Vektoranalysis, 5. Auflage (Springer-Lehrbuch)

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Springer-Lehrbuch

Klaus Jänich

Vektoranalysis Fünfte Auflage Mit 110 Figuren, 120 Testfragen und 52 Übungsaufgaben

4y Springer

Prof. Dr. Klaus Jänich Universität Regensburg NWFI - Mathematik 93040 Regensburg, Deutschland e-mail: [email protected]

Mathematics Subject Classification (2000): 58-01

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

ISBN 3-540-23741-0 Springer Berlin Heidelberg New York ISBN 3-540-00392-4 4. Aufl. Springer Berlin Heidelberg New York Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland vom 9. September 1965 in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechtsgesetzes. Springer ist ein Unternehmen von Springer Science+Business Media springer.de © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 1992,1993,2001, 2003, 2005 Printed in Germany Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, daß solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Satz: Reproduktionsfertige Vorlagen des Autors Herstellung: LE-TgX felonek, Schmidt & Vöckler GbR, Leipzig Einbandgestaltung: design & production GmbH, Heidelberg Gedruckt auf säurefreiem Papier

44/3142YL - 5 4 3 21 0

Vorwort zur fünften Auf lage

Im Sommersemester 2003 habe ich den Inhalt dieses Buches wieder einmal in einer Vorlesung vorgetragen. Die Verbesserungen, die ich mir dabei in mein Korrekturexemplar der vierten Auflage notiert habe, sind jetzt ausgeführt. Langquaid, im September 2004

Klaus Jänich

Vorwort zur dritten Auflage Gleichzeitig mit dieser dritten Auflage meiner Vektoranalysis kommt in New York die englische Ausgabe heraus, wovon auch das deutsche Buch profitiert, weil es jetzt die zahlreichen Verbesserungen und Korrekturen enthält, die im Zuge der Übersetzungsarbeit teils von mir, teils von der Ubersetzerin Dr. Leslie Kay angeregt wurden. Prau Kay sei hier nochmals gedankt, aber auch allen Lesern, die mir geschrieben haben. Langquaid, im Dezember 2000

Klaus Jänich

Vorwort zur ersten Auflage Ein eleganter Autor sagt in zwei Zeilen, wozu ein anderer eine ganze Seite braucht. Wenn aber ein Leser über diese zwei Zeilen eine ganze Stunde grübeln muß, während er die Seite in fünf Minuten gelesen und verstanden haben würde, dann war das - für diesen einen Leser - wohl doch nicht die richtige Art von Eleganz. Es kommt eben ganz darauf an, für wen ein Autor schreibt. Ich schreibe hier für Studenten im zweiten Studienjahr, die von Mannigfaltigkeiten und solchen Sachen noch gar nichts wissen, sondern ganz zufrieden mit sich sein können, wenn sie die Differential-

vi

Vorwort

und Integralrechnung in einer und mehreren Variablen im großen und ganzen verstanden haben. Etwaige andere Leser bitte ich um gelegentliche Geduld. Natürlich möchte auch ich gern beide Arten von Eleganz verbinden, aber wenn es nicht geht, dann werfe ich ohne Bedenken die Zeileneleganz über Bord und halte mich an die Minuteneleganz. Wenigstens ist das meine Absicht! Einführende Lehrbücher sind meist "zum Gebrauch neben Vorlesungen" bestimmt, aber auch diesem Zweck wird ein Buch besser gerecht, wenn es schon von alleine verständlich ist. Ich habe mich deshalb bemüht, das Buch so zu gestalten, daß Sie auch auf einer einsamen Insel damit zurecht kommen, vorausgesetzt Sie nehmen Ihre Vorlesungsskripten aus den ersten beiden Semestern und — falls in diesem Gepäck nicht ohnehin schon enthalten — ein paar Notizen über die Grundbegriffe der Topologie dahin mit. Da man auf einsamen Inseln manchmal keinen Gesprächspartner findet, habe ich die "Tests" eingefügt, über die ich noch ein paar Worte sagen möchte. Manche Leute lehnen Ankreuztests grundsätzlich ab, weil sie Ankreuzen für primitiv und eines Mathematikers unwürdig halten. Dagegen ist kaum zu argumentieren! In der Tat sind einige meiner Testfragen so völlig und offensichtlich simpel, daß es Ihnen — einen heilsamen kleinen Schrecken einjagen wird, sie trotzdem nicht beafitworten zu können. Viele aber sind hart, und sich gegen die Scheinargumente der falschen Antworten zur Wehr zu setzen, erfordert schon einige Standfestigkeit. Als Trainingspartner für den Leser, der mit sich und dem Buch allein ist, sind die Tests schon ernstzunehmen. — Ubrigens ist unter den jeweils drei Antworten immer mindestens eine richtige, es können aber auch mehrere sein. Ich will nun das Buch nicht weiter beschreiben — Sie haben es ja vor sich - sondern mich der angenehmen Pflicht zuwenden, nach getaner Arbeit zurückzuschauen und dankbar von der vielfältigen Hilfe Rechenschaft zu geben, die ich erhalten habe. Frau Hertl hat die Handschrift in TgX verwandelt, und Herr Michael Prechtel war als T^X-Wizard stets mit Rat und Tat zur Stelle. Auch von Herrn Martin Lercher sowie vom Verlag habe ich nützliche "Macros" bekommen, und als einer der ersten konnte ich das von Herrn Bernhard Rauscher entwickelte diagram.tex für die Diagramme benutzen. Meine Mitarbeiter Robert Bieber, Margarita Kraus, Martin Lercher und Robert Mandl haben die vorletzte Fassung des Buches sachverständig korrekturgelesen. Für alle diese Hilfe danke ich herzlich. Regensburg, im Juni 1992

Klaus Jänich

Inhaltsverzeichnis

1. Differenzierbare Mannigfaltigkeiten 1.1 1.2 1.3 1.4 1.5 1.6 1.7 1.8 1.9 1.10

Der Mannigfaltigkeitsbegriff Differenzierbare Abbildungen Der Rang Untermannigfaltigkeiten Beispiele von Mannigfaltigkeiten Summen, Produkte und Quotienten von Mannigfaltigkeiten Genügen uns Untermannigfaltigkeiten euklidischer Räume? Test Übungsaufgaben Hinweise zu den Ubungsaufgaben

1 4 5 7 9 12 17 18 22 23

2. Der Tangentialraum 2.1 Tangentialräume im euklidischen Raum... 26 2.2 Drei Fassungen des Tangentialraumbegriffs 28 2.3 Aquivalenz der drei Fassungen 33 2.4 Definition des Tangentialraums 37 2.5 Das Differential 38 2.6 Die Tangentialräume eines Vektorraums.. .42 2.7 Geschwindigkeitsvektoren von Kurven . . . . 43 2.8 Ein weiterer Blick auf den Ricci-Kalkül... 44 2.9 Test 47 2.10 Übungsaufgaben 49 2.11 Hinweise zu den Übungsaufgaben 50

viii

Inhaltsverzeichnis

3. Differentialformen 3.1 Alternierende A;-Formen 3.2 Die Komponenten einer alternierenden fc-Form 3.3 Alternierende n-Formen und die Determinante 3.4 Differentialformen 3.5 Einsformen 3.6 Test 3.7 Übungsaufgaben 3.8 Hinweise zu den Übungsaufgaben

52 54 56 58 60 62 64 65

4. Der Orientierungsbegriff 4.1 Einführung 4.2 Die beiden Orientierungen eines n-dimensionalen reellen Vektorraums 4.3 Orientierte Mannigfaltigkeiten 4.4 Konstruktion von Orientierungen 4.5 Test 4.6 Übungsaufgaben 4.7 Hinweise zu den Übungsaufgaben

68 70 73 75 77 79 80

5. Integration auf Mannigfaltigkeiten 5.1 Welches sind die richtigen Integranden? ... 82 5.2 Die Anschauung vom Integrationsvorgang 86 5.3 Lebesgue-Vorkenntnisse-Paket 88 5.4 Definition der Integration auf Mannigfaltigkeiten 92 5.5 Einige Eigenschaften des Integrals 96 5.6 Test 99 5.7 Übungsaufgaben 102 5.8 Hinweise zu den Ubungsaufgaben 102

Inhaltsverzeichnis

ix

6. Berandete Mannigfaltigkeiten 6.1 Vorbemerkung 6.2 Differenzierbarkeit im Halbraum 6.3 Das Randverhalten der Diffeomorphismen 6.4 Der Begriff der berandeten Mannigfaltigkeit 6.5 Untermannigfaltigkeiten 6.6 Konstruktion berandeter Mannigfaltigkeiten 6.7 Tangentialräume am Rande 6.8 Die Orientierungskonvention 6.9 Test 6.10 Übungsaufgaben 6.11 Hinweise zu den Übungsaufgaben

104 105 106 108 109 111 112 113 114 118 118

7. Die anschauliche Bedeutung des Satzes von Stokes 7.1 Vergleich der Antworten auf Maschen und Spate 120 7.2 Die Strömungsbilanz einer (n — 1)-Form auf einer n-Masche 121 7.3 Quellstärke und Cartansche Ableitung ... 124 7.4 Der Satz von Stokes 125 7.5 Der de Rham-Komplex 126 7.6 Simpliziale Komplexe 127 7.7 Das de Rham-Theorem 131 8. Das Dachprodukt und die Definition der Cartanschen Ableitung 8.1 Das Dachprodukt alternierender Formen 8.2 Eine Charakterisierung des Dachprodukts 8.3 Der definierende Satz für die Cartansche Ableitung 8.4 Beweis für ein Kartengebiet 8.5 Beweis für die ganze Mannigfaltigkeit....

135 137 139 141 142

Inhaltsverzeichnis 8.6 Die Natürlichkeit der Cartanschen Ableitung 8.7 Der de Rham-Komplex 8.8 Test 8.9 Übungsaufgaben 8.10 Hinweise zu den Übungsaufgaben

145 146 147 150 150

9. Der Satz von Stokes 9.1 9.2 9.3 9.4 9.5 9.6

Der Satz Beweis für den Halbraum Beweis für ein Kartengebiet Allgemeiner Fall Zerlegungen der Eins Integration mittels Zerlegungen der Eins 9.7 Test 9.8 Übungsaufgaben 9.9 Hinweise zu den Übungsaufgaben

152 153 155 156 157 160 161 164 165

10. Klassische Vektoranalysis 10.1 10.2 10.3 10.4 10.5 10.6 10.7 10.8 10.9 10.10 10.11 10.12

Einführung Die Übersetzungsisomorphismen Gradient, Rotation und Divergenz Linien- und Flächenelemente Die klassischen Integralsätze Die Mittelwerteigenschaft der harmonischen Funktionen Das Flächenelement in den Koordinaten der Fläche Das Flächenelement des Graphen einer Funktion von zwei Variablen Der Integralbegriff der klassischen Vektoranalysis Test Übungsaufgaben Hinweise zu den Übungsaufgaben

167 168 171 173 175 179 181 185 186 189 191 192

Inhaltsverzeichnis

xi

11. Die de Rham-Cohomologie 11.1 Definition des de Rham-Funktors 11.2 Einige Eigenschaften 11.3 Homotopieinvarianz: Aufsuchen der Beweisidee 11.4 Durchführung des Beweises 11.5 Das Poincare-Lemma 11.6 Der Satz vom stetig gekämmten Igel 11.7 Test 11.8 Übungsaufgaben 11.9 Hinweise zu den Übungsaufgaben

194 196 198 201 203 206 208 211 211

12. Differentialformen auf Riemannschen Mannigfaltigkeiten 12.1 12.2 12.3 12.4 12.5 12.6 12.7 12.8 12.9

Semi-Riemannsche Mannigfaltigkeiten ... 213 Skalarprodukt alternierender fc-Formen. .216 Der Sternoperator 219 Die Coableitung 223 Harmonische Formen und Hodge-Theorem 226 Die Poincare-Dualität 229 Test 231 Übungsaufgaben 233 Hinweise zu den Übungsaufgaben 235

13. Rechnen in Koordinaten 13.1 Sternoperator und Coableitung im dreidimensionalen euklidischen Raum 13.2 Formen und duale Formen auf Mannigfaltigkeiten ohne Metrik 13.3 Drei Grundsätze des Ricci-Kalküls auf Mannigfaltigkeiten ohne Metrik 13.4 Tensorfelder 13.5 Hinauf- und Herunterziehen der Indices im Ricci-Kalkül 13.6 Invariante Bedeutung des Stellungwechsels der Indices

237 239 240 243 247 249

xii

Inhaltsverzeichnis 13.7 Skalarprodukte für Tensoren im Ricci-Kalkül 13.8 Dachprodukt und Sternoperator im Ricci-Kalkül 13.9 Divergenz und Laplace-Operator im Ricci-Kalkül 13.10 Ein Schlußwort 13.11 Test 13.12 Übungsaufgaben 13.13 Hinweise zu den Übungsaufgaben

251 252 254 257 258 261 264

14. Anhang: Testantworten, Literatur, Register 14.1 Antworten auf die Testfragen 14.2 Literaturverzeichnis 14.3 Register

266 268 269

1 1.1

Differenzierbare Mannigfaltigkeiten

Der Mannigfaltigkeitsbegriff

Als Vorkenntnisse brauchen wir nur ein wenig Topologie — jedenfalls genügt einstweilen Kap. I aus [J:Top] — und die Differentialrechnung in mehreren Veränderlichen. Definition: Sei X ein topologischer Raum. Unter einer n-dimensionalen Karte für X verstehen wir einen Homöomorphismus h : U ~ > U' von einer offenen Teilmenge U C X, dem Kartengebiet, auf eine offene Teilmenge D U' C R n .

u cx off

1~ u1 c mn oflf

Fig. 1. Karte

Gehört jeder Punkt von X einem möglichen Kartengebiet von X an, dann nennt man den Raum X lokal euklidisch: eine schöne Eigenschaft, die natürlich nicht jeder topologische Raum hat. Es ist oftmals praktisch, die Bezeichnung des Kartengebietes in der Notation für die Karte mitzuführen und von der Karte (U, h) zu sprechen, wie wir auch sogleich tun wollen:

Fig. 2. Kartenwechsel

Definition: Sind (U, h) und (V, k) zwei n-dimensionale Karten für X, so heißt der Homöomorphismus k o (h~l\h(U n V)) von h(U n V) auf k(U n V) der Kartenwechsel von h nach k. Ist er sogar ein Diffeomorphismus, so sagen wir, daß die beiden Karten differenzierbar wechseln. D

Kapitel 1. Mannigfaltigkeiten Mit Differenzierbarkeü im Sinne der Analysis im R n ist hier übrigens immer die C°°-Eigenscliaft gemeint: beliebig oft stetig partiell differenzierbar. Insbesondere ist ein Homöomorphismus / zwischen offenen Mengen im K™ genau dann ein Diffeomorphismus, wenn / und /~ x beide C°° sind. Definition: Eine Menge n-dimensionaler Karten für X, deren Kartengebiete ganz X überdecken, heißt ein n-dimensionaler Atlas für X. Der Atlas heißt differenzierbar, wenn alle seine Karten differenzierbar miteinander wechseln, und zwei differenzierbare Atlanten 21 und 55 nennen wir äquivalent, wenn auch D 21U 03 differenzierbar ist. Damit sind wir schon ganz nahe am Begriff der differenzierbaren Mannigfaltigkeit, aber nun müssen wir uns einer von zwei gebräuchlichen Formulierungen anschließen. Eine differenzierbare Struktur für X wird nämlich manchmal als eine Aquivalenzklasse differenzierbarer Atlanten und manchmal als ein maximaler differenzierbarer Atlas aufgefaßt. Wollen wir uns zunächst klar machen, inwiefern beides dasselbe bedeutet. Für einen n-dimensionalen differenzierbaren Atlas 2t bezeichne [21] seine Äquivalenzklasse und D(2l) die Menge aller Karten (U, h) von X, die mit allen Karten in 21 differenzierbar wechseln. Die Elemente 2? (2t) wechseln dann auch untereinander differenzierbar, wie man durch Zuhilfenahme von 2l-Karten überprüft. Dieselbe Uberlegung haben wir ja auch schon anzustellen, wenn wir kontrollieren, ob die "Äquivalenz" wirklich eine Aquivalenzrelation auf der Menge der Atlanten definiert. - Die KartenC° C° menge £>(2t) ist also ein ndimensionaler differenzierbaFig. 3. Diflerenzierbarkeitsnach- rer Atlas und zwar offenbar weis für Kartenwechsel von h nach ein maximaler: jede Karte, k mittels Hilfskarte (W,ip) aus a . die wir ohne Zerstörung der Differenzierbarkeit noch hinzunehmen könnten, ist sowieso schon darin. Dieses X>(21), der ersichtlich einzige 21 enthaltende maximale n-dimensionale differenzierbare Atlas, enthält aber genau

1.1 Der Mannigfaltigkeitsbegriff dieselbe Information wie die Äquivalenzklasse [ 21 ], denn [ 2t ] ist einfach die Menge aller Teilatlanten von X>(21) und T> (2t) die Vereinigung aller Atlanten in [ 2t ]. Es ist deshalb Geschmacksache, welches von beiden man als die durch 2t definierte Struktur heranziehen will, und ich zum Beispiel bevorzuge den maximalen Atlas, denn das ist doch wenigstens noch ein Atlas: Definition: Unter einer n-dimensionalen differenzierbaren Struktur für einen topologischen Raum X verstehen wir einen maximalen n-dimensionalen differenzierbaren Atlas. D Man wird nun als Definition erwarten, eine differenzierbare Mannigfaltigkeit sei ein mit einer differenzierbaren Struktur versehener topologischer Raum, und im wesentlichen ist es auch so, aber es werden an den Raum noch zwei zusätzliche topologische Forderungen gestellt. Zum einen wird von M nämlich die Hausdorffeigenschaft verlangt, zum andern das zweite Abzählbarkeitsaxiom, d.h. das Vorhandensein einer abzählbaren Basis der Topologie (vergl. hierzu z.B. [J:Top], S.13 und später dort auch S.98). Definition: Unter einer n-dimensionalen differenzierbaren Mannigfaltigkeit verstehen wir ein Paar (M, V), bestehend aus einem Hausdorffraum M, der das zweite Abzählbarkeitsaxiom erfüllt und einer n-dimensionalen differenzierbaren Struktur V für M. D Meist unterdrückt man die Struktur in der Notation und spricht einfach von der Mannigfaltigkeit M, wie analog ja auch von einer Gruppe G oder einem Vektorraum V. Eine Konvention sollten wir für den leeren topologischen Raum mit der leeren Struktur trefFen. Wir lassen ihn als Mannigfaltigkeit jeder, auch negativer Dimension gelten. Jede nichtleere Mannigfaltigkeit hat aber eine wohlbestimmte Dimension n — dim M > 0. Da wir andere als differenzierbare Mannigfaltigkeiten nicht definiert haben und auch nicht zu betrachten brauchen, so müssen wir das Beiwort "differenzierbar" nicht jedesmal hinzufügen, und wir wollen auch vereinbaren, unter einer Karte (U, h) für die Mannigfaltigkeit M, wenn nichts Gegenteiliges ausdrücklich gesagt ist, immer eine Karte aus der differenzierbaren Struktur zu verstehen.

