werden versuchen, den Zug des Verderbens zu stoppen, der da auf uns zugerast kommt. Es ist eine Ironie des Schicksals, dass wir drei hier sitzen und darüber nachgrübeln, wie wir unsere eigene Regierung überzeugen sollen, während es diese Männer in Islamijah sind, die etwas unternehmen.« »Ich habe keine Ahnung, wer diese Männer sind, Rusty, aber meiner Ansicht nach dürfte es jetzt Schwerstarbeit sein, die USA, China und den Iran an einem Einmarsch in Islamijah zu hindern«, schloss der Senator.

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Kapitel 16 22. Februar

Combat Information Center (CIC) USS Ronald Reagan Nordarabisches Meer »Wie weit sind wir noch vom Führungsschiff ihres Kampfverbandes entfernt, Captain?«, wandte sich Admiral Brad Adams auf einer abhörsicheren Funkfrequenz an den Kapitän des Kreuzers USS Ticonderoga. »Admiral, ich bin jetzt auf der Brücke und kann mit dem Fernglas einen ihrer Kähne am Horizont erkennen. Sieht aus wie ein amerikanischer Zerstörer der Burke-Klasse, und er kommt näher«, kam die Stimme aus dem Lautsprecher. »Zu nah«, meinte Adams zu Captain John Hardy, der neben ihm im CIC stand, und gab dem Kapitän der Ticonderoga Anweisungen. »Captain, bleiben Sie zurück, und halten Sie einen Abstand von vierzig Kilometern. Aber er soll wissen, dass Sie da sind. Also machen Sie mal richtig das Licht an, damit er Sie auch sieht.« Nachdem er den Hörer weggelegt hatte, drehte er sich zu seinem Aufklärungsoffizier um. »Wenn wir sie angreifen müssten, würde das eine verdammt blutige Angelegenheit werden, weshalb ich unter allen Umständen verhindern möchte, dass es wegen eines Fehlers oder Irrtums zu einer Konfronta406

tion kommt.« Er holte tief Luft. »Johnny, wissen die Chinesen überhaupt, dass die Ticonderoga und die Reagan amerikanische Schiffe sind, oder glauben sie, dass wir uns derzeit im Indischen Ozean aufhalten?« »Soweit ich es anhand der aufgefangenen Funksprüche beurteilen kann, denken sie genau das«, erwiderte Hardy lachend. »Und nach den täglichen Berichten des Pentagon zu urteilen, die ebenfalls!« »Und die Iraner, Johnny?«, fragte Adams. »Dito«, erwiderte der Captain. »Ihre Flugzeuge sind uns an Hormuz vorbei bis ins nördliche Arabische Meer gefolgt und dann abgedreht. Vermutlich weiß niemand, dass wir uns im Kreis bewegen, seit wir Funkstille halten und die Frachter aus Diego Garcia einsetzen. Offenbar funktioniert der Trick, so wie damals bei den Sowjets.« Andrew Rucker, der Kommandant der Reagan, hatte zugehört und kam nun näher. »Eines muss ich Ihnen lassen, Admiral. Ich hätte nie gedacht, dass man einen Flugzeugträger-Kampfverband verstecken kann, und schon gar nicht vor dem Pentagon.« »Das ist ein alter Trick aus dem Kalten Krieg. Man schaltet Funk- und Radartransmitter aus, und plötzlich sieht für die Satelliten und Funktürme ein Zerstörer wie ein Flugzeugträger und ein Frachter wie ein Kreuzer aus. Bei den Chinesen hat es jedenfalls geklappt. Und das Pentagon vermutet uns nur deshalb dort, weil wir es so gemeldet haben. Und weil Bobby Doyle und ein paar Freunde mitmachen …«, erwiderte Adams leise. 407

»Aber irgendwann werden wir uns auf schnellstem Wege dort hinbewegen müssen, Sir, wenn wir die chinesische Flotte noch aufhalten wollen«, wandte Rucker ein und überprüfte auf einem Bildschirm die derzeitige Lage der Schiffe. »Falls uns gar nichts anderes übrig bleibt, werden wir das tun. In diesem Fall schalten wir die Reaktoren auf volle Kraft und beeilen uns ein bisschen, allerdings unter Funkstille, damit sie uns nicht bemerken«, erklärte der Admiral. »Wenn das Pentagon uns auf die Schliche kommt, übernehme ich die volle Verantwortung. Sie haben nur meine Befehle befolgt.« An der Tür drehte er sich noch einmal zu den beiden Offizieren um. »Ich gehe rauf, um frische Luft zu schnappen. Geben Sie mir Bescheid, wenn sich etwas tut. Rucker, möchten Sie nicht mitkommen?« Die Hände in den Taschen, schlenderten Brad Adams und Andrew Rucker in der Dämmerung zwischen den geparkten Maschinen auf dem Flugdeck umher. Auf einem Flugzeugträger hatte eine derartige Ruhe wie heute Seltenheitswert. Kein Flugzeug startete oder landete, und die sich normalerweise ständig drehenden Radarreflektoren waren abgeschaltet. Auch der Großteil der Lichter war gelöscht. Während Adams auf das Wasser hinausblickte, fragte er sich, ob er sich wirklich richtig verhielt. Am liebsten wäre er an zwei Orten gleichzeitig gewesen. Im Golf, um die Iraner an einem Einmarsch in Bahrain und Islamijah zu hindern, und im Indischen Ozean, um die chinesischen Truppentransporter zu stoppen, auch wenn 408

