Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie ...in 5 Tagen (Springer-Lehrbuch)

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Springer-Lehrbuch

F. Schneider S. Weber-Papen

Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie … in 5 Tagen Unter Mitarbeit von Ingo Vernaleken

123

Prof. Dr. med. Dr. rer. soc. Frank Schneider Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Universitätsklinikum Aachen RWTH Aachen Pauwelsstr. 30 52074 Aachen [email protected] www.psychiatrie.ukaachen.de

Dipl.-Psych. cand. med. Sabrina Weber-Papen Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Universitätsklinikum Aachen RWTH Aachen Pauwelsstr. 30 52074 Aachen

ISBN 978-3-540-89049-2 Springer Medizin Verlag Heidelberg Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland vom 9. September 1965 in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechtsgesetzes. Springer Medizin Verlag springer.de © Springer Medizin Verlag Heidelberg 2010 Produkthaftung: Für Angaben über Dosierungsanweisungen und Applikationsformen kann vom Verlag keine Gewähr übernommen werden. Derartige Angaben müssen vom jeweiligen Anwender im Einzelfall anhand anderer Literaturstellen auf ihre Richtigkeit überprüft werden. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutzgesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürfen. Planung: Renate Scheddin, Heidelberg Projektmanagement: Axel Treiber, Heidelberg Lektorat: Ursula Illig, Stockdorf Layout und Umschlaggestaltung: deblik Berlin Umschlagmotiv: © Yuri Arcurs - Fotolia.com Satz: Fotosatz-Service Köhler GmbH – Reinhold Schöberl, Würzburg SPIN 12559343 Gedruckt auf säurefreiem Papier

15/2117 – 5 4 3 2 1 0

V

Vorwort Das vorliegende Werk wurde speziell für Medizinstudentinnen und -studenten zur schnellen Prüfungsvorbereitung auf das so genannte »Hammerexamen« geschrieben: für das schnelle und kurzfristige Wiederholen examensrelevanter Fakten. Der formale Aufbau entspricht einem 5-tägigen Repetitorium, in dem der kompakt, aber dennoch umfassend dargestellte Lernstoff maximal innerhalb einer Woche erarbeitet werden kann. Inhaltlich orientiert sich das Buch am Gegenstandskatalog und an den prüfungsrelevanten Themen aller Hammerexamina der letzten Jahre. Besonderen Wert haben wir darauf gelegt, dass bisherige und potenzielle Fragen des IMPP nach dem Durcharbeiten des vorliegenden Buches korrekt beantwortet werden können. Natürlich soll das Buch nicht nur eine schnelle und zielgerichtete Prüfungsvorbereitung ermöglichen, sondern eignet sich auch als vorlesungs-, kurs- und praktikumsbegleitende Lektüre – zum raschen Nachschlagen wesentlicher Sachverhalte ohne unnötigen Ballast. Optimalerweise sollte man während des Studiums ein ausführlicheres Psychiatrie-Lehrbuch studiert haben. Aber auch ohne eine solche Lektüre, soll dieses Buch dazu verhelfen, dass unsere Leser sicher durch das »Hammerexamen« kommen. Unser besonderer Dank gilt zwei Mitarbeitern der Aachener Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie: dem Juniorprofessor Dr. med. Ingo Vernaleken, der mit großer Sorgfalt und Fachkenntnis die Manuskripterstellung begleitet hat und der Ärztin und PJ-Mentorin der Klinik, Annegret Drangmeister, die uns durch ihre kritische Durchsicht der Kapitel unterstützend zur Seite stand. Den Aachener Medizinstudenten, die frühere Fassungen des Manuskriptes gelesen und gelernt haben, danken wir für die vielen kritischen Hinweise auf Ballast und Unnötiges, wodurch dieses Kompendium so kurz und verständlich wie möglich gehalten werden konnte. Auch den verantwortlichen Mitarbeitern des Springer Verlages, Renate Scheddin und Axel Treiber, sowie der Lektorin Ursula Illig, möchten wir ganz herzlich für die konstruktive Zusammenarbeit danken. Sie alle halfen uns, Sachverhalte noch kürzer und noch prägnanter zu beschreiben. Wir wünschen allen Lesern viel Erfolg bei den schriftlichen und mündlichen Prüfungen des »Hammerexamens«! Über eine Rückmeldung, ob das vorliegende Werk auch Ihnen eine wertvolle Hilfe war, wären wir unseren Lesern nach ihrem Examen sehr dankbar. Aachen, im Herbst 2009 F. Schneider, S. Weber-Papen

VII

Inhaltsverzeichnis 1 1.1

Gesundheitsstörungen und Psychopathologie . . . . . . . . . . .

4.9 1

Allgemeine Psychopharmakotherapie im Alter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.10 Psychopharmakainduzierte Notfälle . . . .

77 78

5 5.1 5.2 5.3 5.4 5.5 5.6 5.7 5.8 5.9

Psychotherapie . . . . . . . . . . . . . . . Psychotherapeutische Ansätze . . . . . . Verhaltenstherapie . . . . . . . . . . . . . . Psychoanalytische Therapieverfahren . . Gesprächspsychotherapie . . . . . . . . . Systemische Paar- und Familientherapie Entspannungsverfahren . . . . . . . . . . . Biofeedback . . . . . . . . . . . . . . . . . . Psychoedukation . . . . . . . . . . . . . . . Schulenübergreifende Psychotherapie .

81 82 83 89 93 93 94 94 95 95

6 6.1 6.2 6.3 6.4 6.5

Weitere Therapieformen . . . . . . . . . . 97 Elektrokrampftherapie . . . . . . . . . . . . 98 Lichttherapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 Schlafentzugstherapie . . . . . . . . . . . . . 100 Physiotherapie . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 Soziotherapie, Versorgung, Rehabilitation 100

1.12 1.13 1.14 1.15

Aufmerksamkeits- und Konzentrationsstörungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bewusstseins- und Orientierungsstörungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Formale Denkstörungen . . . . . . . . . . Ich-Störungen . . . . . . . . . . . . . . . . . Mnestische Störungen . . . . . . . . . . . Neuropsychologische Symptome . . . . Probleme im Sozialverhalten . . . . . . . Selbst- und Fremdgefährdung . . . . . . Störungen der Affektivität . . . . . . . . . Störungen der Krankheitsbewältigung . Störungen von Antrieb und Psychomotorik . . . . . . . . . . . . . Vegetative Störungen . . . . . . . . . . . . Wahn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wahrnehmungsstörungen . . . . . . . . . Zwänge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

2 2.1 2.2 2.3 2.4 2.5

Psychiatrische Diagnostik . . . . . . . . .

29

Anamnese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Psychopathologischer Befund . . . . . . . Körperliche Untersuchung . . . . . . . . . Testpsychologische Diagnostik . . . . . . Klassifikation psychischer Erkrankungen

. . . . .

30 31 32 35 39

7

Schizophrenie . . . . . . . . . . . . . . . . . 103

8

Affektive Störungen . . . . . . . . . . . . . 115

9

Angststörungen . . . . . . . . . . . . . . . . 129

3 3.1 3.2 3.3 3.4 3.5

Forensische Psychiatrie . . . . . . . . . .

41

10

Zwangsstörungen . . . . . . . . . . . . . . 137

Zivilrecht . . . . . . . . . . . . . . . . Strafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . Unterbringungsrecht . . . . . . . . Sozialrecht . . . . . . . . . . . . . . . Fahreignung und Fahrtüchtigkeit .

. . . . .

42 45 46 49 50

11

Anpassungs- und Belastungsstörungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141

12

Dissoziative Störungen (Konversionsstörungen) . . . . . . . . . . 147

. . . . . . . . . . . .

53 56

13

Somatoforme Störungen . . . . . . . . . 153

. . . . . . .

62 66 73 74 75 75 76

14

Essstörungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159

15

Schlafstörungen . . . . . . . . . . . . . . . 165

16

Sexualstörungen . . . . . . . . . . . . . . . 171

17

Persönlichkeitsstörungen . . . . . . . . . 177

1.2 1.3 1.4 1.5 1.6 1.7 1.8 1.9 1.10 1.11

4 4.1 4.2 4.3 4.4 4.5 4.6 4.7 4.8

Psychopharmakotherapie . . . Antidepressiva . . . . . . . . . . . Phasenprophylaktika (Stimmungsstabilisierer) . . . . . Antipsychotika . . . . . . . . . . . Benzodiazepine . . . . . . . . . . . Nichtbenzodiazepin-Hypnotika . Nichtbenzodiazepin-Anxiolytika Antidementiva (Nootropika) . . . Stimulanzien . . . . . . . . . . . . .

. . . . .

. . . . . . .

. . . . .

. . . . . . .

. . . . .

. . . . . . .

. . . . .

. . . . . . .

.

4

. . . . . . . . .

4 6 8 9 11 12 13 14 18

. . . . .

19 21 22 25 27

. . . . . . .

. . . . . . . . . .

VIII

Inhaltsverzeichnis

18

Abnorme Gewohnheiten und Störungen der Impulskontrolle . . . . . . . . . . . . . 187

19

Missbrauch und Abhängigkeit . . . . . 191

24 Entwicklungsstörungen . . . . . . . . . . 233 24.1 Umschriebene Entwicklungsstörungen . . 234 24.2 Tiefgreifende Entwicklungsstörungen, Autismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236

24.3 Enuresis und Enkopresis . . . . . . . . . . . 239 20

Psychische Faktoren bei somatischen Erkrankungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 211

25

Intelligenzminderung . . . . . . . . . . . 241

26

Demenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245

27

Delir und weitere organische psychische Erkrankungen . . . . . . . . . 255

20.1 Psychische Komorbiditäten bei körperlichen Erkrankungen . . . . . . . 214

20.2 Psychosomatische Aspekte bei ausgewählten organischen Erkrankungen 214

20.3 Psychotherapeutische Maßnahmen . . . . 217 21

Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) . . . . . . . . . . . . . . . . 219

22

Ticstörungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223

23

Emotionale und soziale Verhaltensstörungen mit Beginn in Kindheit und Jugend . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227

23.1 23.2 23.3 23.4

Störungen des Sozialverhaltens . . . . . Emotionale Störungen des Kindesalters Elektiver/selektiver Mutismus . . . . . . Bindungsstörungen . . . . . . . . . . . .

. . . .

. . . .

228 229 231 231

27.1 Delirante Syndrome . . . . . . . . . . . . . . 256 27.2 Organisches amnestisches Syndrom (nicht durch Alkohol oder psychotrope Substanzen bedingt) . . . . . . . . . . . . . . 259 27.3 Organische Persönlichkeitsstörung . . . . 260 27.4 Andere psychische Erkrankungen aufgrund einer zerebralen Schädigung oder Funktionsstörung oder einer körperlichen Krankheit . . . . . . . . . . . . 260

28

Suizidalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263

Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267

1 Tag 1 – Symptome, Diagnostik, Forensik

1

Gesundheitsstörungen und Psychopathologie

1.1

Aufmerksamkeits- und Konzentrationsstörungen – 4

1.2

Bewusstseins- und Orientierungsstörungen – 4

1.2.1 1.2.2 1.2.3

Bewusstseinsstörungen – 5 Orientierungsstörungen – 5 Verwirrtheit – 6

1.3

Formale Denkstörungen – 6

1.3.1 1.3.2 1.3.3 1.3.4 1.3.5 1.3.6 1.3.7 1.3.8 1.3.9

Eingeengtes Denken – 6 Gedenkenabreißen/gesperrtes Denken – 6 Ideenflüchtiges Denken, Gedankendrängen – 6 Kontaminationen – 7 Perseverationen – 7 Umständliches Denken – 7 Verlangsamtes Denken, Denkhemmung – 7 Vorbeireden – 8 Zerfahrenes/inkohärentes Denken – 8

1.4

Ich-Störungen – 8

1.4.1 1.4.2

Entfremdungserlebnisse – 8 Psychotische Ich-Störungen – 9

1.5

Mnestische Störungen

1.5.1 1.5.2 1.5.3 1.5.4 1.5.5 1.5.6

Amnesie – 9 Gedächtnisstörungen – 10 Konfabulationen – 10 Merkfähigkeitsstörungen – 10 Paramnesien – 10 Zeitgitterstörungen – 11

1.6

Neuropsychologische Symptome – 11

1.7

Probleme im Sozialverhalten

1.7.1 1.7.2

Bindungs- und Beziehungsstörungen Dissoziales Verhalten – 12

–9

– 12 – 12

1.7.3 1.7.4 1.7.5

Schulschwierigkeiten – 12 Sozialer Rückzug – 12 Soziale Umtriebigkeit – 13

1.8

Selbst- und Fremdgefährdung – 13

1.8.1 1.8.2 1.8.3

Aggressivität – 13 Selbstbeschädigung Suizidalität – 13

1.9

Störungen der Affektivität – 14

1.9.1 1.9.2 1.9.3 1.9.4 1.9.5 1.9.6 1.9.7 1.9.8 1.9.9 1.9.10 1.9.11 1.9.12 1.9.13 1.9.14 1.9.15 1.9.16 1.9.17 1.9.18 1.9.19 1.9.20 1.9.21 1.9.22 1.9.23

Affektinkontinenz – 14 Affektlabilität – 14 Affektstarrheit – 14 Affektstauung – 14 Affektverarmung – 15 Ambivalenz – 15 Anhedonie – 15 Ängste – 15 Depressivität/Deprimiertheit – 16 Dysphorie – 16 Euphorie – 16 Gereiztheit – 16 Gesteigerte Selbstwertgefühle – 17 Hoffnungslosigkeit – 17 Innere Unruhe – 17 Insuffizienzgefühle – 17 Klagsamkeit – 17 Läppischer Affekt – 17 Parathymie – 18 Psychische Verstimmung – 18 Ratlosigkeit – 18 Schuldgefühle – 18 Verarmungsgefühle – 18

1.10

Störungen der Krankheitsbewältigung

1.11

Störungen von Antrieb und Psychomotorik

1.11.1 1.11.2 1.11.3 1.11.4 1.11.5

Antriebsstörungen – 19 Ermüdungssyndrom (Burnout-Syndrom) Interessenverarmung – 20 Katatonie – 20 Motorische Unruhe – 21

– 13

– 18

– 19

– 19

1 1.11.6 1.11.7

Theatralismus – 21 Verlangsamtes bzw. herabgesetztes Reaktionsvermögen

1.12

Vegetative Störungen

1.12.1 1.12.2 1.12.3 1.12.4 1.12.5

Appetitstörungen – 21 Schlafstörungen – 21 Sexuelle Störungen – 22 Vegetative Störungen – 22 Zirkadiane Besonderheiten/Tagesschwankungen

1.13

Wahn – 22

1.13.1 1.13.2

Formale Wahnmerkmale – 23 Inhaltliche Wahnmerkmale – 23

1.14

Wahrnehmungsstörungen

1.14.1 1.14.2 1.14.3 1.14.4

Halluzinationen – 25 Illusionen – 26 Körperschemastörung – 26 Wahrnehmungsanomalien, einfache Wahrnehmungsveränderungen – 26

1.15

Zwänge – 27

– 21

– 22

– 25

– 21

4

1

Kapitel 1 · Gesundheitsstörungen und Psychopathologie

Eigene Notizen

1.1

Aufmerksamkeits- und Konzentrationsstörungen Definition Aufmerksamkeitsstörung: Störung der Fähigkeit, das Bewusstsein – aktiv oder passiv – einer bestimmten Tätigkeit, einem bestimmten mentalen oder physischen Gegenstand oder Sachverhalt zuzuwenden. Konzentrationsstörung: eingeschränkte Fähigkeit, die Aufmerksamkeit ausdauernd einem bestimmten Gegenstand/Sachverhalt oder einer bestimmten Tätigkeit zuzuwenden; Maß für die Intensität der Aufmerksamkeit.

4 Unspezifische Störungen; Vorkommen bei nahezu allen psychischen Erkrankungen, insbesondere bei Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitäts-Störung (ADHS), affektiven Erkrankungen, Schizophrenien, Belastungsstörungen, organischen psychischen Erkrankungen (v. a. Demenzen) 4 Verschiedene Aufmerksamkeitskomponenten 4 Alertness: Reaktionsbereitschaft, ungerichtete Aufmerksamkeit 4 Gerichtete Aufmerksamkeit: selektive bzw. fokussierte Aufmerksamkeit auf relevante Reize bei gleichzeitiger Unterdrückung irrelevanter Störreize, flexibler Wechsel des Aufmerksamkeitsfokus 4 Daueraufmerksamkeit: langandauernde Aufmerksamkeitszuwendung bei hoher Frequenz relevanter Reize 4 Vigilanz: Aufmerksamkeitserhaltung unter monotonen Reizbedingungen (niedrige Frequenz relevanter Reize) 4 Geteilte Aufmerksamkeit: Aufmerksamkeitsausrichtung auf 2 oder mehr Reize gleichzeitig

1.2

Bewusstseins- und Orientierungsstörungen Definition Bewusstsein: alle Zustände, die von einem Individuum erlebt werden. Bewusstseinsstörungen: Bewusstseinsverminderungen (quantitative Bewusstseinsstörungen) oder Bewusstseinsveränderungen (qualitative Bewusstseinsstörungen). Orientierungsstörungen: mangelnde Orientierung über zeitliche, räumliche, situative und/oder persönliche Gegebenheiten.

5 1.2 · Bewusstseins- und Orientierungsstörungen

1.2.1

Bewusstseinsstörungen

4 Quantitative Bewusstseinsstörungen: Störungen der Vigilanz (Wachheit) 5 Abstufungen J Benommen (verlangsamt) J Somnolent (schläfrig-benommen, leicht weckbar) J Soporös (nur durch starke Reize erweckbar) J Komatös (bewusstlos, nicht weckbar) 5 Meist bei akuten organischen Störungen 4 Qualitative Bewusstseinsstörungen 5 Bewusstseinstrübung J Verlust des Erlebniszusammenhangs J Beeinträchtigte Fähigkeit, bestimmte Aspekte der eigenen Person und der Umwelt zu verstehen, sie sinnvoll miteinander zu verbinden, sich entsprechend mitzuteilen und sinnvoll zu handeln J Häufig im Delir, aber auch bei Intoxikationen 5 Bewusstseinseinengung: Einengung des bewussten Erlebens durch Fokussierung auf bestimmte Bereiche J Häufig in affektiven Ausnahmezuständen 5 Bewusstseinsverschiebung J Veränderungen im Wacherleben mit dem Gefühl, das Erleben sei »erweitert«, z. B. mit Gefühlen der Intensitäts- oder Helligkeitssteigerung J Häufig im Drogenrausch 5 Dämmerzustand J Nur geringgradige Bewusstseinstrübung, erhebliche Bewusstseinseinengung J Nach außen häufig noch halbwegs organisiert wirkend aber vermindert steuerungsfähig J Nachfolgende Amnesie 5 Dissoziation J Ein oder mehrere Bereiche werden vom Bewusstsein abgespalten J Leitsymptom dissoziativer Störungen/Konversionsstörungen J Auftreten dissoziativer Phänomene aber auch bei somatoformen Störungen, Angststörungen, Belastungsstörungen, BordelinePersönlichkeitsstörung, Schizophrenien, affektiven Störungen

1.2.2

Orientierungsstörungen

4 Verlust der Orientierung häufig in der Reihenfolge Zeit (Z) – Ort (O) – Situation (S) – eigene Person (P) 4 Insbesondere im Rahmen organischer psychischer Erkrankungen (Delir, Demenz, amnestisches Syndrom), bei starkem Affekterleben, akuten Intoxikationen sowie akuten psychotischen Störungen

1

Eigene Notizen

6

1

Kapitel 1 · Gesundheitsstörungen und Psychopathologie

Eigene Notizen

1.2.3

Verwirrtheit

4 Zustand beeinträchtigter Orientierung, verminderter Auffassungsfähigkeit, inkohärenten Denkens sowie gestörter Konzentration und gestörten Gedächtnisses 4 Im Alter und beim Delir häufig

Formale Denkstörungen

1.3

Definition Störungen des Denkablaufs, zeigen sich in sprachlichen Äußerungen des Betroffenen.

4 Differenzierung formaler und inhaltlicher Denkstörungen > Formale Denkstörungen = Störungen des Denkablaufs Inhaltliche Denkstörungen (wahnhafte und nicht-wahnhafte) = abnorme Denkinhalte und z. T. Beeinträchtigung der Realitätskontrolle; z. B. Wahn, Zwangsphänomene, Hypochondrie, Phobie, überwertige Ideen (überwertige Ideen = lebensbestimmende Leitgedanken, gefühlsmäßig stark besetzt, korrigierbar)

1.3.1

Eingeengtes Denken

4 Verhaftetsein an ein oder wenige Themen, Fixierung auf wenige Zielvorstellungen oder Denkinhalte (inhaltliche Perseveration) 4 Sonderform: grübelndes Denken (unablässiges Beschäftigtsein mit meist unangenehmen Themen, die häufig mit der aktuellen Lebenssituation in Beziehung stehen) 4 Häufig bei depressiven Störungen

1.3.2

Gedenkenabreißen/gesperrtes Denken

4 Plötzlicher Abbruch eines sonst flüssigen Gedankengangs, was vom Patienten erlebt (Gedankenabreißen) oder von Außenstehenden beobachtet wird (gesperrtes Denken) 4 Gedankenabreißen häufig bei Schizophrenie (subjektiv wahrgenommene Sperrung wird als von außen gemacht empfunden)

1.3.3

Ideenflüchtiges Denken, Gedankendrängen

4 Ideenflüchtiges Denken = assoziativ gelockertes Denken 4 Subjektiv oft als Gedankendrängen empfunden (Patient fühlt sich dem Druck vieler verschiedener Gedanken/Einfälle ausgeliefert)

7 1.3 · Formale Denkstörungen

4 Im Gegensatz zur Zerfahrenheit (»roter Faden« nicht mehr nachvollziehbar) ist der Gedankengang noch nachvollziehbar (»roter Faden« noch nachvollziehbar) > Ideenflucht ist typisch für die Manie.

1.3.4

Kontaminationen

4 Vermischung nicht zusammengehöriger Sachverhalte 4 Spezielle Form: Wortneubildung (Neologismus), Vermischung mehrerer Wörter zu einem neuen 4 Häufig bei Schizophrenien und frühkindlichem Autismus

1.3.5

Perseverationen

4 Beharrliches Wiederholen bzw. Haftenbleiben an zuvor verwendeten Worten/Floskeln oder zuvor gemachten Angaben, die im aktuellen Kontext keinen Sinn mehr ergeben (z. B. Patient nach seinem Geburtsdatum gefragt, wiederholt bei allen nachfolgenden Fragen zu zeitlichen Daten das Geburtsdatum) 4 Verbigeration: sinnloses Wiederholen von Worten; verbale Perseveration als Form der Sprachstereotypie 4 Oft bei organischen psychischen Erkrankungen, seltener bei Depressionen und Schizophrenien

1.3.6

Umständliches Denken

4 Weitschweifigkeit; keine Trennung von Unwesentlichem und Wesentlichem, inhaltlicher Zusammenhang bleibt aber erhalten 4 Häufig bei organischen psychischen Erkrankungen (v. a. Demenzen)

1.3.7

Verlangsamtes Denken, Denkhemmung

4 Verlangsamtes Denken = schleppender, mühsamer und verzögerter Gedankengang (wird vom Untersucher beobachtet, führt oft zu zähflüssigem, trägen Gesprächsverlauf) 4 Subjektiv vom Patienten oft als Denkhemmung (gebremst, verlangsamt oder blockiert, wie gegen einen Widerstand) erlebt 4 Häufig bei Depressionen, Schizophrenien, Minderbegabung, organischen psychischen Erkrankungen > Verlangsamtes Denken ist nicht gleich Denkhemmung. Denkhemmung muss subjektiv empfunden werden. Nur Denkhemmung ist typisch für Depressionen.

1

Eigene Notizen

8

1

Kapitel 1 · Gesundheitsstörungen und Psychopathologie

Eigene Notizen

1.3.8

Vorbeireden

4 (Unabsichtliches) Nicht-Eingehen auf Fragen, obwohl diese verstanden wurden 4 Vorkommen v. a. bei Schizophrenien 4 Abzugrenzen von Auffassungsstörungen: eingeschränkte Fähigkeit, Wahrnehmungserlebnisse 5 in ihrer Bedeutung zu begreifen 5 sinnvoll zu verknüpfen 5 in den Erfahrungsbereich einzubauen → Beeinträchtigte gedankliche Verarbeitung einer Wahrnehmung

1.3.9

Zerfahrenes/inkohärentes Denken

4 Sprunghafter, dissoziierter Gedankengang (»roter Faden« nicht mehr nachvollziehbar); Gedanken stehen beziehungslos nebeneinander (für Außenstehende) bis hin zum unverständlichen Faseln und Wortsalat 5 Paragrammatismus: Zerstörung des grammatikalischen Satzbaus 5 Schizophasie: »Wortsalat«; sinnleeres Wort- und Silbengemisch 4 Traditionell: Verwendung des Begriffes »Inkohärenz« eher bei organischen Psychosyndromen, »Zerfahrenheit« bei Schizophrenien > Denkzerfahrenheit ist typisch für Schizophrenien.

Ich-Störungen

1.4

Definition Veränderungen des Ich-Erlebens (Ich-Erleben = Erleben des eigenen Seins in den Ausdrucksformen von Denken, Fühlen und Handeln und als Urheber derselben).

1.4.1

Entfremdungserlebnisse

4 Störungen des Einheitserlebens; nicht durch Ich-fremde Instanzen beeinflusste Ich-Störungen 4 Derealisation: die Umwelt erscheint fremd, unwirklich oder verändert (alles wird z. B. wie hinter einer Glaswand oder als weit weg wahrgenommen), das Zeitgefühl verändert sich (z. B. eine Minute wird wie eine Stunde wahrgenommen) 4 Depersonalisation: der eigene Körper wird als fremd, unwirklich oder verändert empfunden (z. B. Gefühl, das Bein gehöre nicht zur eigenen Person) 4 Vorkommen im normalpsychologischen Bereich (z. B. bei Übermüdung), verschiedenen psychischen Erkrankungen wie Panikattacken,

9 1.5 · Mnestische Störungen

dissoziativen Störungen, Belastungsstörungen, Schizophrenien, Depressionen und Borderline-Persönlichkeitsstörung sowie bei Halluzinogenintoxikation

1.4.2

Psychotische Ich-Störungen

4 Als von außen gemacht empfundene, fremdbeeinflusste Ich-Wahrnehmung; die Grenzen zwischen Ich und Umwelt werden durchlässig 4 Gedankenausbreitung: Gefühl, dass Gedanken nicht mehr Eigentum sind, Andere daran teilhaben können; Gefühl, dass die Gedanken laut werden und von Anderen mitgehört werden (Gedankenlautwerden) 4 Gedankenentzug: Gefühl, die eigenen Gedanken werden entzogen, weggenommen 4 Gedankeneingebung: Gedanken werden als von außen eingegeben, gemacht, gesteuert empfunden 4 Andere Fremdbeeinflussungserlebnisse 5 Leibliche Beeinflussung: Körperempfindungen werden als von außen gemacht erlebt (z. B. Gefühl, der eigene Herzschlag werde durch Andere gesteuert) 5 Willensbeeinflussung: Wollen und Handlungen werden als von außen gesteuert empfunden (z. B. Gefühl, eine Marionette zu sein, die von außen gesteuert wird) 4 Charakteristisch für Schizophrenien (Symptome 1. Ranges nach K. Schneider)

Mnestische Störungen

1.5

Definition Störungen von Behalten und Abrufen von Erinnerungen, Wissen und Fertigkeiten.

1.5.1

Amnesie

4 Inhaltlich oder zeitlich begrenzte Gedächtnislücke 4 Anterograde Amnesie: betrifft Geschehnisse nach einem schädigenden Ereignis 4 Retrograde Amnesie: betrifft Geschehnisse vor einem schädigenden Ereignis 4 Kongrade Amnesie: Nicht-Erinnern an kurze Ereignisse ohne rückwirkende oder fortwirkende Gedächtnislücke 4 Vorwiegend nach akuten Traumatisierungen des Gehirns, aber auch psychogen (psychogene Amnesie)

1

Eigene Notizen

10 Kapitel 1 · Gesundheitsstörungen und Psychopathologie

1

Eigene Notizen

1.5.2

Gedächtnisstörungen

4 Beeinträchtigte oder aufgehobene Fähigkeit, Informationen längerfristig zu speichern bzw. Erlerntes aus dem Gedächtnis abzurufen 4 Zumeist Leitsymptome von Hirnfunktionsstörungen unterschiedlichen Ursprungs, Vorkommen häufig im Rahmen von Demenzen, schweren depressiven Störungen (pseudodemenzielles Symptom) und Schizophrenien 4 Manche Theorien differenzieren zwischen Ultrakurzzeit- (Sekunden), Kurzzeit- (Minuten) und Langzeitgedächtnis (stabil) 4 Unterteilung des Langzeitgedächtnis in deklaratives Gedächtnis (Gedächtnisinhalte, an die man sich bewusst erinnern kann) und nichtdeklaratives Gedächtnis (Gedächtnisinhalte, die man i. d. R. nicht bewusst abruft und nur schwer zu verbalisieren sind) 5 Deklaratives (explizites) Gedächtnis: episodisches Gedächtnis (Speicherung persönlich erlebter Ereignisse), semantisches Gedächtnis (Speicherung von Faktenwissen) 5 Nicht-deklaratives (implizites) Gedächtnis: prozedurales Gedächtnis (»Fähigkeits-/Fertigkeitsgedächtnis«, automatisiertes Wissen) 1.5.3

Konfabulationen

4 Ausfüllen von Erinnerungslücken mit spontan wechselnden Einfällen, die für tatsächlich Erlebtes gehalten werden (charakteristischerweise werden bei mehrmaligem Nachfragen immer andere Inhalte für die gleiche Erinnerungslücke angeboten) 4 Insbesondere beim amnestischen Syndrom (Korsakow-Syndrom) sowie beim Delir 1.5.4

Merkfähigkeitsstörungen

4 Beeinträchtigte Fähigkeit, sich neue Informationen über einen Zeitraum von ca. 10 min zu merken 4 Häufig bei organischen psychischen Erkrankungen wie Demenz, Delir, amnestisches Syndrom 1.5.5

Paramnesien

4 Trugerinnerungen; Erinnerungsverfälschungen oder -täuschungen 5 Falsches Wiedererkennen (schon einmal gesehen »Déjà vu« oder erlebt »Déjà vécu«) oder Fremdheit gegenüber eigentlich Vertrautem (noch nie gesehen »Jamais vu«) – gleichzeitig aber das Wissen, dass es sich um eine Täuschung handelt; Vorkommen im normalpsychologischen Bereich (z. B. bei Erschöpfungszuständen), bei beginnenden Schizophrenien, Manien, Epilepsien und anderen organischen Störungen

11 1.6 · Neuropsychologische Symptome

5 Ekmnesie: Störung des Zeiterlebens bzw. der zeitlichen Einordnung, wobei die Vergangenheit als Gegenwart erlebt wird (z. B. bei Demenzen und in affektiven Ausnahmezuständen) 5 Hypermnesie: gesteigerte Erinnerungsfähigkeit (z. B. unter Drogeneinfluss, aber auch bei schweren schizophrenen Psychosen) 5 Flashbacks: für Sekunden bis Minuten anhaltende, intensiv erlebte »szenische Nachhallerinnerungen« J Vorkommen als wiederkehrendes Rauscherlebnis (Echorausch) nach Drogenerlebnissen (Halluzinogenen) ohne erneute Drogeneinnahme oder als Wiedererleben traumatischer Erlebnisse bei posttraumatischen Belastungsstörungen J Können durch Schlüsselreize ausgelöst werden 5 Intrusionen: sich aufdrängende Erinnerungen an ein traumatisches Erlebnis; charakteristisch bei posttraumatischen Belastungsstörungen

1.5.6

Zeitgitterstörungen

4 Störung der zeitlichen Einordnung von biographischen Daten/Ereignissen 4 Vorkommen z. B. bei Delir, Demenz, amnestischem Syndrom, akuten psychotischen Störungen

1.6

Neuropsychologische Symptome Definition Störungen komplexer neuropsychischer Funktionen, die auf zerebrale Funktionsstörungen hindeuten.

4 Agnosie: Störung des Erkennens trotz erhaltener Funktionen entsprechender Sinnesorgane 4 Akalkulie: Unfähigkeit zum Umgang mit Zahlen 4 Alexie: Unvermögen, Geschriebenes zu erfassen/zu verstehen 4 Aphasie: Sprachstörung 4 Apraxie: Störung der Ausführung willkürlicher, zielgerichteter und geordneter Bewegungen, meist aufgrund einer Läsion in der parietalen Region der sprachdominanten Hemisphäre 4 Neglect: durch eine einseitige Hirnläsion hervorgerufene Störung der Aufmerksamkeit; Schwierigkeiten bei der Wahrnehmung von Reizen auf der kontraläsionalen Seite

1

Eigene Notizen

12 Kapitel 1 · Gesundheitsstörungen und Psychopathologie

1

Eigene Notizen

Probleme im Sozialverhalten

1.7

Definition Gestörte Interaktion mit Anderen im sozialen Umfeld.

1.7.1

Bindungs- und Beziehungsstörungen

4 Eingeschränkte oder aufgehobene Fähigkeit Kontakt aufzunehmen, sich auf Beziehungen einzulassen, anderen zu vertauen oder Distanzlosigkeit 4 Vorkommen bei einer Vielzahl kinder- und jugendpsychiatrischer Erkrankungen (z. B. tiefgreifende Entwicklungsstörungen, Störungen des Sozialverhaltens) sowie psychischer Erkrankungen des Erwachsenenalters (v. a. Psychosen, Persönlichkeitsstörungen)

1.7.2

Dissoziales Verhalten

4 Verhaltensweisen, die soziale Regeln, Normen und Erwartungen verletzen 4 Unfähigkeit, sich in die Gesellschaft einzuordnen 4 Häufig verbunden mit mangelndem Schuldbewusstsein und Einfühlungsvermögen sowie Unfähigkeit, durch negative Konsequenzen zu lernen 4 Charakteristikum der dissozialen Persönlichkeitsstörung und bei Störungen des Sozialverhaltens

1.7.3

Schulschwierigkeiten

4 Scheitern an schulischen Leistungserwartungen, Verhaltensauffälligkeiten in der Schule 4 Häufig aufgrund von Lernstörungen in Form von Lernbehinderung, umschriebenen Entwicklungsstörungen schulischer Fertigkeiten, Schulangst oder ADHS oder aufgrund von Beziehungsstörungen zwischen Kind und Bezugspersonen

1.7.4

Sozialer Rückzug

4 Verminderung der Sozialkontakte, Lösen zwischenmenschlicher Beziehungen 4 Oft bei Depressionen, Schizophrenien, Angststörungen, Zwangsstörungen, Belastungs- oder Anpassungsstörungen, Demenzen

13 1.8 · Selbst- und Fremdgefährdung

1.7.5

Soziale Umtriebigkeit

4 Auffällige Ausweitung der Sozialkontakte, Zunahme sozialer Aktivitäten 4 Typisch für Manien

Selbst- und Fremdgefährdung

1.8

Definition Selbstverletzendes bis suizidales bzw. hochgradig fremdaggressives Verhalten, das Anlass zur notfallmäßigen Unterbringung in einer psychiatrisch-psychotherapeutischen Klinik sein kann.

1.8.1

Aggressivität

4 Feindseliges und angriffslustiges Verhalten 4 Vermehrtes Auftreten aggressiver Impulse und Phantasien sowie erhöhte Bereitschaft zur Ausführung aggressiven Verhaltens (Tätlichkeiten oder verbale Aggressionen), mit dem Ziel, Lebewesen oder Dinge zu zerstören oder zu schädigen 4 Autoaggression: gegen sich selbst gerichtete Aggression 4 Vorkommen v. a. bei dissozialer oder emotional-instabiler Persönlichkeitsstörung, depressiver Episode mit Autoaggression, Intelligenzminderung, akuter Medikamenten-/Alkohol-/Rauschmittelintoxikation (Enthemmung)

1.8.2

Selbstbeschädigung

4 Selbstverletzendes Verhalten ohne Suizidabsichten 4 Häufig bei der Borderline-Persönlichkeitsstörung und bei Intelligenzminderung

1.8.3

Suizidalität

4 Psychischer Zustand, in dem Gedanken, Pläne und Verhaltensweisen auf die Herbeiführung des eigenen Todes gerichtet sind 4 Suizid: absichtliche Selbstschädigung mit tödlichem Ausgang 4 Suizidversuch: absichtliche Selbstschädigung mit dem Ziel des tödlichen Ausganges 4 Erweiterter Suizid: Einbeziehung weiterer Personen in den Suizid ohne deren Mitentscheidung oder Wissen 4 Abstufung: Lebensüberdruss, Todeswunsch, konkretisierte Suizidgedanken mit/ohne Suizidhandlung

1

Eigene Notizen

14 Kapitel 1 · Gesundheitsstörungen und Psychopathologie

1

Eigene Notizen

> Psychische Erkrankungen (insbesondere Depressionen, Suchterkrankungen, Schizophrenien, Persönlichkeitsstörungen und Angststörungen) sind der Hauptrisikofaktor für Suizidalität. Fragen nach Suizidalität dürfen daher in keiner psychiatrischen Exploration fehlen!

Störungen der Affektivität

1.9

Definition Störungen der Affekte (kurzdauernde »Gefühlswallungen«) und Stimmungen (längerdauernder Gefühlszustand) sowie der Intensität, Ansprechbarkeit und Dauer affektiver Zustände.

1.9.1

Affektinkontinenz

4 Beeinträchtigte Steuerungsfähigkeit und Kontrollierbarkeit der Gefühle; schnelles Anspringen von Affekten, schon geringe Anlässe können zu plötzlichen und heftigen Gefühlsäußerungen (z. B. Weinen) führen 4 Häufig bei hirnorganischen Erkrankungen, aber auch bei Schizophrenien und affektiven Erkrankungen

1.9.2

Affektlabilität

4 Verstärkte Affektmodulation; rasche Stimmungsschwankungen, oft in unterschiedliche Richtungen 4 Sehr unspezifischer Befund, bei vielen psychischen Erkrankungen vorhanden

1.9.3

Affektstarrheit

4 Beeinträchtigte oder aufgehobene affektive Modulations- und Schwingungsfähigkeit; situationsunabhängiges Verharren in bestimmten, gleichen Affekten 4 Vorkommen v. a. bei organischen psychischen Erkrankungen, Schizophrenien und Depressionen

1.9.4

Affektstauung

4 Subjektives Gefühl innerer Anspannung und Unruhe mit plötzlichen Entladungen (»Affektsturm«) 4 Insbesondere bei Schizophrenien oder Depressionen

15 1.9 · Störungen der Affektivität

1.9.5

Affektverarmung

4 Verminderung der Anzahl (des Spektrums) gezeigter Affekte, gleich bleibend inadäquater Affekt 4 Vorkommen insbesondere bei organischen psychischen Erkrankungen, Depressionen und (v. a. chronischen) Schizophrenien > Affektverarmung bei schizophrenen Patienten (als sog. Negativ-/ Minussymptomatik, ungleich Depression!) bezeichnet man als Affektverflachung.

4 Gefühl der Gefühllosigkeit: Leiden unter dem Mangel oder dem Verlust der affektiven Ansprechbarkeit, subjektiv erlebte Gefühlsleere (nicht nur für Freude, sondern auch für Trauer); häufig bei Depressionen

1.9.6

Ambivalenz

4 Nebeneinander sich widersprechender Gefühle, Vorstellungen, Intentionen und Impulse 4 Charakteristikum der Schizophrenie

1.9.7

Anhedonie

4 Aufgehobene oder verminderte Fähigkeit zum Empfinden von Freude, Lust oder Vergnügen 4 Häufig bei Depressionen und Belastungsstörungen

1.9.8

Ängste

4 Angst 5 Menschliches Grundgefühl 5 Besorgnis und unlustbetonte Erregung in als bedrohlich empfundenen Situationen 5 Äußert sich im Erleben, Verhalten und in körperlichen Symptomen 5 Pathologische Angst als unspezifisches Symptom vieler psychischer Erkrankungen, Leitsymptom der Angststörungen 4 Phobie: Angst vor einem umschriebenen Objekt oder einer umschriebenen Situation, die meist Vermeidungsreaktionen zur Folge hat 4 Panikattacken: plötzliche, anfallsartig auftretende Angstzustände, i. d. R. mit körperlicher Symptomatik (z. B. Herzklopfen, Schweißausbrüche, Schwindel, Atemnot) 5 Wiederkehrende Panikattacken bei der Panikstörung 4 Hypochondrische Befürchtung 5 Ängstlich getönte Beziehung zum eigenen Körper mit offensichtlich unbegründeter Befürchtung, körperlich krank zu sein oder zu werden

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Eigene Notizen

16 Kapitel 1 · Gesundheitsstörungen und Psychopathologie

1

Eigene Notizen

5 Normale Körpervorgänge bekommen oft eine übermäßige Bedeutung 5 Vorkommen insbesondere bei somatoformen Störungen (v. a. hypochondrische Störung) 4 Misstrauen: Wahrnehmungen werden ängstlich-unsicher auf die eigene Person bezogen; Befürchtung, dass jemand der eigenen Person schaden möchte 5 Wenn unbegründet/pathologisch: häufig bei paranoider Persönlichkeitsstörung oder Schizophrenien

1.9.9

Depressivität/Deprimiertheit

4 Niedergedrückte Stimmungslage mit Freudlosigkeit, Lustlosigkeit, Hoffnungslosigkeit, Interesselosigkeit 4 Unspezifisches Symptom bei den meisten psychischen Erkrankungen; Leitsymptom depressiver Störungen 4 Oft kombiniert mit Antriebsstörung 4 Sonderform: vitale Traurigkeit mit Störung der Vitalgefühle (Kraftlosigkeit, Schlappheit, Müdigkeit, herabgesetzte körperliche Frische und Lebendigkeit) > Die Störung der Vitalgefühle und vegetative Symptome stehen bei einer sog. larvierten (= versteckten/maskierten) Depression im Vordergrund, nicht unbedingt die depressive Verstimmung.

1.9.10

Dysphorie

4 Mürrische, missmutige Stimmung, häufig mit Gereiztheit 4 Unspezifisches Symptom, z. B. bei Schizophrenien, Manien, organischen psychischen Erkrankungen oder bei bestimmten Persönlichkeitsstörungen (z. B. paranoide Persönlichkeitsstörung)

1.9.11

Euphorie

4 Gehobene Stimmungslage, Zustand übersteigerten Wohlbefindens (»über dem Strich«) 4 Kennzeichen der Manie

1.9.12

Gereiztheit

4 Gesteigerte Bereitschaft, verärgert oder aggressiv zu reagieren 4 Häufig bei Manien

17 1.9 · Störungen der Affektivität

1.9.13

Gesteigerte Selbstwertgefühle

4 Gefühl, besonders viel wert, besonders befähigt, anderen überlegen zu sein 4 Insbesondere bei Manien

1.9.14

Hoffnungslosigkeit

4 Pessimistische Grundstimmung, fehlende Zukunftsperspektive 4 Unspezifisches Symptom bei vielen psychischen Erkrankungen, insbesondere bei depressiven Störungen

1.9.15

Innere Unruhe

4 Gefühl innerer Aufregung, Anspannung, Nervosität; Zustand seelischer Bewegtheit, Gefühl des »Getriebenseins« 4 Häufig bei organischen psychischen Erkrankungen, affektiven Erkrankungen (agitierte Depression, Manie), Angststörungen, Belastungsstörungen, ADHS im Erwachsenenalter, Rauschmittelintoxikationen oder als Nebenwirkung von Antipsychotika (Akathisie: Sitzunruhe)

1.9.16

Insuffizienzgefühle

4 Gefühl, nichts wert zu sein, unfähig zu sein 4 Häufig bei depressiven Störungen und ängstlicher (vermeidender) Persönlichkeitsstörung

1.9.17

Klagsamkeit

4 »Jammerig«, »Wehklagen«; Schmerz, Kummer, Ängstlichkeit werden ausdrucksstark in Worten, Mimik und Gestik vorgetragen 4 Insbesondere bei depressiven Störungen, somatoformen und artifiziellen Störungen

1.9.18

Läppischer Affekt

4 Alberne Heiterkeit, der Situation und dem Status der Person nicht angemessen 4 Vorkommen v. a. bei hebephrener Schizophrenie, aber auch bei Manien oder nach Cannabiskonsum

1

Eigene Notizen

18 Kapitel 1 · Gesundheitsstörungen und Psychopathologie

1

Eigene Notizen

1.9.19

Parathymie

4 Inadäquater Affekt; Erlebnisinhalt und Gefühlsausdruck stimmen nicht überein (z. B. Patient, der lachend vom Tod der Mutter berichtet) 4 Charakteristikum der Schizophrenie

1.9.20

Psychische Verstimmung

4 Abweichung der Stimmung von der gewohnten Stimmungslage 4 Grundformen: Manie (heitere Verstimmung), Depression (traurige Verstimmung)

1.9.21

Ratlosigkeit

4 Stimmungsmäßiges Nicht-Zurechtfinden, Nichtbegreifen der Situation, der Umgebung oder Zukunft 4 Mehr eine quälende Empfindung als eine kognitive Störung 4 Vorkommen z. B. bei Wahn, bei Benommenheit (charakteristisch beim Aufwachen aus einer Bewusstlosigkeit), bei hochgradig mnestischen Störungen (z. B. ausgeprägten demenziellen Zuständen)

1.9.22

Schuldgefühle

4 Selbstvorwürfe, Gefühl, für eine Tat, für Gedanken oder Wünsche verantwortlich zu sein, die nach Ansicht des Betroffenen vor einer weltlichen oder religiösen Instanz, anderen Personen oder sich selbst gegenüber verwerflich sind 4 Häufig bei depressiven Störungen

1.9.23

Verarmungsgefühle

4 Furcht, dass finanzielle Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhalts fehlen 4 Häufig bei depressiven Störungen

1.10

Störungen der Krankheitsbewältigung

Definition Störungen bei der Auseinandersetzung des Betroffenen mit seiner Erkrankung und bei der Bewältigung krankheitsbedingter Anforderungen.

19 1.11 · Störungen von Antrieb und Psychomotorik

4 Mangel an Krankheitsgefühl: Patient fühlt sich nicht krank, obwohl er aktuell krank ist; Einschätzung von Therapeut und Patient gehen über den Schweregrad auseinander 4 Mangel an Krankheitseinsicht: Patient erkennt die pathologischen Symptome nicht als krankheitsbedingt an 4 Non-Compliance: Nichteinhalten ärztlicher Ratschläge bzw. die Nichterfüllung oder Ablehnung therapeutisch notwendiger Maßnahmen

1.11

Störungen von Antrieb und Psychomotorik

Definition Störungen, welche die Energie, Initiative und Aktivität betreffen (Antrieb) sowie die durch die psychischen Vorgänge beeinflusste Gesamtheit des Bewegungsablaufs (Psychomotorik).

1.11.1

Antriebsstörungen

4 Antriebsarmut/-minderung: Mangel an Initiative, Energie, Interesse, Lust und Aktivität (primär fehlendes Interesse und gestörte Intentionalität, gewollte Handlungen werden aber durchgeführt) 5 Häufig bei depressiven Störungen, aber auch bei Schizophrenien, Belastungs- oder Anpassungsstörungen und organischen psychischen Erkrankungen 4 Antriebshemmung: subjektiv als gebremst empfundene Energie, Initiative, Aktivität und Motorik 5 Charakteristikum depressiver Störungen 4 Antriebssteigerung: Zunahme von Aktivität, Energie und Initiative im Rahmen zielgerichteter Tätigkeiten 5 Äußert sich in der Sprache als Logorrhö: übermäßiger Rededrang mit verständlichem oder unverständlichem Redefluss 5 Häufig in manischen Episoden, aber auch bei Schizophrenien oder organischen psychischen Erkrankungen 1.11.2

Ermüdungssyndrom (Burnout-Syndrom)

4 Syndrom aus verschiedenen psychischen und körperlichen Symptomen 5 Gesteigerte Ermüdbarkeit 5 Merk- und Konzentrationsstörungen 5 Reizbarkeit 5 Niedergeschlagenheit 5 Diverse körperliche Störungen wie Schlafstörungen, Schwindel, Schmerzzustände 4 Vorkommen insbesondere bei depressiven Störungen, somatoformen Störungen und Neurasthenie (chronisches Ermüdungssyndrom)

1

Eigene Notizen

20 Kapitel 1 · Gesundheitsstörungen und Psychopathologie

1

Eigene Notizen

1.11.3

Interessenverarmung

4 Im Vergleich zu früher verminderte Anzahl von (Freizeit-)Interessen bzw. an Dingen, denen gerne Aufmerksamkeit geschenkt wird 4 Meist Ausdruck eines verminderten Antriebs und einer depressiven Störung

1.11.4

Katatonie

4 Psychomotorisches Syndrom mit Bewegungsstörungen und Erregungszuständen bei wachem Bewusstsein; manchmal assoziiert mit vegetativer Dysregulation und Fieber (perniziöse Katatonie: Notfall!) 4 Hypokinesen 5 Stupor: motorische Bewegungslosigkeit 5 Mutismus: Wortkargheit bis hin zum Nichtsprechen bei intakten Sprechorganen 5 Katalepsie: starres Verharren in einer einmal eingenommenen Körperhaltung, häufig mit Flexibilitas cerea (wächserner Widerstand bei passiver Bewegung) 5 Negativismus: Ausführen von zum Verlangten oder Erwarteten gegenteiligen Bewegungen (aktiver Negativismus) bzw. Nichtausführen von Verlangtem oder Erwartetem (passiver Negativismus) 5 Haltungsstereotypien: Verharren in bestimmten Haltungen über lange Zeit, im Gegensatz zur Katalepsie Beibehaltung auch bei äußeren Versuchen der Veränderung 4 Hyperkinesen 5 Katatone (psychomotorische) Erregung: starke motorische Unruhe bis hin zum ungeordneten Erregungssturm (Raptus) 5 Bewegungs- und Sprachstereotypien: repetitive Bewegungsabläufe bzw. leeres und zielloses Wiederholen von Sätzen/Wörtern/Silben 5 Befehlsautomatismen: automatenhaftes Befolgen von Anweisungen 5 Echolalie: automatisches, zwanghaftes Nachsprechen von Gehörtem ohne inhaltlichen und situativen Bezug 5 Echopraxie: automatisches, zwanghaftes Nachahmen vorgezeigter Bewegungen 5 Manierismen: sonderbare, verschrobene, bizarre Abwandlungen alltäglicher Bewegungen (z. B. Grimassieren) 5 Parakinesen: disharmonische Willkürbewegungen (Bewegungsabläufe wirken steif und eckig) 4 Vorkommen v. a. bei katatoner Schizophrenie, aber auch bei schweren Depressionen oder Manien (depressiver oder manischer Stupor), schizoaffektiven Störungen, dissoziativen Störungen (dissoziativer Stupor), somatischen Grunderkrankungen

21 1.12 · Vegetative Störungen

1.11.5

Motorische Unruhe

4 Gesteigerte und ungerichtete motorische Aktivität 4 Vorkommen z. B. als Nebenwirkungen einer Antipsychotikatherapie (Akathisie), bei akuter Intoxikation mit Stimulanzien, als Entzugssymptom, bei Manien, Schizophrenien, im Delir (z. B. häufig nestelnde Bewegungen der Hände), bei ADHS (Hyperaktivität)

1.11.6

Theatralismus

4 Patienten erwecken den Eindruck, als würden sie sich selber darstellen (darstellerisches Ausdrucksverhalten) 4 Insbesondere bei histrionischer Persönlichkeitsstörung

1.11.7

Verlangsamtes bzw. herabgesetztes Reaktionsvermögen

4 Motorische Verlangsamung: unangemessen viel Zeit wird für die Ausführung von Bewegungen gebraucht 4 Intellektuelle Verlangsamung: verzögerte Informationsverarbeitung, verlangsamte Auffassung mit verlängerter Reaktionszeit 4 Vorkommen z. B. bei Depressionen, Demenzen, Intoxikationen

1.12

Vegetative Störungen

Definition Durch Beteiligung des vegetativen Systems bestehende Symptome.

1.12.1

Appetitstörungen

4 Reduzierter (Hypophagie) oder vermehrter (Hyperphagie) Appetit 4 Häufig bei affektiven Erkrankungen (z. B. verminderter Appetit bei depressiven Störungen)

1.12.2

Schlafstörungen

4 Einschlafstörungen, Durchschlafstörungen, Früherwachen, Tagesschläfrigkeit 4 Vorkommen als primäre Schlafstörungen (eigenständige Diagnosen) oder sekundär als eines von mehreren Symptomen einer körperlichen oder psychischen Erkrankung

1

Eigene Notizen

22 Kapitel 1 · Gesundheitsstörungen und Psychopathologie

1

Eigene Notizen

5 Zum Beispiel bei affektiven Störungen (morgendliches Früherwachen bei Depressionen, mangelndes Schlafbedürfnis bei Manien), Belastungs- oder Anpassungsstörungen (z. B. in Form von Albträumen, Insomnie), Schizophrenien (häufig in Form von Störungen des Schlaf-Wach-Rhythmus) oder Delir (Störungen des SchlafWach-Rhythmus)

1.12.3

Sexuelle Störungen

4 Verminderte oder gesteigerte sexuelle Appetenz, Beeinträchtigung genitaler Reaktionen, Orgasmusstörungen (Störungen der Geschlechtsidentität und der Sexualpräferenz sind weitere Sexualstörungen) 4 Als primäre Störung oder sekundär als Symptom einer anderen Erkrankung, z. B. gesteigerte Libido oder sexuelle Taktlosigkeit bei Manien, Libido- und Potenzverlust bei Essstörungen

1.12.4

Vegetative Symptome

4 Psychovegetative gastrointestinale, kardiorespiratorische, urogenitale Symptome, Haut- und Schmerzsymptome 4 Häufig bei Angststörungen, somatoformen Störungen, Belastungsreaktionen, depressiven Störungen (sog. larvierte, somatisierte Depression) und organischen psychischen Erkrankungen

1.12.5

Zirkadiane Besonderheiten/Tagesschwankungen

4 Schwankungen der Symptome, der Befindlichkeit und des Verhaltens während einer 24-h-Periode 4 Charakteristikum depressiver Störungen (z. B. Morgentief), aber per se unspezifisch und auch bei Gesunden vorkommend > Vegetative Störungen können Frühsymptome psychischer Erkrankungen sein.

1.13

Wahn

Definition Störungen des Urteilens. Objektiv falsche Überzeugung, an der festgehalten wird, obwohl sie im Widerspruch steht zur Erfahrung und zur Überzeugung gesunder Mitmenschen.

4 Wahnkriterien: Unmöglichkeit des Inhalts, subjektive Gewissheit, Unkorrigierbarkeit

23 1.13 · Wahn

4 Wird den inhaltlichen Denkstörungen zugeordnet 4 Wahnphänomene v. a. bei Schizophrenien und anderen wahnhaften Störungen, bei psychotischen affektiven Störungen und organischen Psychosen

1.13.1

Formale Wahnmerkmale

4 Wahnwahrnehmung: wahnhafte Fehlinterpretation (meist im Sinne der Eigenbeziehung) einer an sich realen Sinneswahrnehmung (z. B. Patient deutet rote Ampel als Warnung des Geheimdienstes, nicht weiterzugehen, sondern umzukehren); zweigliedrig: 1. Objektiv richtige Wahrnehmung (rote Ampel) 2. Wahnhafte Bedeutungszuweisung (Warnung des Geheimdienstes, nicht weiterzugehen) 4 Wahneinfall: plötzliches Auftreten wahnhafter Vorstellungen oder Überzeugungen 5 Im Gegensatz zur Wahnwahrnehmung eingliedrig (Wahnidee ohne wahnhaft verarbeitete Wahrnehmung) 4 Wahngedanke: durch gedankliche Ausarbeitung von Wahneinfällen oder Wahnwahrnehmungen entstandene und festgehaltene wahnhafte Überzeugungen 4 Systematisierter Wahn: Ausgestaltung von Wahngedanken zu einem komplexen Wahngebäude durch logische oder paralogische Verknüpfung 4 Wahndynamik: affektive Beteiligung am Wahn, d. h. Ausmaß der Affekte, die im Zusammenhang mit dem Wahn auftreten (zu erschließen z. B. daraus, wie der Wahn vorgetragen wird) 4 Wahnstimmung: eigentümliche emotionale Gestimmtheit, unbestimmtes Gefühl des Unheimlichen/Bedrohlichen (»es liegt etwas in der Luft«, »es ist etwas im Gange«) oder des Verändertseins (des Betroffenen selbst oder seiner Umgebung); geht oft dem Wahn voraus 4 Wahnerinnerung: nachträgliche wahnhafte Umdeutung eines Ereignisses aus der Vergangenheit (»psychotische Rückdatierung«, z. B. »Vor 10 Jahren bin ich von dem französischen Geheimdienst schon einmal verfolgt worden«); wird häufig auch den Paramnesien zugeordnet 4 Symbiotischer Wahn (Folie à deux): induzierter Wahn bei nahen, primär gesunden Bezugspersonen von Wahnkranken (sehr selten); bildet sich nach Trennung vom primär Erkrankten meist zurück

1.13.2

Inhaltliche Wahnmerkmale

4 Thematische Ausgestaltung des Wahns 5 Abhängig von soziokulturellen Einflüssen, der individuellen Lebenswelt 4 Stimmen Inhalt und Stimmung überein: synthymer Wahn; bei Nichtübereinstimmung: parathymer (stimmungsinkongruenter) Wahn

1

Eigene Notizen

24 Kapitel 1 · Gesundheitsstörungen und Psychopathologie

1

Eigene Notizen

4 Beziehungswahn: Menschen, Dinge und Abläufe der Umwelt werden wahnhaft auf sich selbst bezogen (z. B. Fernsehsendungen, die der Patient auf sich bezieht) 5 Häufigste inhaltliche Wahnform, häufig bei Schizophrenien 5 Beispiel: Liebeswahn: wahnhafte Überzeugung, von einer bestimmten Person geliebt zu werden; häufiger im Rahmen wahnhafter Störungen bei Frauen (bei Schizophrenien, Manie mit psychotischen Symptomen) 4 Beeinträchtigungs- und Verfolgungswahn: wahnhafte Überzeugung, das Ziel von Feindseligkeiten, Beeinträchtigungen und Verfolgung zu sein; Sonderform: Vergiftungswahn 5 Häufig bei Schizophrenien 4 Eifersuchtswahn: wahnhafte Überzeugung, vom Partner betrogen zu werden 5 Insbesondere bei Schizophrenien oder als alkoholischer Eifersuchtswahn 4 Größenwahn: wahnhafte Selbstüberschätzung und Selbstüberhöhung bis hin zur Identifizierung mit berühmten Persönlichkeiten (z. B. Überzeugung, Jesus Christus zu sein) 5 Häufig bei paranoider Schizophrenie und bei Manie mit psychotischen Symptomen 4 Hypochondrischer Wahn: wahnhafte Überzeugung, an einer schweren Krankheit mit Siechtum und Tod zu leiden (trotz gegenteiliger Befunde) 5 Häufig bei wahnhafter Depression 4 Schuld- oder Versündigungswahn: wahnhafte Überzeugung, gegen Gott, die Gebote, Gesetze oder sonst eine sittliche Instanz verstoßen zu haben; Überzeugung, nichts geleistet, nichts geschafft, alles versäumt zu haben 5 Häufig bei wahnhafter Depression 4 Nihilistischer Wahn: Verneinung der eigenen Existenz oder Umwelt 5 Häufig bei wahnhafter Depression 5 Sonderform Cotard-Syndrom (»nihilistischer Todeswahn«): Wahnhafte Überzeugung, Körperteile seien abgestorben bis hin zur eigenen Todesüberzeugung 4 Verarmungswahn: wahnhafte Überzeugung, finanziell verarmt zu sein, nicht genug Mittel zum Lebensunterhalt zu haben 5 Häufig bei wahnhafter Depression > Wahninhalte depressiver Patienten entsprechen meist der Affektlage (oft Verarmungs-, Schuld- oder Versündigungs-, hypochondrischer oder nihilistischer Wahn). Wahninhalte schizophrener Patienten sind häufig bizarrer, magisch-mystischer Art.

25 1.14 · Wahrnehmungsstörungen

1.14

Wahrnehmungsstörungen

Definition Sinnestäuschungen; vermeintliche Wahrnehmung von etwas nicht oder so nicht Vorhandenem.

1.14.1

Halluzinationen

> Wahrnehmungserlebnisse ohne entsprechende externe Reizquelle (i. e. S. bei Fehlen einer Realitätsprüfung; Pseudohalluzinationen sind entsprechende Wahrnehmungsstörungen mit erhaltener Realitätsprüfung).

4 Akustische Halluzinationen: Hören von Geräuschen, ohne dass solche vorhanden sind (Akoasmen) oder Stimmenhören (kommentierende, imperative oder dialogisierende Stimmen), ohne dass tatsächlich jemand spricht 5 Stimmenhören ist typisch für Schizophrenien 4 Optische Halluzinationen: ungeformte elementare visuelle Wahrnehmungen (Photopsien, z. B. Wahrnehmung von Lichtblitzen), einzelne Gestalten (z. B. »weiße Mäuse«) oder szenische Halluzinationen (oneiroide Halluzinationen: szenische, traumähnliche Halluzinationen, bei denen der Betroffene aktiv im Mittelpunkt steht) 5 Weniger typisch für Schizophrenien, sondern eher für organische Psychosen (häufig im Alkoholentzugsdelir, bei drogeninduzierten Psychosen, Läsionen des Okzipitallappens) 4 Olfaktorische/gustatorische Halluzinationen: Wahrnehmung meist unangenehmer oder ungewöhnlicher Gerüche bzw. Geschmacksempfindungen 5 Häufig bei Tumoren in der Area olfactoria oder in der Aura epileptischer Anfälle, aber auch bei Schizophrenien oder depressiven Störungen vorkommend 4 Hypnagoge Halluzinationen: optische und akustische Sinnestäuschungen in der Einschlafphase, nicht notwendigerweise pathologisch, auch bei Narkolepsie 4 Taktile/haptische Halluzinationen: beziehen sich auf Hautempfindungen; Tast- oder Berührungshalluzinationen 5 Vor allem bei älteren Personen mit organischen Psychosen 4 Dermatozoenwahn: chronisch taktile Halluzinose (fraglich, ob Halluzinose oder Wahn); Missempfindungen auf der Haut (ohne Reiz von außen) werden auf kleine krabbelnde Tierchen auf oder unter der Haut zurückgeführt 5 Vor allem bei organischen Psychosen, seltener bei Schizophrenien 4 Zönästhetische Halluzinationen (Leibhalluzinationen) i. e. S.: Missempfindungen oder Schmerzen in Organen/im Körper, die als von außen gemacht erlebt werden (z. B. Gefühl des Bestrahlt- oder Elektri-

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Eigene Notizen

26 Kapitel 1 · Gesundheitsstörungen und Psychopathologie

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Eigene Notizen

siertwerdens); Sonderform: kinästhetische Halluzinationen (Bewegungshalluzinationen: Gefühl, bewegt zu werden) 5 Vor allem bei Schizophrenien 4 Zönästhesien: verschiedenste, zum Teil bizarre Störungen des Leibempfindens (z. B. Gefühl, der Körper schrumpft, Taubheits- oder Steifigkeitsempfindungen, Schmerzsensationen, kinästhetische, thermische oder Elektrisierungssensationen); fließende Übergänge zu taktilen Halluzinationen 5 Vor allem bei Schizophrenien > Abgrenzung Zönästhesien und zönästhetische Halluzinationen: Bei Zönästhesien fehlt der Charakter des von außen Gemachten (im Gegensatz zu zönästhetischen Halluzinationen).

1.14.2

Illusionen

4 Etwas Reales/wirklich Vorhandenes wird verkannt bzw. als etwas anderes wahrgenommen/fehlgedeutet (z. B. Sträucher werden im Dunkeln als Personen verkannt) 4 Begünstigende Faktoren: Erwartungshaltung durch starke Affekte (z. B. Angst), Übermüdung, Fieber, Unschärfe/mangelnde Kontrastierung des Objektes 4 Auftreten auch im normalpsychologischen Bereich, daher nicht per se pathologisch; bei Schizophrenien gelegentlich Illusionen im akustischen Bereich, bei organischen Psychosen eher im optischen Bereich 4 Abgrenzung zu Pareidolien (tatsächlich vorhandene Gegenstände werden zu neuen Erscheinungen umgeformt bzw. es wird Nichtvorhandenes hineingesehen, z. B. Gesichter in Wolken) 5 Pareidolien werden i. d. R. nicht vom Affekt beeinflusst, Gegenstand und Phantasiegebilde bestehen nebeneinander und können durch den Betrachter auseinandergehalten werden 5 Kommen v. a. bei starker Übermüdung vor

1.14.3

Körperschemastörung/Leibgefühlsstörung

4 Krankhaft verzerrte Wahrnehmung des eigenen Körpers 4 Vorkommen bei Schizophrenien, Intoxikationen mit Halluzinogenen, Essstörungen (Gefühl, zu dick zu sein – trotz Untergewicht)

1.14.4

Wahrnehmungsanomalien, einfache Wahrnehmungsveränderungen

4 Reale Wahrnehmungen erscheinen verändert 5 Veränderte Intensitätswahrnehmung (z. B. erscheinen Sinneseindrücke blasser oder verschleiert), beispielsweise bei Depressionen

27 1.15 · Zwänge

(häufig Intensitätsminderungen), Manie oder unter Drogeneinfluss (Intensitätssteigerung) 5 Veränderte Größenwahrnehmung (Mikropsie: Gegenstände erscheinen verkleinert; Makropsie: Gegenstände erscheinen vergrößert); häufig bei Hysterien vorkommend 5 Veränderte Gestaltwahrnehmung (Meta-, Dysmorphopsien: Gegenstände erscheinen verzerrt, formverändert)

1.15

Zwänge

Definition Gedanken, Impulse oder Handlungen, die sich immer wieder aufdrängen, gegen die gleichzeitig ein innerer Widerstand besteht und die als weitgehend unsinnig erlebt werden, sich aber nicht oder nur schwer unterbinden lassen, da bei Unterdrückung dieser Phänomene Angst auftritt.

4 Zwangsdenken/-gedanken: nicht-wahnhafte inhaltliche Denkstörung; sich immer wieder aufdrängende Gedanken, die als unsinnig empfunden werden, aber nicht unterdrückt werden können > Zwangsgedanken werden als eigene Gedanken interpretiert und nicht als fremdartig oder eingegeben (im Gegensatz zu psychotischen Ich-Störungen) und sie werden als weitgehend unsinnig erlebt (Abgrenzung zum Wahn).

4 Zwangsimpulse: immer wieder sich aufdrängender Drang, bestimmte Handlungen auszuführen, die abgelehnt werden (i. d. R. kommt es aber nicht zur Handlung) 4 Zwangshandlungen: immer wieder gegen einen inneren Widerstand ausgeführte Handlungen, die als unsinnig oder übertrieben erlebt werden, bei deren Unterlassung aber Angst auftritt 4 Zwangszeremoniell/-ritual: komplette Handlung/Zeremonie innerhalb einer Zwangshandlung; Handlungsschritte müssen in einer bestimmten Reihenfolge durchgeführt werden 4 Leitsymptom der Zwangsstörungen, Vorkommen aber auch bei Schizophrenien (bizarre Zwänge), Depressionen (z. B. als Zwangsgrübeln) oder organischen psychischen Erkrankungen

1

Eigene Notizen

2 Tag 1 – Symptome, Diagnostik, Forensik

2

Psychiatrische Diagnostik

2.1

Anamnese – 30

2.1.1 2.1.2 2.1.3 2.1.4 2.1.5 2.1.6 2.1.7 2.1.8

Aktuelle Krankheitsanamnese – 30 Vegetative Anamnese – 30 Sucht- und Medikamentenanamnese – 30 Gynäkologische Anamnese – 30 Psychosexuelle Anamnese – 30 Soziale Anamnese (Biografie und Lebenssituation) – 31 Frühere Erkrankungen – 31 Familienanamnese – 31

2.2

Psychopathologischer Befund – 31

2.3

Körperliche Untersuchung – 32

2.3.1 2.3.2 2.3.3 2.3.4

Allgemeinkörperliche Untersuchung Neurologische Untersuchung – 33 Labordiagnostik – 33 Apparative Diagnostik – 34

2.4

Testpsychologische Diagnostik – 35

2.4.1 2.4.2

Leistungsdiagnostik – 36 Persönlichkeitsdiagnostik – 38

2.5

Klassifikation psychischer Erkrankungen – 39

– 32

30 Kapitel 2 · Psychiatrische Diagnostik

Eigene Notizen

2

2.1

Anamnese

> Beginn der Anamneseerhebung mit einer Eigenanamnese. Die Fremdanamnese ergänzt diese z. B. bei der diagnostischen Einordnung und bei behandlungsbeeinflussenden Themen.