Kapitel 1. Mannigfaltigkeiten

1.2

Differenzierbare Abbildungen

Nun wollen wir uns aber gleich den Abbüdungen zuwenden. Auf einer Mannigfaltigkeit M sei eine Abbildung irgendwohin, / : M —> X gegeben, deren Verhalten in der Nähe eines Punktes p e M wir studieren wollen. Dann können wir eine Karte um p wählen, also eine Karte (U, h) für M mit p e U, und die Abbildung / damit "herunterholen", d.h. / o hrx : U' -> X betrachten. Von allen Eigenschaften und Daten, die / o /i" 1 lokal bei h(p) hat, sagt man dann, / habe sie bei p bezüglich der Karte (U,h). Wenn eine solche Eigenscliaft oder ein Datum der herX untergeholten Abbildung aber sogar unabhängig von der Wahl der Karte um p ist, / die Eigenschaft also bezüglich jeder Karte um p u' c : hat, dann sagen wir in abkürzender off Fig. 4. Die heruntergeholte Sprechweise einfach, / habe diese 1 Abbildung foh" Eigenschaft bei p. Zum Beispiel: Deflnition: Eine Funktion / : M -> M heißt bei p e M differenzierbar (= C°°), wenn für eine (dann jede!) Karte (U, h) um p die heruntergeholte Funktion / o h~l in einer Umgebung von h(p) differenzierbar ist. D Daß die lokale C^-Eigenschaft bei p unabhängig von der Wahl der Karte ist, folgt daraus, daß sich die mittels der Karten (U, h) und (V, k) heruntergeholten Funktionen ja lokal nur um einen vorgeschalteten Diffeomorphismus, eben den Kartenwechsel w unterscheiden. Ganz analog verfahren wir, wenn Fig. 5. Auf h(UnV) stimauch der Zielraum eine Mannigmen foh~x und (/ot^'jotc faltigkeit ist. Allerdings setzen wir überein. dann / immer gleich als stetig voraus, weil das eine passende Kartenwahl ermöglicht:

1.3 Der Rang Notiz: Ist f : M —>• N eine stetige Abbildung zwischen Mannigfaltigkeiten, ist p e M und (V, k) eine Karte um f(p), so gibt es stets eine Karte (U, h) um p mit f(U) C V. D Wir sagen dann wieder, / habe eine lokale Eigenschaft bei p bezüglich der Karten (U, h) und (V, k), wenn die "heruntergeholte" Abbildung k o / o h'1

: U' -> V' sie

bei h(p) hat, und da diese eine Abbildung zwischen offenen Mengen in Euklidischen Räumen ist, sind wir mit ihr

^ Fig. 6. Mittels Karten herunterge-

ganz im vertrauten Rahmen der Differentialrechnung in

holte stetige Abbildung zwischen Mannigfaltigkeiten.

mehreren Variablen. Ist die Eigenschaft auch noch unabhängig von der Wahl der Karten, so brauchen wir die Karten nicht anzugeben, sondern können sagen, / habe bei p die Eigenschaft bezüglich einer (dann jeder) Wahl von Karten oder kürzer: bezüglich Karten oder eben ganz kurz: / habe diese Eigenschaft bei p. Insbesondere: Definition: Eine stetige Abbildung / : M —> N zwischen Mannigfaltigkeiten heißt differenzierbar bei p e M , wenn sie es bezüglich Karten ist. Differenzierbar schlechthin heißt / , wenn es überall, also bei jedem p e M differenzierbar ist, und ist / bijektiv und / und f~x beide differenzierbar, so nennt man / einen Diffeomorphismus. D

1.3 Der Rang Die Jacobi-Matrix der heruntergeholten Abbildxmg ist nicht unabhängig yon der Kartenwahl, sie wird ja gemäß der Kettenregel beim Übergang zu anderen Karten durch die Kartenwechsel verändert. Wohl aber bleibt der Rang der Jacobi-Matrix derselbe, denn die Kartenwechsel sind Diffeomorphismen, und daher kann man definieren:

Kapitel 1. Mannigfaltigkeiten Definition: Ist f : M -* N bei p differenzierbar, so heißt der Rang der Jacobi-Matrix bezüglich Karten der Rang von / bei p D und wird mit rg p / bezeichnet. Wie Sie aus der Differentialrechnung in mehreren Veränderlichen wissen, regiert der Rang grundlegende Eigenschaften des lokalen Verhaltens diffeFig. 7. Weshalb / bei p bezüglich (/ii.fcj.) renzierbarer Abbildundenselben Rang wie bezüglich {h2,k%) hat. gen. Die diesbezüglichen Sätze der Differentialrechnung übertragen sich sofort auf Abbildungen zwischen Mannigfaltigkeiten, da wir sie ja auf die heruntergeholten Abbildungen anwenden können. So lautet dann der Umkehrsatz Umkehrsatz: Ist f : M —> N eine differenzierbare Abbildung zwischen zwei Mannigfaltigkeiten der gleichen Dimension n und ist p e M ein Punkt mit rgpf = n, dann ist f bei p ein lokaler Diffeomorphismus. D Den Umkehrsatz kann man als den Mittelpunkt einer Anhäufung grundlegender lokaler Resultate der Differentialrechnung ansehen. Von ihm aus erreicht man die verwandten Sätze als Korollare, so zum Beispiel den scheinbar allgemeineren Satz vom regulären Punkt: Ist f : M —> N eine differenzierbare Abbildung zwischen zwei Mannigfaltigkeiten und p e M ein regulärer Punkt von f (d.h. es gilt vgpf = dim N), so ist f lokal bei p bezüglich geeigneter Karten die kanonische Projektion. D Ganz ausführlich gesagt soll das heißen: Es gibt Karten (U, h) um p und (V,k) um f(p) mit f(U) C V, so daß die heruntergeholte Abbildung k o / o h'1 : U' -^ V' durch (z.B.) V**'l; * • • ; ^Si ^ s + l ; • • • ; ^S-Yn)

gegeben ist, wobei wir hier einmal mit s sionen von M und N bezeichnet haben.

L,--

-,Xs+n)

n und n die Dimen-

1.4 Untermannigfaltigkeiten Ebenfalls als einen Abkömmling des Umkehrsatzes erhält man schließlich den noch allgemeineren Rangsatz, vergl. z.B. [BJ], S.46: Rangsatz: Hat die differenzierbare Abbildung f : M —> N in einer Umgebung von p e M konstanten Rang r, so ist sie bezüglich geeigneter Karten lokal um p von der Form (x,y) .

> (x,0),

wenn r + s und r + n die Dimensionen von M und N sind. D

1.4

Untermannigfaltigkeiten

Der Satz vom regulären Punkt macht eine wichtige Aussage über das Urbild /"^(g) eines Punktes q e N, sofern die Elemente P e f~l(i) a H e regulär sind. Solche Punkte q nennt man übrigens reguläre Werte: Sprechweise: Ist / : M —> N eine differenzierbare Abbildung, so heißen die nicht regulären Punkte p e M kritische oder singuläre Punkte von / , und ihre Bildpunkte unter / heißen kritische oder singuläre Werte von / , während alle übrigen Punkte von N reguläre Werte von / genannt werden. D kritischer Punkt

kritischer Wert

regU läre

, Punkte

?/

regulärer Wert

Fig. 8. Reguläre und kritische Punkte und Werte

Beachte, daß wir hierbei also die Konvention getroffen haben, einen Punkt q e N auch dann regulären Wert zu nennen, wenn

Kapitel 1. Mannigfaltigkeiten / l{q) leer ist, obwohl q dann ja gar keiner der "Werte" von / ist. Sind nun M und iV Mannigfaltigkeiten mit dimM = n+s und dimN = n, und ist q e N regulärer Wert einer differenzierbaren Abbildung / : M —> N, so gibt es um jeden Punkt p des Urbildes Mo :— f~x{q) eine Karte (U, h) von M mit der Eigenschaft h(Uf\M0)=

Rsnh(U),

wobei Rs C Rs+n wie üblich als Ks x 0 C Ms x R n verstanden wird. Wir dürfen nämlich von den beiden Karten (U, h) und (V, k), die uns der Satz vom regulären Punkt liefert ohne weiteres auch k(q) = 0 fordern, und dann leistet (U, h) schon das Gewünschte. Die Teilmenge MQ C M liegt also bezüglich geeigneter Karten js+n , und deshalb nennt man überall so in M darin wie m sie eine s-dimensionale Untermannigfalügkeü von M. Genauer: Definition: Sei M eine n-dimensionale Mannigfaltigkeit. Einen Teilraum MQ C M nennt man eine

k-dimensionale Untermannigfaltigkeit, wenn

Mo

es um jeden Punkt von Mo eine Karte (U, h) von M mit h(UDM0) = RkDh(U) gibt. Eine solche Karte soll

eine Untermannigfaltigh(U) :

nh(u)

keitskarte oder salopp ein Flachmacher für MQ in M heißen. Die Zahl n — k nennt man die KodimenD sion von Mo in M.

Fig. 9. Flachmacher

Natürlich führt Mo nicht umsonst diesen Namen: Die Menge 2l0 der aus den Flachmachern gewonnenen Karten (U n Mo,h\U D MQ) ist offenbar ein /c-dimensionaler differenzierbarer Atlas für Mo, der also eine differenzierbare Struktur

1.5 Beispiele 2?(2to) =: V\M0 erzeugt, und da sich das zweite Abzählbarkeitsund das Hausdorffaxiom auf Teilräume übertragen, ist (Mo, V\M0) eine fc-dimensionale differenzierbare Mannigfaltigkeit, als die wir Mo künftig auch immer betrachten. In den beiden Extremfällen k = 0 und k = n reduziert sich die Untermannigfaltigkeitsbedingung auf eine bloße topologische Forderung: die O-dimensionalen Untermannigfaltigkeiten von M sind genau die diskreten, die O-kodimensionalen genau die offenen Teilmengen von M. Über das Urbild eines regulären Wertes können wir nun kurz und bündig sagen: Satz vom regulären Wert: Ist q e N regulärer Wert einer differenzierbaren Abbildung f : M —> - N, so ist sein Urbild f~l{q) C M eine Untermannigfaltigkeit, deren Kodimension gleich der Dimension von N ist. D

1.5

Beispiele von Mannigfaltigkeiten

Genau genommen habe ich außer der alldimensionalen leeren Mannigfaltigkeit noch kein einziges Beispiel angegeben. Gibt es denn überhaupt Mannigfaltigkeiten? Will man Mannigfaltigkeiten direkt nach dem Wortlaut der Definition angeben, ohne weitere Hilfsmittel heranzuziehen, so muß man einen "zweit-abzählbaren" Hausdorffraum M und eine differenzierbare Struktur T> für M beschreiben. Ganz explizit braucht man für V natürlich nur eiiien (vielleicht eher kleinen) differenzierbaren Atlas 2t anzugeben, um dann T> als den maximalen 21 umfassenden Atlas 2?(2l) zu definieren. Am einfachsten auf diese Weise zu erhalten ist das lokale Modell aller n-dimensionalen Mannigfaltigkeiten, der R n , den wir natürlich als die Mannigfaltigkeit

aufFassen. Und damit höre ich auch schon wieder auf, Mannigfaltigkeiten direkt anzugeben! Im wirklichen Leben begegnen Ihnen nämlich Mannigfaltigkeiten eher selten auf diese Weise. Lassen Sie mich das anhand eines Vergleichs aus der Analysis I erläutern.

10

Kapitel 1. Mannigfaltigkeiten

Eine reelle Funktion einer reellen Variablen heißt stetig an der Stelle xo, wenn es zu jedem e > 0 ein ö > 0 gibt, so daß usw. Man sieht daraus sofort, daß konstante Funktionen stetig sind (5 beliebig) und daß die identische Funktion stetig ist (z.B. 5 := e). Wenn Sie aber begründen sollen, weshalb die durch f(x) := arctan(x+-\/a;4 + e coshx ) oder dergleichen gegebene Funktion stetig ist: fangen Sie dann an, zu jedem e > 0 ein S > 0 zu suchen, so daß etc? Nein, sondern Sie kennen aus der Theorie stetige Funktionen hervorbringende Prozesse, z.B. ergeben Summen, Produkte, Quotienten, gleichmäßig konvergente Reihen, Hintereinanderschaltung, Umkehrung (auf Monotonie-Intervallen) stetiger Funktionen wieder stetige Funktionen, und Sie sehen natürlich sofort, daß die obige Funktion durch Anwenden solcher Prozesse aus den konstanten und der identischen Funktion hervorgeht. Anstatt die definierenden Eigenschaften und Attribute mathematischer Objekte explizit darzulegen, braucht man oft nur auf die Herkunft, den Entstehungsprozess zu verweisen. So gibt es auch Mannigfaltigkeiten hervorbringende Prozesse, und insbesondere ist der Satz vom regulären Wert eine lebhaft sprudelnde Quelle. Die durch f(x) := \\x\\2 gegebene Abbildung / : R n + 1 -> R z.B. hat außer bei x = 0 überall den Rang 1, insbesondere ist 1 € M regulärer Wert und daher sein Urbild /~ 1 (1), die n-Sphäre Sn := {x € K n + 1 | ||a;|| = 1} eine n-dimensionale Untermannigfaltigkeit von M n + 1 . 3 Auch / : R -* K, 2

X^xl+x 2-xl,

ist nur bei x = 0 singulär, deshalb ist iedes c ^ O

^^^^^^^^^^

einschaliges

CS&IZZII2JD

Hyperboloid

\^^^?~~~~

/ /

in M ein regulärer Wert von / und das Hyperboloid f—l(r\ •' ^ '

ojrip

0 di-

r\c), c > 0

\ \ /Y^DoppelkegeirHo) Punkt r — y \ [ f-ir } / / \ Y ',,•

kritischer

x \

zweiscnaliges

A ^ ^ ^ ^ k Hyperboloid ^ Ä ^ — =^^ ^S- 10. Hyperboloide als Untermannigfaltigkeiten nach dem Satz vom regulären Wert.

mensionale Untermannigfaltigkeit von M (eine "Fläche im Raum"). - Noch eine dritte und schon wesentlich interessantere Anwendung des Satzes vom regulären Wert möchte ich nennen. Diesmal sollen die beiden Mannigfaltigkeiten M und N zwei endlich-

1.5 Beispiele

11

dimensionale Vektorräume sein, es sei nämlich n > 1 und M := M(n x n , l ) = R" , der Raum der reellen n x n-Matrizen, und JV := S(n x n, R) ^ ]R5™(™+1), der Unterraum der symmetrischen Matrizen. Ist A e M(n x n, R), so bezeichnen wir mit *A die zu A transponierte Matrix. Ferner sei E die n x nEinheitsmatrix. Eine Matrix ^4 heißt bekanntlich orthogonal, wenn lA- A — E gilt. Lemma: -Für die Abbildung f : M(n x n, M) A i

>• ^(n x n, M) > fA • A

ist die Einheitsmatrix E ein regulärer Wert, die orthogonale Gruppe also eine \n{n — l)-dimensionale Untermannigfaltigkeit von M(n x n , I ) . BEWEIS: Um zu zeigen, daß / bei A e O{n) regulär ist, brauchen wir nicht eine | n ( n +1) x n2-Jacobi-Matrix explizit auszurechnen um ihren Rang zu untersuchen, sondern wir erinnern uns an die Beziehung zwischen Jacobi-Matrix und Richtungsableitung in der Differentialrechnung: Allgemein gilt

Daher genügt es zu zeigen, daß es zu jedem A e O(n) und jedem B e S(n x n, R) eine Matrix X e M(n x n, K) gibt, so daß

d.h. Jf(A)X=B gilt, denn dann ist die Jacobi-Matrix von / bezüglich linearer Karten als surjektive Abbildung M™ —> R2rH™+1) nachgewiesen, / also vom vollen Rang ^n(n + 1) bei A. Wir brauchen also nur zu jeder symmetrischen Matrix B eine Matrix X mit *X • A + fA • X = B

12

Kapitel 1. Mannigfaltigkeiten

zu finden. Wegen der Symmetrie von B genügt es dafür, X mit

zu finden, denn lX • A = *(*/L • X ) , und das ist sogar für alle invertierbaren A möglich, wir setzen einfach X := i ^A^B. D Beachte, daß damit auch die spezielle orthogonale

Gruppe

SO(n) := { A e O{n) | det A = + 1 } als \n(n—l)-dimensionaleUntermannigfaltigkeit von M(nxn, M) nachgewiesen ist, denn SO(n) ist offen in O(n). — Ganz ähnlich wendet man den Satz vom regulären Wert auch an, um andere "Matrizengruppen", wie etwa U{n) oder SU(n), als Untermannigfaltigkeiten von Matrizenvektorräumen zu erkennen. In der linearen Algebra studiert man lineare Gleichungssysteme A • x = b. Die Lösungsmenge eines solchen Systems ist nichts anderes als das Urbild A~l{b) des Wertes b unter der linearen Abbildung A. Nun, die Urbilder f~l{q) differenzierbarer Abbildungen sind eben die Lösungsmengen nichtlinearer Gleichungssysteme. Daß es im regulären Fall Untermannigfaltigkeiten sind und man deshalb Analysis darauf betreiben kann, ist eines der Motive für das Studium der Mannigfaltigkeiten.

1.6 Summen, Produkte und Quotienten von Mannigfaltigkeiten Zum Schluß dieses Paragraphen besprechen wir nun drei weitere Mannigfaltigkeiten hervorbringende Prozesse, nämlich das Bilden von Summen, Produkten und Quotienten. Der primitivste Vorgang ist dabei das Summieren (siehe z.B. [3:Top], S. 12), das bloße Nebeneinanderstellen von Mannigfaltigkeiten durch disjunkte Vereinigung:

1.6 Summen, Produkte und Quotienten

13

Notiz: Die Summe oder disjunkte Vereinigung M + N zweier ndimensionaler Mannigfaltigkeiten ist in kanonischer Weise wieder eine. D Sind 21 und 53 Atlanten für M und N, so deren disM+N junkte Vereinigung 21 Ü 23 —: 21 + 03 in offensichtlicher Weise für M + N, und wenn wir die obige Notiz etwas förmlicher fassen wollten, so hätten wir die differenzierbare Struktur für M + N durch V(Vi + T>2) anzugeben, wenn T>i,V2 die Fig. 11. Karten für die Summanden Strukturen von M und N sind auch Karten für die Summe; sind. Auch r>(r»(2l)+r>(53)) Atlas a+!B bleibt differenzierbar, keine neuen Kartenwechsel hin= 2? (21 + 03) wäre dann viel- da zukommen. leicht des Bemerkens wert. Ebenso kann man natürlich mit mehreren, ja sogar abzählbar vielen Summanden M», i — 1,2,... verfahren und deren Summe oder disjunkte Vereinigung

4= 1

bilden, nicht jedoch mit überabzählbar vielen, weil das zweite Abzählbarkeitsaxiom erfüllt bleiben muß. Sehr häufig hat man das Produkt zweier Mannigfaltigkeiten zu bilden. Topologisch handelt es sich dabei natürlich um das wohlbekannte kartesische Produkt, und die differenzierbare Struktur erhält man aus den Produkten der Karten der Faktoren. Notiz: Das Produkt M x N einer k- mit einer n-dimensionalen Mannigfaltigkeü ist in kanonischer Weise eine (k + n)-dimensionale Mannigfaltigkeü. D Wir dürfen uns die Schreibweise 2t x 03 := { (U x V, h x k) \ ([/, h) e 21, (V, k) e 03 }

14

Kapitel 1. Mannigfaltigkeiten

für den Produktatlas wohl ruhig erlauben, denn das Kartenprodukt

U xV Si

hxk

U' x V' C Kfe x W1 -off

enthält nur dann nicht dieselbe Information wie das Paar (h, k), wenn eine der beiden Karten leer ist, und in dieser Notation ist die in der Notiz gemeinte differenzierbare Struktur von M x N natürlich V := £>(£>i x V2), wenn Vx = X»(2t) und V2 = X>(*B) die Strukturen von M und N sind, und man sieht leicht, daß dann auch V = D(2l x M eine fixpunktfreie Involution, d.h. eine differenzierbare Abbildung mit r o r = MM und T(X) ^ x für alle x e M. Dann ist der Quotientenraum von M nach der durch x ~ T{X) beschriebenen Aquivalenzrelation, welcher mit M/T bezeichnet sei, in kanonischer Weise ebenfalls eine n~dimensionale Mannigfaltigkeit: seine differenzierbare Struktur ist die einzige, für die M M/T

überall lokal diffeomorph ist. Natürlich kann es höchstens eine solche Struktur geben, denn die Identität auf M/T bezüglich zweier wäre jedenfalls lokal difFeomorph, also überhaupt difFeomorph:

BEWEIS:

M

(M/T) Id

(vgl. Aufgabe 2). — Um M/r als Hausdorffraum nachzuweisen, betrachten wir zwei Punkte ir(p) ^ ir(q) s M/T. Da M Hausdorffraum ist, können wir offene Umgebungen U und V von p und q so klein wählen, daß U D V — 0 und U D T(V) = 0. Dann sind TT(U) und n(V) trennende Umgebungen von n(p) und ir(q).