er sich ein Gefecht mit der chinesischen Flotte liefern müsste. Doch im Moment befand er sich weder hier noch dort, sondern schaukelte auf den Wellen des Arabischen Meers. »Andy, was wir hier treiben, grenzt haarscharf an Befehlsverweigerung. Eigentlich halte ich die zivile Kontrolle des Militärs ja für eine gute Sache, da wir es ihr zu verdanken haben, dass es bei uns, anders als in anderen Ländern, weder Staatsstreiche noch sonstige Unruhen gegeben hat. Aber wenn diese Zivilisten auf der Grundlage von Lobbyinteressen entscheiden, wenn sie Informationen fälschen, wenn sie die Medien durch Einschüchterung dazu bringen, ihr schmutziges Spiel mitzuspielen, dann … ich weiß nicht so recht«, sagte Brad. »Sir, in Newport haben wir gelernt, dass sich damals, als Colin Powells Generation junger Offiziere aus Vietnam zurückkam, alle etwas geschworen haben: Man werde niemals zulassen, dass Zivilisten die Armee wieder in einen Krieg führen, wenn dazu nicht die unbedingte Notwendigkeit besteht, ein Ende nicht abzusehen ist und eine gut informierte Bevölkerung diesen Krieg nicht unterstützt. Vielleicht sollten wir uns diese Haltung wieder zu Eigen machen«, schlug Rucker vor. »Admiral«, rief plötzlich John Hardy über das Flugdeck. Der Captain kam auf sie zugelaufen. »Die Iraner sind in See gestochen, und zwar mit allem, was schwimmt: Landungsschiffen, Autofähren, Frachtern. Sie nehmen Kurs auf Islamijah und Bahrain. Die NSA 409

meldet, dass von ihren Luftwaffenstützpunkten fast einhundert Maschinen gestartet sind.« »Wie lange können die beiden Länder Ihrer Ansicht nach aushalten?«, fragte Adams und streckte die Hand nach den Berichten aus. Hardy schüttelte den Kopf. »Nicht sehr lange. Islamijah hat außerdem Truppen im Westen postiert, für den Fall, dass wir auch eine Invasion versuchen.« »Okay, der Augenblick der Wahrheit ist gekommen, Johnny.« Wieder blickte Adams aufs Meer hinaus. »Wie heißt das alte Sprichwort so schön? ›Keine Entscheidung ist auch eine Entscheidung.‹ Ich kehre nicht zum Golf zurück. Nicht, solange wir noch mit den Chinesen rechnen müssen.« Ein Seemann näherte sich mit einem großen braunen Umschlag. Hardy öffnete das Kuvert. »Mist, das ist eine KRITISCHE Nachricht vom ASU-Stützpunkt in Bahrain: Iranische Flugzeuge haben um 0530 Ortszeit das Hauptquartier der Fünften Flotte bombardierte« »Gut, dass wir da weg sind, Johnny.« Adams studierte die Meldung. »Aber in der Umgebung wohnen viele Amerikaner. Lass uns wieder reingehen.« Als sie den CIC betraten, war Konteradmiral Frank Haggerty gerade dabei, den Überblick über den Ansturm der Ereignisse zu bewahren, und sprach in ein abhörsicheres Telefon. »Commander, das ist jetzt sehr wichtig. Können Sie bestätigen, dass die Tschu Man um hundertachtzig Grad gedreht hat?« 410

»Ja, Sir, Admiral. Ich sehe durch das Periskop ihr Heck. Sie ist eine große Kurve gefahren.« Adams ging auf Haggerty zu. »Mit wem telefonieren Sie da?« »Mit dem Kapitän der Tucson. Sie ist auf Tauchstation und folgt der Tschu Man. Außerdem stehe ich in Kontakt mit der B-52, die die chinesischen Ro-RoSchiffe beobachtet. Den Meldungen zufolge haben sie Kurs auf Karatschi genommen. Die Ticonderoga berichtet, der vorderste Zerstörer habe ebenfalls gewendet. Ich glaube, die verdrücken sich, Brad.« Haggerty war begeistert. »Was zum Teufel ist da passiert?« »Meine Herren Admirale, wenn Sie mir die Bemerkung gestatten, eine ganze Menge«, begann Captain Hardy und blätterte in seinen Papieren. »Fast die gesamte indische Marine ist in Gefechtsformation in See gestochen und folgt den Chinesen …« Hardy musste ein Kichern unterdrücken. »Außerdem haben die Tschu Man und die Tscheng He beide eine kodierte Nachricht höchster Priorität aus Peking erhalten. Allerdings wissen wir noch nicht, was darin steht.« »Ich weiß es«, widersprach Adams. Seine Kameraden sahen ihn verblüfft an. »Diese Botschaft wurde schon einmal vor mehr als fünfhundert Jahren vom Kaiser an Admiral Tscheng He in den Indischen Ozean geschickt und lautete: Kehr sofort um. Als der Admiral wieder zu Hause war, ließ der Kaiser die Flotte und nahezu alle Aufzeichnungen über diese 411