2.1.1

Aktuelle Krankheitsanamnese

4 Aktuelle Erkrankung: aktueller Konsultationsgrund/-modus, Symptomatik, Beginn, Verlauf, Auslösesituationen, verstärkende Situationen, bisherige Behandlung, somatische Begleitsymptome > Immer Suizidalität abklären! ( ! Cave Nicht im Sinne reiner Absicherungsfragen, sondern neben der aktiven Exploration immer selbst einschätzen!)

2.1.2

Vegetative Anamnese

4 Körperliches Grundgefühl (z. B. Wohlbefinden, Mattigkeit), Schlaf, Appetit, Gewichtsveränderungen, Durst, Miktion, Stuhlgang, sexuelle Lust und Potenz

2.1.3

Sucht- und Medikamentenanamnese

4 Frequenz und Menge des Konsums von Alkohol, Nikotin, Medikamenten oder illegalen Drogen; nicht-stoffgebundene Süchte (z. B. Internet, Spielsucht, Pyromanie) 4 Einnahme von Psychopharmaka oder anderen Medikamenten (Dosierung, regelmäßige Einnahme oder nach Bedarf) 4 Ansprechen auf Vormedikation 4 Medikamentenunverträglichkeiten

2.1.4

Gynäkologische Anamnese

4 Menarche, Menopause, Menstruation (Frequenz, Regelmäßigkeit, Dauer, Stärke, Beschwerden), Partus, Abortus, gynäkologische Operationen

2.1.5

Psychosexuelle Anamnese

4 Pubertätsbeginn, besondere Ängste, Belastungen oder Verhaltensänderungen während der Pubertät, Angaben zur Sexualaufklärung, erster Geschlechtsverkehr, sexuelle Erlebnisfähigkeit (früher bzw. aktuell), Sexualkontakte, sexuelle Funktionsstörungen, spezielle sexuelle Präfe-

31 2.2 · Psychopathologischer Befund

renzen und Phantasien, sexuelle Orientierung, sexuelle Missbrauchserlebnisse, Inzesterlebnisse

2.1.6

Soziale Anamnese (Biografie und Lebenssituation)

4 Soziale Herkunft 4 Frühkindliche Entwicklung, Primordialsymptome (Nägelkauen, Bettnässen, verlängertes Daumenlutschen, Ängste, Stottern), Besonderheiten der Entwicklung in Pubertät und Adoleszenz 4 Schule und Beruf: Schulbildung und -leistung, Berufsausbildung 4 Aktuelle berufliche und wirtschaftliche Situation 4 Partnerschaften, Ehe, Kinder 4 Soziale Kontakte außerhalb der Familie/Freizeit 5 Soziale Integration, außerfamiliäre soziale Beziehungen, Partnerbeziehungen/-konflikte 5 Lebensgewohnheiten 5 Soziale und kulturelle Interessen, Freizeitgestaltung/Hobbies

2.1.7

Frühere Erkrankungen

4 Psychische Erkrankungen: Art, Beginn, Dauer, Behandlung, Verlauf (episodenhaft, phasisch, chronisch, progredient) 4 Körperliche Erkrankungen (insbesondere Kopfverletzungen, Erkrankungen des ZNS, Stoffwechselerkrankungen): Art, Beginn, Dauer, Behandlung, Verlauf 4 Allergien

2.1.8

Familienanamnese

4 Erkrankungen in der Familie (insbesondere familiäre Belastung im Hinblick auf psychische Erkrankungen, auch versuchte oder vollendete Suizide), Todesursachen bereits verstorbener Angehöriger 4 Stellung in der Geschwisterreihe, Einstellungen sowie Beziehungsmuster und -probleme in der Herkunftsfamilie > Bei allen psychischen Erkrankungen sind ergänzende fremdanamnestische Angaben für eine Beurteilung notwendig.

2.2

Psychopathologischer Befund

4 Befunderhebung durch die psychiatrische Untersuchung 4 Aktuelles Querschnittsbild der psychischen Verfassung (Erleben und Verhalten) des Patienten

2

Eigene Notizen

32 Kapitel 2 · Psychiatrische Diagnostik

Eigene Notizen

2

4 Grundlage der Beurteilung sind Selbstaussagen des Patienten sowie Beobachtungen durch den Untersucher, aber auch nachvollziehbare fremdanamnestische Angaben 4 Unterstützendes, standardisiertes System zur Erfassung der Psychopathologie: AMDP-System (Arbeitsgemeinschaft für Dokumentation und Methodik in der Psychiatrie) 4 Zu erhebende psychopathologische Merkmalsbereiche (7 Kap. 1) 5 Äußeres Erscheinungsbild (Kleidung, Körperpflege) 5 Gestik und Mimik 5 Verhalten in der Untersuchungssituation (Kooperation, Kontaktverhalten, Tendenz zu Aggravation, Simulation oder Dissimulation) 5 Sprechverhalten bzw. Sprache (Klang, Modulation, Sprechstörungen wie Stammeln und Stottern, Sprachverständnis und Ausdrucksvermögen) 5 Bewusstseinsstörungen (quantitativ und qualitativ) 5 Orientierungsstörungen (zeitlich, örtlich, situativ, zur eigenen Person) 5 Aufmerksamkeits- und Gedächtnisstörungen 5 Formale Denkstörungen (z. B. gehemmt, verlangsamt, eingeengt, weitschweifig) 5 Inhaltliche Denkstörungen (Wahn sowie nicht-wahnhafte Phänomene wie Befürchtungen und Zwänge) 5 Sinnestäuschungen (Illusionen, Halluzinationen) 5 Ich-Störungen (Entfremdungserlebnisse: Derealisation, Depersonalisation; Fremdbeeinflussungserlebnisse: Gedankenentzug, -ausbreitung, -eingebung) 5 Störungen der Affektivität 5 Antriebs- und psychomotorische Störungen 5 Zirkadiane Besonderheiten 5 Sonstige Merkmale: Aggressivität, Selbstverletzung, Suizidalität, Krankheitseinsicht, -gefühl, Behandlungseinsicht, sozialer Rückzug oder soziale Umtriebigkeit 5 Einschätzung des allgemeinen Intelligenzniveaus (ergänzend: Anwendung von standardisierten Intelligenztests 7 Kap. 2.4.1) > Der psychopathologische Befund muss immer vollständig erhoben werden, d. h. alle Merkmalsbereiche müssen beurteilt werden!

2.3

Körperliche Untersuchung

> Eine körperliche Untersuchung (allgemeinkörperlich und neurologisch) gehört zu jeder psychiatrischen Diagnostik. 2.3.1

Allgemeinkörperliche Untersuchung

4 Allgemein- und Ernährungszustand, Größe, Gewicht, Bauchumfang 4 Beurteilung von Haut, Hautfarbe und Schleimhäuten; Narben, Hämatome, Tätowierungen, Piercings

33 2.3 · Körperliche Untersuchung

4 Untersuchung von Kopf und Hals, Meningismus, Lymphknoten, Schilddrüse 4 Inspektion, Palpation, Perkussion des Thorax, Auskultation von Lunge und Herz, periphere Pulse, Blutdruck 4 Untersuchung von Abdomen, Wirbelsäule und Extremitäten

2.3.2

Neurologische Untersuchung

4 Hirnnervenstatus 4 Reflexstatus 5 Eigenreflexe und physiologische Fremdreflexe 5 Pathologische Fremdreflexe (Pyramidenbahnzeichen): Babinski-, Gordon-, Oppenheim-, Chaddock-Reflex 5 Kloni (Patellarklonus, Fußklonus) 4 Nervendehnungszeichen: Lasègue, umgekehrter Lasègue, Kernig, Brudzinski, Lhermitte 4 Motorik und Kraft: Muskeltrophik, Tonus, Armvorhalteversuch, Beinvorhalteversuch, Feinmotorik, Kraftprüfung 4 Koordination: Finger-Nase-Versuch, Finger-Finger-Versuch, KnieHacken-Versuch, Bárány-Zeigeversuch, Diadochokinese, RombergVersuch, Unterberger-Tretversuch, Gangprüfung, Schriftprobe 4 Sensibilität: Berührungsempfindung, Schmerzempfindung, SpitzStumpf-Diskrimination, Graphästhesie, Temperaturempfindung, Lagesinn, Vibrationsempfindung

2.3.3

Labordiagnostik

4 Labordiagnostik zum Ausschluss organischer Erkrankungen, die psychische Symptome auslösen können, z. B. Erhebung der Schilddrüsenparameter zum Ausschluss von Hypo-/Hyperthyreose (7 Kap. 20) 4 Routinelabor/Basisparameter: Blutbild, Blutkörperchensenkungsgeschwindigkeit, Elektrolyte, Kreatinin, Harnstoff, GOT, GPT, γ-GT, Glukose, TSH, Urinstatus (inkl. Eiweiß und Sediment) 4 Kontrolle von Medikamentenspiegeln im Blut zur Therapieüberwachung (besonders wichtig bei Psychopharmaka mit enger therapeutischer Breite, z. B. Lithium, wegen erhöhter Intoxikationsgefahr) 4 Drogenscreening in Blut und Urin, Blutalkohol, CDT als Langzeitparameter des Alkoholkonsums (bis zu 4 Wochen) 4 Ggf. Liquordiagnostik (bei Verdacht auf entzündlichen oder tumorösen Prozess im ZNS bzw. Verdacht auf hirnorganische psychische Erkrankungen) nach Ausschluss von erhöhtem Hirndruck und Gerinnungsstörungen 4 Bei Erstmanifestation einer schweren psychischen Erkrankung (z. B. Schizophrenie, affektive Störung) höherer diagnostischer Aufwand nötig: Serologie für Borrelien, Treponemen, evtl. weitere neurotrope Keime

2

Eigene Notizen

34 Kapitel 2 · Psychiatrische Diagnostik

Eigene Notizen

(je nach Anamnese), Vaskulitis-Diagnostik, Schilddrüsen-Antikörper (Ausschluss Hashimoto-Thyreoiditis); ggf. Vitaminstatus

2 2.3.4

Apparative Diagnostik

Elektroenzephalographie (EEG)

4 Messung der summierten elektrischen Aktivität der Hirnrinde durch Aufzeichnung von Spannungsschwankungen an der Kopfoberfläche 5 Alpha-Wellen: 8–13/s (Vorkommen v. a. im entspannten Wachzustand bei geschlossenen Augen) 5 Beta-Wellen: 14–30/s (v. a. im aufmerksamen Wachzustand) 5 Theta-Wellen: 4–7/s (typischerweise in leichten Schlafphasen) 5 Delta-Wellen: 0,5–3/s (charakteristisch für die Tiefschlafphasen) 4 Unspezifisches Screening für hirnorganische Störungen (v. a. Epilepsien); Anwendung auch in der Schlafmedizin; Medikationseffekte 4 Grundsätzlich suspekt 5 Allgemeinveränderungen (Grundrhythmusverlangsamungen oder -beschleunigungen) 5 Herdbefunde (kortikale Funktionsstörung über einer umschriebenen Hirnregion, z. B. fokale Kurvenverlangsamung) 5 Abnorme Potenzialschwankungen (z. B. spezifisch epileptogene Potenziale iktal und interiktal bei Epilepsien) Kraniale Computertomographie (cCT)

4 Strukturell bildgebendes Verfahren: Röntgenschichtaufnahmen des Schädels 4 Screeningverfahren bei gravierenden psychischen Erkrankungen 4 Primäre Domäne im Rahmen der Notfalldiagnostik zum raschen Ausschluss von Atrophien, Blutungen, Abszessen, evtl. Tumoren, demarkierten Hirninfarkten Kraniale Magnetresonanztomographie (cMRT)

4 Strukturell bildgebendes Verfahren (gilt immer mehr als bildgebendes Mittel der Wahl bei psychiatrischen Patienten): Nutzung von Magnetfeldern zur Erzeugung kranieller Schnittbilder 4 Einsatz v. a. bei Erstmanifestation einer psychischen Erkrankung, zur Ausschlussdiagnostik sowie bei besonderem Verdacht auf organische Hirnerkrankungen (zerebrovaskuläre Läsionen, Atrophien, entzündliche Erkrankungen, demyelinisierende oder tumoröse Prozesse) 4 Vorteile gegenüber cCT: bessere Auflösung, fehlende Strahlenbelastung, höhere Sensitivität für viele Befunde 4 Nachteile gegenüber cCT: kosten- und zeitintensiv, Probleme bei ferromagnetischen Implantaten, mögliche Panikanfälle sehr ängstlicher Patienten aufgrund enger Abmessungen und hoher Lautstärkepegel der Geräte

35 2.4 · Testpsychologische Diagnostik

Single-Photon-Emissions-Computertomographie (SPECT) und Positronen-Emissions-Tomographie (PET)

4 Nuklearmedizinische Verfahren, bei denen radioaktiv markierte Substanzen injiziert werden 4 Indikationen: Nachweis regionaler zerebraler Metabolismusstörungen (FDG-PET) bzw. Blutflussveränderungen (HMPAO-SPECT) 4 Insbesondere zur Diagnostik ischämischer Hirnerkrankungen, Abklärung demenzieller Prozesse, aber z. B. auch zur Diagnostik neurologischer Erkrankungen des Dopamin-Systems (M. Parkinson, Multisystematrophie)

2.4

Testpsychologische Diagnostik

4 Einsatz standardisierter testpsychologischer Messverfahren zur Bestimmung von individuellen Merkmalen und Leistungen und deren Ausprägung im interindividuellen Vergleich 4 Unterteilung in: 5 Leistungstests: Intelligenztests, allgemeine Leistungstests, spezielle Funktionsprüfungs- und Eignungstests, Entwicklungstests, Schultests 5 Psychometrische Persönlichkeitstests: Persönlichkeitsstrukturtests (standardisierte Erfassung der Persönlichkeitsstruktur), Einstellungs- und Interessentests sowie klinische Verfahren (standardisierte Abschätzung und Quantifizierung psychopathologischer Symptomatik) 5 Persönlichkeits-Entfaltungsverfahren: projektive Tests 4 Gütekriterien psychometrischer Tests 5 Validität: Güte der Messung des Merkmals, das der Test erfassen soll 5 Reliabilität: Zuverlässigkeit, d. h. Genauigkeit mit der das Verfahren ein Merkmal erfasst (z. B. Übereinstimmung der Ergebnisse bei Testwiederholungen als Retest-Reliabilität oder Paralleltest-Reliabilität) 5 Objektivität: Unabhängigkeit des Testergebnisses vom Untersucher und Auswerter > Testpsychologische Befunde reichen grundsätzlich nicht zur Diagnosestellung, sondern ergänzen den psychopathologischen Befund, die Anamnese und weitere Befunde.

4 Testpsychologische Befunde müssen zu einem Gesamtbild integriert werden durch 5 die Verhaltensbeobachtung während der Testung 5 den klinischen Eindruck 5 Ergebnisse einer Exploration 5 weitere Informationen (z. B. Krankengeschichte, fremdanamnestische Angaben)

2

Eigene Notizen

36 Kapitel 2 · Psychiatrische Diagnostik

Eigene Notizen

2

4 Vor allem bei der Durchführung von Leistungstests ist die Verhaltensbeobachtung bedeutsam, um 5 Erkenntnisse über die Leistungseinstellung (Leistungsmotivation und Anstrengung) zu gewinnen 5 Widersprüche und Kontraste innerhalb der Gesamtleistung aufzuklären 5 Simulations- und Verfälschungstendenzen aufzudecken 5 Beziehungen zu Alltagsleistungen herstellen zu können

2.4.1

Leistungsdiagnostik

4 Leistungstests = psychometrische Tests zur Quantifizierung des allgemeinen oder speziellen Leistungsniveaus einer Person 4 Zur Abgrenzung von Minderbegabung, Abklärung störungsspezifischer Leistungseinbußen, Verlaufsbeurteilung (durch mehrmalige Testung) > Psychische Erkrankungen gehen häufig mit kognitiven Beeinträchtigungen einher. Intelligenztests Definition Intelligenz = Das, was der jeweilige Intelligenztest misst. Daher bei Intelligenzmessungen immer das verwendete Verfahren mit angeben.

4 IQ-Werte haben – je nach Testverfahren – meist einen Mittelwert von 100 und eine Standardabweichung von 15 (etwa 68% der Bevölkerung weisen IQ-Werte zwischen 85 und 115 auf) 4 Häufig verwendeter Intelligenztest: Wechsler-Intelligenz-Test für Erwachsene (WIE), eine Weiterentwicklung des Hamburg-WechslerIntelligenz-Tests für Erwachsene (HAWIE) 5 Multidimensionaler Intelligenztest bestehend aus verschiedenen Subtests zur Erfassung globaler Intelligenz, Verbal- und Handlungsintelligenz sowie weiterer intellektueller Teilbereiche 5 Stark sprach- und kulturabhängig 5 Version für Kinder: Hamburg-Wechsler-Intelligenztest für Kinder (HAWIK) 4 Sprachfreie Intelligenztests 5 Zum Beispiel Grundintelligenztest Skala 2, revidierte Fassung (CFT20-R) oder Standard Progressive Matrices (SPM): messen die Fähigkeit zu folgerichtigem Denken anhand figuraler Aufgaben im Multiple-Choice-Format 4 Zur Abschätzung eines früheren, prämorbiden Leistungsniveaus (zur Frage, ob es sich um eine erworbene, krankheitsbedingte kognitive Störung handelt) 5 Einsatz weitgehend altersstabiler und relativ »störungsresistenter« Testverfahren, z. B. Mehrfachwahl-Wortschatz-Test (MWT): Wort-

37 2.4 · Testpsychologische Diagnostik

schatz-Test im Multiple-Choice-Format zur Erfassung kristalliner (auf Lernen und Erfahrung beruhender) Intelligenzkomponenten 5 Berücksichtigung anamnestischer Informationen (schulischer und beruflicher Werdegang) > Unterscheidung kristalliner und fluider Intelligenzkomponenten

4 Fluide/flüssige Intelligenzkomponenten: Anpassungsfähigkeit, Flexibilität, Schlussfolgern, Problemlösung und Verarbeitungsgeschwindigkeit; unterliegen dem Altersabbau 4 Kristalline Intelligenzkomponenten: über Lernen und Erfahrung gewonnene Kenntnisse und Fertigkeiten (»Lebenswissen/Lebensweisheit«); gelten als weitgehend altersstabil und relativ störungsresistent Spezielle Leistungstests

4 Beurteilung von Konzentration und Aufmerksamkeit 5 Zum Beispiel d2-Test (Aufmerksamkeitsbelastungstest; Durchstreichtest zur Messung selektiver Aufmerksamkeit) 4 Beurteilung exekutiver Funktionen wie kognitive Flexibiltät, Planen, Entscheiden, Problemlösen, logisches Schlussfolgern, Inhibitionsprozesse (= kognitive Prozesse, die der Unterdrückung einer Handlung/ Handlungstendenz dienen), Arbeitsgedächtnisleistungen (= kurzfristige Manipulation/Bearbeitung von Informationen im Gedächtnis) Definition Exekutive Funktionen = höhere mentale Funktionen, die es erlauben, selbstständig und zielstrebig zu handeln durch Kontrolle, Steuerung und Koordination verschiedener kognitiver Subprozesse; Beeinträchtigungen von Exekutivfunktionen werden häufig auf frontale zerebrale Dysfunktionen zurückgeführt.

5 Wisconsin-Card-Sorting-Test (WCST; beinhaltet Kategorisierungsaufgaben, erfasst kognitive Flexibilität, schlussfolgerndes Denken, Regellernen) 5 Turm von London oder Turm von Hanoi (erfassen Planungs- und Problemlösefähigkeit) 5 Farbe-Wort-Interferenz-Test/STROOP-Test (misst Inhibitionsprozesse sowie selektive Aufmerksamkeit) 4 Messung von Gedächtnisleistungen 5 Zum Beispiel Benton-Test: prüft kurz- bis mittelfristiges Gedächtnis für komplexe figurale Informationen (Proband soll aus dem Gedächtnis geometrische Figuren nachzeichnen); wurde zur Diagnostik hirnorganischer Störungen konstruiert 4 Spezielle Demenzdiagnostik 5 Zum Beispiel Mini-Mental-Status-Test (MMST): erfasst u. a. Orientierung, Merk- und Erinnerungsfähigkeit, Aufmerksamkeit, Rechenfähigkeit, Sprache und Nachzeichnen (häufig als Bedside-Test verwendet)

2

Eigene Notizen

38 Kapitel 2 · Psychiatrische Diagnostik

Eigene Notizen

2

4 Beurteilung von Visuomotorik (Auge-Hand-Koordination) und Informationsverarbeitungsgeschwindigkeit 5 Zum Beispiel Zahlenverbindungstests (Papier- und Bleistift-Test: Zahlen so schnell wie möglich in aufsteigender Reihenfolge verbinden bzw. bei erschwerten Anforderungen Zahlen im Wechsel zu Buchstaben verbinden) 4 Darüber hinaus existieren neuropsychologische Verfahren z. B. zur Prüfung von Sprache, Wahrnehmung, Motorik sowie Instrumente zur Abschätzung von Verfälschungstendenzen (z. B. Simulation)

2.4.2

Persönlichkeitsdiagnostik

4 Selbstbeurteilungsfragebögen: Proband schätzt sich selbst ein; Problem: mögliche Verfälschungstendenzen wie Simulation oder Dissimulation fallen stärker ins Gewicht (können aber zum Teil durch Kontrollskalen abgeschätzt werden) 4 Fremdbeurteilungsfragebögen: Einschätzung des Probanden durch eine andere Person, die den Fragebogen ausfüllt (i. d. R. geschulte Beurteiler wie Ärzte, Psychologen, Pflegepersonal oder auch Bezugspersonen) Psychometrische Persönlichkeitstests

4 Persönlichkeitsstrukturtests: erfassen Merkmale im Bereich »normaler«, gesunder Persönlichkeit; Beispiele: 5 Freiburger Persönlichkeitsinventar (FPI): Selbstbeurteilungsverfahren zur Erfassung von 10 weitgehend unabhängigen Persönlichkeitsmerkmalen aus dem »normalpsychologischen« Bereich 5 NEO-Fünf-Faktoren-Inventar (NEO-FFI): Selbstbeurteilungsinventar, welches 5 Persönlichkeitsdimensionen erfassen soll (Neurotizismus, Extraversion, Offenheit, Verträglichkeit, Gewissenhaftigkeit) 4 Einstellungs- und Interessentests 4 Klinische Verfahren: erfassen meist ein oder mehrere klinische Merkmale 5 Zum Beispiel Minnesota Multiphasic Personality Inventory (MMPI; Inventar zur Persönlichkeitsdiagnostik bzw. Erfassung psychischer Auffälligkeiten) 5 ! Cave Allein auf Grundlage eines Persönlichkeitstests darf keine Diagnose einer Persönlichkeitsstörung gestellt werden! Persönlichkeitsentfaltungsverfahren

4 Projektive Verfahren: beruhen auf der Vorgabe von uneindeutigem Reizmaterial, das beim Probanden ein breites Reaktionsspektrum auslösen kann; Ziel: unbewusste, nicht verbalisierbare Aspekte der Persönlichkeit sollen erfassbar gemacht werden 5 Zum Beispiel Rorschach-Test (inhaltlich-assoziative Interpretation von Klecksbildern), thematischer Apperzeptionstest (zu Bildern, die mehrdeutige Situationen zeigen, sind Geschichten zu erzählen)

39 2.5 · Klassifikation psychischer Erkrankungen

5 Ergebnisse sind stark vom Untersucher abhängig; projektive Tests genügen nicht den testtheoretischen Gütekriterien, Aussagewert solcher Verfahren ist gering

2.5

Klassifikation psychischer Erkrankungen

4 Zwei weltweit anerkannte Klassifikationssysteme 5 ICD-10 (Internationale Klassifikation der Krankheiten, derzeit in der 10. Auflage) der WHO; international verbindliches System 5 DSM-IV (Diagnostisches Statistisches Manual psychischer Störungen, derzeit in der 4. Auflage) der American Psychiatric Association (APA); nationales amerikanisches System mit internationaler Verbreitung; Einsatz v. a. in der Forschung 4 Kennzeichen dieser Klassifikationssysteme 5 Rein deskriptive (nicht ätiologische) Klassifikation der Störungen 5 Operationalisierte Diagnostik: Vorgabe von Symptom-, Zeit-, Verlaufs-, Ausschlusskriterien und Diagnosealgorithmen 5 Operationalisierung erfolgt prototypisch (häufig Mindestanzahl geforderter Symptome angegeben) 5 Multiaxiale Klassifikation: Klassifikation auf mehreren Achsen; bei ICD-10 J Achse I = Klinische Diagnosen J Achse II = Soziale Funktionseinschränkungen J Achse III = Abnorme psychosoziale Situationen 5 Komorbiditätsprinzip: Möglichkeit, gemeinsam auftretende unterschiedliche Erkrankungen getrennt zu diagnostizieren und zu kodieren 4 F-Hauptkategorien der ICD-10 (Psychische und Verhaltensstörungen) 5 F0 Organische, einschließlich symptomatischer psychischer Störungen 5 F1 Psychische und Verhaltensstörungen durch psychotrope Substanzen 5 F2 Schizophrenie, schizotype und wahnhafte Störungen 5 F3 Affektive Störungen 5 F4 Neurotische, Belastungs- und somatoforme Störungen 5 F5 Verhaltensauffälligkeiten mit körperlichen Störungen und Faktoren 5 F6 Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen 5 F7 Intelligenzstörung 5 F8 Entwicklungsstörungen 5 F9 Verhaltens- und emotionale Störungen mit Beginn in der Kindheit und Jugend

2

Eigene Notizen

3 Tag 1 – Symptome, Diagnostik, Forensik

3

Forensische Psychiatrie

3.1

Zivilrecht – 42

3.1.1 3.1.2 3.1.3

Betreuungsrecht – 42 Einwilligungsfähigkeit – 43 Geschäftsunfähigkeit – 44

3.2

Strafrecht – 45

3.2.1

Schuldfähigkeit

3.3

Unterbringungsrecht – 46

3.3.1 3.3.2 3.3.3

Unterbringung nach Länderrecht (PsychKG, UBG) – 46 Zivilrechtliche/betreuungsrechtliche Unterbringung (§ 1906 BGB) – 47 Freiheitsentziehende Maßregeln der Besserung und Sicherung – 48

3.4

Sozialrecht – 49

3.4.1 3.4.2

Erwerbsminderung – 49 Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE)

3.5

Fahreignung und Fahrtüchtigkeit – 50

– 45

– 50

42 Kapitel 3 · Forensische Psychiatrie

Eigene Notizen

3

3.1

Zivilrecht

3.1.1

Betreuungsrecht

4 Betrifft volljährige Patienten, die über eine längere Zeit ihre Angelegenheiten aufgrund einer psychischen Erkrankung (oder körperlichen oder geistigen Behinderung) ganz oder teilweise nicht mehr selbst besorgen können 4 Löst frühere Rechtsvorschriften zu Entmündigung, Vormundschaft und Pflegschaft ab 4 Betreuerbestellung auf Antrag des Betroffenen selbst (unabhängig von seiner Geschäftsfähigkeit) oder »von Amts wegen«, d. h. vom Betreuungsgericht (Dritte, z. B. behandelnde Ärzte, können bei dem zuständigen Amtsgericht eine Betreuung anregen) 5 !Cave Bei allein körperlicher Behinderung ist die Einrichtung einer Betreuung nur auf Antrag des Betroffenen möglich. 4 Einrichtung einer Betreuung gegen den Willen des Betroffenen nur, wenn dieser krankheitsbedingt zu freier Willensbestimmung nicht mehr in der Lage ist 4 Betreuerbestellung nur für Aufgabenbereiche, in denen eine Betreuung notwendig ist (anderen, privaten oder öffentlichen Hilfen gegenüber nachrangig) 4 Typische Aufgabenbereiche 5 Aufenthaltsbestimmung 5 Gesundheitsfürsorge 5 Vermögenssorge 5 Wohnungsangelegenheiten 5 Vertretung gegenüber Behörden > Höchstpersönliche Willenserklärungen (z. B. Testamentserrichtung, Eheschließung) sind grundsätzlich von der Betreuung ausgeschlossen, dies können die Betroffenen weiter selbst bestimmen. Der Betreuer hat die Wünsche des Betreuten zu berücksichtigen und immer in dessem Sinne zu handeln.

4 Zur Beurteilung der Erforderlichkeit der Betreuerbestellung holt das Betreuungsgericht ein psychiatrisches Gutachten ein 4 Geschäftsfähigkeit wird durch Anordnung einer Betreuung nicht berührt; Ausnahme Einwilligungsvorbehalt 5 Spezielle Anordnung des Betreuungsgericht bei erheblicher Gefährdung des Betreuten oder dessen Vermögen (nicht bei Gefahr für Dritte) 5 Rechtshandlungen des Betreuten werden bei Einwilligungsvorbehalt erst mit Einwilligung des Betreuers wirksam 4 Eilbetreuung: bei drohender Gefahr ist über eine einstweilige Anordnung des Gerichts die umgehende Einrichtung einer Betreuung möglich 5 Voraussetzung: Vorliegen eines ärztlichen (möglichst: psychiatrischpsychotherapeutischen) Zeugnisses über den Zustand des Betroffenen

43 3.1 · Zivilrecht

> Bei gefährlichen ärztlichen Eingriffen, Unterbringung auf einer geschlossenen Station oder vergleichbaren Einrichtung oder bei unterbringungsähnlichen Maßnahmen wie Fixierungen ist neben der Zustimmung des Betreuers zusätzlich die Genehmigung des Betreuungsgericht notwendig!

3.1.2

Einwilligungsfähigkeit

Definition Fähigkeit, rechtswirksam in eine ärztliche Maßnahme einzuwilligen, was voraussetzt, dass der Betroffene Art, Bedeutung und Tragweite der ärztlichen Maßnahme versteht und nach dieser Einsicht entscheiden kann.

4 Rechtswirksame Zustimmung des Patienten in eine ärztliche diagnostische oder therapeutische Maßnahme setzt dessen Einwilligungsfähigkeit voraus > Jeder ärztliche Eingriff ohne informiertes Einverständnis des Patienten stellt grundsätzlich eine Körperverletzung dar.

4 Bei Einwilligungsunfähigkeit des Patienten 5 Vor einer ärztlichen Maßnahme hat der Arzt die Zustimmung eines Bevollmächtigten bzw. eines gesetzlichen Betreuers mit den Aufgabenbereichen »Gesundheitsfürsorge« oder »Einwilligung in ärztliche Heilmaßnahmen« einzuholen 5 ! Cave Familienangehörige, Ehegatten oder Lebenspartner haben kein gesetzliches Vertretungsrecht, für den Patienten in ärztliche Maßnahmen einzuwilligen – es sei denn, dieser hat ihnen noch im Zustand der Geschäftsfähigkeit eine entsprechende Vollmacht erteilt (sog. Vorsorgevollmacht). 5 Bestehen keine Vollmacht oder noch keine Betreuung: Einrichtung einer Betreuung anregen > Vom (noch) einwilligungsfähigen Patienten schriftlich fixierte Vorentscheidungen über bestimmte ärztliche Maßnahmen für den Fall seiner Einwilligungsunfähigkeit (sog. Patientenverfügung) sind für Ärzte, Bevollmächtige und Betreuer grundsätzlich verbindlich.

4 Keine pauschale Feststellung der Einwilligungsfähigkeit, sondern immer bezogen auf den Einzelfall: je schwerwiegender und folgenreicher ein Eingriff, desto strengere Maßstäbe sind anzulegen 4 Gefährliche ärztliche Eingriffe bei einwilligungsunfähigen Patienten: zusätzlich zur Zustimmung des Betreuers/Bevollmächtigten ist eine betreuungsgerichtliche Genehmigung erforderlich > Notfälle: Bei einwilligungsunfähigen Patienten, akuter und nicht anders abwendbarer Gefahr für Leben und Gesundheit des Patien-

6

3

Eigene Notizen

44 Kapitel 3 · Forensische Psychiatrie

Eigene Notizen

ten, d. h. wenn keine Zeit bleibt, die Entscheidung des Betreuers/ Bevollmächtigten/Gerichts abzuwarten, kann der Arzt auch ohne Einwilligung die aus seiner Sicht notwendigen und dem mutmaßlichen Willen des Patienten entsprechenden Maßnahmen lege artis durchführen (rechtfertigender Notstand).

3 3.1.3

Geschäftsunfähigkeit

4 Dem erwachsenen Menschen (ab Vollendung des 18. Lebensjahres) ist zunächst Geschäftsfähigkeit zu unterstellen 4 Geschäftsunfähigkeit muss mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit »bewiesen« werden, Zweifel reichen nicht aus 4 Geschäftsunfähig ist, wer 5 nicht das 7. Lebensjahr vollendet hat (Minderjährige über 7 Jahre sind beschränkt geschäftsfähig: Eingehen rechtlicher Verpflichtungen ist nur mit Zustimmung des gesetzlichen Vertreters möglich) 5 sich in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit befindet, sofern nicht der Zustand seiner Natur nach ein vorübergehender ist (d. h. nicht kurzfristige, nur länger andauernde schwere psychische Erkrankungen können zur Geschäftsunfähigkeit führen) 4 Willenserklärungen eines Geschäftsunfähigen sind nichtig (ebenso wie Willenserklärungen, die im Zustand der Bewusstseinstrübung oder nur vorübergehenden psychischen Störung abgegeben werden wie z. B. erhebliche Intoxikation oder Delir) 4 Häufige Gründe für Geschäftsunfähigkeit: Manien, Schizophrenien, hirnorganische Störungen wie Demenzen, schwere intellektuelle Minderbegabungen > Allein die Diagnose einer psychischen Erkrankung reicht für die Annahme von Geschäftsunfähigkeit nicht aus. Die Beeinträchtigungen aufgrund der Erkrankung müssen so schwer sein, dass der Patient die Bedeutung der von ihm abgegebenen Willenserklärungen nicht mehr erkennen oder nicht nach dieser Einsicht handeln kann.

4 Partielle Geschäftsunfähigkeit: Auswirkung einer psychischen Erkrankung nur auf einen bestimmten Lebensbereich (z. B. bei abgegrenztem Wahn) → Geschäftsunfähigkeit nur für diesen Bereich 4 Testierfähigkeit (Fähigkeit, eine letztwillige Verfügung rechtswirksam errichten, ändern oder aufheben zu können) und Ehefähigkeit (Möglichkeit, eine Ehe einzugehen): Sonderformen der Geschäftsfähigkeit (jeder Geschäftsfähige ist auch testier- und ehefähig) 5 Testier- sowie Eheunfähigkeit müssen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit positiv erwiesen sein (bloße Zweifel reichen nicht)

45 3.2 · Strafrecht

3.2

Strafrecht

3.2.1

Schuldfähigkeit

4 Schwere psychische Erkrankungen können die Schuldfähigkeit erheblich beeinträchtigen (§ 21 StGB) oder aufheben (§ 20 StGB) Definition § 20 StGB. Schuldunfähigkeit wegen seelischer Störungen: Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung oder wegen Schwachsinns oder einer schweren anderen seelischen Abartigkeit unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln. § 21 StGB. Verminderte Schuldfähigkeit: Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei der Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

4 Zweistufiges Vorgehen zur Beurteilung verminderter oder aufgehobener Schuldfähigkeit: 1. Beurteilung, ob zur Tatzeit eine schwere psychische Erkrankung vorlag, die sich einem der 4 Eingangsmerkmale des § 20 StGB (Strafgesetzbuch) zuordnen lässt: J Krankhafte seelische Störung (Störungen, bei denen – nach früherer Sichtweise – eine organische Ursache bekannt ist oder vermutet wird): hirnorganische psychische Erkrankungen (z. B. Demenzen), Intoxikationen/akuter Rausch durch psychotrope Substanzen oder Entzugssyndrome, schizophrene Störungen, affektive Störungen J Tiefgreifende Bewusstseinsstörung: Bewusstseinsveränderungen, die bei Gesunden auftreten können und die die psychische Funktionsfähigkeit massiv einengen wie hochgradige affektive Erregungszustände (bei sog. »Affektdelikten«) oder extreme Übermüdung J So genannter Schwachsinn: Intelligenzminderungen, die nicht auf nachweisbaren organischen Grundlagen beruhen J So genannte schwere andere seelische Abartigkeit: (noch) nicht biologisch definierbare »Restkategorie« mit Persönlichkeitsstörungen, sexuellen Verhaltensabweichungen, Abhängigkeiten von psychotropen Substanzen (wobei diese eigentlich den krankhaften seelischen Störungen zuzuordnen wären, da organische Ursachen inzwischen erwiesen sind), nicht-stoffgebundenen Süchten bzw. Impulskontrollstörungen, schweren Angst- und Zwangserkrankungen

3

Eigene Notizen

46 Kapitel 3 · Forensische Psychiatrie

Eigene Notizen

> Die 4 Eingangsmerkmale sind rein juristische Termini, die sich nicht mit der psychiatrischen Nomenklatur decken. Die verwendeten Begriffe sind historisch zu verstehen und im medizinischen Sinne teilweise obsolet (z. B. »Abartigkeit«).

3

2. Wenn (1.) zutreffend: Beurteilung, ob die Fähigkeit, das Unrecht der Tat einzusehen (Einsichtsfähigkeit) oder nach dieser Einsicht zu handeln (Steuerungsfähigkeit) durch die psychische Erkrankung aufgehoben oder erheblich vermindert war J Berücksichtigung äußerer (z. B. Erscheinungsbild des Täters) und innerer (z. B. Vorgehensweise) Kennzeichen des Tatgeschehens J Bewertung von Schweregrad und Akuität der Erkrankung und der Symptome zum Tatzeitpunkt J Beurteilung des Schweregrades orientiert sich am klinischen Bild (Psychopathologie) der »krankhaften seelischen Störung« und der durch sie bewirkten Minderung oder Aufhebung von Einsichts- und Steuerungsfähigkeit > Beurteilungsmaßstab der Schuldunfähigkeit: die in einer akuten Psychose begangene und psychotisch motivierte Tat.

3.3

Unterbringungsrecht

4 Artikel 2 Grundgesetz (GG): Handlungsfreiheit, Freiheit der Person 4 Beschneidung dieser Rechte nur durch richterlichen Beschluss möglich 4 3 Formen der richterlich angeordneten Unterbringung bei psychisch Kranken 5 Unterbringung nach Länderrecht: Gesetz für psychisch Kranke (PsychKG)/Unterbringungsgesetze der Länder (UBG) 5 Unterbringung nach Betreuungsrecht (Zivilrecht) 5 Maßregelvollzug bei psychisch kranken Straftätern > In jedem Fall bedarf es eines richterlichen Beschlusses über die Anordnung der Unterbringung.

3.3.1

Unterbringung nach Länderrecht (PsychKG, UBG)

4 Gesetzliche Bestimmungen variieren in den unterschiedlichen Bundesländern 4 Unterbringung kann sowohl zum Schutz und Wohl des Patienten als auch zum Schutz der Allgemeinheit bzw. »bedeutsamer Rechtsgüter anderer« erfolgen 4 Voraussetzungen 5 Konkrete, unmittelbare Selbst- und/oder Fremdgefährdung, die auf eine psychische Erkrankung zurückzuführen ist

47 3.3 · Unterbringungsrecht

> Allein fehlende Krankheits- und/oder Behandlungseinsicht rechtfertigen keine Unterbringung!

5 Nichtabwendbarkeit der Gefährdung durch andere, weniger einschneidende Maßnahmen (Unterbringung immer ultima ratio!) 5 Eingriff in die persönliche Freiheit darf nicht außer Verhältnis stehen zur Schutzwürdigkeit der vom Patienten gefährdeten Rechtsgüter anderer 4 In den meisten Bundesländern hat der Untergebrachte eine Duldungspflicht hinsichtlich einer Behandlung, die der Wiederherstellung seiner Gesundheit dient, sofern sie nicht mit einer Gefahr für sein Leben oder seine Gesundheit verbunden ist oder zu einer gravierenden Persönlichkeitsveränderung führt 4 Häufige Diagnosen bei Einweisung: schizophrene oder manische Störungen, Substanzabhängigkeiten und organische psychische Erkrankungen 4 3 Stufen des Unterbringungsverfahrens 5 Einleitung der Unterbringung durch die örtliche Verwaltungsbehörde (variiert je nach Bundesland, i. d. R. Ordnungsamt, Polizei, Gesundheitsamt) unter Beifügung eines ärztlichen Zeugnisses beim Amtsgericht 5 Psychiatrischer Sachverständiger nimmt zu den Voraussetzungen der Unterbringung Stellung (psychiatrisches Gutachten) 5 Richter entscheidet nach persönlicher Anhörung des Betroffenen über die Unterbringung (persönliche Anhörung kann dann unterbleiben – (extrem selten) –, wenn dadurch eine Verschlechterung des psychischen Zustandes des Patienten befürchtet wird) Sofortige/vorläufige Unterbringung nach PsychKG/UBG Voraussetzungen

4 Vorliegen eines ärztlichen Zeugnisses 4 Unverzügliche Meldung an das Amtsgericht 4 Anordnung einer vorläufigen Unterbringung von begrenzter Dauer durch den Amtsrichter 5 nach Anhörung des Betroffenen und Stellungnahme eines psychiatrischen Sachverständigen 5 meist innerhalb von 24 h nach Einweisung (Zeitangabe variiert nach Bundesländern)

3.3.2

Zivilrechtliche/betreuungsrechtliche Unterbringung (§ 1906 BGB)

4 Ausschließlich zum Schutz und Wohl des Patienten (zur Abwendung von Eigengefährdung und Sicherstellung einer medizinisch notwendigen Behandlung; nicht zum Schutz Dritter) 4 Voraussetzungen 5 Gefahr der Selbsttötung oder »erheblichen gesundheitlichen Schädigung aufgrund einer psychischen Erkrankung oder geistigen oder seelischen Behinderung« oder

3

Eigene Notizen

48 Kapitel 3 · Forensische Psychiatrie

Eigene Notizen

3

5 die Unterbringung ist zur Durchführung einer notwendigen Untersuchung, Heilbehandlung oder eines notwendigen ärztlichen Eingriffs erforderlich, und der Patient kann aufgrund seiner Erkrankung die Notwendigkeit der Unterbringung nicht erkennen oder nicht nach dieser Einsicht handeln 5 Betreuer mit dem Aufgabenkreis »Aufenthaltsbestimmung« ist bestellt (oder es gibt einen entsprechenden Bevollmächtigten), der die Unterbringung beantragt (ansonsten: Einrichtung einer Eilbetreuung oder das Betreuungsgericht selbst kann im Rahmen einer »einstweiligen Maßregel« die Unterbringung verfügen) 5 Genehmigung der Unterbringung durch das Betreuungsgericht (kann unverzüglich nachgeholt werden, wenn mit dem Aufschub der Unterbringung eine Gefahr für Gesundheit und Leben des Betroffenen droht) 4 Unterbringungsähnliche Maßnahmen (Fixierungen, Bettgitter, sedierende und primär auf die Ruhigstellung des Patienten ausgerichtete Medikamente) sind unter denselben Voraussetzungen zulässig wie die Unterbringung 5 Richterlich genehmigungspflichtig, wenn sie über einen längeren Zeitraum oder regelmäßig erfolgen > Die Freiräume des Patienten und die Flexibilität der Behandlung sind bei der zivilrechtlichen im Vergleich zur landesrechtlichen Unterbringung größer. Der zeitliche Aufwand für die Einrichtung einer Betreuung ist jedoch höher.

3.3.3

Freiheitsentziehende Maßregeln der Besserung und Sicherung

4 Bei psychisch kranken Straftätern 4 Zur Behandlung und Wiedereingliederung des Täters und zum Schutz der Allgemeinheit 4 Anordnung von Maßregeln nach dem Verhältnismäßigkeitengrundsatz: sie sind nur zulässig, wenn das Interesse der Allgemeinheit im konkreten Fall schwerer wiegt als die Freiheitsbeschränkung für den Betroffenen und weniger einschneidende Maßnahmen nicht ausreichen 4 Unterbringung gem. § 63 StGB: Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (zunächst unbefristet, Dauer auf bestehende Gefährlichkeit begrenzt); Voraussetzungen 5 Vorliegen von Schuldunfähigkeit (§ 20 StGB) oder verminderter Schuldfähigkeit (§ 21 StGB) 5 Fortbestehende Gefährlichkeit aufgrund der psychischen Erkrankung (negative Kriminalprognose) 4 Für suchtkranke Rechtsbrecher Unterbringung gem. § 64 StGB: Unterbringung in einer Entziehungsanstalt, d. h. einer psychiatrisch-psychotherapeutischen, auf Suchtmedizin spezialisierten Klinik (i. d. R. maximal 2 Jahre); Voraussetzungen:

49 3.4 · Sozialrecht

5 Hang, alkoholische oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen 5 Straftat geht auf diesen Hang zurück oder wurde im Rausch begangen 5 Fortbestehende Gefahr für weitere rechtswidrige Taten infolge des Hanges 5 Behandlungsfähigkeit 4 Ist eine Maßregel nach § 63 oder § 64 StGB wahrscheinlich, kann – ausschließlich zum Schutz der Gemeinschaft – eine einstweilige Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gem. § 126a StPO (Strafprozessordnung) erfolgen 4 Unterbringung gem. § 66 StGB: Sicherungsverwahrung (unbefristet) 5 Zum Schutz der Allgemeinheit vor gefährlichen »Hangtätern« (Tätern mit gegebenem Hang zu erheblichen vorsätzlichen Straftaten und fortbestehender Gefährlichkeit) 5 Kann zusätzlich zu einer Freiheitsstrafe angeordnet werden 5 Kommt bei Schuldfähigen und vermindert Schuldfähigen in Betracht 5 Eine psychische Erkrankung ist für die Sicherungsverwahrung nicht Voraussetzung 5 Wird i. d. R. mit Fällung des Urteils verhängt, kann aber auch nachträglich angeordnet werden

3.4

Sozialrecht

3.4.1

Erwerbsminderung

4 Begriff in der gesetzlichen Rentenversicherung 4 Teilweise Erwerbsminderung: aufgrund Krankheit oder Behinderung auf

4

4

4 4

nicht absehbare Zeit außerstande, mindestens 6 h täglich erwerbstätig zu sein Volle Erwerbsminderung: wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande, mindestens 3 h täglich erwerbstätig zu sein Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung bei Vorliegen einer psychischen Erkrankung, die die Arbeits- und Erwerbsfähigkeit in erheblichem Maße in einer vom Betroffenen selbst nicht zu überwindenden Weise hemmt Zugrunde gelegt werden alle denkbaren Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt – unabhängig von Ausbildung und vorherigem Beruf Besonders relevante psychische Erkrankungen, wobei eine Erwerbsminderung durch die genannten Erkrankungen keineswegs zwangsläufig ist 5 Depressive Störungen 5 Schizophrene Störungen 5 Suchterkrankungen 5 Dissoziative Störungen (Konversionsstörungen)

3

Eigene Notizen

50 Kapitel 3 · Forensische Psychiatrie

Eigene Notizen

5 Somatoforme Störungen, Schmerzstörungen 5 Angst- und Zwangsstörungen 4 Zu achten ist insbesondere auf die Gefahr von Simulation und Aggravation

3

Definition Simulation: bewusstes Vortäuschen nicht vorhandener somatischer oder psychischer Krankheitssymptome bzw. ihre absichtliche Herbeiführung. Aggravation: bewusst übertriebenes Betonen vorhandener Krankheitssymptome.

3.4.2

Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE)

4 Begriff in der gesetzlichen Unfallversicherung und im sozialen Entschädigungsrecht 4 Ausdruck des Ausmaßes der verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens, das sich aus den unfall- oder schädigungsbedingten körperlichen und psychischen Beeinträchtigungen des Leistungsvermögens ergibt 4 Angabe in Prozentsätzen, die grundsätzlich durch 10 teilbar sein sollten und in »Vomhundertsätzen« angegeben werden

3.5

Fahreignung und Fahrtüchtigkeit

4 Mögliche Aufhebung von Fahreignung und Fahrtüchtigkeit durch psychische Erkrankungen, zentral wirksame Arzneimittel oder Konsum anderer psychotroper Substanzen Definition Fahrtüchtigkeit: Fähigkeit zum Führen eines Fahrzeugs zu einem konkreten Zeitpunkt.

4 Fahruntüchtigkeit muss auf den Konsum berauschender Mittel und/ oder auf sog. körperliche oder geistige Mängel zurückzuführen sein 4 Beurteilung von Fahrtüchtigkeit meist im Rahmen von Verkehrsdelikten Definition Fahreignung: generelle, nicht auf eine bestimmte Situation bezogene Fähigkeit einer Person zum Führen von Fahrzeugen.

51 3.5 · Fahreignung und Fahrtüchtigkeit

4 Voraussetzungen der Fahreignung: Erfüllung der erforderlichen kognitiv-emotionalen Anforderungen, kein wiederholter oder erheblicher Verstoß gegen das Straßenverkehrsrecht oder das Strafgesetz 4 Nicht geeignet zum Führen eines Fahrzeugs sind Personen mit 5 Schweren demenziellen Erkrankungen 5 Akuten psychischen Erkrankungen mit Realitätsverkennung 5 Persönlichkeitsstörungen oder -akzentuierungen mit hoher Impulsivität (insbesondere schwere dissoziale oder emotional instabile Persönlichkeitsstörung) 5 Schweren Intelligenzminderungen (bei einem Intelligenzquotienten von unter 70 ist die Fahreignung zu überprüfen) 5 Missbräuchlichem Konsum psychotroper Substanzen

3

Eigene Notizen

4 Tag 2 – Therapie

4

Psychopharmakotherapie

4.1

Antidepressiva – 56

4.1.1 4.1.2 4.1.3 4.1.4 4.1.5 4.1.6 4.1.7 4.1.8 4.1.9 4.1.10

Tri-/tetrazyklische Antidepressiva – 57 Monoaminoxidase-Inhibitoren (MAO-Hemmer) – 58 Selektive Serotonin-Rückaufnahme-Inhibitoren (SSRI) – 59 Selektive Noradrenalin-Rückaufnahme-Inhibitoren (SNRI) – 60 Selektive Serotonin- und Noradrenalin-Rückaufnahme-Inhibitoren (SSNRI) – 60 Alpha-2-Antagonisten – 61 Noradrenalin-Dopamin-Rückaufnahme-Inhibitoren (NDRI) – 61 Johanniskraut-Extrakte (Phytopharmaka) – 61 Wirksamkeit der Antidepressiva – 62 Kontraindikationen für Antidepressiva – 62

4.2

Phasenprophylaktika (Stimmungsstabilisierer) – 62

4.2.1 4.2.2 4.2.3 4.2.4

Lithium – 63 Carbamazepin – 64 Valproinsäure (Valproat) – 65 Lamotrigin – 66

4.3

Antipsychotika – 66

4.3.1 4.3.2 4.3.3 4.3.4 4.3.5

Konventionelle Antipsychotika – 67 Atypische Antipsychotika – 68 Nebenwirkungen der Antipsychotika – 69 Kontraindikationen für Antipsychotika – 72 Depot-Antipsychotika – 72

4.4

Benzodiazepine – 73

4.5

Nichtbenzodiazepin-Hypnotika – 74

4.6

Nichtbenzodiazepin-Anxiolytika – 75

4.7

Antidementiva (Nootropika) – 75

4.7.1 4.7.2

Acetylcholinesterase-Hemmer – 75 Glutamatmodulatoren – 75

4.8

Stimulanzien – 76

4.8.1 4.8.2

Methylphenidat – 76 Modafinil – 77

4.9

Allgemeine Psychopharmakotherapie im Alter – 77

4.10

Psychopharmakainduzierte Notfälle – 78

4.10.1 4.10.2 4.10.3 4.10.4

Malignes neuroleptisches Syndrom – 78 Akute Dystonien/Frühdyskinesien – 78 Zentrales Serotoninsyndrom – 79 Zentrales anticholinerges Syndrom – 79

55 4 · Psychopharmakotherapie

Definition Psychopharmaka = ZNS-wirksame Substanzen, die primär zur Behandlung psychischer Erkrankungen und Symptome eingesetzt werden.

4 Einteilung der Psychopharmaka hinsichtlich des hauptsächlichen Wirksamkeitsspektrums in 5 Antidepressiva 5 Antipsychotika (früher: Neuroleptika) 5 Anxiolytika (angst- und spannungslösende Substanzen; wichtigste Gruppe: Benzodiazepine) 5 Hypnotika (schlaffördernde, -induzierende Substanzen; v. a. Benzodiazepinhypnotika und Nicht-Benzodiazepinhypnotika) 5 Antidementiva 5 Phasenprophylaktika 5 Stimulanzien 4 Rückführung spezifischer klinischer Wirkungen auf ein umschriebenes molekulares Wirkprinzip nur selten möglich 4 Rückführbarkeit der Nebenwirkungen auf die Beeinflussung spezifischer Neurotransmitter dagegen gut möglich 5 Blockade cholinerger M1-Rezeptoren → Mundtrockenheit, Miktionsstörungen, Obstipation, Sehstörungen (Akkomodationsstörungen), Steigerung des Augeninnendrucks, Sinustachykardie, (Prä-)Delir, Gedächtnisstörungen 5 Blockade histaminerger H1-Rezeptoren → Müdigkeit, Sedierung, Gewichtszunahme, Verschlechterung der Kognition 5 Blockade adrenerger α1-Rezeptoren → orthostatische Hypotonie, Schwindel, reflektorische Tachykardien, Sedierung, verstärktes Schwitzen 5 Blockade dopaminerger D2-Rezeptoren → Extrapyramidalmotorische Störungen, Prolaktinanstieg, sexuelle Appetenzstörungen 5 Blockade serotonerger 5HT2-Rezeptoren → Sedierung, Gewichtszunahme (5HT2C) 5 Agonistische Wirkung an Serotonin-Rezeptoren → Gewichtsreduktion, Übelkeit, Diarrhö, Tremor, Unruhe, Agitiertheit, Angst, Depressiogenität, Insomnie, Kopfschmerzen, Schwindel, Dysphorie, verstärktes Schwitzen, (häufig persistierende) sexuelle Funktionsstörungen 5 Agonistische Wirkungen an Noradrenalin-Rezeptoren → Tremor, Unruhe, Tachykardie, Kopfschmerzen, Miktionsstörungen, verstärktes Schwitzen, Mundtrockenheit 5 Agonistische Wirkung an dopaminergen D2-Rezeptoren → Übelkeit 5 Agonistische Wirkung an GABAA-Rezeptoren → Sedierung, Muskelschwäche 4 Wechselwirkungen 5 Verstoffwechselung der meisten Psychopharmaka über CytochromP450-Subsysteme (Phase-I-Enzyme des Arzneimittelmetabolis-

4

Eigene Notizen

56 Kapitel 4 · Psychopharmakotherapie

mus) → mögliche pharmakokinetische Interaktionen mit Substanzen, die als Enzyminduktoren und -inhibitoren über die Cytochromoxidase P450 wirken 5 Aber auch Interaktionen in Bezug auf den Phase-II-Metabolismus können entscheidend sein (z. B. bei Lamotrigin)

Eigene Notizen

4

> Bei 5–10% der kaukasischen Bevölkerung fehlt eine CYP450-Unterart (Isoenzym 2D6) aufgrund einer Genvariante → verlangsamte Elimination (»low metaboliser«) der über dieses Enzym verstoffwechselten Arzneimittel → sehr hoher Plasmaspiegel schon bei üblichen Dosierungen. Umgekehrt kommt es bei CYP450-Insoenzym-Duplizierung zu einer abnorm hohen Metabolisierungsrate (»high metaboliser«).

4.1

Antidepressiva

4 Substanzen, die stimmungsaufhellend und/oder in unterschiedlichem Maße antriebssteigernd oder psychomotorisch dämpfend sowie anxiolytisch wirken 4 Keine Abhängigkeits- oder Toleranzentwicklung 4 Einteilung 5 Tri- und tetrazyklische Antidepressiva (TZA) 5 Irreversible und reversible Monoaminoxidase-Hemmer (MAOHemmer) 5 Selektive Serotonin-Rückaufnahme-Inhibitoren (SSRI) 5 Selektive Noradrenalin-Rückaufnahme-Inhibitoren (SNRI) 5 Selektive Serotonin- und Noradrenalin-Rückaufnahme-Inhibitoren (SSNRI) 5 Noradrenalin-Dopamin-Rückaufnahmeinhibitoren (NDRI) 5 α2-Antagonisten (noradrenerge und spezifisch serotonerge Antidepressiva = NaSSA) 5 Phytotherapeutika (v. a. Johanniskrautextrakt) 4 Hauptindikation: depressive Erkrankungen 4 Zusatzindikationen für viele andere psychische Erkrankungen (→ breites Indikationsgebiet), z. B. 5 Angststörungen (v. a. SSRI, MAO-Hemmer) 5 Zwangsstörungen (v. a. SSRI) 5 Posttraumatische Belastungsstörung (v. a. SSRI) 5 Bulimische Essstörungen (einige SSRI) 5 Chronische Schmerzsyndrome (v. a. das TZA Amitriptylin) 5 Schlafstörungen (v. a. sedierende TZA wie Amitriptylin, Doxepin, Trimipramin) 5 Entzugssyndrome (v. a. das TZA Doxepin) 5 ADHS (der SNRI Atomoxetin)

57 4.1 · Antidepressiva

> Zu beachten: bei allen Antidepressiva Wirklatenz (Wirkungseintritt nach 2–4 Wochen); sedierende oder antriebssteigernde Wirkungen sowie anxiogene und depressiogene Nebenwirkungen treten allerdings sofort ein. → Insbesondere zu Therapiebeginn können Patienten trotz der Antidepressiva stark suizidgefährdet sein, z. B. bei wiederhergestelltem Antrieb aber noch tief depressiver Stimmung (Suizidgefährdung aber grundsätzlich in jedem Stadium der Erkrankung!).

4.1.1

Tri-/tetrazyklische Antidepressiva

4 Präparate: z. B. Amitriptylin, Clomipramin, Desipramin, Doxepin, Imipramin, Maprotilen, Mianserin, Trimipramin, Nortriptylin 4 Gemeinsame Einteilung aufgrund gemeinsamer Tri-oder TetrazyklusStruktur mit zentralem siebengliedrigem Ring (im Gegensatz zu den Antipsychotika mit sechsgliedrigem Ring) 4 In der Summe hohe antidepressive Wirksamkeit, wenn im richtigen Plasmaspiegel 4 Historische Einteilung nach Kielholz in 5 Eher sedierende Antidepressiva vom Amitriptylin-Typ: neben Amitriptylin z. B. Doxepin, Trimipramin, Mianserin 5 Eher antriebssteigernde Antidepressiva vom Desipramin-Typ: neben Desipramin z. B. Nortriptylin 5 Antidepressiva vom Imipramin-Typ (nehmen eine Mittelstellung ein) 4 Hauptwirkmechanismus über Rückaufnahmehemmung von Serotonin und/oder Noradrenalin aus dem synaptischen Spalt 4 Zusätzlich gleichzeitige Wirkungen an diversen anderen Rezeptoren (α1-, H1-, M1-Rezeptorantagonismus) → nicht-selektive Wirkung 4 Aufgrund der Nonselektivität großes Nebenwirkungsspektrum (mehr Nebenwirkungen als andere Antidepressiva, mehr nebenwirkungsbezogene Therapieabbrüche → nicht Mittel der 1. Wahl bei der Behandlung depressiver Störungen) 5 Viele Nebenwirkungen zu Therapiebeginn (Eindosierungseffekte) → einschleichend dosieren! 5 Seltener Nebenwirkungen bei abruptem Therapieabbruch (Absetzphänomene): v. a. Übelkeit, Erbrechen, Schwindel, innere Unruhe, Schlafstörungen, Niedergeschlagenheit, grippeähnliche Symptome 4 Allgemeine Nebenwirkungen der TZA 5 Vor allem anticholinerge Nebenwirkungen durch Blockade muskarinischer Acetylcholinrezeptoren (z. B. Mundtrockenheit, Obstipation, Miktionsstörungen, Tachykardie) 5 ! Cave Gefahr anticholinerger Delirien, v. a. bei älteren Patienten und zerebraler Vorschädigung → möglichst keine Kombination mit anderen anticholinergen Substanzen sowie kein Einsatz bei dementen oder älteren Patienten!

4

Eigene Notizen

58 Kapitel 4 · Psychopharmakotherapie

Eigene Notizen

4

5 Antihistaminerge Nebenwirkungen durch Blockade von Histamin(H1)-Rezeptoren (v. a. Sedierung, Gewichtszunahme) 5 Antiadrenerge Nebenwirkungen durch Blockade adrenerger α1-Rezeptoren (z. B. orthostatische Hypotonie, verstärktes Schwitzen, Palpitationen) 5 Noradrenerge Nebenwirkungen durch Wiederaufnahmehemmung von Noradrenalin (Tremor, Unruhe, Tachykardie, Kopfschmerzen, Miktionsstörungen, verstärktes Schwitzen, Mundtrockenheit) 5 Serotonerge Nebenwirkungen durch Wiederaufnahmehemmung von Serotonin (z. B. Übelkeit, Erbrechen, Unruhe, Schlafstörungen, sexuelle Funktionsstörungen) 5 ! Cave Aufgrund der serotonergen Wirkung Gefahr des Serotoninsyndroms (7 Kap. 4.10.3) bei Kombination mit anderen serotoninagonistischen Substanzen! 5 Weitere Nebenwirkungen: Verlangsamung der kardialen Erregungsleitung (Verlängerung von PR- und QT-Intervallen), allergische Exantheme, selten Krampfanfälle durch Senkung der Krampfschwelle 5 ! Cave bei Überdosierung (auch in suizidaler Absicht) Kardiotoxizität! ! Therapeutisches Drug-Monitoring (Plasmaspiegelbestimmungen) zur Optimierung der Wirkungs- und Nebenwirkungs-Beziehungen und regelmäßige Kontrolluntersuchungen wie EKG, EEG, Pulsund Blutdruckmessung sowie Bestimmung laborchemischer Parameter sind durchzuführen. 4.1.2

Monoaminoxidase-Inhibitoren (MAO-Hemmer)

4 Hemmung der Monoaminoxidase → höhere Aminkonzentration im Zytosol 4 2 Isoenzyme der MAO 5 MAO-A: Hauptsubstrate sind Adrenalin, Noradrenalin, Serotonin; zusätzlich Dopamin, Tryptamin 5 MAO-B: Hauptsubstrate sind Phenethylamin, Tyramine, Benzylamin; zusätzlich Dopamin, Tryptamin 4 Präparate 5 Tranylcypromin: nicht-selektiver (inhibiert MAO-A und MAO-B) und irreversibel bindender MAO-Hemmer (Hemmung klingt erst nach 7–10 Tagen ab) 5 Moclobemid: selektiver (inhibiert nur MAO-A) und reversibel bindender MAO-Hemmer (beendet seine Wirkung nach 12–24 h) 4 Relativ starke antriebssteigernde Wirkung 4 Gute Wirksamkeit bei Depressionen, insbesondere atypischen Depressionen 4 Häufige Nebenwirkungen von Tranylcypromin (meist als Eindosierungseffekte) 5 Innere Unruhe, Bewegungsdrang, Schlaflosigkeit 5 Orthostatische Hypotonie (→ Sturzgefahr)

59 4.1 · Antidepressiva

5 5 5 5 5 5 5

Übelkeit Kopfschmerzen Schwindel Verstärktes Schwitzen Palpitationen Tremor Gefahr des Serotoninsyndroms, wenn kombiniert mit serotonergen Substanzen (s. unten) 4 Bei Einnahme von Tranylcypromin tyraminarme Diät notwendig (wegen Gefahr hypertensiver Krisen und zerebraler Blutungen; Tyramin = indirektes Sympathomimetikum): Verzicht auf: 5 Viele Käsesorten (»Käseeffekt«) 5 Rotwein und viele andere alkoholische Getränke 5 Bitterschokolade u. v. m. > Irreversibler MAO-Hemmer Tranylcypromin ist nur »Reserve-Antidepressivum« bei Therapieresistenz.

4 Günstigeres Nebenwirkungsprofil von Moclobemid 5 Häufigste Nebenwirkungen: Übelkeit, Unruhe 5 Spezifische tyraminarme Diät i. d. R. nicht notwendig 4 Bei Kombination von MAO-Hemmern mit proserotonergen Substanzen (z. B. SSRI, Clomipramin) Gefahr des Serotoninsyndroms (7 Kap. 4.10.3) (gilt v. a. für Tranylcypromin) 5 Kombination vermeiden, insbesondere auch mit Tryptophan-Präparaten (nicht verschreibungspflichtig) 5 Bei Umstellung eines MAO-Hemmers auf eine andere proserotonerge Substanz (SSRI, TZA) und umgekehrt sind Sicherheits-/ Karenzabstände zu beachten 5 Absetzen des irreversiblen MAO-Hemmers mindestens 2 Wochen vor Therapiebeginn mit einem anderen überwiegenden oder selektiven Serotoninrückaufnahmehemmer

4.1.3

Selektive Serotonin-Rückaufnahme-Inhibitoren (SSRI)

4 Präparate: z. B. Citalopram, Escitalopram, Fluoxetin, Fluvoxamin, Paroxetin, Sertralin 4 Wirkmechanismus: selektive Blockade des Serotonintransporters 4 Eher antriebssteigernde Wirkung 4 Breites Indikationsgebiet: depressive Störungen, Angst- und Zwangsstörungen, Bulimie (Fluoxetin), posttraumatische Belastungsstörung 4 Relativ günstiges Nebenwirkungsprofil 5 Viele Nebenwirkungen meist nur vorübergehend und zu Therapiebeginn (v. a. Übelkeit und Erbrechen sowie innere Unruhe) 5 Selten Absetzphänomene: Übelkeit, Erbrechen, Schwindel, innere Unruhe, Schlafstörungen, Niedergeschlagenheit, grippeähnliche Symptome

4

Eigene Notizen

60 Kapitel 4 · Psychopharmakotherapie

Eigene Notizen

4

5 Keine nennenswerten anticholinergen, sedierenden und kardialen Nebenwirkungen durch Begleitwirkungen an anderen Rezeptoren 4 Wesentliche Nebenwirkungen der SSRI 5 Übelkeit, Erbrechen 5 Darmmotilitätsstörungen 5 Unruhe 5 Angst, depressiogene Effekte 5 Schlafstörungen 5 Kopfschmerzen 5 Sexuelle Funktionsstörungen 5 Selten Serotoninsyndrom (7 Kap. 4.10.3) bei Kombination mit anderen serotoninagonistischen Substanzen 5 ! Cave Kombination mit Monoaminoxidasehemmern, anderen Serotonin-Rückaufnahme-Hemmern, L-Tryptophan und Triptanen (Migränemittel) vermeiden! 5 Bei Patienten Viele Wechselwirkungen durch CYP3A4-induzierende Wirkung (Wirkungsverminderung u. a. von oralen Antikoagulanzien, Kontrazeptiva, Antikonvulsiva). Wichtige Nebenwirkung: mögliche Photosensibilisierung. Wegen fehlender Wirksamkeit bei schweren Depressionen und vielen Wechselwirkungen nicht Mittel 1. Wahl bei der Behandlung depressiver Störungen. 4.1.9

Wirksamkeit der Antidepressiva

4 Nicht bei jedem Patienten wirken Antidepressiva entsprechend der Indikation, es gibt zahlreiche Non-Responder (wie auch bei jeder Psychotherapie!) 4 Grundsätzlich sollte immer eine Pharmakotherapie mit einer Psychotherapie verbunden sein; bei leichten und mittelschweren Depressionen kann auch eine alleinige Psychotherapie indiziert sein 4.1.10

Kontraindikationen für Antidepressiva

4 Überempfindlichkeiten gegen den Wirkstoff oder weitere Bestandteile 4 Akute Intoxikationen mit Alkohol, Analgetika, Schlafmitteln und anderen Psychopharmaka 4 Akute Manien 4 Schwere Leber- und Nierenerkrankungen 4 Weitere Kontraindikationen speziell für TZA 5 Kardiale Reizleitungsstörungen 5 Zerebrale Krampfanfälle 5 Engwinkelglaukom 5 Ileusrisiko 5 Prostatahypertrophie, Harnverhalt 5 Akute Delirien 5 Demenz 5 Hohes Lebensalter 4 Weitere Kontraindikationen speziell für MAO-Hemmer 5 Phäochromozytom 5 Entgleiste Schilddrüsenerkrankungen (Thyreotoxikose)

4.2

Phasenprophylaktika (Stimmungsstabilisierer)

4 Substanzen primär zur Stimmungsstabilisierung und Prophylaxe depressiver und/oder manischer Stimmungsschwankungen im Rahmen affektiver und schizoaffektiver Störungen 5 Lithiumsalze 5 Antikonvulsiva: Valproinsäure, Carbamazepin, Lamotrigin 5 Atypische Antipsychotika: Olanzapin, Aripiprazol 4 Keine Abhängigkeitsentwicklung von Phasenprophylaktika

63 4.2 · Phasenprophylaktika (Stimmungsstabilisierer)

4.2.1

Lithium

4 Alkalimetall, kommt in verschiedenen Salzen zur Anwendung 4 Wirkungsmechanismen nicht vollständig geklärt (u. a. Wirkung auf second-messenger-Systeme, z. B. Inositol-reduzierender Effekt) 4 Einsatz als Phasenprophylaktikum bei bipolarer Störung oder zur Behandlung einer akuten manischen Episode 5 Notwendige Plasmakonzentrationen für den Einsatz als Phasenprophylaktikum: 0,6–0,8 mmol/l 5 Notwendige Plasmakonzentrationen zur Behandlung der akuten Manie: 0,9–1,1 mmol/l J Antimanische Wirkung meist nach 1-bis 2-wöchiger Wirklatenz > Überdosierungsphänomene schon ab 1,5 mmol/l oder früher. Ab 2,5 mmol/l schwere Intoxikationen.