16

Kapitel 1. Mannigfaltigkeiten

Ist ferner { C/j }j

eine abzählbare Basis für M, so {ir(Ui) }»e für M/T . Bisher haben wir noch nicht ausgenutzt, daß r fixpunktfrei ist. Das tun (U) wir aber jetzt, indem wir ein U C M klein nennen, wenn U n T(U) = 0 gilt und feststellen, daß M "lokal klein" ist, d.h. daß in jeder Umgebung eines PunkJT(U) C M/r tes eine kleine Umgebung steckt. Ist U C M eine kleine offene Menge, so ist n\U : U - ^ n(U) ein Homöomorphismus, und Fig. 13. Karten für die Quotienten- jede kleine Karte (U, h) mannigfaltigkeit M/T. von M definiert daher eine Karte (n(U),h) für M/T. Die kleinen Karten bilden einen Atlas 21 für M, und %:={(n(U),h)\(U,h)e%}

einen für M/r. Die zugehörige differenzierbare Struktur 2?(2l) hat die gewünschte Eigenschaft. D Beispiel: Die Quotientenmannigfaltigkeit

der n-Sphäre nach der antipodischen Involution x \—> — x heißt (ist) der n-dimensionale reelle projektive Raum. D Das ist der reelle projektive Raum als differentialtopologisches Objekt, sollte ich vielleicht sagen. Vom algebraischen Standpunkt aus ist es nicht sachgemäß, bei der Definition des projektiven Raumes die Sphäre zuhilfe zu nehmen. Für jeden Vektorraum V über einem beliebigen Körper K kann man den zugehörigen projektiven Raum KP (V) als die Menge der 1-dimensionalen Teilräume von V und insbesondere K P n := KP(K n + 1 ) definieren, dazu braucht man keine Norm in V oder K n + 1 . Daß für K = R

1.7 Genügen Untermannigfaltigkeiten?

17

gilt, ist offensichtlich, und aber kanonisch RF(M™ +1 ) = Sn/-Id für die differentialtopologische Betrachtung von RP n ist die Quotientenbildung Sn -> R P n sehr nützlich. Übrigens ist es auch einfach, für MP n einen Atlas direkt anzugeben: beschreibt man die Punkte des projektiven Raumes in "homogenen Koordinaten" als [x0 : • • • : xn] e MP n fiir (x Oj ...,xn) e R n + 1 \ 0, so ist durch Ut := { [x] | xt ^ 0 } und 0 hi[x] := (^ -,..., i, • • •, f0-) für i = 0 , . . . , n ein Atlas aus n + 1 Karten definiert.

1.7 Genügen uns Untermannigfaltigkeiten euklidischer Räume? Auf einen besonderen Aspekt der Quotientenbildung möchte ich Sie zum Schluß noch aufmerksam machen. Wenn wir mit dem Mn und seinen offenen Untermannigfaltigkeiten als den einfachsten Beispielen starten und durch reguläre Urbilder, Summen und Produkte neue Mannigfaltigkeiten erzeugen, so erhalten wir doch immer wieder Untermannigfaltigkeiten Euklidischer Räume. Erst durch Quotientenbildung entsteht etwas ganz Neues, z.B. eine "Fläche" RP 2 = S2/~, die nicht mehr vom Raum M3 umgeben ist und uns deshalb die Notwendigkeit einer mathematischen Fassung des Begriffes "Fläche an sich" (allgemeiner eben des Mannigfaltigkeitsbegriffes) viel deutlicher macht als etwa die Sphäre S2, die wir auch als geometrischen Ort in M3 begreifen können. Das ist soweit eine ganz gute Bemerkung, aber ich will Ihnen nicht verschweigen, daß es in der Differentialtopologie ein klassisches Theorem gibt, welches wieder in die andere Richtung zu weisen scheint, nämlich den Whitneyschen Einbettungssatz. Eine Abbildung / : M —> N heißt eine Einbettung, wenn f(M) C N eine Untermannigfaltigkeit und / : M —> f{M) ein Diffeomorphismus ist. Der Einbettungssatz von Whitney (vergl. z.B. [BJ], S. 73) besagt nun, daß man jede n-dimensionale Mannigfaltigkeit in den M n+ einbetten kann und sogar mit abgeschlossenem Bild. Jede Mannigfaltigkeit ist also diffeomorph zu einer

18

Kapitel 1. Mannigfaltigkeiten

abgeschlossenen Untermannigfaltigkeit eines M / Brauchen wir die "abstrakten" Mannigfaltigkeiten dann aber wirklich noch? Nun, die Einbettbarkeit der Mannigfaltigkeiten in die Räume M ist eine von mehreren interessanten Eigenschaften dieser Objekte und manchmal bei Beweisen und Konstruktionen nützlich. Aber wie Sie wissen, bedeutet die bloße Existenz einer Sache noch nicht, daß diese Sache nun auch gleich zuhanden oder kanonisch gegeben wäre. So, wie uns die Mannigfaltigkeiten - zum Beispiel als Quotientenmannigfaltigkeiten — in der Natur begegnen, führen sie im allgemeinen keineswegs eine Einbettung in einen RN im Reisegepäck mit sich. Würden wir uns, in der trügerischen Hoffnung auf Bequemlichkeit, beim weiteren Ausbau der differentialtopologischen Begriffe auf Untermannigfaltigkeiten von M.N beschränken, so mitßten wir bei jeder Anwendung auf eine "Naturmannigfaltigkeit" diese erst einbetten (was im konkreten Fall sehr lästig sein kann), ferner die Abhängigkeit der Begriffe und Konstruktionen von der Wahl der Einbettung unter Kontrolle halten (denn eine kanonische Einbettung gibt es meist nicht), und schließlich fänden wir uns für alle diese Anstrengungen nicht einmal belohnt, denn Untermannigfaltigkeiten im RN, deren Lage im Raum ja durch Gleichungen und Bedingungen irgendwie beschrieben werden muß, sind gar nicht bequemer zu handhaben, und das Formelwesen - etwa der Integration auf Mannigfaltigkeiten - wird in den Koordinaten des umgebenden Raumes in der Tat nur wüster statt einfacher. Im nächsten Kapitel wollen wir daher den zentralen BegrifF des Tangentialraum.es mit aller Sorgfalt für beliebige, nicht notwendig von einem RN umgebene Mannigfaltigkeiten einführen.

1.8 Test (1) Ist jede n-dimensionale Karte zugleich auch m-dimensionale Karte für alle m > n? D Ja.

1.8 Test

19

D Das ist Auffassungssache und hängt davon ab, ob man zwischen Mn und Mn x 0 C M.m in diesem Zusammenhang unterscheiden will oder nicht. D Nein, denn für U ^ 0 und m > n ist dann jedenfalls U' nicht offen in Rm. (2) Besteht die differenzierbare Struktur V einer n-dimensionalen Mannigfaltigkeit (M, T>) genau aus allen Diffeomorphismen offener Teilmengen U von M mit offenen Teilmengen U' von D Ja. D Nein, denn Karten brauchen keine Diffeomorphismen zu sein (nur Homöomorphismen). D Nein, denn es gibt i.a. viel mehr solcher Diffeomorphismen. (3) Besitzt jede (nichtleere) n-dimensionale Mannigfaltigkeit eine Karte, deren Bildbereich U' der ganze Rn ist? D Ja, denn durch Verkleinern einer beliebigen Karte kann man jedenfalls eine offene Kugel als Bildbereich erzielen, und eine offene Kugel ist bekanntlich zu R™ diffeomorph. D Nein, M := Dn := { x | ||a;|| < 1} C R n ist schon ein Gegenbeispiel, denn eine Teilmenge einer offenen Kugel ist bekanntlich nicht zum ganzen Mn homöomorph, geschweige difFeomorph. D Nein, für kompakte Mannigfaltigkeiten (z.B. Sn) ist das nach dem Satz von Heine-Borel nicht der Fall. (4) Gibt es auf jeder (nichtleeren) n-dimensionalen Mannigfaltigkeit, n > 1, eine nichtkonstante differenzierbare Funktion? D Ja, zum Beispiel die n Komponentenfunktionen einer jeden Karte. D Nein, z.B. gibt es keine nichtkonstante Funktion S1 —>• M (obwohl es nichtkonstante differenzierbare Abbildungen R -* S1 gibt), weil R nicht "geschlossen" ist.

Kapitel 1. Mannigfaltigkeiten

20

D Ja, man wähle eine Karte h : U —» U' und eine nichtkonstante difFerenzierbare Punktion

^ } keine endliche Teilüberdeckung besitzt, oder Sie berufen sich darauf, daß die Folge (\)k=i,2,... in Dn \ 0 keine konvergente Teilfolge hat. — Sollte man nicht diesen Sachverhalt irgendwie mittels einer Karte um p für die Aufgabe ausnutzen können? Irgendwie schon. Aber

Kapitel 1. Mannigfaltigkeiten

24

Vorsicht: die Behauptung wird falsch, wenn wir die HausdorffForderung an M fallen lassen. Es muß also auch die HausdorfFEigenschaft in den Beweis eingehen! Zu

AUFGABE

5: Von Natur aus ist Sn x Sk C

^ zu Zwischenschritt wird vorgeschlagen, S " x R ^ Rn+1 \ 0 zu zeigen. Das erinnert an Polar- oder Kugelkoordinaten. Aber folgt so nicht eher Sn x K+ ^ R n + 1 \ 0, also mit dem Faktor l + : = { r e M | r > 0 } statt R? Und was würde Sn x R = M n+1 \ 0 uns denn für die Aufgabe selbst helfen?

pn+l

pfe+1 _

19.

Zu AUFGABE 6: Der erste Teil ist eine unproblematische Formulierungsübung. Für die Zusatzfrage muß man sich erst durch anschauliche Vorstellung einen Ansatz verschaffen. Schon für M — K und k = 0 findet man ein Gegenbeispiel. Das soll auch genügen! Noch besser wäre freilich der Nachweis, daß es Gegenbeispiele für jedes n-dimensionale M ^ 0 und 0 < k < n — 1 gibt. Die nebenstehenden Skizzen sollen Ideen für mögliche Vorgehensweisen geben. Das Hauptproblem ist dann freilich der Nachweis, daß eine angegebene Teilmenge von M wirklich keine UntermanFig. 20. Fig. 21 nigfaltigkeit ist. Zu AUFGABE 7: Matrizengruppen wie O(Q) sind wichtige Beispiele von Liegruppen. Für

Q(x)

=xl-x\-x\-x\

auf dem M4 ist O(Q) zum Beispiel die Lorentzgruppe. — Aus der linearen Algebra werden Sie wissen (siehe z.B. Abschnitt 11.5 in [ J:LiA]), daß es zu einer quadratischen Form Q auf dem M.n

1.10 Hinweise zu den Übungsaufgaben

25

eine wohlbestimmte symmetrische n x n-Matrix C gibt, so daß Q(x) —l x-C-x. Daß Q nichtentartet ist bedeutet, daß C den Rang n hat. Wenn C in diesem Sinne die Matrix der quadratischen Form Q ist, welche Matrix hat dann QoA ? Versuchen Sie nun, den Satz vom regulären Wert so anzuwenden, wie wir es in Abschnitt 1.5 für O(n) schon getan haben. Zu AUFGABE 8: Nennt man zwei Punkte a,b e M äquivalent, a ~ b, wenn sie durch einen stetigen Weg a: [ 0,1 ] —> M verbindbar sind, dann sind die Aquivalenzklassen die sogenannten Wegzusammenhangskomponenten von M. Sie sind offen (weshalb?) und es können nur abzählbar viele sein (weshalb?). Sei k e N Uoo ihre Anzahl, und denken wir sie uns als M\,..., Mk bzw. als ( M J ) J € N (falls k = oo) numeriert, "abgezählt". Sie sollen nun zeigen, daß die kanonische Bijektion k

JJ

Af

(nämlich welche?) ein DifFeomorphismus ist. Inhaltlich gesehen ist das eine Routine-Nachprüfung, aber Sie können dabei testen, ob sich Ihre anschaulichen Vorstellungen von der Summe in hieb- und stichfeste Argumente umsetzen lassen.

2

Der Tangentialraum

2.1 Tangentialräume im euklidischen Raum Es ist eine Grundidee der Differentialrechnung, differenzierbare Abbildungen durch lineare zu approximieren, um so nach Möglichkeit analytische Probleme (schwierig) auf linear-algebraische (einfach) zurückzuführen. Die lineare Approximation einer Abbildung / : R n —> K lokal bei x ist bekanntlich das sogenannte Differential dfx : Kn —> Rfe von / bei x, charakterisiert durch f(x + v) = f(x) + dfx • v + N zwischen Mannigfaltigkeiten lokal bei p e M durch eine lineare Abbildung approximieren? Natürlich können wir jederzeit das Differential d(k o / o hrx)x der mittels Karten heruntergeholten Abbildung betrachten. Dieses Differential hängt aber von der Wahl der Karten wirklich ab, wie es ja eben auch k o f o h"1 und nicht / selbst approximiert. Wollen wir indessen ein kartenunabhängiges Differential für / selbst definieren, so haben wir eine Vorarbeit zu leisten: wir müssen zunächst einmal die Mannigfaltigkeiten M und N lokal bei p und f(p) "linear", d.h. durch Vektorräume, approximieren. Erst danach können wir das Differential als eine lineare Abbildung dfp : TpM -+ Tf{p)N

Fig. 22. Tangentialraum TPM

zwischen diesen sogenannten Tangentialräumen erklären. Der Einführung dieser Tangentialräume ist das gegenwärtige Kapitel 2 gewidmet.

2.1 Tangentialräume im

27

Um uns zu orientieren, betrachten wir zuerst die Untermannigfaltigkeiten der euklidischen Räume R n . Hier bietet sich eine naheliegende Weise an, den Tangentialraum - analog zur klassischen Tangentialebene an eine Fläche im Raume - zu definieren: Lemma und Definition: Ist M C RN eine n-dimensionale Untermannigfaltigkeit und p e M, so ist der durch rpUIit

M := (dh}

h,

fxO)

für eine M ßachmachende Karte (U,h) von RN um p deßnierte Untervektorraum des RN unabhängig von der Wahl der Karte

"Flachmacher" um p

Fig. 23. Tangentialraum einer Untermannigfaltigkeit des RN

und heißt der (Untermannigfaltigkeits-) M am Punkte p .

Tangentialraum

von

Der Kartenwechsel w zweier Flachmacher (U, h) und (V,h) umpmußja h(UnV)n(Rn x 0) auf h{Uf]V)n(Rn x 0), sein Differential bei h(p) also Mn x 0 auf K " x O abbilden, wegen {dhv)~l — (dhp)~l o (dw^p))"1 folgt daraus die Behauptung; T£ntM ist also wohldefiniert. D BEWEIS:

'M R,

welche für alle f , g & £P(M) d i e P r o d u k t r e g e l

«(/ • 9) = v{f) • g(p) + f(p) • v(g) erfüllt. Den Vektorraum dieser Derivationen bezeichnen wir mit TplsM, er heiße der (algebraisch definierte) Tangentialraum von M bei p. D Nun zur dritten Version, der Fassung (c). In der physikalischen Literatur wird gewöhnlich in Koordinaten gerechnet, und dann meist in einem Kalkül, in dem die Stellung der Indices (oben oder unten) von Bedeutung ist, dem in der Differentialgeometrie so genannten Ricci-Kalkül. In diesem Ricci-Kalkül heißt das, was wir einen Tangentialvektor nennen, ein kontravarianter Vektor, und das sei, kurz gesagt, ein n-tupel, notiert als (v1,..., vn) oder ggf. (v°, v1, v2, v3) oder kurz als vß, welches sich nach dem Gesetz

"transformiert". Dabei wird, wie stets im Ricci-Kalkül, über doppelt (und gegenständig, d.h. oben und unten) innerhalb eines Terms vorkommende Indices summiert, hier also über v ("Summenkonvention"). Was soll das alles bedeuten? Übersetzt in unsere Sprache das folgende:

32

Kapitel 2. Der Tangentialraum

Definition (c): Es sei M eine n-dimensionale Mannigfaltigkeit, p e M. Es bezeichne VP(M) := {(U,h) e V | p e U} die Menge der Karten um p. Unter einem ("physikalisch" definierten) Tangentialvektor v an M in p verstehen wir eine Abbildung v : VP(M) -> Mn

mit der Eigenschaft, daß für je zwei Karten die zugeordneten Vektoren in M.n durch das DifFerential des Kartenwechsels auseinander hervorgehen, d.h. daß

für alle (U, h), (V, k) e Vp(M) gilt. Den Vektorraum dieser Abbildungen v bezeichnen wir mit r ^ h y s M , er heiße der (physikalisch definierte) Tangentialraum von M bei p. D

:(z\..,z")/

\*=(21,..,*B)

/

Fig. 28. Zur Interpretation des Transformationsgesetzes für "kontravariante Vektoren": Matrix des Kartenwechsels x^^x^

1

^ ist die Jacobin ,...,x ), p=l,...,n.

Es liegt mir übrigens fern, den Ricci-Kalkül ironisieren zu wollen. Es ist ein sehx eleganter das explizite Rechnen anleitender, gleichsam maschinenlesbarer Kalkül, und er ist in der physikalischen Literatur in ständigem Gebrauch, weil es einen besseren operativen Kalkül für die Vektor- und Tensoranalysis nach wie

2.3 Äquivalenz der drei Fassungen

33

vor nicht gibt. Diese Vorzüge — die Sie bei näherer Bekanntschaft noch mehr zu schätzen lernen werden — sind aber mit gewissen Nachteilen erkauft. Die Eleganz einer Notation beruht meist auf der Unterdrückung "unwichtiger" Daten, und für das effiziente Handhaben von Formeln sind eben andere Dinge wichtig als für die logische Klärung geometrischer Grundbegriffe. Deshalb müssen wir jetzt einmal einen "kontravarianten Vektor", statt mit zierlichem v^, mit der plumpen Ausführlichkeit des v : VP(M) -> Mn,

(U, h) ^ v(U, h)

bezeichnen. Als Verbesserungsvorschlag zum täglichen Gebrauch für Physiker ist das nicht gedacht.

2.3

Äquivalenz der drei Fassungen

Wir wollen uns nun davon überzeugen, daß die drei Versionen des Tangentialraumbegriffs im wesentlichen dasselbe bedeuten. Sehen Sie aber das folgende Lemma nicht als Strafe für mutwilliges Dreifach-Definieren an, sondern als ein ganzes System von unentbehrlichen Hilfssätzen über den Tangentialraum, die in dieser Form am übersichtlichsten zusammengefaßt sind. Lemma: Die im folgenden näher beschriebenen kanonischen Abbildungen (3)

*

\

(1)

(2)

sind miteinander verträgliche Bijektionen, d.h. die Zusammensetzung von je zweien ist invers zur dritten. PRÄZISIERUNG UND BEWEIS:

zuerst einmal an:

Geben wir die drei Abbildungen

34

Kapitel 2. Der Tangentialraum

(1) Geometrisch -——*- algebraisch: Ist [a] ein geometrisch deßnierter Tangentialvektor an M in p, so ist durch £P(M) /

> R i

> (/oa)'(O)

eine Derivation, also ein algebraisch deßnierter Tangentialvektor gegeben. — Natürlich sind hierbei einige kleine Nachweise zu führen: Die Unabhängigkeit von der Wahl der repräsentierenden Funktion innerhalb des Keimes ist evident und wird von unserer Notation zurecht schon vorweggenommen. Die Unabhängigkeit von der Wahl des Repräsentanten a e JCP(M) von [a] e T&eomM prüft man mittels einer Karte (U,h) um p: oBdA repräsentiert / : U —>• M den Keim und oBdA haben a und ß denselben genügend kleinen Definitionsbereich (—e,e):

a,ß

Fig. 29. Tangential äquivalente Kurven definieren nach der Kettenregel dieselbe Derivation / n ( / o a ) ' ( 0 ) .

Dann ist (h o a)' (0) = (h o ß)' (0) nach Voraussetzung und daher (/ o h~x o h o a)' (0) = ( / o h~l o h o ß)' (0) nach der Kettenregel. — Daß schließlich die nun für gegebenes [a] als wohldefiniert erkannte Abbildung £P(M) —> M, />—>(/ o a)'(0), wirklich eine Derivation ist, folgt aus der Produktregel für Funktionen (-£,£)-»• M.

(2) Algebraisch -——>- physikalisch: Ist v : £P(M) —> M eine Derivation, so ist durch Vp(M) (U,h) i

> Mn >

(v(hi),...,v(hn))

2.3 Äquivalenz der drei Fassungen

35

ein physikalisch deßnierter Tangentialvektor gegeben, behaupten wir. Sind (U,h) und (V,k) Karten um p und w := k o hT1 auf h(U fl V) der Kartenwechsel, so haben wir also

zu zeigen. — Hier ist nun die einzige Stelle in unserer Untersuchung des Verhältnisses der drei Tangentialraum-Definitionen untereinander, wo man wirklich einen kleinen Kunstgriff braucht. Von v wissen wir nur, daß es eine Derivation ist. Deshalb sollten wir versuchen, irgendwie zu einer Darstellung der Form n

' J2 9ij zu gelangen, um die Produktregel auch ausnutzen zu können. Das gelingt mit dem folgenden HlLFSSATZ: Sei O C M.n eine bezüglich 0 sternförmige offene Menge, z.B. eine offene Kugel um 0 oder Mn selbst. Ist dann f : ü -> E eine differenzierbare (= C°°) Funktion mit /(0) = 0, so gibt es differenzierbare Funktionen /,• : 0, —> K mit

gilt /(#) = Jg1 -^f(txi,.. .,txn)dt x /o 53?= i j ~dx~ ( ^ i ' • • • > txn)dt und wir brauchen daher nur

BEWEIS DES HILFSSATZES: ES =

i

(tXi, . . . ,tXn)dt o

J

"

zu setzen. — Wir dürfen oBdA h(p) = k{p) = 0 und h(U) als eine so kleine ofFene Kugel um 0 annehmen, daß U in V enthalten ist. Gemäß unserem Hilfssatz sind dann die n

ANWENDUNG DES HILFSSATZES:

Kapitel 2. Der Tangentialraum

36

Komponentenfunktionen w\,...,wn Gestalt U

V

des Kartenwechsels von der W

i

=

und wegen k = w o h folgt daraus

y

v

Q

wie wir gehofft hatten, und wenden Fig. 30. Kartenwechsel auf wir darauf nun die Derivation v an, einer offenen Kugel O um 0. g o e r g i b t g i c h w e g e n ^ = Q.

j=i

5=1

aber u;^- (0) ist gerade ^- (0), und damit haben wir die behauptete Formel verifiziert. >- geo(3) Physikalisch metrisch: Ist v : Vp(M) -> M™ ein physikalisch deünierter Tangentialvektor und (U, h) eine Karte um p, und deßniert man a : (—£,e) —> U, für genügend kleines e > 0, durch

U

a{t) := eom soist [a] e T|| M unabhängig F i g 3 1 Z u r D e f i n i t i o n d e r Ab_ hl der Karte. Ist bildung TP h y s M^T| e o r a M. von der Wahl nämlich ß die analoge Kurve bezüglich (V, k) und u; der Kartenwechsel, und benutzen wir k, um die tangentiale Aquivalenz von a und ß zu prüfen, so ist (fc o a)'(0) — (k o ß)'(0) gerade gleichbedeutend mit dwh(p)(v(U, h)) = v(V, k), also mit dem definitionsgemäß erfüllten Transformationsgesetz des physikalisch definierten Tangentialvektors v.