gewaltige Expedition verbrennen. Später verzieh der Kaiser dem Admiral und gestattete ihm, sich auf eine Pilgerreise nach Mekka zu begeben, allerdings ohne Flotte.« Adams trat an das kleine Rednerpult, das im CIC hin und wieder für Vorträge benutzt wurde. »Meine Damen und Herren, die Situation stellt sich für mich folgendermaßen dar. Wir können unseren Auftrag, die chinesischen Schiffe abzufangen, nicht ausführen, da diese entweder einen pakistanischen Hafen ansteuern oder auf dem Rückweg nach China sind. Andererseits liegt uns eine KRITISCHE Nachricht vor, derzufolge unser Stützpunkt in Bahrain soeben bombardiert worden ist. Außerdem hat der Iran Geheimdienstberichten zufolge mit einem amphibischen Angriff auf Bahrain und Islamijah begonnen. Wenn Amerikaner angegriffen werden, muss ich keine Befehle abwarten. Captain Rucker, drehen Sie die Reagan in den Wind. Schicken Sie beide Enforcer-Geschwader mit voller Bewaffnung über Oman nach Bahrain und Islamijah. Führen Sie Plan Zehn-Null-Neun dementsprechend durch. Das 43. Geschwader soll die iranische Marine ausschalten. Das 44. kümmert sich um die iranischen Marine- und Luftwaffenstützpunkte an der Küste. Die Raptors der U. S. Air Force in Oman geben Geleitschutz. Admiral Haggerty, Sie setzen sich mit den Alliierten am Golf in Verbindung. Erklären Sie ihnen, was wir vorhaben, und bitten Sie sie um Umsetzung von 412

Plan Zehn-Null-Neun, und zwar mit den Anpassungen, die bei der Besprechung letzte Woche vereinbart wurden. Das Auftanken und der Waffennachschub der Enforcers erfolgt in Qatar. Während unserer Durchfahrt soll die emiratische Luftwaffe mit ihren Super F-16 Hormuz überfliegen. Wenn sich auf den iranischen Inseln etwas rührt, wird das Feuer eröffnet. Captain Hardy, beenden Sie die Täuschungsaktion. Schalten Sie die Elektronik des Kampfverbandes wieder ein, damit die Iraner wissen, dass wir kommen. Das war’s, Leute. Hat noch jemand Fragen?«, rief Adams in den Raum hinein. »Nein, Sir«, hallte es im Chor zurück. »Dann geht’s los. Captain Rucker, hissen Sie die Kriegsflagge.« Die Scheinwerfer am Turm der Reagan leuchteten auf, die Radarreflektoren begannen sich zu drehen, und die Kriegsflagge der U. S. Navy wurde am Fahnenmast hochgezogen. Das gigantische Schiff setzte sich in Bewegung, nahm Fahrt auf und wendete, eine gewaltige Bugwelle hinter sich herziehend. Riesige Aufzüge transportierten unablässig Flugzeuge auf das Flugdeck, während Männer und Frauen in grellroten, grünen und gelben Overalls zu den Maschinen eilten. Im CIC wartete Hardy ab, bis Adams die Durchführung seiner Befehle kontrolliert und den Seeleuten auf die Schulter geklopft hatte. »Welche Anpassungen an den Plan?«, fragte er dann leise. »Die, die Sie letzte Woche von mir erhalten haben«, 413

antwortete Adams, ebenfalls mit gedämpfter Stimme, während er etwas von einem Klemmbrett ablas. »Den, der von General Bobby Doyle in der CENTCOMZentrale genehmigt wurde.« »Haben etwa Sie veranlasst, dass die komplette gottverdammte indische Marine, einschließlich zweier kleiner Flugzeugträger, in See sticht, um die chinesischen Schiffe zwischen unseren beiden Flotten einzukeilen, Admiral?«, flüsterte Captain Hardy. »Da überschätzen Sie mich aber, Johnny. Vermutlich hat Minister Conrad dieses kleine Manöver geplant. Der Himmel allein weiß, was er den Indern dafür versprochen hat.« Lachend reichte der Admiral Hardy das Klemmbrett. »Allerdings ist das nicht der Grund, warum die Chinesen umgekehrt sind. Schauen Sie sich die Funkberichte an. Die Regierung der Islamischen Republik Islamijah hat die Chinesen offiziell dazu aufgefordert, ihr Militärhilfeprogramm zu beenden und ihr militärisches Personal abzuziehen. Abdullah bin Rashids Büro hat das gestern am späten Abend bekannt gegeben.« »Verdammt … äh … entschuldigen Sie meine Ausdrucksweise, Sir«, stammelte Hardy. Admiral Haggerty mischte sich in das Gespräch ein. »Offenbar habe ich etwas verpasst. Übrigens, Admiral, soll ich eine Nachricht nach Tampa und nach Washington schicken, um zu melden, was wir vorhaben?« »Aber selbstverständlich, Frank. Schließlich steht das in den Vorschriften, und wir halten uns doch 414

immer an die Vorschriften, nicht wahr? Legen Sie mir die Meldung zuerst zur Unterschrift vor«, erwiderte Adams mit einem Blick auf die Uhr. »Und zwar in etwa einer halben Stunde. Ich sehe mir jetzt den Start unseres Geschwaders an. Am besten danach.« Haggerty und Rucker mussten lachen. Dann salutierte Haggerty. »Aye, aye, Sir.«

Konferenzraum, Bank Bahrain Bank Bahrain Buildung, sechsunddreißigste Etage Manama, Bahrain »Vielleicht bombardieren die Iraner ja das Verteidigungsministerium, aber eine Bank werden sie wohl kaum angreifen«, meinte der bahrainische Verteidigungsminister General Ibrahim zu Brian Douglas. »Außerdem haben wir von hier aus gute Sicht sowie Funk- und Telefonverbindungen.« Hinter ihm installierten Soldaten Funkgeräte und Telefone und bauten Teleskope mit großer Reichweite sowie Monitore auf. Unten in der Stadt konnte Brian an mehreren Stellen Feuer und Rauch erkennen, nachdem es den Iranern gelungen war, bei Morgengrauen die bahrainische Luftabwehr zu durchdringen. »Die Hafeneinfahrt schützen wir mit Patrouillenbooten, Tauchern und unserer Fregatte. Außerdem haben wir zusammen mit den Amerikanern letzte Nacht ein Minenfeld gelegt. Die amerikanischen SEALs und Kutter der Küstenwache unterstützen uns. 415