4 Einsatz von Lithium auch zur Behandlung depressiver Episoden im Rahmen einer Augmentationstherapie (antisuizidaler Effekt von Lithium), aber auch als Monotherapie bei bipolaren Depressionen 4 Sediert nur wenig, verursacht wenige vegetative Nebenwirkungen 4 Wichtige Nebenwirkungen 5 Feinschlägiger Tremor 5 Kognitive Störungen 5 Muskelschwäche 5 Polyurie, Polydipsie 5 Nierenfunktionsstörungen 5 Gewichtszunahme, Ödeme 5 Diarrhö, Übelkeit, Völlegefühl, Appetitverlust 5 Euthyreote Struma, TSH-Anstieg, Hypothyreose 5 Leukozytose 5 Sehr selten Arrhythmie 4 Regelmäßig sind laborchemische Kontrolluntersuchungen (v. a. der Schilddrüsen- und Nierenfunktion), EKG- und EEG-Kontrollen vor und während Lithiumtherapie durchzuführen 4 Schmale therapeutische Breite → es kann schnell zur Intoxikation kommen! → unbedingt therapeutisches Drug-monitoring 5 Bei Blutentnahme zur Serumspiegelkontrolle muss ein bestimmter zeitlicher Abstand zum letzten Lithiumeinnahmezeitpunkt eingehalten werden (ca. 12 h nach letzter Einnahme) 4 Intoxikationssymptome 5 Übelkeit, Erbrechen, Diarrhö 5 Bei hoher Konzentration grobschlägiger Tremor 5 Dysarthrie (verwaschene Sprache), Ataxie 5 Schwindel 5 Schläfrigkeit, Vigilanzminderung 5 Psychomotorische Verlangsamung 5 Später: Rigor, Faszikulation, Reflexsteigerungen, zerebrale Krampfanfälle, Bewusstseinsminderung bis hin zum Koma, Schock, HerzKreislauf-Versagen

4

Eigene Notizen

64 Kapitel 4 · Psychopharmakotherapie

Eigene Notizen

4

4 Bei Intoxikationsverdacht: Lithium sofort absetzen ( ! Cave Nach plötzlichem Absetzen kann es zur Provokation einer manischen oder depressiven Phase kommen.) 4 Ursachen für Lithiumintoxikation 5 Überdosierung (Dosierfehler, Suizidversuche) 5 Starkes Schwitzen, Flüssigkeitsverluste (Diarrhö) 5 Salzarme Diät 5 Einnahme von Natriuretika 5 Nierenfunktionsstörung 5 Anästhesiebehandlungen (wegen möglicher Veränderungen des Wasser-/Elektrolythaushalts) 5 Einnahme von Antiphlogistika und ACE-Hemmern (dadurch Verminderung der renalen Lithium-Clearance) > Gute Nierenfunktion sowie ausreichende Salz- und Flüssigkeitszufuhr sind Voraussetzungen für eine Behandlung mit Lithium.

4 Kontraindikationen 5 Schwere Störungen des Wasser- und Elektrolythaushalts, schwere Nierenfunktionsstörungen 5 Schwere Herz-Kreislauf-Erkrankungen 5 M. Addison (Nebennierenrindeninsuffizienz) 5 M. Parkinson 5 Myeloische Leukämie 5 Hypothyreose 5 Myasthenia gravis (krankhafte belastungsabängige Muskelschwäche) 5 Zerebrale Krampfbereitschaft 5 Elektrokrampftherapie 5 Psoriasis (Lithium als Auslöser eines Psoriasis-Schubes) 4 Teratogene Wirkung von Lithiumionen (v. a. bezüglich kardiovaskulärer Fehlbildungen)

4.2.2

Carbamazepin

4 Wirkungsmechanismen nicht vollständig geklärt (u. a. Blockierung spannungsabhängiger Natriumkanäle) 4 Indikationen: Rezidivprophylaxe bei bipolarer Störung (wenn Lithium nicht wirkt oder kontraindiziert ist), Anfallsprophylaxe bei stationär behandeltem Alkoholentzugssyndrom; nachgewiesene antimanische Wirkung 4 Insgesamt relativ hohe Rate an Nebenwirkungen, Komplikationen und Wechselwirkungen, insbesondere 5 Sedierung, Somnolenz 5 Schwindel 5 Ataxie 5 Allergische Hautreaktionen 5 Funktionelle Erhöhung der Leberenzyme 5 Appetitlosigkeit

65 4.2 · Phasenprophylaktika (Stimmungsstabilisierer)

5 5 5 5 5 5 5 5

Mundtrockenheit Übelkeit Hyponatriämien (Vorsicht mit Natriuretika und SSRI) Blutbildveränderungen (sehr selten aplastische Anämie, Agranulozytose) Erhöhtes Thromboserisiko Bei Risikopatienten: arrhythmogenes Potenzial; AV-Blockierungen Erhöhtes Risiko eines Serotoninsyndroms in Kombination mit SSRI Hohe Teratogenität

> Relativ hohes Wechselwirkungspotenzial wegen CYP3A4-induzierender Wirkung.

4 Absolute Kontraindikationen 5 Bekannte Überempfindlichkeit gegenüber TZA (insbesondere Imipramin wegen struktureller Ähnlichkeit) 5 AV-Block 5 Aktuelle oder vorangegangene relevante Knochenmarksschädigung 5 Akute intermittierende Porphyrie 5 Therapie mit irreversiblem MAO-Hemmer (zeitliche Fristen beachten)

4.2.3

Valproinsäure (Valproat)

4 Wirkung auf verschiedene Neurotransmitter und second-messengerSysteme 4 Antiepileptische, antimanische, dosisabhängig sedierende Wirkungen 4 Gutes Ansprechen auch eher dysphorischer Syndrome 4 Rezidivprophylaxe zur Vermeidung manischer Episoden und bei Rapid-cycling-Verläufen 4 Insgesamt relativ gut verträglich, dosisabhängige Nebenwirkungen 5 Asymptomatische Transaminasenerhöhungen (gelegentlich schwerere Leberfunktionsausfälle) 5 Hyperammonämie 5 Schwindel 5 Übelkeit, Erbrechen, Diarrhö 5 Appetit- und Gewichtsveränderungen (in beide Richtungen möglich) 5 Haarausfall 5 Zentralnervöse Nebenwirkungen, v. a. Schläfrigkeit, Tremor, Parästhesien 5 Blutbildveränderungen: reversible Leuko- und Thrombopenien (sehr selten Panzytopenien) 5 ! Cave Kritisch Kombination mit Thrombozytenaggregationshemmern (Gerinnungshemmer können in ihrer Wirkung erheblich verstärkt werden!)

4

Eigene Notizen

66 Kapitel 4 · Psychopharmakotherapie

Eigene Notizen

4

5 Kutane Nebenwirkungen wie Arzneimittelexantheme (insgesamt selten, aber häufiger als bei vielen anderen Psychopharmaka) 4 Kontraindikationen 5 Schwere Lebererkrankungen in eigener oder Familienanamnese 5 Hepathische Porphyrie 5 Blutgerinnungsstörungen 4 Hohe Teratogenität 4.2.4

Lamotrigin

4 Wirkmechanismen nicht vollständig geklärt 4 Phasenprophylaxe depressiver Episoden bei bipolarer affektiver Störung 4 Nebenwirkungen 5 ! Cave Kutane Nebenwirkungen, v. a. in den ersten 8 Wochen (meist makulopapulöses Exanthem, sehr selten Stevens-JohnsonSyndrom und Lyell-Syndrom) → sehr langsame Eindosierung! 5 Schwindel 5 Übelkeit, Erbrechen, Diarrhö 5 Müdigkeit, Schlafstörungen 5 Kopf- und Gelenkschmerzen 5 Tremor, Ataxie, Nystagmus, Doppelbilder, Verschwommensehen 4 Relative Kontraindikationen 5 Gleichzeitige Valproinsäure-Behandlung (kann Glukuronidierung von Lamotrigin hemmen und Plasmaspiegel rasch ansteigen lassen) 5 Nierenfunktionsstörung 5 Parkinson-Erkrankung 4 Teratogenes Potenzial 4.3

Antipsychotika

4 Psychotrope Substanzen, die psychotische Symptome wie z. B. Wahn, Halluzinationen, Ich-Störungen in entsprechender Dosierung vermindern können 4 Alter Begriff »Neuroleptikum« betonte eine (in dieser Form nicht existente, sondern präparate- und wirkstoffabhängige) Zwangsläufigkeit extrapyramidalmotorischer Nebenwirkungen (EPMS) 4 Hauptwirkmechanismus: D2-Rezeptorantagonismus 5 Dopamin: wichtig für Kognition und Erinnerung, Emotion, Appetenz, Sexualität, Endokrinologie, Extrapyramidalmotorik 5 Beeinflussung dopaminerger Neuronensysteme des ZNS durch Antipsychotika J Mesolimbisches-mesokortikales System → antipsychotischer Effekt J Nigrostriatales System → extrapyramidalmotorische Nebenwirkungen J Tuberoinfundibuläres System → neuroendokrinologische Nebenwirkungen (v. a. Prolaktinerhöhung)

67 4.3 · Antipsychotika

J Hypothalamus, Medulla oblongata → Hypothermie, orthostatische Hypotonie J Area postrema (Chemorezeptortriggerzone) → antiemetische Wirkung 4 Keine Abhängigkeitsentwicklung 4 Breites Indikationsspektrum 5 Psychotische Symptome im Rahmen von Erkrankungen aus dem schizophrenen Formenkreis (Hauptindikation) 5 Manische Syndrome 5 Wahnhafte Depressionen 5 Aggressivität, Erregungszustände 5 Schlafstörungen 5 Delir/Verwirrtheit 5 Angststörungen 5 Ticstörungen 4 Unterteilung in konventionelle und atypische Antipsychotika 5 Konventionelle Antipsychotika: hohes Risiko für extrapyramidalmotorische Nebenwirkungen 5 Atypische Antipsychotika: im Vergleich zu konventionellen Antipsychotika weniger extrapyramidalmotorische Störungen bei vergleichbarer antipsychotischer Wirksamkeit und zusätzlicher positiver Wirkung auf die Negativsymptomatik (7 Kap. 7) bzw. Kognition

4.3.1

Konventionelle Antipsychotika

4 Hauptwirkmechanismus: Blockade D2-artiger Dopaminrezeptoren 4 Durch die Modulation von D2- sowie H1- und α1-antagonistischen Affinitäten können primär antipsychotische oder aber mehr sedierende Substanzen konzipiert werden (antihistaminerge und antiadrenerge Wirkkomponente → sedierende Eigenschaften) 4 Einteilung nach chemischer Struktur in 5 Phenothiazine J Dreifach-Ringstruktur mit unterschiedlichen Substituenten J Unselektive D2-Antagonisten (außer Promethazin) J Wichtiger Vertreter dieser Gruppe: Chlorpromazin (erstes eingesetztes Antipsychotikum) J Hohes anticholinerges Potenzial (z. B. Thioridazin) J Bandbreite vom Sedativum bis zum hochpotenten Antipsychotikum 5 Thioxanthene J Ähnliche Dreifach-Ringstruktur wie Phenothiazine 5 Butyrophenone J Wichtige Vertreter dieser Gruppe: Haloperidol (hochaffine Substanz), Melperon (niederaffine Substanz), Benperidol (höchstaffine D2-antagonistische Substanz in Deutschland) J Geringere anticholinerge Effekte

4

Eigene Notizen

68 Kapitel 4 · Psychopharmakotherapie

Eigene Notizen

4

5 Diphenylbutylpiperidine J Hohe Affinität am D2-Rezeptor bei geringerer Wirkung auf sonstige Rezeptorsysteme J Vertreter dieser Gruppe: Pimozid, Fluspirilen 4 Einteilung entsprechend dem Wirkprofil nach »neuroleptischer Potenz« (= Affinität zum D2-Rezeptor und antipsychotische Wirksamkeit bezogen auf die Dosis; je höher die neuroleptische Potenz desto höher die D2-Rezeptor-Affinität) 5 Hochpotente Antipsychotika: z. B. Haloperidol, Benperidol, Bromperidol, Flupentixol, Fluphenazin, Fluspirilen, Perphenazin, Pimozid J In niedriger bis mittlerer Dosierung gute antipsychotische Wirksamkeit ohne erhebliche Sedierung J Einsatz v. a. zur Behandlung produktiver psychotischer Symptome 5 Mittelpotente Antipsychotika: Perazin, Zuclopenthixol J Sowohl antipsychotische als auch sedierende Wirkung J Einsatz bei stark angespannten psychotischen und/oder manischen Patienten 5 Niederpotente Antipsychotika: z. B. Chlorpromazin (wird zur Beurteilung neuroleptischer Potenz als Referenzwert herangezogen → »Chlorpromazin-Äquivalenzdosis«; neuroleptische Potenz von Chlorpramazin = 1), Chlorprothixen, Levomepromazin, Thioridazin, Melperon, Pipamperon J Sedierende Wirkung (→ Schlafförderung, Beruhigung, Verminderung aggressiver Erregungszustände); bei klinisch üblichen Dosen kaum antipsychotische Wirkung > Faustregel: Je höher die neuroleptische Potenz, desto höher die antipsychotische Wirkung und desto niedriger die Sedierung.

4.3.2

Atypische Antipsychotika

4 Zeigen antipsychotische Wirksamkeit bei geringerer oder abwesender EPMS-Neigung 4 Unterschiedliche postulierte Mechanismen: 5 5HT2A-Rezeptor-Antagonismus 5 Geringe D2-Rezeptor-Affinität 5 Präferenziell mesolimbische Wirkung 5 Partieller Agonismus 5 Evtl. anticholinerge Wirkkomponente 4 Vertreter dieser Gruppe: Amisulprid, Aripiprazol, Clozapin, Olanzapin, Paliperidon, Quetiapin, Risperidon, Sertindol, Ziprasidon, Zotepin 4 Prototypisches »Atypikum«: Clozapin 5 Verursacht praktisch keine extrapyramidalmotorischen Nebenwirkungen 5 Hohe Ansprechrate

69 4.3 · Antipsychotika

5 Leider aber auch: J Agranulozytose als wichtigste Nebenwirkung (regelmäßige Blutbildkontrollen notwendig!) J Starke Sedierung J Gewichtszunahme, metabolisches Syndrom J Kardiomyopathien, Pankreatitiden J Deutliche anticholinerge Wirkkomponente, sehr niedrige D2-Rezeptoraffinität 4.3.3

Nebenwirkungen der Antipsychotika

Extrapyramidalmotorische Störungen (EPMS)

4 Typisch für konventionelle Antipsychotika 4 EPMS durch Blockierung D2-dopaminerger Rezeptoren der nigrostriatalen Bahn 4 Akute Dystonien/Frühdyskinesien (7 Kap. 4.10.2; Behandlung durch akute Verabreichung von Anticholinergika) 4 Medikamentös induziertes Parkinsonoid 5 Trias aus Tremor, Rigor, Akinese 5 In der Regel symmetrisches Auftreten 5 Auftreten bei konventionellen Antipsychotika und einigen Atypika, meist in der 1.–10. Behandlungswoche, bevorzugt bei Frauen 5 Wahrscheinlichkeit des Auftretens unter Antipsychotikatherapie: ca. 15–30% 5 Behandlungsempfehlung: Umstellung des Antipsychotikums, Dosisreduktion oder Behandlung mit Anticholinergika 4 Akathisie/Tasikinesie 5 Beginn liegt i. d. R. innerhalb der ersten 7 Wochen der Antipsychotikabehandlung (v. a. bei konventionellen Antipsychotika, selten bei Atypika) 5 Wahrscheinlichkeit des Auftretens unter Antipsychotikatherapie: ca. 20–25% 5 Sitz- und Stehunruhe J Unfähigkeit, ruhig zu sitzen, nicht kontrollierbarer Bewegungsdrang J Oft Laufneigung und Trippelsymptomatik 5 Differenzialdiagnose: Restless-legs-Syndrom 5 Behandlungsempfehlung J Umstellung des Antipsychotikums auf ein Präparat mit weniger antidopaminerger Affinität oder Dosisreduktion J β-Blocker, Benzodiazepine (kurzzeitig!), Anticholinergika oder Kombination 4 Tardive Dyskinesien (Spätdyskinesien) 5 Auftreten nach langjährigem Antipsychotikakonsum (meist bei konventionellen hochpotenten Antipsychotika) 5 Wahrscheinlichkeit des Auftretens unter Antipsychotikatherapie: ca. 15–20% (3–5%/Jahr bei konventionellen Antipsychotika; 0,5%/ Jahr bei atypischen Antipsychotika)

4

Eigene Notizen

70 Kapitel 4 · Psychopharmakotherapie

Eigene Notizen

4

5 Risikofaktoren J Hohes Lebensalter J Weibliches Geschlecht J Zerebrale Vorschädigung J Diabetes mellitus J Affektive Störung J Ständige Anticholinergikaeinnahme 5 Häufig orofaziale Dyskinesien (Saug-, Schmatz-, Zungenbewegungen) 5 An den Extremitäten: leichte rollende Handbewegungen bis hin zu starken athetotisch anmutenden Symptomen 5 Ausmaß der Symptomatik wird durch Absetzen oder Dosisreduktion des Antipsychotikums sowie bei emotionaler Anspannung eher verstärkt 5 Nichtauftreten der Symptomatik im Schlaf 5 Symptome sind weitgehend irreversibel J Behandlung kaum möglich; Umstellversuch auf Clozapin J Prophylaxe: möglichst niedrige Antipsychotika-Dosierung und Verordnung von atypischen Antipsychotika Sedierung

4 Sedierende Wirkung v. a. durch H1- und α1-Antagonismus 4 Bei nieder- und mittelpotenten konventionellen Antipsychotika gewünschter Effekt; bei einigen Atypika (Clozapin, Quetiapin, Olanzapin) ebenfalls vorhanden 4 Stehen sedierende Effekte im Vordergrund: Klassifizierung bzw. Einsatz auch als Hypnotikum Herzrhythmusstörungen

4 Durch direkte Wirkungen auf Natrium- und Kaliumkanäle des kardialen Reizleitungssystems 5 QTc-Zeit-Verlängerungen (v. a. für Sertindol, Thioridazin und Ziprasidon beschrieben) 5 Selten auch Torsades-de-pointes-Syndrom und plötzlicher Herztod (Risiko substanz- und dosisabhängig um das 2- bis 3-fache erhöht, höchstes Risiko für Thioridazin) 4 Arrhythmogenes Potenzial auch durch anticholinerge Effekte > Wichtig sind EKG-Kontrollen bei Antipsychotikabehandlung. Weitere Herz-Kreislauf-Risiken

4 Orthostatische Dysregulationen mit reflektorischer Tachykardie v. a. bei Substanzen mit α1-antagonistischen Effekten (Thioridazin, Olanzapin, Clozapin) 4 Selten antipsychotikainduzierte Myokarditiden und Kardiomyopathien (v. a. bei Clozapin) 4 Erhöhtes Risiko für koronare Herzkrankheit (u. a. via metabolischem Syndrom)

71 4.3 · Antipsychotika

Stoffwechselstörungen

4 Gewichtszunahme, v. a. bei Clozapin, Olanzapin 4 Erhöhtes Risiko für metabolische Störungen (Adipositas, Diabetes mellitus, Lipidstörungen) > Regelmäßige Kontrolle von Gewicht und Bauchumfang! Endokrine Störungen, sexuelle Funktionsstörungen

4 Selten Syndrom der inadäquaten ADH-Sekretion (SIADH) 4 Hyperprolaktinämie (v. a. bei Sulpirid, Amisulprid) und infolgedessen 5 Galaktorrhö 5 Amenorrhö 5 Sexuelle Erregungs- und Appetenzstörungen 5 Osteoporose 5 Verstärkung von Hypertonie 5 Brustvergrößerungen Anticholinerge (M1-antagonistische) Nebenwirkungen

4 4 4 4 4 4 4

Mundtrockenheit Obstipation Augeninnendruckerhöhungen, Akkomodationsstörungen Harnverhalt Tachykardie, Arrhythmieneigung Delirauslösung Auftreten v. a. bei nieder- und mittelpotenten Thioxanthenen, Phenothiazinen sowie Olanzapin und Clozapin

Leberfunktionsstörungen

4 Transaminasenerhöhungen und Erhöhungen der alkalischen Phosphatase (v. a. bei Clozapin, Phenothiazinen und Thioxanthenen) Blutbildveränderungen

4 Antipsychotika-induzierte Störung der Leukopoese → Leukopenie, Agranulozytose (selten) 4 Treten meist innerhalb der ersten 18 Behandlungswochen nach Eindosierung auf > Agranulozytosen v. a. unter Clozapin auftretend. Zentralnervöse Komplikationen

4 Auslösung von deliranten Syndromen (v. a. bei zerebraler Vorschädigung), insbesondere durch anticholinerge Effekte 4 Viele Antipsychotika senken die Krampfschwelle Weitere Nebenwirkungen

4 Für die meisten Antipsychotika sind allergische, dermatologische und ophthalmologische Nebenwirkungen beschrieben

4

Eigene Notizen

72 Kapitel 4 · Psychopharmakotherapie

Eigene Notizen

4 Gravierende Nebenwirkung: malignes neuroleptisches Syndrom (7 Kap. 4.10.1) > Aufgrund des Nebenwirkungsprofils sind regelmäßige Kontrolluntersuchungen (Blutbild, elektrophysiologische, allgemeine körperliche Untersuchung) notwendig.

4

4.3.4

Kontraindikationen für Antipsychotika

4 Absolute Kontraindikation: Überempfindlichkeiten gegen den Wirkstoff oder weitere Bestandteile 4 Relative Kontraindikationen 5 Akute Intoxikationen mit Alkohol, Analgetika, Schlafmitteln und anderen Psychopharmaka 5 Schwere Bewusstseinsstörungen 5 Störungen des hämatopoetischen Systems (gilt v. a. für Clozapin) 5 Bei Antipsychotika mit anticholinerger Begleitkomponente J Pylorusstenose, paralytischer Ileus J Engwinkelglaukom J Prostatahyperplasie, Störungen der Harnentleerung J Myasthenia gravis (krankhafte belastungsabängige Muskelschwäche) J Demenz J Herzrhythmusstörungen 5 Bei Antipsychotika mit Erhöhung des Prolaktinspiegels: J Prolaktinabhängige Tumoren 5 Bei Antipsychotika mit hohem Risiko für extrapyramidalmotorische Störungen: J M. Parkinson und andere Stammganglienerkrankungen 5 Bei Antipsychotika mit kardiovaskulären Nebenwirkungen: J Kardiale Vorschädigung

4.3.5

Depot-Antipsychotika

4 Einige Antipsychotika liegen auch in Depotform vor: Flupentixol, Fluphenazin, Fluspirilen, Haloperidol, Olanzapin, Perphenazin, Risperidon, Zuclopentixol (Risperidon und Olanzapin sind derzeit die einzigen Atypika in Depotform) 5 Patient erhält in regelmäßigen Abständen (Tage bis Wochen) i.m. Injektionen 5 Vorteil: fördert Compliance 5 Nachteil: schwierigere Dosisanpassung

73 4.4 · Benzodiazepine

4.4

Benzodiazepine

4 Wirken hauptsächlich am GABAA-Benzodiazepinrezeptorkomplex → Erhöhung der GABA-Affinität → verstärken die inhibierende Funktion GABAerger Neurone > GABA ist der wichtigste hemmende Neurotransmitter im ZNS.

4 Wirkungen 5 Sedierung 5 Schlafinduktion 5 Anxiolyse 5 Muskelrelaxation (→ Sturzgefahr, v. a. bei Älteren) 5 Antiepileptischer Effekt 4 Indikationsgebiete 5 Schlaflosigkeit 5 Akute Erregungszustände (wenn nicht intoxikationsbedingt) 5 Angsterkrankungen 5 Somatoforme Störungen 5 Depressive und manische Erkrankungen 5 Schizophrene Erkrankungen 5 Stupor 5 Alkohol- und Benzodiazepinentzugssyndrome 5 Delir 5 Zerebrale Krampfanfälle 4 Einteilung anhand der Wirksamkeitsdauer (Eliminationshalbwertszeit t1/2) in 3 Gruppen 5 Lang wirksame Benzodiazepine: z. B. Diazepam (t1/2 20–40 h) 5 Mittellang wirksame Benzodiazepine: z. B. Lorazepam (t1/2 8–24 h), Oxazepam (t1/2 4–15 h) 5 Kurz wirksame Benzodiazepine: z. B. Triazolam (t1/2 1,5–5 h) 4 Abbau der meisten Benzodiazepine (ausgenommen Lorazepam, Oxazepam, Temazepam) durch CYP3A4 (und CYP2C19) → verlängerte Eliminationshalbwertszeit durch CYP3A4-Inhibitoren 4 Bei älteren Patienten (→ verlangsamter Metabolismus), gestörter Leberfunktion, Kombination mit CYP3A4-Inhibitoren und lang wirksamen Benzodiazepinen → starke Kumulationsneigung 4 Nebenwirkungen 5 Hohes Abhängigkeits- und Toleranz-Risiko (häufig Niedrigdosisabhängigkeit, 7 Kap. 19), gilt v. a. für Präparate mit kurzer Halbwertszeit > Keine Eignung als Dauermedikation (Einnahme nicht länger als 4–6 Wochen) wegen Missbrauchs- und Abhängigkeitsrisiko. Keine ambulante Verschreibung bei bekannter Abhängigkeitsanamnese. Größte Zurückhaltung bei chronischen Erkrankungen, die eine langfristige Therapie erforderlich machen.

5 Sedierung (kann erwünscht oder unerwünscht sein), evtl. hangover mit Tagesmüdigkeit, eingeschränktem Reaktionsvermögen

4

Eigene Notizen

74 Kapitel 4 · Psychopharmakotherapie

Eigene Notizen

5 5 5

4

5 5

und Konzentrationsstörungen (unter Benzodiazepintherapie meist keine Fahrtüchtigkeit!) Gelegentlich anterograde Amnesie (bei rasch anflutenden Benzodiazepinen) Bei Überdosierung oder in Kombination mit weiteren sedierenden Arzneimitteln: Dysarthrie (verwaschene Sprache), Schwindel, Doppelbilder, Ataxie Bei schweren Intoxikationen, besonders in Verbindung mit Alkohol oder Opiaten: Gefahr der Atemdepression Selten paradoxe Benzodiazepinwirkung mit Schlaflosigkeit, Agitiertheit, Aggressivität bis hin zum Delir (v. a. bei älteren Patienten und Kindern) Nach langem Konsum: chronische Antriebsminderung, depressive Verstimmung, kognitive Störungen, Libidoverlust, Muskelschwäche

> Kein abruptes Absetzen der Benzodiazepine bei hoher Dosierung und/oder längerem Gebrauch zur Vermeidung von Entzugsphänomenen (7 Kap. 19) und Rebound-Phänomenen (kompensatorische Gegenregulationsmechanismen nach dem Absetzen der Substanz, die zum Wiederauftreten der ursprünglichen Indikationssymptome – in stärkerer Form als zuvor – führen).

4 Wichtige Kontraindikationen 5 Akute Intoxikationen mit zentral dämpfenden Substanzen 5 Chronische Ateminsuffizienz (z. B. Schlafapnoesyndrom, obstruktive Atemwegserkrankungen) 5 Myasthenia gravis (aufgrund der muskelrelaxierenden Wirkung der Benzodiazepine) 5 Akutes Engwinkelglaukom 5 Stoffgebundene Abhängigkeitserkrankungen (außer Alkohol- und Benzodiazepinentzugssyndrome)

4.5

Nichtbenzodiazepin-Hypnotika

4 Benzodiazepin-ähnliche Hypnotika: Zolpidem, Zaleplon, Zopiclon (»Z-Substanzen«) 4 Wirken an Benzodiazepinbindungsstelle und führen zur Effizienzsteigerung der GABA-Wirkung am Chloridkanal 4 Hypnotische Wirkung 4 Können grundsätzlich die gleichen Nebenwirkungen verursachen wie Benzodiazepine, aber relativ geringe Gewöhnungseffekte (dennoch keine Dauerbehandlung empfohlen!), kurze Halbwertszeiten

75 4.7 · Antidementiva (Nootropika)

4.6

Nichtbenzodiazepin-Anxiolytika

4 Präparat: Buspiron 4 Wirkmechanismus: partieller Agonist an serotonergen 5HT1A-Rezeptoren 4 Keine Toleranz- und Abhängigkeitsentwicklung 4 Keine sedierenden und muskelrelaxierenden Wirkungen 4 Nachgewiesene Wirksamkeit für die generalisierte Angststörung 4 Insgesamt relativ günstiges Nebenwirkungsprofil 5 Übelkeit 5 Schwindel 5 Kopfschmerz 5 Gelegentlich Agitiertheit und Schlafstörungen 4 ! Cave Kein sofortiger Wirkeintritt wie bei Benzodiazepinen!

4.7

Antidementiva (Nootropika)

4 Substanzen zur Verbesserung von Aufmerksamkeit, Konzentration, Gedächtnis und Lernen bei demenziellen Erkrankungen 4.7.1

Acetylcholinesterase-Hemmer

4 Präparate: Donepezil, Galantamin, Rivastigmin 4 Hemmung der Acetylcholinesterase mit Erhöhung von Acetylcholin im synaptischen Spalt 4 Einsatz bei demenziellen Syndromen (zugelassen für leichte bis mittelschwere Alzheimer-Demenz) 4 Donepezil 5 Reversibler Acetylcholinesterase-Inhibitor 4 Galantamin 5 Reversibler Acetylcholinesterase-Inhibitor und zusätzliche allosterische Modulation nikotinerger Rezeptoren 4 Rivastigmin 5 Irreversibler Acetylcholinesterase-Inhibitor 4 Vor allem cholinerge Nebenwirkungen, insbesondere 5 Übelkeit, Erbrechen, Diarrhö 5 Appetitlosigkeit 5 Müdigkeit, Schlafstörungen 5 Muskelkrämpfe 5 Bradykardie 4.7.2

Glutamatmodulatoren

4 Präparate: z. B. Memantin 4 Spannungsabhängige, nichtkompetitive Antagonisten an NMDA-Rezeptoren → Erniedrigung der Glutamatkonzentration

4

Eigene Notizen

76 Kapitel 4 · Psychopharmakotherapie

Eigene Notizen

4

4 Zulassung zur Therapie mittelschwerer bis schwerer Alzheimer-Demenz 4 Insgesamt günstigeres Nebenwirkungsprofil als AcetylcholinesteraseHemmer 5 Am häufigsten: Übelkeit, Obstipation, Schwindel, Kopfschmerzen, Blutdruckerhöhungen; gelegentlich Halluzinationen, Verwirrtheit

4.8

Stimulanzien

4 Substanzen, die durch Konzentrationserhöhung von Katecholaminen im ZNS das Leistungsvermögen und die Aktivität erhöhen sollen 4 Zentrale und periphere sympathomimetische Wirkungen 5 Zentral: Euphorie, gesteigerte Leistungsfähigkeit, Appetitminderung, Schlafstörungen, Kopfschmerzen 5 Peripher: Vasokonstriktion, Hypertonie, Tachykardie bis hin zu Rhythmusstörungen > Psychostimulanzien sind in Deutschland BtM-verschreibungspflichtig.

4.8.1

Methylphenidat

4 Ähnlicher Mechanismus wie Kokain, aber viel geringeres Abhängigkeitsrisiko bei langsamerer Pharmakokinetik 4 Reversible Blockade des Dopamintransporters (und geringer des Noradrenalintransporters) 4 Indikationen: ADHS, Narkolepsie 4 Nebenwirkungen 5 Potenzielles Risiko einer Abhängigkeitserkrankung 5 Häufig sympathomimetische Nebenwirkungen: v. a. Appetitminderung, Kopfschmerzen, Schlaflosigkeit, Hypertonie, Tachykardie, verstärktes Schwitzen, Hyperthermie 5 Gelegentlich Haarausfall und andere dermatologische Komplikationen 5 Zentralnervöse Komplikationen: Tics, Dyskinesien (selten), psychotische Symptome (selten), Krampfanfälle (selten) 4 Wichtige Kontraindikationen 5 Bekannte Missbrauchs- oder Abhängigkeitserkrankungen 5 Anorexia nervosa 5 Psychosen 5 Ticstörungen 5 Angst- und Spannungszustände 5 Relevante Herz-Kreislauf-Erkrankungen 5 Zerebrale Krampfleiden

77 4.9 · Allgemeine Psychopharmakotherapie im Alter

4.8.2

Modafinil

4 Mäßige Dopamin- und Noradrenalin-Transporter-blockierende Wirkung 4 Gesteigerte Glutamatausschüttung, reduzierte GABA-Ausschüttung im Hypothalamus 4 Geringes Abhängigkeitsrisiko 4 Indikationen: Therapie der Narkolepsie, des Schlafapnoesyndroms, des Schichtarbeitersyndroms 4 Nebenwirkungen 5 Sympathomimetische Nebenwirkungen (aber seltener als bei Methylphenidat; am häufigsten Kopfschmerzen) 5 Zentralnervöse Komplikationen ähnlich wie bei Methylphenidat (Tics, Hyperkinesien, zerebrale Krampfanfälle, Psychose-Induktion) 5 Dermatologische Komplikationen (Erythema multiforme/StevensJohnson-Syndrom) 4 Wichtige Kontraindikationen 5 Stoffgebundene Abhängigkeitserkrankungen 5 Psychosen 5 Schwere Angst- und Spannungszustände 5 Relevante Herz-Kreislauf-Erkrankungen 5 Schwere Leber- und Nierenerkrankungen 5 Behandlung mit Substanzen, die Prazosin (α1-Rezeptorantagonist) enthalten

4.9

Allgemeine Psychopharmakotherapie im Alter

4 Physiologische Alterungsprozesse (z. B. verminderte Köpermasse bei relativ erhöhtem Fettgewebe, arteriosklerotische Prozesse) und Multimorbidität beeinflussen Wirkung und Verträglichkeit der Psychopharmaka 4 Zudem besteht im Alter sehr häufig erhöhtes Risiko für Interaktionen aufgrund von Polypharmakotherapie 4 Bei geriatrischen Patienten finden sich 5 Erhöhte Empfindlichkeit für EPMS bzw. Spätdyskinesien bei D2antagonistischen Substanzen 5 Erhöhte Disposition für serotonerge Nebenwirkungen 5 Erhöhte Empfindlichkeit für anticholinerge Symptome (→ erhöhtes Risiko für die Entwicklung deliranter Zustandsbilder) > Bei der Behandlung geriatrischer Patienten ist daher stets die Dosisanpassung zu beachten. In der Regel sind geringere Dosierungen und v. a. eine langsame Aufdosierung unter gründlicher Überwachung relevanter Parameter (Nieren-, Leber-, Herzfunktion) notwendig.

4

Eigene Notizen

78 Kapitel 4 · Psychopharmakotherapie

Eigene Notizen

4

4.10

Psychopharmakainduzierte Notfälle

4.10.1

Malignes neuroleptisches Syndrom

4 Seltene, aber lebensbedrohliche Nebenwirkung einer Antipsychotikatherapie 4 Vor allem durch konventionelle Antipsychotika (aber auch für Atypika, z. B. Clozapin, beschrieben) 4 Wahrscheinlichkeit des Auftretens unter Antipsychotikatherapie: ca. 0,02–0,5% 4 Auftreten i. d. R. innerhalb von 2 Wochen nach Behandlungsbeginn 4 Letalität: bis zu 20% 4 Symptome 5 Hohes Fieber 5 Rigor, Akinese, Stupor; gelegentlich Tremor 5 Bewusstseinstrübung 5 Vegetative Funktionsstörungen wie Tachykardie, instabiler Hypertonus, starkes Schwitzen, Tachy- bzw. Dyspnoe 5 Im Labor: Myoglobinämie bzw. -urie, erhöhte Kreatinkinase, meist Erhöhung der Transaminasen und alkalischen Phosphatase, oft erniedrigter Serumeisenspiegel, Leukozytose und Elektrolytstörungen 4 Notfalltherapie > Potenziell lebensbedrohliche Erkrankung: intensivmedizinische Überwachung unabdingbar.

5 Sofortiges Absetzen der Antipsychotika, Kühlung, (parenteraler) Elektrolyt- und Flüssigkeitsausgleich 5 Weiterbehandlung mit dem Muskelrelaxans Dantrolen (alternativ Bromocriptin; Notfall-EKT wenn keine Besserung) 5 Sehr schwierige Differenzialdiagnose zur perniziösen Katatonie (problematisch, da komplementäres Vorgehen erforderlich)

4.10.2

Akute Dystonien/Frühdyskinesien

4 Extrapyramidalmotorische Bewegungsstörungen (Nebenwirkung antidopaminerg wirkender Medikamente) 4 Symptomatik 5 Muskelkrämpfe: Zungen-Schlund-Krämpfe, Schluckstörungen, Verkrampfungen der Kaumuskulatur, Blickkrämpfe (okulogyre Krisen); ! Cave Schlundkrämpfe können zum Bolustod führen! 5 Haltungsanomalien: z. B. unnatürlich wirkende Verdrehungen des Kopfes (Torticollis oder Retrocollis) 4 Auftreten v. a. unter Behandlung mit konventionellen Antipsychotika oder atypischen Antipsychotika mit mittelstarker D2-antagonistischer Affinität wie Risperidon in höheren Dosierungen zu Beginn der Behandlung (meist innerhalb der ersten Woche) oder rascher Dosissteigerung

79 4.10 · Psychopharmakainduzierte Notfälle

5 Wahrscheinlichkeit des Auftretens unter Antipsychotikatherapie: ca. 2–25% 4 Auch seltene Nebenwirkung von Antiemetika wie Metoclopramid (Verzicht auf Metoclopramid bei mit Antipsychotika vorbehandelten Patienten!) 4 Besonders gefährdet: junge und männliche Patienten 4 Notfalltherapie: Anticholinergika wie Biperiden i.v.

4.10.3

Zentrales Serotoninsyndrom

4 Symptomatik 5 Trias aus Fieber, neuromuskulären Symptomen (Myoklonien, Tremor, Hyperreflexie, Hyperrigidität) und psychischen Auffälligkeiten (Verwirrtheit, Desorientiertheit, Bewusstseins- und Aufmerksamkeitsstörungen, z. T. Erregungszustände) 5 Häufig auch gastrointestinale Beschwerden, Flush-Symptomatik 5 Vital bedrohliche Komplikationen: Herzrhythmusstörungen, epileptische Anfälle, Koma, Multiorganversagen, Verbrauchskoagulopathie 4 Ursache: serotonerge Überaktivität, meist aufgrund einer kontraindizierten Kombinationstherapie oder zu hoher Dosen serotonerg wirkender Substanzen (SSRI, TZA, Venlafaxin, MAO-Hemmer, Tryptophan u. a.) 4 Auftreten der Symptome meist innerhalb von 24 h nach Substanzeinnahme 4 Notfalltherapie > Potenziell lebensbedrohliche Erkrankung: stationäre Überwachung.

5 Sofortiges Absetzen der Medikation (in 90% der Fälle ausreichend) und ggf. symptomatische Therapie mit Kühlung und Volumensubstitution 5 Bei Persistenz (selten): Cyproheptadin (Serotonin- und HistaminAntagonist); bei Komplikationen intensivmedizinische Therapie

4.10.4

Zentrales anticholinerges Syndrom

4 Symptome 5 Zentrale Symptomatik J Agitierte Verlaufsform: delirante Symptomatik, Verwirrtheit, Desorientiertheit, Unruhe, Halluzinationen (v. a. optische), evtl. Krampfanfälle J Sedative Verlaufsform: Somnolenz bis hin zum Koma 5 Periphere Symptomatik: trockene Haut und Schleimhäute infolge verminderter Schweiß-, Schleim- und Speicheldrüsensekretion, Hyperthermie, Mydriasis, Harnverhalt, Obstipation, Tachykardie, Gesichtsröte als Ausdruck einer Vasodilatation

4

Eigene Notizen

80 Kapitel 4 · Psychopharmakotherapie

Eigene Notizen

4 Häufige Ursache 5 Überdosierung bzw. Intoxikation mit anticholinerg wirksamen Pharmaka (z. B. TZA, Clozapin) 4 Notfalltherapie > Potenziell lebensbedrohliches Syndrom: stationäre Überwachung.

4

5 Sofortiges Absetzen der anticholinergen Substanz 5 Bei Erregungszuständen: ggf. Benzodiazepine und/oder Antipsychotika 5 Bei Persistieren/schwerer Ausprägung: Gabe von Physostigmin

5 Tag 2 – Therapie

5

Psychotherapie

5.1

Psychotherapeutische Ansätze

5.2

Verhaltenstherapie – 83

5.2.1 5.2.2 5.2.3 5.2.4 5.2.5 5.2.6 5.2.7 5.2.8 5.2.9

Grundprinzipien der Verhaltenstherapie – 83 Traditionelle lerntheoretische Modelle – 83 Kognitive Verhaltenstherapie – 84 Verhaltenstherapeutische Diagnostik – 85 7-Phasen-Modell des verhaltenstherapeutischen Prozesses Expositionsverfahren/Konfrontationsverfahren – 86 Operante Verfahren – 86 Kognitive Verfahren – 87 Aufbau von Kompetenzen – 88

5.3

Psychoanalytische Therapieverfahren – 89

5.3.1 5.3.2

Grundlagen der Tiefenpsychologie Therapie – 91

5.4

Gesprächspsychotherapie

5.5

Systemische Paar- und Familientherapie – 93

5.6

Entspannungsverfahren – 94

5.7

Biofeedback – 94

5.8

Psychoedukation – 95

5.9

Schulenübergreifende Psychotherapie – 95

– 82

– 89

– 93

– 85

82 Kapitel 5 · Psychotherapie

Eigene Notizen

4 Wirksamkeit von Psychotherapie gilt für viele psychische Erkrankungen als erwiesen 4 Faktoren, die auf das Behandlungsergebnis Einfluss nehmen können 5 Therapiemethode 5 Patienten- und Therapeutenmerkmale 5 Therapeutische Beziehung 5 Externe bzw. soziokulturelle Kontextfaktoren

5.1

5

Psychotherapeutische Ansätze

4 Verschiedene Psychotherapieverfahren, z. B. 5 Kognitiv-behaviorale Verfahren (klassische Verhaltenstherapie, kognitive Verhaltenstherapie) 5 Analytisch, »aufdeckende« Verfahren (z. B. tiefenpsychologische Therapien) 5 Humanistische, erlebnisorientierte Verfahren (z. B. klientenzentrierte Gesprächspsychotherapie, Gestalttherapie, Psychodrama) 5 Interpersonelle und systemische Verfahren (interpersonelle Therapie, Paar- und Familientherapie) 5 Spezielle Verfahren wie Entspannungsverfahren (z. B. Progressive Muskelrelaxation, Autogenes Training) oder suggestive Verfahren (z. B. Hypnose) Wichtige psychotherapeutische Ansätze im Vergleich Verhaltenstherapie

Klassische Psychoanalyse

Humanistische Gesprächspsychotherapie

Grundlagen, Methodik

Orientierung an empirischer Psychologie, u. a. Anwendung lerntheoretischer Modelle, gegenwartsbezogen

Versuch der ätiologischen Orientierung, Bewusstmachung und Bearbeitung von unbewussten, verdrängten Konflikten, »aufdeckend«, vergangenheitsorientiert

Fokussierung auf die selbstheilenden Kräfte im Menschen; Entwicklung des Selbst/»Persönlichkeitswachstum«

Therapeut

Haltung des Therapeuten: strukturierend; Therapeut als Berater und Planer

Haltung des Therapeuten: neutral-indifferent; Therapeut als »Projektionsfläche« für das Seelenleben des Patienten

Haltung des Therapeuten: »non-direktiv«, wertschätzend, empathisch, kongruent; Therapeut als Begleiter auf dem Weg zur Selbstexploration und Selbstverwirklichung

83 5.2 · Verhaltenstherapie

> Die Entwicklung der Psychotherapie geht dahin, die verschiedenen Psychotherapieformen indikationsbezogen und auf den individuellen Patienten abgestimmt kombiniert einzusetzen und den alten Schulenstreit (v. a. zwischen psychoanalytischen Verfahren und Verhaltenstherapie) zu überwinden → allgemeine Psychotherapie und störungsspezifische Psychotherapie.

5.2

Verhaltenstherapie

4 Lerntheoretisch begründete Psychotherapie 4 Ziel: Aufbau erwünschter und Abbau unerwünschter Verhaltensweisen

5.2.1

Grundprinzipien der Verhaltenstherapie

4 Orientierung an experimenteller Psychologie, die sich mit dem sichtbaren/beobachtbaren Verhalten als Reaktion auf Umweltreize beschäftigt, und an der wissenschaftlichen Überprüfung theoretischer Konzepte 4 Gegenwarts- und problembezogen sowie ziel- und handlungsorientiert 4 Setzt an prädisponierenden, auslösenden und aufrechterhaltenden Problembedingungen an 4 Nicht auf Therapiesitzungen begrenzt; Patient muss aktiv neue Verhaltensweisen/Problemlösestrategien erproben und einüben (Übungen mit Therapeut außerhalb der Therapieräume/in der Realität, Hausaufgaben) 4 Transparenz (Patient wird umfassend aufgeklärt, psychoedukative Elemente) 4 Soll »Hilfe zur Selbsthilfe« sein

5.2.2

Traditionelle lerntheoretische Modelle

4 Klassische Verhaltenstherapie: Orientierung an Konditionierungsmodellen 4 Klassische Konditionierung 5 Erlernen einer Assoziation zwischen einem neutralen Reiz und einem biologisch bedeutsamen (unbedingter Reiz), der bereits eine Reflexreaktion auslöst (unbedingte Reaktion) 5 Ergebnis räumlich-zeitlicher Kopplungen des neutralen Reizes mit dem unbedingten Reiz: der ehemals neutrale Reiz löst ebenfalls die Reaktion aus (nun: bedingter Reiz und bedingte Reaktion) 5 Solche Mechanismen spielen z. B. eine Rolle bei der Entwicklung von Phobien und posttraumatischen Störungen 4 Operante Konditionierung 5 Art der Konsequenzen auf ein Verhalten beeinflusst dessen Auftretenswahrscheinlichkeit

5

Eigene Notizen

84 Kapitel 5 · Psychotherapie

Eigene Notizen

5 Verstärkung von Vermeidungsverhalten ist von besonderer Relevanz für die Erklärung und Aufrechterhaltung vieler psychischer Erkrankungen, z. B. Angst- und Zwangserkrankungen > Wichtige therapeutische Techniken, die aus klassischer und operanter Konditionierung abgeleitet wurden: z. B. Expositionsverfahren/Reizkonfrontationsverfahren, operante Verfahren (z. B. Token-Programme).

5

5.2.3

Kognitive Verhaltenstherapie

4 Seit den 60er- und 70er-Jahren auch Einbeziehung von mehr intrapsychischen, nicht direkt beobachtbaren Prozessen im Individuum 4 Erweiterung der traditionellen Verhaltenstherapie um Ansätze, die menschliche Informationsverarbeitungsprozesse zur Erklärung des Verhaltens miteinbeziehen sowie sozialpsychologischer Lerntheorien (»kognitive Revolution«/»kognitive Wende«), kognitiv-behaviorale Therapie 4 Lernen am Modell (sozial-kognitive Lerntheorie von A. Bandura) 5 Lernen durch Beobachtung Anderer (auch Beobachtungslernen, Imitationslernen, Modelllernen) 5 Ermöglicht den Aufbau neuer Verhaltensweisen, die noch nicht im Verhaltensrepertoire vorhanden sind und die Modifizierung komplexer Verhaltens- und Reaktionsweisen, aber auch den Erwerb von Normen, Wertvorstellungen und Einstellungen 5 Entscheidend hierbei sind Prozesse wie Motivation, Aufmerksamkeit, selektive Speicherung im Gedächtnis und motorische Reproduzierbarkeit 5 Im therapeutischen Kontext können Therapeut, aber auch andere Mitpatienten in Gruppentherapien als Modell dienen > Lernen am Modell ist ein wichtiges Element beim sozialen Kompetenztraining sowie bei Rollenspiel-Übungen.

4 Kognitive Modelle 5 Erklären Verhalten als Resultat überdauernder Vorstellungen, Wahrnehmungen oder Denkmuster 5 Versuchen, dysfunktionale Wahrnehmungs- und Denkprozesse zu verändern, z. B. mittels J Analyse automatischer Gedanken J Reattribuierung (Ersetzen dysfunktionaler Kognitionen durch angemessenere Kognitionen) J Selbstinstruktionen 5 Beispiele kognitiver Techniken: Selbstinstruktionsverfahren, rational-emotive Therapie (nach A. Ellis), kognitive Therapie (nach A.T. Beck)

85 5.2 · Verhaltenstherapie

5.2.4

Verhaltenstherapeutische Diagnostik

4 Verhaltenstherapeutische Diagnostik umfasst (neben klassifikatorischer Störungsdiagnostik nach ICD-10) 5 Erhebung der Lerngeschichte 5 Individuelle Problem- und Verhaltensanalyse auf Symptomebene, i. d. R. nach dem SORCK-Modell 5 Funktionsanalyse (Funktion des Symptomverhaltens für den Patienten selbst sowie die Interaktion mit seiner Umwelt) SORCK-Modell

4 Annahme: Verhalten entwickelt sich aus dem Einwirken situativer/sozialer Reize (Stimuli: S), die unter bestimmten individuellen Bedingungen (Organismus: O) zu bestimmten Reaktionen (Reaktion: R) führen; in Abhängigkeit von Kontigenzverhältnis (C) und Konsequenz (K) formt sich entsprechendes Verhalten 5 S: Stimulus (Reize, Situationen) 5 O: Organismus (biologisch-somatische Faktoren, Kognitionen) 5 R: Reaktionen (emotional, kognitiv, motorisch, physiologisch) 5 C: Kontingenz (contingency; Zusammenhänge zwischen Reaktion und Konsequenz, Verstärkungsplan) 5 K: Konsequenzen (kurzfristig und langfristig) 4 Herausarbeitung der für Reizeinwirkung, Verstärkung und Konditionierung verantwortlichen Bedingungen und damit einhergenden Kognitionen

5.2.5

7-Phasen-Modell des verhaltenstherapeutischen Prozesses

4 Einteilung der verhaltenstherapeutischen Vorgehensweise in verschiedene Therapiephasen (diese sind nicht immer klar voneinander zu trennen) 5 Schaffen günstiger Ausgangsbedingungen, Aufbau einer therapeutischen Beziehung 5 Aufbau von Veränderungsmotivation 5 Verhaltensanalyse (Lerngeschichte, SORCK-Schema, Funktionsanalyse) 5 Zielanalyse 5 Durchführung spezieller therapeutischer Techniken 5 Evaluation und Bewertung der Therapiefortschritte 5 Erfolgsoptimierung/Generalisierung

5

Eigene Notizen

86 Kapitel 5 · Psychotherapie

Eigene Notizen

5

5.2.6

Expositionsverfahren/Konfrontationsverfahren

4 Patient setzt sich Situationen aus, die für ihn stark angstbesetzt sind und soll diese bis zum Rückgang der Angst »ertragen«, um die Erfahrung zu machen, dass die Angst wieder verschwindet und die gefürchteten Konsequenzen ausbleiben 4 Konfrontationsverfahren werden v. a. angewandt bei Angst- und Zwangserkrankungen 4 Durchführung in massierter oder graduierter Form und in vivo (Reizkonfrontation in der Realität) oder in sensu (Reizkonfrontation in der Vorstellung) Expositionsverfahren Konfrontationsart

In vivo

In sensu

Massiert

Flooding

Implosion

Graduiert

Habituationstraining

Systematische Desensibilisierung

4 Systematische Desensibilisierung 5 Basiert auf dem Prinzip der reziproken Hemmung (Angst kann durch Entspannung antagonisiert werden → Gegenkonditionierung) 5 Vorbereitend Erarbeitung einer Angsthierarchie und Einübung einer Entspannungstechnik (z. B. Progressive Muskelrelaxation) 5 Schrittweise Heranführung des Patienten an angstauslösende Objekte oder Situationen im tiefentspannten Zustand, zunächst in der Vorstellung (in sensu), evtl. später auch in der Realität (in vivo); angefangen wird mit dem am wenigsten aversiven Reiz 4 Flooding (Reizüberflutung): Reizkonfrontation in der Realität direkt in höchster Intensität 4 Implosion: Konfrontation mit Angststimuli nur in der Vorstellung, jedoch in voller Intensität und z. T. ins Unrealistische übersteigert 4 Habituationstraining: abgestufte Reizkonfrontation in der Realität, im Sinne einer Annäherungshierarchie

5.2.7

Operante Verfahren

4 Kontrolle von Verhalten durch Veränderung von Konsequenzen 4 Erhöhung der Auftretenswahrscheinlichkeit von Verhalten 5 Positive Verstärkung: Zuführung von angenehmen Konsequenzen J Mit Token-Programmen (»Wertmarken-Verstärkungs-Programmen«) lässt sich Verhalten durch kontingente Verstärkung des Zielverhaltens mit generalisierten Verstärkern (Token) systematisch aufbauen 5 Negative Verstärkung: Wegnahme von unangenehmen Konsequenzen → z. B. Lernen von Vermeidungsverhalten

87 5.2 · Verhaltenstherapie

4 Abnahme der Auftretenswahrscheinlichkeit von Verhalten 5 Direkte Bestrafung: Zuführung von unangenehmen Konsequenzen 5 Indirekte Bestrafung: Wegnahme von angenehmen Konsequenzen (z. B. »time-out« = Entzug aller potenziellen Verstärker) 4 Verschiedene Verstärkungspläne (intermittierend oder kontinuierlich; intermittierend verstärktes Verhalten ist besonders »löschungsresistent«)

5.2.8

Kognitive Verfahren

Kognitive Therapie (nach A.T. Beck)

4 Wurde ursprünglich entwickelt zur Therapie von Depressionen 5 Oft charakteristisches Denkmuster (»kognitive Triade«) depressiver Patienten: negative Sicht ihrer Selbst, der Umwelt und der Zukunft 4 Annahmen 5 Psychische Erkrankungen als Ausdruck verzerrter Gedanken und Schlussfolgerungen (dysfunktionale Annahmen) 5 Dysfunktionale Annahmen basieren auf Denkschemata (stabile kognitive Muster), welche aufgrund früherer wiederholter Erfahrungen entstanden sind (die Schemata können längere Zeit inaktiv sein und durch belastende Ereignisse reaktiviert werden) 4 Vorgehen 5 Identifikation und Bewusstmachen der fehlerhaften Denkstereotypien (automatischen Gedanken) 5 In-Frage-stellen dieser Denkstereotypien (Realitätsgehalt wird geprüft; Argumente für und gegen die Fehlinterpretation werden zusammengetragen) 5 Ersetzen durch alternative Denkmuster (kognitive Umstrukturierung) 4 Beispiele möglicher »Denkfehler« 5 Willkürliche Schlussfolgerungen: Ziehen willkürlicher Schlussfolgerungen ohne sichtbaren Beweis oder sogar trotz Gegenbeweis 5 Übergeneralisierung: aufgrund eines einzelnen Ereignisses wird eine allgemeine Regel aufgestellt, die unterschiedslos auf ähnliche und unähnliche Situationen angewendet wird 5 Dichotomes Denken (»Schwarz-Weiß-Malen«): Denken in Allesoder Nichts-Kategorien 5 Personalisierung: Ereignisse werden ohne klaren Grund auf sich selbst bezogen 5 Katastrophisieren: Überbewertung des Eintreffens oder der Bedeutung von negativen Ereignissen 5 Selektive Abstraktion: wenige Einzelinformationen werden verwendet und überbetont, um eine Situation zu interpretieren

5

Eigene Notizen

88 Kapitel 5 · Psychotherapie

Eigene Notizen

5

Rational-Emotive Therapie (nach A. Ellis)

4 Emotionen als Ergebnis von Denkvorgängen 4 Emotionale Störungen als Resultat irrationaler Überzeugungen bzw. Denkmuster (nicht die Dinge selbst beunruhigen uns, sondern die Meinungen, die wir darüber haben); Verdeutlichung anhand des ABCSchemas 4 ABC-Schema: A → B → C 5 A (= activating event): das auslösende Ereignis (z. B. ein Misserfolg) 5 B (= irrational belief): die Gedanken zum Ereignis, die Bewertung 5 C (= consequence): Gefühle und Verhalten, die als Reaktion/Konsequenz auf die Gedanken folgen 4 Vorgehen in der Therapie: Identifikation und Herausarbeitung irrationaler Überzeugungen im Dialog mit dem Patienten (»Sokratischer Dialog«) und Veränderung dieser Gedankenmuster Methoden der Selbstverbalisation (nach D. Meichenbaum)

4 Annahmen 5 An sich selbst gerichtete Instruktionen haben eine verhaltenssteuernde Wirkung 5 Unangemessene »innere Monologe« führen zur Nichtbewältigung belastender Situationen und unangenehmen Emotionen 4 Vorgehen: Erarbeiten und Einüben individueller, angemessener Formulierungen 5 Selbstinstruktionstraining: Einüben, in problematischen Situationen einen positiven und konstruktiven inneren Monolog (= Selbstinstruktion) zu führen 5 Stressimpfungstraining J Annahme, dass Stress wesentlich durch kognitive Faktoren vermittelt wird J Zur Bewältigung von Stresssituationen – ähnlich wie beim Selbstinstruktionstraining – Einüben von der Situation vorausgehenden, begleitenden und nachfolgenden Selbstverbalisationen

5.2.9

Aufbau von Kompetenzen

4 Aufbau von Kompetenzen in defizitären Bereichen Training sozialer Kompetenzen

4 Ziel: Erwerb sozialer Kompetenz, die es ermöglicht, zufrieden stellende Kompromisse zwischen Selbstverwirklichung und sozialer Anpassung zu erzielen 4 Vorgehen: Erarbeitung eines Erklärungsmodells, Rollenspiele und aktive Verhaltensübungen, Modifikation interner Regulationsprozesse durch kognitive Techniken, operante Verstärkung durch Rückmeldungen, Modelllernen (von Therapeuten, Gruppenteilnehmern) 4 Häufig Defizite in den Bereichen Recht, Kontakt, Beziehung

89 5.3 · Psychoanalytische Therapieverfahren

4 Eingeübt werden: 5 Berechtigte Forderungen zu stellen und durchzusetzen 5 Aber auch Fehler einzugestehen und sich zu entschuldigen 5 Kontakt aufzunehmen, fortzuführen und zu beenden 5 Angemessene Reaktionen auf Kontaktangebote und Komplimente 5 Gefühle, Wünsche und Bedürfnisse kundzutun und auch »Nein« zu sagen Problemlösetraining (nach J. D’Zurilla und M.R. Goldfried)

4 Ziel: Erwerb adäquater Strategien und Handlungsmöglichkeiten zur effektiveren und selbstständigen Problembewältigung 4 Erlernen von Problemlösungsschritten 1. Beschreibung des Problems und Zieldefinition 2. Entwicklung von Lösungsmöglichkeiten 3. Bewertung der Lösungsmöglichkeiten 4. Treffen einer Entscheidung 5. Planung und Umsetzung der Lösungsstrategie sowie deren Bewertung

5.3

Psychoanalytische Therapieverfahren

4 Klassische Psychoanalyse als erstes eigenständiges psychotherapeutisches Verfahren; begründet auf entwicklungspsychologischen psychodynamischen Theorien von S. Freud 4 Ätiologisch orientiert, d. h. primäre Therapieausrichtung auf Ursachenklärung und -ergründung 4 Annahme, dass Erleben und Verhalten auf einem Zusammenspiel bewusster und unbewusster seelischer Prozesse beruht 4 Krankhafte Symptome = Ausdruck ungelöster, unbewusster Konflikte aus der Kindheit oder von Entwicklungsdefiziten (Störungen der Bewältigung phasenspezifischer Entwicklungsaufgaben) 4 Ziel: Aufdeckung und Bearbeitung der unbewussten Konflikte und Ausgleich von Entwicklungsdefiziten → Nachreifung bzw. Normalisierung der Persönlichkeitsstruktur 4 Beschäftigt sich demzufolge insbesondere mit den sog. neurotischen, d. h. auf disponierenden Vorerfahrungen beruhenden Störungen

5.3.1

Grundlagen der Tiefenpsychologie

4 Topographisches Modell 5 Unterscheidung von Bewusstsein, Vorbewusstsein und Unterbewusstsein (Unterbewusstsein = Sitz der Triebe; wird nur unter bestimmten Umständen bewusst, z. B. beim »Sich-versprechen«, in Träumen) 4 Instanzen-/Strukturmodell 5 Es: unbewusste Triebe und Impulse; handelt nach dem »Lustprinzip« (sofortige Bedürfnisbefriedigung)

5

Eigene Notizen

90 Kapitel 5 · Psychotherapie

Eigene Notizen

5

5 Über-Ich: moralische Instanz (»Gewissen«), verinnerlichte Normen, Werte und Ideale 5 Ich: Instanz, die zwischen Es, Über-Ich und Realität vermittelt; agiert nach dem »Realitätsprinzip« (Anpassung an die Realität; stellt vernünftige Entscheidungen über lustbetonte Wünsche); setzt Abwehrmechanismen zur Angstbewältigung ein 4 Abwehrmechanismen 5 Dienen dazu, unerträgliche, angstbesetzte oder unangenehme Konfliktkonstellationen vom Bewusstsein fernzuhalten bzw. durch Symptombildung dem Bewusstsein in erträglicher Form zu präsentieren 5 Prozess findet nicht nur bei psychischen Erkrankungen statt, sondern auch bei psychisch Gesunden > Abwehrmechanismen sind nicht grundsätzlich als pathologisch zu bewerten.

5 Wichtige Abwehrmechanismen J Verdrängung: Fernhalten Angst erzeugender Inhalte/Konflikte vom Bewusstsein J Verleugnung: nicht mehr Wahrnehmen von bestimmten unangenehmen Gegebenheiten der Realität J Isolierung: Abtrennung emotionaler Regungen von angstbesetzten Inhalten J Konversion: der verdrängte Trieb drückt sich in Form körperlicher Symptomatik aus J Verschiebung: Verschiebung eines Impulses oder einer Emotion von einem Objekt zu einem anderen, das weniger gefährlich und das akzeptierbar ist J Reaktionsbildung: Umwandlung eines nicht akzeptierten Triebimpulses in sein Gegenteil (Wendung ins Gegenteil) J Projektion: Übertragung eigener Probleme und abgelehnter Impulse auf Andere, die dann bei den Anderen kritisiert werden J Regression: Rückkehr zu einem früheren Funktionsniveau J Identifikation und Introjektion: Identifikation mit einer anderen Person ermöglicht stellvertretendes Erreichen von Triebbefriedigung und Übernahme von Normen und Werten in die eigene Persönlichkeit (Introjektion) J Rationalisierung: rationale Begründungen für ansonsten (subjektiv) nicht akzeptierte Handlungen J Intellektualisierung: emotionale Konflikte werden durch vernunftbetonte abstrakte Denkmodelle entaktualisiert bzw. kontrolliert J Sublimation: Befriedigung nicht erfüllter Bedürfnisse durch sozial akzeptierte Ersatzhandlungen (das ursprüngliche Ziel des Triebwunsches wird aufgegeben)

91 5.3 · Psychoanalytische Therapieverfahren

> Abwehrmechanismen führen zur Unterdrückung von Triebimpulsen oder zu Ersatzbildungen. Diese können eine befriedigende Lösung darstellen (z. B. bei Sublimation) oder auch nicht, so dass Angst zurück bleibt und viel psychische Energie aufgewendet werden muss für den ständigen Aufwand der Abwehr und Angstreduktion und wenig Energie übrig bleibt für ein produktives Leben.

4 Phasen-/Entwicklungsmodell (psychosexuelle Entwicklung nach S. Freud): Störungen, Fixierung oder Regression in einer oder auf eine Phase bei zu viel oder zu wenig Lustgewinn in einer Phase → führt allgemein zu Ich-Schwäche, basaler Störung des Selbstgefühls, unzureichend integrierten Vorstellungen von sich selbst und seinen Objekten 5 Oraler Charakter bei Fixierung oder Regression auf orale Phase (1. Lebensjahr): Fixierung auf orale Befriedigungsformen (Essen, Rauchen, Trinken), fordernd, gierig, passiv-abhängig, unselbstständig, selbstbezogen, empfindlich; assoziierte psychische Erkrankungen: Sucht, Depression, Schizophrenie 5 Analer Charakter bei Fixierung oder Regression auf anale Phase (2.–3. Lebensjahr): zwanghaft, geizig, übertrieben reinlich, pedantisch; assoziierte psychische Erkrankung: Zwänge 5 Phallischer Charakter bei Fixierung oder Regression auf ödipale/ phallische Phase (4.–5. Lebensjahr): übertriebenes Erfolgsstreben, Geltungsbedürfnis, Rücksichtslosigkeit, Aggressivität, Konkurrenzdenken, (sexuelle) Ängstlichkeit; assoziierte psychische Erkrankungen: Phobien, Hysterien

5.3.2

Therapie

4 Voraussetzungen zur erfolgreichen Durchführung der Therapie: Veränderungsbereitschaft des Patienten aufgrund eines subjektiven Leidensdrucks, ein gewisses Maß an Introspektionsfähigkeit, Reflektions- und Ausdrucksvermögen 4 Erforschung des Unbewussten durch freie Assoziation (»Grundregel« in der klassischen Psychoanalyse) und Deutung des manifesten Erlebens und Verhaltens 4 Setting bei klassischer Psychoanalyse 5 Patient liegt auf Couch, soll liegend frei assoziieren 5 Therapeut sitzt außerhalb des Blickfeldes am Kopfende 4 Gleichschwebende Aufmerksamkeit beim Therapeuten: zurückhaltende, neutrale Einstellung gegenüber allen Äußerungen des Patienten 4 Regression: gefördert durch die liegende Position des Patienten taucht der Patient in sein inneres Erleben ein und geht zurück in einen früheren, kindlichen Lebensabschnitt 4 Übertragung: nicht verarbeitete Konflikte werden in der Beziehung zum Therapeuten reaktualisiert → Entwicklung einer therapeutischen Übertragungsbeziehung

5

Eigene Notizen

92 Kapitel 5 · Psychotherapie

Eigene Notizen

5

4 Regression und Übertragung sind erwünscht, damit Konflikte erkannt und gedeutet werden können; Patient kann frühere Konflikte erneut durchleben und mit Hilfe des Therapeuten adäquat lösen 4 Widerstände: Übertragungen und Regressionen erwecken Ängste, die innere Widerstände als Abwehrprozesse auslösen 5 Widerstände richten sich v. a. gegen das Bewusstwerden unangenehmer Inhalte 5 Widerstandsphänomene: z. B. Patient vermeidet unangenehme Themen oder Affekte, kann sich nicht erinnern, versäumt Therapiestunden 4 Analyse von Übertragungen und Widerständen als Manifestationen des Unbewussten 4 Gegenübertragung: Empfindungen, die der Patient beim Therapeuten auslöst bzw. spezifische Reaktionen des Therapeuten auf eine ihm entgegengebrachte Übertragung (Therapeut muss sich dieser bewusst sein und sie zu deuten wissen; liefern wertvolle diagnostische Erkenntnisse) 4 Abstinenzregel: Therapeut bleibt neutral, vermeidet Ratschläge oder Handlungen, Kontakt mit Patienten bleibt auf Therapiesitzungen beschränkt → soll bewirken, dass Übertragungen und Gegenübertragungen sich ungestört entwickeln können 4 Wichtigste therapeutische Intervention ist die Deutung: Therapeut deckt die im Unterbewusstsein verborgenen Konflikte auf, indem er Inhalte der freien Assoziation, das unmittelbare Verhalten gegenüber dem Therapeuten, Träume, Kindheitserinnerungen und Versprecher deutet 4 Langzeittherapie (klassische Psychoanalyse: mehrmals pro Woche über Jahre) 4 Psychodynamische Therapien als Modifikationen der klassischen Psychoanalyse: Unterscheiden sich z. B. durch Verminderung der Therapiestundenfrequenz, Begrenzung der Behandlungsdauer, Therapie im Sitzen statt im Liegen 5 Zum Beispiel Fokaltherapie als tiefenpsychologisch orientierte Kurztherapie: Ausrichtung auf einen Hauptkonflikt/-fokus 4 Weitere psychoanalytische Schulen: Individualpsychologie nach A. Adler, analytische Psychologie nach C.G. Jung, Existenzanalyse (Logotherapie) nach V. Frankl (wichtige Intervention der Logotherapie: paradoxe Intervention = Patient soll genau das anstreben, wovor er Angst hat bzw. was er vermeiden will) > Psychoanalytische Therapien zielen darauf ab, unbewusste Konflikte aufzudecken, durch Deutung des Therapeuten aufzulösen, dem Patienten so Einsicht in die Ursachen seines Leidens zu geben und dem Patienten eine Nachreifung der Persönlichkeit zu ermöglichen. S. Freud: »Wo Es ist, soll Ich werden« → verdrängte Triebkonflikte sollen aufgedeckt und die Triebe besser in das Ich integriert und von diesem beherrscht werden.