2.4 Die Definition

37

Damit haben wir nun die drei in dem Lemma als kanonisch angekündigten Abbildungen explizit angegeben, wir wollen sie einmal mit 3 o $ 2 = Id T aig M

gilt. Ein geometrischer Tangentialvektor [a] zum Beispiel wird zuerst zur Derivation / H ( / O Q ) ' ( 0 ) , diese zum physikalischen Vektor v(U, h) = (h o CÜ)' (0), mit dem wir schließlich die Kurve ß(t) :— h~l(h(p) +t(hoa)'(0)) konstruieren, die $ 3 o $ 2 c $ i [ a ] repräsentiert. Ist [ß] = [o;]? Ja, denn (h o ß)'(0) ergibt sich direkt als (hoa)' (0). — Analog erweisen sich die anderen beiden Formeln als richtig, und mit dieser Beteuerung beschließen wir D den Beweis des Lemmas.

2.4 Definition des Tangentialraums Wie wollen wir nun den Tangentialraum schlechthin definieren, nachdem klargestellt ist, inwiefern TfomM, T^M und T^SM im Grunde dasselbe Objekt sind? Soll ich einfach sagen: Nennen wir es TpM? Ein mysteriöser Inbegriff, von dem die drei realen Versionen nwc irdische Gleichnisse sind? Lieber nicht. Oder wollen wir die drei Fassungen irgendwie durch Aquivalenzklassenbildung zu einem TPM identifizieren? Ginge schon eher an, aber wozu?

38

Kapitel 2. Der Tangentialraum

Haben wir an drei Fassungen noch nicht genug, daß wir unbedingt eine vierte herstellen müssen? Die wirkliche und vernünftige Praxis ist, alle drei Versionen neben- und durcheinander zu verwenden, ihre Kennzeichnung aber mit der unausgesprochenen Begründung wegzulassen, daß es entweder ersichtlich oder gleichgültig sei, welche Fassung man gerade benutzt. Damit Sie aber vor sich und anderen nicht zu ellenlangen Erklärungen genötigt sind, wenn Sie die berechtigte Frage "Was ist ein Tangentialvektor?" beantworten wollen, gehen wir etwas förmlicher vor und entschließen uns wie folgt. Definition: Es sei M eine n-dimensionale Mannigfaltigkeit, p e M. Der Vektorraum TPM := T^M soll der Tangentialraum an M in p heißen, seine Elemente Tangentialvektoren. — Wir vereinbaren jedoch, eine Derivation v e TPM bei Bedarf auch als geometrisch oder physikalisch definierten Tangentialvektor gemäß 2.3 aufzufassen und diesen mit demselben Symbol zu bezeichnen, wenn keine Mißverständnisse zu befürchten sind. D Notiz: Die Tangentialräume einer n-dimensionalen Mannigfaltigkeit sind übrigens wirklich auch n-dimensional, denn die kanoniist linear, und für eine feste sche Bijektion T^M S T^SM Karte deßniert v^v(U,h) einen Isomorphismus TP hys M = M n .

2.5

Das Differential

Ich hatte die Einführung des Tangentialraumes als eine Vorarbeit für die Definition des Differentials, der lokalen linearen Approximation einer differenzierbaren Abbildung zwischen Mannigfaltigkeiten bezeichnet. Die Vorarbeit ist nun geleistet, wenden wir uns dem Differential zu. Obwohl ich nicht vorhabe, alle mit Tangentialvektoren befaßten Definitionen künftig in dreifacher Ausfertigung vorzulegen, soll es doch jetzt noch einmal geschehen. Sei

2.5 Das Differential

39

also / : M —> N eine differenzierbare Abbildung, p e M. Betrachten wir der Reihe nach in geometrischer, algebraischer und physikalischer Fassung, wie / eine lineare Abbildung zwischen den Tangentialräumen bei p und f(p) kanonisch induziert. Auf geometrische Tangentialvektoren wirkt / durch Kurventransport:

Fig. 32. Die Kurve a€K.p(M) wird durch / in die Kurve /oae/C /(p )(iV) "transportiert".

Die Abbildung

a

ist, wie man leicht prüft, wohldefiniert. - Kümmern wir uns nun um die algebraischen Tangentialvektoren. Vorschalten von / ordnet Keimen bei f(p) Keime bei p zu:

Fig. 33. Dem Keim von i^:;7^R bei /(p) wird der Keim von ft-^/i^+te^) repräsentiert (9M ist der Geschwindigkeitsvektor der /x-ten Koordinatenlinie); und als Derivation schließlich wirkt d^, ausführlich geschrieben, durch £P(M)

>• R

also als fi-te partielle Ableitung der heruntergeholten Funktion. Und eben das suggeriert ja die Ricci-Notation d^p trotz ihrer unüberbietbaren Gedrängtheit ganz unmißverständlich, denn was kann die Anwendung von -^ auf eine auf der Mannigfaltigkeit definierte Funktion

rgpf, und > kann vorkommen G rg dfp < Tgpf, und < kann vorkommen. (5) Es sei / : M —> N konstant. Dann ist dfp —

• f(p)



0

D

IdTpM.

(6) Es seien V und W endlichdimensionale reelle Vektorräume und f :V —* W linear. Dann ist dfp =

• /

• 0

D

f-f(P).

(7) Es sei V ein endlichdimensionaler reeller Vektorraum und / : V —* V eine Translation. Dann ist dfp = D /

D 0

U

Idv

(8) Seien M eine differenzierbare Mannigfaltigkeit und X, Y und Z endlichdimensionale reelle Vektorräume. Ferner sei duxch < ' , ' } : I x F - > Z irgend eine bilineare Verknüpfung bezeichnet. Dann gilt für differenzierbare Abbildungen / : M -*• X und g : M —>Y &n jeder Stelle p e M

2.10 Übungsaufgaben

49

D D d = - D d = (9) Eine differenzierbare Abbildung / : M —> iV sei in lokalen Koordinaten xv für N und xM für M durch xp =xp(x\...

,xn)

im Sinne des Ricci-Kalküls beschrieben. Dann ist die Matrix des Differentials durch D d^x"

D d^x"

D d9x»

gegeben. (10) Unter welchen zusätzlichen Voraussetzungen bieten die Differentiale dfp einer Abbildung f : M —> N bzw. deren Inversen die Möglichkeit, beliebige Vektorfelder kanonisch von der einen Mannigfaltigkeit auf die andere zu übertragen? D Von M nach N stets, umgekehrt nur, wenn / eine Überlagerung ist. D Auch von M nach N nur dann, wenn / ein Diffeomorphismus ist. D In beide Richtungen, sofern / eine Einbettung ist.

2.10

Übungsaufgaben

AUFGABE 9: Es sei M eine n-dimensionale Mannigfaltigkeit, p e M. Man zeige, daß die Zusammensetzung der kanonischen Abbildungen

die Identität auf T^M

ist.

50

Kapitel 2. Der Tangentialraum

AUFGABE 10: Es sei / : M —> N eine differenzierbare Abbildung, p e M. Man weise nach, daß das Diagramm

kommutativ ist. AUFGABE 11: Sei / : M —> K eine differenzierbare Funktion, p e M. Durch Gradientenbildung bezüglich Karten ist eine Abbildung

> Rn

VP(M) (U,h) i

> gr&dh(p)(f o h^1)

gegeben, nennen wir sie grad p /. Ist das ein Element von T^hysM7 AUFGABE 12: Sei Mo C M eine Untermannigfaltigkeit, p e Mo. Kanonisch, nämlich vermöge des Differentials der Inklusion MQ =—> M, fassen wir TPMQ als Untervektorraum von TpM auf. Man zeige: Ist MQ das Urbild eines regulären Wertes einer Abbildung / : M -> N, soist

TPMO = Kern dfp.

2.11

Hinweise zu den Übungsaufgaben

Zu AUFGABE 9: Obwohl die drei Abbildungen kanonisch, also kartenunabhängig sind, kommt doch bei der Beschreibung von Tf*sM -> T| e o m M eine Karte (U, h) als Hilfsmittel vor. Deshalb sollte der Beweis so anfangen: Sei (U, h) eine Karte um p und v e TpigM eine Derivation. Dann ist die Derivation v' :— 1, aber man ergänzt sie zweckmäßig durch die Konvention: Alt°F := K.

D

Die alternierenden O-Formen sind also die rellen Zahlen, und Alt 1 ^ = Hom(V, M) =: V* ist der gewöhnliche Dualraum von V, die Eigenschaft des "Alternierens" kommt für k = 1 nicht zum Zuge, weil sie aus der Linearität schon folgt: w(0) = 0. Für k > 2 bedeutet das Alternieren aber etwas Besonderes, und es ist nützlich, dafür einige Kriterien zu kennen:

3.1 Alternierende fe-Formen

53

Lemma: Für multilineare Abbildungen w : Vx.. die folgenden Bedingungen einander äquivalent:

xV

W sind

(1) ui ist alternierend, d.h. ui(vi,.. ,Vk) = 0 , wenn (vi,..,Vk) Hnear abhängig. (2) to(v\,.. ,Vk) — 0, wenn unter den i>i zwei gleiche sind, d.h. wenn es i ^ j mit Vi = Vj gibt. (3) Bei Vertauschung zweier Variablen kehrt u> das Vorzeichen um: für i < j gilt w(vi, ..,vk) = - w ^ i , . . , Vj,.., vi}.., vk). (4) Ist T : { 1 , . . , k } —> { 1 , . . , k } eine Permutation, so gilt w(ui,.., vk). BEWEIS: Für trivial darf man die Implikationen (1) =>• (2) • (1), denn sind v±,.. ,vk linear abhängig, so ist einer der Vektoren Linearkombination der übrigen, und dadurch wird LJ(VI, .. ,Vk) zu einer Summe, deren k — 1 Summanden alle wegen (2) verschwinden. Um (2) = > (3) einzusehen, bedenkt man, daß (2) nicht nur L Ü ( V I , . . , Vi+Vj,..,

Vi+Vj

,..,vk)=0

bewirkt, sondern auch, daß von den vier Summanden, die sich aus der linken Seite wegen der Linearität in der i-ten und j-ten Variablen ergeben, nur zwei übrigbleiben und wir w(v\, ..,Vi,..,Vj,..,

vk) +

erhalten, also die Aussage (3).

D

Jede lineare Abbildung / : V -» W stiftet eine lineare Abbildung Hier lebt ui Altkf : A\tkW -> Altfey, also in die "GegenrichFig. 39. Zur Definition von Alt f c /. tung", und Altfc wird dadurch zu einem kontravarianten Funktor (siehe z.B. [J:Top], Seiten 80 und 76) von der Kategorie der reellen Vektorräume und linearen Abbildungen in sich, oder ganz ausführlich:

54

Kapitel 3. Differentialformen

Definition und Notiz: Ist f : V —> W linear, so wird die lineare Abbildung > Alt fc F Altkf : AltkW durch ((Altkf)(Lo))(Vl, ...,vk):= w ( / ( « i ) , . . . , f{vk)) bzw. durch die Konvention A l t 0 / = Id.R deßniert, und es gilt dann Id i—• Id und die kontravariante Kettenregel, d.h. und k

Alt (gof)

k

A\t foA\tkg

= f

9

für lineare Abbildungen V —> W —> X.

ü

In der Mathematik sind sehr viele Funktoren im Gebrauch, und im Zweifelsfalle ist es schön und klar, die individuelle Bezeichnung des Funktors, hier also Altfe, auch bei den zugeordneten Morphismen zu verwenden, aber immer ist ja kein Zweifelsfall, und im praktischen Leben kommt man bei Hunderten von Punktoren meist mit zwei Schreibweisen für den einem / zugeordneten Morphismus aus, nämlich mit /* im ko- und / * im kontravarianten Falle. Das ist nicht nur bequem, sondern auch übersichtlich, und deshalb wollen wir, wenn keine Verwechslungen zu befürchten sind, auch hier vereinbaren: Schreib- und Sprechweise: Statt Alt fe / schreiben wir auch einfach / * und sprechen von f*u> als von der durch / aus u> induzierten fc-Form. D

3.2

Die Komponenten einer alternierenden Ä;-Form

Wir müssen auch wissen, wie man bezüglich einer Basis von V mit alternierenden fc-Formen rechnet, weil wir später Differentialformen auf Mannigfaltigkeiten manchmal in lokalen Koordinaten zu betrachten haben. Ist in V eine Basis ausgezeichnet, so kann man eine alternierende A;-Form, wie jede Multilinearform, durch die Zahlen charakterisieren, mit denen sie auf (fe-tupel von) Basisvektoren antwortet:

3.2 Komponenten

55

Sprechweise: Ist ( e i , . . . , e n ) eine Basis von V und ui eine alternierende /c-Form auf V, so heißen die Zahlen a

ßi...ßk

: =

^\epn

für 1 < fii bezüglich der Basis. D

Wegen des Alternierens von u) sind die Komponenten natürlich "schiefsymmetrisch" in ihren Indices, d.h. es gilt a

Mr(i)-Mr(*) ^ s g n f V l a ^ . . . ^ , und deshalb genügt es, a ^ . . , ^ für ß\ < • • • < ß}- zu kennen. Weitere Relationen unter den Komponenten gibt es aber nicht, d.h. man kann die a^x...Mfc für ßi < • • • < fik beliebig vorschreiben, genauer: Lemma: Ist ( e i , . . . , e n ) eine Basis von V, so ist durch

eiü Isomorphismus

gegeben.

B E W E I S : Die Abbildung ist ersichtlich linear. Wegen der Multilinearität von u> gilt stets

also ist die Abbildung Alt fc F —> RU) injektiv, denn wenn w ( e M l , . . . , eMfc) = 0 für ßi < • • • < ßk, dann wegen des Alternierens von u> auch für alle anderen ßi,..., ßk. — Die Abbildung ist aber auch surjektiv. Ist nämlich (aAj1.../Jfc)Atl Id & Kettenregel"), gilt nun auch

Notiz: Durch Q,k ist in kanonischer Weise ein kontravarianter Funktor von der differenzierbaren in die lineare Kategorie gegeben, d.h. bezeichnet f* : Q,kN —»• ftkM die von einem differenzierbaren f : M —y N induzierte lineare Abbildung, so gilt (Id^f )* = IdnkM und{gofy=f*og*. D

3.5

Einsformen

Die differenzierbaren 1-Formen, also die 10 e Q}M, heißen auch Pfaffsche Formen. Eine besondere Art Pfaffscher Formen ("exakte Pfaffsche Formen") sind die Differentiale difFerenzierbarer Funktionen, genauer: Definition: Sei / : M —> R differenzierbar. Dann heißt die durch p i > dfp e AltlTpM gegebene differenzierbare 1-Form df e Q}M das Differential von / . D Das Differential dfp an der einzelnen Stelle p e M wäre ja eigentlich eine lineare Abbildung dfp : TPM —> T/(p) M, aber wir berufen uns natürlich auf den kanonischen Isomorphismus M = Ty M (vergl. 2.6) und fassen dfp als Element im Dualraum T*M von TpM auf. In diesem Sinne gilt auch dfp(v) = v(f) für v e TpM, z.B. weil d/p(d(0)) = (/oa)'(O) e M, vergl. 2.7. In lokalen Koordinaten, d.h. bezüglich einer Karte (U, h), sind also die n Komponentenfunktionen von df gerade

Die Übungsaufgabe 11 handelte schon von der Tatsache, daß keinen Tangentialvektor VPM —> Rn das n-tupel (dif,...,dnf)

3.5 Einsformen

61

definiert. Hier sehen wir nun die von unserem gegenwärtigen Standpunkt aus "wahre" Bedeutung der partiellen Ableitungen nach Koordinaten: Es sind die Komponenten des Differentials df, welches deshalb auf Mannigfaltigkeiten die Rolle des Gradienten übernimmt. — Insbesondere können wir für eine Karte h — (x1,... ,xn) auf U die Differentiale dx^ e Ü1U der Koordinatenfunktionen xß selbst bilden. Deren Komponenten dx^(du), v = 1,..., n sind dann also dx»{dv) =

» = 5» :=

1 für 11 = 1/ 0 für fj, ^ u,

und das bedeutet: Lemma: Die Differentiale dx1,..., dxn e OXC/ der Koordinatenfunktionen x^ : U —> M einer Karte bilden an jeder Stelle p e U duale Basis (dx^,..., dx™) von T*M. D die zu (di,...,dn) Korollar: Ist u> eine 1-Form auf M und (U, h), h = (x1,..., xn), eine Karte, so gilt

=E 11=1

die Komponenwobei die ui^ : U d^) bezeichnen. tenfunktionen w^ Insbesondere gilt also auch für differen-

F g

°

i -^ 2 'i Ube , ra il a j f Ui

ist (dx ,...,dx ) dual

zierbare Funktionen n df df —

h dx»

zu (9i,...,a„). auf dem Kartengebiet U.

BEWEIS: Wir prüfen die Gleichheit an jeder Stelle p e U durch Einsetzen der Basisvektoren dv, v = 1,..., n auf beiden Seiten: u, und

also sind die beiden 1-Formen auf U gleich.

D

62

Kapitel 3. Differentialformen

Diese lokale Beschxeibung der 1-Formen als u> = ^ i ^ insbesondere der Differentiale als df = X^=i &ßf ' dxß, ist der Schlüssel zum Koordinatenrechnen mit diesen Formen, und sehr oft beruft man sich bei lokalen Begriffsbildungen und Beweisen darauf. Eine solche Beschreibung ist aber nicht nur für 1-Formen möglich. Sobald wir das äußere Produkt oder Dachprodukt werden eingefübxt haben, können wir eine fc-Form bezüglich einer Karte als Lü =

J2

UJ

/J,1...tJ,kdx'Jl1

A • ••

mittels Komponentenfunktionen und Koordinatendifferentialen ausdrücken und so das lokale Rechnen mit fc-Formen auf den Umgang mit den wohlvertrauten Funktionen zurückführen.

3.6 Test (1) Es seien j%,g% : V —> R lineare Abbildungen. Dann ist die durch (vi,...

,Vk) >->



fi{vi)

• •

/i(«i) + • • • + /*(«*) + 9i (ui) + • • .+9k(vk) (fi(vi) + gi(vi)) • . . . • (/fe(ufc) + gk{vk))

• . . . • fk(vk)

+ gi(vi)



••••gk(vk)

gegebene Abbildung V x. • • • x V ^> R multilinear. (2) Welche der folgenden Bedingungen an eine multilineare Abbildung / : V x . . . x V —*• E ist hinreichend dafür, daß / alternierend ist? D f(vi,... , Vk) = 0 sobald v^ = Vi+i für ein i D Es gibt ein e : Sn —>• {—1,4-1}, nicht konstant + 1 , ()

D f(v,...

()

)

, v) = 0 für alle v e V.