Sie sind nicht mit dem restlichen Verband in See gestochen«, fuhr der General fort und wies nach Osten. »Wie viel Schaden haben die Iraner auf dem Luftwaffenstützpunkt angerichtet?«, fragte Douglas. Der Luftwaffenstützpunkt Scheich Issa befand sich hinter ihnen im Süden und war von ihrem Standort aus nicht zu sehen. »Es sieht dort ziemlich übel aus. Allerdings hatten wir einige unserer F-16 vom Stützpunkt abgezogen und ein paar andere Maschinen am internationalen Flughafen abgestellt. Deshalb verfügten wir noch über acht oder neun einsatzfähige Kampfjets«, erklärte der bahrainische General. »Wir rechnen damit, dass die Iraner am nördlichen Strand landen, wo ich deshalb den Großteil der Armee zusammengezogen habe. Außerdem habe ich einige amerikanische Mehrfachflugkörper dort stationiert.« Im Norden – die Richtung, aus der der Angriff erfolgen würde – verfärbte sich der Himmel von Schwarz zu Grau. Im Osten zeigten die vereinzelten Wolken erste rosige Streifen, als langsam die Sonne aufging. »Ich kann ihre Flotte sehen!«, rief ein Offizier auf Arabisch. Brian warf einen Blick durch das Teleskop. Durch den Dunst waren im Westen ein Zerstörer und ein kleineres Kriegsschiff zu erkennen. Im nächsten Moment bemerkte er dazwischen Wasserfontänen und darunter rasch dahinrasende Luftkissenboote, die Panzer und Lastwagen an Bord hatten. »In zwei Minuten sind sie in Reichweite«, sagte Ibrahim. 416

Die Sonne ging am Horizont auf, und ihre hellen Strahlen blendeten jeden, der nach Osten schaute. Brian setzte seine polarisierte Sonnenbrille auf, als eine V-Formation von amerikanischen F-35 Enforcer auftauchte. Er schwenkte das Teleskop herum, um die Flugzeuge zu beobachten. Ihr Rumpf war glatt, und weder Außenbordraketen, Bomben noch Treibstofftanks waren zu erkennen. Als Brian das Okular schärfer einstellte, schossen Raketen aus dem Flugzeug. Im Norden waren über den Schiffen iranische MiG-29 zu sehen, im Westen stieg die erste Welle von Raketen auf. Schon im nächsten Moment trafen die Raketen der Enforcers im Norden einige Schiffe; gleichzeitig wurden Flugzeuge in der Luft zerrissen. Über und hinter den Enforcers hatte eine Staffel von F/A-22 Raptor der Air Force das Feuer auf die MiGs eröffnet. Während Brian versuchte, die Raptors im Auge zu behalten, sah er, wie eine Enforcer, getroffen von einer MiG-Rakete, zerbarst. Im nächsten Moment erzitterten die Fensterscheiben. In der Hafenmündung gab es eine weitere Explosion. Offenbar war jemand auf die Minen gefahren. »Anscheinend fehlt ihnen das Überraschungsmoment«, bemerkte Ibrahim zu Douglas. »Und das haben wir Ihnen zu verdanken.« »General, ich würde sagen, es sieht ganz danach aus, als ob zwei der drei Skorpione am Tor aufgehalten worden wären«, entgegnete Douglas. Hinter Ibrahim war vom Strand aus eine weitere Raketensalve zu hören. »Übrigens, Brian, steht der 417

schiitische Imam der großen Moschee zusammen mit dem Kronprinzen am Strand, um unsere Truppen anzufeuern«, fuhr der General fort und reckte siegesgewiss den Daumen in die Luft. Brian sah, dass im Westen hinter dem Bankenturm die Kondensstreifen einer weiteren Gruppe Enforcers und Raptors in Sicht kamen, die auf die von den Iranern ausersehenen Landeplätze in Islamijah zuhielten. MiGs folgten ihnen und feuerten Raketen auf sie ab. Douglas wandte sich an General Ibrahim. »Was hätte Churchill dafür gegeben, während der Luftschlacht um England einen solchen Blick über London gehabt zu haben!« »Auf dass wir so erfolgreich sein mögen wie er«, gab der General zurück. »Inshallah.« Wieder erzitterten die Fensterscheiben, und unter ihnen ging ein Flügel des königlichen Palastes in Flammen auf. Währenddessen steuerte der Großteil der iranischen Streitkräfte auf die Küste von Islamijah und die Strände zu. Luftkissenboote, die leichte Panzerfahrzeuge und Lastwagen an Bord hatten, sausten über das Wasser und erreichten den Strand, wo sie weiter über den Sand glitten. Über ihnen lieferten sich iranische MiGs und Sukhois ein Gefecht mit den wenigen Kampfflugzeugen amerikanischer und britischer Bauart, die in Islamijah noch einsatzfähig waren. Die ehemalige königliche Luftwaffe von Saudi-Arabien war inzwischen stark geschrumpft, da man viele Maschinen ausgeschlachtet hatte, um sie als Ersatzteillager 418