4 Psychoanalytische Psychotherapie ist wenig evidenzbasiert, nur wenige kontrollierte Studien zur Wirksamkeit liegen vor

93 5.5 · Systemische Paar- und Familientherapie

5.4

Gesprächspsychotherapie

4 Zählt zu den sog. humanistischen Therapieverfahren 4 Grundgedanken 5 Mensch strebt nach Selbstverwirklichung, Autonomie und Vervollkommnung 5 Zusätzlich wirken Regeln, Kritik und Bewertungen aus der Umwelt auf die Person ein, welche diese häufig als eigene Lebensgrundsätze annimmt, auch wenn sie im Widerspruch stehen zu eigenen Bedürfnissen und Wünschen (=Inkongruenzen) 5 Inkongruenzen (Nicht-Übereinstimmungen) hemmen die Selbstentfaltung und können zu Ängsten, Zweifeln, Minderwertigkeitsgefühlen führen 4 Ziel der Therapie: Patienten befähigen, besser auf eigene Bedürfnisse und Gefühle zuzugreifen und als Teil seiner Selbst anzunehmen durch Schaffen einer Atmosphäre, in der sich der Patient bedingungslos angenommen fühlt 4 Klassische Gesprächspsychotherapie (auch »klientenzentrierte« oder »personenzentrierte Psychotherapie« genannt) geht zurück auf den amerikanischen Psychologen C. Rogers 4 Im Mittelpunkt der Therapie steht die persönliche Entwicklung des Patienten, die ihrerseits Problemlösungen begünstigen soll 4 Wirkung beruht v. a. auf der besonderen Gestaltung der psychotherapeutischen Beziehung; Patient soll eine vergleichbare Beziehung zu sich selbst aufbauen können, wie sie ihm der Therapeut anbietet (→ Therapeut verhilft zu verbesserter Selbstwahrnehmung und -akzeptanz) 4 Therapeutische Basisvariablen 5 Empathie: einfühlendes Verstehen 5 Akzeptanz: unbedingte Wertschätzung 5 Kongruenz: Echtheit, Transparenz, authentische Kommunikation > Charakteristika der therapeutischen Beziehung: bedingungslose positive Wertschätzung, Empathie und Kongruenz.

4 Klassische Gesprächspsychotherapie ist nicht ziel- und störungsorientiert, im Gegensatz zu neueren, modifizierten Formen wie die klärungsorientierte Psychotherapie, die Elemente der kognitiven Verhaltenstherapie einbezieht

5.5

Systemische Paar- und Familientherapie

4 Betrachten eines Paares bzw. der Familie als System, das essenzielle Bedeutung für die Entwicklung eines Individuums innerhalb dieses Systems hat 4 Psychische Erkrankung eines Individuums wird als Manifestation einer gestörten Interaktion innerhalb des gesamten Systems betrachtet, nicht als individuelles Problem

5

Eigene Notizen

94 Kapitel 5 · Psychotherapie

Eigene Notizen

5

> Annahme: Probleme zeigen sich zwar beim Individuum, haben dort aber nicht ihre primäre Ursache.

4 Systeme weisen eine Eigendynamik auf und organisieren sich selbst; selbstorganisierte Systeme können von außen (vom Therapeuten) angestoßen werden, um eine angemessenere, befriedigendere Organisationsform zu finden 4 Therapeut als »Gesprächsmoderator« 4 Ziel: Aufdecken und Verändern dysfunktionaler Denkmuster eines oder mehrerer Systemmitglieder sowie von Beziehungsstörungen, indem neue Denkmöglichkeiten v. a. durch das systemische Fragen (zirkuläre Fragen: der Befragte soll die Perspektive eines Dritten einnehmen, z. B. was glaubt Person A wie Person B sich fühlt) erzeugt werden

5.6

Entspannungsverfahren

4 Können als eigenständiges Therapieverfahren oder als Bestandteil anderer therapeutischer Techniken (z. B. systematische Desensibilisierung) eingesetzt werden 4 Ziel: umfassende körperlich-seelische Entspannung 4 Häufig angewandte Entspannungsverfahren: Progressive Muskelrelaxation, Autogenes Training 4 Autogenes Training: autosuggestive Methode zur Körperselbstbeeinflussung (»konzentrative Selbstentspannung«): wiederholtes innerliches Aufsagen bestimmter Formeln (z. B. »der Arm ist ganz schwer«) 5 Standardübungen (Unterstufe): Ruhetönung, Schwereübung, Wärmeübung, Herzübung, Atmungsübung, Sonnengeflechtsübung, Stirnkühleübung 4 Progressive Muskelrelaxation: Muskelentspannung durch schrittweise muskuläre Anspannung und anschließende Entspannung der Muskulatur 4 Oft beschriebene Effekte: Entspannung der Muskulatur, Harmonisierung des vegetativen Nervensystems, gesteigerte Selbstkontrolle, emotionale Ausgeglichenheit 4 Anwendung zum Abbau innerer oder körperlicher Anspannung, z. B. bei Ängsten, Nervosität, Stress, Reizbarkeit, Schlafstörungen, chronischen Schmerzen mit und ohne Muskelverspannungen 4 Kontraindikationen: v. a. massive Angst vor Kontrollverlust, Patienten mit akuter Psychose

5.7

Biofeedback

4 Optische oder akustische Rückmeldung biologischer Signale über Körperfunktionen, die sonst nicht oder schwer wahrnehmbar sind; werden so der bewussten Wahrnehmung zugänglich gemacht, wodurch ein gewisses Maß an willentlicher Steuerung und Kontrolle der jeweiligen Körperfunktion erlernt werden kann

95 5.9 · Schulenübergreifendes Betrachten von Psychotherapie

4 Vorgehen: bestimmte Parameter wie Muskelspannung, Durchblutung, Hautwiderstand werden gemessen und dem Patienten rückgemeldet (z. B. EEG-Feedback, EMG-Feedback) 4 Seit kurzer Zeit wird versucht, die regionale Gehirndurchblutung durch funktionelle Kernspintomografie willkürlich selbst zu beeinflussen (Neurofeedback) 4 Aufgabe des Patienten: er soll versuchen, das rückgemeldete Signal in die therapeutisch gewünschte Richtung zu verändern 4 Feedbacksignal als Verstärkung für die physiologische Funktionsänderung (basiert auf dem operanten Konditionierungsmodell) 4 Ziel: Ausbildung der Fähigkeit zur Selbstkontrolle entsprechender physiologischer Vorgänge und Übertragung der erlernten Selbstkontrolle in Alltagssituationen 4 Einsatz eher spezifisch bei einzelnen Störungsbildern, z. B. chronische Schmerzsyndrome, psychosomatische Funktionsstörungen

5.8

Psychoedukation

4 Vermittlung von Informationen und Krankheitsmodellen – allein oder als Teil von anderen Psychotherapien (psychoedukative Elemente sind ein typisches Merkmal von Verhaltenstherapien) 4 Ist als alleinige Intervention nur dann ausreichend, wenn die Probleme nach Behebung eines Informationsmangels beseitigt oder eigenständig gelöst werden können 4 Psychoedukation findet auch Anwendung bei Angehörigen des Patienten

5.9

Schulenübergreifende Psychotherapie

4 Schulenübergreifende Theorie von K. Grawe konstatiert 4 allgemeine Wirkfaktoren der Psychotherapie 5 Klärung: therapeutische Interventionen, die das Verständnis und die Einsicht des Patienten in bestimmte Verhaltens- und Erlebensweisen fördern 5 Bewältigung: Vermittlung von Fertigkeiten zur besseren Problembewältigung 5 Problemaktualisierung: Therapeut unterstützt den Patienten, Konflikte in der Therapie (nach)zuerleben 5 Ressourcenaktivierung: Anknüpfung an vorhandene Ressourcen des Patienten; Patient soll seine positiven Seiten und Stärken erleben; therapeutische Beziehung als wichtige Ressource 4 Jede Therapieschule hat hinsichtlich dieser Wirkfaktoren ihre Schwerpunkte (z. B. Psychoanalyse → v. a. Problemaktualisierung, Verhaltenstherapie → Bewältigung)

5

Eigene Notizen

6 Tag 2 – Therapie

6

Weitere Therapieformen

6.1

Elektrokrampftherapie – 98

6.2

Lichttherapie – 99

6.3

Schlafentzugstherapie – 100

6.4

Physiotherapie – 100

6.5

Soziotherapie, Versorgung, Rehabilitation – 100

6.5.1 6.5.2 6.5.3

Soziotherapie – 100 Psychiatrisch-psychotherapeutische Versorgung Rehabilitation – 102

– 101

98 Kapitel 6 · Weitere Therapieformen

Eigene Notizen

Neben psychopharmakologischen und psychotherapeutischen Therapieansätzen Etablierung weiterer Therapieformen: 4 Zum einen Therapieverfahren physikalisch interventioneller Natur 4 Zum anderen begleitende sozio-, ergo- und physiotherapeutische sowie rehabilitative Verfahren

6.1

6

Elektrokrampftherapie

4 Erzeugung eines generalisierten Krampfanfalls durch kurze elektrische Reizung des Gehirns 5 Applikation von Kurzpulsströmen über Elektroden am Kopf 5 In der Regel unilateral (über nicht-sprachdominater Hirnhälfte), ggf. bei Nichtwirksamkeit bilaterale Reizung (dann aber mehr kognitive Nebenwirkungen) 4 Wirkung durch neurochemische Veränderungen verschiedener Transmittersysteme 4 Durchführung (nur nach angemessener Aufklärung und schriftlichem Einverständnis des Patienten) 5 Unter Kurznarkose, Muskelrelaxation, Sauerstoffbeatmung und Zahnschutz 5 Dauer der Krampfanfälle: mindestens 25–30 s (objektivierbar durch parallel abgeleitetes EEG) 5 Als initiale Behandlungsserie i. d. R. 2-mal/Woche (bis zu 6 Wochen) 5 Bei erheblicher Rezidivgefahr anschließende Erhaltungs-EKT über 1 Jahr mit 1 Konvulsion/Woche bis 1 Konvulsion/Monat > Vor einer Elektrokrampftherapie/Elektrokonvulsionstherapie (EKT) sollten Benzodiazepine und Antikonvulsiva abgesetzt werden (verkürzen Krampfdauer) bzw. bestmöglich reduziert werden. Vorsicht bei Clozapin, Tranylcypromin und Bupropion: können Krampfdauer verlängern. Gleichzeitige Lithiumbehandlung erhöht das Delirrisiko.

4 Indikationen: schwerst psychisch Kranke, bei denen andere Therapiemethoden erfolglos waren oder bei denen wegen der Schwere der Erkrankung eine schnelle Verbesserung notwendig ist 5 Therapie der Wahl bei besonders schwerer J Wahnhafter Depression, depressivem Stupor, schizoaffektiver Psychose mit depressiver Verstimmung J Depression mit hoher Suizidalität oder lebensbedrohlicher Nahrungsverweigerung J Akuter, lebensbedrohlicher (perniziöser) Katatonie 5 Weitere Indikationen J Therapieresistente Depressionen J Therapieresistente Manien J Therapieresistente, akut exazerbierte schizophrene Psychosen J Therapieresistente, nicht lebensbedrohliche Katatonien

99 6.2 · Lichttherapie

4 4 4

4

6.2

5 Seltene Indikationen J Malignes neuroleptisches Syndrom J Therapieresistente schizoaffektive Störungen Risiken entsprechen im Wesentlichen denen der Narkose (Kurznarkose) Während der Elektrokrampfbehandlung können akut hohe Blutdruckspitzen sowie kurzzeitige Asystolien auftreten (siehe Kontraindikationen) Nebenwirkungen (fast immer passager) 5 Kopfschmerzen (häufigste Nebenwirkung der EKT) 5 Kognitiv-amnestische Störungen (bei unilateraler Stimulation deutlich geringer als bei bilateraler) Kontraindikationen 5 Absolut: erhöhter intrakranieller Druck, frischer Herz- oder Hirninfarkt (innerhalb der letzten 3 Monate), schwerer arterieller Hypertonus, ausgeprägte kardiopulmonale Funktionseinschränkungen (nicht narkosefähig), akuter Glaukomanfall, intrazerebrale Raumforderung mit Begleitödem 5 Relativ: zerebrales Aneurysma, zerebrales Angiom 5 Schwangerschaft, höheres Lebensalter und Herzschrittmacher stellen keine Kontraindikationen dar

Lichttherapie

4 Wirksamkeit insbesondere bei der saisonalen affektiven Störung (SAD) (besonders Herbst/Winter) belegt 4 Durchführung 5 Beleuchtung mit hellem, breitspektralem Licht (ohne UV-Licht) für 30 min bis 2 h täglich (je nach Beleuchtungsstärke), über 2–4 Wochen 5 Beleuchtungsstärke zwischen 2500 und 10.000 Lux 5 Bevorzugt morgens 5 Augen sollten dabei die meiste Zeit über geöffnet sein 5 Alternative zu künstlichem Licht: täglicher einstündiger Morgenspaziergang (über mindestens 2 Wochen) 4 Zur Unterstützung von Pharmako- und Psychotherapie, in Kombination guter Wirkungserfolg 4 Angenommener Wirkmechanismus: Einflussnahme des durch das Auge aufgenommen Lichtes auf die zirkadiane Rhythmik 4 Nebenwirkungen: gelegentlich Augenbrennen (aber keine Hinweise für die Verursachung von Augen- oder Retinaschäden), Kopfschmerzen und Gereiztheit; Vorsicht bei gleichzeitiger Pharmakotherapie mit photosensibilisierenden Substanzen, z. B. Johanniskraut-Extrakten

6

Eigene Notizen

100

Kapitel 6 · Weitere Therapieformen

Eigene Notizen

6.3

Schlafentzugstherapie

4 Ergänzendes Therapieverfahren bei depressiven Erkrankungen (auch Wachtherapie genannt) 4 Vollständiger (komplette Nacht), partieller (2. Nachthälfte) oder selektiver (REM-Schlaf-Phasen) Schlafentzug > Am Tag nach dem Schlafentzug dürfen Patienten tagsüber nicht schlafen. Sollte nicht angewendet werden bei Epilepsie (Erniedrigung der Krampfschwelle) und wahnhafter Depression (mögliche Verschlechterung der wahnhaften Symptomatik).

6

4 Wirkungsmechanismus nicht abschließend geklärt, wahrscheinlich Resynchronisation der gestörten zirkadianen Rhythmik und Normalisierung des gestörten Schlafmusters (Durchschlafstörungen mit morgendlichem Früherwachen) 4 Bei ca. der Hälfte der Patienten kommt es zu (meist nur 1 bis 2 Tage anhaltenden) Stimmungsverbesserungen 4 Zur Stabilisierung der Stimmungsverbesserung kann eine Schlafphasenvorverlagerung an den Schlafentzug anschließen 5 Erste Schlafphase von 17 bis 24 Uhr, Verlagerung der Schlafphase um jeweils eine Stunde an den nachfolgenden Tagen, bis nach einer Woche der normale Schlafrhythmus erreicht ist (23 bis 6 Uhr) 6.4

Physiotherapie

4 In der Regel Bestandteil des Gesamtbehandlungskonzepts, besonders bei stationärer Behandlung 4 Hierzu gehören Krankengymnastik, Massagen, medizinische Bäder, Schwimmen, Bewegungstherapie 4 Prinzip: über den Körper auf die Psyche einwirken 5 Reduktion von Spannungen und Ängsten 5 Aktivierung, Antriebssteigerung 5 Verbesserung der Beziehung zum eigenen Körper und der Wahrnehmung der eigenen Persönlichkeit; Stärkung von Selbstvertrauen 4 Häufig als Gruppentherapie (fördert Kontaktfähigkeit und Sozialverhalten) 6.5

Soziotherapie, Versorgung, Rehabilitation

6.5.1

Soziotherapie

4 Therapeutische Behandlungsform, die mit der Übernahme von Eigenverantwortung verbunden ist 4 Einerseits wird versucht, durch Motivation und Training die Kompetenzen des Patienten zu erhöhen, andererseits Einwirkung auf das Umfeld, um Stressoren und Konflikte abzubauen

101 6.5 · Soziotherapie, Versorgung, Rehabilitation

4 Motivierungsarbeit und strukturierte Trainingsmaßnahmen sollen helfen, psychosoziale Defizite abzubauen und krankheitsbedingte Schwierigkeiten im Alltag zu mildern oder zu bewältigen (ohne den Patienten dabei zu überfordern) 4 Findet überwiegend im sozialen Umfeld des Patienten statt 4 Betrifft primär die Lebensbereiche Arbeit, Wohnen und Kontakte 4 Verschiedene Behandlungsansätze, z. B. 5 Beratung und Betreuung durch einen Sozialdienst 5 Ergotherapie 5 Berufliche oder gesellschaftliche Reintegration 5 Kreativ-künstlerische Angebote 5 Ambulante Pflege 5 Tagesstrukturierende Maßnahmen Ergotherapie

4 Oberbegriff für Maßnahmen im Rahmen von Beschäftigungs- und Arbeitstherapie 4 Allgemeines Ziel: Entwicklung, Verbesserung oder Erhalt von eigenständiger Lebensführung und Grundarbeitsfähigkeit 5 Beschäftigungstherapie J In der Regel als Gruppentherapie J Vor allem künstlerisch-kreative Handarbeiten, aber auch Maßnahmen zur Stärkung kognitiver Leistungsfähigkeit (Bürotraining, Konzentrationstraining) oder Üben von Haushaltsführung (Einkaufen, Kochen, Ordnung halten) J Förderung von Antrieb, Ausdauer, kognitiven und kommunikativen Fähigkeiten, Stärkung von Selbstvertrauen 5 Arbeitstherapie J Beispielsweise Arbeiten in Werkstätten oder Gärtnereien J Zur Vorbereitung auf das Berufsleben, berufsfördernde Maßnahmen oder auf eine Werkstatt für Behinderte J Förderung von Ausdauer, Konzentrationsfähigkeit, Sorgfalt, Pünktlichkeit, Flexibilität Künstlerische/kreative Soziotherapien

4 Tanz- und Bewegungstherapie, Musiktherapie, Mal-/Gestaltungstherapie 4 Steigerung von Selbstvertrauen, Kreativität, Abbau von Isolation 6.5.2

Psychiatrisch-psychotherapeutische Versorgung

4 Vollstationäre, akut-psychiatrische Versorgung (vollstationäre Langzeiteinrichtungen sind mittlerweile äußerst rar) 4 Teilstationäre Versorgung 5 Zwischenglied zwischen vollstationärer und ambulanter Therapie 5 Tagesklinik: halbstationäre Therapieform, die Patienten an meist 5 Tagen der Woche für eine begrenzte Zeit wahrnehmen (ca. 8 h täglich)

6

Eigene Notizen

102

Kapitel 6 · Weitere Therapieformen

Eigene Notizen

5 Nachtklinik: Patienten schlafen nur nachts in der Einrichtung und gehen tagsüber einer regelmäßigen Beschäftigung nach 4 Ambulante Versorgung durch niedergelassene Fachärzte, Institutsambulanzen, Tageszentren, sozialpsychiatrischen Dienst

6.5.3

6

Rehabilitation

4 Maßnahmen und Leistungen, die der Wiedereingliederung des Patienten in die Gesellschaft dienen 4 Unterscheidung medizinischer, beruflicher (sog. Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben) und sozialer Rehabilitation (sog. Leistungen zur Teilhabe in der Gemeinschaft) 4 Medizinische Rehabilitation 5 Maßnahmen, die auf die Erhaltung oder Besserung des Gesundheitszustands abzielen 5 Erfordert v. a. die Durchführung medizinischer Leistungen 5 Wird ambulant oder stationär erbracht 4 Berufliche Rehabilitation/Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben 5 Ziel: Erhalt, Verbesserung oder Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit 5 In betrieblichen (z. B. betriebliches Eingliederungsmanagment) oder außerbetrieblichen Einrichtungen (z. B. Berufsbildungs- und Berufsförderungswerke) 5 Scheint die Wiedereingliederung in den ersten Arbeitsmarkt aus medizinischen Gründen unwahrscheinlich, kann die Teilhabe am Arbeitsleben in einer Werkstatt für behinderte Menschen, einer Rehabilitationseinrichtung für psychisch Kranke (RPK) oder in heilpädagogischen Zentren angestrebt werden 4 Soziale Rehabilitation/Leistungen zur Teilhabe in der Gemeinschaft 5 Ziel: Integration des Patienten in die Gesellschaft unter Berücksichtigung seiner Fähigkeiten, Neigungen und Defizite 5 Maßnahmen im Wohn- und Freizeitbereich (z. B. betreutes Wohnen)

7 Tag 3 – Spezielle Krankheitsbilder I

7

Schizophrenie

104

Kapitel 7 · Schizophrenie

Eigene Notizen

Definition Schizophrenie: tiefgreifende Störung von Denken, Fühlen, Erleben und Verhalten; dabei sind insbesondere Wahrnehmung, Ich-Erleben (Ich-Umwelt-Abgrenzung) und inhaltliches Denken einerseits sowie andererseits Affektivität/Emotionalität, Sozialverhalten, Antrieb und Psychomotorik betroffen. Psychose: übergeordneter Begriff, alle Krankheitsbilder mit einer Veränderung des eigenen Erlebens und des Realitätsbezugs, nicht identisch mit der Diagnose Schizophrenie (diese gehört aber u. a. zu den psychotischen Erkrankungen).

7

4 E. Kraepelin beschrieb das Krankheitsbild als »Dementia praecox« (»vorzeitige Demenz«), die sich in der 2. und 3. Lebensdekade manifestiert und progredient zu »demenziellem Abbau« führt → Betonung kognitiver Störungen und des Krankheitsverlaufs 4 Einführung des Begriffs »Schizophrenie« erstmals von E. Bleuler, als »Spaltung« verschiedenster psychischer Funktionen ( !Cave Begriff bezeichnet nicht eine »gespaltene Persönlichkeit«!)

Ätiologie 4 Multifaktorielle Genese 5 Genetische Einflüsse (genetische Disposition ca. 50%) 5 Prä- und perinatale Einflüsse und Komplikationen oder frühkindliche Hirnschädigung 5 Psychosoziale Einflüsse 5 Drogenkonsum 4 Äthiopathogenetisches Modell: Vulnerabilitäts-Stress-Coping-Modell 5 Auf Basis subklinischer Vulnerabilität (Disposition) für die Krankheitsmanifestation können Stressoren (Auslöser) bei nicht ausreichenden Bewältigungsmöglichkeiten (Coping) zur manifesten Erkrankung führen 5 Berücksichtigung neurobiologischer, psychologischer und sozialer Faktoren 5 Vulnerabilitätsfaktoren: genetische und nicht-genetische Einflüsse (z. B. Schwangerschafts- und Geburtskomplikationen, Virusinfektion, Drogenkonsum der Mutter, schizotype Persönlichkeitsmerkmale, verminderte kognitive Informationsverarbeitungsgeschwindigkeit); Grundlagen der Vulnerabilität wahrscheinlich strukturelle und funktionelle zerebrale Veränderungen J Erweiterung der Ventrikelräume J Hirnsubstanzminderung, besonders in fronto-temporalen Regionen; verminderte zerebrale Asymmetrie J Vor allem dopaminerge Funktionsstörungen (aber auch Störungen anderer Transmitter) J Funktionelle Dysregulation, v. a. im limbischen System

105 7 · Schizophrenie

5 Stressoren: Drogenkonsum (z. B. Cannabis), überstimulierende soziale Umgebung (z. B. Stadtleben, Migration), stressreiche kritische Lebensereignisse, möglicherweise auch kritikbetontes oder emotional überengagiertes Familienklima (»high expressed emotions«) 5 Protektive Faktoren: psychosoziale Unterstützung, adäquate Problemlösungsstrategien 4 Findet neurochemisch seinen Ausdruck v. a. in einer Überaktivität des mesolimbischen dopaminergen Systems

Epidemiologie 4 Lebenszeitprävalenz der Schizophrenie weltweit: ca. 1% 4 Lebenszeitrisiko für Angehörige schizophren Erkrankter: Geschwister ca. 10% (monozygote Zwillinge bis ca. 50%), Kinder ca. 10–30% (bei 2 betroffenen Elternteilen bis ca. 50%) 4 Prävalenzraten der Schizophrenie variieren weltweit zwischen ca. 2 und 4 Betroffene pro 1000 Einwohner 4 Morbiditätsrisiko höher 5 In städtischen Gebieten 5 Bei Migrationshintergrund 5 Bei Personen, die während der Wintermonate geboren wurden 5 Bei Alleinstehenden 5 Bei niedrigem sozioökonomischem Status (Diskussion, ob dies auf soziale Mitverursachung oder sozialen Abstieg der Betroffenen – »social drift« – rückführbar ist) 4 Erkrankungsbeginn meist zwischen 15. und 35. Lebensjahr; Unterschied zwischen den Geschlechtern: Männer erkranken bis zu 5 Jahre früher als Frauen (aber kein Geschlechtsunterschied hinsichtlich Erkrankungshäufigkeit) 4 Hohe Mortalität und Suizidalität (ca. 10% der Ersterkrankten unternehmen innerhalb eines Jahres nach Krankheitsmanifestation einen Suizidversuch) 4 Fremdaggressivität überschätzt (wenn diese auftritt, sind häufig Angehörige betroffen) 4 Hohe Komorbidität mit Suchterkrankungen (höchste Komorbidität), Depressionen sowie mit somatischen Erkrankungen (v. a. kardiovaskuläre, respiratorische oder Infektionskrankheiten)

Klinik > Störungen von Konzentration und Aufmerksamkeit, inhaltliche und formale Denkstörungen, Störungen der Ich-Funktion, der Wahrnehmung, des Antriebs und der Psychomotorik sowie der Affektivität (Bewusstsein und Orientierung sind i. d. R. nicht betroffen).

7

Eigene Notizen

106

Kapitel 7 · Schizophrenie

Eigene Notizen

7

Einteilung der Symptome nach verschiedenen Gesichtspunkten

4 Historische Einteilung der Symptome nach E. Bleuler in Grund- und akzessorische Symptome 5 Grundsymptome (charakteristisch für Schizophrenie, »4 A’s«) J Störungen der Assoziation (formale Denkstörungen wie Denkzerfahrenheit, Vorbeireden, Begriffszerfall, Symboldenken, Gedankensperrung) J Störungen der Affektivität (z. B. Parathymie, Affektverflachung) J Autismus (Zurückgezogenheit in die innere Gedankenwelt) J Ambivalenz im Fühlen, Handeln und Wollen (Antriebsstörungen) 5 Akzessorische Symptome (gehäuftes Vorkommen auch bei anderen Psychosen) J Halluzinationen J Wahn J Katatone Störungen J Funktionelle Gedächtnisstörungen J Eigenheiten von Schrift und Sprache 4 Erst- und Zweitrangsymptome der Schizophrenie nach K. Schneider: 5 Symptome 1. Ranges J Wahnwahrnehmung J Dialogische, kommentierende, imperative Stimmen J Gedankenlautwerden, -eingebung, -entzug, -ausbreitung J Andere Beeinflussungserlebnisse mit dem Charakter des Gemachten (z. B. leibliche Beeinflussungserlebnisse) 5 Symptome 2. Ranges J Wahneinfall J Sonstige akustische und andere Halluzinationen (z. B. optisch, olfaktorisch) J Affektveränderungen J Ratlosigkeit 4 Einteilung in Positiv- und Negativsymptomatik 5 Positiv-/Plus-/Produktivsymptomatik: Krankheitswertige Erscheinungen, die in Bezug auf die verschiedenen Entitäten der psychischen Funktionen den Charakter der Neubildung haben J Inhaltliche Denkstörungen wie z. B. Wahnwahrnehmung J Ich-Demarkation (Verschmelzung der Ich-Umwelt-Grenze, z. B. Gedankeneingebung) J Wahrnehmungsstörungen wie z. B. Halluzinationen J Sind häufig phasenhaft und zeigen einen weniger stabilen Verlauf als die Negativsymptomatik 5 Negativ-/Minus-/Defizitsymptomatik: Symptome, die als »Wegfall« oder Minderung früher vorhandener Funktionen erscheinen wie kognitive Dysfunktionen (Störungen von Aufmerksamkeit, Konzentration, Gedächtnis), Störungen von Antrieb, Psychomotorik und Affektivität; bei manchen überdauernd J Typische Negativsymptome (nicht zu verwechseln mit den 4 »A’s« bzw. Grundsymptomen nach E. Bleuler!): Alogie (Denkstörung mit Sprachverarmung), Anhedonie (Verlust der Fähigkeit,

107 7 · Schizophrenie

Freude oder Vergnügen zu empfinden), Affektverflachung, Apathie (Mangel an Energie, Antrieb), Asozialität (sozialer Rückzug, Mangel an Kontaktfähigkeit), Aufmerksamkeitsstörungen 4 Kognitive Symptomatik wird z. T. der Negativ-Symptomatik zugeordnet (zeitlich gut mit dieser korrelierend) 5 Typische Störung der Sprachproduktion 5 Störung der (geteilten) Aufmerksamkeit 5 (Arbeits-)Gedächtnisstörung 5 Störungen der Handlungsplanung und -organisation 4 Symptomklassifikationen nach E. Bleuler und insbesondere nach K. Schneider fanden Eingang in die modernen Klassifikationssysteme (ICD-10, DSM-IV) 4 Leitsymptome der Schizophrenie (nach ICD-10) 1. Gedankenlautwerden, -eingebung, -entzug, -ausbreitung 2. Kontroll- oder Beeinflussungs-/Beeinträchtigungswahn; Gefühl des Gemachten bzgl. Körperbewegung, Gedanken, Tätigkeiten oder Empfindungen; Wahnwahrnehmungen 3. Kommentierende oder dialogische Stimmen 4. Anhaltender, kulturell unangemessener oder völlig unrealistischer Wahn (bizarrer Wahn) 5. Anhaltende Halluzinationen jeder Sinnesmodalität 6. Gedankenabreißen oder -einschiebungen in den Gedankenfluss 7. Katatone Symptome wie Erregung, Haltungsstereotypien, Negativismus oder Stupor 8. Negative Symptome wie auffällige Apathie, Sprachverarmung, verflachter oder inadäquater Affekt 5 Erforderlich sind mindestens ein eindeutiges Symptom aus der Gruppe 1–4 oder mindestens 2 Symptome aus der Gruppe 5–8 5 Charakteristische Symptomatik muss mindestens über 1 Monat vorhanden sein 5 Schizophrenie sollte nicht diagnostiziert werden bei eindeutiger Hirnerkrankung, während Intoxikation oder Entzug Unterformen der Schizophrenie

4 Paranoide Schizophrenie 5 Häufigste Unterform (ca. 65%) 5 Im Vordergrund stehen Wahnvorstellungen (z. B. Verfolgungs-, Beziehungs-, Eifersuchts-, Sendungswahn oder zönästhetischer Wahn) und Halluzinationen (v. a. akustische) 4 Hebephrene oder desorganisierte Schizophrenie 5 Primär Affekt- (oft unpassender, alberner, läppischer Affekt, Affektverflachung, Manierismen), Antriebs- (antriebs- und ziellos, desorganisiert, rastlos-enthemmt oder distanzlos) und formale Denkstörungen (z. B. ungeordnetes Denken, weitschweifige und zerfahrene oder bizarre Sprache) 5 Wahnvorstellungen und Halluzinationen nur flüchtig 5 Meist früher Krankheitsbeginn zwischen 15. und 25. Lebensjahr 5 Eher ungünstige Verlaufsprognose

7

Eigene Notizen

108

Kapitel 7 · Schizophrenie

Eigene Notizen

7

4 Katatone Schizophrenie 5 Charakteristisch sind typische katatone Symptome (s. unten), wobei es häufig zu einem Wechsel zwischen Erregung und Stupor kommt; die Psychomotorik ist dabei stark betroffen J Stupor (Zustand motorischer Starre und Kommunikationsunfähigkeit) und/oder Mutismus (eingeschränkte/aufgehobene verbale Kommunikationsfähigkeit) J Erregung (anscheinend sinnlose motorische Aktivität, nicht durch äußere Reize beeinflusst) J Haltungsstereotypien (Verharren in bestimmten unsinnigen und bizarren Haltungen über längere Zeit) J Negativismus (Regelmäßiges Ausführen von zum Verlangten oder Erwarteten gegenteiligen Bewegungen oder Nichtausführen von Verlangtem oder Erwartetem) J Rigidität (Beibehaltung einer starren Haltung bei Versuchen, von außen bewegt zu werden) J Flexibilitas cerea (»wächserne Biegsamkeit«; Verharren der Gliedmaßen in Haltungen, die von außen beigebracht wurden) J Andere Symptome wie Befehlsautomatismen (automatische Befolgung von Anweisungen) und verbale Perseveration 5 ! Cave Perniziöse Katatonie: extremer Stupor mit Hyperthermie und vegetativer Dysregulation (potenziell lebensbedrohlich) > Perniziöse Katatonie: sehr seltene, gelegentlich letal verlaufende Form der Katatonie mit hohem Fieber, Exsikkose und autonomer Entgleisung (v. a. Tachykardien). Erfordert neben Benzodiazepamgabe (Lorazepam) und ggf. Haloperidol Kühlung, Volumensubstitution, ggf. intensivmedizinische Behandlung, ggf. Elektrokrampftherapie. Differenzialdiagnose: malignes neuroleptisches Syndrom (7 Kap. 4.10.1).

4 Undifferenzierte (atypische) Schizophrenie 5 Diagnose nur bei Nichtzutreffen anderer Unterformen oder Vorhandensein von Merkmalen verschiedener Unterformen 4 Schizophrenes Residuum 5 Chronisches Bild ausgeprägter Negativsymptomatik für mindestens 12 Monate nach mindestens einer früheren akuten psychotischen Episode 4 Schizophrenia simplex 5 Blander Verlauf mit zunehmender Negativsymptomatik, Verschlechterung der Leistungsfähigkeit und sozialer Desintegration; spezifische Symptome (Wahnvorstellungen, Halluzinationen) fehlen, keine vorhergehende psychotische Episode 4 Postschizophrene Depression 5 Depressive Episode im Anschluss an eine akute Schizophrenie, wobei die schizophrene Symptomatik zwar zurücktritt, aber einige schizophrene Symptome (positiv oder negativ, Letzteres häufiger) noch vorhanden sind 5 ! Cave Erhöhtes Suizidrisiko!

109 7 · Schizophrenie

Verlauf

4 Meist dem Vollbild der Erkrankung vorausgehende vieljährige Prodromalphase mit uncharakteristischen Störungen v. a. von Kognition, Affekt und sozialem Verhalten (z. B. depressive Symptome, Schlafstörungen, sozialer Rückzug, Interessenverringerung, Konzentrationsstörungen, Ausbildung ungewöhnlicher Ideen) 5 Prodromalsymptomatik ähnelt in Vielem der Negativsymptomatik der manifesten Schizophrenie 4 Häufig einerseits episodisch auftretende, akute psychotische Zustände, andererseits chronische Beeinträchtigungen v. a. mit persistierenden negativen Symptomen 5 Verschiedene Verlaufsformen, z. B. kontinuierlich, episodisch-remittierend, episodisch mit stabilem Residuum, episodisch mit zunehmendem Residuum 4 Nach akuter Krankheitsphase individuell unterschiedlicher Verlauf (oft mit Erwerbsunfähigkeit und mangelnder sozialer Integration) 5 Grobe »Drittelregel« zum Langzeitverlauf: 1/3 vollständige Remission, 1/3 mit Rückfällen und leichten Residuen, 1/3 mit beträchtlicher bis schwerer Residualsymptomatik J Drittelregel ist allerdings in Anbetracht des Alters dieser Beobachtung und der zwischenzeitlichen diagnostischen Modifikationen vorsichtig zu interpretieren 4 Indikatoren für einen ungünstigen Krankheitsverlauf 5 Sehr frühes Erkrankungsalter 5 Langandauernde Prodromalphase bzw. schleichender chronischer Krankheitsbeginn mit schwerer Negativsymptomatik 5 Fortgesetzter Drogenkonsum 5 Geringe prämorbide Sozialanpassung 5 Geringe prämorbide Intelligenz, kognitive Defizite 5 Männliches Geschlecht (früherer Beginn als bei Frauen) 5 Geburtskomplikationen 5 Psychische Erkrankungen in der Familie 5 Belastendes familiäres Klima 5 Psychosozialer Stress 5 Fehlende stabile Partnerschaft 5 Ethnischer Minderheitenstatus > Je akuter der Beginn und je deutlicher situative Auslöser, desto günstiger die Prognose. Schizophrenie im Kindes- und Jugendalter

4 Nur etwa 1% aller Schizophrenien treten vor dem 10. Lebensjahr auf, ca. 4% vor dem 15. Lebensjahr 4 Im Vergleich zur adulten Schizophrenie 5 Oft sehr unspezifische Symptomatik 5 Wenig produktive Symptomatik wie Wahn oder Halluzinationen

7

Eigene Notizen

110

Kapitel 7 · Schizophrenie

Eigene Notizen

5 Häufig affektive Schwankungen, bizarres Verhalten, Stereotypien, psychomotorische Unruhe und Minussymptomatik wie Lust- und Antriebslosigkeit, kognitive und sprachliche Defizite (auch Mutismus) 4 Im Jugendalter nähert sich die Symptomatik der adulten Form an

Diagnostik

7

4 Differenzialdiagnostische Abklärung 5 Schizotype Störung (7 Kap. 17): Störung mit exzentrischem Verhalten und Auffälligkeiten des Denkens und der Stimmung, die schizophren wirken, aber Fehlen hinreichender charakteristischer schizophrener (Produktiv-)Symptome; chronischer Verlauf, gelegentlich Entwicklung einer Schizophrenie J Konzeptuell unklarer Begriff; wird z. T. im Sinne einer Prodromalsymptomatik oder einer leichter verlaufenden Krankheitsausprägung gesehen, z. T. aber auch den Persönlichkeitsstörungen zugerechnet 5 Paranoide Persönlichkeitsstörung (7 Kap.17) 5 Anhaltende wahnhafte Störungen: Wahnentwicklung als wesentliches psychopathologisches Symptom; flüchtige Halluzinationen, sonstige Symptome der Schizophrenie fehlen; manchmal depressive Symptome; chronische Verlaufstendenz (Dauer mindestens 3 Monate) J Wahnthemen sind – im Gegensatz zur Schizophrenie – nicht so bizarr (nicht so ungewöhnlich und unverständlich) J In der Regel stabiler monothematischer Wahn J Typische Wahnthemen: Verfolgungswahn, Eifersuchtswahn, Liebeswahn, hypochondrischer Wahn, dysmorphophober Wahn, querulatorischer Wahn, Größenwahn J Oft vorausgehendes längerdauerndes Stadium mit überwertigen Ideen und einzelnen Wahnideen J Erkrankungsbeginn meist im mittleren bis späten Erwachsenenalter; soziales Funktionsniveau i. d. R. weniger beeinträchtigt als bei Schizophrenie J Häufig schlechteres Therapieansprechen 5 Induzierte wahnhafte Störung (»folie à deux«): Wahnbildung, bei der eine Person in sehr engem Kontakt mit einem Erkrankten dessen Wahnvorstellungen übernimmt und sogar weiter ausbaut 5 Akute vorübergehende psychotische Störungen J Akute polymorphe psychotische Störung: Psychose mit plötzlichem Beginn (innerhalb von 2 Wochen) und rascher Rückbildung; rasch wechselndes und unterschiedliches Erscheinungsbild (polymorph) J Akute schizophrenieforme psychotische Störung: akuter Beginn (innerhalb von 2 Wochen), Kriterien für Schizophrenie erfüllt, aber Dauer der Symptome weniger als 1 Monat 5 Schizoaffektive Störung: gleichzeitiges Vorkommen (d. h. in derselben Krankheitsphase) eindeutig schizophrener und eindeutig affektiver Symptome; schizoaffektive Episoden können mehr manisch, mehr depressiv oder gemischt (manisch sowie depressiv) sein

111 7 · Schizophrenie

J Episoden- bzw. phasenförmiger Verlauf mit längeren symptomfreien Intervallen J Erkrankungsbeginn meist im frühen Erwachsenenalter J Hohes Suizidrisiko: 10–20% > Für die Diagnose einer schizoaffektiven Störung müssen – im Verlauf betrachtet – in der Mehrzahl der Episoden die Kriterien der schizoaffektiven Störung erfüllt sein. Rein schizophrene oder rein affektive Episoden dürfen im Verhältnis dazu nur sehr selten vorliegen.

5 Affektive Störung mit psychotischen Symptomen (7 Kap. 8) 4 Ausschluss substanzinduzierter oder organisch bedingter psychotischer Störungen (sog. »sekundäre« oder »symptomatische« Schizophrenien), v. a. infolge von: 5 Schädel-Hirn-Traumata 5 Tumoren (besonders im Frontal- oder Temporallappen) 5 Degenerativen zerebralen Erkrankungen 5 Zerebrovaskulären Erkrankungen 5 Infektiösen zerebralen Erkrankungen (z. B. Neurosyphilis, AIDS, Herpes-Enzephalitis) 5 Epilepsien (v. a. Temporallappenepilepsien) 5 Hashimoto-Enzephalitis oder anderen Automimmunerkrankungen (z. B. Lupus erythematodes disseminatus) 5 Endokrinopathien (insbesondere Hypo-/Hyperthyreoidismus) 5 Metabolischen Störungen (z. B. M. Wilson, Porphyrie) 5 Vitamin-B12-Mangel 5 Intoxikationen (z. B. Schwermetallvergiftung) 5 Drogeninduzierten Psychosen 4 Zur differenzialdiagnostischen Abklärung organisch bedingter oder substanzinduzierter psychotischer Störungen und zur Erfassung somatischer Begleiterkrankungen 5 Allgemeinkörperliche und neurologische Untersuchung 5 Laborchemische Diagnostik von Blut und Urin J Blutbild und Differenzialblutbild, Bestimmung von CRP, TSH, Leber- und Nierenwerten J Drogen-Screening J Bei entsprechendem Verdacht Lues-Serologie oder HIV-Test 5 Orientierende strukturelle Bildgebung mittels cCT/cMRT 5 Ggf. EEG, EKG, Röntgen-Thorax, Liquordiagnostik > Hinter stuporös-katatonen Zuständen können sich z. T. lebensbedrohliche Krankheitsbilder verbergen. Daher sorgfältige allgemeinkörperliche und neurologische Untersuchung mit Medikamentenscreening, laborchemischer Untersuchung, ggf. EEG, Drogenscreening, Liquordiagnostik und cCT/cMRT.

4 Ggf. testpsychologische Erfassung kognitiver Störungen (häufig Störungen von Exekutivfunktionen, Gedächtnis und Aufmerksamkeit), v. a. zur Verlaufsbeurteilung und für die Rehabilitation bedeutsam

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Eigene Notizen

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Kapitel 7 · Schizophrenie

Eigene Notizen

Therapie 4 Gesamtbehandlungskonzept unter Einschluss von Pharmakotherapie sowie psycho- und soziotherapeutischen Interventionen Pharmakotherapie

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4 Wirkt primär auf die Produktiv-Symptomatik 4 Behandlung mit Antipsychotika: alle Antipsychotika sind D2-Antagonisten oder Partialagonisten 4 Mittel der Wahl: atypische Antipsychotika außer Clozapin (z. B. Amisulprid, Aripiprazol, Olanzapin, Paliperidon, Quetiapin, Risperidon, Sertindol, Ziprasidon) 5 Vor allem empfohlen für längerfristige Behandlungen, möglicherweise auch wirksam in Bezug auf Negativsymptomatik und kognitive Beeinträchtigungen 5 ! Cave Atypikum Clozapin sollte erst bei Therapieresistenz verschiedener anderer Antipsychotika oder sehr ausgeprägter Negativsymptomatik eingesetzt werden wegen Gefahr der Agranulozytose (in ca. 1% der Fälle) und sonstiger Nebenwirkungen; keine Kombination von Clozapin mit Benzodiazepinen wegen Gefahr kardiovaskulärer Synkopen und/oder des Herzstillstands! > Bevorzugung atypischer Antipsychotika gegenüber klassischen Antipsychotika aufgrund vergleichbarer Wirkung auf Positivsymptomatik, überlegener Wirksamkeit auf Negativsymptomatik und geringerer Rate extrapyramidalmotorischer Nebenwirkungen.

4 Bekannte klassische hochpotente Antipsychotika: Benperidol, Flupentixol, Fluphenazin, Haloperidol, Perphenazin oder Pimozid (sind i. d. R. keine Mittel der 1. Wahl) 4 Bei mangelnder Wirksamkeit und gesicherter Compliance 5 Umstellung oder Erhöhung der antipsychotischen Medikation über den empfohlenen Wirkungsbereich hinaus (frühestens nach 2–4 Wochen) 5 Clozapin-Behandlung 5 Augmentationsbehandlung: Kombinationsbehandlung von Antipsychotika mit anderen Substanzen, insbesondere bei Komorbidität, v. a. mit Lithium oder anderen Phasenprophylaktika (z. B. Valproinsäure, Lamotrigin, Carbamazepin), aber auch mit Antidepressiva 5 Elektrokrampftherapie 4 Dauer antipsychotischer Pharmakotherapie 5 Allgemeine Empfehlung einer Langzeittherapie zur Symptomsuppression und Verhinderung von Rezidiven J Bei Erstmanifestation mindestens 12 Monate J Nach einem Rezidiv: über 2–5 Jahre J Nach mehreren Rezidiven: mindestens 5 Jahre, ggf. lebenslang

113 7 · Schizophrenie

4 Depot-Antipsychotika als Alternative zur oralen Applikationsform; Indikation für Depot-Antipsychotika, 5 wenn die Einnahme oraler antipsychotischer Medikation nicht sichergestellt werden kann 5 in der Langzeittherapie > Eine ambulante Depot-Antipsychotika-Verabreichung gegen den Patientenwillen ist auch bei betreuten Patienten in keiner Weise legitimiert.

4 Bei krankhafter Erregung, Angst, innerer Unruhe, katatoner Symptomatik: zeitlich befristete Kombination der Antipsychotika mit einem Benzodiazepin (z. B. Lorazepam) 4 Bei Erregungszuständen oder aber auch Insomnie ist der Einsatz von nieder- oder mittelpotenten Antipsychotika sinnvoll (z. B. Melperon, Prothipendyl, Perazin) 4 Bei depressiven Symptomen, bei residualer Negativsymptomatik, Zwangs- und Angstsymptomen: Antidepressiva (SSRI, TZA) begleitend zur antipsychotischen Therapie 4 Schizoaffektive Störung 5 Akutbehandlung J Bei schizodepressiver Symptomatik: Kombination aus atypischem Antipsychotikum und Antidepressivum J Bei schizomanischer Symptomatik: Kombination aus atypischem Antipsychotikum und Lithium 5 Phasenprophylaxe: richtet sich primär nach dominierender Symptomatik; häufig Behandlung mit einer Kombination aus Stimmungsstabilisierer und Antipsychotikum Psycho- und Soziotherapie

4 Psychoedukative Maßnahmen (auch bei Angehörigen): Vermittlung eines Krankheitskonzepts, Sensibilisierung für Frühwarnzeichen, Informationen über Wirkungen und Nebenwirkungen der Medikamente 4 Aufbau eines individuellen Krisennetzes, Familieninterventionen 4 Kognitiv-verhaltenstherapeutische Elemente: Training sozialer Fertigkeiten; Training und Aufbau von Strategien zur Kompensation kognitiver Defizite, aber auch Aufbau von Fertigkeiten zur Bewältigung therapieresistenter Produktiv-Symptomatik 4 Ergotherapeutische Maßnahmen zur Bewältigung von Alltagsaufgaben und beruflichen Anforderungen 4 Körperbezogene Therapien (Physiotherapie, Sport, Tanz) zur Förderung des positiven Körpererlebens, künstlerische Therapieformen zur Förderung von Kreativität, Selbstvertrauen und Eigeninitiative 4 Soziotherapeutische Maßnahmen zur Förderung sozialer und beruflicher Wiedereingliederung

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Eigene Notizen

8 Tag 3 – Spezielle Krankheitsbilder I

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Affektive Störungen

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Kapitel 8 · Affektive Störungen

Eigene Notizen

Definition Affektive Störungen: Gruppe psychischer Erkrankungen, bei der primär Stimmung, Antrieb und Vegetativum betroffen sind. Können in zwei syndromatischen Polen auftreten: Depression: affektives Syndrom, charakterisiert durch niedergedrückte Stimmung, Antriebsminderung, Interessenlosigkeit, reversible kognitive Störungen (Denkverlangsamung, Aufmerksamkeits- und Konzentrationsstörungen etc.) sowie häufig körperlich-vegetative Störungen. Manie: »Gegenpol« der Depression; Erkrankungsbild mit situationsunangemessener gehobener Stimmungslage, Antriebssteigerung, Rededrang (Logorrhö), Ideenflucht und häufig Größenideen. Bipolare affektive Störung: in der Anamnese sowohl depressive als auch (hypo-)manische Episoden.

Einteilung

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4 ICD-10: Abgrenzung episodenhafter affektiver Störungen (manische oder depressive Episode) von chronisch anhaltenden Störungen (Dysthymia/Zyklothymia); daneben Klassifizierung der Episoden im Rahmen einer unipolaren oder bipolaren affektiven Störung 5 Depressive Episode J Leicht/mittel/schwer J Jeweils mit oder ohne psychotische Symptome J Jeweils mit oder ohne somatische Symptome 5 Manische Episode J Manie (jeweils mit oder ohne psychotische Symptome) J Hypomanie 5 Rezidivierende depressive Störung (unipolar) 5 Bipolare affektive Störung (Depression und (Hypo-)Manie) 5 Anhaltende affektive Störungen (Zyklothymia, Dysthymia) > Rezidivierende manische Episoden (mindestens 2 manische Episoden) werden nach der ICD-10 auch als bipolare affektive Störung klassifiziert.

Ätiologie 4 Gesicherte multifaktorielle Genese aus biologischen und psychosozialen Faktoren 4 Genetische Disposition (insbesondere bei bipolarer affektiver Störung) 5 Erkrankungsrisiko der Kinder bei einem erkrankten Elternteil für unipolare Depression ca. 10%, für bipolare affektive Störung ca. 20% 5 Konkordanzrate für eineiige Zwillinge bei bipolarem Verlauf ca. 80%, bei unipolarem ca. 50% 4 Neurobiologische Hypothesen oder Befunde (diese können aber entweder die Entstehung affektiver Erkrankungen nicht vollständig erklären, sind experimentell teilweise nicht reliabel nachweisbar oder zeigen keine Erkrankungsspezifität!)

117 8 · Affektive Störungen

5 Neurochemische Modelle J Supersensitivität noradrenerger β-Rezeptoren (→ Antidepressiva können Verminderung der Sensitivität der β-Rezeptoren induzieren) J Monoamin-Mangel-Hypothese der Depression: Verminderung von Serotonin und Noradrenalin (sowie Dopamin) im synaptischen Spalt (→ Antidepressiva führen zur Wiederaufnahmehemmung insbesondere von Noradrenalin und Serotonin) J Cholinerg-aminerge Imbalance-Hypothese: relatives Überwiegen des cholinergen Systems während Depression und Überwiegen des noradrenergen Systems während Manie → Insgesamt Dysbalance verschiedener Neurotransmitter J Störungen intrazellulärer Signaltransduktionsmechanismen (stimmungsstabilisierende Medikamente wie Lithium wirken modulierend auf Second-Messenger-Systeme ein) 5 Neuroendokrinologische Befunde bei Depression J Regulationsstörung der Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse: erhöhte Basalrate von ACTH und Kortisol; verminderte Supprimierbarkeit von Kortisol (pathologischer Dexamethason-Suppressionstest) → möglicherweise schädigende Wirkung auf Hirnentwicklung sowie -funktion J Regulationsstörung der Schilddrüsenachse (relativ häufig latente Hypothyreosen bei Depressiven, verminderte TSH-Sekretion nach TRH-Stimulation) 5 Hirnmorphologische Auffälligkeiten bei Depression J Leichte fronto-temporo-limbische Volumenreduktionen 5 Chronobiologische Faktoren bei Depression J Tagesschwankungen: morgens depressiver als abends (morgens Kortisol auch höher!) J Durchschlafstörungen mit morgendlichem Früherwachen, mehr oberflächliche und weniger Tiefschlafphasen, verkürzte REMLatenz und erhöhte REM-Dichte → Zirkadiane Rhythmusstörung J Zum Teil saisonale Rhythmik mit Häufung im Herbst/Winter (Lichtmangel?) → saisonale Depression 4 Kognitive Ansätze der Depression 5 »Erlernte Hilflosigkeit« (durch lang andauernde, als unkontrollierbar und unvorhersagbar empfundene Belastungen) → depressiver Attributionsstil: internal, stabil und global 5 Kognitive Triade: negative Wahrnehmung der eigenen Person, der Umwelt und der Zukunft 5 Negative Denkschemata führen zu Denkfehlern, z. B. Übergeneralisierungen, selektive Abstraktionen (»Tunnelblick«), negative Sichtweise durch »schwarze Brille« 5 Interpersonelle Theorie: Depression als Folge mangelnder sozialer Fähigkeiten oder mangelnder sozialer Unterstützung; mangelnde soziale Kontakte führen zu Verstärker-Verlust

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Eigene Notizen

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Kapitel 8 · Affektive Störungen

Eigene Notizen

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4 Persönlichkeitsfaktoren bei Depression 5 Zum Beispiel »Typus melancholicus«: ausgeprägte Ordentlichkeit, Pedanterie, Rigidität, Aufopferungsbereitschaft, hohes Anspruchsniveau an sich selbst 5 Neurotizismus, Introvertiertheit 4 Psychosoziale Faktoren als mögliche Auslöser einer affektiven Störung: stressreiche kritische Lebensereignisse (z. B. Verlusterlebnisse, Überforderung, Kränkungen, Wochenbett) 5 Höheres Risiko für die Entwicklung einer Depression haben verwitwete, geschiedene, sozial isolierte und arbeitslose Personen sowie Personen in einkommensschwachen Schichten 4 Psychoanalytische Erklärungsversuche der Depression 5 Unvollständige Trauerarbeit als Reaktion auf den Verlust eines geliebten Objekts, nach innen gerichtete Aggressionsgefühle gegen das verlorene Liebesobjekt 5 Störung in der oralen Entwicklungsphase, Ich-Schwäche (besondere Verletzlichkeit gegenüber Frustrations- und Enttäuschungserlebnisse bei gleichzeitiger Abhängigkeit von ständiger Zufuhr von Liebe) 4 Ätiologie der Manie und bipolaren Störung noch wenig untersucht 5 Genetische Disposition spielt eine große Rolle 5 Neurochemisch bei Manien erhöhte Konzentrationen von Noradrenalin und Dopamin und erniedrigte Konzentration von Serotonin 5 Manische Phase als Abwehr eines schwächeren Zustands (»Überspielung« eines geringen Selbstwertgefühls) 4 Somatogene oder substanzinduzierte affektive Störungen (7 Abschn. Diagnostik)

Epidemiologie 4 Ca. 65% affektiver Störungen sind unipolare Depressionen (= nur depressive Phasen), ca. 30% verlaufen bipolar, d. h. (hypo-)manische und depressive Phasen; unipolare Manien sind selten (nur ca. 5% aller affektiven Störungen) 4 Meistens phasenhafter, rezidivierender Verlauf (zeitlich umschriebene Krankheitsepisoden mit gesunden Intervallen dazwischen) Depression

4 Lebenszeitprävalenz ca. 17% 4 Punktprävalenz für unipolare Depression in Deutschland ca. 6% 4 Häufigkeitsgipfel der Erstmanifestation im 3. Lebensjahrzehnt; im höheren Lebensalter häufigste psychische Erkrankung 4 Frauen etwa doppelt so häufig betroffen 4 Suizidalität hoch 5 Etwa ein Drittel depressiv Erkrankter unternehmen einen Suizidversuch 5 Suizidmortalität liegt je nach Patientenkollektiv und Erhebungsmethodik bei bis zu 15% > Immer Suizidalität erfragen und bei depressivem Syndrom jederzeit damit rechnen!

119 8 · Affektive Störungen

4 Häufig Komorbidität mit Angststörungen, Substanzmissbrauch oder -abhängigkeit, Persönlichkeitsstörungen, Ess- und Zwangsstörungen sowie somatoformen Störungen Bipolare affektive Störung

4 Lebenszeitprävalenz: ca. 2% 4 Beginnt i. d. R. früher als unipolare Erkrankungen, oft um das 18. Lebensjahr 4 Frauen und Männer gleich häufig betroffen 4 Suizidhäufigkeit sehr hoch 4 Häufig Komorbidität mit Substanzmissbrauch oder -abhängigkeit 4 Manische Phasen machen bei bipolaren Verläufen ca. 10–20% der Erkrankungsepisoden aus Anhaltende affektive Störungen

4 Dysthymia (anhaltende leichtere depressive Störung): Lebenszeitprävalenz bis zu ca. 4%, v. a. Frauen betroffen; Erkrankungsbeginn liegt in der Hälfte der Fälle vor dem 25. Lebensjahr 4 Zyklothymia (chronifiziertes Erkrankungsbild mit leichteren depressiven und hypomanen Phasen): Lebenszeitprävalenz bis zu 1%; kein Geschlechtsunterschied

Klinik Depression

4 Störungen der Affektivität 5 Leitsymptom: depressive Verstimmung 5 Insuffizienzgefühle 5 Schuldgefühle 5 Hoffnungslosigkeit 5 Anhedonie 5 Verlust emotionaler Schwingungsfähigkeit 5 Gefühl »innerer Leere«, Gefühl der Gefühllosigkeit 5 Diffuse Ängste oder Zukunftsängste 5 Suizidgedanken/Suizidalität 4 Störungen des Antriebs und der Psychomotorik 5 Geminderte/gehemmte Antriebslage bis hin zum depressiven Stupor (bei agitierter Depression gesteigerte Psychomotorik) 5 Interessenverlust 5 Entscheidungsunfähigkeit 4 Störungen des Denkens 5 Denkhemmung 5 Eingeengtes, grübelndes Denken 5 Konzentrations- und Gedächtnisstörungen (→ »depressive Pseudodemenz«) 4 Psychotische Symptome: mögliches Auftreten synthymer (= stimmungskongruenter) – selten aber auch stimmungsinkongruenter – Wahnideen und/oder Halluzinationen

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Eigene Notizen

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Kapitel 8 · Affektive Störungen

Eigene Notizen

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4 Körperlich-vegetative Störungen (Vitalstörungen) 5 Schlafstörungen (Ein- und Durchschlafstörungen) 5 Körperliche Missempfindungen, Schmerzempfindungen 5 Schwindel 5 Übelkeit 5 Obstipation 5 Appetit- und Gewichtsverlust 5 Libidoverlust 4 Hauptsymptome (nach ICD-10) 5 Depressive/gedrückte Grundstimmung (tiefe Traurigkeit) 5 Interessen-/Freudlosigkeit (Anhedonie) 5 Antriebsminderung/Energieverlust/Müdigkeit 4 Zusatzsymptome (nach ICD-10) 5 Verminderte Konzentration und Aufmerksamkeit 5 Reduziertes Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen, Gefühle von Wertlosigkeit 5 Schuldgefühle 5 Negative und pessimistische Zukunftsperspektive 5 Suizidalität 5 Schlafstörungen 5 Appetit-/Gewichtsverlust (aber bei atypischer und saisonaler Depression Appetit eher gesteigert): Minderung des Ausgangsgewichts um mindestens 5% pro Monat 4 Bei mindestens 2 Hauptsymptomen + 2 Zusatzsymptomen über mindestens 2 Wochen (nach ICD-10): Vorliegen einer behandlungsbedürftigen depressiven Episode 4 Einstufung des Schweregrads (nach ICD-10) abhängig von der Anzahl der Haupt- und Zusatzsymptome 5 Leichte depressive Episode: 2 Hauptsymptome + 2 Zusatzsymptome 5 Mittelgradige depressive Episode: 2 Hauptsymptome + 3–4 Zusatzsymptome 5 Schwere depressive Episode: 3 Hauptsymptome + mindestens 4 Zusatzsymptome > Die Einteilung des Schweregrads der Depression wird nicht über die Tiefe der Niedergestimmtheit, sondern über die Anzahl betroffener Symptom-Cluster definiert.

4 Zusätzliches somatisches Syndrom wenn mindestens 4 der folgenden Symptome vorliegen (nach ICD-10) 5 Interessenverlust oder Verlust der Freude an normalerweise angenehmen Tätigkeiten 5 Mangelnde Fähigkeit, auf eine freundliche Umgebung emotional zu reagieren 5 Morgendliches Früherwachen (2 oder mehr Stunden vor der gewohnten Zeit) 5 Morgentief

121 8 · Affektive Störungen

5 Psychomotorische Unruhe oder Gehemmtheit 5 Deutlicher Appetitverlust 5 Gewichtsverlust 5 Deutlicher Libidoverlust 4 Schwere depressive Episoden gehen typischerweise mit einem somatischen Syndrom einher 4 Depressive Episode mit somatischem Syndrom = melancholischer Subtyp 4 Relevante Begriffe (z. T. veraltet, aber klinisch in Gebrauch) 5 Larvierte Depression: somatisierte Depression; diffuse und multiple körperliche Beschwerden und Missempfindungen stehen im Vordergrund 5 Gehemmte Depression: Reduktion von Antrieb und Psychomotorik, im Extremfall depressiver Stupor 5 Ängstlich-agitierte Depression: ängstliche Getriebenheit, innere und/oder motorische Unruhe, unproduktiv-hektisch 5 Psychotische/wahnhafte Depression: Auftreten von Wahnideen; Inhalt charakteristischerweise synthym, d. h. zur Stimmung passend (Verarmungswahn, Schuld-, Versündigungswahn, nihilistischer oder hypochondrischer Wahn) 5 Erschöpfungsdepression: nach Dauerbelastung, v. a. Erschöpfungssymptome 5 Spätdepression/Involutionsdepression/Altersdepression: erstmaliges Auftreten im höheren Lebensalter 5 Schwangerschaftsdepression: Depression während der Schwangerschaft 5 Wochenbettdepression J Auftreten meist in den ersten 1–2 Wochen nach Entbindung, wahrscheinlich versursacht durch postnatale hormonelle Umstellungen; häufiger als Schwangerschaftsdepression; hohe Rezidivgefahr bei der nächsten Geburt J Abzugrenzen sind: »Wochenbett-Blues« (»Heultage« ca. um den 2./3. Tag nach Entbindung, bei ca. 50% der Frauen; Auftreten nur kurz und dann nur supportiv behandlungsbedürftig) sowie postnatale Psychose (meist Depression mit begleitenden psychotischen Symptomen, aber auch schizophrene Psychose möglich) 5 Atypische Depression: atypisch, weil affektive Reagibilität und Schwingungsfähigkeit erhalten, Appetit und Schlafbedürfnis gesteigert, »bleiernes« Schweregefühl in den Extremitäten, gesteigerte Empfindlichkeit gegenüber vermeintlicher Kritik oder Ablehnung 5 Saisonale Depression: saisonales Auftretensmuster (Auftreten meist im Herbst/Winter, vollständige Remission im Frühjahr/Sommer) über mindestens 2 Jahre; Annahme eines serotonergen Defizits; atypische Symptomatik: Appetit gesteigert (v. a. Heißhunger auf Kohlenhydrate), erhöhtes Schlafbedürfnis und längere Schlafperioden, Kälteempfindlichkeit

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Eigene Notizen

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Kapitel 8 · Affektive Störungen

Eigene Notizen

4 Im Anschluss an eine depressive Phase bei ca. 10% hypomane Nachschwankung, möglicherweise auch Umkippen in eine manische Phase (kann u. U. durch antidepressive Therapie bedingt sein) Depressive Störungen im Kindesalter

4 Prävalenz Auf akute Suizidalität ist dringend zu achten. Suizide sind bei Jugendlichen eine der häufigsten Todesursachen.