(3) Sei Altfe(V, W) der Vektorraum der alternierenden fc-linearen Abbildungen V x . . xV —> W und d i m y = n, dimW = m. Dann ist dim Altfe(V, W) =

3.6 Test

63

(4) Definiert das Kreuzprodukt von Vektoren im M3 ein Element von Alt 2 (K 3 , M3) ? D Ja, weil es bilinear und schiefsymmetrisch ist. D Nein, weil es zwar schiefsymmetrisch ist, aber nicht alterniert. D Nein, weil es nicht bilinear, sondern linear ist. (5) Es sei V ein n-dimensionaler Vektorraum, k > 0,w eine alternierende fc-Form auf V und vi = 2Dj=i aijvj • Gilt dann ü nur für k = n D nur für k = 1 und k — n D fiir alle k. (6) Für eine nichtleere Mannigfaltigkeit M mit dimM = n > 0 und 0 < k < n gilt dim^ fe M — D oo

D

(^)

D fc(fc - l ) / 2

(7) Für eine differenzierbare Abbildung / : M —> 5 1 C C , geschrieben als f — eie, ist zwar nicht 6> e fi°M, aber immerhin sinö,cosö und d6 e Q}M wohldefiniert, weil 0 lokal als differenzierbare reellwertige Funktion bis auf Addition eines ganzzahligen Vielfachen von 2TT wohlbestimmt ist. Ferner hat / als komplexwertige Funktion auch ein komplexwertiges Differential df e n 2 ( M , C ) . Es gilt U df = -sm0d6 + icos0d6 D df = ifd0. (8) Sei 1 < k < n = dim M,M ^ 0 . Kann es eine Abbildung / : M —> M mit der Eigenschaft /*o; = — u> für alle LÜ € Q,kM geben?

D Ja, z.B. gilt das für M = M.n, k ungerade und f(x) := -x D Ja, z.B. für M := Sn und / die antipodische Abbildung, k beliebig. D Nie und nimmer.

64

Kapitel 3. Differentialformen

(9) Es sei 7T : R2 \ 0 —> 5 1 die radiale Projektion und r\ eine 1-Form auf S1. Am Punkte p e R2 \ 0 betrachten wir den [Tp2 r^j rj-i /Trj)2 Tangentialvektor v :— (l) IK = lp\ JK \ 0) und ebenso ! ^NJ rp I TT 2 I \O) am Punkte rp für ein r > 0. w := (°) € W Dann gilt e

D it*r](w) == is*r\{y) D •n*r)(w) - VK*r\{y) D rn*rj(w) = TT*T](v) (10) Jetzt bezeichne -K die radiale Projektion von R 3 \ 0 auf S2 und b : S2 ^ R3 \ 0 die Inklusion. Seien 77 e O 3 (K 3 \ 0) und ÜJ e D,2S2. Dann gilt •

3.7

TTV?? = 77

D 7r*i*77 = 0

D t*7r*a; = w

Übungsaufgaben

AUFGABE 13: Es sei V ein n-dimensionaler Vektorraum und u> s A l t n F von Null verschieden. Man zeige, daß die Abbildung > Altn-JF

V V

I

5- V—l U) ,

wobei (v-i ui)(vi,..., v n -i) '•= w(^i ^ i , . . . , v„_i), ein Isomorphismus ist. A U F G A B E 14: Es sei ( e i , . . . , e n ) eine Orthonormalbasis in dem euklidischen Vektorraum (F,) und u; die alternierende nForm auf V mit w ( e i , . . . , e n ) = 1. Man berechne die "Dichte" UJ(VI, . . . , vn)\ aus der "ersten Grundform" (gßV)n,v=i,...,n > wobei

AUFGABE 15: Man bestimme die Transformationsformel für kFormen im Ricci-Kalkül. Genauer: Für Karten (U, h) und (U, h)

3.8 Hinweise zu den Übungsaufgaben

65

notiere man die Koordinaten als h = (x1,..

.,xn)

und

und bezeichne dementsprechend auch die Komponentenfunktionen von u> e QkM bezüglich der Koordinaten. Wie berechnet man Uß1...ßk aus den wMl...Mi. ? 16: Ist V+ C K2 der von 0 ausgehende abgeschlossene Halbstrahl mit dem Winkel a zur positiven x-Achse, so ist die Winkelfunktion AUFGABE

ipa : R2 \ V+

> (a - 2TT, a)

der Polarkoordinaten als differenzierbare Funktion wohldefiniert. Bezeichnet u>a :— da und ojß auf M2 x (V+ U Vg~) überein (weshalb?) und deshalb ist durch die uia eine Pfaffsche Form w e fi^^M2 \ 0) wohldefiniert. Diese ist ein beliebtes Musterbeispiel für gewisse Phänomene. Man beweise: Es gibt keine differenzierbare Punktion / : R2 \ 0 —• R mit u> =

df.

3.8 Hinweise zu den Übungsaufgaben Zu AUFGABE 13: Ich schlage vor, den Ausdruck v-i UJ als "v in u>" zu lesen und zu sprechen, weil wir so an die Bedeutung Da V und des Symbols _i erinnert werden: D J U = LJ(V,...). Alt"^ 1 ^ oft identifiziert — um nicht zu sagen: verwechselt — werden, ist es nützlich, sich klarzumachen, welche Rolle die Wahl einer n-Form to dabei spielt. Übrigens kann man auch bei gegebenem w die Abbildung nicht ganz kanonisch nennen, denn ebensogut könnte man v auch als letzte Variable in u> einsetzen, was die Abbildung um das Vorzeichen (—l)""1 änderte. Wir wollen aber auch künftig bei der durch diese Aufgabe gegebenen Definition bleiben. — Technisch betrachtet ist die Aufgabe unproblematisch, und ich wüßte nicht, welchen Hinweis ich noch geben dürfte.

66

Kapitel 3. Differentialformen

Zu AuFGABE 14: Die Formel, die Sie hier finden und beweisen sollen, spielt eine wichtige Rolle beim Integrieren in lokalen Koordinaten auf "Riemannschen" Mannigfaltigkeiten, insbesondere auf Untermannigfaltigkeiten des M . Anstatt mit einem festen Vektorraum V hat man es dann mit den Tangentialräumen auf einer Karte zu tun, und die v\,... ,vn sind die d\,...,dn. Diese Funktionen g^v : U —> M sind im Prinzip leicht zu berechnen. Für 9flv das Integrieren aber braucht man K * in dieser Situation die Funktion ,„ „. |w(öi,..,9 n )| : U -y R+. (Daß \ui\ • ( ( j ( J )

\

•*• '

'

'

b

/ I

I

\

II

Fig. 43. "Komponenten

von der Wahl der ON-Basis (e%,.., en) unabhängig ist, kommt bei der Lösung

der ersten Grundform"

d e r

A u f g a b e

u

j a

m i t

h e r a u g

u n d

könnte auch leicht direkt gezeigt werden: ON-Basen gehen durch isometrische Transformationen auseinander hervor und diese haben stets Determinante ± 1 . . . ). Das ist der tiefere Sinn der Aufgabe! Vordergründig ist es eine nützliche Übung im Umgang mit n-Formen, Matrizen, Skalarprodukten, Transformationen von n-Formen usw. Praktischer Hinweis: Rechne zuerst aus, wie die Matrix G := {g^) mit der Matrix A — {a.p.v) zusammenhängt, welche die Entwickhmg der v^ nach der CW-Basis e\,...,en beschreibt, d.h. vß =: YlZ=i ai>.vev erfüllt. Zu AUFGABE 15: Wie Sie sehen, ist hier der Durchschnitt zweier Kartengebiete schon oBdA mit U bezeichnet, sonst hätte man eben U D V zu betrachten gehabt. — Daß die Frage nach der Transformationsformel für die Komponenten einer fc-Form sinnvoll und berechtigt ist, brauche ich wohl nicht zu verteidigen. Außer dieser nützlichen Information bietet Ihnen die Aufgabe aber auch Bekanntschaft mit einer ganz eleganten Notation aus der Trick-Kiste des Ricci-Kalküls. Man muß sie nur lesen können! Sie sehen ja, daß die Notation UJ^,...^ := uj^d^,... ,dßk) für die Komponenten einer A:-Form u eigentlich keine Information über die benutzten Koordinaten enthält — ganz im Einklang mit der Ricci-Philosophie, daß die Koordinaten selbst keine individuellen Namen erhalten. Wie lästig wäre auch ein anderes Vorgehen! Was aber, wenn nun ein zweites Koordinatensystem betrach-

3.8 Hinweise zu den Übungsaufgaben

67

tet werden muß? Antwort: Querstriche auf — den Indices! Das schafft nicht nur neue Index-Bezeichmingen (wie es ohne nähere Erklärung natürlich von uns gelesen würde) sondern soll auch bedeuten, daß die Größen mit quergestrichenen Indices sich auf das zweite Koordinatensystem beziehen. Versuchen Sie einmal, damit umzugehen. Klappt tadellos! Zu AUFGABE 16: Sie kennen die "Argument"-Funktion (pa : M2 \ Va -» (a - 2ir, a)

auch aus der Funktionentheorie, z.B. für a = ir als den Imaginärteil des Hauptzweiges des Logarithmus. Nicht direkt, aber dem Sinne nach, hängt unsere Aufgabe auch mit der Tatsache zusammen, daß j ^ Inz = ^ zwar auf ganz C \ 0 wohldefiniert ist, aber doch dort keine Stammfunktion besitzt.— Die Aufgabe ist nicht schwierig zu lösen: Was wäre über / — ip^ (zum Beispiel) zu sagen, wenn es so ein / gäbe? Und wäre das denn möglich? Eine Pfaffsche Form kann also überall lokal ein Differential sein, ohne daß das auch global der Fall sein muß. Dies ist ein mathematisch wichtiges Phänomen ("de Rham-Cohomologie"), und das Beispiel, das die Aufgabe dafiir bietet, ist vielleicht das einfachste, das es gibt: kein Wunder, daß es oft herangezogen wird, man sollte es kennen. In der Physik spielt es bei der Interpretation des Aharonov-Bohm-Effekts eine Rolle.

4 4.1

Der Orientierungsbegriff

Einführung

Wie Sie wissen, kommt es beim Integrieren einer Funktion einer reellen Variablen auf die Integrationsn'c/iiwrig an: o

a

J f(x)dx = - J f{x)da Das dx spürt sozusagen die Umkehr der Integrationsrichtung: die Differenzen Ax^ — Xk+i — Xk in den Riemannsummen Y^f{xk)A%k sind positiv oder negativ, je nachdem ob die Teilungspunkte auf- oder absteigen. Analog bei Kurvenintegralen J f(x,y, z)dx + g(x,y, z)dy + h(x,y, z)dz, wobei 7 eine Kurve im M3 ist, oder bei den Kontur-Integralen J f(z)dz der Funktionentheorie. Sie sind invariant gegenüber allen Umparametrisierungen der Kurve, welche die Durchlaufungsrichtung nicht ändern. Durchläuft man aber die Kurve rückwärts, so kehrt das Integral sein Vorzeichen um. Ich will nicht sagen, daß dieses Reagieren auf die Integrationsrichtung eine Eigenschaft jedweder sinnvollen Fassung des Integralbegriffes sein muß. Zum Beispiel sollte die Bogenlänge J ds einer Kurve von der Durchlaufungsrichtung unabhängig sein, und in der Tat spürt das sogenannte "Linienelement" ds= ^dx2 + dy2 + dz2 (keine 1-Form!) die Richtungsumkehr nicht. Meist haben wir es aber mit richtungssensitiven Integralen zu tun, und für den Aufbau der Vektoranalysis ist es aus diesem und anderen Gründen

4.1 Einführung

69

notwendig, den Begriff des gerichteten Intervalls zu dem der orientierten Mannigfaltigkeit zu verallgemeinern. Als Vorstufe brauchen wir die linear-algebraische Version davon, nämlich den BegrifF des orientierten n-dimensionalen reellen Vektorraums. Um eine erste intuitive Vorstellung von der Orientierung zu erhalten, wollen wir einmal die unserer Anschauung direkt zugänglichen Dimensionen n = 1, 2 und 3 betrachten. Einen eindimensionalen reellen Vektorraum zu "orientieren" soll bedeuten, eine Richtung darin auszuzeichnen, und es ist anschaulich klar, daß dies auf genau zwei verschiedene Weisen möglich ist. Um einen 2-dimensionalen reellen Vektorraum V zu orientieren, muß man einen der beiden Drehsinne in V als positiv festlegen. Solange nicht gerade eine mathematische Definition gefordert ist, weiß natürlich jeder Mensch intuitiv ganz gut, was ein Fig. 44. Die beiden Orien"Drehsinn" ist, und immerhin ziem- tierungen eines 2-dimensionalen reellen Vektorlich viele werden gehört haben, daß raums. der "mathematisch positive" Drehsinn derjenige entgegen dem Uhxzeigersinn sei. Es ist deshalb vielleicht nicht ganz überflüssig, darauf hinzuweisen, daß es in einem zweidimensionalen Vektorraum V keinen wohldefinierten "Uhrzeigersinn" gibt. Auf denmathematisch positiven Drehsinn kann man sich erst berufen, wenn V schon orientiert ist. — In einem 3-dimensionalen reellen Vektorraum schließlich hat eine Orientierung den Zweck, eiFig. 45. Ist es auf der nen "Schraubensinn" auszuzeichnen, "durchsichtigen" 2-dimenoder festzulegen, was "Rechtshändigsionalen Uhr um Neun oder um Drei? keit" bedeuten soll. Dieser Ausdruck bezieht sich auf die bekannte RechteHand-Regel, wonach eine Basis (vi,v2,v3) "rechtshändig" genannt wird, wenn die drei Vektoren in dieser Reihenfolge die Richtungen von Daumen, Zeigefinger und Mittelfinger einer rechten Hand angeben können. Es kostet eine gewisse Anstrengung, sich der IIlusion zu entziehen, die Rechte-Hand-Regel orientiere in der Tat

70

Kapitel 4. Der Orientierungsbegriff

alle dreidimensionalen Vektorräume. Fangen wir aber an, darüber nachzudenken, so bemerken wir bald, daß wir die Stellung dreier Vektoren in einem dreidimensionalen Vektorraum V erst dann mit unserer rechten Hand anschaulich vergleichen können, wenn wir V auf den realen, physikalischen, uns umgebenden Raum abgebildet haben, und je nachdem, wie wir das machen, wird (v\, v^, V3) dabei rechtshändig oder linkshändig ausfallen: eine rechte Hand sieht im Spiegel wie eine linke aus.

4.2 Die beiden Orientierungen eines n-dimensionalen reellen Vektorraums Wie wäre nun aber Orientierung als mathematischer Begriff genau zu fassen? Dafür gibt es mehrere äquivalente Möglichkeiten. Wir legen eine nicht sogleich anschauliche, dafür aber bequem handhabbare Version als Definition zugrunde. Zunächst setzen wir dim V > 0 voraus. Definition: Zwei Basen (v\,..., vn) und (wi,..., wn) eines reellen Vektorraumes V heißen gleichorientiert, geschrieben

wenn die eine durch eine Transformation mit positiver Determinante aus der anderen hervorgeht, d.h. also wenn det / > 0 für den Automorphismus / : V —> V mit f(vi) = w^ gilt. Notiz und Definition: Gleichorientiertheit ist offensichtlich eine Aquivalenzrelation mit gen.au zwei Aquivalenzklassen auf der Menge 55(V") der Basen von V. Diese beiden Aquivalenzklassen

heißen die beiden Orientierungen

von V: Ein

orientierter

Vektorraum ist ein Paar (V, or), bestehend aus einem endlichdimensionalen reellen Vektorraum V und einer seiner beiden Orientierungen. D Wir haben bisher V als positiv-dimensional angenommen. Würden wir die Definition wörtlich so auch für nulldimensionale

4.2 Orientierte Vektorräume

71

Räume lesen, so wären diese kanonisch orientiert, denn { 0 } hat nur die leere Basis und daher auch nur eine Aquivalenzklasse gleichorientierter Basen. Es erweist sich aber als zweckmäßige Konvention, für die O-dimensionalen Räume auch noch eine dieser kanonischen "Orientierung" entgegengesetzte einzuführen: Konvention: Die beiden Zahlen ±1 seien die beiden Orientierungen eines O-dimensionalen reellen Vektorraums. D Im Zusammenhang mit dem Orientierungsbegriff stehen einige Sprech- und Schreibweisen, die sich beinahe von selbst verstehen. Ist z.B. (V, or) ein (positiv-dimensionaler) orientierter Vektorraum, so heißen die Basen (vi,...

,vn) e or positiv

orientiert,

die anderen negativ orientiert. Unter der üblichen Orientierung des R" versteht man natürlich diejenige, in der die kano nische Basis (ei,..., en) positiv orientiert ist. — In der Notation wird die Orientierung, wie andere Zusatzstrukturen, gewöhnlich unterdrückt. Ein Isomorphismus / : V —^ W zwischen positivdimensionalen orientierten Vektorräumen heißt orientierungserhaltend, wenn er eine (dann jede) positiv orientierte Basis von V in eine positiv orientierte Basis von W überführt. Im nulldimensionalen Fall nennen wir die (einzige) Abbildung natürlich nur dann orientierungserhaltend, wenn die beiden Orientierungen gleich (also beide +1 oder beide —1) sind. Bemerkenswert und oftmals nützlich ist die folgende topologische Charakterisierung der Orientierungen eines reellen Vektorraums: Lemma: Ist V ein n-dimensionaler reeller Vektorraum, n > 1, so sind die beiden Orientierungen von V die beiden Wegzusammenhangskomponenten des Raumes 23 (F) C V x • • • x V der Basen von V. Angenommen, zwei verschieden orientierte Basen Bo = und Bi = (wi,..., wn) ließen sich durch einen ste(vi,...,vn) tigen Weg t — i >• Bt in 25(V) verbinden. Wir bezeichnen mit ft'V-^V den Isomorphismus, der Bo in Bt überführt. Dann ist die stetige Punktion 11-> det ft am linken Intervall-Ende t — 0 BEWEIS:

72

Kapitel 4. Der Orientierungsbegriff

positiv (nämlich 1) und am rechten nach Voraussetzung negativ, müßte nach dem Zwischenwertsatz also eine Nullstelle haben, im Widerspruch dazu, daß alle /( Isomorphismen sind. Unterschiedlich orientierte Basen gehören also jedenfalls verschiedenen Wegzusammenhangskomponenten von 33 (V) an. Zu zeigen bleibt, daß gleichorientierte Basen B$ und B\ stets durch einen Weg in 03 (V) verbindbar sind. Wir dürfen oBdA annehmen, daß V = Rn und B\ die Standardbasis (ei,...,e n ) ist. Nun wenden wir auf BQ das Erhard Schmidtsche Orthonormalisierungsverfahren an. Dieses führt uns BQ in 2n — 1 Schritten in eine Orthonormalbasis über: Vektor normieren/ nächsten Vektor senkrecht (zu den schon bearbeiteten Vektoren) stellen/ normieren/ nächsten senkrecht stellen/ normieren/ usw. Dies ist zunächst nur ein Hüpfen von Basis zu Basis, wir brauchen aber bloß die Zwischenstationen jeweils gradlinig verbinden, um einen stetigen Zickzackweg in 23(V) von BQ ZU einer orthonormalen Basis zu erhalten, und es bleibt die Aufgabe, von dieser aus auf einem Weg in 03 (V) die Standardbasis zu erreichen. Das gelingt uns aber sogar auf A e GL+(n, M)

einem

me der Orthonormalbasen. Durch eine Drehbewegung SO{n) erreichen wir zuerst eine OrthoDrehung normalbasis, deren SO{n-l) erster Vektor e± Fig. 46. Zum Beweis des Wegzusammenhangs ist, von da aus geeiner Orientierungsklasse. langen wir mittels einer Drehbewegung in e^ zu einer Orthonormalbasis, deren erste beiden Vektoren e\ und e2 sind usw. Nach n — 1 Etappen haben wir auf unserem stetigen Weg eine Orthonormalbasis (ei,..., en-i, wn) erreicht, und wenn es überhaupt Schwierigkeiten gibt, dann jetzt, denn in dem eindimensionalen Raum { e i , . . . , e n _i }^ ist kein Platz mehr zum Drehen. Aber nun brauchen wir auch nicht mehr zu drehen, denn alle drei Basen sind gleichorientiert: E. Schmidt'sches Orthonormalisierungsverfahren

4.3 Orientierte Mannigfaltigkeiten

73

die ersten beiden nach Voraussetzung, die letzten aufgrund der Wegverbindung. Also kommt von den beiden verbliebenen Möglichkeiten wn = ± e n nur wn = en infrage, und wir sind schon angekommen. D

4.3 Orientierte Mannigfaltigkeiten Eine Mannigfaltigkeit wird dadurch orientiert, daß man jeden ihrer Tangentialräume orientiert — aber nicht irgendwie, sondern so, daß sich diese Orientierungen nachbarlich gut vertragen und nicht plötzlich "umschlagen". Was soll das heißen? Um es genau ausdrücken zu können, führen wir folgende Sprechweise ein: Definition: Sei M eine n-dimensionale Mannigfaltigkeit. Eine Familie { orp } p e M von Orientierungen orp ihrer Tangentialräume TpM heiße lokal verträglich, wenn sich um jeden Punkt von

M eine orientierungserhaltende

Karte finden läßt, also eine

Karte (U, h) mit der Eigenschaft, daß für jedes u e U das Differential dhu : TUM - ^ Rn die Orientierung oru in die übliche Orientierung des K" überführt.