zu nutzen. Die Iraner schienen die Luftschlacht aus dem einzigen Grund zu gewinnen, weil sie viel mehr Flugzeuge besaßen, als Islamijah einsetzen konnte. Nach den Luftkissenbooten kamen die wieder in Dienst gestellten amphibischen Landefahrzeuge, aus denen Soldaten an den Strand strömten. Die islamijischen Streitkräfte überzogen die Landezone mit einem tödlichen Hagel aus Artillerie- und Panzergeschossen, dennoch gelang es einigen iranischen Einheiten, das Ufer zu erreichen und vom Strand aus weiter auszuschwärmen. Aufgrund ihrer Ausdehnung war die Küste von Islamijah schwieriger zu verteidigen als die bahrainische. Iranische Sonderkommandos mit Mini-U-Booten und Schwimmpanzern setzten unweit der Häfen Spezialeinheiten ab, um die Docks zu besetzen, damit die iranischen Fähren und Ro-RoSchiffe dort anlegen konnten. Für Islamijah sah es gar nicht gut aus. Der General, der die Schutztruppen in der Ostprovinz befehligte, saß in einem Bunker in Dhahran und befürchtete schon, dass ihm bald nichts anderes übrig bleiben würde, als seinen Einheiten den Rückzug zu befehlen und sie neu gegen die Iraner zu formieren. Doch in diesem Moment explodierten vor der Küste plötzlich einige iranische Truppentransporter. Wenige Sekunden später meldeten Awacs-Aufklärer, dass eine weitere Welle iranischer Kampfjets, die über den Golf flogen, ebenfalls mit Raketen vom Himmel geholt worden waren. Was war hier los? Der General wusste genau, dass 419

die islamijischen Streitkräfte unmöglich diese Wende bewirkt haben konnten. Wer war dafür verantwortlich? Wenig später wurde das iranische Flaggschiff Zagros als getroffen gemeldet. Der General in seinem Bunker drehte sich zu seinem Fliegerleitoffizier um, der ihn angrinste und nur zwei Wörter sagte: »Enforcers. Raptors.« Wie hieß es immer in den amerikanischen Western? Die Kavallerie ist da? Der General nickte. Ja, die Kavallerie ist da.

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Kapitel 17 22. Februar

Sicherheitszentrale der Republik Islamijah Riad »Spielen Sie das Band ab!«, befahl General Khalid. Auf allen Fernsehbildschirmen des Landes war eine schlichte grüne Fahne zu sehen, die vor einem blauen Himmel flatterte. Ein patriotisches Lied erklang, und eine Stimme verkündete: »Und nun wendet sich Abdullah bin Rashid, Vorsitzender der Schura, an die Nation.« Ein feierlich gewandeter Abdullah stand vor einem grünen Hintergrund. Dann war sein Gesicht in Nahaufnahme zu sehen. »Ich bin zwar nicht demokratisch von Ihnen legitimiert, aber es ist meine Aufgabe, dieses Land zu führen, bis Sie eine neue Regierung gewählt haben. Wir Mitglieder der Schura sind von denen bestimmt worden, die gekämpft haben, um die Usurpatoren zu stürzen, die den Reichtum unseres Landes gestohlen haben, damit ihre Familie sich die Taschen füllen konnte. Doch bald, noch in diesem Jahr, wird der Tag kommen, an dem Sie selbst entscheiden können, wer uns regieren soll. Liebe Brüder und Schwestern, dieses Recht dürfen Sie sich von niemandem nehmen lassen. 421

Wenn Sie wählen, denken Sie dabei an die Zukunft. Denken Sie daran, wie wir Araber zu unserer Größe zurückfinden und zum Fortschritt auf dieser Welt beitragen können. Wir verfügen über weitaus mehr als nur die Energie aus Fossilien, die Millionen von Jahren alt sind. Wir sollten uns wieder auf unsere Geistesgaben besinnen und uns der Mathematik, der Wissenschaft, der Medizin und dem Ingenieurwesen zuwenden. Wir müssen lernen, die Geheimnisse zu entschlüsseln, die Allah uns geschenkt hat. Und dazu brauchen wir die Fähigkeiten aller unserer Bürger, der Männer wie auch der Frauen. Wenn diese Republik Bestand hat, können wir uns auf einen Tag freuen, an dem der Friede Allahs in der Welt gedeihen wird. Den Tag, an dem alle Massenvernichtungswaffen endgültig abgeschafft sind. Dann werden wir alle Geschenke Allahs nutzen, nicht nur die fossilen Brennstoffe, die er dieser Welt überlassen hat. Allah hat sie unserem Land geschenkt, damit die Menschheit in Zeiten der Not Brennstoff hat. Aber diese Zeit ist nun vorbei. Damit dieser Tag so schnell wie möglich kommt, werden wir die Führungsrolle übernehmen. Heute zerstören wir die Langstreckenraketen in unserem Land, Raketen, die eines Tages vielleicht Massenvernichtungswaffen getragen hätten. Wir haben die diplomatischen Vertreter vieler Nationen in unsere Wüsten eingeladen, damit sie Zeugen dieser Zerstörungsaktion werden. Und wir fordern internationale Inspektoren auf, sich jederzeit und überall bei uns 422