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Manie

4 Hauptsymptom: Euphorisch gehobene oder gereizte Stimmung 4 Zusätzlich müssen mindestens 3 der folgenden Symptome für mindestens 1 Woche vorliegen mit resultierenden Beeinträchtigungen sozialer und beruflicher Funktionen (nach ICD-10) 5 Gesteigerte Aktivität (hoher Tätigkeitendrang, evtl. Kaufrausch mit unüberlegten Geldausgaben, Abschließen von Verträgen ( ! Cave Akute manische Episode bedingt i. d. R. Geschäftsunfähigkeit!) 5 Gesteigerte Gesprächigkeit, starker Rededrang (Logorrhö) 5 Ideenflucht (assoziativ gelockertes Denken), subjektives Gedankenrasen 5 Verlust sozialer Hemmungen, Distanzlosigkeit (reicht von Aufdringlichkeit bis zur Promiskuität) 5 Vermindertes Schlafbedürfnis 5 Größenwahn oder überhöhte Selbsteinschätzung 5 Ablenkbarkeit, andauernder Wechsel von Aktivitäten 5 Tollkühnes oder rücksichtsloses Verhalten 5 Gesteigerte Libido oder sexuelle Taktlosigkeit 4 Mit oder ohne psychotische Symptome 4 Keine Krankheitseinsicht in manischer Phase 4 Keine Tagesschwankungen wie bei Depression 4 Hypomanie: Leichte Ausprägung der Manie 4 Unipolare Manie (d. h. monophasisch) relativ selten; Auftreten manischer Phasen meistens im Rahmen einer bipolaren Störung 4 Durch unerwartet einschießende, nur kurze depressive Verstimmungen sind auch manische Patienten suizidgefährdet 4 Komorbid besteht häufig vermehrter Alkoholkonsum und Drogenmissbrauch

123 8 · Affektive Störungen

Bipolare affektive Störungen

4 Anamnestisch liegen sowohl depressive als auch (hypo-)manische Episoden vor (nicht notwendigerweise abwechselnd: gemischte Episode = die meiste Zeit während einer Krankheitsepisode kommen sowohl (hypo-)manische als auch depressive Symptome vor) → Vorkommen von mindestens 2 affektiven Episoden, davon mindestens 1 (hypo-)manische Episode 4 Zwischen den Krankheitsepisoden liegen i. d. R. symptomfreie Intervalle 4 Untergruppen bipolarer Störungen (nach DSM-IV) 5 Bipolar Typ I: Depression und Manie wechseln 5 Bipolar Typ II: Depression und Hypomanie wechseln 4 Rapid cycling: sehr hochfrequente Verläufe: mehr als 4 depressive und/ oder (hypo-)manische Episoden pro Jahr Anhaltende affektive Störungen

4 Dysthyme Störung: leichter ausgeprägte chronifizierte Störung; langanhaltende negative Verstimmung (die meiste Zeit des Tages, mehr als die Hälfte aller Tage, mindestens 2 Jahre lang); Kriterien einer depressiven Episode werden nicht erreicht 5 Evtl. im Verlauf oder zusätzliche Entwicklung einer depressiven Episode → »double depression« (= Überlagerung der dysthymen Symptomatik von einer depressiven Episode) 4 Zyklothyme Störung: chronifiziertes Krankheitsbild (über mindestens 2 Jahre) mit leichten depressiven und hypomanen Stimmungsschwankungen ohne dabei die Kriterien einer depressiven oder manischen Episode zu erreichen

Diagnostik 4 Differenzialdiagnostischer Ausschluss 5 Somatogener oder substanzinduzierter Depression J Endokrinologisch-metabolisch, z. B. Hypo-/Hyperthyreose, Hypogonadismus, M. Cushing, M. Addison, Hypo-/Hyperparathyreodismus, Akromegalie, Phäochromozytom, Urämie, Leberinsuffizienz, Hypoglykämie, Diabetes mellitus, Porphyrie J Infektionen, z. B. Meningitis J Neoplasien (Hirntumor oder -metastasen) J Kollagenosen, z. B. systemischer Lupus erythematodes J Zerebrale Erkrankungen, z. B. M. Alzheimer, M. Parkinson, multiple Sklerose, Epilepsie J Medikamente und andere Substanzen, z. B. Antihypertensiva (v. a. β-Blocker, Clonidin), Steroide, Antibiotika, orale Kontrazeptiva, Antiarrhythmika, Benzodiazepine, Alkohol, Opioide 4 ! Cave Depressive Störung auch bei primär körperlichen Beschwerden in Betracht ziehen: Depressive klagen häufig über somatische Beschwerden. 5 Somatogener oder substanzinduzierter Manie (z. B. durch Hyperthyreose, multiple Sklerose, Epilepsie, zerebrale Neoplasien, Anti-

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Eigene Notizen

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Kapitel 8 · Affektive Störungen

Eigene Notizen

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depressiva, L-Dopa, Steroide, Sympathomimetika, Alkohol, Halluzinogene) 5 Unterscheidung reversibler depressiver Pseudodemenz (Depression mit ausgeprägten kognitiven Störungen) und beginnender Demenz J Depressive Pseudodemenz: Betroffene klagen meist stärker über Gedächtnisstörungen; Hauptlast der Symptome liegt jedoch im affektiven, nicht kognitiven Bereich; Abklingen depressiver und kognitiver Symptome mit der Antidepressiva-Therapie 5 Beim Vorkommen psychotischer Symptome: Ausschluss einer schizoaffektiven oder schizophrenen Psychose oder postschizophrenen Depression (7 Kap. 7) 5 Abgrenzung von Anpassungsstörungen mit depressiver Symptomatik (7 Kap. 11) sowie von normalen Trauerreaktionen: reaktiv, vorübergehend, einmalig; i. d. R. keine Anzeichen andauernder schwerer Selbstzweifel oder starker Schuldgefühle; Schwingungsfähigkeit i. d. R. erhalten (Ansprechbarkeit für positive Ereignisse) 4 Diagnostisches Vorgehen 5 Anamneseerhebung 5 Komplette allgemeinkörperliche und neurologische Untersuchung 5 Laborchemische Untersuchung: Blutbild und Differenzialblutbild (Ausschluss Infekte, Neoplasien etc.), Bestimmung der Leber- und Nierenwerte (metabolische/endokrinologische Ursachenabklärung), TSH-Bestimmung (Schilddrüsenfunktionsabklärung), ggf. CRP-Bestimmung (infektiöse Erkrankungen?), bei entsprechendem Verdacht Lues-Serologie, HIV-Test, Drogen-Screening, gonadaler Hormonstatus, Liquordiagnostik 5 Orientierende strukturelle Bildgebung (cCT, cMRT; Hirnatrophien, raumfordernde Prozesse?) 5 EEG (Epilepsien?) 5 EKG, Röntgen-Thorax (kardiovaskuläre oder pulmonale Erkrankungen?) 5 Ggf. testpsychologische Zusatzuntersuchung mit störungsspezifischen Fragebögen, z. B. Beck-Depressions-Inventar (BDI) > Immer Suizidalität abklären!

Therapie Unipolare Depression

4 In der Regel Kombination aus Psychopharmako- und Psychotherapie (alleinige psychotherapeutische Behandlung ist möglich bei leichter bis mittelgradiger Symptomatik und fehlender Selbstgefährdung, Kontraindikationen gegen antidepressive Pharmakotherapie, Ablehnung medikamentöser Therapie durch den Patienten) Psychopharmakotherapie

4 Psychopharmakologische Behandlung leichter Depressionen nicht zwingend empfohlen 4 Bei mittelschweren und insbesondere akuten schweren depressiven Episoden notwendiger Einsatz eines Antidepressivums

125 8 · Affektive Störungen

4 3 Phasen: Akutbehandlung, Erhaltungstherapie (4–9 Monate), ggf. Rezidivprophylaxe (Jahre bis lebenslang; Indikation: mindestens 2 depressive Episoden innerhalb von 5 Jahren) 4 Psychopharmakotherapie mit Antidepressiva 5 Selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI), z. B. Paroxetin, Citalopram 5 Selektive Serotonin- und Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SSNRI): Venlafaxin und Duloxetin 5 Selektiver Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SNRI): Reboxetin 5 Noradrenerges und spezifisch serotonerges Antidepressivum (NaSSA): Mirtazapin 5 Noradrenalin- und Dopamin-Wiederaufnahmehemmer (NDRI): Bupropion 5 Tri- und tetrazyklische Antidepressiva (TZA), z. B. Amitriptylin 5 MAO-Hemmer, z. B. reversibler MAO-Hemmer Moclobemid (Einsatz bei agitierten Depressionen kontraindiziert) 5 Neuere Antidepressiva: z. B. kombinierter Melatonin- und 5HT2CAntagonist Agomelatin 5 Phytopharmakon Johanniskraut (hochdosiert, ! Cave auch Nebenund Wechselwirkungen!): bei leichtgradiger Depression 4 Wirklatenz von Antidepressiva: 2–3 Wochen (häufig in dieser Phase zusätzliche Gabe von Benzodiazepinen oder niedrigpotenten Antipsychotika notwendig) 4 Bei Nichtansprechen auf ausreichend dosiertes Psychopharmakon und gesicherter Compliance 5 Nach 3–4 Wochen Umstellung auf ein anderes Antidepressivum einer anderen Wirkstoffgruppe 5 Spiegelkontrolle des eingesetzten Antidepressivums 5 Augmentation (Kombinationsbehandlung) in erster Linie mit Lithium, als 2. Wahl auch mit Schilddrüsenhormonen, Sexualhormonen (z. B. Testosteron) oder Antikonvulsiva (z. B. Lamotrigin) 4 Nach Abklingen der depressiven Symptomatik: wegen hoher Rückfallgefahr antidepressive Erhaltungstherapie über 4–9 Monate in gleicher Dosierung wie bei Akuttherapie 4 Zur Rezidivprophylaxe (bei Patienten mit 2 oder mehr depressiven Episoden zeitlich relativ nah hintereinander auftretend): Antidepressiva in abgeschwächter Dosierung über Jahre (ggf. lebenslang) 4 Psychotische/wahnhafte Depression: Kombination von Antidepressiva und Antipsychotika Nichtmedikamentöse Maßnahmen

4 Supportive Psychotherapie (verständnisvolles, stützendes ärztliches Gespräch) 4 Kognitiv-behaviorale Therapie 5 Modifikation von Denkschemata 5 Schrittweiser Aufbau von Aktivitäten nach dem Verstärker-Prinzip

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Eigene Notizen

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Kapitel 8 · Affektive Störungen

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5 Förderung von Selbstsicherheit und sozialer Kompetenz: soziales Kompetenz-Training Interpersonelle Psychotherapie 5 Kurzzeittherapie, spezifisch für depressive Störungen entwickelt 5 Grundannahme, dass Depressionen maßgeblich auf der Grundlage zwischenmenschlicher Konflikte entstehen sowie in ihrem Verlauf davon beeinflusst werden 5 Therapieziel: Bewältigung interpersoneller Konflikte und psychosozialer Stressoren Psychoedukation Cognitive Behavioral Analysis System of Psychotherapy (CBASP) 5 Ursprünglich speziell zur Behandlung chronischer Depressionen entwickelte Therapie 5 Grundannahme: depressive Patienten weisen in ihrer kognitiv-emotionalen Entwicklung einen Rückstand auf, verursacht durch wiederholt negative Lebenserfahrungen in vulnerablen Phasen der Entwicklung 5 Therapie kombiniert kognitive, behaviorale und interpersonelle Therapieelemente Psychoanalytische Therapieverfahren i. d. R. nur ratsam bei Patienten mit guter Introspektionsfähigkeit, Kindheitsgeschichte mit Verlusten oder Missbrauchserfahrungen 5 Psychodynamische Kurzzeittherapien v. a. bei umschriebenen Krisen als Auslöser der affektiven Störung Soziotherapeutische Maßnahmen, z. B. Ergotherapie (Tagesstrukturierung, Training von Konzentration, Aufmerksamkeit und Ausdauer) Entspannungsverfahren Andere Therapieformen 5 Schlafentzugsbehandlung (stimmungsaufhellender Effekt dauert häufig nur kurz an; Schlafphasenvorverlagerung als Versuch, den Effekt längerfristig zu halten) 5 Elektrokrampftherapie: v. a. bei wahnhaften, psychotischen Depressionen, depressivem Stupor, hochgradiger Suizidalität oder therapieresistenter Depression 5 Lichttherapie bei saisonalen Depressionen (vermindert Melatoninsekretion und führt dadurch zur Synchronisation endogener Rhythmen) 5 Bewegungs-/Sport-/Physiotherapie: körperliche Aktivierung, kann positive Auswirkungen auf die Stimmung haben

Manie Akuttherapie

4 Pharmakotherapie 5 Lithium (Lithium-Monotherapie reicht wegen verzögertem Wirkungseintritt – ca. 1 Woche – und fehlender Sedierung für Akuttherapie alleine nicht aus) 5 Antikonvulsiva: Valproinsäure, Carbamazepin

127 8 · Affektive Störungen

5 Atypische Antipsychotika: Olanzapin, Quetiapin, Risperidon, Ziprasidon, Aripiprazol 4 Bei schweren Manien, insbesondere mit psychotischen Symptomen: Kombinationstherapie mit atypischem Antipsychotikum und Valproinsäure oder Lithium > Die Akuttherapie einer einzelnen manischen Episode und der manischen Phase im Rahmen einer bipolaren Störung sind identisch.

4 Begrenzung des Aktionsradius und sozialer Stimuli, Reizabschirmung 4 Lenken der gesteigerten Aktivität in Bahnen, in denen sie keinen Schaden anrichtet, z. B. Bewegungstherapie, künstlerisch-kreative Therapien 4 Anstreben eines geregelten Tag-Nacht-Rhythmus 4 Bei therapieresistenten manischen Syndromen kann eine Elektrokrampftherapie erwogen werden Bipolare affektive Störungen

4 Akuttherapie der Manie s. oben 4 Akuttherapie bipolarer Depressionen 5 Bei leichter depressiver Episode: Verhaltenstherapie und Stimmungsstabilisierer wie Lithium, Antikonvulsiva (Lamotrigin) bzw. atypisches Antipsychotikum (Olanzapin oder Quetiapin) (Verzicht auf Antidepressiva, um Risiko, eine Manie oder ein rapid cycling zu induzieren, gering zu halten) 5 Bei mittelschweren und schweren depressiven Episoden: Antidepressivum notwendig (SSRI, keine TZA!); längerfristige Gabe eines Antidepressivums sollte nur unter dem Schutz eines Stimmungsstabilisierers erfolgen 4 Phasenprophylaxe bipolarer Störungen mit Lithium, Antikonvulsiva (Carbamazepin, Valproinsäure oder Lamotrigin; Lamotrigin v. a. zum Schutz vor depressiven Phasen) oder atypischen Antipsychotika (Olanzapin, Quetiapin) > Schon nach einer ersten manischen Episode sollte eine langfristige Phasenprophylaxe erwogen werden (Rückfallrisiko mit ca. 95% sehr hoch!).

4 Unterstützend zur Pharmakotherapie psycho- und soziotherapeutische Maßnahmen (z. B. Psychoedukation, Sensitivierung für Frühwarnzeichen einer erneuten Episode, Förderung von Problemlösestrategien) Anhaltende affektive Störungen

4 Dysthymia 5 Gesicherte Wirksamkeit von Antidepressiva (wegen relativ guter Verträglichkeit SSRI Mittel 1. Wahl) 5 Kognitive Verhaltenstherapie und interpersonelle Psychotherapie bzw. CBASP empfehlenswert, Kombination aus Pharmako- und Psychotherapie sinnvoll (v. a. bei sog. »double depression«)

8

Eigene Notizen

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Kapitel 8 · Affektive Störungen

Eigene Notizen

8

5 Wegen Chronizität relativ lange Behandlungsdauer notwendig (gilt für Pharmako- und Psychotherapie) 4 Zyklothymia 5 Hinweise auf positive Effekte einer Pharmakotherapie mit Lithium, Carbamazepin oder Valproinsäure 5 Bei depressiven Phasen Kombination eines Antidepressivums mit Lithium oder einem Antikonvulsivum (keine Monotherapie mit Antidepressiva wegen Gefahr des Umkippens in eine (hypo-)manische Episode) 5 Zudem sind insbesondere soziotherapeutische und psychoedukative Behandlungsansätze sinnvoll

9 Tag 3 – Spezielle Krankheitsbilder I

9

Angststörungen

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Kapitel 9 · Angststörungen

Eigene Notizen

Definition Angst mit Krankheitswert: Auftreten ohne erkennbaren Grund oder infolge inadäquater Reize; die Angst ist unverhältnismäßig; Beeinträchtigung üblicher sozialer Aktivitäten.

Ätiologie

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4 Komplexe, multifaktorielle Ätiologie (im Sinne eines VulnerabilitätsStress-Modells) 4 Genetische Disposition im Sinne erhöhter Vulnerabilität für Angstanfälligkeit 4 Individuelle Umweltfaktoren (z. B. Erziehung, traumatische Erfahrungen, unsichere Bindungserfahrungen → ängstliche Grundpersönlichkeit) 4 Neurobiologische Faktoren: Fehlfunktion oder Überempfindlichkeit des sog. Angstnetzwerks (zentrales Regulationsorgan: Amygdala) → Störung des Neurotransmitterhaushalts (eine wichtige Rolle spielen serotonerges, noradrenerges, adenosinerges und GABA-System) 4 Lerntheoretische Modelle 5 Modelllernen (z. B. Ängste der Eltern) 5 Zwei-Faktoren-Theorie (klassische und operante Konditionierung) zur Erklärung phobischer Angststörungen J Entstehung: Kopplung eines angsterzeugenden Stimulus mit einem zunächst neutralen Reiz (klassische Konditionierung) J Aufrechterhaltung der Angststörung: Angst-/Spannungsabbau durch Vermeidung des konditionierten Stimulus führt zur Verstärkung des Vermeidungsverhaltens (operante Konditionierung) > Nicht alle Reize tauchen mit gleicher Wahrscheinlichkeit als phobische Objekte auf: bestimmte Reiz-Reaktionsverbindungen werden leichter gelernt, weil sie biologisch vorbereitet sind (PreparednessTheorie).

4 Kognitive Modelle: dysfunktionale Wahrnehmungs- und Bewertungsmuster, Fehlinterpretation eigener Körperempfindungen als gefährlich, Unterschätzung eigener Handlungsmöglichkeiten in vermeintlich gefährlichen/angstauslösenden Situationen 4 Psychoanalytische Modelle 5 Angsterregende Gegenstände haben Symbolcharakter 5 Phobie als Verschiebung bei einem unbewussten Konflikt: nicht vermeidbarer, bedrohlicher innerer Konflikt wird unbewusst transformiert in eine ausweichbare äußere Bedrohung 5 Strukturmodell: massive Ich-strukturelle Schwäche, geringe Frustrationstoleranz, d. h. starke Angst schon bei minimalen Belastungen 4 Organische Erkrankungen (v. a. das ZNS oder Herz-Kreislauf-System betreffend), Medikamente und andere Substanzen (Nikotin, Alkohol) können Einfluss auf Entstehung, Aufrechterhaltung und Verlauf einer Angstsymptomatik nehmen

131 9 · Angststörungen

Epidemiologie 4 Gehören zu den häufigsten psychischen Erkrankungen 4 Lebenszeitprävalenz insgesamt ca. 15%, Punktprävalenz der Angststörungen insgesamt ca. 7% 4 12-Monats-Prävalenz einzelner Störungen in Deutschland 5 Phobische Störungen ca. 8% 5 Generalisierte Angststörung: ca. 1,5% 5 Panikstörung mit oder ohne Agoraphobie: ca. 4% 4 Frauen zu Männer = 2:1 (nur bei sozialer Phobie sind Männer häufiger betroffen) 4 Erstmanifestationsalter 5 Spezifische Phobien: v. a. Kindheit 5 Soziale Phobie: v. a. Pubertät 5 Panikstörung und Agoraphobie: v. a. ab 20. Lebensjahr 5 Generalisierte Angststörung: 2 Erkrankungsgipfel (Adoleszenz und 40. Lebensjahr) 4 Verlauf der Angststörungen eher chronisch 4 Hohe Komorbidität mit depressiven Störungen sowie Alkohol- und Medikamentenmissbrauch und der Angststörungen untereinander

Klinik Agoraphobie

4 Im engen Wortsinn: »Platzangst« 4 Klinisch weiterreichende furchtinduzierende Situationen: deutliche und anhaltende Furcht vor mindestens 2 der folgenden Situationen 5 Menschenmengen 5 Öffentlichen Plätzen 5 Allein Reisen 5 Reisen mit weiter Entfernung von zu Hause 4 Vermeidung der phobischen Situation 4 Psychische oder vegetative Symptome als primäre Manifestation der Angst 4 Agoraphobie tritt häufig gemeinsam mit Panikattacken auf (Agoraphobie mit Panikstörung) Soziale Phobie

4 Auf bestimmte soziale Situationen beschränkte, intensive Angst 5 In relativ kleinen Gruppen (häufig in Gegenwart von fremden Menschen, Autoritätspersonen oder Menschen des anderen Geschlechts besonders stark ausgeprägt) 5 In sozialphobischen Reizsituationen (Leistungs- und Interaktionssituationen): z. B. beim Essen vor anderen Menschen, Sprechen in der Öffentlichkeit, Zeigen von Leistungen in der Öffentlichkeit, Reklamationen in Geschäften, Betreten eines Raumes in dem bereits andere Menschen sitzen 4 Auftreten körperlicher Symptome (Erröten, Zittern, Übelkeit, Harndrang) 4 Meist verbunden mit niedrigem Selbstwertgefühl

9

Eigene Notizen

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Kapitel 9 · Angststörungen

Eigene Notizen

4 Furcht vor Kritik/Abwertung oder negativer/peinlicher Bewertung des eigenen Verhaltens 4 Starke gedankliche Beschäftigung mit den eigenen Ängsten 4 Vermeidung der phobischen Situation → kann zu sozialem Rückzug und Isolation führen > Auch bei Agoraphobie Vermeidung von u. a. sozialen Situationen. Bei Agoraphobie jedoch eher zur Vermeidung von Hilflosigkeit und Ausgeliefertsein, bei sozialer Phobie aus Furcht vor Blamage bzw. Abwertung. Spezifische Phobien

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4 Angst ist auf ein bestimmtes Objekt oder eine umschriebene Situation beschränkt 4 Ausgeprägte Angstreaktion und vegetative Begleitsymptomatik bei Kontakt mit dem phobischen Stimulus 4 Vermeidung der phobischen Situation 4 Häufige Phobien: Spinnenphobie, Schlangenphobie, Klaustrophobie (Angst vor Aufenthalt in geschlossenen Räumen), Akrophobie (Höhenangst), Aviophobie (Flugangst), Blut-Spritzen-Verletzungs-Phobie Panikstörung

4 Wiederholte Panikattacken, die nicht auf eine spezielle Situation oder ein spezifisches Objekt bezogen sind und spontan auftreten 4 Panikattacke 5 Einzelepisode intensiver Angst oder Unbehagen 5 Plötzlicher Beginn ohne Anlass 5 Dauer: meist 10–30 min; Beschwerden erreichen nach wenigen Minuten einen Höhepunkt 5 Körperliche Symptome: Schweißausbrüche, Palpitationen, Herzrasen, thorakale Schmerzen, Beklemmungsgefühle, Zittern, Hitzewallungen, Atemnot, Schwindel, Benommenheit, Übelkeit 5 Häufig auch Furcht zu sterben, verrückt zu werden, Furcht vor Kontrollverlust, Ohnmachtsgefühle, Depersonalisations- oder Derealisationserleben 4 Angstfreie Zeiträume zwischen den Attacken, jedoch oft auch Erwartungsangst (»Angst vor der Angst«), infolgedessen sich eine Agoraphobie entwickeln kann Generalisierte Angststörung

4 Andauernde (an den meisten Tagen der Woche, mindestens mehrere Wochen lang), generalisierte Angst, nicht an bestimmte Situationen oder Objekte gebunden (»frei flottierend«) 4 Ängste entsprechen eher Befürchtungen, Sorgen (z. B. um die Gesundheit, die Zukunft, den Beruf) 4 Begleitende Symptome: Unruhe, Angespanntsein, Spannungskopfschmerz, Schwitzen, Schwindel, vegetative Übererregbarkeit, häufig auch Schlafstörungen

133 9 · Angststörungen

Diagnostik 4 Ausführliche Eigen- und Fremdanamnese 5 Gezielte Exploration von angstauslösenden Situationen, Kognitionen, (körperlichen) Begleitsymptomen, Vermeidungsverhalten, resultierenden Beeinträchtigungen 5 Sucht- und Medikamentenanamnese: häufig Angstsymptomatik bei (missbräuchlichem) Konsum von J Amphetaminen J Cannabinoiden J LSD J Ecstasy J Benzodiazepinen J Alkohol J Opiaten J Koffein J Nikotin J Appetitzüglern J Schilddrüsenhormonen J Bronchodilatatoren J Natriumglutamat 4 Zum Ausschluss organischer Ursachen körperliche Untersuchung, Labor, 24-h-EKG, EEG, ggf. cCT oder cMRT; evtl. muss eine Konsiliaruntersuchung veranlasst werden 5 Wichtige somatische Differenzialdiagnosen J Kardiovaskuläre Erkrankungen (z. B. Herzrhythmusstörungen, koronare Herzkrankheit, Angina pectoris, Myokardinfarkt) J Neurologische Störungen (z. B. Multiple Sklerose, zerebrale Anfallsleiden, M. Parkinson, Chorea Huntington, M. Wilson, demenzielle Erkrankungen) J Schwindel, synkopale Ereignisse J Endokrinologisch-metabolische Erkrankungen (z. B. Hypoglykämie, Hypo-/Hyperthyreose, Phäochromozytom) J Elektrolytstörungen (z. B. Hypokaliämie, Hypokalziämie) J Karzinoid J Lungenerkrankungen (z. B. Asthma, COPD) 4 Ausschluss anderer psychischer Erkrankungen 5 Erkrankungen aus dem schizophrenen Formenkreis (Ängste sind i. d. R. bizarr und beziehen sich auf Themen wie Verfolgung und Fremdbeeinflussung) 5 Depressive Störungen (gehen fast immer mit Ängsten einher) 5 Essstörungen (Angst – trotz objektivem Unter- oder Normalgewicht – zu dick zu sein) 5 Somatoforme Störungen (Ängste beziehen sich auf körperliche Erkrankungen oder Befürchtungen, an einer körperlichen Erkrankung oder einem vermeintlichen Makel zu leiden) 5 Anpassungs- und Belastungsstörungen (gehen mit ängstlicher Symptomatik einher)

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Eigene Notizen

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Kapitel 9 · Angststörungen

Eigene Notizen

5 Persönlichkeitsstörungen 5 Organische psychische Erkrankungen 4 Ggf. Zusatzdiagnostik mittels störungsspezifischer Screeningfragebögen

Therapie

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4 Psychoedukation 5 Teufelskreismodell der Angst: sich selbst aufrecht erhaltender Kreislauf von körperlichen Vorgängen, deren Wahrnehmung und Bewertung und erneuten körperlichen Veränderungen (physiologische Erregung) 5 Vulnerabilitäts-Stress-Modell: Erkrankungen entstehen auf dem Boden einer Disposition (Vulnerabilität) und zusätzlicher akuter oder chronischer Belastungen (Stressoren) 4 Reizkonfrontationsverfahren (7 Abschn. 5.2.6): systematische Desensibilisierung, Flooding, graduierte Exposition (Habituationstraining) 4 Kognitive Therapie: Reattribuierung körperlicher Missempfindungen, Erarbeitung alternativer Bewertungsmöglichkeiten, Bearbeitung dysfunktionaler kognitiver Grundannahmen 4 Bearbeitung krankheitsaufrechterhaltender Faktoren: Training von Problemlösefertigkeiten, Training sozialer Kompetenz 4 Entspannungsverfahren (Progressive Muskelrelaxation, Autogenes Training) 4 Psychodynamische Therapie in Einzelfällen hilfreich 4 Psychopharmakotherapie als begleitende oder unterstützende Therapie (v. a. indiziert bei begleitender Komorbidität einer depressiven Störung) 5 Antidepressiva sind Mittel der Wahl, in der Reihenfolge: J Selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI), z. B. Citalopram, Escitalopram, Paroxetin J Selektive Serotonin- und Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SSNRI): Venlafaxin J Trizyklische Antidepressiva (TZA): Clomipramin J Wirkungseintritt: nach 2–4 Wochen; zur Rückfallvermeidung Behandlung über mindestens 6–12 Monate 5 Benzodiazepine sind schnell wirksam (innerhalb Minuten), haben aber ein hohes Abhängigkeitspotenzial; indiziert ausschließlich als Akutbehandlung sowie zur Überbrückung des Zeitraums bis zum Wirkungseintritt des Antidepressivums; Benzodiazepine bei Angsterkrankungen möglichst vermeiden und durch andere Substanzen kompensieren (z. B. sedierende Antipsychotika in niedriger Dosierung) 5 Buspiron (Nichtbenzodiazepin-Anxiolytikum) bei generalisierter Angststörung wirksam 5 Pregabalin (Antikonvulsivum) bei generalisierter Angststörung 5 Moclobemid (MAO-Hemmer) insbesondere bei sozialer Phobie

135 9 · Angststörungen

> Oft ist eine kombinierte Behandlung aus Psychotherapie und Psychopharmakotherapie wirksamer als eine Monotherapie. Ausnahme: gleichzeitige Einnahme von Benzodiazepinen kann einen negativen Effekt auf die Wirkung der Psychotherapie haben (hindert den Patienten durch Abschirmung von der Angst daran, zu lernen, die Symptome aushalten und kontrollieren zu können).

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Eigene Notizen

10 Tag 3 – Spezielle Krankheitsbilder I

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Zwangsstörungen

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Kapitel 10 · Zwangsstörungen

Eigene Notizen

Definition Sich immer wieder aufdrängende und als unsinnig oder uneffektiv erkannte Gedanken, Impulse oder Handlungen, die nicht unterdrückt werden können. Beim Versuch, Zwänge zu unterdrücken, tritt massive Angst auf.

Ätiologie

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4 Genetische Disposition 4 Neurobiologische Faktoren, v. a. 5 Dysregulation serotonerger und dopaminerger Neurotransmission 5 Auffälligkeiten in orbitofrontalem Kortex (neuronale Überaktivität, »Enthemmung« von Frontalhirnfunktionen), Basalganglien (insbesondere Ncl. caudatus als Filterstelle orbitofronto-thalamischer Verbindungen) und Thalamus → gestörter neuronaler Regelkreis zwischen Frontalhirn, Basalganglien und limbischem System 4 Lerntheoretische Ansätze: Konditionierungsprozesse, 2-Faktoren-Modell (klassische und operante Konditionierung sind an Entstehung und Aufrechterhaltung der Zwangshandlungen beteiligt) 4 Kognitives Modell: infolge unangemessener Bewertung aufdringlicher Gedanken werden diese als bedeutsam und bedrohlich erlebt und führen zu Unbehagen und Angst; kurzfristige Bewältigung bzw. »Neutralisation« durch verhaltensbezogene oder kognitive Rituale 4 Psychoanalytische Ansätze 5 Fixierung auf »anale Phase« durch forcierte Sauberkeitserziehung (»analer« Charakter: u. a. Zwanghaftigkeit; anale Trias: Sparsamkeit, Ordnungsliebe, Eigensinn) 5 Zwangssymptomatik als Kompromiss zwischen Erfüllung des Triebimpulses und der Triebabwehr

Epidemiologie 4 Lebenszeitprävalenz ca. 2% 4 12-Monats-Prävalenz in Deutschland ca. 1% 4 Erkrankungsbeginn meist in Adoleszenz oder frühem Erwachsenenalter 4 Beide Geschlechter gleich häufig betroffen

Klinik 4 Zwangssymptome wenigstens 2 Wochen lang an den meisten Tagen 4 Wiederholen sich ständig und werden als unangenehm empfunden (Ausführung einer Zwangshandlung ist jedoch meist von einer vorübergehenden Spannungs- und Angstreduktion begleitet) 4 Sind als eigene Gedanken oder Impulse für den Patienten erkennbar (nicht von anderen Personen oder Einflüssen eingegeben) 4 Versuch, Widerstand zu leisten (wenn auch erfolglos) 4 Oft magisch-mystische Vorstellungen (z. B. Vorstellung, wenn eine bestimmte Zwangshandlung nicht ausgeführt wird, passiert etwas Schlimmes)

139 10 · Zwangsstörungen

4 Sehr zeitraubend, Beeinträchtigungen alltäglicher und beruflicher Tätigkeiten 4 Meist chronischer Verlauf 4 Sehr hohe Komorbiditätsraten mit anderen psychischen Erkrankungen, v. a. mit Depression, Angststörungen, Tourette-Syndrom, ADHS, Persönlichkeitsstörungen Zwangsgedanken

4 Gedanken, die sich immer wieder aufdrängen, als weitgehend unsinnig erlebt werden, aber nicht unterdrückt werden können (z. B. Gedanke, Jemanden beim Vorbeifahren verletzt zu haben, ohne es zu merken) > Im Gegensatz zu Erkrankungen aus dem schizophrenen Formenkreis werden die Gedanken als eigene Gedanken interpretiert und nicht als fremdartig oder eingegeben.

4 Typische Inhalte: sexuelle, aggressive oder religiöse Inhalte, Gesundheit, Schmutz/Kontamination, Ordnung, Symmetrie, Kontrolle Zwangsimpulse

4 Wiederkehrende, sich aufdrängende Impulse zu bestimmten, oft aggressiven Verhaltensweisen (z. B. Angst, seinem Kind impulsiv etwas anzutun) 4 Große Angst, die Handlungen auch tatsächlich auszuführen > Aggressive Zwangsimpulse werden so gut wie nie in die Tat umgesetzt. Zwangshandlungen

4 Sich immer wieder aufdrängende Handlungsmuster als Reaktion auf Zwangsgedanken 4 Ausführung führt zur Spannungsreduktion 4 Typische Inhalte: Kontroll- oder Waschzwang (die beiden häufigsten Zwänge), Ordnungszwang, Zählzwang

Diagnostik 4 Anamneseerhebung 5 Medikamenten-/Suchtanamnese: dopaminerge Substanzen (z. B. LDopa, Amphetamine) können Zwangsphänomene verursachen (= substanzinduzierte Zwänge) 4 Allgemeinkörperliche und neurologische Diagnostik, evtl. einschließlich EEG (Ausschluss Anfallsleiden) und cCT/cMRT (Ausschluss pathologischer zerebraler Prozesse); wichtige neurologische Differenzialdiagnosen 5 Chorea Sydenham 5 Bilaterale Nekrosen des Ncl. pallidus 5 Schädel-Hirn-Traumata 5 Raumfordernde Prozesse 4 Ggf. Zusatzdiagnostik mittels störungsspezifischer Screeninginstrumente

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Eigene Notizen

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Kapitel 10 · Zwangsstörungen

Eigene Notizen

4 Wichtige abzugrenzende psychiatrische Differenzialdiagnosen 5 Zwanghafte/Anankastische Persönlichkeitsstörung (Patienten mit anankastischer Persönlichkeitsstörung bewerten ihre Verhaltensweisen als richtig bzw. gerechtfertigt und nicht als unsinnig) 5 Erkrankungen aus dem schizophrenen Formenkreis (Patienten mit Wahn sind von der Richtigkeit ihrer Gedankeninhalte überzeugt, Patienten mit Zwängen haben Einsicht in die Unsinnigkeit ihrer Zwangsgedanken und -handlungen) 5 Tourette-Syndrom (Ticstörung) 5 Depression (z. B. depressives Zwangsgrübeln) > Viele psychische Erkrankungen gehen mit zwangsähnlichen Phänomenen einher (sog. Zwangsspektrumstörungen), z. B. Ticstörungen, Essstörungen, Impulskontrollstörungen wie Trichotillomanie sowie somatoforme Störungen wie Hypochondrie und Körperdysmorphophobie.

Therapie

10

4 Exposition mit Reaktionsverhinderung 5 Patient wird in zwangsauslösenden Situationen daran gehindert, Zwangshandlungen auszuführen und erfährt dadurch auch ohne Ausübung der Zwangshandlung nach einer gewissen Zeit einen Angst-/Spannungsabfall 5 Anwendung des Expositionsprinzips auch auf gefürchtete Zwangsgedanken, die aufgrund eines Anstiegs von Angst und Spannung nicht zu Ende gedacht werden: Patient wird angehalten, die Gedanken so lange zu denken, bis automatisch ein Angstabfall eintritt 4 Kognitive Techniken 5 Kognitive Umstrukturierung, z. B. Entkatastrophisierung und Realitätskontrolle (Patient soll z. B. die Wahrscheinlichkeit, sich an einer Türklinke mit HIV zu infizieren, auf einer Skala von 0 bis 100 realistisch einschätzen) 5 Bei Zwangsgedanken: Gedankenstopp (sich aufdrängende, unerwünschte Gedanken werden durch autosuggestives »Stopp« abgebrochen) 4 Behandlung mit Antidepressiva (im Vergleich zur Depressionsbehandlung in höherer Dosierung) 5 Selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI): Mittel der 1. Wahl (z. B. Escitalopram, Fluoxetin, Fluvoxamin, Paroxetin) 5 Trizyklische Antidepressiva (TZA): Clomipramin (Mittel der 2. Wahl) 4 Bei Therapieresistenz: Augmentationstherapie (Kombinationstherapie aus Antidepressivum und einer anderen Substanz, die für sich alleine keine oder kaum antidepressive Eigenschaften zeigt, zur Wirksamkeitssteigerung des Antidepressivums) 5 Augmentation mit atypischem Antipsychotikum

11 Tag 3 – Spezielle Krankheitsbilder I

11

Anpassungs- und Belastungsstörungen

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Kapitel 11 · Anpassungs- und Belastungsstörungen

Eigene Notizen

Definition Reaktionen auf schwere traumatische Ereignisse (akute Belastungsreaktion, posttraumatische Belastungsstörung) bzw. gestörter Anpassungsprozess nach einschneidenden oder belastenden Lebensveränderungen (Anpassungsstörungen).

Ätiologie 4 Prädisponierend: erhöhte Vulnerabilität, unzureichende Bewältigungsstrategien, unzureichendes soziales Unterstützungssystem 4 Vorliegen eines spezifischen, umschriebenen Auslösers 5 Akute Belastungsreaktion: Erleben einer außergewöhnlichen psychischen und/oder physischen Belastung 5 Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS, PTSD) J Erleben eines kurz- oder lang-andauernden Ereignisses von außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophalen Ausmaßes, das bei nahezu jedem tiefgreifende Verzweiflung auslösen würde J Verbunden mit subjektiv erlebtem Verlust von Kontrolle über das Geschehen 5 Anpassungsstörung: einschneidende Lebensveränderungen oder belastende Lebensereignisse von weniger katastrophalem Ausmaß wie bei den Belastungsstörungen (z. B. Scheidung, Trauerfall, schwere körperliche Erkrankung)

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> Kennzeichen der Anpassungs- und Belastungsstörungen: ätiologische Rückführbarkeit auf ein Trauma/belastendes Ereignis, ohne das die Störung nicht aufgetreten wäre.

4 Neurobiologische Faktoren und Befunde bei posttraumatischer Belastungsstörung 5 Tendenz zu überschießenden vegetativen Reaktionen im Rahmen einer Stressbelastung → erhöhte Aktivierung des Katecholaminsystems → Inhibition orbitofrontaler Hirnregionen → Desinhibition der Amygdalaaktivität (Hyperaktivierung der Amygdala) 5 Im Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-System verstärkte Suppression der Kortisol-Ausschüttung nach Dexamethason-Gabe → Hypokortisolismus → gestörte autoregulatorische Inhibition stressbedingter Katecholaminfreisetzung 5 Volumenminderung im Hippokampus (→ Einbußen im deklarativen/expliziten Gedächtnis) 5 Annahme, dass die Angstwahrnehmung (unbewertet, fragmentiert und mit hoher vegetativer Erregung) direkt über den Thalamus an die Amygdala geht, ohne modulierenden Einfluss kortikaler und hippokampaler Strukturen (»hot circle«)

Epidemiologie Anpassungsstörungen

4 In der Allgemeinbevölkerung relativ selten ( »Debriefing« (in Gruppen durchgeführte Rekapitulation der Traumasituation) nach akutem Trauma führt eher zu höheren PTBS-Raten.

4 Psychopharmakologische Intervention 5 Mittel der Wahl: SSRI 5 Bei Nichtansprechen Umstellung auf TZA (2. Wahl) oder MAOHemmer (3. Wahl)

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12 Tag 3 – Spezielle Krankheitsbilder I

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Dissoziative Störungen (Konversionsstörungen)

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Kapitel 12 · Dissoziative Störungen (Konversionsstörungen)

Eigene Notizen

Definition Störungen der integrativen Funktionen des Bewusstseins und Identitätsbewusstseins, der Erinnerung, der sensorischen Wahrnehmung und der Kontrolle von Körperbewegungen ohne somatisch diagnostizierbares Korrelat.

Begriffsbestimmung: nach aktueller psychiatrischer Klassifikation (ICD-10) Zusammenfassung der nach älteren Vorstellungen getrennt beschriebenen Konversionsstörungen und dissoziativen Störungen i. e. S.: 4 Konversionsstörung: pseudoneurologische Defizite 4 Dissoziative Störung i. e. S.: vorrangig psychogene Symptome (Trance, Fugue etc.)

Ätiologie

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4 Primär neurologische Ursachen sind per definitionem ausgeschlossen 4 Beginn ist häufig mit einem traumatisierenden Ereignis, unerträglichen Konflikten oder gestörten Beziehungen verbunden 5 Auslöser können akute Situationen (Missbrauch, Gewalterfahrung etc.) als auch chronisch sein (z. B. ungelöste Partnerschaftssymptomatik) 4 Nach psychoanalytischen Vorstellungen: Abwehr und Umwandlung verdrängter psychischer Konflikte 5 »Übersetzung« in körperliche Symptome (Konversion) oder 5 Abspaltung von der Realität (Dissoziation) 4 Aufrechterhaltung und Symptomverstärkung durch primären Krankheitsgewinn (z. B. Verringerung innerer Anspannung durch Umgehen des Konflikts) und sekundären Krankheitsgewinn (z. B. Zuwendung, Entlastung von Pflichten) 4 Anamnestisch finden sich häufig neurologische und andere körperliche Erkrankungen, die in die Symptomausgestaltungen mit einfließen 4 Neurobiologische Faktoren: häufige Stresserfahrungen können in Dysfunktionen der Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrindenachse und Störungen im Regelkreis Thalamus–Amygdala–Hippokampus– präfrontaler Kortex resultieren

Epidemiologie 4 Keine zuverlässigen Prävalenzangaben, stark kulturabhängig 4 Circa 3-mal häufiger bei Frauen als bei Männern 4 Erkrankungsbeginn meist zwischen dem 20. und 30. Lebensjahr

Klinik > Es liegen keine die Symptome hinreichend erklärenden körperlichen Erkrankungen vor. Die Symptome bei Konversionsstörungen entsprechen den Vorstellungen des Patienten über die funktionellen Zusammen-

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149 12 · Dissoziative Störungen (Konversionsstörungen)

hänge im Körper und weniger den wahren anatomischen oder physiologischen Gegebenheiten. Es handelt sich nicht um Simulation, denn die Symptombildung erfolgt nicht absichtlich bzw. nicht bewusst!

4 Häufig plötzlicher Beginn und Spontanremission; aber auch chronische und rezidivierende Verläufe möglich 4 Hoher Anteil komorbider psychischer Erkrankungen, insbesondere 5 Persönlichkeitsstörungen (v. a. Borderline-Störung und histrionische Persönlichkeitsstörung) 5 Angsterkrankungen 5 Somatoforme Störungen 5 Affektive Erkrankungen Unterformen Dissoziative Amnesie

4 Amnesie für wichtige persönliche Informationen, traumatische Ereignisse oder Probleme 4 Häufig sind nur einzelne Gedächtnisinhalte betroffen (selektive und systematisierte Amnesie) 4 Hinsichtlich des Zeitraums für die Amnesie kann dieser zeitlich eingegrenzt sein (häufiger), aber auch bis hin zur seltenen kontinuierlichen Amnesie reichen 4 Integrales Symptom dissoziativer Fugue und multipler Persönlichkeitsstörung Dissoziative Fugue

4 Plötzliches Verlassen der eigenen Umgebung und Annahme einer neuen Identität, ohne dass den Betroffenen dies bewusst ist oder Verwirrung über die eigene Identität 4 Betroffene verhalten sich dabei oft unauffällig 4 Häufig dissoziative Amnesie für den Zeitraum der Fugue 4 Zeitdauer kann von Stunden bis zu Jahren (selten) reichen Dissoziativer Stupor

4 Verringerung oder Fehlen willkürlicher Bewegung und normaler Reaktionen auf externe Reize, Sprachverarmung im Sinne eines Mutismus Trance- und Besessenheitszustände

4 Passagere qualitative Bewusstseinsveränderung 4 Einschränkung und Einengung der Bewusstseinsbreite 4 Häufig stereotypes Verhalten, vom Patienten nicht mehr als kontrollierbar empfunden 4 Bei Besessenheitszuständen: Überzeugung, von einem Geist o. ä. besessen bzw. beherrscht zu sein und somit einen Teil des persönlichen Identitätsgefühls zu verlieren

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Eigene Notizen

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Kapitel 12 · Dissoziative Störungen (Konversionsstörungen)

Eigene Notizen

Dissoziative Bewegungsstörungen

4 Teilweiser oder kompletter Verlust der Bewegungsfähigkeit (Lähmungen), Tremor, Gangstörung, Standunfähigkeit, Störungen der Bewegungskoordination (Ataxie); meist sind die Beine betroffen 4 Keine Bewusstseins- oder mnestische Störung 4 Evtl. »belle indifférence«: geringer Leidensdruck trotz intensiv geschilderter Beschwerden Dissoziative Krampfanfälle

4 Plötzliche krampfartige Bewegungen ohne Bewusstseinsverlust 4 Im Gegensatz zu epileptischen Anfällen meist fehlend: Hinstürzen mit Verletzungen, Zungenbiss, Urin-/Stuhlabgang, epilepsietypische EEGPotenziale, Prolaktinerhöhung 4 ! Cave Auftreten auch im Rahmen von sicheren Epilepsie-Erkrankungen möglich! Dissoziative Sensibilitäts- und Empfindungsstörungen

4 Erhöhte oder herabgesetzte Sensibilität, Ausfälle sensorischer Modalitäten (z. B. Verlust der Sehschärfe), Missempfindungen (häufig Kribbelgefühle) 4 Keine Störung von Bewusstsein oder Mnestik Ganser-Syndrom

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4 Demonstrativ wirkendes Vorbeiantworten auf einfachste Fragen oder Vorbeihandeln 4 »Pseudodemenz«; Betroffene erwecken den Eindruck einer akuten Intelligenzeinbuße 4 Auftreten meist in »gewinnbringenden« Situationen 4 Häufig schwierige differenzialdiagnostische Abklärung, ob bewusstseinsnahe oder dissoziative Störung Multiple Persönlichkeitsstörung (dissoziative Identitätsstörung)

4 Existenz von 2 oder mehr unterschiedlichen Persönlichkeiten oder Persönlichkeitszuständen innerhalb eines Individuums, die wechselnd dominieren und i. d. R. nichts voneinander wissen 4 Wechsel der Persönlichkeiten wird häufig durch belastende Ereignisse hervorgerufen 4 Umstrittene Diagnose, wahrscheinlich nicht existent, sondern falsche differenzialdiagnostische Einordnungen Arc de cercle

4 Starke Dorsalflexion des Körpers 4 Zu Freud’s Zeiten oft beschriebene Störung im Rahmen einer früher sog. Hysterie, heute kaum noch beobachtbar

Diagnostik 4 Exploration möglicher Traumata, Belastungen, Konflikte, die in zeitlichem Zusammenhang mit dem Auftreten der Symptomatik stehen

151 12 · Dissoziative Störungen (Konversionsstörungen)

4 Körperliche Untersuchung zum Ausschluss organischer (insbesondere neurologischer) Ursachen 5 Hilfreich zur Abgrenzung eines dissoziativen Krampfanfalls gegen einen »echten« epileptischen Anfall: Prolaktin im Serum messen, 24-h-EEG mit paralleler Videoaufzeichnung 5 Bei Sensibilitätsstörungen, Paresen: elektrophysiologische Untersuchungen 4 Differenzialdiagnostische Abgrenzung von: 5 Simulation (bewusste Symptombildung) 5 Artifiziellen Störungen (wie bei Simulation bewusste Symptombildung, zugrundeliegendes Motiv aber unbewusst) 5 Somatoformen Störungen (Schmerzstörungen oder durch das vegetative Nervensystem vermittelte Störungen) 4 Standardisierte Interviews und störungsspezifische Fragebögen können hilfreich sein > Charakteristika der dissoziativen bzw. Konversionsstörungen (im Vergleich zur Somatisierungsstörung; 7 Kap. 13) 4 Nur Störungen der körperlichen Funktionen, die normalerweise unter willentlicher Kontrolle stehen oder Verlust der sinnlichen Wahrnehmung 4 Akuter Beginn und obligate Auslösung durch psychosoziale Belastungssituationen 4 Mono- bzw. Oligosymptomatik 4 Rezidivierender und fluktuierender Verlauf mit wechselnden »pseudoneurologischen« Symptomen

Therapie 4 Symptome ernst nehmen, keine vorschnelle Konfrontation mit einem Psychogenesemodell 4 Zunächst Symptomreduktion (z. B. durch Physiotherapie, Entspannungsverfahren), Aufbau von Sicherheitserleben und Einübung von zum Rückzug in dissoziative Zustände alternativen Verhaltensweisen 4 Psychoedukation, langsame Erarbeitung eines bio-psycho-sozialen Krankheitskonzepts 4 Klärung aktuell belastender Lebensbedingungen, Erarbeitung des unbewussten Konflikts und Reintegration der abgespaltenen Erfahrungen 4 Integration körperbetonender Therapieformen bei Konversionsstörungen 4 Ggf. ergänzend Psychopharmaka zur Behandlung komorbider Störungen, z. B. selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) bei depressiven Symptomen

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Eigene Notizen

13 Tag 3 – Spezielle Krankheitsbilder I

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Somatoforme Störungen

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Kapitel 13 · Somatoforme Störungen

Eigene Notizen

Definition Wahrnehmung körperlicher Symptome unterschiedlicher Art in Verbindung mit der Forderung nach weiterer medizinischer Diagnostik trotz wiederholt unauffälliger organischer Untersuchungsergebnisse oder die medizinisch unbegründete Befürchtung, an einer körperlichen Erkrankung oder einem vermeintlichen Makel zu leiden.

Ätiologie

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4 Allgemein: Interaktion biologischer (insbesondere genetische Disposition) und psychosozialer Faktoren 4 Neurobiologische Faktoren: Hypofrontalität (reduzierter Metabolismus im Frontalhirn), Hyperaktivität der Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse, immunologische Veränderungen, Störung im serotonergen System 4 Biografische Belastungen, traumatische Erfahrungen (z. B. Verlusterfahrungen, schwere Erkrankungen oder Missbrauch in der Kindheit) 4 Lerntheoretische Ansätze: Modelllernen (viele Krankheitserfahrungen bei Familienangehörigen), Verstärkung durch primären (inneren) und sekundären (durch die Umwelt bedingt, z. B. Entlastung von Verpflichtungen, vermehrte Zuwendung) Krankheitsgewinn 4 Gestörte Wahrnehmung und Bewertung von Körperempfindungen (»interozeptiver Wahrnehmungsstil«, Interpretation normaler Empfindungen als pathologisch), dysfunktionale Kognitionen (»Katastrophendenken«) 5 Somatosensorische Verstärkung: selektive Aufmerksamkeit auf Körpervorgänge, verstärkte Wahrnehmung von Körpermissempfindungen und »katastrophisierende« Fehlinterpretation 4 Auslöser/»Trigger«: z. B. Muskelverspannungen, Krankheit, physiologische Erregung, schlechter Schlaf 4 Psychoanalytische Ansätze: Abwehr unannehmbarer Triebimpulse, diese werden ins Körperliche umgesetzt (Konversionsmodell)

Epidemiologie 4 12-Monats-Prävalenz somatoformer Störungen in der deutschen Allgemeinbevölkerung ca. 10% 4 Häufiges Vorkommen insbesondere in Allgemeinarztpraxen 4 Beginn meist im frühen Erwachsenenalter 4 Häufiger Frauen betroffen (ca. doppelt so hohes Risiko)

Klinik Allgemeine Charakteristika somatoformer Störungen

4 Wiederholte Präsentation körperlicher Symptome oder Krankheitsbefürchtung ohne hinreichend erklärendes organisches Korrelat 4 Fixierung auf eine organische Ursache der Beschwerden 5 Hartnäckige Forderung nach weiteren medizinischen Untersuchungen

155 13 · Somatoforme Störungen

4 4 4 4 4

5 Keine adäquate Entlastung durch Negativbefunde 5 Weigerung anzuerkennen, dass keine organische Ursache zugrunde liegt Häufiger Arztwechsel (»doctor shopping«), umfangreiche Krankenakte Inadäquate Beschwerdeschilderung: theatralisch, klagsam oder mit »belle indifférence« (relativer Mangel an Betroffenheit gegenüber Art und Bedeutung des Symptoms) Deutliche Beeinträchtigungen in verschiedenen Lebensbereichen Bei ca. der Hälfte der Patienten chronischer Verlauf Häufig Medikamentenmissbrauch, oft Komorbidität mit Angststörungen und Depression

> Symptome sind nicht absichtlich erzeugt (Abgrenzung zu artifiziellen Störungen; 7 Kap. 17) und nicht willentlich kontrollierbar. Problem: Vielleicht sind Symptome nur mit den gegenwärtig zur Verfügung stehenden Mitteln nicht objektivierbar. Ebenfalls häufig Interferenz mit tatsächlichen, das klinische Bild nicht vollständig erklärenden körperlichen Beschwerden. Somatoforme Störungen im Einzelnen Somatisierungsstörung

4 Polysymptomatisches Bild mit vielfältigen und wechselnden körperlichen Symptomen ohne hinreichend erklärendes organisches Korrelat 4 Symptome können sich auf jedes Körperteil oder -system beziehen, sind jedoch keine typischen vegetativen Symptome 5 Typisch sind Symptome aus mehreren der folgenden Organkomplexe: gastrointestinal, kardiovaskulär, sexuelle, menstruelle und urogenitale Beschwerden sowie abnorme Hautempfindungen 4 Langjährige Anamnese (mindestens 2 Jahre anhaltende Symptomatik) Undifferenzierte Somatisierungsstörung

4 Nicht alle Kriterien der Somatisierungsstörung sind erfüllt (unvollständiges Bild) Somatoforme autonome Funktionsstörung

4 Vegetative Symptome, die vom Patienten einem bestimmten vegetativ innervierten Organsystem zugeordnet werden, z. B. kardiovaskulär (früher: »Herzneurose«), gastrointestinal (»Reizdarm«, »nervöser Durchfall«), respiratorisches System (z. B. psychogene Hyperventilation) Anhaltende somatoforme Schmerzstörung

4 Im Vordergrund stehen Schmerzen über einen Zeitraum von mindestens 6 Monate ohne hinreichende organische Erklärung Hypochondrische Störung

4 Objektiv unbegründete, anhaltende Besorgnis, an einer schweren körperlichen Erkrankung zu leiden (z. B. AIDS, Krebs) oder anhaltende, übertriebene Beschäftigung mit einem subjektiven Schönheitsmakel

13

Eigene Notizen

156

Kapitel 13 · Somatoforme Störungen

Eigene Notizen

(z. B. zu große Nase), was zu erheblichem Leidensdruck führt (dysmorphophobe Störung) 4 Persistenz über mindestens 6 Monate 4 Angst steht im Vordergrund, nicht die körperlichen Beschwerden an sich 4 Differenzialdiagnostisch abzugrenzen sind: 5 Hypochondrische Befürchtung: Beschwerden halten weniger als 6 Monate an 5 Hypochondrischer Wahn: Patienten können sich auch kurzfristig nicht von ihrer Überzeugung distanzieren Verwandte Syndrome Neurasthenie (»Chronisches Erschöpfungssyndrom«)

4 Anhaltende Klagen über gesteigerte Ermüdbarkeit nach geistiger oder körperlicher Betätigung (auch nach geringsten Anstrengungen) 4 Begleitende unspezifische Symptome wie Kopfschmerzen, Schwindel, erhöhte Reizbarkeit, Schlafstörungen 4 Auftreten manchmal nach einer körperlichen Erkrankung (z. B. Virusinfektion) Fibromyalgie

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4 Kontrovers diskutierte Erkrankung (somatisch vs. psychisch) mit nicht erklärbaren Muskel- und Muskelansatzschmerzen, verminderter Schmerzschwelle, Schwellungsgefühlen 4 Symptome stammbetont 4 Daneben unspezifische Veränderungen im Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-System, im Histokompatibilitätsantigen- und Zytokin-System 4 Häufiges Vorkommen mit depressiven Syndromen, Angstsyndromen und Müdigkeit Multiple chemical sensitivity (multiple Chemikalienunverträglichkeit)

4 Vielgestaltige körperliche Symptomatik, die auf Umweltgifte attribuiert wird 4 Kontrovers diskutierte Erkrankung Burn-out-Syndrom

4 Erschöpfung, Hoffnungslosigkeit, Hilflosigkeit, oft depressive Verstimmung, Angst oder aggressive Impulse, körperliche Symptome wie Kopfschmerzen, Schlafstörungen, Herzbeschwerden, sexuelle Störungen, manchmal Zynismus, Gleichgültigkeit und Pessimismus 4 Betroffene sind oft in helfenden, beratenden oder pflegenden Funktionen für andere Menschen tätig (z. B. Lehrer) 4 Begriff entspricht nicht der ICD-10, sondern einem populärwissenschaftlichen Verständnis von Depression, Angst und Belastung

157 13 · Somatoforme Störungen

Diagnostik 4 Detaillierte Anamnese von Belastungsfaktoren, Funktionalität der Beschwerden, sekundärem Krankheitsgewinn 4 Sorgfältige körperliche Untersuchung zum Ausschluss organischer Ursachen (rasche und klare diagnostische Abklärung und Vermeidung unnötiger Untersuchungen zur Verhinderung weiterer Chronifizierung und somatischer Fixierung) 4 Differenzialdiagnostisch sind außerdem folgende komorbide oder alleine zutreffende Diagnosen abzugrenzen 5 Affektive Störungen 5 Schizophrenien 5 Angst- oder Belastungsstörungen 5 Artifizielle Störungen (körperliche Symptome durch Manipulation; es lässt sich ein objektiver Befund erheben) 5 Dissoziative und Konversionsstörungen (v. a. »pseudoneurologische« Störungen) 5 Persönlichkeitsstörungen 5 Simulation

Therapie 4 Vertrauensvolle Arzt-Patienten-Beziehung in besonderer Weise wichtig 4 Im Vordergrund stehen verhaltenstherapeutische Maßnahmen 4 Zeitkontingente (nicht symptomkontingente) ärztliche Kontakte 4 Behutsame Vermittlung eines rationalen Krankheitskonzepts (Psychoedukation, Verhaltensexperimente, Symptomtagebücher, Biofeedback zur Verdeutlichung psychophysiologischer Zusammenhänge) ohne die Beschwerden abzuwerten > Beschwerden des Patienten ernst nehmen und anhören!

4 Einüben von Entspannungsverfahren 4 Sport- und Bewegungstherapie, um inadäquates Schonverhalten abzubauen 4 Reduktion der Aufmerksamkeit für Körpervorgänge und Förderung des Interesses an der Umwelt (Freizeitbeschäftigungen und Hobbies fördern) 4 Reattribuierung der körperlichen Symptome durch Entwicklung von Alternativerklärungen, Identifikation dysfunktionaler Annahmen und kognitive Umstrukturierung 4 Ggf. berufsrehabilitative Maßnahmen 4 Bei chronischer Schmerzstörung ggf. Gabe von trizyklischen Antidepressiva in niedriger Dosierung 4 Anxiolytikum Opipramol (Reduktion von Angst und Depression bei Patienten mit somatoformer Störung)

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Eigene Notizen

14 Tag 4 – Spezielle Krankheitsbilder II

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Essstörungen

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Kapitel 14 · Essstörungen

Eigene Notizen

Definitionen Störungen des Ess- oder Gewichtskontrollverhaltens, »zwanghafte« Beschäftigung mit dem Thema »Essen«. 4 Anorexia nervosa (Magersucht): Absichtlich selbstverursachter Gewichtsverlust und Aufrechterhalten eines zu niedrigen Körpergewichts aus Angst, trotz Untergewichts zu dick zu sein 4 Bulimia nervosa (Ess-Brech-Sucht): Heißhungerattacken mit nachfolgenden gegensteuernden Maßnahmen (Erbrechen, Laxanzienabusus, Fasten usw.) 4 Binge-Eating-Störung (Fressattacken): Periodische Heißhungerattacken ohne anschließende gegensteuernde Maßnahmen

Ätiologie 4 Multifaktorielle Genese 4 Genetische und neurobiologische Faktoren (Störungen bei der Regulation von Hunger und Sättigung: eine Rolle spielen Regulationszentren im Hypothalamus, periphere Regulationsmechanismen wie Signale aus dem Gastrointestinaltrakt, bestimmte Neuropeptide und Neurotransmitter wie Serotonin und Leptin) 4 Soziokulturelle und psychosoziale Faktoren wie Schlank sein als Schönheitsideal, ungünstige Familienverhältnisse (überbehütender Erziehungsstil, Rigidität, hoher Leistungsanspruch), Lernerfahrungen; dysfunktionale Kognitionen, Körperschemastörung 4 Prämorbide Persönlichkeit: ängstlich, wenig selbstbewusst, leistungsorientiert 4 Auslöser z. B. belastende Lebenssituationen 4 Psychoanalytische Ansätze: Ablehnung der eigenen Geschlechtsrolle; Autonomie-Abhängigkeits-Konflikte; Essstörung als Versuch der Verzögerung des Ablösungsprozesses vom Elternhaus bzw. als Versuch, Autonomie und Kontrolle ohne offene Trennung zu erzielen

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Epidemiologie 4 Anorexia nervosa: v. a. junge Frauen (durchschnittlicher Erkrankungsbeginn um das 16. Lebensjahr) aus Mittel- und Oberschicht; Frauen zu Männer ~12:1; Lebenszeitprävalenz für Frauen ca. 1% 4 Bulimia nervosa: v. a. Frauen zwischen 20. und 30. Lebensjahr; Frauen zu Männer ~20:1; Lebenszeitprävalenz für Frauen ca. 1,5% 4 Binge-Eating-Störung: häufigste Essstörung, Lebenszeitprävalenz ca. 3,5% (Frauen) bzw. 2% (Männer); kein Altersgipfel; Frauen zu Männer ~1,5:1 4 Hohe Mortalitätsrate bei Anorexie (5–20%) durch extreme Unterernährung, Elektrolytstörungen (Herzrhythmusstörungen) oder Suizid

Klinik 4 Gemeinsame zentrale Charakteristika von Anorexia nervosa und Bulimia nervosa 5 Gestörte Körperwahrnehmung (Körperschemastörung) 5 Ausgeprägte Angst vor Gewichtszunahme (»Gewichtsphobie«)

161 14 · Essstörungen

5 Restriktives Essverhalten 5 Übermäßige Beschäftigung mit den Themen Gewicht, Nahrungsaufnahme und Körperfigur 4 Weitere Kennzeichen 5 Selbstwertprobleme, Identitäts- und Autonomieprobleme 5 Ausgeprägte Leistungsorientierung 5 Interaktions- und Kommunikationsprobleme 5 Deprimiertheit, Schuldgefühle, Ängste 4 Komorbidität von Essstörungen insbesondere mit Depression, Angstund Zwangsstörungen sowie – v. a. bei Bulimie und bulimischer Unterform der Anorexie – mit Substanzabhängigkeit/-missbrauch und Persönlichkeitsstörungen > Störungen des Ess- und Gewichtskontrollverhaltens dürfen nicht durch sekundäre Störungen bedingt sein. Anorexia nervosa

4 BMI ≤17,5 oder Körpergewicht mindestens 15% unterhalb des erwarteten Normalgewichts 4 Selbst herbeigeführter Gewichtsverlust 5 Restriktiver Typus: Fasten ohne Auftreten von Essanfällen 5 Bulimischer Typus: Auftreten von Essanfällen und gegensteuernden Maßnahmen (selbstinduziertes Erbrechen, Missbrauch von Laxanzien oder Diuretika) 4 Körperschemastörung: verzerrte Wahrnehmung der eigenen Figur und des eigenen Gewichts (Selbstwahrnehmung als »zu fett«), verbunden mit der Angst – trotz objektivem Untergewicht – zu dick zu sein 4 Endokrine Störung (Störung der Hypothalamus-Hypophysen-Gonaden-Achse: Amenorrhö bei Frauen, Libidoverlust bei Männern) 4 Verzögerung der Pubertät (bei Beginn der Erkrankung vor der Pubertät) 4 »Living in a food world«: ausgeprägtes Interesse an allem, was mit Essen zusammenhängt, Horten von Nahrung, Bekochen Dritter, ritualisiertes Essverhalten 4 Häufig Hyperaktivität/Extremsport 4 Sozialer Rückzug, Isolation wegen Heimlichkeit und Scham (»splendid isolation«) 4 Körperliche Schwäche, mangelnde Leistungsfähigkeit 4 Geringe bis keine Krankheitseinsicht Organische Komplikationen

4 Durch wiederholtes Erbrechen sowie Laxanzien- und Diuretikamissbrauch Störungen des Elektrolyt- und des Säure-Basen-Haushalts 5 Hypokaliämie ( ! Cave Lebensbedrohliche Herzrhythmusstörungen, irreversible Nierenschädigung!), Hyponatriämie, Hypochlorämie, Hypozinkämie 5 Metabolische Azidose infolge Laxanzienmissbrauchs, metabolische Alkalose als Folge des Erbrechens 5 Muskelschwäche, Tetanie, Krampfanfälle

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Eigene Notizen

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Kapitel 14 · Essstörungen

Eigene Notizen

14

4 Durch eingeschränkte Nahrungsaufnahme: »Starvationssyndrom«, »Sparschaltung« des Organismus 5 Bradykardie, Hypotonie 5 Hypothermie 5 Periphere Zyanose 5 Ödeme 5 Lanugo-Behaarung 5 Hypercholesterinämie 5 Brüchige Haare und Nägel, Haarausfall, trockene, zum Teil marmorierte Haut 5 Magen-Darm-Passageverlangsamung 5 »Pseudohirnatrophie« (Erweiterung der Liquorräume, Verminderung weißer und grauer Substanz ohne tatsächliches Absterben von Nervenzellen; meist reversibel bei Gewichtsnormalisierung) 5 Gestörte Glukosetoleranz 5 Osteoporose, Minderwuchs, verzögerte Pubertätsentwicklung (bei Beginn vor Pubertät) 4 Störungen der endokrinen Achsen 5 Störung der Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrindenachse (Kortisol ↑) 5 Störung der Hypothalamus-Hypophysen-Gonaden-Achse (LH, FSH, Östradiol ↓) 5 Störung der Hypothalamus-Hypophysen-Schilddrüsen-Achse (»Low-T3-Syndrom«: Pseudo-Schilddrüsen-Funktionsstörung mit erniedrigtem fT3, normalem TSH) 5 Somatotropes Hormon (STH) ↑ 5 Leptin ↓ > Neben den bei Gewichtsrestitution meist reversiblen Symptomen stellen Osteoporose und Wachstumsstörungen ernstzunehmende Langzeitfolgen dar, insbesondere bei Anorexie mit präpubertärem Beginn. Bulimia nervosa

4 Andauernde Beschäftigung mit dem Essen, Heißhungerattacken mit Kontrollverlust 5 Essanfälle i. d. R. alleine im Geheimen, nicht in Gesellschaft; starke Schamgefühle nach Essanfällen 4 Gegensteuernde Maßnahmen (z. B. Erbrechen, Laxanzienabusus, Fasten im Intervall) 5 »Purging«-Typus: Essanfälle und selbstinduziertes Erbrechen oder Missbrauch von Laxanzien oder Diuretika; »Non-Purging«-Typus: Essanfälle mit Fasten und extremer sportlicher Betätigung 5 Sehr gefährlich: »Insulin-Purging«: absichtliches Unterdosieren von Insulin bei Diabetikerinnen, zum Zweck der Gewichtsreduktion 4 »Gewichtsphobie« 4 Patienten sind häufig normal- bis übergewichtig

163 14 · Essstörungen

Organische Komplikationen

4 Durch wiederholtes selbstinduziertes Erbrechen (charakteristisch bei Bulimie) 5 Schmerzlose Vergrößerung der Parotis (mumpsartiges Aussehen) mit Erhöhung der Serumamylase 5 Petechien nach Erbrechen, Perforation des Ösophagus, Ösophagitis, Heiserkeit, retrosternaler Schmerz 5 Mundwinkelrhagaden und Ulzera der Mundschleimhaut, ausgeprägte Karies und Schmelzdefekte der Zähne durch rezidivierenden Kontakt mit Magensäure 5 Narben am Handrücken (Russell’s sign) durch wiederholtes manuelles Auslösen des Würgereflexes 4 Durch wiederholtes Erbrechen sowie Laxanzien- und Diuretikamissbrauch Störungen des Elektrolythaushalts- und des Säure-Basen-Haushalts mit Komplikationen wie bei Anorexie Binge-Eating-Störung (Psychogene Hyperphagie)

4 Fressanfälle (»Binge-Eating«) mit Gefühl des Kontrollverlustes über das Essen während der Episode; daran meist gekoppelt: 5 Schnelles, ungezügeltes Essen 5 Essen bis zum unangenehmen Völlegefühl 5 Essen ohne Hungergefühl 5 Heimliches Essen 4 Leidensdruck nach dem »Fressanfall« (z. B. Scham, Ekel) 4 Keine gegensteuernden Maßnahmen 4 Patienten sind i. d. R. übergewichtig

Diagnostik 4 Anamneseerhebung (v. a. Essverhalten, Heißhungerattacken, Gewichtsveränderungen, gewichtsreduzierende Maßnahmen, Menarche, Menstruationszyklus, Libido, Leistungsverhalten, Krankheitseinsicht) 4 Schätzen des eigenen Körpergewichts (Körperschemastörung) 4 Körperliche Untersuchung (v. a. Inspektion, Labor, EKG) 5 Typischerweise veränderte Laborparameter können z. B. sein: Blutbildveränderung (Anämie, Thrombo-/Leukozytopenie; charakteristisch bei Anorexie), Elektrolytentgleisungen, Lipidstoffwechselveränderung > Body-Mass-Index (Quetelet-Index) = BMI (kg/m²) = Körpergewicht (kg)/[Körpergröße (m)]²

4 Gewichtsklassifikation bei Erwachsenen (altersabhängige Einordnung) 5 BMI Grundsätzlich umfassenden Gesamtbehandlungsplan mit den Elementen Psychotherapie inklusive Psychoedukation und Ernährungsberatung, Soziotherapie und ggf. Pharmakotherapie aufstellen! Anorexia nervosa

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4 In akuten Fällen: Gewichtsnormalisierung mittels Magensonde oder parenteral (zu schnelle Gewichtszunahme vermeiden! Durchschnittliche wöchentliche Gewichtszunahme von 500–1000 g wird empfohlen) und stützende Gespräche 4 Anschließend v. a. kognitive Verhaltenstherapie (Therapie erster Wahl), i. d. R. stationär beginnend, mit ambulanter Nachsorge 5 Möglichst strukturierte Therapie mit schriftlich vereinbarten (realistischen!) Zielen der Gewichtszunahme 5 Wenn Selbstregulation nicht möglich: Einsatz von Verstärkern (kontingenter Vertrag) 4 Darüberhinaus polyvalente Therapiestrategie 5 Körperwahrnehmungstraining 5 Ernährungstraining 5 Kommunikationstraining (lernen, Bedürfnisse über Nahrungs-unabhängige Modi zu steuern) 5 Familientherapie und -beratung 4 Ggf. vorhandene anhaltende depressive Verstimmung auch psychopharmakologisch behandeln (v. a. selektive Serotoninwiederaufnahmehemmer) Bulimia nervosa

4 In der Regel ambulante Psychotherapie (v. a. kognitive Verhaltenstherapie), ähnliche Module wie o. g. 4 Ggf. selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (Fluoxetin) Binge-Eating-Störung

4 In der Regel ambulante Psychotherapie (v. a. kognitive Verhaltenstherapie, s. o.) 4 Multimodales Gewichtsmanagement: Bewegungstraining, Ernährungsberatung, mäßige Reduktionsdiät, Psychoedukation

15 Tag 4 – Spezielle Krankheitsbilder II

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Schlafstörungen

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Kapitel 15 · Schlafstörungen

Eigene Notizen

Definitionen Insomnien: Schlaflosigkeit; subjektives Missverhältnis zwischen Schlafbedürfnis und -vermögen. Hypersomnien: übermäßige Schläfrigkeit; gesteigertes Schlafbedürfnis am Tage bis hin zu Schlafanfällen. Schlafbezogene Atmungsstörungen: im Schlaf autretende zentrale oder obstruktive Verschlechterung der Atmungsfunktion. Schlafbezogene Bewegungsstörungen: Störung des Schlafes oder des Einschlafens durch Körperbewegungen oder Bewegungsdrang. Störungen des Schlaf-Wach-Rhythmus: Desynchronizität zwischen individuellem Schlaf-Wach-Rhythmus und dem der Umgebung. Parasomnien: unerwünschte Ereignisse während der Nacht (Schlafwandeln, Albträume, nächtliches Aufschrecken).