D Auch mit den kurzen Worten "bezüglich Karten lokal konstant" wäre diese lokale Verträglichkeit nicht übel beschrieben gewesen. Aber wie dem auch sei, jetzt können wir formulieren: Definition: Unter einer Orientierung einer Mannigfaltigkeit M verstehen wir eine lokal verträgliche Familie { orp } p e M von Orientierungen ihrer Tangentialräume. Eine orientierte Mannigfaltigkeit ist ein Paar (M, or), bestehend aus einer Mannigfaltigkeit M und einer Orientierung or von M. D Natürlich wird man eine orientierte Mannigfaltigkeit nur zu besonderen Anlässen wirklich mit (M, or) statt einfach mit M bezeichnen.

74

Kapitel 4. Der Orientierungsbegriff

Definition: Ein Diffeomorphismus / : M —> M zwischen orientierten Mannigfaltigkeiten heißt orientierungserhaltend (bzw. -umkehrend), wenn für alle p e M das Differential dfp : TpM - ^ Tf(p-)M orientierungserhaltend (bzw. -umkehrend) ist. Der Mn ist wegen des kanonischen K" ^ Tp M.71 durch seine übliche Orientierung als Vektorraum auch als Mannigfaltigkeit orientiert, ferner ist klar, daß alle offenen, also volldimensionalen Untermannigfaltigkeiten einer orientierten Mannigfaltigkeit automatisch auch orientiert sind, und in diesem Sinne sind die eingangs "orientierungserhaltend" genannten Karten wirklich die orientierungserhaltenden Karten h : U - ^ - U' im Sinne der zuletzt getroffenen Definiton. Es sei übrigens auch angemerkt Notiz: Eine Karte ist genau dann orientierungserhaltend, wenn die Basis (di,..., dn) an jedem Kartenpunkte positiv orientiert ist. D Den besten Anschauungsunterricht über den Orientierungsbegriff für Mannigfaltigkeiten geben die zweidimensionalen Mannigfaltigkeiten, die sogenannten Flächen. Anschaulich gesprochen, versieht eine Orientierung die Fläche überall mit einem Drehsinn, der eben angibt, welche tangentialen Basen positiv orientiert sind. Die Anschauung der Flächen zeigt uns aber auch sofort ein Phänomen, das sich im technischen Sinne nicht sogleich von selbst versteht, nämlich die Existenz nichtorientierbarer Mannigfaltigkeiten: Gerade die lokale Verträglich_ . . . IT ,, -., f keit, die das plötzliche UmFortsetzung ohne Umklappen funrt zu ...

'

r

klappen der Orientierung verbietet, führte "ersichtlich" bei einmaligem Umlauf entlang der Seele des Möbiusbandes ... unvermeidlicher Kollision Fig. 47. Das Möbiusband, eine

nichtorientierbare

2-dimensionale

ZU widersprüchlichen Orieilt i e r u n g s a n g a b e n a m Ausgangs„

i^

-r-v-

• i T v, T>

T.

P u n k t - ~ D l e Wirkliche Durchführung dieses Arguments verlangte natürlich erst einmal, daß wir das Möbiusband definieren und nicht nur hinzeichnen, sodann aber das Lemma aus Mannigfaltigkeit.

4.4 Konstruktion von Orientierungen

75

der Aufgabe 20 anwenden, wonach ein stetiges n-Bein längs einer Kurve in einer orientierten Mannigfaltigkeit seine Orientierung beibehält.

4.4 Konstruktion von Orientierungen Es ist klar, sowohl anschaulich als auch technisch, daß es zu jeder Orientierung eines Vektorraums oder einer Mannigfaltigkeit auch die entgegengesetzte Orientierung gibt. Wir führen hierfür eine Schreibweise ein. Notiz und Notation: Ist or eine Orientierung eines Vektorraums, so bezeichne —or die andere der beiden Orientierungen. Ist or = { orp }p€M eine Orientierung einer Mannigfaltigkeit M, so ist auch -or := {-or p } p e M eine (die entgegengesetzte) Orientierung von M. Wird die Orientierung in der Notation unterdrückt, bezeichnet also M eine orientierte Mannigfaltigkeit, so schreiben wir auch —M für die entgegengesetzt orientierte Mannigfaltigkeit. D Klar ist auch, daß die Summe M\ + M^ zweier orientierter n-dimensionaler Mannigfaltigkeiten ebenfalls kanonisch orientiert ist, eben durch { orp }PeM!+M2 • So eine Summe besitzt also, wenn beide Summanden nicht leer sind, mindestens vier verschiedene Orientierungen, die in der soeben eingeführten Schreibweise zu den vier orientierten Mannigfaltigkeiten ±M\ ± M2 Anlaß geben. Wie die Summe ist auch das Produkt M\ x M^ zweier orientierter Mannigfaltigkeiten kanonisch orientiert, doch Vorsicht ist bei der Quotientenbildung geboten, vergl. dazu die Aufgabe 32. Untermannigfaltigkeiten orientierter Mannigfaltigkeiten brauchen nicht orientierbar zu sein, wie das Möbiusband im K uns vor Augen führt, aber Lemma: Ist c regulärer Wert einer differenzierbaren Abbildung f :M > N und ist M orientierbar, so auch die Untermannigfaltigkeit Mo := / ^ ( c ) C M.

76

Kapitel 4. Der Orientierungsbegriff

BEWEIS: ES seien also Orientierungen für die Mannigfaltigkeit M und für den Vektorraum TCN gewählt. Wie wir wissen (vergl. Aufgabe 12) ist TPMO der Kern von dfp : TPM

>• TCN.

Wir betrachten deshalb die folgende linear-algebraische Situation: es sei eine "kurze exakte Sequenz" linearer Abbildungen endlichdimensionaler reeller Vektorräume, d.h. t ist injektiv, n ist surjektiv und Kern ir = Bild i, wie es nämlich für 0 - • TPMO ^ TpM —^ TCN -> 0

der Fall ist. Orientierungen für VQ, V\, V^ mögen zueinander passend heißen, wenn folgendes gilt: Ist vi,... ,Vk eine positiv orientierte Basis von Vo und ergänzt man i(v\),..., i(vk) durch wi,... ,wn-k zu einer positiv orientierten Basis von V\, so ist TT(U>I), . . . , ir(wn~k) eine positiv orientierte Basis von V2 • In diesem Sinne gibt es dann zu Orientierungen je zweier der Räume Vb, Vi, V2 genau eine dazu passende des dritten. Von diesem linearalgebraischen Faktum überzeugt man sich leicht, wenn man bedenkt, daß für quadratische Matrizen A und B jede Block-Matrix der Form 'A B die Determinante det A • detB hat. — Orientiert man nun jedes TPMO passend zu den Orientierungen von TPM und TCN, so erhält man eine lokal verträgliche Familie von Orientierungen, also eine Orientierung von Mo. D Man kann Mannigfaltigkeiten auch mit Hilfe von Atlanten orientieren. Dazu defimeren wir: Definition: Ein Atlas 21 einer differenzierbaren Mannigfaltigkeit heiße ein orientierender Atlas, wenn alle seine Kartenwechsel

4.5 Test

77

w orientierungserhaltend sind, d.h. also überall positive JacobiDeterminante det Jw (x) > 0 haben. D Ist M schon orientiert, so bilden die orientierungserhaltenden Karten offenbar einen maximalen orientierenden Atlas, und umgekehrt gilt Notiz: Ist 21 ein orientierender Atlas einer differenzierbaren Mannigfaltigkeit M, so gibt es genau eine Orientierung von M, bezüglich derer alle Karten in 21 orientierungserhaltend sind. • Wir könnten deshalb eine Orientierung ebensogut als einen maximalen orientierenden Atlas auffassen, und diese Version der Definition wird auch oft bevorzugt, weil sie vom Begriff des Tangentialraumes keinen Gebrauch macht.

4.5 Test (1) Wann sind (v\,..., vn) und (—vi,..., —vn) gleichorientiert ( n > 1)? D Immer. D Für gerades n. • Nie. (2) Wieviele Wegzusammenhangskomponenten hat die orthogonale Gruppe O(n) für n > 3? D Eine, das kann man mittels Drehungen wie beim Beweis des Lemmas in 4.2 zeigen. D Zwei, nämlich SO(n) und 0(n) \ SO(n). D Eine für n ungerade, zwei für n gerade. (3) Sei dimF = n und 0 < k < n. Die von -Idy : V -> V induzierte Abbildung Alt fc (-Id,/) : Altfey -> AltfcF ist genau dann orientierungsumkehrend, wenn folgende Zahl ungerade ist:

n *

• (l)

D

k(D

78

Kapitel 4. Der Orientierungsbegriff

(4) Für Diffeomorphismen / : M —> N zwischen orientierten Mannigfaltigkeiten ist die Menge der x in M, für die dfx orientierungserhaltend ist, in M D offen, aber i.a. nicht abgeschlossen. D abgeschlossen, aber i.a. nicht offen. D offen und abgeschlossen. (5) Sei M eine orientierte Mannigfaltigkeit. Muß ein Diffeomorphismus / : M —> M, der nicht orientierungserhaltend ist, orientierungsumkehxend sein? D Ja, weil das bereits für Isomorphismen zwischen orientierten Vektorräumen so ist. D Ja, wenn M zusammenhängend ist, sonst aber im allgemeinen nicht. D Auch für zusammenhängendes M im allgemeinen nicht, weil dfp die Orientierung für einige p umkehren, für andere erhalten kann. (6) Es seien M und N orientierte Mannigfaltigkeiten mit Dimensionen n und k. Dann definiert die Variablenvertauschung einen orientierungserhaltenden Diffeomorphismus zwischen N x M und D •

tfxJV (-i)n-kMxN

• \-iy+kM x N

(7) Kann ein Produkt M x N von zwei zusammenhängenden nichtleeren nichtorientierbaren Mannigfaltigkeiten orientierbar sein? D Ja, z.B. ist M x M stets orientierbar. D Ein Produkt M x N nichtleerer Mannigfaltigkeiten ist genau dann orientierbar, wenn einer der Faktoren orientierbar ist. D Ein Produkt M x N nichtleerer Mannigfaltigkeiten ist genau dann orientierbar, wenn beide Faktoren orientierbar sind.

4.6 Übungsaufgaben

79

(8) Sei M —> M eine Überlagerung n-dimensionaler Mannigfaltigkeiten. D Ist M orientierbar, dann auch M, umgekehrt kann man jedoch nicht schließen. D Ist M orientierbar, dann auch M, umgekehrt kann man jedoch nicht schließen. ^ ü Die überlagernde Mannigfaltigkeit M ist genau dann orientierbar, wenn die überlagerte Mannigfaltigkeit M orientierbar ist. (9) Ist jede 1-kodimensionale Untermannigfaltigkeit MQ einer orientierbaren Mannigfaltigkeit M orientierbar? D Ja, weil MQ dann Urbild eines regulären Wertes einer Funktion / : M ->• E ist. D Ja, weil Untermannigfaltigkeiten orientierbarer Mannigfaltigkeiten stets orientierbar sind. D Nein, die reelle projektive Ebene RP 2 als Untermannigfaltigkeit des projektiven Raumes R P 3 ist ein Gegenbeispiel. (10) Sei MQ C M eine Untermannigfaltigkeit einer Kodimension > 2 und sei M \ MQ orientiert. Ist dann auch M orientierbar? D Ja, die Karten (U, h) von M, die auf U \ MQ orientierungserhaltend sind, bilden einen orientierenden Atlas für M. U Nein, Gegenbeispiel {p} C R P 2 . D Nein, Gegenbeispiel MP2 C

4.6

Übungsaufgaben

AUFGABE 17: Sei V ein reeller Vektorraum, dimF — n > 1 und (vi,...,vn-i,vn) und ( « i , . . . , vn-i,v'n) zwei Basen, die sich nur durch den jeweils letzten Vektor unterscheiden. Für 0 < t < 1 setzen wir jetzt v^ :— (1 — t)vn + tv'n, betrachten

80

Kapitel 4. Der Orientierungsbegriff

also die gradlinige Verbindung zwischen vn und v'n. Man zeige, daß (vi,... ,vn-i,Vn) genau dann für alle t e [0,1] eine Basis ist, wenn (vi,..., vn-i,vn) und (v\,..., vn-i,v'n) gleichorientiert sind. AUFGABE 18: Man zeige, daß eine zusammenhängende Mannigfaltigkeit höchstens zwei Orientierungen besitzt.

AUFGABE 19: Es sei M eine nichtorientierbare n-dimensionale Mannigfaltigkeit und ui e flnM. Man zeige, daß es ein p e M mit ujp = 0 gibt. AUFGABE 20: Sei 7 : [0,1] —> M eine stetige Kurve in einer orientierten n-dimensionalen Mannigfaltigkeit und

ein stetiges n-Bein längs 7, d.h. eine bezüglich Karten stetige Zuordnung, die jedem t e [0,1 ] eine Basis i>(£) = (ui(i), • - •, un(*)) von Tj(t}M zuweist. Man zeige: Ist v(0) positiv orientiert, so auch jedes v(t) für t > 0. Als Anwendung dieses Lemmas beweise man, daß die projektive Ebene K.P2 nicht orientierbar ist.

4.7

Hinweise zu den Übungsaufgaben

Zu AUFGABE 17: Es ist ratsam, über die Determinante des Endomorphismus nachzudenken, der (vi,... ,vn) in (v\,..., un-i,i>^) überführt. Man kann sich diesen Endomorphismus ja zum Beispiel als Matrix bezüglich (v\,..., vn) hinschreiben. Zu AuFGABE 18: Hier ist das typische Zusammenhangsargument anzuwenden. Sollte es jemand noch nicht kennen, so darf ich ihm [J:Top.] S. 17, Zeilen 14-21 empfehlen. Man beachte außerdem, daß ein Kartenwechsel genau dann orientierungserhaltend ist, wenn seine Jacobi-Matrix positive Determinante hat. Zu AuFGABE 19: Wie wir wissen (vergl. 3.3), wirkt ein Automorphismus fp : TpM -^^ TpM auf wp durch Multiplikation mit der

4.7 Hinweise zu den Übungsaufgaben

81

Determinante, also antwortet uip auf zwei Basen von TpM genau dann mit Werten gleichen Vorzeichens, wenn diese Basen gleichorientiert sind. Wie könnte man also ein LJ e Q,nM mit u>v ^ 0 für alle p e M (Annahme des indirekten Beweises) zu benutzen versuchen, um M im Widerspruch zur Voraussetzung zu orientieren? Darauf kommt man ziemlich leicht, die Formulierungsarbeit der Aufgabe besteht in dem Nachweis, die so definierte Familie von Orientierungen der Tangentialräume als lokal verträglich nachzuweisen. Zu AUFGABE 20: Der Beweis des Lemmas über das stetige n-Bein längs 7 ist nach Aufgaben 18 und 19 die dritte Variation des Themas "Die Orientierung darf nicht plötzlich umklappen". Das eigentliche Problem ist die ^~vn(0) ~* Anwendung auf die Frage F; 4g der Orientierbarkeit der projektiven Ebene. Probleme werden oft durchsichtiger, ja nicht selten einfacher zu lösen, wenn man sie etwas verallgemeinert. Hier ist es zum Beispiel nützlich darüber nachzudenken, unter welchen Umständen ein Quotient M/T einer (wegzusammenhängenden) Mannigfaltigkeit nach einer fixpunktfreien Involution r wohl orientierbar sein mag und wann nicht. (Vgl. 1.6). Am konkreten Beispiel muß man dann nur noch nachweisen, daß die antipodische Involution auf S2 orientierungsumkehrend ist. Wie ist das eigentlich für andere Dimensionen?

5

Integration auf Mannigfaltigkeiten

5.1 Welches sind die richtigen Integranden? Das Integrieren über n-dimensionale Mannigfaltigkeiten führt man mittels Karten auf das Integrieren im M.n zurück. Integriert werden n-Formen über orientierte Mannigfaltigkeiten, denn für gewöhnliche Funktionen / : M -> M. würde der Beitrag eines Kartengebietes U zum Integral ersichtlich von der Wahl der Karte h abhängen, während die Transformationsformel für das Mehrfachintegral l fok~ im Rn zeigt, daß das Integral foh über die mit einer orientierungserhaltenden Karte herh(U) untergeholte Komponentenfunktion einer n-Form koordiFig. 49. Integral der heruntergenatenunabhängig ist. — Das holten Funktion über das Bild des Kartengebiets ist offenbar ist der wesentliche Inhalt des abhängig von der Wahl der Karte. Kapitels 5. In Abschnitt 5.4 stehen die technischen Einzelheiten, in 5.3 werden die gebrauchten Vorkenntnisse referiert. In den ersten beiden Abschnitten aber wollen wir die Integration auf Mannigfaltigkeiten einmal von der anschaulichen Seite betrachten. — Als natürlicher Kandidat für die Rolle des Integranden bietet sich der Begriff der Dichte an. Denken wir uns in der Mannigfaltigkeit eine Substanz fein verteilt. Integration über die Dichte der Verteilung sollte die Gesamtmenge der Substanz ergeben. Durch was für ein mathematisch.es Objekt wird die Dichte beschrieben?

5.1 Die Integranden

83

Um uns hierüber klar zu werden, betrachten wir die infinitesimale oder linear-algebraische Version dieser Prage. Sei V ein n-dimensionaler Vektorraum (später TpM), eine Substanz darin gleichmäßig fein verteilt. Handelte es sich um den Mn, so könnten wir die Dichte durch die Zahl beschreiben, welche die Menge der Substanz im Einheitswürfel [0, l ] n mißt. In TpM oder V haben wir statt eines ausgezeichneten Einheitswürfels aber nur gleichberechtigte n-Spate: Definition: Sei V ein n-dimensionaler reeller Vektorraum und vi,...,Vk e V. Dann heißt Spat(t/i,..., vk) := {

0 < A» < 1}

das von den v±,.. ,Vk aufgespannte Parallelepiped oder k-Spat. Fig . 50 . sPat. Ohne eine Basis auszuzeichnen, können wir die Dichte z.B. durch die Abbildung p: F x . . . x F - > R beschreiben, welche für je n Vektoren die in deren Spat enthaltene Menge an Substanz mißt. Welche Abbildungen können äuf diese Weise vorkommen? Sicherlich verlangen wir nicht zu viel, wenn wir beim Versuch, den Dichtebegriff mathematisch zu fassen, positive Homogenität und Scherungsinvarianz fordern: Definition: Sei V ein n-dimensionaler reeller Vektorraum. Eine —> K heiße eine Dichte in Abbildung p : Vn = Vx..xV V, wenn sie positiv homogen und scherungsinvariant ist, d.h. wenn (1) p(vx,... , Xvi,... ,vn) = |A| p(vi,...,vn) und (2) p(v!,... ,Vi-i,Vi+Vj,vi+1,... ,vn) = p ( u i , . . . ,vn) für alle vi,... ,vn e V, A e R und i ^ j gilt. D

Fig. 51a. Zur positiven Homogenität

Fig. 51b. Zur Scherungsinvarianz.

84

Kapitel 5. Integration auf Mannigfaltigkeiten

Es zeigt sich nun, daß eine solche Dichte in V fast dasselbe wie eine alternierende n-Form auf V ist. Der Unterschied besteht nur darin, daß eine Dichte auf Vertauschung zweier Vektoren nicht reagiert, weil sie nur auf das Spat antwortet, während eine n-Form dabei das Vorzeichen ändert. Genauer: Lemma: Es sei V ein n-dimensionaler Vektorraum. Wählt man eine Orientierung or von V und modißziert jede Abbildung p:Vx...xV -> R durch [ —p(vi,-->vn) Poi{vi,..,vn) := < { p(vi,..,vn)

falls (vi,..,vn) negativ orientiert sonst,

zu por, so ist p genau dann eine Dichte, wenn por eine alternierende n-Form ist. BEWEIS: " ^ = " ist trivial; zu " = > " : Sei also p eine Dichte. Aus (1) und (2) folgt (3) p(vi,.. ,Vi+w,.. ,vn) = p(vi,..,vn), wenn w eine Linearkombination aus den Variablen vi,.., Wj_i, fi+i, • •, vn ist und (4) p ist invariant unter Vertauschung zweier, also überhaupt unter Permutationen der Variablen. Aus (3) und (1) folgt weiter, daß p verschwindet, wenn v\,..., vn linear abhängig sind. Es sei nun ( e i , . . . , e n ) eine positiv orientierte Basis von V und LÜ e Alt n V die wohlbestimmte alternierende n-Form, welche

erfüllt. Wir zeigen ,- • - , e n ) = pOT(vi,..