umzusehen. Außerdem bitten wir den Iran, Israel und andere Länder, sich unserem Beispiel anzuschließen. Heute investieren wir zwei Milliarden Euro, die erste Rate einer noch viel größeren Summe, um hier in Riad das Institut für zukünftige Energien zu gründen. Es handelt sich um ein internationales Zentrum zur Erforschung und Anwendung neuer Quellen elektrischer und anderer Energie, die uns aus dem fossilen Zeitalter herausführen sollen. Auch hier bitten wir die internationale Staatengemeinschaft, einen finanziellen Beitrag zu leisten und sich an den Forschungsarbeiten zu beteiligen. Bis es so weit ist, werden wir unser Öl auf dem Weltmarkt anbieten, wo alle es kaufen können, und zwar jedes Jahr ein Prozent unserer bekannten Reserven, nicht mehr und nicht weniger. Zehn Prozent des Erlöses werden an das Institut für zukünftige Energien fließen. Falls jemand versucht, sich mit Gewalt Zugriff auf unsere Ölvorräte zu sichern, werden unsere sämtlichen Förderanlagen sich automatisch selbst zerstören. Eine Invasion unseres Landes wäre deshalb also völlig zwecklos. Außerdem müssen wir erkennen, dass mit diesem Geschenk Allahs auch eine besondere Verantwortung einhergeht. Wir haben die Pflicht, die beiden heiligen Moscheen zu erhalten und zu bewahren, die sich auf unserem Boden befinden. Sie sind Heiligtümer für fast zwei Milliarden Muslime aller Glaubensrichtungen, Sunniten wie Schiiten, denn es gibt keine Schule des Islam, die sich als die einzig richtige bezeichnen 423

kann. Deshalb wird unsere Regierung sie alle schützen und keine Denkrichtung bevorzugen. Sie Ihrerseits müssen für unsere Regierung und unser Land einstehen. Insbesondere jetzt in diesen Zeiten des Wandels. Es gibt Kräfte, die mit dem Gedanken spielen, in unser Land einzufallen, um unsere Treibstofflager unter dem Sand leer zu pumpen. Doch Sie, meine Freunde, können diese Skorpione verjagen. Sie können zeigen, dass Sie die Revolution unterstützen. Marschieren Sie zum Roten Meer, und bilden Sie an der Küste eine Menschenkette aus Patrioten und Gläubigen. Stellen Sie unter Beweis, dass Sie bereit sind, unsere Nation zu verteidigen. Die Mitglieder der Schura werden in jeder Stadt für Transportmöglichkeiten sorgen. Schließen Sie sich mir nach dieser Sendung an, und marschieren Sie für Islamijah.« Die Kamera richtete sich auf Dutzende von Männern und Frauen, die zu beiden Seiten Abdullahs standen. »Sie marschieren nicht allein. Ich möchte Ihnen nun die Mitglieder der neuen Schura vorstellen. Dies ist mein Bruder Ahmed; er ist Arzt, meine rechte Hand und hat diesen Plan entwickelt, um unsere Nation voranzubringen. Hier ist General Khalid, der die Schutztruppen befehligt. Neben ihm sehen Sie Fatima Khaldan, eine Wissenschaftlerin, die in ihr Heimatland zurückgekehrt ist …« Nachdem alle vorgestellt waren, zeigte der Bildschirm General Khalid und Ahmed, die nebeneinander saßen. Khalid ergriff das Wort. »Nachdem Scheich 424

Abdullah diese Rede für die heutige Sendung gehalten hatte, wurde er von Feinden der Revolution getötet. Nun lauern diese Feinde vor unserer Küste. Unsere Streitkräfte vertreiben die Perser im Osten. Und Sie müssen unsere Armee am Roten Meer sein, wie Scheich Abdullah Sie aufgefordert hat. Schließen Sie sich Dr. Rashid an, wenn er die Leiche seines Bruders, der als Märtyrer gestorben ist, zum Meer bringt …«

An Bord der USS George Herbert Walker Bush Rotes Meer »Sir, wir müssen eine Entscheidung fällen. Landen wir am Morgen im Osten oder im Westen? In Ägypten oder in Islamijah?«, fragte der Kommandant des amerikanischen zentralen Oberkommandos den Verteidigungsminister. »Haben die Iraner einen Brückenkopf am Strand errichtet?«, erkundigte sich Minister Conrad bei General Moore. »Einen kleinen in der Nähe von Jubail, aber die Kampfflugzeuge von der Reagan sowie aus den Emiraten, Qatar und Kuwait nehmen sie unter ziemlich heftigen Beschuss. Außerdem sieht es aus, als ob ihre Invasion in Bahrain gescheitert wäre«, erwiderte der General. »Eine Invasion von Bahrain war niemals geplant«, beharrte Minister Conrad. »Vermutlich handelte es sich nur um ein Täuschungsmanöver.« 425

»Adams, dieser Dreckskerl! Ich habe es gleich gewusst«, zischte Kashigian dem Minister zu. »Aber wir könnten einen Einmarsch noch immer rechtfertigen, und zwar mit der Begründung, dass wir das Öl vor einer zweiten iranischen Angriffswelle schützen müssen … und vor dem Chaos in Islamijah. Und davon kann man dort mit Fug und Recht sprechen. Schließlich wechseln sie täglich den Regierungschef.« Conrad seufzte laut. »Mag sein. Aber was ist mit den chinesischen Truppen und den Atomsprengköpfen?« »Die beiden chinesischen Flugzeugträger befinden sich eindeutig auf dem Heimweg. Die Ro-Ro-Schiffe liegen in Karatschi vor Anker, wo sie offenbar Fahrzeuge und ein paar Militärberater und Techniker in Pakistan abliefern«, las General Moore die Meldung vor. »Also stellen die Chinesen auch keine Bedrohung mehr dar«, meinte Conrad leise zu Kashigian. »Herr Minister, seit dieser Kerl von der Schura heute Morgen seine Rede gehalten hat, strömt Berichten zufolge das ganze Volk zur Küste, und zwar zu unseren geplanten Landeplätzen. Ich zeige Ihnen die Bilder, die uns der Global Hawk vom ›Nebraska Beach‹ und vom ›Landegebiet Alpha Zwei‹ übermittelt hat.« Auf einem Großbildschirm erschien eine Küstenregion. In einer Nahaufnahme war ein Strand zu sehen, auf dem sich zahllose Menschen drängten. »Ich kann keine Panzer oder Artillerie erkennen. 426