Ätiologie 4 Lern-/Konditionierungsprozesse, dysfunktionale Schlafgewohnheiten und falsches/fehlendes Wissen über Schlafhygiene, Fokussierung der Aufmerksamkeit auf Schlaf, kognitive Faktoren (z. B. Grübeln) 4 Stress/Belastungen, Umweltfaktoren (z. B. Lärm, Temperatur), Probleme des zirkadianen Rhythmus durch Schichtarbeit oder Jet-Lag 4 Psychische oder somatische Erkrankungen, Nebenwirkungen von Psychopharmaka und anderen Medikamenten (dann keine primäre Schlafstörung mehr) 4 Zentrale Störung der Schlafregulation oder der Bewegungssteuerung 4 Periphere Störung der Ventilation 4 Insomnie: Hyperarousalkonzept (gesteigertes physiologisches Aktivierungsniveau)

Epidemiologie 4 Mindestens 10% chronische, behandlungsbedürftige Schlafstörungen in der deutschen Allgemeinbevölkerung (v. a. Frauen und ältere Menschen betroffen)

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Klinik Nichtorganische Insomnie

4 Ein- oder Durchschlafstörungen oder schlechte Schlafqualität mindestens 3-mal/Woche mindestens 1 Monat lang 4 Gedankliche Beschäftigung mit dem Schlaf, ständige Sorge, nicht schlafen zu können 4 Deutlicher Leidensdruck mit Beeinträchtigung der Alltagsaktivitäten Nichtorganische Hypersomnie

4 Trotz ausreichender Schlafdauer exzessive Tagesschläfrigkeit, Schlafanfälle während des Tages oder verlängerter Übergang zum vollen Wachzustand mindestens 1 Monat lang oder in wiederkehrenden Perioden kürzerer Dauer

167 15 · Schlafstörungen

4 Erschöpfung und Beeinträchtigung der Alltagsaktivitäten 4 Abzugrenzen ist die Tagesmüdigkeit von anderen Störungen des Nachtschlafs 5 Schlafbezogene Atmungsstörungen (v. a. Schlaf-Apnoe) 5 Schlafbezogene Bewegungsstörungen (z. B. Restless-Legs-Syndrom) 5 Störungen des Schlaf-Wach-Rhythmus 4 Weiterhin differenzialdiagnostisch abzugrenzen ist Narkolepsie 5 Andauerndes Müdigkeitsgefühl und Einschlafattacken, Kataplexie (erregungsbedingt auftretender plötzlicher Verlust des Muskeltonus, z. B. bei Lachen oder Ärger), Schlaflähmung/-paralyse (kurzfristige Bewegungslosigkeit nach dem Aufwachen), hypnagoge Halluzinationen (vor dem Einschlafen auftretende Wahrnehmungsstörungen) 5 Therapie der Narkolepsie: v. a. Modafinil, Psychostimulanzien oder Natriumoxybat ( ! Cave Missbrauchs- und Abhängigkeitspotenzial!) Schlafbezogene Atmungsstörungen

4 3 große Gruppen: 5 Obstruktive Schlafapnoesyndrome J Häufigste Form schlafbezogener Atmungsstörungen J Schlafbedingte Erschlaffung der Muskulatur der oberen Atemwege → Obstruktion der Atemwege und Minderventilation → Schnarchen und Atemaussetzer → konsekutive Minderung der Schlafqualität und Tagesmüdigkeit → Blutdruckerhöhung, erhöhtes Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen J Therapie der Wahl: nasale CPAP-Beatmung (continuous positive airway pressure) 5 Zentrales Schlafapnoesyndrom J Apnoephasen sind primär durch zentrale (Hirnstamm-)Regulationsstörungen bedingt J Gehäuft bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen und zerebralen Erkrankungen; physiologisch in geringem Umfang während der REM-Schlaf-Phasen J Folgen sind ähnlich wie bei obstruktiver Apnoe 5 Zentral-alveoläre Hypoventilationssyndrome J Langanhaltende Belüftungsstörung der Lunge (z. B. muskulär, Thorax-Deformierung, Adipositas) Schlafbezogene Bewegungsstörungen

4 Syndrom der ruhelosen Beine (Restless-Legs-Syndrom = RLS) 5 Quälende Missempfidnungen, besonders an den unteren Extremitäten 5 In Ruhe Bewegungsdrang, der bei Bewegung nachlässt → Störung des Einschlafens 5 Behandlung primär durch DOPA-Präparate oder Dopamin-Agonisten

15

Eigene Notizen

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Kapitel 15 · Schlafstörungen

Eigene Notizen

4 Periodische Bewegung der Extremitäten im Schlaf (Periodic Limb Movement in Sleep = PLMS) 5 Vom Patienten direkt nicht bemerkte stereotype Bewegungen, v. a. der unteren Extremitäten → wenig erholsamer Schlaf und Tagesmüdigkeit 5 Häufig in Kombination mit Apnoe-Syndromen 5 Behandlung primär durch DOPA-Präparate oder Dopamin-Agonisten Nichtorganische Störung des Schlaf-Wach-Rhythmus

4 Desynchronisation zwischen individuellem Schlaf-Wach-Rhythmus und dem von der Umgebung vorgegebenen, für mindestens 1 Monat oder in wiederkehrenden Perioden kürzerer Dauer 4 Erschöpfung und Beeinträchtigung der Alltagsaktivitäten Parasomnien

4 Primär bei Kindern und Jugendlichen 4 Schlafwandeln (Somnambulismus): Verlassen des Bettes und Umhergehen bei schwerer Erweckbarkeit und häufig fehlender Erinnerung an das Geschehen; i. d. R. im ersten Nachtdrittel auftretend 4 Nächtliches Aufschrecken (Pavor nocturnus): Erwachen aus dem Schlaf mit Panikschreien, häufig massiver Angst, fehlender oder fragmentarischer Erinnerung an Trauminhalte; i. d. R. während des ersten Drittels des Nachtschlafes auftretend 4 Albträume: Aufwachen mit lebhafter Erinnerung an Angstträume; i. d. R. in der zweiten Nachthälfte auftretend

Diagnostik

15

4 Schlafbezogene Exploration (ggf. Schlaftagebücher, Schlaffragebögen) 5 Schlafdauer, Ein- oder Durchschlafstörungen, morgendliches Früherwachen, Tagesmüdigkeit, Schlafanfälle 5 Schlafgewohnheiten, Umgebungsbedingungen 5 Probleme des zirkadianen Rhythmus, z. B. durch Schichtarbeit oder Jetlag 5 Tagesbefindlichkeit, Leistungsfähigkeit 5 Berufliche und private Lebenssituation (Konflikte, Belastungen) 4 Medikamentenanamnese, allgemeinmedizinische (somatische Erkrankungen?) und psychiatrische Anamnese (fast alle psychischen Erkrankungen gehen mit Schlafstörungen einher!) 4 Körperliche Untersuchung > Schlafstörungen treten sehr häufig auch als Symptom einer anderen psychischen oder somatischen Erkrankung (z. B. infolge von Schmerzen) auf sowie beim Konsum bestimmter Substanzen.

4 Polysomnographie (EEG, EOG, EMG) zur Erfassung des Schlafprofils (zeitliche Abfolge der Schlafstadien)

169 15 · Schlafstörungen

5 5 Schlafstadien: Non-REM-Stadien (Stadien 1 und 2: Leichtschlaf; Stadien 3 und 4: Tiefschlaf) und REM-Schlaf (paroadoxer Schlaf; REM = Rapid Eye Movement) 5 Stadium 1: Übergang vom Wach- zum Schlafzustand, EEG: vermehrt Theta-Aktivität (im Wachzustand dominieren Alpha- und Beta-Aktivität) 5 Stadium 2: Hauptanteil an Gesamtschlafdauer, EEG: vorwiegend Theta-Aktivität mit Vertexzacken, Schlafspindeln und K-Komplexen 5 Stadium 3: hohe Weckschwelle, EEG: Theta- und Delta-Aktivität, gelegentlich Schlafspindeln 5 Stadium 4: hohe Weckschwelle, EEG: hochamplitudige Delta-Wellen 5 REM-Schlaf (paradoxer/aktiver Schlaf): schnelle Augenbewegungen, im Vergleich zu den anderen Schlafstadien gesteigerte Herzaktivität, Atemtätigkeit und Hirndurchblutung, jedoch hohe Weckschwelle; Erektion von Penis bzw. Anschwellung der Klitoris, lebhafte Träume, Muskelatonie, EEG: v. a. Theta-Aktivität; Anteil und Dauer im Verlauf der Nacht zunehmend 5 Dauer eines Schlafzyklus (Non-REM- und REM-Phase): 90–100 min; insgesamt 4–6 Schlafzyklen pro Nacht 4 Aktometrie: Aufzeichnung der Ruhe-Aktivitäts-Periodik mit einem Handgelenksaktographen zur Diagnostik und Differenzialdiagnostik von Schlaf-Wach-Rhythmus-Störungen 4 Multipler-Schlaflatenz-Test im Schlaflabor (Messung von Tagesschläfrigkeit durch wiederholte 20-minütige Polysomnographie während des Tages in Abständen von 2 h in einem abgedunkelten Raum; der Patient darf und soll dabei einschlafen; Erfassung von Einschlaflatenz und REM-Schlafphasen)

Therapie 4 Schlafstörungen sind bei angemessener Therapie grundsätzlich gut therapierbar 4 ! Cave Bei ungenügender Behandlung Gefahr der Chronifizierung und Entwicklung oder Begünstigung anderer Erkrankungen wie Hypertonie, KHK, substanzbedingte Störungen und andere psychische Erkrankungen! 4 Schlafhygienische Maßnahmen (regelmäßiger Tag-Nacht-Rhythmus, kein Mittagsschlaf, Koffein- und Nikotinkarenz, keinen/wenig Alkohol, leichte Abendmahlzeiten, regelmäßig Sport, kühles, gelüftetes und verdunkeltes Schlafzimmer, kein TV oder Radio im Schlafzimmer, entspannende Abendgestaltung) 4 Chronotherapie (allmähliche Verschiebung der Schlafphasen bis zum Erreichen der adäquaten Schlafzeit) oder Lichttherapie zu bestimmten Tageszeiten bei Störungen des Schlaf-Wach-Rhythmus 4 Entspannungsverfahren, kognitiv-verhaltenstherapeutische Techniken (z. B. paradoxe Intervention, Umstrukturierung des dysfunktionalen Schlafdialogs oder Gedankenstopp zur Durchbrechung nächtlicher Grübelketten)

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Eigene Notizen

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Kapitel 15 · Schlafstörungen

Eigene Notizen

15

4 Ggf. medikamentöse Begleittherapie (zeitlich begrenzt) 5 Pflanzliche Präparate nur bei leichten Schlafstörungen 5 Moderne Non-Benzodiazepinhypnotika, z. B. Zaleplon, Zolpidem, Zopiclon; ! Cave Abhängigkeitsentwicklung! 5 Sedierende Antidepressiva, z. B. Mirtazapin, Trimipramin 5 Niederpotente Antipsychotika, z. B. Pipamperon, Melperon, in schweren Fällen Prothipendyl 5 Ggf. Melatoningabe am Abend bei Störungen des Schlaf-WachRhythmus bzw. Jetlag-assoziierten Schlafproblemen

16 Tag 4 – Spezielle Krankheitsbilder II

16

Sexualstörungen

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Kapitel 16 · Sexualstörungen

Eigene Notizen

Definition Sexuelle Funktionsstörungen oder Abweichungen von der gesellschaftlich allgemein akzeptierten sexuellen Norm.

4 Einteilung in sexuelle Funktionsstörungen, Störungen der Geschlechtsidentität und Störungen der Sexualpräferenz

Ätiologie 4 Sexuelle Funktionsstörungen 5 Mögliche somatische Ursachen: Nebenwirkung von Medikamenten (z. B. β-Blocker, Pille, Antidepressiva), vaskuläre, neurologische, endokrinologische Erkrankungen wie z. B. Diabetes mellitus (z. B. bei Erektionsstörungen) oder lokale anatomische oder dermatologische Anomalien/Krankheiten (z. B. bei Dyspareunie) 5 Mögliche psychische Faktoren: (beruflicher, privater) Stress/Belastungen, Partnerschaftskonflikte, Versagensängste, elterliche Erziehung, psychosexuelle Traumatisierung 4 Störungen der Geschlechtsidentität: Ätiologie weitgehend unbekannt 4 Störungen der Sexualpräferenz 5 Multifaktoriell bedingt, neurobiologische Ursachen wahrscheinlich (z. B. Störungen auf der Hypophysen-Gonaden-Achse; unspezifische zerebrale Beeinträchtigungen, Erkrankungen wie Epilepsie oder M. Parkinson können die Störungen begünstigen) 5 Diskutiert werden auch: Störungen der Frühsozialisation (unsichere Bindung an die Mutter, traumatische Erfahrungen); lerntheoretisch: Fehlkonditionierung (klassische Konditionierung der sexuellen Erregung auf unangemessene Quellen, ggf. Verstärkung durch operante Konditionierung) 5 Frustrationen in der aktuellen Lebenssituation (z. B. in Partnerschaft oder Beruf) als mögliche Auslöser

Epidemiologie

16

4 Sexuelle Funktionsstörungen sind die häufigsten Sexualstörungen 5 Bei der Frau v. a. sexuelle Appetenzstörungen, aber auch Orgasmusstörungen und Schmerzen beim Geschlechtsverkehr 5 Beim Mann v. a. Ejaculatio praecox und Erektionsstörungen

Klinik Sexuelle Funktionsstörungen

4 Störung der Appetenz oder einer der sexuellen Phasen 5 Appetenzstörungen: Mangel oder Verlust von sexuellem Verlangen (»Alibidinie«), sexuelle Aversion 5 Störungen der sexuellen Erregung: Erektionsstörungen, Lubrikationsstörungen 5 Störungen der Plateauphase: Sexuelle Erregung kann nicht aufrecht erhalten werden 5 Orgasmusstörungen: Anorgasmie, Ejaculatio praecox/retarda

173 16 · Sexualstörungen

5 Störungen der Entspannungsphase: z. B. postorgastische Traurigkeit, Gereiztheit 4 Störungen mit sexuell bedingten Schmerzen 5 Dyspareunie (syn. Algopareunie): Schmerzen beim Geschlechtsverkehr 5 Vaginismus: Spasmus der die Vagina umgebenden Beckenbodenmuskulatur, der den Geschlechtsverkehr behindert oder unmöglich macht Störungen der Geschlechtsidentität

4 Transsexualismus 5 Andauernder Wunsch (Konvention: mindestens 2 Jahre), als Angehöriger des anderen biologischen Geschlechts zu leben und anerkannt zu werden 5 Wunsch nach entsprechender Hormonbehandlung und operativer Geschlechtsumwandlung 5 Häufiger ist Mann-zu-Frau-Transsexualismus als Frau-zu-MannTranssexualismus 4 Transvestitismus (unter Beibehaltung beider Geschlechtsrollen) 5 Tragen gegengeschlechtlicher Kleidung (ohne sexuelle Erregung), um vorübergehend die Rolle des anderen Geschlechts anzunehmen (kein Wunsch nach langfristiger Geschlechtsumwandlung) 5 Vorkommen fast nur bei Männern Störungen der Sexualpräferenz (Paraphilien)

4 Charakteristika: Fixierung der sexuellen Ausrichtung auf ungewöhnliche Objekte/Aktivitäten mit suchtähnlichem Charakter (Kontrollverlust) 4 Gelten als behandlungsbedürftig, wenn den wiederholt auftretenden, intensiven sexuellen Impulsen und Fantasien entsprechende Handlungen folgen oder der Betroffene sich durch die Impulse und Fantasien deutlich beeinträchtigt fühlt (persönlich, beruflich oder sozial) 4 Fetischismus: Gebrauch bestimmter gegenständlicher Objekte als Stimuli für die sexuelle Erregung und zur sexuellen Befriedigung (Fetisch als wichtigste Quelle sexueller Erregung oder unerlässlich für diese) 4 Fetischistischer Transvestitismus: Tragen von Kleidung des anderen Geschlechts hauptsächlich zur Erreichung sexueller Erregung 4 Exhibitionismus: Neigung, das Genitale vor Fremden (meist gegengeschlechtlichen) in der Öffentlichkeit zu entblößen 4 Voyeurismus: Drang, anderen Personen bei sexuellen oder intimen Aktivitäten zuzuschauen 4 Pädophilie: sexuelles Interesse und Befriedigung an Kindern 4 Sadomasochismus: Bevorzugung sexueller Aktivitäten mit Zufügung oder Erleben von Schmerzen oder Demütigungen (Sadismus: »Quälsucht«; Masochismus: Lust am Leiden) 4 Frotteurismus: sexuelle Erregung und Befriedigung durch engen Körperkontakt (Berühren oder Sich-Reiben an anderen Menschen) 4 Sodomie: sexuelle Handlungen an Tieren 4 Nekrophilie: sexuelles Interesse und Befriedigung an Leichen

16

Eigene Notizen

174

Kapitel 16 · Sexualstörungen

Eigene Notizen

Diagnostik 4 Ausführliche Sexualanamnese im Rahmen einer psychiatrischen Anamnese, Analyse der Partnerschaft 4 Ausführliche somatische Anamnese mit Medikamentenanamnese zum Ausschluss von Pharmakanebenwirkungen 4 Körperliche Untersuchung zum Ausschluss primär organischer Ursachen

Therapie Sexuelle Funktionsstörungen

4 Psychotherapeutische Komponenten: Aufklärung, Beratung, übende Verfahren und Paartherapie 5 PLISSIT-Modell als Interventionsmodell mit verschieden intensiven Intervention (je nach Schwere der Störung) J Permission: Gesprächsangebot (Angelbot, sexuelle Themen zu besprechen) J Limited Information: Übermittlung gezielter Informationen über entsprechende sexuelle Störungen J Specific Suggestions: spezifische Ratschläge/Anweisungen zur Problemlösung J Intensive Therapy: gezielte, intensive Therapie 5 Masters-Johnson-Therapie: klassische Sexualtherapie (als Paartherapie) nach verhaltenstherapeutischen Regeln; beinhaltet Abbau von Leistungsängsten, vorübergehendes Koitusverbot, Training sexueller Sensibilität und Erlebnisfähigkeit 4 Medikamentöse/Interventionelle Therapie 5 Bei Erektionsstörungen des Mannes: Phosphodiesterasehemmer wie Sildenafil, Tadalafil oder Vardenafil, Schwellkörper(auto)injektionstherapie (SKIT und SKAT), Vakuumtherapie oder Schwellkörperimplantate 5 Bei Hormondefizit-Situationen: Hormonsubstitution ( ! Cave Karzinomrisiko erhöht!) > Kein alleiniger Einsatz von somatischen Therapieverfahren bei psychisch (mit-)bedingten Sexualstörungen!

16

Störungen der Geschlechtsidentität

4 Transsexualismus: psychotherapeutische Betreuung und schrittweise Anpassung an das andere Geschlecht durch Alltagstest (möglichst realistische Erprobung der gegengeschlechtlichen Rolle durch eine Vornamensänderung), mehrmonatige Hormonbehandlung und operative Geschlechtsumwandlung 4 Transvestitismus: psychotherapeutische Betreuung nur bei Leidensdruck

175 16 · Sexualstörungen

Störungen der Sexualpräferenz (Paraphilien)

4 Psychotherapeutisch oft schwer zu behandeln; spezifische verhaltenstherapeutische Interventionen, z. B. 5 Verdeckte Sensibilisierung: paraphile Phantasien/Gedanken werden mit unangenehmen Ereignissen verbunden 5 Stimuluskontrollmethoden: Auslösereize des paraphilen Verhaltens erkennen und vermeiden lernen 5 Selbstkontrollmethoden: lernen, alternative Verhaltensweisen zu entwickeln, die mit der paraphilen Handlung unvereinbar sind 4 Ggf. medikamentöse Behandlung zur Impuls- und Appetenzkontrolle, z. B. 5 Einsatz von Antiandrogenen wie Cyproteronacetat oder LHRHAnaloga zur Minderung sexueller Appetenz

16

Eigene Notizen

17 Tag 4 – Spezielle Krankheitsbilder II

17

Persönlichkeitsstörungen

178

Kapitel 17 · Persönlichkeitsstörungen

Eigene Notizen

Definition Deutliche Abweichungen – im Verhältnis zu den soziokulturellen Vorgaben und Erwartungen – im Wahrnehmen, Fühlen, Denken, Verhalten sowie in den Beziehungen zu anderen 4 über mehrere Funktionsbereiche (z. B. Affektivität, Kognition, Impulskontrolle, soziale Beziehungen), 4 die zu dauerhaften auffälligen Verhaltensmustern 4 in vielen persönlichen und sozialen Bereichen führen 4 sowie zu erheblichem subjektivem Leiden bei den Patienten oder im sozialen Umfeld.

Ätiologie 4 Allgemein Annahme eines Zusammenspiels genetischer Faktoren, prä-, peri- und postnatal erworbener hirnorganischer Normabweichungen sowie psychosozialer Faktoren 4 Ergebnisse zur Heredität (Zwillingsstudien) legen eine Varianzaufklärung von 40–50% im Durchschnitt der Persönlichkeitsstörungen nahe 4 Hirnorganische Auffälligkeiten, z. B. weisen Bildgebungsuntersuchungen bei impulsiven Personen mit dissozialer Persönlichkeitsstörung oder Borderline-Störung auf hirnstrukturelle und -funktionelle Auffälligkeiten präfrontaler, temporaler sowie subkortikal-limbischer Areale hin > Neurobiologische Disposition führt nicht zwangsläufig zu einem entsprechenden abweichenden sozialen Verhalten, sondern kann durch Umweltfaktoren und Erziehungsstile weitgehend kompensiert werden.

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4 Psychosoziale Faktoren, z. B. 5 Dissoziale Persönlichkeitsstörung: problematische frühe Beziehungserfahrungen wie fehlende emotionale Wärme durch Bezugspersonen, inkonsistente oder fehlende Erziehungsmaßnahmen 5 Emotional-instabile Persönlichkeitsstörung vom Borderline-Typ: schwere Störung des Bindungsverhaltens durch problematische frühe Beziehungserfahrungen, schwere Traumatisierungen in der Kindheit wie Misshandlungen oder Verlusterlebnisse 4 Dysfunktionale Kognitionen, z. B. Borderline-Störung: dichotomes Denken (»Schwarz-Weiß-Denken«) 4 Psychoanalytische Konzepte 5 Störung der psychosexuellen Entwicklung, der Entwicklung der IchFunktionen und der Objektbeziehungen 5 Persönlichkeitsstörungen als Charakterneurosen durch Erwerb eines stabilen Musters von Abwehrmechanismen; z. B. vorherrschende Abwehrtypen bei der Borderline-Störung: Projektion (Wahrnehmung innerer Impulse als von außen kommend), Agieren (Ausdrücken unbewusster Wünsche/Konflikte durch Handlungen, z. B. durch impulsive oder autodestruktive Verhaltensweisen)

179 17 · Persönlichkeitsstörungen

Epidemiologie 4 Prävalenz: bis ca. 10% der deutschen Allgemeinbevölkerung, ca. 50% unter den psychiatrischen Patienten 4 In Städten und niedrigen sozialen Schichten höhere Prävalenzrate als in ländlichen Gebieten und höheren sozialen Schichten 4 Am häufigsten: ängstlich (vermeidende) Persönlichkeitsstörung

Klinik 4 Allgemeine Symptome 5 Unflexibel, wenig angepasst 5 Starres Denken: Schwarz-Weiß-Denken, Gut oder Böse, EntwederOder, Alles oder Nichts 5 Gestörte Gefühlsreaktionen 5 Probleme in zwischenmenschlichen Beziehungen 4 Meist große Einschränkungen beruflicher und sozialer Leistungsfähigkeit 4 Erhebliches subjektives Leiden beim Patienten oder im sozialen Umfeld (obligat für die Diagnose!) 4 Einteilung in 3 Cluster 5 Cluster A (sonderbar, exzentrisch): paranoide, schizoide sowie schizotypische (schizotype) Persönlichkeitsstörung 5 Cluster B (emotional, dramatisch, launisch): emotional instabile, dissoziale, histrionische und narzisstische Persönlichkeitsstörung 5 Cluster C (ängstlich, furchtsam): ängstliche, anankastische und abhängige Persönlichkeitsstörung 4 Beginn immer schon im Kindes- oder Jugendalter, Manifestation auf Dauer im Erwachsenenalter 4 Häufige Komorbidität mit anderen psychischen Erkrankungen (affektiven Störungen, Angst- und Zwangserkrankungen, Essstörungen, Suchterkrankungen, somatoformen Störungen, posttraumatischer Belastungsstörung, Sexualstörungen) Kennzeichen spezifischer Persönlichkeitsstörungen Paranoide Persönlichkeitsstörung

4 Ausgeprägtes Misstrauen, starke Neigung, Erlebtes zu verdrehen oder misszudeuten 4 Übertriebene Empfindlichkeit gegenüber Kritik 4 Hang zu fortwährendem Groll, wegen der Weigerung, Beleidigungen, Verletzungen oder Missachtungen zu verzeihen 4 Streitsüchtiges und situationsunangemessenes Beharren auf eigenen Rechten 4 Ständige Selbstbezogenheit, v. a. in Verbindung mit starker Überheblichkeit Schizoide Persönlichkeitsstörung

4 Einzelgängerisches Verhalten 4 Soziale Kontaktschwäche und eingeschränkte Erlebnis- und Ausdrucksfähigkeit, Verschlossenheit, emotionale Kälte

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Eigene Notizen

180

Kapitel 17 · Persönlichkeitsstörungen

Eigene Notizen

4 Scheinbare Gleichgültigkeit gegenüber Lob oder Kritik 4 Wenige oder überhaupt keine Tätigkeiten bereiten Vergnügen; nur geringes Interesse an Sexualität 4 Mangelhaftes Gespür für geltende soziale Normen und Konventionen Schizotypische Persönlichkeitsstörung (schizotype Störung)

4 Im ICD-10 den schizophrenen und wahnhaften Störungen zugeordnet 4 Kalt und unnahbar erscheinender Affekt 4 Seltsames, exzentrisches oder eigentümliches Verhalten und Erscheinung 4 Mangel an zwischenmenschlichen Beziehungen 4 Seltsame Glaubensinhalte, magisches Denken, Misstrauen oder paranoide Ideen, Beziehungsideen 4 Gelegentlich Körpergefühlsstörungen und Depersonalisations- oder Derealisationserleben oder andere ungewöhnliche Wahrnehmungserlebnisse bzw. quasipsychotische Episoden 4 Zwanghaftes Grübeln ohne inneren Widerstand, oft mit dysmorphophoben (Entstellungsfurcht), sexuellen oder aggressiven Inhalten 4 Seltsame Denk- und Sprechweise (vage, umständlich, metaphorisch, gekünstelt und oft stereotyp) Dissoziale (antisoziale) Persönlichkeitsstörung

4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4

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Mangel an Empathie, »Gefühlskälte« Missachtung sozialer Regeln und Normen Fehlendes Verantwortungsbewusstsein Geringe Frustrationstoleranz; niedrige Schwelle für aggressives, auch gewalttätiges Verhalten Anhaltende Reizbarkeit Unfähigkeit zum Erleben von Schuldbewusstsein oder zum Lernen aus Erfahrung, besonders aus Bestrafung Neigung, andere zu beschuldigen oder vordergründige Rationalisierungen für das Verhalten anzubieten Häufig oberflächlicher Charme Unfähigkeit zur Aufrechterhaltung dauerhafter Beziehungen (jedoch keine Schwierigkeit, sie einzugehen) Häufig Komorbidität mit Substanzmissbrauch Macht sich meist schon im Kindes- und Jugendalter bemerkbar durch Missachtung von Regeln und Normen (z. B. Schuleschwänzen, Weglaufen, Stehlen, Lügen, Vandalismus)

> Die Diagnose ist erst bei Personen ab 18 Jahren zu stellen. Vor dem 15. Lebensjahr ist eine Störung des Sozialverhaltens diagnostisch bedeutsam.

4 Soziopathie (im englischen Sprachraum Psychopathie): zentraler Begriff der Forensischen Psychiatrie zur Beschreibung einer schweren Form der dissozialen Persönlichkeitsstörung 5 Störungen im zwischenmenschlichen Bereich (z. B. manipulativ, betrügerisch)

181 17 · Persönlichkeitsstörungen

5 Störungen im affektiven Bereich (z. B. Mangel an Empathie, Schuld, Reue) 5 Antisoziales Verhalten und Impulsivität > Die dissoziale Persönlichkeitsstörung kommt häufig unter Gefängnisinsassen vor. Kriminalität ist jedoch keine notwendige Voraussetzung für die Diagnose; es gibt auch sozial angepasste, beruflich erfolgreiche Personen mit dissozialer Persönlichkeitsstörung. Emotional instabile Persönlichkeitsstörung

4 4 4 4

Launenhaftigkeit Ausagieren von Impulsen ohne Berücksichtigung ihrer Konsequenzen Häufig Komorbiditäten mit anderen psychischen Erkrankungen Impulsiver Typ: emotionale Instabilität und mangelnde Impulskontrolle, Ausbrüche von gewalttätigem und bedrohlichem Verhalten, v. a. bei Kritik durch andere 4 Borderline-Typ: Instabilität hinsichtlich des eigenen Selbstbilds, zwischenmenschlicher Beziehungen und der Stimmung 5 Gestörte Affektregulation mit sprunghaft wechselnden Emotionen, aggressiven Durchbrüchen oder Suizidalität 5 Schwierigkeiten, Emotionen wahrzunehmen und zu benennen 5 Abrupter Wechsel in der Bewertung der Beziehungspartner (dichotomes Denken) 5 Schneller Wechsel von Lebenszielen und Wertvorstellungen 5 Unfähigkeit, langfristige Ziele aufrecht zu erhalten beim Ausbleiben kurzfristiger Erfolge 5 Instabile, aber intensive zwischenmenschliche Beziehungen 5 Massive Angst vor dem Verlassenwerden 5 Hohe Sensitivität für Vorzeichen eines Beziehungsendes und aggressive, aktive Beendigung einer Beziehung bei drohendem Beziehungsende 5 Dauerhaftes Gefühl innerer Leere und Sinnlosigkeit 5 Selbstabwertungen 5 Teilweise trance-ähnliche Bewusstseinsveränderungen, ggf. Hören innerer Stimmen, ggf. Episoden mit Amnesie und Fugue (=plötzliches Weggehen von der gewohnten Umgebung, verbunden mit der Unfähigkeit, sich an die frühere Identität zu erinnern) 5 Starke innere Spannung, der Betroffene meist nur durch Selbstverletzungen (»Ritzen«) begegnen können 5 Funktionen der impulsiven Verhaltensweisen: Spannungsabbau, Ablenkung von unangenehmen Gedankeninhalten, Erzeugung eines Gefühls von Kontrolle oder Überlegenheit 5 Oft Suchtentwicklung (häufig Polytoxikomanie)

17

Eigene Notizen

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Kapitel 17 · Persönlichkeitsstörungen

Eigene Notizen

Histrionische Persönlichkeitsstörung

4 Theatralisches, dramatisierendes Verhalten, übertriebener Ausdruck von Gefühlen 4 Oberflächliche und labile Affektivität 4 Übermäßiges Verlangen nach Aufmerksamkeit, Bedürfnis, im Mittelpunkt zu stehen 4 Unangemessen verführerisch in Erscheinung und Verhalten 4 Sprunghaftigkeit, Ungenauigkeit und Unschärfe im Denken und der Sprache (impressionistischer Denk-/Sprachstil) Anankastische (zwanghafte) Persönlichkeitsstörung

4 Übermäßige Gewissenhaftigkeit, Zweifel und Vorsicht 4 Ständige Beschäftigung mit Details, Regeln, Ordnung, Plänen, Listen, Organisation 4 Perfektionismus, der die Fertigstellung von Aufgaben behindert 4 Unverhältnismäßige Leistungsbezogenheit unter Vernachlässigung von Vergnügen und zwischenmenschlichen Beziehungen 4 Rigidität und Eigensinn, fehlende Bereitschaft zur Kooperation 4 Extreme Sparsamkeit bis hin zu ausgeprägtem Geiz Ängstliche (vermeidende) Persönlichkeitsstörung

4 Andauernde und umfassende Gefühle von Unsicherheit, Anspannung, Besorgtheit und Minderwertigkeit 4 Überempfindlichkeit gegenüber Kritik und Zurückweisung 4 Eingehen persönlicher Kontakte nur, wenn die Sicherheit besteht, gemocht zu werden 4 Vermeidung beruflicher oder sozialer Aktivitäten, die mit intensivem zwischenmenschlichem Kontakt verbunden sind, aus Furcht vor Kritik, Missbilligung oder Ablehnung Abhängige (asthenische) Persönlichkeitsstörung

4 Unterwürfiges und anklammerndes Verhalten 4 Mangelnde Selbstständigkeit, Überlassung der Verantwortung für wichtige Bereiche des eigenen Lebens an andere 4 Ausgeprägte Ängste vorm Verlassenwerden und Alleinsein 4 Eingeschränkte Fähigkeit, Alltagsentscheidungen zu treffen ohne ein hohes Maß an Ratschlägen und Bestätigung von anderen

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Narzisstische Persönlichkeitsstörung

4 Großartigkeit und Einzigartigkeit in Phantasie und Verhalten bei gleichzeitig erhöhter Kränkbarkeit 4 Überschätzung der Wichtigkeit der eigenen Person (als Kompensation eines brüchigen Selbstwertgefühls) 4 Verzweifeltes Bemühen um Anerkennung und Bewunderung; sehr funktionales Verhältnis zu Bezugspersonen (Spannung zwischen Aufund Abwertung) 4 Mangel an Empathie, häufig überhebliche Verhaltensformen

183 17 · Persönlichkeitsstörungen

Sonstige Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen Entwicklung körperlicher Symptome aus psychischen Gründen

4 Körperliche Beschwerden mit gesicherter somatischer Ursache halten aufgrund des psychischen Zustands des Betroffenen länger an oder werden übertrieben dargeboten (obsolete Begriffe: Renten-/Begehrensneurose, Unfallneurose) Artifizielle Störungen

4 Wiederholtes Vortäuschen oder Erzeugen körperlicher oder psychischer Symptome 4 Wiederholtes Drängen auf Untersuchungen und medizinische Behandlungen 4 Im Vordergrund steht häufig sekundärer Krankheitsgewinn 4 Z. B. Münchhausen-Syndrom: Vortäuschen körperlicher Symptome durch absichtliche Selbstschädigung, mit phantastischer Ausgestaltung der Biografie und »Krankenhauswandern« > Münchhausen-Syndrom ist nicht gleichzusetzen mit Simulation. Münchhausen-Syndrom beruht auf unbewussten Motiven (unbewusster Wunsch nach Zuwendung und Anerkennung). Simulation: Motivation für die Täuschung ist bewusst.

4 »Erweiterte« Form: Münchhausen-Stellvertretersyndrom (Münchhausen-by-proxy-Syndrom): Vortäuschen einer Erkrankung bei einer anderen Person (z. B. Eltern bei ihren Kindern; oberflächlich demonstrieren diese Eltern große Besorgnis und fordern oft wiederholt die Durchführung weiterer Untersuchungen ein)

Diagnostik 4 Ausschluss organischer und Suchterkrankungen (körperliche Untersuchung, Labordiagnostik einschließlich Drogenscreening, bildgebende Verfahren) 4 Auffälligkeiten in der Kindheit? Situationsgebundenes oder -unabhängiges Verhalten? Bedeutsamer Leidensdruck beim Betroffenen oder des sozialen Umfelds? (Eigen- und Fremdanamnese!) 4 Testpsychologische Persönlichkeitsdiagnostik 5 Strukturierte Interviews: z. B. Strukturiertes Klinisches Interview für DSM-IV, Achse II (SKID-II) oder International Personality Disorder Examination (IPDE) 5 Fragebögen zur Selbsteinschätzung: z. B. Minnesota Multiphasic Personality Inventory (MMPI), Freiburger Persönlichkeitsinventar (FPI-R) 5 Störungsspezifische Instrumente: z. B. Borderline-PersönlichkeitsInventar (BPI), revidierte Psychopathie-Checkliste (PCL-R) 5 Kontinuierliche Übergänge von adaptiven Persönlichkeiten über Persönlichkeitsakzentuierungen bis hin zu Persönlichkeitsstörungen, nur unzureichende Abbildung der Persönlichkeit in Form kategorialer Unterschiede

17

Eigene Notizen

184

Kapitel 17 · Persönlichkeitsstörungen

Eigene Notizen

5 Dimensionale Diagnostik von Persönlichkeit J Persönlichkeitsdimensionen (Big Five): Neurotizismus vs. emotionale Stabilität, Extraversion vs. Introversion, Verträglichkeit vs. Antagonismus (Aggressivität), Gewissenhaftigkeit vs. Desorganisiertheit, Offenheit für neue Erfahrungen vs. Konventionalität J Erfassung anhand multidimensionaler Selbstbeurteilungsinstrumente, z. B. Eysenck-Persönlichkeitsinventar (EPI), NEO-FiveFactor Inventory (NEO-FFI) 4 Diagnose nur nach Verlaufsbeobachtung: keine einmalige diagnostische Erhebung

Therapie

17

4 Schwierig und langwierig aufgrund tief verwurzelter und seit früher Jugend bestehender Verhaltensmuster und Ich-syntonem Erleben der »störenden« Verhaltensmuster 4 Andauerndes Erkrankungsbild, aber spezifische Behandlungen können durchaus erfolgreich sein 4 Wichtig: Schaffen einer vertrauensvollen, verlässlichen therapeutischen Beziehung mit eindeutigen Vereinbarungen 4 Zentrales Element: Schließen eines Behandlungsvertrages mit festgelegten Therapiebedingungen und anschließendem konsequentem Vorgehen 4 Psychotherapeutische Interventionen 5 Techniken zur Verbesserung der Eigenwahrnehmung (Gefühle und Bedürfnisse) und sozialen Wahrnehmung 5 Maßnahmen zum Erlernen von Verantwortungsübernahme für das eigene Verhalten 5 Training sozialer Kompetenzen und von Selbstsicherheit 5 Aufbau adäquater Verhaltensweisen mittels operanter Techniken 5 Kognitive Verhaltenstherapie 5 Evtl. Entspannungsverfahren als »Einstieg«, zur Erleichterung weiterer therapeutischer Interventionen 4 Störungsspezifische Therapiekonzepte, Beispiel Borderline-Persönlichkeitsstörung: 5 Dialektisch-behaviorale Therapie (DBT) nach M.M. Linehan J Integriert Elemente aus der kognitiven Verhaltenstherapie, der Gestalttherapie (humanistisches Therapieverfahren), der Hypnotherapie und aus dem ZEN J Kombination von Einzeltherapie, Fertigkeitentraining in der Gruppe, Telefonkontakt im Notfall und Supervision 5 Schematherapie nach J.E.Young J Entstand in Anlehnung an kognitive Therapieelemente, emotionsfokussierte und psychodynamische Vorstellungen J Annahme: Primär ursächlich für Persönlichkeitsstörungen sind dem Bewusstsein schwer zugängliche Schemata, die infolge ungünstiger Kindheitserlebnisse entstanden sind

185 17 · Persönlichkeitsstörungen

5 Übertragungsfokussierte Psychotherapie nach O. F. Kernberg J Tiefenpsychologisch fundiertes Therapieverfahren J Fokussiert auf Objektbeziehungen und Übertragung 4 Psychopharmakotherapie (untergeordnete Rolle) 5 Primär zur Behandlung der häufigen Komorbidität mit affektiven und anderen psychischen Erkrankungen 5 ! Cave Vorsicht beim Einsatz von Benzodiazepinen → erhöhtes Risiko für Benzodiazepinmissbrauch! 5 Einsatz von Psychopharmaka zur Reduktion der Symptomatik bei J Emotionaler Instabilität, Impulsivität, Ängstlichkeit, depressiver oder zwanghafter Symptomatik → z. B. selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) J Psychoseähnlichen Symptomen → z. B. atypische Antipsychotika J Impulsivität → z. B. SSRI, Lithium, Valproinsäure, Carbamazepin oder niedrigpotente Antipsychotika 4 Umso bessere Prognose, je eher die Betroffenen bereit sind, störende Eigenschaften als Ich-dyston zu erleben

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Eigene Notizen

18 Tag 4 – Spezielle Krankheitsbilder II

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Abnorme Gewohnheiten und Störungen der Impulskontrolle

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Kapitel 18 · Abnorme Gewohnheiten und Störungen der Impulskontrolle

Eigene Notizen

Definition Charakteristika 4 Sich wiederholende unangepasste Handlungen ohne vernünftige Motivation 4 Schädigung der Interessen des Betroffenen oder anderer Menschen durch diese Handlungen 4 Spontan oder reizassoziiert auftretende Handlungsimpulse, die so lange an Intensität zunehmen, bis sie nicht mehr kontrolliert werden können

Ätiologie 4 Persönlichkeitsfaktoren wie z. B. Impulsivität oder sog. »sensation seeking« (Reize suchen, um Langeweile zu vermeiden) 4 Lernprozesse 4 Neurobiologische Faktoren (verminderte Aktivität des serotonergen sowie dopaminergen Systems, Funktionsstörung frontaler Hirnregionen, verstärktes Ansprechen des Belohnungssystems)

Epidemiologie 4 Für viele dieser Störungen keine validen Angaben zur Epidemiologie 4 Pathologisches Spielen derzeit wahrscheinlich die häufigste Impulskontrollstörung (ca. 2% der Allgemeinbevölkerung) 4 Beginn liegt meist in der Adoleszenz, ausgenommen Trichotillomanie, die auch schon im Kindesalter auftreten kann

Klinik 4 Allgemeine Symptome 5 Fehlende Kontrolle über die Handlungsimpulse 5 Wachsende Anspannung und Erregung vor der Handlung, Erleichterung, Euphorie oder Lustempfinden während und häufig sofort nach der Handlung 5 Wiederholtes Auftreten trotz negativer psychosozialer Folgen 5 Handlung hat keinen objektivierbaren Nutzen oder wird nicht deswegen durchgeführt 5 Meist Bewusstsein von der Sinnlosigkeit und Unrichtigkeit der Handlungen sowie Erleben der Handlungen als wesensfremd > Ähnlichkeiten bestehen v. a. zu Zwangserkrankungen; im Unterschied zu diesen erleben Betroffene mit Impulskontrollstörungen aber i. d. R. angenehme Gefühle während der Handlung.

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Spezifische Impulskontrollstörungen

4 Pathologisches Spielen: Unfähigkeit, dem Drang zum wiederholten Glücksspiel zu widerstehen; Stimulierung wird gesucht, weniger der Geldgewinn an sich 4 Pathologische Brandstiftung (Pyromanie): unwiderstehlicher Drang, Feuer zu legen und großes Interesse an der Beobachtung von Bränden sowie Faszination an allem, was mit Feuer und Bränden in Beziehung

189 18 · Abnorme Gewohnheiten und Störungen der Impulskontrolle

4

4

4 4

4

steht; häufig Indifferenz gegenüber möglichen Personen- oder Sachschäden Pathologisches Stehlen (Kleptomanie): wiederholter Drang, Diebstähle zu begehen, ohne dass die gestohlenen Gegenstände dazu dienen, sich oder andere daran zu bereichern; Bewusstsein über das Verbotensein der Taten, daher häufig Schuldgefühle oder depressive Verstimmungen nach der Tat Trichotillomanie: Unvermögen, dem Drang zu widerstehen, sich Haare auszureißen mit der Folge sichtbaren Haarverlusts; jede Körperregion kann betroffen sein, am häufigsten betroffen sind Kopf und Augenregion; gelegentlich werden anschließend Haarwurzeln untersucht oder Haare verschluckt (Trichophagie) Kaufsucht: unwiderstehlicher Drang, Gegenstände zu kaufen (diese sind für sich genommen nützlich, von der Menge her aber übertrieben und die Käufe damit sinnlos) Pathologischer Internet-/Mobiltelefon-Gebrauch: unwiderstehliches Verlangen nach Internet-/Mobiltelefonnutzung, exzessiver Internet-/ Mobiltelefon-Gebrauch über eine längere Zeitspanne als beabsichtigt mit resultierenden psychosozialen Komplikationen Störung mit intermittierend auftretender Reizbarkeit: wiederholte Episoden, in denen aggressiven Impulsen nicht widerstanden werden kann und die in Angriffen gegen Personen oder Sachbeschädigung enden

Diagnostik 4 Eigen- und Fremdanamnese 4 Ausschluss organischer Erkrankungen (körperliche Untersuchung, Labordiagnostik einschließlich Drogenscreening sowie bildgebende Verfahren) 4 Persönlichkeitsdiagnostik mittels psychometrischer Verfahren (7 Kap. 2.3.5, 7 Kap. 17) 4 Differenzialdiagnostisch abzugrenzen sind v. a. 5 Suchterkrankungen 5 Zwangserkrankungen 5 Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS)

Therapie 4 Psycho- und Soziotherapie 5 Vor allem kognitiv-verhaltenstherapeutische Interventionen: Erlernen von Stimuluskontrolle, Expositionsverfahren, systematische Desensibilisierung, kognitive Umstrukturierung und Aufbau von Alternativverhalten; Stressbewältigungstraining, soziales Kompetenztraining, Training zur Verbesserung des Problemlöseverhaltens 5 Anschluss an eine Selbsthilfegruppe 5 Soziotherapeutische Maßnahmen (z. B. bei pathologischem Spielen Einbeziehen und Zusammenarbeit mit Angehörigen und Institutionen wie Banken, Spielstätten, Schuldnerberatung) 4 Psychopharmakotherapie: Unterstützend insbesondere (selektive) Serotonin-Wiederaufnahmehemmer oder das trizyklische Antidepressivum Clomipramin

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Eigene Notizen

19 Tag 4 – Spezielle Krankheitsbilder II

19

Missbrauch und Abhängigkeit

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Kapitel 19 · Missbrauch und Abhängigkeit

Eigene Notizen

Definition Missbrauch/schädlicher Gebrauch: Konsum psychotroper Substanzen, der bereits zu konkreten körperlichen oder psychischen Schäden beim Konsumenten geführt hat. Kriterien für Abhängigkeit werden nicht erfüllt. Abhängigkeit: Dringendes Verlangen oder unbezwingbares Bedürfnis, sich eine psychotrope Substanz fortgesetzt oder periodisch zuzuführen, dabei kommt es meist zum Kontrollverlust bezüglich des Konsums sowie zu einer stoffbezogenen Ausrichtung des Verhaltens mit Störungen im normalen psychosozialen Gefüge. Bei etlichen Substanzen kann es über psychische Faktoren hinaus zu einer körperlichen Abhängigkeit kommen. 4 Körperliche Abhängigkeit: Zwanghaftes Verlangen nach der Substanz mit Auftreten von Entzugssymptomatik nach Absetzen einer Substanz und Tendenz zur Dosissteigerung aufgrund von Toleranzentwicklung (= Abnahme der Substanzwirkung bei wiederholtem Konsum)

4 Im Rahmen von Suchterkrankungen können vorkommen (Auftreten hängt von den Eigenschaften der Substanzen ab und variiert zum Teil sehr stark zwischen den Substanzklassen) 5 Akute Intoxikation 5 Missbrauch/schädlicher Gebrauch 5 Abhängigkeit 5 Entzugssyndrom mit/ohne Delir 5 Psychotische oder andere psychische oder Verhaltensstörungen 5 Amnestisches Syndrom

Ätiologie

19

4 Multifaktorielle Genese 4 Interaktion von 5 Individuellen Faktoren J Genetische Disposition: für alle Substanzgruppen, aber v. a. für Alkoholabhängigkeit gut belegt (genetischer Faktor eher Substanzklassen-unabhängiger Risikofaktor für eine Abhängigkeitserkrankung; es gibt aber auch Hinweise auf Substanz-spezifische Effekte) J Persönlichkeitsmerkmale/-struktur: Selbstwertproblematik, abhängige oder ängstliche Strukturen sind abhängigkeitsfördernd, aber auch geringe Frustrationstoleranz, dissoziale oder emotional instabile Persönlichkeitsstörung als Prädiktor für Alkohol- und sonstige Drogenabhängigkeit; Regression und Fixierung auf orale Entwicklungsstufe (nach psychoanalytischer Auffassung) J Lernerfahrungen; kritische, stressreiche Lebensereignisse J Chronische Schmerzen, Schlafstörungen 5 Sozialen Faktoren (beeinflussen v. a. Erstkonsum): z. B. Verhalten Gleichaltriger, gesetzliche Regelungen, kulturelle Einflüsse

193 19 · Missbrauch und Abhängigkeit

> Abhängigkeitserkrankungen treten in allen sozialen Schichten in vergleichbarem Maße auf, allerdings gibt es für die Art der konsumierten Substanzen schichtspezifische Häufungen!

5 Substanzspezifischen Faktoren: Verfügbarkeit, Kosten, Wirkung, soziokultureller Status der Substanz 4 Wirkung von Suchtstoffen auf das mesolimbische Belohnungssystem (zentrale Struktur: Ncl. accumbens) direkt oder indirekt v. a. über eine Steigerung dopaminerger Aktivität im Belohnungssystem (aber auch andere Transmitter beteiligt) → Lernen durch »Belohnung« → Ausbildung eines »Suchtgedächtnisses«

Epidemiologie 4 Alkohol 5 Riskanten Konsum betreiben ca. 10 Mio. Menschen in Deutschland (= Kriterien für Missbrauch oder Abhängigkeit nicht erfüllt, Substanz wird aber übermäßig konsumiert: tägl. Konsum von >30 g reinen Alkohols bei Männern – entspricht ca. 0,75 l Bier oder 3/8 l Wein – bzw. >20 g reinen Alkohols bei Frauen – entspricht ca. 0,5 l Bier oder 1/4 l Wein) 5 Missbrauch ca. 3 Mio. Menschen in Deutschland 5 Abhängigkeit ca. 2 Mio. Menschen in Deutschland (entspricht ca. 3% der erwachsenen Bevölkerung in Deutschland; ca. 5% der Männer und ca. 2% der Frauen) 4 Tabak/Nikotin 5 Nahezu 20 Mio. Raucher in Deutschland, wovon nach ICD-10 Kriterien 70–80% als abhängig einzuschätzen sind 4 Arzneimittel 5 Abhängigkeit ca. 1,4 Mio. Menschen in Deutschland, davon ca. 1 Mio. benzodiazepinabhängig 4 Cannabis 5 Abhängigkeit ca. 240.000 Menschen in Deutschland 4 Sonstige illegale Drogen 5 Abhängigkeit ca. 175.000 Menschen in Deutschland 4 Polytoxikomanie (Mehrfachabhängigkeit, wobei die Substanzaufnahme variabel verläuft) ca. 20% aller Abhängigkeiten

Klinik 4 Diagnostische Kriterien der Substanzabhängigkeit (nach ICD-10): Innerhalb eines Jahres müssen gleichzeitig mindestens 3 der folgenden Kriterien erfüllt sein: 1. Körperliche Entzugssymptome bei Beendigung oder Reduktion des Konsums (Symptome sind hierbei oft entgegengesetzt zur akuten Substanzwirkung) 2. Toleranzentwicklung gegenüber den Substanzeffekten, so dass zunehmend höhere Dosen konsumiert werden müssen, um erwünschten Effekt herbeizuführen 3. Starker Wunsch oder Art Zwang, die Substanz zu konsumieren

19

Eigene Notizen

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Kapitel 19 · Missbrauch und Abhängigkeit

Eigene Notizen

4. Verminderte Kontrolle über Beginn, Beendigung oder Menge des Konsums 5. Einschränkung/Vernachlässigung wichtiger anderer Aktivitäten 6. Fortsetzung des Substanzkonsums trotz nachweislicher Schädigung (z. B. drogeninduzierte Psychose, Hepatitis) Kriterien 1 und 2 beschreiben Anzeichen körperlicher Abhängigkeit, die anderen Kriterien Anzeichen psychischer Abhängigkeit Abhängigkeit und Toleranz* bei verschiedenen Substanztypen Substanz

Körperliche Abhängigkeit

Psychische Abhängigkeit

Toleranz

Alkohol, Barbiturate, Benzodiazepine

+++

++

++

Cannabis

(+)

++

+

Kokain

(+)

+++

+ (Tachyphylaxie)**

Halluzinogene (LSD, Meskalin)

0

++

+++

Opiat (Morphin)

+++

+++

+++

Amphetamine

(+)

++

+++ (Tachyphylaxie)**

* Toleranz: Abnahme der Substanzwirkung bei wiederholter Zufuhr. Häufig wird dem Wirkungsverlust mit erhöhter Zufuhr begegnet. ** Tachyphylaxie: äußerst schnelle Toleranzentwicklung nach kurz aufeinander folgendem Konsum aufgrund von Vesikel-Speicher-Entleerung

Diagnostik

19

4 Typische Laborveränderungen bei Alkoholabhängigkeit bzw. chronischem Alkoholmissbrauch (laborchemisch keine Unterscheidung zwischen Abhängigkeit und Missbrauch möglich) 5 Erhöhung von γ-GT, MCV, CDT (CDT hat die höchste Spezifität von allen 3 Markern; diagnostisches Fenster: 2–4 Wochen) 5 Erhöhung der Lebertransaminasen (GOT, GPT) bei Leberschädigung (wenig spezifisch) 4 Kurzzeitmarker des Alkoholkonsums (wenige Stunden oder Tage zurückliegende Alkoholaufnahme): Ethylglukuronid (EtG) im Serum oder Urin 4 Aktueller Alkoholkonsum 5 Bestimmung der Atemalkoholkonzentration (nicht forensisch verwendbar) 5 Bestimmung der Blutalkoholkonzentration (BAK): Berechnung anhand der Widmark-Formel (v. a. für forensische Fragestellungen relevant)

195 19 · Missbrauch und Abhängigkeit

Definition Widmark-Formel BAK (‰) = (Konsumierte Alkoholmenge [g] – 10 bis 20% Resorptionsdefizit)/(Körpergewicht [kg] × Reduktionsfaktor [Männer 0,7, Frauen 0,6]) Pro Stunde seit Trinkbeginn müssten noch 0,15‰ abgezogen werden (stündliche Ethanolabbaurate).

4 Drogenscreening im Urin zum Nachweis eines aktuellen Drogenkonsums 4 Haarfollikelanalyse zum Nachweis eines längeren Drogenkonsums

Therapie 4 »Königsweg«: Erzielen dauerhafter Abstinenz 4 Alternativen: Substitution als ultima ratio im Sinne einer »harm reduction«/»Schadensbegrenzung« (substitutionsbasierte Therapien v. a. relevant bei Opioidabhängigkeit) 4 Allgemeine Prinzipien der Suchttherapie: 4 Therapiestufen 5 Kontaktphase: Ambulanz, Praxis, Beratungsstellen: Erkennen, Motivationsarbeit, Problembewusstsein und Veränderungsbereitschaft schaffen 5 Entgiftungsphase: Körperliche Entgiftung, wegen möglicher Komplikationen meist stationär J In der Alkoholabhängigkeitsbehandlung hat sich zunehmend die sog. »qualifizierte Entgiftung« etabliert: Entgiftung nach eindeutigen qualitativen Standards unter Einbeziehung motivationsfördernder und psychotherapeutischer Therapieelemente, zusätzlich sozialpsychiatrische Intervention 5 Entwöhnungsphase: psychotherapeutische, sozialpsychiatrische und rehabilitative Maßnahmen, insbesondere zur Behandlung der psychischen Abhängigkeit, Festigung von Abstinenz; ambulant, teilstationär oder stationär 5 Nachsorgephase: Stabilisierungsphase, ambulant; Besuch von Selbsthilfegruppen 4 Motivierende Gesprächsführung als grundlegender Interaktionsstil

Substanzgruppen Alkohol (Ethanol)

4 Klinische Hinweiszeichen der Alkoholabhängigkeit (häufig unspezifisch oder erst in Spätstadien) 5 Foetor ex ore (möglicherweise überdeckt z. B. durch Lutschpastillen) 5 Rötung von Gesicht, Dekolleté, Handinnenflächen, Palmarerythem 5 Rhinophym, Rosacea 5 Dupuytren-Kontraktur 5 Atrophie der Muskulatur, v. a. der Waden

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Sensibilitätsstörungen Ataxie Evtl. Stammfettsucht oder aber Kachexie Bauchglatze Zeichen eines portalen Hypertonus (Spider naevi, Caput medusae, Hämmorrhiden) 5 Im Entzug klassische vegetative Entzugssymptomatik 4 Einteilung Alkoholkranker nach C. R. Cloninger 5 Typ I: später, allmählicher Krankheitsbeginn, geringere genetische Belastung, gleiche Geschlechterverteilung, hohe »reward dependence« (Belohnungsabhängigkeit), hohe »harm-avoidance« (Schadensvermeidung, geringe Risikobereitschaft), verhältnismäßig gute soziale Einbindung, relativ gute Prognose 5 Typ II: früher, heftiger Beginn, ausgeprägte genetische Belastung, häufig dissoziale oder emotional instabile Persönlichkeitsstörung, hohes »sensation seeking« (verstärkte Suche nach neuen Stimuli), überwiegend Männer, häufig Konsum weiterer Substanzen, ungünstige Prognose 4 Typologie nach E.M. Jellinek (eher von historischer Bedeutung, wenig reliabel) 5 Alpha-Typ: Konflikt-/Erleichterungstrinker; Fähigkeit zur Abstinenz, kein Kontrollverlust; psychische Abhängigkeit 5 Beta-Typ: Gelegenheits-, Wochenendtrinker; kein Kontrollverlust, keine Abhängigkeit, Alkoholmissbrauch 5 Gamma-Typ: süchtiger Trinker; Kontrollverlust, aber zeitweilige Fähigkeit zur Abstinenz; erst psychische, dann auch physische Abhängigkeit; häufigster Typ 5 Delta-Typ: Gewohnheits-/Spiegeltrinker (konstant hoher Konsum, meist nicht bis zum Rausch); kein Kontrollverlust, Abstinenzunfähigkeit, physische Abhängigkeit 5 Epsilon-Typ: Episodischer/»Quartalstrinker« mit Kontrollverlust, aber Fähigkeit zur Abstinenz; psychische Abhängigkeit 4 Entwicklung der Alkoholabhängigkeit nach E.M. Jellinek 5 Präalkoholische Phase: häufiger Konsum mäßiger Alkoholmengen zur Spannungsreduktion, leichte Erhöhung der Alkoholtoleranz 5 Prodromalphase: Erleichterungstrinken, weitere Toleranzerhöhung; heimliches Trinken, Gedanken kreisen um Alkohol, Gedächtnislücken für Ereignisse während des Alkoholkonsums (»Filmriss«) 5 Kritische Phase: Entwicklung einer starken psychischen Abhängigkeit, Bagatellisierung des Konsums, Dissimulation, Ablehnung von Hilfsangeboten, familiäre Konflikte aufgrund des Konsums, Interesseneinengung, beginnende Wesensveränderung 5 Chronische Phase: immer häufigeres Auftreten von situationsunabhängigen Rauschzuständen, körperliche Komplikationen, Entzugssymptomatik (v. a. morgens), beginnende Alkoholintoleranz

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Alkoholassoziierte Störungen und Alkoholfolgeerkrankungen

4 Einfacher Rausch (akute Alkoholintoxikation) 5 Enthemmung, Rededrang, Euphorisierung, Selbstüberschätzung, bei schwerer Ausprägung auch selbst- oder fremdgefährdendes aggressives Verhalten, seltener Angst oder depressive Verstimmung 5 Konzentrations- und Merkfähigkeitsstörungen; häufig (partielle) Amnesie für die Zeit des Rausches, Bewusstseins- und Orientierungsstörungen; Reaktionszeitverlängerung 5 Zerebelläre Symptomatik mit Dysarthrie, Nystagmus, Diplopie, Koordinationsstörungen/Ataxie, Schwindel 5 Hypothermie, Mydriasis, erweiterte Hautgefäße (Gesichtsröte), Pulsbeschleunigung 5 Schweregradeinteilung (ohne Berücksichtigung von Toleranzentwicklung!) J 2,5‰: schwerer Rausch J Ab ca. 3–3,5‰: Lebensgefahr! 4 Zusammenhang zwischen BAK (‰) und Wirkung 5 0,2–0,3‰: Stimmungsaufhellung, Muskelentspannung 5 0,4–0,6‰: Entspannung, Wärme, verlängerte Reaktionszeit, beeinträchtigte Feinmotorik 5 0,8–0,9‰: Gleichgewichts- und Koordinationsstörungen, Sprachund Wahrnehmungsstörungen, Euphorie 5 1,0–2,0‰: grobe Störung von körperlicher und mentaler Kontrolle 5 2,0–3,0‰: schwere Intoxikation; sehr geringe Kontrolle psychischer und körperlicher Funktionen 5 4,0–5,0‰: Bewusstlosigkeit, tiefes Koma, Tod durch Atemdepression 4 ! Cave Symptome korrelieren interindividuell nicht hinreichend mit der Blutalkoholkonzentration, denn Alkoholwirkung wird auch beeinflusst durch individuelle Faktoren wie Geschlecht, Gewicht, Trinkgewohnheiten (Toleranzentwicklung), aufgenommene Nahrung. > Zur Behandlung fremd- oder selbstgefährdender Erregungszustände: Gabe von Haloperidol. Benzodiazepine sind bei Alkoholintoxikation kontraindiziert aufgrund synergistischer Effekte am GABAA-Rezeptorkomplex. Bei schwerer Ausprägung der akuten Alkoholintoxikation: internistische Notfallsituation.

4 Pathologischer Rausch (umstrittener, zu vermeidender Begriff, wird gelegentlich forensisch verwendet): Meist schwerer Rauschzustand/ Dämmerzustand 5 Ausgelöst durch bereits geringe Alkoholmengen (i. d. R. auf der Grundlage einer hirnorganischen Vorschädigung und dadurch verminderten Alkoholtoleranz) 5 Mit kompletter Amnesie für die Zeit des Rausches 5 Mit persönlichkeitsfremdem Verhalten (v. a. Aggressivität)

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4 Alkoholentzugssyndrom 5 Auftreten i. d. R. 12–24 h nach Abstinenz oder Trinkmengenreduktion, Dauer meist 3–7 Tage 5 Pathophysiologie J Sympathoadrenerge Hyperaktivität durch Enthemmung des noradrenergen Locus coeruleus J Plötzlicher Wegfall inhibierender (GABAerger) Einflüsse und infolgedessen Überwiegen exzitatorischer Einflüsse (Glutamat) (aufgrund von zerebralen Gegenregulationsmechanismen auf progabaerge und anti-NMDA-Rezeptor-Wirkungen des Alkohols) 5 Symptome J Vegetative Symptome, v. a. Schwitzen, Tremor, Bluthochdruck, Tachykardie, Tachypnoe, Mundtrockenheit, Vigilanzerhöhung, Schlafstörungen, Fieber, Gesichtsröte J Gastrointestinale Symptome wie Übelkeit, Erbrechen, Diarrhö J Artikulationsstörungen, Koordinationsstörungen/Ataxie J Konzentrations- und Gedächtnisstörungen J Affektstörungen mit Angst, Gereiztheit, Agitiertheit, Depressivität, Schlafstörungen > Akute Komplikationen: v. a. Delir und zerebrale Krampfanfälle.

5 Therapie J Ziel: Verminderung vegetativer Entzugszeichen sowie Anfallsschutz und Delirprophylaxe J Zur Verfügung stehende Substanzen: Clomethiazol (Mittel 1. Wahl), Benzodiazepine, Carbamazepin häufig in Kombination mit Tiaprid J ! Cave Behandlung mit Clomethiazol oder Benzodiazepinen bei BAK von >1‰ wegen Gefahr der Atemdepression nur unter regelmäßiger Kontrolle von Vigilanz und Vitalparameter! > Einsatz von Clomethiazol nur im stationären Setting, nicht im ambulanten Bereich, da es schon nach kurzfristiger Gabe zu schwerer Abhängigkeitsentwicklung kommen kann.

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J Clonidin (α2-Rezeptor-Agonist) als Komedikation (nicht als Monotherapie zur Entzugsbehandlung) bei Tachykardie bzw. Hypertonie im Alkoholentzug 4 Alkoholdelir (= Delirium tremens): stärkste Ausprägung des Alkoholentzugssyndroms 5 Klassische Symptomtrias zusätzlich zur Vegetativsymptomatik: J Bewusstseinstrübung und Verwirrtheit/Desorientiertheit J Halluzinationen (v. a. optische, wie bei anderen organischen Psychosen auch) J Ausgeprägter Tremor 5 Unruhe, Nesteln, vegetative Übererregtheit (z. B. Schwitzen, Tachykardie, Erbrechen, Diarrhö)

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Schlaflosigkeit, Umkehr des Schlaf-Wach-Rhythmus Kognitive Störungen, erhöhte Suggestibilität, Wahnvorstellungen Ggf. retrospektiv Amnesie für die Zeit des Alkoholentzugsdelirs Vorausgehen können Entzugskrämpfe Dauer: unbehandelt ca. 3–7 Tage Endet unbehandelt in 1/3 der Fälle letal Therapie J Clomethiazol (Mittel 1. Wahl), ggf. in Kombination mit einem Antipsychotikum (z. B. Haloperidol) bei Vorliegen entsprechender Zielsymptome (z. B. Halluzinationen oder psychomotorische Erregung) J Alternative: Kombination eines Benzodiazepins und eines Antipsychotikums J Auf Flüssigkeitszufuhr und Antikoagulation achten J Hochdosierte parenterale Vitamin-B1-Substitution wichtig

> Lebensbedrohlich, daher bei ausgeprägtem Alkoholentzugsdelir intensivmedizinische Behandlung. ! Cave Glukosehaltige Infusionen können Vitamin-B1-Verbrauch

steigern und so zur Wernicke-Enzephalopathie führen.

4 Alkoholhalluzinose (= substanzinduzierte psychotische Störung) 5 Seltene Erkrankung; vorherrschend sind angstbetonte Halluzinationen (v. a. akustische), meist mit erheblichem Bedrohungscharakter, Verfolgungswahn, auch unter fortgesetztem Alkoholkonsum auftretend 5 Therapie mit antipsychotischen Substanzen, Alkoholabstinenz (dann häufig gute Remissionstendenz) > Abgrenzung Alkoholentzugsdelir und Alkoholhalluzinose: insbesondereoptische (Delir) vs. akustische (Halluzinose) Sinnestäuschungen; fehlende bzw. deutlich geringere vegetative und neurologische Störungen, keine Bewusstseins- und Orientierungsstörungen und keine gesteigerte Suggestibilität bei Alkoholhalluzinose.