-,

für k — 0 , . . . , n durch Induktion nach k. Induktionsschluß von k auf k + 1: oBdA sei (vi,..., Vk+i,ek+2, • • •, e n ) linear unabhängig. Wegen (3) dürfen wir annehmen, daß vi,..., v^+i aus der linearen Hülle Vk+i von e\,... ,ek+i sind, wegen (4) daß v^+i i Vk gilt, und abermals wegen (3), daß v\,...,Vk Elemente von Vk

5.1 Die Integranden

85

sind, diesen Raum aus Dimensionsgründen also aufspannen. Nochmalige Anwendung von (3) erlaubt uns deshalb, v^+i — Aefe+i oBdA anzunehmen, womit wegen (1) der Induktionsschluß geführt ist. D Der Raum der Dichten in V, nennen wir ihn einmal Dens(F), ist also wie Alt n V ein eindimensionaler Vektorraum, aber erst die Entscheidung für eine der beiden Orientierungen von V stellt einen kanonischen Isomorphismus Dens(V) = Alt n V her. Analog zu den n-Formen auf Mannigfaltigkeiten definieren wir nun Definition: Unter einer Dichte auf einer n-dimensionalen Mannigfaltigkeit M verstehen wir eine Zuordnung p, welche jedem p e M eine Dichte pp € Dens (TpM)

in dem Tangentialraum bei p zuweist.

D

Eine Dichte p auf M nennen wir natürlich stetig oder differenzierbar usw., wenn sie es bezüglich Karten ist, d.h. wenn p{d\,.. • ,dn) jeweils die Eigenschaft hat. Den Raum der differenzierbaren Dichten auf M könnten wir, wegen seiner nahen Verwandtschaft zu flnM, mit ttdensM bezeichnen. Auf orientierten Mannigfaltigkeiten besteht nur ein formaler Unterschied zwischen Dichten und n-Formen, und das obige Lemma gibt uns eine kanonische Bijektion zwischen f2densAf und QnM. Ubergang zur entgegengesetzten Orientierung ändert aber das Vorzeichen dieser Bijektion, und auf nichtorientierbaren Mannigfaltigkeiten scheint doch ein wesentlicher Unterschied zwischen Dichten und n-Formen zu bestehen, und so ist es auch. Als die naheliegenden Integranden empfehlen sich also die Dichten. Auf orientierten Mannigfaltigkeiten leisten die n-Formen zwar dasselbe — und insofern verstehen wir jetzt, was sie überhaupt mit der Integration zu tun haben — aber die Dichten führen auch auf nichtorientierbaren Mannigfaltigkeiten noch zu einem wohldefinierten Integralbegriff. Daß dennoch die Formen bevorzugt werden hängt damit zusammen, daß sie auch als kFormen für k < n zur Verfügung stehen, zum Beispiel ist ja

86

Kapitel 5. Integration auf Mannigfaltigkeiten

der Satz von Stokes ein Satz über (n — 1)-Formen. Zwar ließen sich auch fc-Dichten in einer für Integralsätze auf nichtorientierbaren Mannigfaltigkeiten zweckmäßigen Weise definieren, aber dazu brauchte man doch wieder den Formenbegriff. (In einer anderen Sprache gesagt: Bezeichnet L —> M das zur Orientierungsüberlagerung assoziierte Geradenbündel, dessen Schnitte die von den Physikern so genannten Pseudoskalare sind, dann sind die Dichten die L-wertigen n-Formen, und allgemeiner hätte man die fc-Dichten als L-wertige &-Formen aufzufassen.)

5.2 Die Anschauung vom Integrationsvorgang Obwohl wir die folgende Betrachtung ebensogut für eine Dichte auf einer beliebigen nichtorientierten Mannigfaltigkeit anstellen könnten, wollen wir uns, im Hinblick auf den weiteren Fortgang, an die Formen halten. Sei also M eine orientierte ndimensionale Mannigfaltigkeit und u> eine n-Form darauf. Jedes einzelne wp e AltnTpM antwortet auf orientierte Spate in TPM, und wir wollen nun intuitiv zu verstehen suchen, ob und inwiefern uns u) eine "Antwort" JM LÜ auf die ganze Mannigfaltigkeit gibt. Dazu betrachten wir eine orientierungserhaltende Karte Ct/CAf

"Masche"

Teilquader des Rasters

Q' c u' c mn Fig. 52. "Maschen"

h : U -=-> U' C Kn von M und im Kartenbild U' einen Quader Q' = [a 1 ,6 1 ]x---x[a n ,6 n ] C U', den wir uns durch Unterteilungen der Kanten-Intervalle [a*,6J] fein gerastert denken. Der große Quader Q' ist dann die Vereinigung vieler kleiner Teilquader, deren Urbilder unter der Karte h wir die Maschen des Rasters nennen wollen. Um eine Bezeichnung zu haben, wollen wir ap für die Masche mit dem "linken unteren

Eckpunkt" p schreiben, das ist also das Urbild des Teilquaders 4=1

5.2 Integrationsvorgang

87

der Rasterung von Q', wobei xp,... ,xp die Koordinaten des Gitterpunktes p e Q bedeuten. Natürlich soll

peGitter^o-p

gelten, und wir versuchen daher zu verstehen, ob und wie LO auf die einzelnen Maschen antwortet. — Es entspricht nur dem üblichen Vorgehen der Infinitesimalrechnung, wenn wir zu diesem Zweck die kleinen Maschen erst einmal linear approximieren, d.h. ap jeweils mit dem tangentialen Spat sp in TpM vergleichen, CM welches wir als Urbild unter der linearen Approximation dhp der Karte aus Fig. 53. Approximation dem zu ap gehörigen Teilquader erhalten: Da die Einheitsvektoren des K™ unter dem Kartendifferential gerade den Koordinatenbasisvektoren d\,..., dn des Tangentialraumes entsprechen, sind die die Kantenvektoren des Spates, also

Nun gibt uns die alternierende n-Form uip auf TPM eine wohldefinierte Antwort LÜP(AXI

• d 1 , . . . , A x % - d n ) - Lüp(du

.. . , d n ) A x l •...•

Ax^,

und natüxlich liegt es nahe,

E

wp{d1,...,dn)Axlp-...-Ax;

p € Gitter

als eine Näherungssumme für J„ u> aufzufassen und das Integral als Limes solcher Summen bei immer feinerer Rasterung von Q zu verstehen. Die eingangs schon angekündigte Formel

fu= Q

f{tü1...noh~1)dx1...dxn

Kapitel 5. Integration auf Mannigfaltigkeiten wird uns auf diese Weise geometrisch und nicht nur formal verständlich.

Kleine Maschen werden also dnrch orientierte tangentiale Spate approximiert, auf die u) ja eine Antwort schon bereit hält — in erster Näherung antwortet u> auf die orientierten Maschen selbst. Denkt man sich die ganze Mannigfaltigkeit in kleine Maschen aufgeteilt, so ist das Integral die Summe der Antworten auf die Maschen, und Zuversicht, daß das Ergebnis nicht von der Wahl der dabei verwendeten Karten abhängen wird, gibt uns die Interpretation der n-Form als Dichte. Diese Vorstellung von den n-Formen und dem Integral JM u> wird sich als nützlich erweisen, insbesondere für das intuitive Verständnis der Cartanschen oder äußeren Ableitung und des Satzes von Stokes, JMdui = jdMoj. Das bedeutet aber nicht, daß die Approximation von Maschen durch Spate auch technisch der beste Weg sein müßte, das Integral wirklich einzuführen. In der Tat setzen wir ja die Integrationstheorie im Rn als bekannt voraus und wollen sie für die Integration auf Mannigfaltigkeiten ausnutzen und nicht parallel noch einmal von vorn entwickeln. Was wir aus der Integrationstheorie dabei brauchen, wird im nächsten Abschnitt aufgezählt.

5.3

Lebesgue-Vorkenntnisse-Paket

Nach längerer Zeit stelle ich nun wieder einmal zusätzliche Anforderungen an Ihre Vorkenntnisse, indem ich annehme, Sie seien mit dem Lebesgue-Integral im R™ bekannt. Um aber etwas genauer zu sagen, was ich damit meine, schnüre ich Ihnen das folgende Vorkenntnis-Paket. Die Lebesgue-meßbaren Teilmengen des Kn bilden eine u Algebra SDT, auf der das Lebesgue-Maß ß : 2JI —>• [0, oo] definiert ist, wodurch dann der M" erst einmal als ein Maßraum

5.3 Lebesgue-Paket

89

(Rn,07l, ß) etabliert ist. Die bezüglich fi integrierbaren Funktionen R n —»• K bilden dann, wie analog für jeden Maßraum, einen Vektorraum JC,1 C$Ln, ß), auf dem das Integral als lineare Abbildung

f wie wir es ganz schlicht notieren wollen, gegeben ist. Die Abbildung

j \f{x)\dx =: ist eine Halbnorm auf iZ1, es gilt |/|i = 0 genau dann, wenn / fast überall, d.h. außerhalb einer Menge vom Maß Null, verschwindet. Dividiert man £1(Mn,/x) nach dem Untervektorraum der fast überall verschwindenden Funktionen, so erhält man also einen normierten Vektorraum, wir bezeichnen ihn mit L1 (K n , fi), dessen Elemente nun die Äquivalenzklassen integrierbarer Funktionen nach der Relation fast völligen Ubereinstimmens sind. Über die Eigenschaften dieses Lebesgue-Integrals wäre natürlich viel zu sagen, kleine Lemmas und große Sätze. Erinnern will ich jedenfalls an drei fabelhafte Konvergenzsätze, die übrigens für das Lebesgue-Integral über beliebigen Maßräumen gelten, nämlich den Normkonvergenzsatz, den Satz von der monotonen Konvergenz und drittens den Satz von der dominierten Konvergenz, auch Lebesguescher Konvergenzsatz genannt. Pauschal gesagt handeln alle drei Konvergenzsätze davon, wann eine Folge integrierbarer Funktionen wieder gegen eine integrierbare Funktion konvergiert und Limes und Integral vertauscht werden dürfen. Als Normkonvergenzsatz bezeichne ich dabei die Aussage, daß L1^ R n , /i) vollständig, also ein Banachraum ist. Der zweite Satz besagt, daß es bei punktweise monotoner Konvergenz fk / f für die gewünschte Konvergenzaussage genügt, daß die

90

Kapitel 5. Integration auf Mannigfaltigkeiten

Folge der Integrale J R n fkdx beschränkt bleibt, und der dritte schließlich versichert, daß bei beliebiger punktweiser Konvergenz fk —*• / die Existenz einer "dominierenden" Punktion g e £}, d.h. einer mit \fk{x)\ < d(x) für alle k und x, hinreichend für / e £} und J fdx = lim / ff.dx ist. Außer an diese drei allgemeinen Konvergenzsätze will ich an zwei wichtige speziell den Mn betreffende Theoreme erinnern,

nämlich an den Satz von Fubini und die

Transformationsfor-

mel. Der Satz von Pubini führt bekanntlich die Integration über den R n induktiv auf den eindimensionalen Fall, also auf die Integration über M zurück ("Mehrfachintegral"). Ich will die genaue Formulierung des Satzes jetzt nicht hinschreiben. Ganz ausführlich soll aber die Transformationsformel zitiert werden, denn sie ist ein Dreh- und Angelpunkt der Integration auf Mannigfaltigkeiten. Doch zuvor noch eine Sprech- und Schreibweise. Wir haben bisher immer von Integralen über ganz R n gesprochen. Der Fall einer Teilmenge 0, C R™ als Integrationsbereich ist dabei aber in folgender Weise mit eingeschlossen: Ist f2 im Definitionsbereich von / enthalten, so definieren wir /o : Mn —> M diirch f f \

/

f ü r

-^)

x

6

Q

{ 0 sonst, ganz gleich, ob und wie / außerhalb von f2 vorher erklärt war, und wir nennen / integrierbar über 0, (bezüglich des LebesgueMaßes fin des M.n, wohlgemerkt), wenn /n e ^ ( R " , ^ ) ist und schreiben dann

f

f

/ f{x)dx :— I fa(x)dx. J

J

ü

R"

Satz (Transformationsformel): Es sei fl C M" offen und f : fl —> M über O integrierbar. Ferner sei nun Q C R n eine weitere offene Teilmenge und ip : Q -^* fl ein^ C1Diffeomorphismus. Dann ist auch f o ip • | det Jv | iiber Ö integrierbar und es gilt

f

f

/ fdx=l(foip)-\ det Jv\dx, Jn Ja wobei Jv : £1 —> M{n x n, R) die Jacobimatrix von ip bezeichnet. D

5.3 Lebesgue-Paket

91

Der ^Diffeomorphismus

1

fc=i

eine solche Zerlegung M = (Ji^i M gegeben.

D

Unsere Absicht ist natürlich, JMLU := J2ili IA ^ z u Wie wir über kleine Stücke mittels Karten zu integrieren haben, ist

5.4 Die Definition

93

uns intuitiv schon klar geworden, die Transformationsformel fiir das Lebesgue-Integral gibt uns die technische Möglichkeit dazu.

Satz und Deflnition (Integration auf Mannigfaltigkeiten): Eine n-Form UJ auf einer orientierten n-dimensionalen Mannigfaltigkeit M heißt integrierbar, wenn für eine (dann jede) Zerlegung (Ai)ieN von M in abzählbar viele kleine meßbare Teilmengen und eine (dann jede) Folge (Ui,hi)ie® von orientierungserhaltenden Karten mit A^ c Ui gilt: Für jedes i e N ist die heruntergeholte Komponentenfunktion

von UJ bezüglich (C/j,/ij) iiber hi(Ai) Lebesgue-integrierbar, und es ist oo r

Yl

/ \ai(x)\dx i und (Bj)j>\ Zerlegungen von M in meßbare Mengen und (Ui,hi) und (Vj,kj) orientierungserhaltende Karten mit A^ c Ui und Bj C Vj. Die n-Form u>, mit heruntergeholten Komponentenfunktionen a» bezüglich (JJi,hi) und bj bezüglich (Vj,kj), erfülle die Bedingungen bezüglich der A^ und hi, d.h. a» ist über hi(Ai) integrierbar und X)i=i Ih(A ) \ai\dx < oo. Zu zeigen ist, daß dann auch die bj über kj(Bj) integrierbar sind und \bj\dx BEWEIS DER DABEI GEMACHTEN BEHAUPTUNGEN: ES

oo

Y,

i=l

/"

oo

/"

/ aidx = Yl /

J

hi(Ai)

1=1 J

kj(Bj)

94

Kapitel 5. Integration auf Mannigfaltigkeiten

gilt. — Bekanntlich ist eine Lebesgue-integrierbare Funktion auf dem R" auch über jede meßbare Teilmenge des Mn integrierbar, also insbesondere a» über hi(AidBj), und aus dem Lebesgueschen Konvergenzssatz folgt /

ciidx = JC

/

atdx,

und ebenso fiir |OJ| statt a». Nun wenden wir die in 5.3 so ausführlich zitierte Transformationsformel an, um von a^ auf hi(Ai n Bj) zu bj auf kj(Ai n Bj) überzugehen, d.h. wir setzen i n Bj

fürx ehi(AiC\Bj) 0 sonst, fi := kj(Ui n Vj) und schließlich (p-.^hiokr^kjiUinVj),

f(x) :=

der Kartenwechsel von fcj nach hi. Betrachte nun für jedes p e U~i n Vj die drei Differentiale

Aus der alternierenden n-Form ÜJP auf T p M werden durch die (Inversen der) beiden Kartendifferentiale zwei alternierende nFormen auf dem IRn induziert, die auf der kanonischen Basis die beiden Werte bj(kj(p)) bzw. (ii(hi(p)) annehmen. Der Endomorphismus Jv(kj{p)) wirkt aber auf Altn K" durch Multiplikation mit der Determinante, wie wir aus dem Lemma in 3.3 wissen, also gilt b k j( j{p)) = at(hi(p)) • det J^

5.4 Die Definition

95

oder bj =

(OJ

o ip) • | d e t J ¥

auf ganz kj(Ui n Vj), wobei wir die Betragsstriche setzen dürfen, weil ip orientierungserhaltend, die Jacobideterminante also positiv ist. Daraus folgt trivialerweise auch (b^k^AiOBj)

= {{ai)hi(AinBj) ° mit kompaktem Träger auf einer ndimensionalen orientierten Mannigfaltigkeit M ist genau dann integrierbar, wenn sie lokal integrierbar ist, d.h. wenn es um jeden Punkt eine Karte (U, h) gibt, so daß die heruntergeholte Komponentenfunktion w(d1,...,dn)oh'~1

: h{U)

>K

über h(U) C M.n Lebesgue-integrierbar ist. BEWEIS: Ist ({/j,/ij)j€N ein abzählbarer Atlas aus solchen Karten, so überdecken schon endlich viele, sagen wir die ersten r, den Träger von LÜ. Setzen wir A\ := U\ und Ai+\ = Ui+i \ Ufe=i ^-k, so ist u>\Ai = 0 für alle i > r, und daher

a,i\dx auf M und (p*oj natürlich ganz dieselben heruntergeholten Komponentenfunktionen und es ergibt sich die schöne und wichtige Natürlichkeitseigenschaft des Integrals: Notiz ("Transformationsformel" für die Integration auf Mannigfaltigkeiten): Ist

:= JMU>A, wobei U>A auf A mit u> übereinstimmt und außerhalb A null gesetzt ist. Die Transformationsformel nimmt dann die Form an Korollar: Ist (p : M —^M ein orientierungserhaltender Diffeomorphismus und A c M eine Teilmenge, so ist co genau dann über M integrierbar ist, und es gilt

r fdß= M

r / JM

99

5.6 Test

Wegen dim Alt™ TP M = 1 ist aber jede n-Form auf M von der Gestalt fu>M, und so kann man die Integration von n-Formen auf orientierten Mannigfaltigkeiten auch als Integration von Ftuiktionen auf einem Maßraum auffassen. — Kanonisch gegeben ist eine Volumenform freilich nicht.

5.6 Test (1) Das von den drei Einheitsvektoren im M3 auf gespannte Spat ist ein D Tetraeder

D Dreieck

D Würfel

(2) Ist A : Rn —>• Mn eine lineare Abbildung, so ist das ndimensionale Volumen von J4([0, l] n )

• Pll D D

detA

(3) Ist p eine Dichte und io eine alternierende n-Form auf einem n-dimensionalen Vektorraum V, so ist D —\p\ eine alternierende n-Form eine Dichte D ÜJ eine Dichte. D (4) Eine Teilmenge X C Rn ist genau dann eine Nullmenge, wenn es zu jedem s eine Folge von Würfeln Wi mit einem Gesamtvolumen Yl'iLi Vol(Wj) < e gibt, so daß G ICU^j D xcn^Wi D X c Wi für beliebig große i. (5) In der Ebene R2 bezeichne Q das Rechteck (1,2) x (0,TT/2) und K das Kreisringviertel im ersten Quadranten mit den Radien 1 und 2. Der Wechsel von Polar- zu kartesischen Koi > (x, y) durch x = rcostp und y = rsimp ordinaten, (r, ip) — definiert dann einen Diffeomorphismus $ von

100

Kapitel 5. Integration auf Mannigfaltigkeiten D K auf sich

D K nach Q

D Q nach K.

(6) Die Jacobideterminante det J$ (r, ip) ist dann ü r

D rsin2(p

D — r.

(7) Zuweilen trifft man die Notationsgewohnheit an, eine bestimmte Punktion in den verschiedensten Koordinatensystemen immer wieder mit dem Buchstaben / zu bezeichnen, gleichsam als wäre die Schreibweise J\xl>

• • • > xn)

~

J \

x

l \

x

l i

• • • i xn)>

• • • jx

n

\

x

l t

•••>

x

n)j

vereinbart. Sehr verwirrend! Aber nachvollziehbar, wenn man sich vorstellt, daß / eigentlich koordinatenunabhängig auf U lebt (z.B. auf einem Bereich U des realen physikalischen Raumes) und f{x'i,... ,x'n) den Punktionswert an jenem Punkt bedeuten soll, der bezüglich des gestrichenen Koordinatensystems die Koordinaten (x'x,..., x'n) hat, usw. Man schreibt dann also statt / o h ~ x , / o / i " 1 usw. stets / , in konsequenter Unterdrückung der Bezeichnungen h,h',... der Karten. — Wir wollen uns diese Notation nicht gerade zu eigen machen, aber sie im Notfall doch lesen können, und in diesem Sinne heißt nun die Prage: Wie lautet bei Anwendung obiger Konvention die Integraltransformationsformel zwischen kartesischen und Polarkoordinaten? D

II f(x,y)dxdy

= ff f(r,ip)rdrdcp

G II f(x, y) sjx2 + y2dxdy —fff(r, (p)drdip

= II f(r, (8) In den lokalen Koordinaten einer Karte (U,h) ist das Integral einer n-Form UJ über das Kartengebiet

/ w JU

= /

f(x) dx,

Jh(U)

wobei / : h(U) —> M so angegeben werden kann:

5.6

T

e

s

t

1

0

1

D f{x)=io{h-\x)) x D f(x , ...,xn)= LüX...n (Ricci-Kalkül) D f°h = u){di,...,dn)

(9) Unterscheiden sich zwei Karten (U, h) und (U,h') nur durch das Vorzeichen der ersten Koordinate, und sind a und a' die heruntergeholten Komponentenfunktionen einer auf U gegebenen n-Form u>, so ist

f

f

/h{U) adx Jh{U)

=

— Jh'{U) / Jh'

a' dx

Weshalb? D Weil in den Koordinaten des Mn aix1,... ,xn) = a'{-x\x2,...