Womit sind die denn bewaffnet? Holen Sie das Bild näher ran«, herrschte Conrad den General an. »Mehr ist da nicht, Herr Minister. Die Leute haben keine Waffen. Es sind Zivilisten. Offenbar halten sie sich an den Händen und beten. Alle paar Meter steht irgendein Imam dabei.« Der Minister näherte sich dem Bildschirm und musterte angestrengt den Strand. Dann wandte er sich wieder an Kashigian. »Ron, was halten Sie davon … Ron, jetzt hören Sie schon endlich auf, in dieser verdammten Pressemappe zu blättern. Ich muss eine Entscheidung treffen.« Den gerade eingetroffenen Nachrichtenüberblick in der Hand, kam Kashigian auf den Minister zu. »Das haben wir eben erhalten. Die Titelseite des New York Journal. Ein Artikel von dieser Delmarco. Hier heißt es, dass ihr Laptop zwar nicht mehr im Wagen war, als sie gefunden wurde, doch offenbar hatte sie eine Kopie ihres Manuskripts direkt an den Server geschickt, weil sie auf Nummer sicher gehen wollte.« Er reichte dem Minister den Zeitungsausschnitt. Beim Lesen weiteten sich Conrads Augen vor Entsetzen, und er wurde sichtlich blass. »Das ist skandalös, üble Nachrede, nichts als unverfrorene Lügen.« »Sir?«, fragte der General, der keine Ahnung hatte, wovon die beiden Zivilisten redeten. Der Verteidigungsminister sah seinen Staatssekretär finster an. »Sie haben das alles vermasselt. Nichts hat geklappt.« »Geben Sie nicht mir die Schuld. Sie haben mir Be427

fehl erteilt, alles Menschenmögliche zu tun, damit Ihre Al-Saud-Freunde in ihrer Heimat wieder das Sagen haben. Und etwas Besseres ist eben niemanden eingefallen. Die Umstände spielen keine Rolle, Henry, wir müssen dort einmarschieren!«, redete Kashigian eindringlich auf seinen Chef ein. »Wir verbreiten einfach die große Lüge. Das hat früher doch auch geklappt.« Henry Conrad ging wieder auf den Monitor zu, wo noch immer Strände voller betender Zivilisten zu sehen waren. »Begreifen Sie denn nicht? Dort gibt es weder Atomwaffen noch iranische Invasoren oder Chinesen. Und die von Ihnen vorhergesagten Unruhen sind in Wirklichkeit eine gottverdammte Gebetsveranstaltung. Glauben Sie ernsthaft, wir könnten unseren Wählern zu Hause erklären, warum wir eine Versammlung von Gläubigen bombardiert haben?« »Sir?«, insistierte General Moore erneut. »Also gut«, erwiderte Ron Kashigian und drehte sich zu General Moore um. »Der Verteidigungsminister hat entschieden, das geplante Manöver mit Ägypten durchzuführen. Allerdings wird er selbst nach Washington zurückkehren, da ihm gerade etwas Wichtiges dazwischengekommen ist. Deshalb brauchen wir eine Maschine der Navy, die ihn nach Kairo bringt, wo seine 747 steht.« »Jawohl, Sir«, entgegnete der CinC. »Und lassen Sie mir bitte einen Flug von Kairo nach Genf buchen«, fügte Kashigian hinzu.

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Kommandoposten Marinestützpunkt der Revolutionsgarden Bandar Abbas, Iran »Wir können noch eine Welle losschicken und den Brückenkopf am Strand verstärken«, sagte der iranische General und blickte von seiner Karte auf. »Meine Brüder in Teheran berichten, dass der Oberkommandierende der Luftwaffe sich weigert. Seiner Ansicht nach sind die Verluste bereits jetzt zu hoch und nicht mehr akzeptabel«, erwiderte der Geistliche gleichmütig, als mache er eine Bemerkung über das Wetter. »Wir können unsere Männer doch nicht einfach dort zurücklassen«, protestierte der General. »O doch, das können wir. Schließlich haben wir damals auch hingenommen, dass unsere Pasdaran und Basiji für mehr als zehn Jahre in irakischen Gefängnissen verschwunden sind. Und es waren viel mehr als jetzt«, antwortete der Geistliche und suchte seine Papiere zusammen. »Jener Krieg ist gescheitert. So wie dieser hier. Finden Sie sich damit ab.« »Aber damals hatten wir keine Atomwaffen«, beharrte der General und stellte sich dem Geistlichen in den Weg. »Ich sagte Ihnen doch, dass Atomwaffen nur zu Verteidigungszwecken da sind. Nicht für Sie, das Quds-Kommando, die Hisbollah oder sonst jemanden«, erklärte der Geistliche. »Wenn in den Vereinigten Staaten auch nur eine Atomwaffe explodiert, 429

werden die Amerikaner nicht zögern, unser ganzes Land in Schutt und Asche zu legen. Und Korea ebenfalls, nur um ein Exempel zu statuieren. General, Sie müssen in größeren Zeiträumen denken. 1986 haben wir den Krieg mit dem Irak ohne Sieg beendet, 2006 haben wir ihn gewonnen, und zwar mit Ihrer Hilfe und der anderer Leute. Und wir haben ohne Truppeneinsatz gesiegt. Die heutige Aktion war zu offensichtlich und direkt. Nicht subtil genug. Aber keine Sorge, General, wir werden irgendwann Erfolg haben. Ich habe bereits einen anderen Plan. Suchen Sie mich in ein paar Tagen in Teheran auf, nachdem … ein bisschen Gras über die Sache gewachsen ist. Wir brauchen einen langen Atem, General.« Der Geistliche blickte erst auf die Karte und sah dann sein Gegenüber an. »Unser Tag wird kommen.«