4 Alkoholischer Eifersuchtswahn 5 Sehr seltene Störung, meist bei Männern 5 Patienten sind unkorrigierbar von der Untreue ihres Partners überzeugt 5 Häufig fremdaggressives Verhalten 5 Mit Antipsychotika und psychotherapeutischen Maßnahmen schwer zu beeinflussen 5 Bei Abstinenz nur langsame Rückbildung der Symptomatik 4 Wernicke-Enzephalopathie 5 Ursache: Thiamin (Vitamin-B1)-Mangel → punktförmige Hirnblutungen sowie initiales Ödem und spätere Atrophie in Thalamus, Hypothalamus, Corpora mamillaria, periaquäduktalem Grau, Boden des IV. Ventrikels, Kleinhirnwurm

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5 Charakteristische Symptomtrias J Augenmuskellähmungen, Nystagmus J Ataxie J Bewusstseinsstörungen 5 Übergang in ein chronisches Korsakow-Syndrom möglich 5 Therapie: sofortige hochdosierte parenterale Thiaminsubstitution 5 Letalität ca. 10–20% Korsakow-Syndrom (amnestisches Syndrom) 5 Entwickelt sich häufig im Anschluss an eine Wernicke-Enzephalopathie 5 Typische Symptomtrias J Mnestische Störungen J Desorientiertheit J Konfabulationen 5 Therapie J Abstinenz (unter Nutzung psychosozialer Einrichtungen/ Dienste) J Dauerhafte Vitamin-B1-Versorgung J Kognitives Training J Wenn überhaupt, nur langsame Verbesserung, meist palliative Versorgung Alkoholdemenz 5 Störung von Gedächtnis und höheren kognitiven Leistungen, Persönlichkeitsveränderungen mit emotionaler Abstumpfung, Affektlabilität 5 Ausschlussdiagnose 5 Keine spezifische Therapie evaluiert; Abstinenz und Thiaminsubstitution Alkoholinduzierte Polyneuropathie 5 Häufige Alkoholfolgererkrankung 5 Distal beinbetonte Sensibilitätsstörungen, brennende Schmerzen, Paresen, Ataxie 5 Ursache: primärer Axonuntergang mit sekundärer Demyelinisierung 5 Therapie: Abstinenz, Thiamingabe, evtl. α-Liponsäure Weitere neurologische Alkoholfolgeerkrankungen 5 Kleinhirnatrophie (in der Bildgebung bereits ein Frühzeichen) 5 Alkoholische Myopathie (akut oder chronisch) 5 Atrophie im Bereich des Corpus callosum bzw. der vorderen Kommissur (Marchiafava-Bignami-Syndrom, häufiger bei Weintrinkern) → schwere Residualzustände bis hin zum letalen Ausgang 5 Zentrale pontine Myelinolyse (durch zu raschen Ausgleich einer Hyponatriämie) 5 Pachymeningeosis haemorrhagica interna (chronische bzw. rezidivierende subdurale Blutung) Internistische Alkoholfolgeerkrankungen, z. B. Ösophagitis, Gastritis, Pankreatitis, alkoholische Hepatitis, Leberzirrhose Alkoholembryopathie (fetales Alkoholsyndrom) infolge mütterlichen Alkoholkonsums während der Schwangerschaft

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5 Typische Gesichtsfehlbildungen (z. B. abgeflachtes Mittelgesicht, flache Nasenwurzel und Nase, Epikanthus, kurze Lidspalte, fehlendes Philtrum) 5 Minderwuchs 5 Zentralnervöse Entwicklungsstörungen bis hin zu Intelligenzminderungen 4 Komorbiditäten der Alkoholabhängigkeit: häufig andere Substanzabhängigkeiten, depressive Störungen, Angststörungen, Persönlichkeitsstörungen, v. a. dissoziale, emotional instabile aber auch abhängige und ängstliche Persönlichkeitsstörung Rückfallprophylaxe

4 Zur pharmakologischen Rückfallprophylaxe nach Entgiftung: Einsatz von Anticravingsubstanzen wie Acamprosat (NMDA-Rezeptormodulator) oder ggf. aversiv wirksames Disulfiram (greift in Abbauweg des Alkohols ein) 4 Ambulante suchtspezifische Psychotherapien, Festigung der Abstinenz durch Analyse von Rückfallsituationen, Rollenspiele zur Rückfallprophylaxe, Verhaltensanalyse und kognitive Umstrukturierung, Stärkung von Selbstvertrauen und Selbstsicherheitstrainings, soziales Kompetenztraining, Kommunikationstraining 4 Ermutigung zum Besuch von Selbsthilfegruppen (z. B. Anonyme Alkoholiker, Blaukreuzler, Guttempler) > Bei alkoholabhängigen Patienten: Keine Verordnung von Benzodiazepinen etwa zur »Beruhigung« oder zur Behandlung von Schlafstörungen → trägt häufig nur zur Chronifizierung der Suchterkrankung bei. Tabak (Nikotin)

4 Dosisabhängige Wirkung von Nikotin an nikotinergen Acetylcholinrezeptoren 5 In geringen Dosen als Agonist: cholinerg-katecholaminerge Aktivierung → anregende und antriebssteigernde Wirkung 5 In höheren Dosierungen als Antagonist: cholinerge Blockade und β-Endorphinfreisetzung → entspannende/beruhigende Wirkung 4 Auftreten von psychischer und physischer Abhängigkeit mit Toleranzentwicklung 4 Charakteristische klinische Hinweiszeichen einer Tabakabhängigkeit 5 Vergröberte, vorgealterte Haut 5 Gelbverfärbung von Fingern der dominanten Hand 5 Foetor ex ore (evtl. durch Lutschpastillen überdeckt) 5 Entzugssymptome 5 Zusammentreffen typischer Folgeerkrankungen (z. B. COPD, Angiopathien) 4 Erfassung der Stärke der Abhängigkeit mit dem Fagerström-Test für Nikotinabhängigkeit 4 Nikotinintoxikation (bei versehentlicher oraler Aufnahme oder exzessiver Inhalation)

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5 Symptome: Tachykardie, Hypertonie (in hohen Dosen auch Bradykardie und Hypotonie), periphere Vasokonstriktion, Kopfschmerzen, Schwindel, Übelkeit und Erbrechen, Diarrhö, Tremor, Schwächegefühl in den Beinen J Bei schweren Intoxikationen: tonisch-klonische Krämpfe, Schock, Koma, Atemlähmungen, Herzrhythmusstörungen, Herzstillstand 5 Letale Dosis von Nikotin: ca. 50 mg (bei Erwachsenen) 4 Nikotinentzugssyndrom 5 Kann bereits nach kurzzeitiger (stundenweiser) Abstinenz auftreten; dauert ca. 1–4 Wochen an 5 Symptome J Starkes Verlangen nach Nikotin J Konzentrationsstörungen J Krankheitsgefühl oder Schwächegefühl, Müdigkeit J Kopfschmerzen J Vermehrtes Hungergefühl und Gewichtszunahme J Unruhe, Nervosität, Ängstlichkeit, Erregtheit, Gereiztheit, depressive Verstimmung J Schlafstörungen J Obstipation, Übelkeit, Erbrechen 4 Therapie/Tabakentwöhnung 5 Rauchstopp: auf den Tag festgelegter, sofortiger Stopp (»PunktSchluss-Methode«) hat gegenüber schrittweiser Reduktion eine höhere Erfolgsquote 5 Medikamentöse Entwöhnungshilfen J Substitutionsstrategien: Nikotinersatzpräparate (Nikotinpflaster, -kaugummis, -nasensprays, Sublingualtabletten) J Bupropion: dopaminerg/noradrenerges Antidepressivum J Vareniclin: partieller Nikotinrezeptoragonist 5 Psychotherapeutische Maßnahmen (i. d. R. als Gruppentherapien): Psychoedukation, Motivationsförderung, Identifikation von Risikosituationen, Problemlösetraining, Erlernen mentaler Strategien mit denen die Aufmerksamkeit vom Rauchen wegverlagert werden kann, operante Verstärkung, Entspannungstraining, Akupunktur Sedativa und Hypnotika

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4 Benzodiazepine, Barbiturate, neuere Hypnotika (Zaleplon, Zolpidem, Zopiclon), Gammahydroxybutyrat (GHB), Butendiol: Wirkung v. a. über GABAA-Rezeptor 4 Am häufigsten Missbrauch oder Abhängigkeit von Benzodiazepinen 4 »High-dose-Abhängigkeit« vs. »Low-dose-Abhängigkeit«: 5 »High-dose-Abhängigkeit«: Benzodiazepinabhängigkeit mit Toleranz, Dosissteigerung und schweren Entzugssymptomen 5 »Low-dose-Abhängigkeit« oder auch »therapeutic-dose-Abhängigkeit«: Abhängigkeit bei therapeutischer Dosierung über einen längeren Zeitraum; auch hier kann es zu akuten Absetzeffekten kommen

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4 Besonders gefährdet sind Personen mit chronischen Schmerzen, Schlafstörungen, Angsterkrankungen, Persönlichkeitsstörungen, anderen Suchterkrankungen und Angehörige medizinischer Berufe 4 Akute Wirkungen der Benzodiazepine 5 Anxiolyse 5 Sedierung und Schlafinduktion 5 Verschlechterung von Kognition und Reaktionsfähigkeit 5 Muskelrelaxation 4 Benzodiazepinintoxikation 5 Symptome J Somnolenz bis hin zum Koma J Arterielle Hypotonie J Atemdepression bis hin zum Atemstillstand J Muskelhypotonie bis hin zu Stürzen bzw. Steh- und Geh-Unfähigkeit 5 Therapie J Akut: Sicherung der Vitalfunktionen und Giftelimination; evtl. Antidot Flumazenil (kompetetiver Benzodiazepin-Antagonist) 4 Chronische Effekte bei fortgesetztem Benzodiazepinkonsum 5 Sekundäre Angst- und Schlafstörungen 5 Körperliche Schwäche, Antriebslosigkeit, eingeschränkte Mobilität 5 Gedächtnis- und Konzentrationsstörungen 5 Affektive Indifferenz 4 Benzodiazepinentzugssyndrom (tritt häufig verzögert auf) 5 Schlaflosigkeit 5 Ängstlichkeit, dysphorische Stimmung 5 Innere Unruhe, Reizbarkeit 5 Delir 5 Krampfanfälle, Myoklonien, Tremor 5 Wahrnehmungsstörungen (Metallgeschmack, Lichtscheue, Hyperakusis, Gefühl elektrischer Schläge, Depersonalisationssymptome) 5 Konzentrationsstörungen 5 Kopf- und Muskelschmerzen 5 Vegetative Entzugssymptome wie beim Alkoholentzug sind eher seltener (dann: Hyperhidrosis, Hypertonie, Tachykardie, Übelkeit, Erbrechen, Diarrhö) > Bei jedem ätiologisch unklaren Krampfanfall oder Delir muss die Möglichkeit eines Benzodiazepin-Entzugssyndroms bedacht werden.

4 Therapie 5 Bei Benzodiazepinentzugssyndrom initial Substitution, am besten mit der gleichen Substanz, mit der der Konsum durchgeführt wurde 5 Langsame, schrittweise Dosisreduktion (schwere zerebrale Krampfanfälle und Delire bei sofortigem Absetzen!), Verlauf i. d. R. über bis zu 4–6 Wochen (die letzten mg sind die Schwierigsten!); Kumulation bzw. lange Halbwertszeit von einigen Benzodiazepinen beachten

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Kapitel 19 · Missbrauch und Abhängigkeit

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5 Unterstützende Gabe von Antikonvulsiva (z. B. Pregabalin, zur Verhinderung schwerwiegender Entzugserscheinungen und Anfallsschutz) und Antidepressiva (v. a. bei Schlafstörungen und Ängstlichkeit) 5 Motivationsförderung, Stärkung von Selbstvertrauen, Problemlösetraining, soziales Kompetenztraining, Erlernen von Entspannungsverfahren zur Reduktion innerer Unruhe und Nervosität, Teilnahme an Selbsthilfegruppen Opiate/Opioide > Besitzen ein relativ hohes Abhängigkeitspotenzial (psychisch und somatisch).

4 Wirkung der Opiate/Opioide: euphorisierend (abhängig von Anflutungsgeschwindigkeit), tranquilisierend, analgetisch, Dämpfung des Atem- und Hustenzentrums, Obstipation, periphere parasympathomimetische Eigenschaften wie Miosis 4 Opioide mit hohem Abhängigkeitspotenzial entfalten ihre euphorisierende Wirkung über Stimulation des μ-Rezeptors (z. B. Morphin, Heroin) → Stimulation des dopaminergen Belohnungssystems, Hemmung noradrenerger Neurone im Locus coeruleus 4 Heroin (Diacetylmorphin) ist das am häufigsten konsumierte Opioid (i. d. R. i.v. oder inhalativ); potenter und lipidlöslicher als Morphin (passiert schneller die Blut-Hirn-Schranke) 4 Kennzeichen der Opioidabhängigkeit: bedeutsame Toleranzentwicklung und Entzugssymptomatik bei abruptem Absetzen 4 Klinische Zeichen einer Opioidabhängigkeit 5 Reduzierter Allgemein- und Ernährungszustand junger Patienten 5 Einstichstellen, Vernarbungen, Abszesse 5 Miosis 5 Obstipation 5 Häufige und nachdrückliche Forderung von Rezepten über opiatartige Analgetika 4 Schwere Opioidintoxikation: charakteristische Trias aus Koma, Atemdepression, Miosis > Häufig Tod durch Atemdepression, besonders bei Rückfall nach Abstinenz mit Rückbildung der Toleranz.

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4 Notfallmaßnahme: Opioidantagonist Naloxon i. v. 4 Opioidentzugssyndrom 5 Sehr unangenehm, jedoch nicht lebensbedrohlich 5 Beginn bei Heroinkonsum nach ca. 8 h, bei Methadon nach ca.24 h 5 Entzugszeichen J Extremes Suchtverlangen J Dysphorische Stimmung J Rhinorrhö, Niesen, Tränenfluss J Muskelschmerzen und -krämpfe in den Extremitäten J Bauchkrämpfe, Übelkeit, Erbrechen, Diarrhö

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J Mydriasis J Gänsehaut (»cold turkey«) J Fieber J Gähnen J Hypertonie, Tachykardie J Unruhiger Schlaf 4 Therapie der Opiat-/Opioidabhängigkeit 5 Entgiftung i. d. R. vollstationär J »Kalter« Entzug: Dosisreduktion/Ausschleichen ohne medikamentöse Unterstützung (aber keine Hinweise, dass Rückfallgefährdung geringer wäre als beim »warmen« Entzug) J »Warmer« Entzug: opioidgestützter Entzug > Medikamentöser, aber nicht opioidgestützter Entzug (»lauwarmer« Entzug): Gabe von Doxepin (trizyklisches Antidepressivum) oder Clonidin (α2-Rezeptor-Agonist) zur Sedierung und Behandlung der vegetativen Symptomatik. Opioidgestützter Entzug (»warmer« Entzug): Ersetzen des illegal konsumierten Opioids durch einen lang wirksamen Opiatagonisten wie Methadon (synthetisch, μ-Rezeptor-Agonist), Levomethadon oder den partiellen Opiatagonisten Buprenorphin zur Aufhebung der Entzugssymptome und anschließendes schrittweises Ausschleichen über 2–4 Wochen.

5 Substitutionstherapie: ärztlich kontrollierte Vergabe des Substituts (als Langzeittherapie) J Substitututionspräparate sollen eine möglichst lange Halbwertszeit bei geringen euphorisierenden Effekten haben J Verfügbare Substitute (μ-Rezeptoragonisten des Endorphinsystems): Methadon-Razemat, Levomethadon, Buprenorphin, Codein/Dihydrocodein J Zur Substitution notwendige Tagesdosis ist abhängig von Opiattoleranz und individellem, genetisch vermitteltem Ansprechen auf Opiate → adäquate tägliche Dosis muss individuell ermittelt werden (Orientierung an klinischen Kriterien und in Absprache mit dem Patienten) J Ziel ist Schadensbegrenzung (»harm reduction«): verminderte Infektionsgefahr, evtl. bessere soziale Reintegration, verminderte Intoxikationssituationen, reduzierte Kriminalitätsrate; höhere Haltequote beim Therapeuten J Substitutionsbehandlung nur durch Ärzte mit der Fachkunde »Suchtmedizinische Grundversorgung« entsprechend den Weiterbildungsordnungen J Zusätzlich psychotherapeutische Behandlung und obligate psychosoziale Betreuung J Unregelmäßige Kontrolle auf Beigebrauch J Einhalten der sog. BUB-Richtlinien (Richtlinien über die Bewertung ärztlicher Untersuchungs- und Behandlungsmethoden)

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Kapitel 19 · Missbrauch und Abhängigkeit

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5 Großes Problem stellt die Frage nach sinnvollem Prozedere bei nachgewiesenem Beigebrauch dar: Konzepte im Sinne der »harm reduction« (außer Substitution) sind J Fixer-Stuben J Sicherung des Unterhalts/der Wohnungssituation J Information, Diagnostik und Therapie von Folgekrankheiten J Street-working 5 Entwöhnung und Nachsorge J Zur medikamentösen Unterstützung der Entwöhnungsbehandlung nach erfolgter Opioidentgiftung: Naltrexon (μ-Opiat-Antagonist) 5 Diagnostisch abzuklären und entsprechend zu therapieren sind auch körperliche Begleiterkrankungen wie z. B. Hepatitis B und C, HIV, Lues, Tuberkulose Cannabinoide

4 Häufig Einstiegsdroge für andere Suchterkrankungen 4 In der Regel aus Hanfpflanzen hergestellte Produkte (Haschisch: Harz der Blüten; Marijuana: getrocknete Blüten und Blätter) 4 Wichtigster Wirkstoff: Tetrahydrocannabinol (THC) mit CB1-Antagonismus 4 Dosisabhängige Wirkung: anregend bei geringeren Dosen, dämpfend bei hohen Dosen 4 Charakteristische Wirkungen: Euphorie, Entspannung, Verzerrung von Sinneseindrücken, verändertes Zeitgefühl; in höheren Dosierungen auch Halluzinationen 4 Evtl. Auftreten sog. »Horrortrips« (starke Angstzustände mit Gefühl der Bedrohung) bzw. »Flashback-Psychosen« (psychotische Episode Tage oder Wochen nach Cannabiskonsum) > Regelmäßiger Cannabiskonsum steigert das Risiko für die Entwicklung einer psychotischen Erkrankung.

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4 Klinische Hinweiszeichen auf Cannabisabhängigkeit 5 Amotivationales Syndrom: Interessenverlust, Antriebslosigkeit, sozialer Rückzug, Konzentrations- und Gedächtnisstörungen, nachlassende Leistungsfähigkeit 4 Generell geringe Toxizität 4 Cannabisentzugszeichen bei abruptem Absetzen 5 Starkes Suchtmittelverlangen 5 Affektlabilität, Reizbarkeit, Ängstlichkeit 5 Psychomotorische Unruhe, Nervosität 5 Schlafstörungen, Albträume 5 Gesteigertes Schmerzempfinden 5 Vor allem nächtliche Schweißausbrüche 5 Appetitminderung 4 Therapie der Cannabisabhängigkeit: Verhaltenstherapie, v. a. mit Psychoedukation, Förderung der Abstinenzmotivation

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Partydrogen: Kokain, andere Stimulanzien, Halluzinogene

4 Werden oft ohne eindeutige Präferenz gegenseitig austauschbar konsumiert 4 Stimulierende Wirkung 4 Kokain und Amphetamine 5 Aktivierung mesolimbischer und mesokortikaler dopaminerger Neurone durch synaptische Rückaufnahmehemmung bzw. auch MAO-Inhibition sowie Umkehr des Katecholamin-Transports 5 Wenige Minuten andauernde angenehme Gefühlslage (»rush«) mit Euphorie, Wohlbefinden, höherem Grad an Wachheit, reduziertem Ruhe- und Schlafbedürfnis (Missbrauch v. a. zur Leistungs- und Antriebssteigerung) 5 Psychotische Symptomatik 4 Halluzinogene (z. B. LSD, Meskalin, MDMA=Ecstasy): halluzinogene Wirkung v. a. über serotonerge Rezeptoren; PCP (Phencyclidin, auch »Angel Dust« genannt) als NMDA-Rezeptor-Antagonist mit schizophrenieartigen Positiv- wie auch Negativ-Symptomen 4 Kokain- und Amphetamintoxikation: biphasische Wirkung 5 Zunächst »euphorisches Stadium«: Euphorie, Aktivitätssteigerung, überhöhte Selbsteinschätzung, Hypervigilanz, subjektiv erhöhte Leistungsfähigkeit, Geselligkeit, Streitlust, Unruhe, Erregung, enthemmtes Verhalten, vermindertes Schlafbedürfnis, vegetative Übererregtheit z. B. mit Schwitzen, Mydriasis, Hypertonie und Tachykardie, Tachypnoe 5 Anschließend rasch auftretendes »dysphorisches Stadium«: depressive Verstimmung, Müdigkeit, Antriebslosigkeit → führt zu erneutem Konsum 5 Ggf. Auftreten psychotischer Symptome mit Halluzinationen und Wahnvorstellungen 5 Komplikationen der Kokainintoxikation: zentralnervöse Übererregung mit zerebralen Krampfanfällen, Fieber, Dyskinesien und Dystonien, zerebraler Minderdurchblutung durch anhaltende Vasokonstriktion 5 Komplikationen der Amphetaminintoxikation: Arrhythmien, hypertensive Krisen mit Hirnblutungen, zerebrale Krampfanfälle, Dyskinesien und Dystonien, Bewusstseinsstörungen bis hin zum Koma 4 Halluzinogenintoxikation 5 Massive Angst oder Depression; Angst, den Verstand zu verlieren 5 Beziehungs-/Wahnideen 5 Wahrnehmungsveränderungen: subjektive Verstärkung von Wahrnehmungseindrücken, Depersonalisation und Derealisation, Illusionen, Halluzinationen, Synästhesien (Verschmelzung von Sinnesempfindungen) 5 Evtl. »Horrortrip« mit panischer paranoider Angst, intensiv erlebter Depersonalisation und ausgeprägten Wahrnehmungsstörungen 5 Vegetative Symptome wie Mydriasis, Tachykardie, Schwitzen, Tremor, Palpitationen, verschwommenes Sehen, Koordinationsstörungen

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Kapitel 19 · Missbrauch und Abhängigkeit

Eigene Notizen

> Charakteristisch für Halluzinogene sind persistierende Wahrnehmungsstörungen (»flashbacks«/Echopsychosen: kurze, episodisch auftretende Nachhallzustände noch Tage nach dem letzten Halluzinogenkonsum).

4 Lebensbedrohliche Komplikationen von Ecstasy (ähneln klinisch z. T. dem malignen neuroleptischen Syndrom): treten v. a. bei jungen Erwachsenen auf, die sich z. B. durch gleichzeitiges langes Tanzen körperlich überanstrengen 5 Hohes Fieber 5 Koma 5 Disseminierte intravasale Koagulation 5 Rhabdomyolyse 5 Akutes Nierenversagen 5 Krampfanfälle 5 Herzrhythmusstörungen 5 Leberversagen 4 Therapie bei Partydrogenmissbrauch > Drogeninduzierte Psychosen und verzögert auftretende Echopsychosen verschlechtern sich eher bei Behandlung mit Antipsychotika; besser wirksam sind Benzodiazepine.

5 Beim Entzug nur gering ausgeprägte Entzugssymptome (aufgrund geringer körperlicher Abhängigkeit), vorherrschend sind psychische Symptome wie Depressivität und Antriebsmangel; langsamer, ausschleichender Entzug i. d. R. nicht notwendig 5 Entzugskomplikation bei Kokain und Amphetaminen: Suizidalität wegen Dysphorie bzw. Depressivität 5 Behandlung affektiver Entzugssyndrome i. d. R. symptomorientiert mit Antidepressiva Flüchtige Lösungsmittel (»Schnüffelstoffe«)

19

4 Inhalation von Lösungs- und Reinigungsmitteln → sehr rasche Wirkung (oft innerhalb weniger Minuten) 4 Intoxikationszeichen/klinisch bedeutsame Symptome 5 Apathie 5 Aggressivität, Streitlust 5 Beeinträchtigung von Urteilsfähigkeit und der Erfüllung sozialer Verpflichtungen 5 Nystagmus 5 Schwindel, unsicherer Gang, Koordinationsstörungen/Ataxie 5 Verwaschene Sprache 5 Tremor 5 Reflexabschwächung 5 Allgemeine Muskelschwäche 5 Psychomotorische Verlangsamung 5 Verschwommenes Sehen, Doppelbilder 5 Bei schwerer Intoxikation Stupor und Koma

209 19 · Missbrauch und Abhängigkeit

4 Keine eindeutigen Belege für ein mögliches Entzugssyndrom 4 Schädliche Folgen des Konsums 5 Lösungsmittelschnüffler-Ausschlag um Mund und Nase 5 Respiratorische Störungen (Husten, Rinorrhö) 5 Induktion von intoxikationsbedingten Delirien, psychotischen Störungen, demenziellen, affektiven und Angststörungen sowie körperlichen Erkrankungen 5 »Plötzlicher Schnüfflertod« durch Hypoxie, Elektrolytverschiebungen, Herzrhythmusstörungen > Chronischer Konsum kann zu Schädigungen des ZNS, Leber- und Niereninsuffizienz, Knochenmarksdepression und Herzrhythmusstörungen führen.

19

Eigene Notizen

20 Tag 4 – Spezielle Krankheitsbilder II

20

Psychische Faktoren bei somatischen Erkrankungen

20.1

Psychische Komorbiditäten bei körperlichen Erkrankungen – 214

20.2

Psychosomatische Aspekte bei ausgewählten organischen Erkrankungen – 214

20.2.1 20.2.2 20.2.3 20.2.4 20.2.5

Diabetes mellitus – 214 Koronare Herzkrankheit – 215 Chronisch entzündliche Darmerkrankungen Maligne Neoplasien – 216 AIDS – 217

20.3

Psychotherapeutische Maßnahmen – 217

– 216

212

Kapitel 20 · Psychische Faktoren bei somatischen Erkrankungen

Eigene Notizen

Definition Psychosomatische Medizin beschäftigt sich mit den Wechselwirkungen und Verflechtungen psychischer und körperlicher Prozesse und deren Störungen. Diese Wechselwirkungen können bidirektional sein. Eine solche wechselseitige Beeinflussung betrifft im Grunde alle psychischen und somatischen Erkrankungen in mehr oder weniger gleichem Maße.

20

4 Organische Störungen können psychische Beschwerden direkt durch zerebrale strukturelle und funktionelle Einflussnahme auslösen oder begünstigen; Beispiele: 5 Endokrinopathien, z. B. J Hyperthyreose: Schlafstörungen, Unruhe, starke Angstzustände, Affektlabilität, gelegentlich agitierte Depression, Psychosen J Hypothyreose: kognitive Defizite (potenziell reversible Demenzen), depressive Zustandsbilder, Psychosen J M. Cushing: Angst, depressive Verstimmung, kognitive Störungen J M. Addison: Müdigkeit, depressive Verstimmung J Hypo-/Hyperparathyreoidismus: depressive Verstimmung, Antriebsarmut, Müdigkeit, kognitive Defizite J Phäochromozytom: starke Angstzustände 5 Infektionskrankheiten, z. B. Lyme-Borreliose (kognitive Defizite, depressive Verstimmung, Persönlichkeitsveränderungen), NeuroLues 5 Ischämien, Blutungen, Traumata und Tumore des zentralen Nervensystems sowie viele weitere neurologische und auch internistische Erkrankungen 4 Psychische Erkrankung als Folge einer chronischen oder stigmatisierenden körperlichen Erkrankung (sog. somatopsychische Erkrankungen), z. B. bei malignen, kardialen oder dermatologischen Erkrankungen 4 Psychische Faktoren können den Verlauf klar somatischer Erkrankungen modulieren, z. B. bei entzündlichen Darmerkrankungen (Colitis ulcerosa, Morbus Crohn), Asthma bronchiale, atopischer Dermatitis; vom Konzept der psychogenen Verursachung ist man abgerückt 4 Psychische Erkrankungen können eine somatische Erkrankung verursachen oder mit somatischen Beschwerden einhergehen; Beispiele 5 Alkoholabhängigkeit: körperliche Folgeerkrankungen wie Leberzirrhose, Pankreatitis, Ösophagusvarizen, Magen-Darm-Ulzera, Polyneuropathie 5 Depression: erhöhtes Risiko für die Entwicklung einer kardiovaskulären Erkrankung und eines Diabetes mellitus Typ 2 5 Psychische Erkrankungen, die mit körperlichen Auffälligkeiten einhergehen, z. B. Essstörungen, Schlafstörungen, sexuelle Funktionsstörungen 4 Körperliche Beschwerden, Erkrankungsüberzeugungen oder Funktionseinbußen ohne hinreichendes ursächliches organisches Korrelat:

213 20 · Psychische Faktoren bei somatischen Erkrankungen

4

4

4

4

somatoforme Störungen, dissoziative und Konversionsstörungen (sog. »Ausdruckskrankheiten“) Einfluss internistischer oder chirurgischer Interventionen auf den psychischen Zustand 5 Zum Beispiel Angst bei Schrittmacher-/Defibrillator-Patienten 5 Beispiel Organtransplantation J Angst und Depression häufig bei Wartelisten-Patienten J Nach einer Transplantation oft Auftreten von deliranten Syndromen (v. a. nach Knochenmarktransplantation und Bestrahlung), depressiven oder manischen Symptomen (z. B. durch Nebenwirkungen immunsuppressiver und antibakterieller/virustatischer Begleitmedikation) und einer ständigen Angst vor Organabstoßung Bei allen psychischen und somatischen Erkrankungen sind in unterschiedlicher Ausprägung somato-psychische Wechselwirkungen zu finden (→ multifaktorielles Geschehen, bio-psycho-soziales Erklärungsmodell) Bio-psycho-soziales Erklärungsmodell 5 Multifaktorielle Genese der Erkrankungen 5 Zusammenspiel J Biologischer (z. B. genetische, endokrinologische, immunologische Faktoren, Störungen in Neurotransmittersystemen) J Psychologischer (z. B. bestimmte Persönlichkeitsmerkmale wie geringe Stresstoleranz, emotionale Labilität) und J Sozialer Faktoren (z. B. soziale Stressfaktoren wie Partnerschaftskonflikte oder Todesfälle; soziale Lernerfahrungen, soziale Integration, kultureller Hintergrund) Beispiel für die Wirkung psychosozialer Faktoren auf körperliche Vorgänge: 5 Auswirkungen von Stress auf physiologische Vorgänge: autonomes »arousal«, neuroendokrine Aktivität, immunologische Reaktionen, z. B.: Psychosoziale Belastungen/chronischer Stress → Aktivierung der Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse → vermehrte Kortisolausschüttung → Immunsuppression → vermehrte pathogene und verminderte regenerative Prozesse im Körper 5 Außerdem Auswirkungen von Stress auf das Verhalten: z. B. Schlafund Bewegungsmangel, Fehlernährung, Substanzabusus → begünstigt Krankheitsentwicklung

> Ganzheitliche Betrachtung des Menschen muss neben den somatischen auch die psychosozialen Aspekte einer Störung/Erkrankung und deren Wechselwirkungen berücksichtigen.

20

Eigene Notizen

214

Kapitel 20 · Psychische Faktoren bei somatischen Erkrankungen

Eigene Notizen

20.1

Psychische Komorbiditäten bei körperlichen Erkrankungen

4 Höhere Prävalenz psychischer Erkrankungen bei Personen mit chronischen somatischen Erkrankungen und körperlich multimorbiden Patienten als in der Allgemeinbevölkerung 5 12-Monats-Prävalenz für psychische Erkrankungen um das 1,5- bis 2-fache erhöht 5 Überwiegend affektive Erkrankungen, somatoforme Störungen, Angststörungen und substanzbezogene Störungen 4 Bedeutsame Korrelation zwischen multiplen somatischen Krankheiten und psychischen Erkrankungen v. a. im höheren Lebensalter 5 Vielfach erhöhtes Risiko für eine schwere psychische Erkrankung im höheren Lebensalter (ab dem 60. Lebensjahr) 4 Frühzeitiges Erkennen psychischer Komorbiditäten besitzt besondere Relevanz: 5 Psychische Erkrankungen gehen häufig mit ungünstigerem Gesundheitsverhalten einher und können so die Prognose drastisch verschlechtern (z. B. Depression bei koronarer Herzerkrankung) 5 Dauer unbehandelter psychischer Erkrankungen korreliert häufig negativ mit dem Behandlungsergebnis 4 Als Reaktion der hohen Prävalenz behandlungsbedürftiger psychischer Erkrankungen in ambulanter und stationärer medizinischer Versorgung Einführung des Kurses »Psychosomatische Grundversorgung« als Weiterbildungsangebot für Ärzte aller Fachgebiete 4 Aufgaben der psychiatrischen bzw. psychosomatischen Grundversorgung 5 Frühe differenzialdiagnostische Abklärung psychischer und psychosomatischer Beschwerden 5 Psychoedukation mit adäquater Aufklärungstätigkeit, supportive Gespräche, Entspannungsverfahren 5 Weitervermittlung in fachärztliche psychiatrisch-psychosomatischpsychotherapeutische Behandlung

20

20.2

Psychosomatische Aspekte bei ausgewählten organischen Erkrankungen

20.2.1

Diabetes mellitus

4 Patienten mit Diabetes mellitus haben ein etwa doppelt so hohes Risiko an einer Depression zu erkranken als Nicht-Diabetiker (Kausalzusammenhang noch nicht hinreichend geklärt) 4 Hypoglykämien können zu akuten psychischen Symptomen führen wie Angst und Erregung, sehr schwere rezidivierende Hypoglykämien können das Risiko für die Entwicklung einer Depression erhöhen 4 Assoziation von Depression und Diabetes mellitus ist bidirektional: Depression kann auch das Risiko für die Entwicklung eines Diabetes mellitus Typ 2 erhöhen

215 20.2 · Psychosomatische Aspekte bei ausgewählten organischen Erkrankungen

5 Depression → Hyperkortisolämie → ist assoziiert mit Insulinresistenz und metabolischem Syndrom 4 Depression ist prognostisch relevant, z. B. weniger häufige Blutzuckermessungen und schlechtere Blutzuckereinstellungen bei depressiven Patienten

20.2.2

Koronare Herzkrankheit

4 Psychosoziale Risikofaktoren für die Entwicklung einer koronaren Herzkrankheit (KHK) und/oder eines Herzinfarkts 5 Chronischer Stress im Beruf J Ungleichgewicht von Anforderungen und Kontrollierbarkeit J Ungleichgewicht von Aufwand und Gratifikation J Überhöhte Verausgabungsbereitschaft mit Unterschätzung der Anforderung und Überschätzung der eigenen Kompetenzen mit hohem Anerkennungsbedürfnis J Fehlen guter Beziehungen am Arbeitsplatz 5 Gesundheitsschädliche Verhaltensweisen (z. B. Rauchen, Bewegungsmangel) 5 Negative Bindungserfahrungen 5 Selbstwertproblematik 5 Soziale Isolation, mangelnde soziale Unterstützung 5 Chronische Konflikte in Partnerschaft und Familie 5 Chronisch negative Affekte (z. B. Depressivität, Feindseligkeit) J Patienten mit Depression und bipolarer Störung haben ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung einer KHK J Hohe Komorbidität von KHK und Panikstörungen; Panikattacken sind verbunden mit erhöhtem Herzinfarktrisiko J Risiko kardialer Komplikationen nach einem Herzinfarkt steigt mit der Stärke der Angst vor einem erneuten Herzinfarkt 4 Bis zu 20% der Patienten erkranken im Anschluss an einen Herzinfarkt an einer schweren Depression und haben – verglichen mit Herzinfarktpatienten ohne Depression – ein mehrfach erhöhtes kardiales Mortalitätsrisiko > Depression ist ein Risikofaktor für die Manifestation einer KHK (ca. 50% erhöhtes Risiko) sowie für eine erhöhte Mortalität bei vorhandener KHK. Umgekehrt haben KHK-Patienten auch ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung einer Depression. Depression → ← KHK

4 Zusammenhang zwischen Stress, Depression und kardiovaskulären Erkrankungen: Mögliche Folgen von chronischem Stress und Depression 5 Regulationsstörung der Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse → Hyperkortisolämie → metabolisches Syndrom → kardiovaskuläres Risiko ↑ 5 Sympathovagale Dysbalance → gestörte Endothelfunktion, Arrhythmien, Vasokonstriktion, Hypertonie → kardiovaskuläres Risiko ↑

20

Eigene Notizen

216

Kapitel 20 · Psychische Faktoren bei somatischen Erkrankungen

Eigene Notizen

5 Verändertes Gesundheitsverhalten → z. B. geringe Aktivität/Bewegungsmangel, ungesunde Ernährung → kardiovaskuläres Risiko ↑ > Für depressive Patienten mit KHK besteht immer eine antidepressive Behandlungsindikation. Dies kann die kardiovaskuläre Mortalität verringern.

20.2.3

Chronisch entzündliche Darmerkrankungen

4 Chronisch entzündliche Darmerkrankungen (CED): Morbus Crohn und Colitis ulcerosa 4 Pathogenese der Erkrankungen: entzündlicher Prozess, an dem Umwelteinflüsse (z. B. Nahrungsmittel), immunologische und genetische Faktoren beteiligt sind 4 CED gehen einher mit erhöhter Komorbidität psychischer Erkrankungen (v. a. depressive Störungen und generalisierte Angststörung → sekundäre funktionelle gastrointestinale Symptome können sich einstellen → fördern die Chronifizierung des Krankheitsverlaufs) 4 Psychosoziale stressreiche Belastungen können bei entsprechender Disposition den Krankheitsverlauf negativ beeinflussen; psychotherapeutische Maßnahmen können dagegen günstig auf den Verlauf einwirken

20.2.4

20

Maligne Neoplasien

4 Psychosozialen Faktoren und bestimmten Bewältigungsstilen wird zunehmend mehr eine wichtige Bedeutung für die Beeinflussung von Verlauf und Bewältigung einer Tumorerkrankung zugeschrieben 5 Als günstig für den Krankheitsverlauf, das emotionale Befinden und die Lebensqualität haben sich erwiesen: J Aktive Auseinandersetzung mit der Erkrankung J Sinnsuche und Spiritualität J Soziale Unterstützung, gute zwischenmenschliche Beziehungen J Vertrauen in die Ärzte 5 Als ungünstig haben sich erwiesen: J Passive Hinnahme und Resignation J Unterdrückung von Gefühlen J Sozialer Rückzug und Isolation J Hilflosigkeit und Hoffnungslosigkeit J Depression 4 Maligne Erkrankungen wirken aber auch erheblich auf die seelische Gesundheit der Patienten zurück 4 Wesentliche Belastungen, die mit der Diagnose einer malignen Erkrankung einhergehen: 5 Existenzielles Empfinden vitaler Bedrohung (deutlich ausgeprägter als bei objektiv ebenfalls bedrohlichen Erkrankungen wie z. B. Herzinsuffizienz)

217 20.3 · Psychotherapeutische Maßnahmen

4

4

4 4

5 Verletzung der körperlichen Unversehrtheit 5 Autonomieverlust 5 Verlust sozialer Aktivitäten 5 Bedrohung des Selbstwertgefühls und der sozialen Identität Ca. 30–50% der Tumorpatienten entwickeln reaktive psychische Beschwerden (v. a. in den ersten Wochen nach Diagnosestellung); behandlungsbedürftige Störungen entwickeln ca. 20–30%; am häufigsten: 5 Anpassungs- und Belastungsstörungen 5 Depressionen 5 Angststörungen Psychoedukative, psychotherapeutische (insbesondere kognitiv-verhaltenstherapeutische Verfahren) und psychosoziale Maßnahmen können emotionales Befinden und die Lebensqualität deutlich positiv beeinflussen Auch Schmerzen, Übelkeit und Erbrechen infolge einer Chemotherapie lassen sich durch kognitiv-verhaltenstherapeutische Verfahren positiv beeinflussen Schwerere Angststörungen und depressive Störungen oder psychotische Dekompensation unter Kortison und Chemotherapie machen auch eine entsprechende Psychopharmakotherapie notwendig

20.2.5

AIDS

4 HIV-Infektion geht einher mit erheblicher emotionaler Belastung und psychosozialen Problemen (z. B. Stigmatisierung, soziale Isolation, Arbeitsplatzverlust, Bedrohung der körperlichen Unversehrtheit und des Lebens) 4 Reaktiv können sich Trauerreaktionen, Anpassungsstörungen bis hin zu schweren depressiven Erkrankungen entwickeln 4 Sehr viel höhere Prävalenz schwer depressiver und anderer psychischer Beschwerden sowie von Suizidalität bei an AIDS-Erkrankten im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung 4 Entwicklung einer depressiven Störung ist verbunden mit geringerer Überlebensdauer 4 HI-Virus per se kann Gedächtnis- und Konzentrationsstörungen bis hin zu Demenzen (HIV-assoziierte Demenz) und delirante Syndrome (HIV-assoziiertes Delir) verursachen

20.3

Psychotherapeutische Maßnahmen

4 Neben störungsspezifischen psychotherapeutischen, psychopharmakologischen und somatischen Behandlungsmaßnahmen 5 Förderung von aktiver Stress-/Problembewältigung und Verbesserung der Bewältigung körperlicher Erkrankungen (z. B. durch allgemeines Stressbewältigungstraining, kognitive Umstrukturierung)

20

Eigene Notizen

218

Kapitel 20 · Psychische Faktoren bei somatischen Erkrankungen

Eigene Notizen

5 Aktivierung familiärer und sozialer Ressourcen 5 Direkte Einflussnahme auf körperliche Prozesse durch Entspannungsverfahren, Biofeedback, Imaginationsverfahren 5 Direkte Einflussnahme auf konkretes Gesundheitsverhalten durch Informationsvermittlung, Schulung, Vermittlung eines psycho-somatischen Erklärungsmodells und Förderung der aktiven Mitverantwortung > Dem Patienten nie das Gefühl vermitteln, somatische Beschwerden nicht ernst zu nehmen oder zu psychiatrisieren → führt ggf. zu erheblichem Compliance-Verlust.

20

21 Tag 5 – Spezielle Krankheitsbilder III

21

AufmerksamkeitsdefizitHyperaktivitätsstörung (ADHS)

220

21

Kapitel 21 · Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS)

Eigene Notizen

Definition Aufmerksamkeitsstörung, Überaktivität und Impulsivität.

4 Hyperkinetische Störung 4 »Zappelphilipp«-Phänomen

Ätiologie 4 Besonders relevant sind genetische und neurobiologische Faktoren (v. a. dopaminerge, geringer auch serotonerge und noradrenerge Funktionsstörung, frontolimbische Hypoaktivität), Schwangerschafts- und Geburtskomplikationen 4 Psychosoziale und familiäre Faktoren (z. B. negative Eltern-Kind-Interaktionen, unvollständige Familien, hohe Wohndichte) werden als bedeutsam für die Persistenz und den Schweregrad der Erkrankung angesehen (keine primäre ätiologische Bedeutung)

Epidemiologie 4 Eine der häufigsten psychischen Erkrankungen im Schulalter, bei ca. 5–10% der 4- bis 10-Jährigen deutlich ausgeprägte Kernsymptome der ADHS 4 Ca. 4-mal mehr Jungen betroffen 4 Beginn vor dem 6. Lebensjahr 4 Mindestens in 1/3 der Fälle Andauern der Erkrankung bis ins Erwachsenenalter, Prävalenz der ADHS im Erwachsenenalter: ca. 1%; Geschlechterverhältnis im Erwachsenenalter: Männer zu Frauen ca. 2:1

Klinik 4 Leitsymptome 5 Störung der Aufmerksamkeit und Konzentration: erhebliche Ablenkbarkeit, geringe Ausdauer 5 Hyperaktivität: ausgeprägte motorische Unruhe mit Nicht-SitzenKönnen (neigen zu Unfällen!), ständigem Reden und Lärmen und ziellosen Aktivitäten 5 Impulsivität mit niedriger Frustrationstoleranz und häufigen Stimmungsschwankungen mit Wutausbrüchen 4 Diagnosekriterien hyperkinetischer Störungen (nach ICD-10) 1. Situationsübergreifendes Vorkommen der Kardinalsymptome Aufmerksamkeitsstörung und Hyperaktivität 2. Begleitsymptome (für die Diagnose nicht notwendig, diese jedoch stützend): impulsive Missachtung sozialer Regeln, Distanzlosigkeit in sozialen Beziehungen, Unbekümmertheit in Gefahrensituationen 4 Einteilung der hyperkinetischen Störungen 5 Einfache Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätsstörung, wenn allgemeine Kriterien der hyperkinetischen Störung (Aufmerksamkeitsstörung, Hyperaktivität, Impulsivität) erfüllt sind 5 Hyperkinetische Störung des Sozialverhaltens, wenn allgemeine Kriterien der hyperkinetischen Störung erfüllt sind bei zusätzlichem Vorliegen einer Störung des Sozialverhaltens

221 21 · Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS)

4 Oft negative Auswirkungen auf die Schulleistungen mit resultierenden Konflikten in Elternhaus und Schule, niedrigem Selbstwertgefühl 4 Häufig bestehen entwicklungsneurologische Auffälligkeiten, kognitive Beeinträchtigungen und komorbid Ticstörungen, umschriebene Entwicklungsstörungen, Störungen des Sozialverhaltens sowie affektive und Angststörungen 4 Erhöhtes Risiko für eine dissoziale Entwicklung sowie für Suchterkrankungen 4 ADHS im Erwachsenenalter: Persistenz der zentralen Symptome in altersspezifischer Ausprägung: statt motorischer Unruhe eher innere Unruhe, emotionale Instabilität und Desorganisiertheit 5 Keine eigenen ICD-10-Kriterien für das Erwachsenenalter, es gelten die gleichen Kriterien wie im Kindesalter 5 Wender-Utah-Kriterien (spezifisch für Erwachsene entwickelt, zur Unterstützung der Diagnosestellung) 1. Aufmerksamkeitsstörung 2. Motorische Hyperaktivität 3. Affektlabilität 4. Desorganisiertes Verhalten 5. Mangelnde Affektkontrolle 6. Impulsivität 7. Emotionale Überreagibilität Punkte 1 und 2 sind für die Diagnose obligatorisch; zusätzlich müssen noch mindestens 2 der anderen Kriterien erfüllt sein (Problem: teilweise Überlappung der Kriterien) > Voraussetzung für die Diagnose einer ADHS im Erwachsenenalter ist das Vorliegen einer ADHS bereits im Kindesalter.

Diagnostik 4 Ausführliche Eigen- und Fremdanamnese inkl. Medikamentenanamnese zum Ausschluss medikamentöser Ursachen (z. B. Barbiturate, Antihistaminika, Sympathikomimetika, Theophyllin, Steroide, Antipsychotika und andere Psychopharmaka) und Suchtanamnese (missbräuchlicher Konsum psychotroper Substanzen?) 4 Körperliche Untersuchung (inkl. EEG und Laborstatus) zum Ausschluss organischer Ursachen (altersabhängig), v. a. 5 Schilddrüsenerkrankungen 5 Epilepsie mit Absencen 5 Chorea 5 Schädel-Hirn-Traumata 5 Vigilanzstörungen bei Schlafstörungen wie Narkolepsie, RestlessLegs-Syndrom, Schlafapnoe-Syndrom 4 Testpsychologische Verfahren, störungsspezifische Fragebögen 4 Differenzialdiagnostisch abzugrenzen sind insbesondere 5 Hirnorganische Störungen 5 Intelligenzminderungen 5 Störungen des Sozialverhaltens

21

Eigene Notizen

222

21

Kapitel 21 · Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS)

Eigene Notizen

5 Ticstörungen 5 Vor allem im Erwachsenenalter affektive Störungen, Schizophrenien (v. a. Residual- bzw. Prodromalsymptome), Persönlichkeitsstörungen (v. a. emotional-instabile, dissoziale, ängstlich-vermeidende)

Therapie 4 Kombination von Psycho- und Pharmakotherapie 4 Verhaltenstherapeutischen Maßnahmen, z. B. Psychoedukation, Achtsamkeitstraining, Verstärkerprogramme, Übungen zur Verhaltenskontrolle und Handlungsplanung, kognitive Therapien 4 Methoden zum Spannungsabbau (z. B. Entspannungsverfahren, Sport) sowie Maßnahmen zur Strukturierung des Tagesablaufs und Organisationshilfen können hilfreich sein 4 Psychopharmakotherapie 5 Psychostimulanzien (zugelassen bei Kindern ab dem 6. Lebensjahr): Methylphenidat und Amphetaminderivate (D,L-Amphetamin) 5 Selektiver Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SNRI): Atomoxetin (Medikament der 2. Wahl) 5 Antidepressiva mit noradrenerger Wirkkomponente (z. B. Reboxetin, Venlafaxin, Bupropion) als Medikamente der 3. Wahl zur Behandlung der ADHS im Erwachsenenalter

22 Tag 5 – Spezielle Krankheitsbilder III

22

Ticstörungen

224

Kapitel 22 · Ticstörungen

Eigene Notizen

22

Definition Unwillkürliche, schnell einschießende, stereotype muskuläre Aktionen oder Lautäußerungen, die keinem offensichtlichen Zweck dienen.

Ätiologie 4 Genetische Disposition 4 Störung von Hemmungs-Enthemmungs-Abläufen verschiedener Transmitter: v. a. Überaktivität des dopaminergen Systems im Bereich der Basalganglien; daneben Störungen des serotonergen und noradrenergen Neurotransmittersystems 4 Störung der Basalganglien führt zur Dysfunktion im kortiko-striato-thalamo-kortikalen Kreislauf (sensomotorisches Regulationssystem) 4 Stressabhängige Ausprägungen

Epidemiologie 4 Ticstörungen insgesamt bei ca. 7% der Bevölkerung 4 Gilles-de-la-Tourette-Syndrom bei ca. 1,5% der Bevölkerung 4 Ticstörungen sind ca. 10-mal häufiger bei Kindern/Jugendlichen als bei Erwachsenen 4 Hauptmanifestationsalter um das 7. Lebensjahr 4 Häufiger bei Jungen (ca. 4:1)

Klinik 4 Erleben der Tics als unwillkürlich; willkürliche Unterdrückung ist jedoch zeitweise möglich 4 Vermehrtes Auftreten unter emotionaler Beteiligung (z. B. bei Anspannung, Angst, Ärger, Freude, Stress, Müdigkeit), Nachlassen unter Ablenkung, Entspannung, Konzentration auf eine Tätigkeit; Nichtauftreten im Schlaf 4 Gelegentliches Wahrnehmen eines »sensomotorischen Vorgefühls« (eine Art Drang, Kribbeln oder Spannungsgefühl, das dem Tic vorausgeht und durch Ausführung des Tics vorübergehend gelöst wird) 4 Unterscheidung der Tics nach ihrer Qualität (motorisch, vokal) und ihrer Komplexität (einfach, komplex) 4 Motorische Tics 5 Einfache: z. B. Blinzeln, Gesichts-, Hals-, Schulterzuckungen 5 Komplexe: z. B. Springen, Klatschen, Berühren, Echopraxie (zwanghaftes Nachahmen und Wiederholen vorgezeigter Bewegungen), Kopropaxie (unwillkürliche obszöne Gesten) 4 Vokale Tics 5 Einfache: z. B. Räuspern, Grunzen, Bellen, Husten 5 Komplexe: z. B. Wörter, Sätze, Kurzaussagen, Echolalie (zwanghaftes Wiederholen von Worten oder Sätzen des Gesprächspartners), Palilalie (zwanghaftes Wiederholen eigener Worte oder Sätze), Koprolalie (Ausstoßen fäkaler oder obszöner Worte) 4 Zu Beginn der Erkrankung treten häufig einfache motorische Tics im Bereich des Gesichts auf

225 22 · Ticstörungen

4 Klassifikation der Ticstörungen 5 Vorübergehende Ticstörung: oft nur einfache motorische Tics; Dauer maximal 1 Jahr 5 Chronische motorische oder vokale Ticstörung: einfache und/ oder komplexe motorische oder vokale Tics; länger als 1 Jahr 5 Kombinierte vokale und multiple motorische Tics (Gilles-de-laTourette-Syndrom): einfache und/oder komplexe motorische und vokale Tics; länger als 1 Jahr 4 Verlauf: bei chronischen Ticstörungen (einschließlich Tourette-Syndrom) bis in die Pubertät häufig Zunahme an Intensität und Häufigkeit der Tics und anschließend vollständige oder teilweise Remission 4 Häufige Komorbidität mit anderen psychischen Erkrankungen des Kindes- und Jugendalters (ADHS, Zwangsstörungen, Störungen der Impulskontrolle, autoaggressives Verhalten, depressive und Angststörungen, Schlafstörungen, Autismus-Spektrum-Störungen)

Diagnostik 4 Eigen- und Fremdanamnese, Verhaltensbeobachtung 4 Allgemeinkörperliche und neurologische Untersuchung zum Ausschluss organischer Ursachen der Tics oder Tic-ähnlichen Phänomene, z. B. (altersabhängig) 5 Chorea Huntington 5 Chorea minor Sydenham 5 Verschiedene Dystonieformen 5 Ballismus 5 Myoklonus 5 Epilepsien 5 Zerebrale Erkrankungen und Schädigungen wie Insult, Enzephalitis, Schädel-Hirn-Traumata, CO-Vergiftung, Lyme-Borreliose 4 Auftreten auch im Rahmen des Konsums bestimmter Substanzen möglich (Medikamenten- und Suchtanamnese!) 5 Amphetamine 5 L-Dopa 5 Opiatmissbrauch 5 Spätdyskinesien im Rahmen einer Antipsychotikabehandlung 4 Differenzialdiagnostisch abzugrenzen sind auch stereotype Bewegungsstörungen 5 Willkürliche, wiederholte, stereotype, oft rhythmische und nicht funktionelle Bewegungen (»Jaktationen«) wie Körper- oder Kopfschaukeln, Haarezupfen, Fingerschnippen oder Händeschütteln 5 Selbstschädigendes Verhalten wie wiederholtes Kopfanschlagen, Ins-Gesicht-schlagen, In-den-Augen-bohren und Beißen 5 Häufig bei intelligenzgeminderten, vernachlässigten oder autistischen Kindern

Therapie 4 Aufklärung von Betroffenen und Bezugspersonen über das Erkrankungsbild

22

Eigene Notizen

226

Kapitel 22 · Ticstörungen

Eigene Notizen

22

4 Verhaltenstherapeutische Techniken, z. B. Entspannungsverfahren, Wahrnehmungstraining, bewusstes »Aus-tic-en«, Training motorisch inkompatibler Reaktionen, Verstärkerprogramme 4 Psychopharmakotherapie (symptomatisch) mit D2-Rezeptor-blockierenden Antipsychotika wie Tiaprid, Risperidon, Pimozid oder Haloperidol 4 Bei extrem schwerer Ausprägung der Symptomatik ggf. stereotaktische Tiefenhirnstimulation (nur im Erwachsenenalter)

23 Tag 5 – Spezielle Krankheitsbilder III

23

Emotionale und soziale Verhaltensstörungen mit Beginn in Kindheit und Jugend

23.1

Störungen des Sozialverhaltens – 228

23.2

Emotionale Störungen des Kindesalters – 229

23.3

Elektiver/selektiver Mutismus – 231

23.4

Bindungsstörungen – 231

228

Kapitel 23 · Emotionale und soziale Verhaltensstörungen mit Beginn in Kindheit und Jugend

Eigene Notizen

23.1

Störungen des Sozialverhaltens

Definition Durchgängiges Muster erheblich abweichenden, dissozialen, aggressiven oder aufsässigen Verhaltens.

23 4 Synonyme Begriffe: Dissozialität, antisoziales Verhalten in Kindheit und Jugend

Ätiologie 4 Wechselwirkungen: 5 Genetische Disposition 5 Neurobiologische Faktoren, z. B. Zusammenhang zwischen aggressivem Verhalten und hirnstrukturellen und -funktionellen Auffälligkeiten im präfrontalen Kortex und temporo-limbischen Strukturen; Assoziation von Aggression und Dysfunktion des serotonergen Systems 5 Psychosoziale Faktoren, z. B. ungünstige Familienverhältnisse und familiäre Kommunikationsmuster, Delinquenz der Eltern, aggressive elterliche Verhaltensweisen, Misshandlung, niedriger sozioökonomischer Status, negative Einflüsse der peer-group (Bezugsgruppe der Gleichaltrigen)

Epidemiologie 4 Bis zu 8% aller Kinder und Jugendlichen weisen Störungen des Sozialverhaltens auf 4 Häufiger bei Jungen und in städtischen Gebieten

Klinik 4 Aggressives Verhalten gegen Personen, Tiere oder Gegenstände 4 Verminderte Frustrationstoleranz, häufig heftige Wutausbrüche, Impulsivität, Streitlust 4 Häufig Lügen, Schuleschwänzen, Weglaufen, Tierquälerei, Übertretung von Normen und Gesetzen und Verletzung der Rechte anderer Personen (z. B. Eigentumsdelikte, Brandstiftung), Drogenkriminalität 4 Dissoziales Verhalten in verschiedenen Lebenskontexten mit dem Ziel, einen unmittelbaren Vorteil zu gewinnen 4 Unterscheidung einer Gruppe mit frühem Beginn (vor dem 10. Lebensjahr) und spätem Beginn (nach dem 10. Lebensjahr) 5 Bei frühem Beginn eher ungünstiger chronischer Verlauf hin zur dissozialen Persönlichkeitsstörung 4 Auf den familiären Rahmen beschränkte Störung des Sozialverhaltens 5 Aggressives Verhalten fast nur im häuslichen Umfeld bzw. bei Familienmitgliedern 4 Störung des Sozialverhaltens mit fehlenden sozialen Bindungen 5 Andauerndes aggressives Verhalten, das zu Störungen in den Beziehungen zu anderen Personen führt (insbesondere zur peer-group, meist auch zu Erwachsenen)

229 23.2 · Emotionale Störungen des Kindesalters

4 Störung des Sozialverhaltens bei vorhandenen sozialen Bindungen 5 Aggressives Verhalten bei guter Integration in die (ebenfalls dissoziale) peer-group 4 Störung des Sozialverhaltens mit oppositionellem, aufsässigem Verhalten 5 Ungehorsames oder trotziges Verhalten ohne schweres aggressives oder delinquentes Verhalten

Diagnostik 4 (Familien-)Anamnese und Fremdanamnese, Erhebung des sozialen Umfeldes 4 Allgemeinkörperliche und neurologische Untersuchung (inkl. EEG)

Therapie 4 Konfliktbewältigungsstrategien, Problemlösetraining, Förderung der Ich-Entwicklung, Verbesserung der Beziehungsfähigkeit, der sozialen Wahrnehmung und Kognition 4 Einüben prosozialer Verhaltensweisen, z. B. in Rollenspielen 4 Ablösung von dissozialen Gruppen 4 Familientherapie 4 Jugendhilfemaßnahmen nach dem Kinder- und Jugendhilfegesetz (KJHG) in Kooperation mit dem Jugendamt 4 In Einzelfällen (z. B. bei schwerem impulsivem, aggressivem Verhalten) können atypische Antipsychotika wie Risperidon unterstützend eingesetzt werden oder Lithium

23.2

Emotionale Störungen des Kindesalters

Definition Störungsgruppe, die insbesondere Ängste und depressive Symptome umfasst.

Ätiologie 4 Vor allem Lernerfahrungen durch Erziehungseinflüsse und Bindungserfahrungen; wahrscheinlich auch genetische Disposition

Epidemiologie 4 Gehören zu den häufigsten psychischen Erkrankungen des Kindesalters

Klinik 4 Emotionale Störung mit Trennungsangst 5 Extrem starke Furcht vor Trennung von Bezugspersonen 5 Häufig psychosomatische Beschwerden bei bevorstehenden Trennungen 5 Verweigerung des Besuches des Kindergartens oder der Schule (Schul»phobie«)

23

Eigene Notizen

230

Kapitel 23 · Emotionale und soziale Verhaltensstörungen mit Beginn in Kindheit und Jugend

Eigene Notizen

23

> Insbesondere im Alter von 6–8 Lebensmonaten sind Trennungsängste normal (sog. »Fremdeln«).

4 Phobische Störung des Kindesalters 5 Massive Ängste vor spezifischen Objekten oder Situationen mit charakteristischer Altersbindung der Symptomatik, z. B. im Vorschulalter Angst vor Dunkelheit, Gespenstern, Gewitter, manchen Tieren > Phobisch sind die Ängste nur dann, wenn sie altersunangemessen und exzessiv erlebt werden und das Befinden sowie soziale Funktionen deutlich beeinträchtigen.

5 Vegetative Begleiterscheinungen der Angst 5 Vermeidungsverhalten 4 Emotionale Störung mit Geschwisterrivalität 5 Gestörte Anpassungsreaktion an das Geschwisterkind: extreme Ablehnung, Eifersucht, Rivalität, z. T. Aggressivität gegenüber dem Geschwisterkind 5 Konkurrenz um Aufmerksamkeit und Zuwendung der Eltern 5 Trotziges, oppositionelles Verhalten gegenüber den Eltern > Ein gewisses Ausmaß emotionaler Störungen zeigt die Mehrzahl junger Kinder nach der Geburt eines unmittelbar nachfolgenden Geschwisterkindes. Die emotionale Störung mit Geschwisterrivalität ist nur zu diagnostizieren, wenn Ausmaß und Dauer der Störung übermäßig ausgeprägt sind und zu deutlichen Störungen der sozialen Interaktion führen.

Diagnostik 4 (Familien-)Anamnese, Beobachtung der familiären Interaktion 4 Bei Schulverweigerung differenzialdiagnostische Abgrenzung von Trennungsangst, Schulangst (Leistungs- und Sozialängste) und Schuleschwänzen (keine Lust auf Schule)

Therapie 4 Elternberatung/-training, psychotherapeutische Maßnahmen wie z. B. Reaktionsexposition und Angstmanagement, systematische Desensibilisierung, soziales Kompetenztraining 4 Bei massiven Ängsten sowie bei chronischen Verlaufsformen ggf. unterstützend Pharmakotherapie (selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer, ggf. in Krisensituationen kurzfristig Benzodiazepine)

231 23.4 · Bindungsstörungen

23.3

Elektiver/selektiver Mutismus

Definition Störung mit starker Beeinträchtigung der sprachlichen Kommunikation. Selektives Nichtsprechen gegenüber bestimmten Personen/Personengruppen und/oder in bestimmten Situationen.

Ätiologie 4 Begünstigende Faktoren: sprachliche Entwicklungsverzögerung, ängstliche Persönlichkeitsstruktur und auffällige, disharmonische Familienverhältnisse

Epidemiologie 4 Seltene Erkrankung, häufiger bei Mädchen 4 Meist zwischen dem 4. und 8. Lebensjahr auftretend

Klinik 4 Nichtsprechen bei erhaltenem Sprechvermögen und Abschluss der Sprachentwicklung 4 Auftreten nur in bestimmten Situationen oder gegenüber ausgewählten Personen (oft normales Sprechen zu Hause oder mit engen Freunden) 4 In sozialen Situationen oft ängstlich und zurückhaltend, zu Hause eher aufsässig und oppositionell

Diagnostik 4 Entwicklungsanamnese und test-/neuropsychologische Diagnostik

Therapie 4 Vor allem nonverbale psychotherapeutische Maßnahmen (Musik-, Bewegungs-, Kunsttherapie), verhaltenstherapeutische Anwendung des Prinzips der operanten Konditionierung für bestimmtes Sprechverhalten 4 Ggf. Herausnahme aus einer belastenden familiären Situation 4 Ggf. unterstützende pharmakologische Behandlung komorbider Störungen (häufige Komorbidität mit Ängsten und depressiven Störungen)

23.4

Bindungsstörungen

Definition Störungsbild mit abnormem Beziehungsmuster, einer Störung sozialer Funktionen und mit emotionalen Auffälligkeiten, die insbesondere in sozialen Interaktionen deutlich werden.

Ätiologie 4 Relevant sind v. a. biografische Faktoren wie verwahrlostes Milieu, Deprivation, Misshandlung oder Missbrauch in den ersten Lebensjahren

23

Eigene Notizen

232

Kapitel 23 · Emotionale und soziale Verhaltensstörungen mit Beginn in Kindheit und Jugend

Eigene Notizen

4 Unsichere Bindung als Risikofaktor für die Entwicklung einer Bindungsstörung

Epidemiologie

23

4 Unsicheres Bindungsverhalten in der frühen Kindheitsentwicklung ist relativ häufig (unsicher-vermeidend, unsicher-ambivalent), keine zuverlässigen epidemiologische Daten zu den Bindungsstörungen 4 Bindungsstörungen sind häufiger bei Jungen als bei Mädchen

Klinik 4 2 Grundformen 5 Gehemmte Form mit Rückzug, Vermeidung, Hypervigilanz 5 Ungehemmte Form v. a. mit wahllosem, distanzlos-diffusem Kontaktverhalten 4 Reaktive Bindungsstörung des Kindes (gehemmter Typ) 5 Ambivalentes Beziehungsverhalten zu Betreuungspersonen (Annäherung, Vermeidung, Widerstand, »frostige Wachsamkeit«/ beobachtende Übervorsichtigkeit) 5 Gehemmtes, ängstliches oder aggressives Verhalten gegenüber sich selbst und anderen Personen, eingeschränkte soziale Interaktionen mit Gleichaltrigen 5 Emotionale Auffälligkeiten (Mangel an emotionaler Ansprechbarkeit, apathisch, unglücklich, furchtsam) 5 In einigen Fällen Wachstumsverzögerung 5 Beginn vor dem 5. Lebensjahr 4 Bindungsstörung des Kindes mit Enthemmung 5 Wahllose, unkritische Anklammerungstendenzen und Distanzlosigkeit gegenüber Erwachsenen, aufmerksamkeitssuchendes Verhalten 5 Beziehungsstörung zu Gleichaltrigen: oberflächliche Kontakte, Schwierigkeiten beim Aufbau enger, länger dauernder Beziehungen 5 Oft rasche Stimmungswechsel und Regelverletzungen (Diebstähle, Lügen), aggressive Verhaltensweisen gegen sich selbst und andere 5 Beginn vor dem 5. Lebensjahr 5 Tendenz, trotz Änderungen der Milieubedingungen zu persistieren

Diagnostik 4 Entwicklungsanamnese, Verhaltensbeobachtung (Beobachtung des Bindungsverhaltens, z. B. Video mit Trennung und Wiederannäherung von Kind und Bezugsperson, Spielbeobachtung) 4 Somatische Abklärung mit entwicklungsneurologischer Untersuchung, v. a. bei Minderwuchs

Therapie 4 Milieutherapeutische Maßnahmen (ggf. Einschaltung des Jugendamtes und Herausnahme aus dem Milieu) 4 Spieltherapeutische Maßnahmen mit dem Ziel einer Verbesserung der Beziehungsfähigkeit des Kindes 4 Familientherapie, -beratung 4 Ggf. unterstützende pharmakologische Behandlung komorbider Störungen (Ängste, depressive Störungen)

24 Tag 5 – Spezielle Krankheitsbilder III

24

Entwicklungsstörungen

24.1

Umschriebene Entwicklungsstörungen – 234

24.2

Tiefgreifende Entwicklungsstörungen, Autismus – 236

24.3

Enuresis und Enkopresis – 239

234

Kapitel 24 · Entwicklungsstörungen

Eigene Notizen

24.1

Umschriebene Entwicklungsstörungen

Definition Teilleistungsstörungen: Fähigkeiten liegen in einzelnen Leistungsbereichen unterhalb des Niveaus der sonstigen intellektuellen Kapazität.

24

4 Umschriebene Entwicklungsstörungen 5 des Sprechens und der Sprache: Sprachstörung (Störung von Sprachverständnis und/oder sprachlichem Ausdruck), Sprechstörung (Störungen des Sprechablaufs/-flusses) 5 der schulischen Fertigkeiten: Lese- und Rechtschreibstörung (Legasthenie), Rechenstörung (Dyskalkulie) 5 der motorischen Funktionen

Ätiologie 4 Vor allem genetische und hirnorganische Faktoren (Störungen zentralnervöser Reifungsprozesse) 4 Begünstigung durch psychosoziale Faktoren, v. a. fehlende Förderung

Epidemiologie 4 Ca. 7% der Kinder zeigen Teilleistungsschwächen im verbalen, ca. 5% im nonverbalen Bereich 4 Insgesamt sind Jungen häufiger betroffen

Klinik 4 Beginn der Störung im Kleinkindalter/in der Kindheit 4 Stetiger Verlauf der Erkrankung (keine Remissionen/Rezidive) 4 Sprachstörungen 5 Artikulationsstörung (Stammeln, Dyslalie): Fehlen, Ersetzen oder Entstellen einzelner Laute oder Lautverbindungen 5 Expressive Störung: Fähigkeit des Kindes, die expressiv gesprochene Sprache zu gebrauchen (aktiver Wortschatz, Grammatik, Fähigkeit, Inhalte sprachlich auszudrücken) liegt deutlich unterhalb des seinem Intelligenzalter angemessenen Niveaus; Sprachverständnis liegt i. d. R. im Normbereich 5 Rezeptive Störung: Sprachverständnis des Kindes liegt deutlich unterhalb des seinem Intelligenzalter angemessenen Niveaus 4 Sprechstörungen: Störungen des Sprechablaufs/des Redeflusses 5 Stottern (Hemmung oder Unterbrechung des Sprechflusses) oder Poltern (hohe fehlerhafte Sprechgeschwindigkeit, unrhythmisch und ruckartig) > Leichtes Stammeln, Stottern und Poltern sind im Vorschulalter physiologisch.

4 Lese-Rechtschreibstörung (Legasthenie) 5 Lesestörung: z. B. Schwierigkeiten, das Alphabet aufzusagen, Buchstaben zu benennen, Laute zu unterscheiden; Auslassen, Ersetzen, Verdrehen oder Hinzufügen von Worten oder Wortteilen, sehr lang-

235 24.1 · Umschriebene Entwicklungsstörungen

sames Lesetempo; Inkonstanz der Lesefertigkeit; oft Defizite im Leseverständnis 5 Rechtschreibstörung: z. B. Auslassen, Verdrehen oder Hinzufügen von Buchstaben, Regelfehler (z. B. Fehler in der Groß- und Kleinschreibung), »lautliches« Schreiben, Wortverstümmelungen; Fehlerinkonstanz 4 Rechenstörung (Dyskalkulie): Schwächen in den Grundrechenarten, Nicht-verstehen von Rechenoperationen, Defizite im sprachlichen Umgang mit Zahlen und beim Erwerb des arabischen Stellenwertsystems, Schwierigkeiten beim Einordnen von Einer-, Zehner- und Hunderterpotenzen > Andauernde Misserfolgserlebnisse in der Schule wirken sich ungünstig auf die Lernmotivation und Leistungsentwicklung aus und können die Entwicklung sekundärer psychischer Erkrankungen fördern.

4 Umschriebene Störungen motorischer Funktionen; Kinder wirken ungeschickt und haben Schwierigkeiten z. B. beim Ankleiden, Schuhebinden, Malen und Basteln, Schwimmen, Radfahren (geraten dadurch häufig bei Freizeitaktivitäten in eine Außenseiterposition)

Diagnostik 4 Intelligenz- und Entwicklungsdiagnostik (z. B. Hamburg-Wechsler-Intelligenztest für Kinder), Lese- und Rechtschreibtests, Rechentests oder Prüfung motorischer Fertigkeiten 4 Ausschluss neurologischer und sensorischer Störungen: Körperliche Untersuchung inkl. EEG, Hör- und Sehprüfung, Sprachdiagnostik

Therapie 4 4 4 4

Elternberatung Individuell angepasste Förder- und Therapiemaßnahmen Sprach-/Sprechstörungen: Logopädische Behandlung Störung schulischer Fertigkeiten: spezifisches Training des Lesens, der Rechtschreibung oder des Rechnens; Piracetam (ein Nootropikum) wirkt unspezifisch bei schwerer Legasthenie 4 Motorische Störungen: Ergotherapie, Mototherapie und Krankengymnastik 4 Bei sekundärer Ausbildung emotionaler Störungen (z. B. Ängste, Depressionen, Schulverweigerung) ggf. zusätzliche psychotherapeutische Maßnahmen

24

Eigene Notizen

236

Kapitel 24 · Entwicklungsstörungen

Eigene Notizen

24.2

Tiefgreifende Entwicklungsstörungen, Autismus

Definition Erhebliche Beeinträchtigungen mehrerer Entwicklungsbereiche (Kommunikation, soziale Interaktion, Interessen, Aktivität).

24

Ätiologie 4 Genetische Einflüsse, Hirnfunktionsstörungen und biochemische Auffälligkeiten (z. B. Störungen im Serotonin- und Dopaminstoffwechsel sowie anderer Transmitter), Störungen der kognitiven und emotionalen Informationsverarbeitung > Für tiefgreifende Entwicklungsstörungen ist »falsche Erziehung« sicher nicht ursächlich.

Klinik 4 Frühkindlicher Autismus/Kanner-Syndrom: vor dem 3. Lebensjahr beginnende, tiefgreifende Störung von Sprache, Empathie, Kontakt, Interessen, Entwicklungsfähigkeit 5 Qualitative Beeinträchtigungen wechselseitiger sozialer Aktionen (z. B. unangemessene Einschätzung und geringer Gebrauch sozialer und emotionaler Signale, Vermeidung von Blickkontakt) 5 Qualitative Beeinträchtigung der Kommunikation; keine oder verzögerte Sprachentwicklung; wenn Sprache vorhanden: stereotype Wort- und Satzfolgen, Neologismen, Echolalie, pronominale Umkehr (Vertauschung von »Du« und »Ich«), Störung der Intonation und des Sprachrhythmus 5 Affektiv indifferent und wenig schwingungsfähig 5 Beschränkte Interessen und stereotype Verhaltensmuster (stereotyper Spielzeuggebrauch, oft intensive Bindung an bestimmte Gegenstände, repetitives und oft ritualisiertes Verhalten mit panischer Veränderungsangst) > Stereotypien wie Augenbohren, Schlagen mit den Händen auf die Ohren können als Selbststimulation von Sinnesbereichen interpretiert werden.

5 Starke Selbstbezogenheit 5 Häufig Intelligenzminderung (in ca. 80% der Fälle) und neurologische Auffälligkeiten (z. B. zerebrale Krampfanfälle) sowie weitere neuropsychologische und psychopathologische Symptome (Schlafund Essstörungen, aggressives Verhalten, Selbstverletzungen, Hyperaktivität) 5 Kernsymptomatik (basale Kommunikationsstörung, häufig Stereotypien und Selbststimulation, eingeschränkte Interessen und beeinträchtigte Fähigkeit zur Kontaktaufnahme) bleibt auch im Erwachsenenalter erhalten

237 24.2 · Tiefgreifende Entwicklungsstörungen, Autismus

4 Asperger-Syndrom 5 Qualitative Beeinträchtigungen der sozialen Interaktion 5 Vorliegen von Spezialinteressen und -kenntnissen (z. B. Auswendiglernen von Telefonbüchern) 5 Stereotype Aktivitäten 5 Motorische Ungeschicklichkeit 5 Fehlen einer allgemeinen Entwicklungsverzögerung 5 Trotz guter Intelligenz häufig Probleme in der Schule durch Aufmerksamkeitsstörungen (sind permanent mit sich selbst beschäftigt) 5 Günstigere Sozialprognose als beim Kanner-Syndrom 5 Im Erwachsenenalter oft Abschwächung der Symptomatik 5 Im Langzeitverlauf sind gelegentlich Schizophrenien beobachtet worden (konnte nicht für den frühkindlichen Autismus festgestellt werden) > Asperger-Syndrom: Diskrepanz zwischen häufig guten intellektuellen Fähigkeiten und massiven Beeinträchtigungen im sozialen Bereich. Unterschiede zwischen Kanner- und Asperger-Syndrom Kanner-Syndrom

Asperger-Syndrom

Epidemiologie

Jungen : Mädchen = 3–4:1 Prävalenz: bis ca. 0,2%

Auftreten fast nur bei Jungen (8–9:1) Prävalenz: ca. 0,03%

Manifestation

Vor dem 3. Lebensjahr

In der Regel nach dem 3. Lebensjahr

Intelligenz

Häufig unterdurchschnittlich

Durchschnittlich/überdurchschnittlich

Sprachentwicklung

Gestört

Normal, z. T. aber eigentümliche, skurrile Sprache (häufig geschraubt, affektiert)

Motorik

Motorische Entwicklung oft nicht verzögert, aber auffällig (stereotype und monotone Motorik)

Eingeschränkt (auffällige motorische Ungeschicklichkeit)

Kontaktstörung

Mitmenschen sind wie »nicht existent«

Mitmenschen wirken störend

4 Rett-Syndrom: vermutlich X-chromosomal gebundene neurodegenerative Erkrankung mit autistischen Zügen; es kommt zur »Rückentwicklung« oder zum Verlust bereits erworbener Fähigkeiten, klassischen Bewegungsstereotypien und neurologischen Symptomen 5 Beginn der Erkrankung häufig zwischen 7. und 24. Lebensmonat 5 Fast nur bei Mädchen vorkommend 5 Stereotype »waschende« Handbewegungen 5 Sprachverarmung 5 Verlust feinmotorischer Fertigkeiten

24

Eigene Notizen

238

Kapitel 24 · Entwicklungsstörungen

Eigene Notizen

5 5 5 5

Verlangsamtes Kopfwachstum, Mikrozephalie, Minderwuchs Fortschreitend intellektueller Abbau Ataktisch-spastische Störungen Progrediente, letale Erkrankung

Diagnostik

24

4 Diagnosestellung vorwiegend durch klinische Beobachtung, Entwicklungs- und Intelligenzdiagnostik, störungsspezifische Untersuchungsinstrumente, allgemeinkörperliche und neurologische Untersuchung inkl. EEG zum Ausschluss von Epilepsie (Vorkommen bei bis zu 30% der Betroffenen mit frühkindlichem Autismus) > Frühsymptome autistischer Störungen 4 Fehlender Blickkontakt 4 Kein Lächeln im Sozialkontakt (normalerweise: »soziales Lächeln« – noch unselektiv auf menschliche Stimmen und Gesichter – ab ca. 2. Monat; selektives soziales Lächeln zu vertrauten Personen ab ca. 7. Monat) 4 Kein angemessener Gesichtsausdruck 4 Bizzare Haltungen 4 In Zweierbeziehung keine geteilte gemeinsame Aufmerksamkeit wie Dinge zeigen oder der zeigenden Geste einer anderen Person folgen

4 Differenzialdiagnostisch abzugrenzen 5 Frühkindliche Schizophrenien 5 Intelligenzminderungen 5 Seh- oder Hörstörungen 5 Mutismus (im Gegensatz zu autistischen Störungen ist die nonverbale Kommunikation i. d. R. unauffällig) 5 Deprivationssyndrom (Hospitalismus): Vorkommen von Kontaktstörungen, jedoch äußern sich diese eher in depressiver Symptomatik, manchmal in distanzlosem Verhalten

Therapie 4 Spezielle pädagogische Betreuung, familiäre Unterstützung und Beratung, verhaltenstherapeutische Maßnahmen (Training sozialer und kommunikativer Fertigkeiten, Abbau unerwünschter und Aufbau erwünschter Verhaltensweisen nach lerntheoretischen Gesichtspunkten) 4 Spezifische medikamentöse Therapie existiert nicht, aber einige Symptome können medikamentös beeinflusst werden 5 Antikonvulsiva bei epileptischen Anfällen 5 Selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer bei Stereotypien und ritualisierten Verhaltensmustern 5 Atypische Antipsychotika (z. B. Risperidon) bei Erregungszuständen, motorischer Unruhe, Angst, Impulsivität oder selbstverletzendem Verhalten, Stereotypien 5 Psychostimulanzien bei hyperaktivem, impulsivem, aufmerksamkeitsgestörtem Verhalten

239 24.3 · Enuresis und Enkopresis

24.3

Enuresis und Enkopresis

Definition Störungen der Ausscheidung. Enuresis: Bettnässen; Enkopresis: Einkoten.

Ätiologie 4 Genetische und psychosoziale Faktoren haben bei den unterschiedlichen Formen der Ausscheidungsstörungen eine unterschiedliche Gewichtung 4 Nächtliches Einnässen (Enuresis nocturna) 5 Genetische Disposition ätiologisch am bedeutsamsten (meist autosomal-dominanter Erbgang) 5 Bei sekundärer Enuresis nocturna wirken belastende Lebensereignisse wie Trennung der Eltern oder Geburt eines Geschwisterkindes als Auslöser 4 Einnässen am Tage (Enuresis diurna) 5 Einige Unterformen (Drang- und Lachinkontinenz) sind v. a. genetisch bedingt, bei den anderen sind Umweltfaktoren vorherrschend sowie morphologisch-funktionelle Auffälligkeiten (z. B. geringe Blasenkapazität) 4 Enkopresis 5 Geringe genetische Komponente disponiert zur Stuhlretention (bei Enkopresis mit Obstipation) 5 Somatische Faktoren (z. B. schmerzhafte Defäkation) als Auslöser oder psychosoziale Faktoren (belastende Lebensereignisse, gestörte familiäre Interaktionsmuster, zu strenge oder nachlässige Reinlichkeitserziehung, psychosoziale Retardierung)

Epidemiologie 4 Häufige Störung im Kindesalter mit hoher spontaner Remissionsrate 4 Enuresis ist häufiger als Enkopresis, aber hohe Komorbidität von Enuresis und Enkopresis 4 Jungen sind insgesamt öfter betroffen (nur bei Enuresis diurna mehr Mädchen betroffen)

Klinik 4 Nichtorganische Enuresis: unwillkürlicher Harnabgang ohne organische Ursache, ab dem 5. Lebensjahr diagnostizierbar 5 Primär (persistierend): Andauern der infantilen Inkontinenz 5 Sekundär (»Rückfall«): Erneutes Einnässen nach bereits mindestens 6 Monate bestehender Blasenkontrolle 5 Enuresis diurna: Einnässen am Tag; häufigste Form des Einnässens am Tage: ideopathische Dranginkontinenz (= Detrusor-Instabilität, häufige Miktion, Drangsymptome) 5 Enuresis nocturna: nächtliches Einnässen (insgesamt am häufigsten) 4 Nichtorganische Enkopresis: unwillkürliches oder willkürliches wiederholtes Absetzen von Stuhl in Kleidung oder an dafür nicht vorgese-

24

Eigene Notizen

240

Kapitel 24 · Entwicklungsstörungen

Eigene Notizen

24

henen Stellen; ab dem 4. Lebensjahr diagnostizierbar; Einkotfrequenz mindestens 1-mal pro Monat über mindestens 6 Monate; keine organische Ursache 5 Primär (persistierend): Betroffene waren über das 4. Lebensjahr hinaus noch nie sauber 5 Sekundär: nach erfolgter Sauberkeitserziehung erneutes Einkoten 5 Weitere Subtypen: Enkopresis mit/ohne Obstipation, Toilettenverweigerungssyndrom, Toilettenphobie 5 Bei eher willkürlichem Stuhlabsetzen: häufig aggressiv-oppositionelles Verhalten des Kindes, manchmal mit Kotschmieren 5 Häufig auch Schamgefühle der Kinder mit Verstecken der beschmutzten Kleidung

Diagnostik 4 Anamnese 4 Körperliche Untersuchung zur organischen Abklärung der Enuresis einschließlich 24-h-Miktionsprotokoll, Urinstatus, Sonographie, ggf. Uroflowmetrie mit Beckenboden-EMG 4 Organische Abklärung der Enkopresis: Defäkationsprotokoll, allgemeinkörperliche und neurologische Untersuchung mit Sonographie, ggf. MRT des Beckenbodens, ggf. Sphinktermanometrie

Therapie 4 Bei Enuresis 5 Beratung und Aufklärung der Familie, Motivationsaufbau 5 Bei nächtlichem Einnässen v. a. apparative Verhaltenstherapie (Klingelgeräte → Lernprozess der klassischen Konditionierung) und Verstärkerprogramme 5 Bei ideopathischer Dranginkontinenz v. a. kognitiv-verhaltenstherapeutische Maßnahmen mit dem Ziel der zentralen Kontrolle der Drangsymptome ohne motorische Haltemanöver 5 Ggf. pharmakologischer Einsatz von trizyklischen Antidepressiva (Imipramin), Desmopressin (synthetische Form des antidiuretischen Hormons Vasopressin) oder – bei ideopathischer Dranginkontinenz – ein Anticholinergikum wie Oxybutynin (wirkt spasmolytisch, anticholinerg und lokal-analgetisch) 4 Bei Enkopresis 5 Elternberatung und Elterntraining, Beruhigung, Motivationsaufbau 5 Bei Enkopresis mit Obstipation: zunächst Darmentleerung (mittels Einläufen, Purgativa oder Laxanzien), ballaststoffreiche Diät 5 ! Cave Bei Enkopresis ohne Obstipation sind abführende Maßnahmen nicht indiziert, können hier sogar zu einer Symptomverschlechterung führen! 5 Regelmäßige Toilettengänge → strukturiertes Toilettentraining mit Verstärkerprogrammen, Beckenbodengymnastik, Perzeptionstraining (evtl. Biofeedback)

25 Tag 5 – Spezielle Krankheitsbilder III

25

Intelligenzminderung

242

Kapitel 25 · Intelligenzminderung

Eigene Notizen

Definition Stagnierte oder unvollständige Entwicklung geistiger Fähigkeiten (z. B. Kognition, Sprache, motorische und soziale Fähigkeiten).

Ätiologie

25

4 In ca. 50% der Fälle kann die Ursache nicht klar beschrieben werden, häufig auch multifaktorielle Genese 4 Pränatal 5 Noxen: Mütterlicher Alkoholkonsum → Alkoholembryopathie; Drogenkonsum, Strahlenbelastung der Mutter 5 Schwangerschaftsinfektion: z. B. Röteln, Toxoplasmose, Lues, Zytomegalie 5 Chromosomale Aberrationen: z. B. Trisomie 21, fragiles X-Syndrom 5 Angeborene Stoffwechselstörungen (z. B. Phenylketonurie) 4 Perinatal 5 Komplikationen unter der Geburt (z. B. Hypoxie) 5 Unreife des Neugeborenen 4 Postnatal 5 Zerebrale Infektionen (z. B. Meningitis) 5 Hirntraumen 5 Zu wenig stimulierende Umgebung

Epidemiologie 4 Prävalenz: mittelschwere bis schwere Intelligenzminderung (IQ In der Regel hat der IQ einen Mittelwert von 100 und eine Standardabweichung von 15 (d. h. die mittleren 68% der Bevölkerung weisen IQ-Werte zwischen 85 und 115 auf). 4 Lernbehinderung: IQ zwischen 70 und 84 4 Intelligenzminderung allgemein IQ Alzheimer-Krankheit ist eine Ausschlussdiagnose (sicherer Nachweis nur post mortem möglich) und bedarf daher umfangreicher Diagnostik, um reversible Demenzformen zu erkennen.

4 Begleitende nicht-kognitive Störungen 5 In frühem Stadium häufig depressive Verstimmung, Antriebsminderung, sozialer Rückzug 5 Im weiteren Verlauf auch J Angst J Apathie oder Erregung, motorische Unruhe, Aggressivität J Schlafstörungen (z. B. Umkehr des Schlaf-Wach-Rhythmus) J Wahnsymptome, Halluzinationen (v. a. optische) J Neuropsychologische Symptome (Apraxie, semantische Aphasie mit deutlichen Wortfindungsstörungen, Alexie, Agraphie, Akalkulie, Störungen der Visuomotorik)

249 26 · Demenzen

5 In sehr fortgeschrittenem Stadium J Neurologische Symptome wie Primitivreflexe, gesteigerte Muskeleigenreflexe, zerebrale Krampfanfälle, Harn- und Stuhlinkontinenz J Motorische Auffälligkeiten wie Gangstörung, erhöhter Muskeltonus, Myoklonus, extrapyramidalmotorische Störungen 4 Einteilung nach dem Erkrankungsbeginn 5 Alzheimer-Krankheit mit frühem Beginn (vor dem 65. Lebensjahr; »präsenile Demenz«): i. d. R. rasches Fortschreiten und vielfältige Störungen höherer kortikaler Funktionen; relativ frühes Auftreten neuropsychologischer Symptome 5 Alzheimer-Krankheit mit spätem Beginn (nach dem 65. Lebensjahr; »senile Demenz«): häufig langsames Fortschreiten, Gedächtnisstörungen als Hauptsymptom 4 Überlebenszeit nach Diagnosestellung im Mittel 8 Jahre, Tod meist aufgrund infektbedingter Komplikationen der Bettlägerigkeit (v. a. Pneumonien) Weitere Demenzformen

4 Vaskuläre Demenzen 5 Plötzlicher oder auch langsam-progredienter Beginn 5 Stufenförmige Verschlechterung, Symptomatik eher fluktuierend 5 Häufig neurologische Herdzeichen (z. B. Hemiparesen, Sensibilitätsverluste, Koordinationsstörungen, Gesichtsfeldausfälle) 5 Vaskuläre Risikofaktoren 5 Nachweis einer zerebralen Infarzierung und zeitlicher Zusammenhang mit dem Auftreten des demenziellen Syndroms 5 Gelegentlich zerebrale Krampfanfälle in der Anamnese 5 Grobe Unterscheidung einer Multiinfarkt-Demenz (Zustand nach mehreren Infarkten, kortikal) und einer subkortikal arteriosklerotischen Demenz (eher progredienter Verlauf, subkortikal, entmarkend) 4 Gemischte Demenz: Vorliegen von Befunden, die sowohl für eine Alzheimer- als auch für eine vaskuläre Demenz sprechen (z. B. Patienten mit Alzheimer-Krankheit und intrakranieller Blutung aufgrund Amyloidangiopathie oder mit begleitenden ischämischen Infarkten) 4 Lewy-Körper-Demenz (schwierige Differenzialdiagnostik zur Parkinson-Demenz; nosologische Trennung zwischen Lewy-Körper-Demenz und Parkinson-Demenz umstritten) 5 Manifestiert sich vorwiegend ab dem 60. Lebensjahr, häufiger Männer betroffen 5 Leichtes Parkinson-Syndrom ( ! Cave Antipsychotikaüberempfindlichkeit, leichtes Ansprechen für extrapyramidalmotorische Nebenwirkungen!) 5 Halluzinationen (v. a. optische); z. T. mit deutlichem Bedrohungserleben, bereits früh beginnend 5 Störungen des REM-Schlafs 5 Fluktuierende kognitive Defizite bzw. transiente Verwirrtheitszustände

26

Eigene Notizen

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Kapitel 26 · Demenzen

Eigene Notizen

26

5 Häufig unerklärte Stürze und Synkopen 5 Histopathologisch: intraneuronale (und teilweise auch extrazelluläre) eosinophile Einschlusskörper (»Lewy-Körperchen«) sowie Ubiquitin- und α-Synuklein-positive Neuriten (»Lewy-Neuriten«), v. a. in Hirnstamm, Zwischenhirn, Basalganglien und Kortex 4 Frontotemporale Demenzen (z. B. M. Pick) 5 Schleichender Beginn, meist vor dem 65. Lebensjahr, Männer und Frauen gleichermaßen betroffen 5 Langsame Progredienz 5 Dominierend sind (v. a. zu Beginn) Wesensveränderungen und Verhaltensauffälligkeiten, z. B. Distanzlosigkeit, Enthemmung (verbal und sexuell), sozial unangepasstes Verhalten, Aspontanität/Inflexibilität, Hyperoralität, sowie Antriebsstörungen (Apathie oder Agitation) 5 Häufig auch Sprachstörungen (Sprachstereotypien, Aphasie) und Störungen exekutiver Funktionen (kognitive Störungen stehen aber – zumindest zu Beginn – nicht im Vordergrund) 5 Regionale Defizite der serotonergen und dopaminergen Neurotransmission; cholinerge Transmission scheint relativ unbeeinträchtigt 4 Weitere Demenzen im Rahmen anderer neurologischer Krankheiten, z. B. Demenz bei 5 Chorea Huntington: Zusammentreffen von J Choreiformen Bewegungsstörungen J Demenz J Positiver Familienanamnese 5 Creutzfeld-Jakob-Krankheit: Prionen-Erkrankung; Trias aus J Schnell fortschreitender Demenz J Pyramidaler und extrapyramidaler Symptomatik mit Myoklonien J Charakteristischem EEG mit triphasischen Wellen 5 M. Parkinson J Demenz entwickelt sich im späten Verlauf einer ParkinsonKrankheit bei ca. 30% aller Parkinson-Patienten

Diagnostik > Nachweis oder Ausschluss potenziell reversibler Ursachen kognitiver Störungen.

4 Ausführliche Eigen- und Fremdanamnese 5 Medikamenten- und Suchtanamnese (z. B. Einnahme anticholinerger Arzneimittel?) 5 Schädel-Hirn-Traumata, Infektionen (z. B. Enzephalitis?), vaskuläre Risikofaktoren in der Vorgeschichte, neurologische oder endokrinologische Vorerkrankungen? 4 Allgemeinkörperliche Untersuchung einschließlich EKG (Hinweise auf kardio- oder zerebrovaskuläre Ereignisse?) sowie neurologische Untersuchung inklusive EEG

251 26 · Demenzen

4 Laborchemische Untersuchung (z. B. HIV-Test bei Verdacht auf HIVassoziierte Demenz, Bestimmung von Kupfer und Coeruloplasmin bei Verdacht auf M. Wilson, Vaskulitis-Parameter) 4 Ggf. Liquordiagnostik (Alzheimer-Krankheit: Tau-Protein und Phospho-Tau-Werte im Liquor erhöht, ß-Amyloidpeptide (Aß1-42) erniedrigt; Demenz bei Creutzfeld-Jakob-Erkrankung: Nachweis des 14-3-3Proteins) 4 Ggf. molekulargenetische Diagnostik (Diagnosesicherung z. B. bei Verdacht auf Chorea Huntington; ggf. Apo-E-Genotypisierung bei Verdacht auf Alzheimer-Demenz) 4 Bildgebung 5 cCT, besser cMRT (raumfordernde oder vaskuläre Prozesse, Normaldruckhydrozephalus, Atrophien?) 5 FDG-PET (Goldstandard zur in-vivo-Positivdiagnostik der Alzheimer-Demenz: fokal betonter Hypometabolismus im parietotemporalen und frontalen Assoziationskortex), ggf. fakultativ SPECT (z. B. parietotemporale Hypoperfusion bei Alzheimer-Demenz) 4 Testpsychologische Zusatzdiagnostik 5 Häufig eingesetzte Kurztests: Mini-Mental-Status-Test (MMST), Uhrentest; beide im Frühstadium einer Demenz wenig sensitiv 5 Sensitivere Screeninginstrumente: Demenz-Detektionstest (DemTect), Test für die Diagnostik der Demenzen mit Depressionsabgrenzung (TFDD) 4 Einschätzung der Alltagskompetenz 4 Wichtige psychiatrische Differenzialdiagnosen der Demenz 5 Depressive Pseudodemenz im Rahmen einer depressiven Störung (v. a. im Frühstadium der Alzheimer-Krankheit schwierig differenzialdiagnostisch abzugrenzen); bei depressiver Pseudodemenz (im Gegensatz zur »echten« Demenz) J Erhebliches Klagen über kognitive Beeinträchtigungen (»typischer« Alzheimer-Patient dissimuliert eher) J Alltagsleistungen sind besser als Leistungen in testpsychologischen Verfahren J Besserung der kognitiven Beschwerden bei antidepressiver Behandlung 5 Leichte kognitive Störung (7 Kap. 27) 5 Schizophrene Psychosen oder isolierte Wahnerkrankungen

Therapie 4 Kausale Therapie bei identifizierbarer, behandelbarer Ursache; sonst symptomatische Kombinationstherapie aus Psycho-, Sozio- und Pharmakotherapie (Ziel: Besserung der Symptomatik und v. a. Verlangsamung der Symptomprogression) 4 Psychopharmakotherapie mit Antidementiva (können nicht nur kognitive Störungen, sondern auch Verhaltensauffälligkeiten positiv beeinflussen) 5 Acetylcholinesterase-Inhibitoren bei leichter bis mittelschwerer Alzheimer-Demenz (zugelassene Indikation); (wahrscheinlich)

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Eigene Notizen

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Kapitel 26 · Demenzen

Eigene Notizen

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wirksam aber auch bei schwerer Alzheimer-Demenz, Einsatz auch bei vaskulären Demenzen sowie Lewy-Körper-Demenz empfohlen J Rivastigmin J Galantamin J Donepezil 5 NMDA-Rezeptorantagonist (Glutamatmodulator) Memantin bei mittelschwerer und schwerer Alzheimer-Demenz (zugelassene Indikation); Einsatz auch bei vaskulären Demenzen empfohlen 5 Bei mittelgradiger und schwerer Symptomatik oder Nichtansprechen auf Monotherapie: Kombinationsbehandlung von Memantin und Acetylcholinesterase-Inhibitoren möglich > Effektivität der Antidementiva liegt in akuter Verbesserung von Kognition und Verhalten; möglicherweise kann auch der weitere Verlauf verlangsamt werden.

4 Pharmakotherapie von komorbiden Störungen und demenzassoziierten Verhaltensauffälligkeiten 5 Bei mittelgradigen bis schweren depressiven Symptomen: bevorzugt selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) 5 ! Cave Keine tri-/tetrazyklischen Antidepressiva (TZA) aufgrund der anticholinergen Wirkkomponente! > Jegliche Medikation muss auf ihr zentral anticholinerges Potenzial hin geprüft werden. Die Schwelle zur Ausbildung eines anticholinergen Delirs ist bei dementen Patienten deutlich erniedrigt.

5 Bei Aggressivität, paranoider und psychotischer Symptomatik: atypische Antipsychotika (z. B. Risperidon, Olanzapin) 5 ! Cave Hochpotente Antipsychotika wie Haloperidol – aber auch atypische Antipsychotika in abgeschwächter Form – sind wegen extrapyramidal-motorischer Nebenwirkungen gerade bei älteren Patienten problematisch (v. a. bei Patienten mit Lewy-Körper-Demenz erhöhte Empfindlichkeit für antipsychotische Wirkungen und Nebenwirkungen!); wenn indiziert, besonders niedrig dosieren! > Bei älteren Patienten mit demenziellem Syndrom besteht für alle

Antipsychotika ein erhöhtes Risiko für zerebrovaskuläre und kardiale Ereignisse.

5 Bei psychomotorischer Unruhe, Angst- und Erregungszuständen: niederpotente Antipsychotika (Melperon, Pipamperon) oder Atypika (Risperidon, Olanzapin) (verträgliche Dosis ist aber auch hier deutlich niedriger) 5 ! Cave Benzodiazepine sollten möglichst vermieden werden, denn sie verstärken kognitive Defizite und erhöhen die Sturzgefahr; bei Demenz-Patienten treten in gesteigertem Maße auch paradoxe Reaktionen auf (Unruhe, Erregungszustände). 5 Bei Schlafstörungen niederpotente Antipsychotika (Melperon, Pipamperon) oder sedierende Antidepressiva (z. B. Mirtazapin) (bei Nicht-Ansprechen Benzodiazepin-ähnliche Substanzen wie Zaleplon, Zopiclon, Zolpidem)

253 26 · Demenzen

> Auf erhöhte Empfänglichkeit für Sedierung, Orthostase, extrapyramidalmotorische Symptome und anticholinerge Wirkungen ist bei der Psychopharmakotherapie älterer Patienten zu achten. Häufig sind renale Clearance vermindert und hepatischer Metabolismus verzögert. → Bei der Psychopharmakotherapie älterer Patienten mit niedrigeren Dosierungen beginnen.

4 Bei vaskulärer Demenz auch Behandlung der zerebrovaskulären Grunderkrankung, vaskulärer Risikofaktoren und Sekundärprophylaxe vaskulärer Ereignisse 4 Psycho- und Soziotherapie 5 Kognitives Training 5 Musik-, Kunsttherapie 5 Bewegungstherapie (erhöhte zerebrale Durchblutung während körperlicher Betätigung) 5 Feste Strukturierung des Tagesablaufs und des Umfelds (z. B. Kalender, Listen, Schaffen einer überschaubaren, aber anregenden Umgebung) 5 Nutzung von Versorgungsstrukturen, evtl. Einrichtung einer gesetzlichen Betreuung (7 Kap. 3.1.1) 5 Aufklärung, Beratung und Unterstützung der Angehörigen; Empfehlung von Angehörigen-Selbsthilfegruppen

26

Eigene Notizen

27 Tag 5 – Spezielle Krankheitsbilder III

27

Delir und weitere organische psychische Erkrankungen

27.1

Delirante Syndrome – 256

27.2

Organisches amnestisches Syndrom (nicht durch Alkohol oder psychotrope Substanzen bedingt) – 259

27.3

Organische Persönlichkeitsstörung – 260

27.4

Andere psychische Erkrankungen aufgrund einer zerebralen Schädigung oder Funktionsstörung oder einer körperlichen Krankheit – 260

256

Kapitel 27 · Delir und weitere organische psychische Erkrankungen

Eigene Notizen

Definition Organische psychische Erkrankungen = psychische Erkrankungen, die ursächlich auf eine zerebrale oder systemische Erkrankung zurückzuführen sind. Missverständlicher, historischer Begriff, da auch alle anderen psychischen Erkrankungen organische/somatische Ursachen bzw. Korrelate haben.

27

Einteilung organischer psychischer Erkrankungen: 4 Organische psychische Erkrankungen »ersten Ranges«: Demenzen (7 Kap. 26), Delir, organisches amnestisches Syndrom; lassen aufgrund ihrer Symptomatik direkt auf eine organische Ursache schließen 4 Organische psychische Erkrankungen »zweiten Ranges«: unterscheiden sich in ihrer Symptomatik nicht von den primär »nichtorganischen« psychischen Erkrankungen (z. B. organische Persönlichkeitsveränderung, organische Halluzinose, organische affektive Störung, organische Angststörung usw.) > Organische psychische Erkrankungen (außer Delir) können fast jede psychische Erkrankung »vortäuschen«. Allein aufgrund der psychopathologischen Symptomatik kann nicht oder nur sehr begrenzt auf die zugrundeliegende Ursache bzw. bestimmte Grunderkrankung geschlossen werden, d. h. die Symptomatik ist nicht ursachenspezifisch.

27.1

Delirante Syndrome

Definition Akute hirnorganische Störungen mit Bewusstseins- und Orientierungsstörungen sowie kognitiven Beeinträchtigungen.

Ätiologie 4 Ursächlich zurückführbar auf eine akute zerebral-organische oder systemische Störung oder eine exogene Noxe 4 Durch Alkohol oder andere psychotrope Substanzen bedingte Delire werden in der ICD-10 nicht unter die organischen psychischen Störungen klassifiziert 4 Häufigste Ursachen bzw. Begleiterkrankungen 5 Intoxikationen (z. B. mit tri-/tetrazyklischen Antidepressiva), Entzugssyndrome (v. a. Alkohol, Benzodiazepine) 5 Medikamente im Rahmen von Überdosierung, Unverträglichkeit, Wechselwirkungen, Alter oder zerebraler Vulnerabilität (v. a. Anticholinergika, aber auch Gyrasehemmer, Opiate oder Antiarrhythmika) 5 Postoperative Zustände J Vor allem in höherem Alter oder bei bekannter Demenz J Häufig nach kardialen, ZNS- oder großen osteosynthetischen Operationen

257 27.1 · Delirante Syndrome

J Hypoxien und kumulative Mengen an Benzodiazepinen und Anästhetika erhöhen das Risiko 5 Fieber 5 Exsikkose 5 Hypovitaminosen 5 Alzheimer-Demenz 5 Neurologische Erkrankungen (z. B. Epilepsie, Schädel-Hirn-Traumata) 5 Kardiovaskuläre Erkrankungen 5 Elektrolytstörungen 5 Metabolische Störungen (Hyper- oder Hypoglykämie, hepatische Enzephalopathie) 5 Infektionskrankheiten (v. a. bei Kindern) 4 Vulnerabilitätsfaktoren 5 Lebensalter (besonders gefährdet sind Kinder und ältere Personen) 5 Demenz (erhöht das Delirrisiko um das Dreifache; Komorbidität eines Delirs bei Demenz ist häufig) 5 Zentral-neurologische Erkrankungen 5 Alkohol-/Benzodiazepin-Konsum 5 Multimorbidität 5 Polypharmazie 5 Hektische stationäre Abläufe und Beeinträchtigung des üblichen Tag-/Nacht-Rhythmus (z. B. auf Intensivstationen)

Klinik > Delir ist immer ein Notfall!

4 4 4 4

Akuter Beginn (innerhalb von Stunden bis Tagen) Symptomatik im Tagesverlauf wechselnd Dauer eines Delirs insgesamt nicht länger als 6 Monate Symptome 5 Störung von Aufmerksamkeit und Bewusstsein mit wechselnder Bewusstseinslage (sowohl Bewusstseinsminderung als auch Hyperarousal) 5 Desorientiertheit (v. a. zeitliche und situative, in schweren Fällen auch zu Ort und Person) 5 Wahrnehmungsstörungen: Halluzinationen (v. a. optische), illusionäre Verkennung 5 Ausgeprägte Beeinflussbarkeit durch Suggestionen (Bedside-Test: Patient liest vom leeren Blatt oder greift nach nicht vorhandenem Faden) 5 Desorganisiertheit, persönlichkeitsfremdes Verhalten 5 Kognitive Störungen: Auffassungsstörungen, Störungen der Merkfähigkeit (Immediat- und Kurzzeitgedächtnis gestört bei relativ intaktem Langzeitgedächtnis) und des abstrakten Denkens, Inkohärenz des Denken 5 Affektive Störungen: Angst, Stimmungslabilität, gelegentlich aggressive Durchbrüche und Nichtkooperativität, Depression oder Euphorie

27

Eigene Notizen

258

Kapitel 27 · Delir und weitere organische psychische Erkrankungen

Eigene Notizen

5 Psychomotorische Störungen: psychomotorische Unruhe, Nesteln, Agitiertheit, kann sich abwechseln mit Antriebsminderung und Lethargie; gelegentlich gesteigerte Schreckhaftigkeit 5 Stereotype Handlungsabläufe (z. B. Wischbewegungen) 5 Häufig Tremor, vegetativ-vasomotorische Symptome (z. B. Tachykardie, Blutdruckanstieg, Hyperthermie, vermehrte Schweißsekretion, Übelkeit, Erbrechen, Diarrhö) 5 Gestörter Tag-Nacht-Rhythmus, nächtliche Verschlimmerung der Symptomatik

Diagnostik

27

4 (Fremd-)Anamneseerhebung, v. a. auch Medikamenten- und Suchtanamnese 4 Allgemeinkörperliche und neurologische Untersuchung 4 Labor (metabolische, toxische Störungen, Infektionen?) 4 EEG (Anfallsleiden?) 4 EKG (kardiale Ursachen?) 4 Röntgen-Thorax (kardiale/pulmonale Ursachen?) 4 cCT/cMRT (zerebrale Läsionen?) 4 Ggf. Liquordiagnostik (Meningitis?) 4 Differenzialdiagnostische Abgrenzung Delir vs. Demenz: beim Delir (im Gegensatz zur Demenz) 5 Akuter Beginn 5 Bewusstseinsstörung 5 Fluktuationen der Symptomatik im Tagesverlauf 5 Häufig Halluzinationen

Therapie 4 Prophylaxe 5 Bereits vor einer Operation oder stationären Einweisung Risikofaktoren screenen, Aufklärung von Patienten und Angehörigen und ggf. Acetylcholinesterase-Inhibitoren oder Antipsychotika (niedrigdosiert) präoperativ einsetzen 4 Kausale Behandlung bei nachgewiesener Ursache 4 Absetzen anticholinerger Medikation; kritische Prüfung von Opiatoder Benzodiazepin-Einsatz 4 Nichtmedikamentöse Therapie 5 Reizabschirmung, Schaffen einer sicheren und ruhigen Atmosphäre, Kommunikation in klaren und eindeutigen Sätzen 5 Ermöglichen einer Tag/Nacht-Triggerung (keine fensterlosen Räume; möglichst wenig Intervention in der Nacht; Aktivierung, z. B. Krankengymnastik am Tag) 5 Zuwendung und pflegerische (noch besser familiäre) Betreuung 4 Medikamentöse Notfalltherapie > Vital bedrohliche Erkrankung, erfordert kontinuierliche Überwachung, Kontrolle der Vitalparameter und Flüssigkeitsbilanzierung.

259 27.2 · Organisches amnestisches Syndrom

5 Basistherapie mit Haloperidol zur Beeinflussung von psychotischen Symptomen, Agitation und Aggressivität ( ! Cave auch Haloperidol hat arrhythmogenes Potenzial; dosisabhängig – insbesondere bei i.v. Gabe – Risikoerhöhung hinsichtlich der Lebenserwartung bzw. Überlebenschancen!) 5 Unter Berücksichtigung eventueller kardiovaskulärer Ausschlussfaktoren auch Einsatz der Atypika Risperidon oder Olanzapin möglich 5 Für alle Antipsychotika gilt: möglichst früh aber möglichst niedrigdosiert einsetzen und dann Dosis ggf. aufwärts titrieren 5 Bei Verdacht auf anticholinerge Genese oder bei Demenz: Acetylcholinesterase-Inhibitoren wie Physostigmin 5 Behandlung von Alkohol- und Benzodiazepinentzugsdelir 7 Kap. 19

> Wegen Gefahr einer Verschlechterung sollten anticholinerge und sedierende Medikamente vermieden werden. Beim Alkohol- oder Benzodiazepinentzugsdelir kann die kurzfristige Gabe von Benzodiazepinen aber indiziert sein (7 Kap. 19).

27.2

Organisches amnestisches Syndrom (nicht durch Alkohol oder psychotrope Substanzen bedingt)

4 Symptomatik 5 Störungen v. a. des Kurzzeitgedächtnisses, weniger stark des Langzeitgedächtnisses; Immediatgedächtnis (= unmittelbare Wiedergabe) ist nicht beeinträchtigt 5 Antero- und retrograde Amnesie mit zeitlicher Desorientiertheit 5 Weitere häufig anzutreffende Symptome: Konfabulationen, mangelnde Einsichts- und Entschlussfähigkeit, Apathie 4 Nicht beeinträchtigt sind Wahrnehmung, Aufmerksamkeit, Bewusstsein und allgemeine intellektuelle Fähigkeit 4 Nachweis einer zerebralen Schädigung oder Erkrankung (z. B. Insult, Schädel-Hirn-Traumata) 4 Potenziell reversibel (abhängig von zugrundeliegender zerebraler Läsion) 4 Häufiger ist ein amnestisches Syndrom aufgrund eines jahrelangen missbräuchlichen Alkoholkonsums (Korsakow-Syndrom 7 Kap. 19; wird nicht bei den organischen psychischen Erkrankungen klassifiziert)

27

Eigene Notizen

260

Kapitel 27 · Delir und weitere organische psychische Erkrankungen

Eigene Notizen

27

27.3

Organische Persönlichkeitsstörung

4 Deutliche Veränderung des prämorbiden Verhaltens als Folge einer Hirnerkrankung, Hirnschädigung oder Hirnfunktionsstörung 4 Mindestens 2 der folgenden Kriterien müssen vorliegen: 5 Verminderte Fähigkeit, zielgerichtete Aktivitäten durchzuhalten, Befriedigungen aufzuschieben 5 Impulsivität 5 Veränderte Emotionalität: Affektlabilität, Euphorie, inadäquate Witzelsucht, Gereiztheit, Wutausbrüche, Apathie 5 Misstrauen, paranoides Denken und/oder ständige Beschäftigung mit einem einzigen, oft abstrakten Thema 5 Auffälligkeiten der Sprache (Umständlichkeit, Begriffsunschärfe, zähflüssiges Denken) 5 Verändertes Sexualverhalten

27.4

Andere psychische Erkrankungen aufgrund einer zerebralen Schädigung oder Funktionsstörung oder einer körperlichen Krankheit

4 Allgemeine Kriterien 5 Nachgewiesene zerebrale Erkrankung, Verletzung oder Funktionsstörung oder eine systemische somatische Erkrankung, die mit einer entsprechenden psychischen Symptomatik einhergehen kann 5 Zeitlicher Zusammenhang (Tage, Wochen oder Monate) zwischen Auftreten der zugrundeliegenden/vermuteten Krankheit und den psychischen Symptomen 5 Rückbildung der psychischen Symptomatik nach Rückbildung oder Verbesserung der zugrundeliegenden/vermuteten Krankheit 5 Kein überzeugender Hinweis für eine andere mögliche Ursache 4 Organische Halluzinose 5 Ständige oder wiederholt auftretende Halluzinationen (v. a. optische) 5 Besondere Form: Dermatozoenwahn (wahnhafter Ungezieferbefall; nach ICD-10 als taktile Halluzinose einzuordnen), äußert sich z. B. in Kribbelparästhesien (»Ameisenlaufen«), die vom Patienten als Zeichen einer parasitären Infektion wahrgenommen werden 5 Weitere Kriterien: Keine Trübung des Bewusstseins, kein Abbau intellektueller Funktionen, keine auffälligen Störungen der Stimmung und kein Vorherrschen von Wahnideen 4 Organische katatone Störung 5 Stupor (mit teilweisem oder vollständigem Mutismus, Negativismus und Haltungsstereotypien) 5 Erregung 5 Rascher und unvorhersehbarer Wechsel zwischen Hypo- und Hyperaktivität

261 27.4 · Andere psychische Erkrankungen aufgrund einer zerebralen Schädigung

4 Organische wahnhafte (schizophrenieforme) Störung 5 Vorliegen von Wahnideen 5 Zusätzlich können Halluzinationen, formale Denkstörungen oder einzelne katatone Phänomene auftreten 5 Gedächtnis und Bewusstsein sind ungestört 4 Organische affektive Störung 5 Symptome wie bei einer depressiven oder manischen Episode oder einer bipolaren affektiven Störung 4 Organische Angststörung 5 Klinisches Bild wie bei einer generalisierten Angststörung, Panikstörung oder einer Kombination aus beiden Störungen 4 Organische emotional labile (asthenische) Störung 5 Ausgeprägte Affektlabilität/Affektinkontinenz mit pathologischem Lachen und Weinen, Ermüdbarkeit oder viele unangenehme körperliche Missempfindungen (z. B. Schwindel, Schmerzen) 4 Organische dissoziative Störung 5 Symptomatik entspricht dem Bild einer dissoziativen oder Konversionsstörung 4 Leichte kognitive Störung 5 Hauptmerkmal: Klagen über Verschlechterung des Gedächtnisses, Vergesslichkeit, Lernschwierigkeiten und Konzentrationsprobleme 5 Symptome aber nicht so schwer, dass sie die Diagnose einer Demenz, eines amnestischen Syndroms oder eines Delirs rechtfertigen würden (keine Beeinträchtigung der Alltagskompetenz) 5 Leichte, altersassoziierte Gedächtniseinbußen, die sich mit neuropsychologischen Testverfahren objektivieren lassen 5 Risikofaktor für die spätere Entwicklung einer Demenz

27

Eigene Notizen

28 Tag 5 – Spezielle Krankheitsbilder III

28

Suizidalität

264

Kapitel 28 · Suizidalität

Eigene Notizen

Definition Psychischer Zustand, bei dem Gedanken, Pläne und Verhaltensweisen auf die Herbeiführung des eigenen Todes gerichtet sind.

28

4 Erklärungsmodelle von Suizidalität 5 Krisenmodell: Suizidalität als Reaktion auf eine als extrem und ausweglos erlebte Situation (traumatische Lebensereignisse, Lebenskrisen) 5 Krankheitsmodell: Auftreten von Suizidalität im Kontext einer psychischen Erkrankung 4 Circa 90% aller Suizide stehen im Zusammenhang mit einer psychischen Erkrankungen (am häufigsten depressive Erkrankungen, nachfolgend Abhängigkeitserkrankungen und Schizophrenien) 4 Vollendete Suizide sind häufiger bei Männern (Männer zu Frauen ca. 3:1) 4 Durchschnittliche Suizidrate in Deutschland ca. 12/100.000 Einwohner 4 Mit dem Lebensalter ansteigende Suizidrate, insbesondere bei Männern deutlicher Anstieg ab dem 60. Lebensjahr 4 Unterscheidung von harten und weichen Suizidmethoden 5 Harte Methoden: Erhängen, Erschießen, Sturz aus großer Höhe oder vor den Zug J Führen meist rasch zum Tod J Dominieren bei den vollendeten Suiziden 5 Weiche Methoden: Intoxikation mit Medikamenten oder Vergiftung mit Autoabgasen 5 Im westlichen Kulturkreis werden harte Methoden von Männern, weiche Methoden von Frauen bevorzugt 4 Suizidversuche sind bis zu 20-mal häufiger als Suizide, häufiger bei Frauen und jüngeren Personen 4 Wiederholung eines Suizidversuchs in ca. 25% der Fälle (Wiederholungsrisiko im ersten Jahr nach einem Suizidversuch am größten! Bei jeder psychiatrisch-psychotherapeutischen Anamneseerhebung Suizidversuche in der Vorgeschichte erfragen!) 4 Circa 75% aller Suizide werden angekündigt > Suizidhinweise immer ernst nehmen! Nie von »leerer« Drohung ausgehen. Wichtigstes Element bei Erkennung und Einschätzung von Suizidalität: direkte, wertneutrale, einfühlsame Ansprache.

4 Neben direktem Fragen nach Suizidalität auch Fragen stellen zu Risikofaktoren sowie zur Bereitschaft, wieder Hoffnung zu schöpfen und zur Fähigkeit zum Verschieben einer suizidalen Handlung 4 Risikogruppen 5 Menschen mit psychischen Erkrankungen (insbesondere Depressionen, Schizophrenien) 5 Personen mit Suizidversuchen in der Vorgeschichte oder mit Suiziden/Suizidversuchen bei Bekannten/Verwandten 5 Alte Menschen (v. a. isoliert lebende/verwitwete ältere Männer)

265 28 · Suizidalität

4

4

4

4

4

4 4

5 Menschen in traumatischen Situationen und Veränderungsphasen (z. B. Partnerverlust, Arbeitslosigkeit) 5 Menschen mit chronischen, schmerzhaften Erkrankungen Psychopathologische Risikofaktoren, die das Suizidrisiko erhöhen: 5 Gefühl der Hilflosigkeit und des Ausgeliefertseins 5 Hoffnungslosigkeit, fehlende Zukunftsperspektive 5 Gefühl der eigenen Wertlosigkeit, Erleben der eigenen Person als Belastung oder Schande für andere 5 Depressiver Wahn, imperative Stimmen mit Aufforderung zum Suizid 5 Quälende Unruhe, Getriebenheit, massive innere Anspannung 5 Lang anhaltende, schwere Schlafstörungen 5 Schwere depressive Verstimmung Stadien suizidaler Entwicklung (nach W. Pöldinger) 5 Phase der Erwägung: Suizid wird als mögliche Problemlösung in Betracht gezogen 5 Phase der Ambivalenz: Ringen zwischen Selbsterhalt und Selbstzerstörung (auch Phase der Appelle und Hilferufe, die in jedem Fall ernst zu nehmen sind) 5 Phase des Entschlusses zum Suizid, scheinbare äußere Ruhe und Gelassenheit Präsuizidales Syndrom (nach E. Ringel) 5 Zunehmende Einengung/Fokussierung von Verhalten, Affekt und zwischenmenschlichen Beziehungen (sozialer Rückzug) 5 Aggressionsstauung und Aggressionsumkehr gegen die eigene Person 5 Suizidphantasien Bei konkreter Suizidalität, von der sich der Patient nicht distanzieren kann: sofortige Einweisung auf eine Intensivstation einer psychiatrischpsychotherapeutischen Klinik (möglichst freiwillig, bei Vorliegen der Voraussetzungen notfalls auch Unterbringung gegen den Willen des Patienten 7 Kap. 3.3) Bei lebensmüden Gedanken (aber ohne konkrete Absichten), nachvollziehbarer Distanziertheit von Suizidalität sowie Bündnisfähigkeit: Erwägung einer ambulanten Therapie mit sehr engmaschiger ambulanter Betreuung oder stationäre Behandlung auf einer offenen psychiatrischpsychotherapeutischen Station Bei Vorliegen einer psychischen Grunderkrankung richtet sich die medikamentöse Therapie nach dieser Unspezifische therapeutische Sofortmaßnahmen bei akuter Suizidalität 5 Wertneutrales, ruhiges Gespräch, Beziehung aufbauen durch Empathie und Wertschätzung 5 Kurzfristige Behandlung mit Benzodiazepinen: z. B. Lorazepam

28

Eigene Notizen

267

A–C

Sachverzeichnis A Abartigkeit, schwere andere seelische 45 Abhängigkeit 192–194 Abwehrmechanismen 90, 178 Acetylcholinesterase-Hemmer 75 Affektinkontinenz 14 Affektive Störungen 115–128 Affektlabilität 14 Affektstarrheit 14 Affektstauung 14 Affektverarmung 15 Affektverflachung 15 Agnosie 11 Agoraphobie 131 Agranulozytose 69 AIDS, psychosomatische Aspekte 217 Akalkulie 11 Akathisie 17, 69 Alertness 4 Alexie 11 Alkohol – Abhängigkeit 193–196 – Alkoholbestimmung 194, 195 – Alkoholdelir 198 – Alkoholdemenz 200 – Alkoholembryopathie 201 – Alkoholhalluzinose 199 – Entzugssyndrom 198 – Intoxikation 197 Alpha-2-Antagonisten 61 Alzheimer-Demenz 246–253 Amnesie 9 – dissoziative 149 Amnestisches Syndrom, organisches 259 Amphetaminintoxikation 207 Anamnese 30, 31 Angststörungen 129–135 – organische 261 Anhedonie 15

Anorexia nervosa 160–164 Anpassungsstörungen 141–146 Anticholinerges Syndrom, zentrales 79, 252 Antidementiva 75, 251, 252 Antidepressiva 56–62, 125 – Indikationen 56 – Kontraindikationen 62 – Wirksamkeit 62 Antikonvulsiva 64–66 Antipsychotika 66–72, 112 – atypische 68 – Kontraindikationen 72 – konventionelle 67 – Nebenwirkungen 69–72 Antriebsstörungen 19, 119 Anxiolytika 73, 75 Aphasie 11 Apraxie 11 Arc de cercle 150 Artifizielle Störungen 183 Arzneimittelabhängigkeit 193, 202, 203 Asperger-Syndrom 237 Assoziation, freie 91 Atmungsstörungen, schlafbezogene 167 Auffassungsstörungen 8 Aufmerksamkeit 4, 220 Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) 219–222 Aufmerksamkeitsstörungen 4, 220 Autismus 236–238 Autogenes Training 94

B Belastungsreaktion, akute 143 Belastungsstörungen 141–146 Benzodiazepine 73, 74 – Abhängigkeit 202–204

– Entzugssyndrom 203 – Indikationen 73 – Intoxikation 203 – Nebenwirkungen 73, 74 Betreuungsrecht 42 Bettnässen 7 Enuresis Bewegungsstörungen – dissoziative 150 – schlafbezogene 167, 168 – stereotype 20, 225 Bewusstseinsstörungen 4, 5 – tiefgreifende 45 Beziehungsstörungen 12 Beziehungswahn 24 Bipolare Störungen 116, 118, 119, 122, 127 Bindungsstörungen 12, 231, 232 Binge-Eating-Störung 163, 164 Biofeedback 94, 95 Blutalkoholkonzentration (BAK) 194, 195, 197 Body-Mass-Index (BMI) 163 Bulimia nervosa 160–164 Burn-out-Syndrom 19, 156

C Cannabis – Abhängigkeit 206 – Entzugssyndrom 206 Carbohydratdefizientes Transferrin (CDT) 33, 194 Chemikalienunverträglichkeit, multiple 156 Clozapin 68, 69 Cognitive Behavioral Analysis System of Psychotherapy (CBASP) 126 Computertomographie, kraniale (cCT) 34 Cytochrom-P450-Enzyme 56

268

Sachverzeichnis

D Darmerkrankungen, chronischentzündliche, psychosomatische Aspekte 216 Debriefing 146 Delir 198, 256–259 Dementia infantilis 243 Demenz 245–253 – Alzheimer 246–253 – frontotemporale 250 – gemischte 249 – Lewy-Körper-Demenz 249 – sekundäre 247 – vaskuläre 249 Denken – eingeengtes 6 – gesperrtes 6 – grübelndes 6 – ideenflüchtiges 6, 7 – umständliches 7 – verlangsamtes 7 – zerfahrenes 7, 8 Denkhemmung 7 Denkstörungen – formale 6 – inhaltliche, Definition 6 Depersonalisation 8 Depot-Antipsychotika 72 Depression 116–126 – atypische 121 – gehemmte 121 – Involutionsdepression 121 – Kindesalter 122 – larvierte 121 – postschizophrene 108 – psychotische/wahnhafte 121 – saisonale 121 – Wochenbettdepression 121 Depressivität 16 Deprivationssyndrom 238 Derealisation 8 Dermatozoenwahn 25, 260 Desensibilisierung, systematische 86 Diabetes mellitus, psychosomatische Aspekte 214, 215

Dialektisch-behaviorale Therapie (DBT) 184 Dissoziation 5 Dissoziative Störungen 147–151 Double depression 123 DSM-IV 39 Dyskalkulie 235 Dyskinesien 69 Dyslalie 234 Dyspareunie 173 Dysthymia 119, 127 Dystonie, akute 78

E Echolalie 20 Echopraxie 20 Ehefähigkeit 44 Eifersuchtswahn 24 – alkoholischer 199 Eilbetreuung 42 Einkoten 7 Enkopresis Einnässen 7 Enuresis Einsichtsfähigkeit 46 Einwilligungsfähigkeit 43 Einwilligungsvorbehalt 42 Ekmnesie 11 Elektroenzephalographie (EEG) 34 Elektrokrampftherapie (EKT) 98, 99 Endokrinopathien 212 Enkopresis 239, 240 Entspannungsverfahren 94 Entwicklungsstörungen – tiefgreifende 236–238 – umschriebene 234–235 Enuresis 239, 240 Ergotherapie 101 Ermüdungssyndrom, chronisches 19, 156 Erwerbsfähigkeit, Minderung 50 Erwerbsminderung 49 Essstörungen 159–164 Exekutive Funktionen 37 Exhibitionismus 173 Expositionsverfahren 86

Extrapyramidalmotorische Störungen (EPMS) 69, 70 Eye-Movement Desensitization and Reprocessing Therapie (EMDR) 145

F Fahreignung 50 Fahrtüchtigkeit 50 Familientherapie, systemische 93, 94 Fetischismus 173 Fibromyalgie 156 Flashback 11, 144, 206, 208 Flexibilitas cerea 20 Flooding 86 Fremdgefährdung 13 Frotteurismus 173 Frühdyskinesien 78, 79 Fugue, dissoziative 149 Funktionsstörungen, sexuelle 172–174

G GABA 73 Ganser-Syndrom 150 Gedächtnisstörungen 10 Gedankenabreißen 6 Gedankenausbreitung 9 Gedankendrängen 6 Gedankeneingebung 9 Gedankenentzug 9 Gedankenstopp 140 Gegenübertragung 92 Generalisierte Angststörung 132 Geschäfts(un)fähigkeit 44 Geschlechtsidentität, gestörte 173, 174 Geschwisterrivalität 230 Gesprächspsychotherapie 93 Gilles-de-la-Tourette-Syndrom 225

269 Sachverzeichnis

Glutamatmodulatoren 75, 76 Größenwahn 24

H Habituationstraining 86 Halluzinationen 25 Halluzinogenintoxikation 207 Halluzinose – chronisch taktile 25, 260 – organische 260 Heißhungerattacken 160, 162 Heller-Syndrom 7 Dementia infantilis Herzkrankheit, koronare, psychosomatische Aspekte 215 Hilflosigkeit, erlernte 119 Hospitalismus 7 Deprivationssyndrom Hyperaktivität 220 Hyper-/Hypokinesen 20 Hypermnesie 11 Hypersomnie 166, 167 Hyper-/Hypothyreose 117, 212 Hypnotika 73, 74 – Abhängigkeit 202 Hypochondrie 155 Hypomanie 122

I ICD-10 39 Ich-Störungen 8, 9 Ideenflucht 6, 7 Identitätsstörung, dissoziative 150 Illusionen 26 Implosion 86 Impulsivität 220 Impulskontrolle, gestörte 188–189 Insomnie 166 Intellektualisierung 90 Intelligenz 36 Intelligenzminderung 241–244

Intelligenzquotient 242 Intelligenztests 36, 243 Interpersonelle Psychotherapie (IPT) 126 Intervention, paradoxe 92 Intrusionen 11

J Johanniskraut 61, 62, 125

D–N

L Labordiagnostik 33 Legasthenie 234 Leistungen zur Teilhabe 102 Leistungsdiagnostik 36–38 Lese-Rechtschreibstörung 7 Legasthenie Lichttherapie 99 Liebeswahn 24 Lithium 63, 64 Logorrhö 19 Lösungsmittel, flüchtige 208, 209

K Kanner-Syndrom 236 Katalepsie 20 Kataplexie 167 Katatonie 20 – perniziöse 20, 108 Kaufsucht 189 Kleptomanie 189 Kognitive Störung, leichte 261 Kognitive Triade 117 Kokain – Abhängigkeit 207, 208 – Intoxikation 207 Kompetenztraining, soziales 88, 89 Konditionierung 83 Konfabulationen 10 Konfrontationsverfahren 86 Kontamination 7 Konversion 90, 148 Konversionsstörungen 147–151 Konzentrationsstörungen 4 Körperschemastörung 26, 160, 161 Korsakow-Syndrom 200 Krampfanfall, dissoziativer 150 Krankhafte seelische Störung 45 Krankheitsbewältigung, Störungen 18, 19

M Magersucht 7 Anorexia nervosa Magnetresonanztomographie, kraniale (cMRT) 34 Malignes neuroleptisches Syndrom 78 Manie 116, 118, 119, 122, 126, 127 Manierismen 20 MAO-Hemmer 58, 59 Marchiafa-Bignami-Syndrom 200 Maßregeln der Besserung und Sicherung 48, 49 Merkfähigkeitsstörungen 10 Missbrauch, Definition 192 Mnestische Störungen 9–11 Modelllernen 84 Multiple Persönlichkeitsstörung 7 Identitätsstörung, dissoziative Münchhausen-by-proxy-Syndrom 183 Münchhausen-Syndrom 183 Mutismus 20, 231

N Narkolepsie 167 Negativismus 20

270

Sachverzeichnis

Negativsymtome, schizophrene 106, 107 Neglect 11 Nekrophilie 173 Neologismus 7 Neoplasien, maligne, psychosomatische Aspekte 216 Neurasthenie 156 Neuroleptische Potenz 68 Niedrigdosisabhängigkeit 202 Nikotin – Abhängigkeit 201 – Entzugssyndrom 202 – Intoxikation 201, 202 Non-Compliance 19 Nootropika 7 Antidementiva Noradrenalin-DopaminRückaufnahme-Inhibitoren (NDRI) 61

O Opiate/Opioide – Abhängigkeit 204, 205 – Entzugssyndrom 204, 205 – Intoxikation 204 Orientierungsstörungen 4, 5

P Paartherapie, systemische 93 Pädophilie 173 Panikattacke 15, 132 Panikstörung 132 Parakinesen 20 Paramnesien 10, 11 Paraphilien 173, 175 Parasomnien 168 Parathymie 18 Pareidolien 26 Parkinsonoid, medikamentös induziert 69 Patientenverfügung 43 Pavor nocturnus 168

Perseverationen 7 Persönlichkeitsdiagnostik 38 Persönlichkeitsstörungen 177–185 – abhängige 182 – anankastische (zwanghafte) 182 – ängstliche 182 – Borderline 181 – dissoziale 180 – emotional instabile 181 – histrionische 182 – narzisstische 182 – organische 260 – paranoide 179 – schizoide 179 – schizotypische 180 Phasenprophylaktika 62–66 Phobien 15, 230 – soziale 131, 132 – spezifische 132 Physiotherapie 100 Phytopharmaka 61, 62 Pica-Syndrom 243 PLISSIT-Modell 174 Polyneuropathie, alkoholinduzierte 200 Polysomnographie 168 Polytoxikomanie 193 Positivsymptome, schizophrene 106 Positronen-Emissions-Tomographie (PET) 35 Präsuizidales Syndrom 265 Problemlösetraining 89 Progressive Muskelrelaxation 94 Projektion 90 Pseudodemenz, depressive 124, 251 Pseudohalluzinationen 25 PsychKG 46, 47 Psychoanalyse 89–92 Psychoedukation 95 Psychopathologischer Befund 31, 32 Psychopharmakotherapie 53–80 – Nebenwirkungen 55 – Notfälle 78–80 Psychose 104 Psychosomatik 212

Psychotherapie 81–95 Pyromanie 188

Q Quetelet-Index 7 Body-Mass-Index (BMI)

R Rapid cycling 123 Rational-Emotive-Therapie (RET) 88 Rationalisierung 90 Rausch – einfacher 197 – pathologischer 197 Regression 90, 91 Rehabilitation 102 REM-Schlaf 117, 169 Residuum, schizophrenes 108 Restless-Legs-Syndrom 167 Rett-Syndrom 237

S Sadomasochismus 173 Schädlicher Gebrauch 192 Schizoaffektive Störung 110, 111, 113 Schizophasie 8 Schizophrenia simplex 108 Schizophrenie 103–113 – desorganisierte /hebephrene 107 – katatone 108 – Kindes- und Jugendalter 109, 110 – paranoide 107 – undifferenzierte 108 Schizotype Störung 180 Schlafapnoesyndrom 167

271 Sachverzeichnis

Schlafentzugstherapie 100 Schlafstadien 169 Schlafstörungen 21, 22, 165–170 Schlaf-Wach-Rhythmusstörungen 168 Schmerzstörungen, somatoforme 155 Schnüffelstoffe 208, 209 Schuld(un)fähigkeit 45 Schulschwierigkeiten 12 Schwachsinn 45 Selbstverbalisation 88 Selektive Noradrenalin-Rückaufnahme-Inhibitoren (SNRI) 60 Selektive Serotonin-Rückaufnahme-Inhibitoren (SSRI) 59, 60 Selektive Serotonin- und Noradrenalin-RückaufnahmeInhibitoren (SSNRI) 60, 61 Sensibilitätsstörungen, dissoziative 150 Serotoninsyndrom, zentrales 59, 79 Sexualstörungen 171–175 Sicherungsverwahrung 49 Single-Photonen-EmissionsComputertomographie (SPECT) 35 Sodomie 173 Somatisierungsstörung 155 Somatoforme Störungen 153–157 Somnambulismus 168 SORCK-Modell 85 Sozialverhalten, gestörtes 228, 229 Soziopathie 180 Soziotherapie 100, 101 Spätdyskinesien 69 Spielsucht 188 Sprachstörungen 234 Stereotypien 20, 236 Steuerungsfähigkeit 46 Stimulanzien 76, 77 – Abhängigkeit 207 Stupor 20

– dissoziativer 149 Sublimation 90 Suchterkrankungen, stoffgebundene 191–209 Substitutionstherapie 205 Suizid 13, 264 Suizidalität 13, 263–265 Synästhesien 207

T Tabakabhängigkeit 201 Tasikinesie 69 Teilleistungsstörungen 234 Testierfähigkeit 44 Testpsychologie, Diagnostik 35–39 Theatralismus 21 Ticstörungen 223–226 Transsexualismus 173 Transvestitismus 173 Trichotillomanie 189 Tri-/Tetrazyklische Antidepressiva (TZA) 57, 58

U Übertragung 91 Unruhe – innere 17 – motorische 21 Unterbringungsrecht 46–49 Untersuchung – allgemeinkörperliche 32, 33 – neurologische 33

V Vaginismus 173 Verarmungswahn 24

N–Z

Verbigeration 7 Verdrängung 90 Verfolgungswahn 24 Verhaltenstherapie 83–89 – kognitive 87, 88 Verschiebung 90 Vigilanz 4 Vorbeireden 8 Vorsorgevollmacht 43 Voyeurismus 173 Vulnerabilitäts-Stress-CopingModell 104

W Wachtherapie 7 Schlafentzugstherapie Wahn 22–24 – symbiotischer 23 Wahndynamik 23 Wahnerinnerung 23 Wahnstimmung 23 Wahnwahrnehmung 23 Wahrnehmungsanomalie 26, 27 Wahrnehmungsstörungen 25 Wahngedanke 23 Wahnhafte Störungen 110 Wender-Utah-Kriterien 221 Wernicke-Enzephalopathie 199 Widerstände 92 Widmark-Formel 194, 195

Z Zeitgitterstörungen 11 Zönästhesien 26 Zwang 27 Zwangsstörungen 137–140 Zyklothymia 119, 123