28. Februar The Ethical Culture Society Central Park West New York City »Sie kannte wirklich eine Menge Leute«, sagte Brian Douglas zu Rusty, als die beiden Männer die Trauerfeier für Kate Delmarco verließen. »Ein Großteil der Anwesenden waren Journalisten. Sie hat wirklich Großartiges geleistet. So etwas erfordert Intelligenz und Mut«, sagte Rusty MacIntyre auf 430

dem Weg die Treppe hinunter. »Und es hat sie vielleicht das Leben gekostet.« Er erinnerte sich an ihre gemeinsame Nacht, an ihr Lächeln und ihre Unbeirrbarkeit, und wurde von schlechtem Gewissen ergriffen. Trug er womöglich eine Mitschuld an ihrem Tod? »Jetzt fangen Sie nicht wieder damit an. Sie haben den Autopsiebericht doch gesehen, obwohl Sie dazu gar keine Befugnis hatten. Sie ist an einem Herzinfarkt gestorben, Rusty«, mischte sich Sol Rubenstein ein, der die beiden eingeholt hatte. »Ray Keller, ihr Chefredakteur, ist nicht dieser Ansicht und hat drei Reporter darauf angesetzt«, erklärte MacIntyre seinem Chef. »Außerdem versucht er zu erreichen, dass sich das FBI mit der Sache befasst.« Und ich werde dafür sorgen, dass es auch dazu kommt, fügte er in Gedanken hinzu. »Dann wünsche ich ihm viel Glück, denn das wird er brauchen«, gab Rubenstein zurück. »Eigentlich sollten Sie froh sein, dass das FBI die Ermittlungen gegen Sie eingestellt hat, weil Dr. Rashid inzwischen nicht mehr als Terrorist gilt, sondern wahrscheinlich der nächste Präsident von Islamijah sein wird.« »Ahmed hat mich eingeladen«, antwortete Rusty. »Und wann fliegen Sie hin?«, erkundigte sich Rubenstein. »In nächster Zeit nicht, Chef«, erwiderte Rusty. »Brian wollte zum Segeln nach Virgin Gorda und braucht noch eine Crew. Wenn ich also Ihre Genehmigung voraussetzen darf …« Rubenstein lachte. »Na, dafür, dass Sie einen Krieg 431

verhindert haben, haben Sie beide vermutlich einen Urlaub verdient. Allerdings bin ich nicht sicher, was Sir Dennis von dieser neuen Männerfreundschaft halten wird.« »Daran wird er sich wohl gewöhnen müssen«, entgegnete Brian grinsend. »Außerdem ist es sowieso seine Schuld. Schließlich hat er uns miteinander bekannt gemacht.« »Und wie geht es Sarah? Kommt sie auch mit in den Urlaub?«, erkundigte sich Rubenstein väterlich, als sie weiter zum Columbus Circle schlenderten. Rusty ließ kurz den Blick zum Park auf der anderen Straßenseite schweifen und sah dann Rubenstein an. »Nein. Sarah wird die nächsten neunzig Tage damit beschäftigt sein, Somalia zu retten.« Rubenstein wirkte zwar enttäuscht, allerdings nicht überrascht. Doch als er Rustys Miene bemerkte, verkniff er sich eine Bemerkung. Sie ließen den Park hinter sich und betraten das Time Warner Center, wo sie, ein wenig verspätet, ihren Erfolg mit einem Mittagessen feiern wollten. Im Fernseher in der Vorhalle lief CNN. »Schauen Sie mal, der Präsident gibt eine Pressekonferenz«, rief Rubenstein und steuerte auf den Apparat zu. Als sie näher kamen, konnten sie auch den Ton verstehen. »… wird entschieden, welche dieser unbewiesenen Anschuldigungen Ermittlungen rechtfertigen. Doch während der Justizminister damit beschäftigt ist, möchte ich noch einmal betonen, welches Glück wir 432

haben, dass Henry Conrad unserem Land dient. Sein Reformprogramm hat zu einem Wandel innerhalb der Streitkräfte geführt und Milliarden an Steuergeldern eingespart. Außerdem hat Mr. Conrad neue Brücken zu unseren kritischen Verbündeten in der ganzen Welt gebaut, was mir kürzlich beim AsienPazifik-Gipfel wieder sehr deutlich geworden ist. Er fand in Chile, in Santiago, statt … Sehen Sie, das Entscheidende ist doch, dass Henry Conrad der beste Verteidigungsminister ist, den wir je hatten. Und wie lautete der zweite Teil Ihrer Frage …?« »Nicht zu fassen«, entfuhr es MacIntyre. »Der beste Verteidigungsminister, den wir je hatten, aha«, wiederholte Rubenstein. »Ob sie hier wohl Balvenie führen?«, sagte Brian Douglas, als sie sich vom Fernseher abwandten, um sich ins Restaurant zu begeben. Der Präsident redete immer noch.