,xn)

und die Determinate der Jacobimatrix des Kartenwechsels —1 ist. D Weil a(x1,...,xn) = -a'i-x1,^2,... ,xn) und der Betrag der Determinate der Jacobimatrix des Kartenwechsels 1 ist. D Weil a(xx,...,

xn) = -a'^x1,

...,xn)

u n d der K a r t e n -

wechsel orthogonal ist. (10) Für orientierungsumkehrende Diffeomorphismen (p : M —> N gilt

102

5.7

Kapitel 5. Integration auf Mannigfaltigkeiten

Übungsaufgaben

21: Man gebe eine n-Form w auf dem M.n so an, daß füx jedes 4 C K" mit einem Lebesgue-Maß fJ,(A) < oo gilt: AUFGABE

AUFGABE 22: Es sei cu eine integrierbare n-Form auf der orientierten n-dimensionalen Mannigfaltigkeit M. Man zeige, daß wie bei der Integration im Rn gilt: Stimmt eine n-Form 77 außerhalb einer Nullmenge in M mit ui überein, so ist auch 77 integrierbar undesgilt JMu) = JMVAUFGABE 23: Es sei M eine orientierte n-dimensionale Mannigfaltigkeit. Wie hätte man analog zu |..|i auf ^1(Mn,ju) eine Halbnorm |..|i auf dem Vektorraum £}(M) der integrierbaren nFormen auf M zu definieren? Erkläre zu jedem uo e Cl(M) in geeigneter Weise eine n-Form |u;|, so daß durch |u>|i := fM \ui eine Halbnorm definiert ist, die genau für die fast überall verschwindenden Formen Null ist.

24: Es sei TT : M —> M eine m-blättrige Überlagerung der zusammenhängenden n-dimensionalen orientierten Mannigfaltigkeit M. Die überlagernde Mannigfaltigkeit M sei so orientiert, daß n überall orientierungserhaltend ist. Man zeige: Ist cü auf M integrierbar, so auch ir*ui auf M und es gilt AUFGABE

5.8 Hinweise zu den Übungsaufgaben Zu AUFGABE 21: Uber das Lebesgue-Maß braucht man zur Lösung dieser Aufgabe nur zu wissen, daß für Lebesgue-meßbare Ac Rn mit endlichem Maß ß(A) = / 1 dx gilt. Das soll hier natürlich nicht bewiesen werden, sondern wird als bekannt vorausgesetzt. Die Aufgabe ist nicht schwer und soll

5.8 Hinweise zu den Übungsaufgaben

103

Sie nur veranlassen, die Definition des Integrals über eine n-Form nochmals durchzulesen. Zu AUFGABE 22: Denselben Zweck hat auch diese Aufgabe, nur kommt man hier nicht wie in Aufgabe 21 mit einer einzigen Karte für M aus. Zu AUFGABE 23: Achtung: Mit \ÜJ\P ist hier nicht der Betrag \LÜP von uip : TpM x • • • x TPM —> M gemeint, das wäre ja auch gar keine alternierende n-Form auf TpM. Für jedes p e M wird man aber zweckmäßigerweise \LO\P :— ±top setzen, es fragt sich nur, wie das Vorzeichen von p abhängen soll. Daß \LU\ für ui e £x(M) wirklich integrierbar und | • |i := JM | • | eine Halbnorm auf CX{M) mit der genannten Eigenschaft ist, soll natürlich bewiesen, das heißt hier: auf entsprechende Eigenschaften des Lebesgue-Integrals im R.n zurückgeführt werden. Zu AuFGABE 24: Über den Überlagerungsbegriff ist man für diese Aufgabe hinlänglich unterrichtet, wenn man die Seiten 144-148 in [J: Top] durchliest und zusätzlich zur Kenntnis nimmt, daß im Falle einer Überlagerung TT : M —> M einer Mannigfaltigkeit M der überlagernde Raum M in kanonischer Weise auch eine Mannigfaltigkeit ist, und zwar mit der einzigen differenzierbaren Struktur, fiir die n überall lokal diffeomorph ist. Wie wird man die Zerlegung „

oo m

Karte

Fig. 56. Zur differenzierbaren Struktur von M



M = U U Azj von M in meßbare Teilmengen wohl zu wählen haben, damit die Integrierbarkeit von 7r*w und die Formel J~ TV*UI = mfMu) ohne Mühe folgt? Anschaulich ist's klar!

6

Berandete Mannigfaltigkeiten

6.1 Vorbemerkung Der klassische Satz von Stokes handelt von dem Zusammenhang zwischen "Flächenintegralen" und "Linienintegralen", eine dreidimensionale Version davon, der sogenannte Gaußsche Integralsatz, sagt etwas über die Beziehung zwischen "Volumenintegralen" und Flächenintegralen aus. Af,hier D3

or. Randlinie dM Fig. 57. Beim ursprünglichen Satz JM f rot v-dF= JBM f v-ds von Stokes wird über eine Fläche und deren Randlinie integriert.

Randfläche dM = S 2 Fig. 58. Beim Gaußschen Integralsatz f v-dP= f divvdV wird "über eine geschlossene Fläche und über das von ihr umschlossene Volumen" integriert.

Wir wollen hier natürlich beide Fälle zugleich behandeln, und schon dafür lohnte sich eine n-dimensionale Fassung des Satzes. Auch wollen wir uns nicht auf Untermannigfaltigkeiten des K3 oder des R beschränken. Um aber den Satz von Stokes in voller Allgemeinheit formulieren zu können, brauchen wir den Begriff der berandeten Mannigfaltigkeit, dem der gegenwärtige Paragraph gewidmet ist.

6.2 Der Halbraum

105

6.2 Differenzierbarkeit im Halbraum Das lokale Modell für die berandeten Mannigfaltigkeiten ist der abgeschlossene Halbraum, so wie Rn das lokale Modell der Mannigfaltigkeiten ist. Um diese Vorstellung in eine genaue Definition zu fassen, müssen wir zuerst erklären, was Differenzierbarkeit im Falle des Halbraumes bedeuten soll. Welchen Halbraum wir benutzen, ist natürlich gleichgültig, aber im Hinblick auf eine gewisse Orientierungskonvention, die wir zu treffen haben werden, entscheiden wir uns für den linken Halbraum: Notation und Sprechweise: Für n > 1 bezeichnen wir mit R™ den Halbraum {x e Rn | xl < 0} und mit ÖR™ := 0 x R™"1 seinen sogenannten Rand. Ist U C R™ offen in der Teilraumtopologie des R™ C R n (kurz: offen in R™ ), so heißt dU := UndWL der Rand von U, die Elemente p e dU dementsprechend Randpunkte von U. D Der Rand dU von U kann natürlich auch leer sein, offensichtlich ist das genau dann der Fall, wenn U C R™ nicht nur in R" , sondern sogar in der Topologie des R n offen ist. In der Topologie versteht ujn-i 9M" man unter einem Randpunkt einer Teilmenge A eixi nes topologischen Raumes X ein Element x e X, das weder innerer noch äußerer Punkt von A ist. FDieser Sprechweise sollten wir aber jetzt für einige Zeit aus dem Wege gehen, denn sie kollidiert mit dem oben eingeführten Randbegriff für in R™ offene U. Beachte, daß dU im allgemeinen nicht mit dem topologischen Rand von U übereinstimmt, ganz gleich ob man U dafür als Teilmenge von R" oder von R n ansieht. Definition: Sei U oflfen in R™ . Eine Abbildung / : U -+ Rk heißt differenzierbar an der Stelle p e U, wenn sie zu einer in

106

Kapitel 6. Berandete Mannigfaltigkeiten

einer Umgebung von p in M" difFerenzierbaren Abbildung fortgesetzt werden kann, d.h. wenn es eine offene Umgebung Up von p in M" und eine differenzierbare Abbildung g : Üp —> M gibt, so daß f\U nÜp = g\Un Üp gilt. D Für die p e U \ dU ist das nichts Neues, und / ist schlechthin, also überall differenzierbar, wenn es auf U \ dll im üblichen Sinne und für alle p e dU im obigen Sinne differenzierbar ist. Unter einem Diffeomorphismus zwischen in M" offenen Teilmengen verstehen wir natürlich eine Fig. 60. Zur Differenzier- in beiden Richtungen differenzierbare barkeit an Randpunkten. Bijektion. Solche DifFeomorphismen werden die Kartenwechsel der noch zu definierenden berandeten Mannigfaltigkeiten sein. Die folgenden beiden Lemmas beleuchten ihr Verhalten am Rande. u •

6.3 Das Randverhalten der Diffeomorphismen Lemma 1: Ist f : U -^^ V ein Diffeomorphismus zwischen in Mü offenen Teilmengen, so ist f(dU) = dV und folglich f\dU : dU

dV

ein Diffeomorphismus der offenen Teilmengen des

Fig. 61. Annahme

BEWEIS: Sei p e dll und g : Up —> R n eine lokale differenzierbare Fortsetzung von / . Angenommen, der Punkt f(p) wäre kein Randpunkt von V. Wegen der Stetigkeit von f^1 hätte er dann eine in Rn offene Umgebung Vp in V mit f-^Vp) C Up. Aber g°{f~l\Vp) ist dieldentität

6.3 Randverhalten der Diffeomorphismen

107

auf Vp, und g und / 1|V^) sind difFerenzierbar im üblichen Sinne, also hat / - 1 bei f(p) jedenfalls den vollen Rang n, ist nach dem Umkehrsatz also ein lokaler Diffeomorphismus im üblichen Sinne, insbesondere ist also /~1(^/p) C U Umgebung von p in R n , im Widerspruch z n p e dU. — Damit haben wir f(dU) C dV gezeigt, ebenso aber f~l{dV) C dU, also f(dU) = dV. D Die lokale difFerenzierbare Fortsetzung einer Abbildung / : U —>• K um einen Randpunkt p ist natürlich nicht eindeutig bestimmt, wohl aber alle partiellen Ableitungen daf von / an der Stelle p, insbesondere die Jacobi-Matrix Jf (p). Lemma 2: Ist f : U -^ V ein Diffeomorphismus zwischen in R™ offenen Teilmengen und p e dU, so bildet das wohldeßnierte Differential

unu.

Fig. 62. Lokale Fortsetzung nicht eindeutig bestimmt, wohl aber die daf\p.

™~ den Untervektorraum 0 x M™ ~ und die Halhräume M" jeweils in sich ab, d.h. die Jacobi-Matrix ist von der Form

0

Jfip) =

öl/2

mit dtf1 > 0 . BEWEIS: Wegen f(dU) = dV ist jedenfalls f\dU = 0, also dkfx = 0 für k = 2 , . . . ,n, und weil V in R™ liegt gilt f1 < 0 auf C/, also für t < 0, also ö i / 1 > 0 und daher sogar d\fx > 0, weil Jf{p) D vollen Rang hat.

108

Kapitel 6. Berandete Mannigfaltigkeiten

6.4 Der Begriff der berandeten Mannigfaltigkeit Soviel über die zukünftigen Kartenwechsel, und nun zum Begriff der berandeten Mannigfaltigkeit selbst. Der einzige formale Unterschied zu den gewöhnlichen ("unberandeten") Mannigfaltigkeiten besteht darin, daß wir nun als Kartenbilder auch in M™ offene Teilmengen zulassen. Sei zunächst X ein topologischer Raum. Ein Homöomorphismus h einer offenen Teilmenge U C X auf eine in M™ oder in I " offene Teilmenge U' von M™ bzw. Rn heiße eine berandete n-dimensionale Karte für X. Dementsprechend sind die Begriffe berandeter n-dimensionaler Atlas, differenzierbarer berandeter n-dimensionaler Atlas und berandete ndimensionale differenzierbare Struktur (maximaler Atlas) zu verstehen. Definition: Sei n > 1. Eine berandete n-dimensionale Mannigfaltigkeit ist ein Paar (M, T>), meist kurz als M geschrieben, bestehend aus einem zweit-abzählbaren Hausdorffraum M und einer berandeten n-dimensionalen differenzierbaren Struktur V für M. Abbildungen zwischen berandeten Mannigfaltigkeiten nennen ü wir differenzierbar, wenn sie es bezüglich Karten sind. Bei einem Kartenwechsel müssen Randpunkte in Randpunkte übergehen, wie wir in Lemma 1 gesehen hatten. Daher dürfen wir definieren

Fig. 63. Ist P Randpunkt bezÜKÜch

h,

dann

auch

Definition: Sei M eine berandete Mannigfaltigkeit. Ein Punkt p e M heißt ein Randpunkt von M, wenn er durch eine (dann jede) Karte (JJ, h) um p auf einen Randpunkt 7

/ \

7

/rT\

_

mn

i

i Mi •

bezüglichfc:der Rand von HP) VOn h(U) C M™ abgeblldet M ist wohldefiniert. wird. Die Menge dM der Randpunkte heißt der Rand der berandeten Mannigfaltigkeit M. • Notiz: Der Rand dM einer n-dimensionalen berandeten Mannigfaltigkeit M erhält durch die Einschränkungen h\UndM:UndM

- ^ d(h(U)) C 0 x W1'1 ^ R™"1

6.5 Untermannigfaltigkeiten

109

der Karten von M einen (n — l)-dimensionalen gewöhnlichen differenzierbaren Atlas und wird so zu einer gewöhnlichen (unberan• deten) (n — l)-dimensionalen Mannigfaltigkeit. Diese Mannigfaltigkeit ist künftig stets gemeint, wenn vom Rand dM einer berandeten Mannigfaltigkeit die Rede ist. Man sagt auch, M werde von dM berandet oder dM berandet M. Ist / : M —> N eine differenzierbare Abbildung zwischen berandeten Mannigfaltigkeiten, so ist natürlich auch f\dM : dM —> N difFerenzierbar, und aus dem Lemma 1 folgt Notiz: Ist / : M -^^ N ein Diffeomorphismus zwischen berandeten Mannigfaltigkeiten, dann ist f{dM) — dN, und f\dM : dM ^^> dN ist ein Diffeomorphismus. D Für n > 1 betrachten wir jede gewöhnliche n-dimensionale Mannigfaltigkeit M in der naheliegenden Weise auch als berandete Mannigfaltigkeit mit leerem Rand. Unter einer nulldimensionalen berandeten Mannigfaltigkeit verstehen wir einfach eine nulldimensionale Mannigfaltigkeit. Der Rand einer nulldimensionalen berandeten Mannigfaltigkeit ist also, wie es sich für eine (—l)-dimensionale Mannigfaltigkeit gehört, stets leer.

6.5

Untermannigfaltigkeiten

Wir wollen nicht alles, was sich von den gewöhnlichen Mannigfaltigkeiten unmittelbar auf die berandeten Mannigfaltigkeiten verallgemeinert, ausführlich niederschreiben. Wäre das gefordert, so hätten wir besser von Anfang an den allgemeineren Begriff zugrunde gelegt! Indessen gibt es doch Angelegenheiten, bei deren Übertragung auf berandete Mannigfaltigkeiten gewisse Entscheidungen oder Verabredungen getrofFen werden müssen oder die sich sonstwie nicht ganz von selbst verstehen, und einiges dieser Art soll in diesem und den folgenden Abschnitten noch besprochen werden. Definition: Es sei M eine n-dimensionale berandete Mannigfaltigkeit und 1 < k < n. Eine Teilmenge Mo C M heißt eine

110

Kapitel 6. Berandete Mannigfaltigkeiten

fc-dimensionale berandete Untermannigfaltigkeit, wenn es um jedes p e Mo eine berandete Karte (U, h) von M gibt, so daß h(U n Mo) = (M_ x 0) n h(U) gilt. D Das ist nicht die einzige plausible Möglichkeit, den Untermannigfaltigkeitsbegriff für berandete Mannigfaltigkeiten zu fassen. Indem wir für uns diese Version wählen, treffen wir zwei Entscheidungen: erstens verlangen wir nicht, daß dM$ C dM sein muß. Wenn aber, zweitens, ein Punkt p e MQ im Rand von M liegt, dann ist er auch Randpunkt von MQ und MQ ist dort "transversal" zu dM in dem Sinne, daß eben MQ und dM bei p bezüglich der Karte wie R_ und 0 x l™" 1 aneinanderstoßen müssen:

Fig. 64. Die beiden zugelassenen Möglichkeiten für die Lage von dM0 bezüglich dM

Insbesondere ist dM selbst, außer wenn es leer ist, keine Untermannigfaltigkeit von M, und auch die nichtleeren Untermannigfaltigkeiten von dM lassen wir nicht als Untermannigfaltigkeiten von M gelten. Unter einer nulldimensionalen Untermannigfaltigkeit MQ C M verstehen wir sinngemäß eine gewöhnliche nulldimensionale Untermannigfaltigkeit von M \ dM, den Rand soll sie nicht treffen dürfen, weil sie selbst keinen hat. Wie bei den gewöhnlichen Mannigfaltigkeiten sind die k-dimensionalen berandeten Untermannigfaltigkeiten wirklich in kanonischer Weise fc-dimensionale berandete Mannigfaltigkeiten, die Einschränkungen der Flachmacher (U, h) jeweils auf U n MQ bilden einen fc-dimensionalen berandeten differenzierbaren Atlas für M o .

6.6 Konstruktion

111

6.6 Konstruktion berandeter Mannigfaltigkeiten Als Beispiele für Konstruktionen gewöhnlicher Mannigfaltigkeiten hatten wir die Bildung von Summen, Produkten, gewissen Quotienten und die Urbilder regulärer Werte angeführt. Die disjunkte Summe M\ + M^ zweier berandeter n-dimensionaler Mannigfaltigkeiten ist in kanonischer Weise wieder eine. Bei der Produktbildung gibt es eine kleine technische Schwierigkeit: zwar ist kanonisch Rk x R n = R fe+n , aber Rfe x M™ ist kein Halb- sondern eher ein Viertelraum in Rk+n. Bildet man zum Beispiel das Produkt [ a, b ] x D2 aus einem abgeschlossenen Intervall und einer abgeschlossenen Kreisscheibe, so erhält man einen 3-dimensionalen Vollzylinder, in dessen Rand sich zwei Fig. 65. Entste"Kanten" befinden, nämlich a x S1 und hung von Kanten am Produkt. b x S1. Allgemeiner ist M x N, intuitiv gesprochen, so etwas wie eine berandete Mannigfaltigkeit mit Rand d(M xN) = dM x NUM xdN und einer "Kante" längs dM x dN. Je nachdem, weshalb man überhaupt solche Produkte betrachten möchte, wird man sie ent1 weder zu richtigen berandeten MannigfaltigaxS keiten machen, indem man die Kanten mit Fig. 66. [a,b]xD2 Hilfe eines nur bei 0 nicht lokal diffeomormit seinen "Kanten". phen Homöomorphismus R i x M.1 -> R2_ "glättet", oder aber man wird sie unverändert lassen und eine Theorie der "Mannigfaltigkeiten mit Kanten" entwickeln. Wir wollen hier keinen dieser Wege beschreiten, sondern nur darauf hinweisen, daß wenigstens dann, wenn einer der beiden Faktoren unberan- Fi s- 67- Glättungsabbildung det ist, das Produkt in kanonischer Weise wieder eine berandete Mannigfaltigkeit ist.

112

Kapitel 6. Berandete Mannigfaltigkeiten

Der Quotient M/T einer berandeten n-dimensionalen Mannigfaltigkeit M nach einer fixpuiLktfreien Involution r ist in kanonischer Weise wieder eine n-dimensionale berandete Mannigfaltigkeit, ganz wie in 1.6 für gewöhnliche Mannigfaltigkeiten geschildert, und d(M/r) = (8M)/T. Eine wichtige Quelle E konkreter Beispiele berandeter Mannigfaltigkeiten ist, wie bei den unberandec ten Mannigfaltigkeif ten, der Satz vom regulären Wert: Lemma: Ist M eine n-dimensionale unberandete MannigfalFig. 68. Urbild /^((-oo.c])—M o bei regulärem c. Es ist dann /~ 1 (c)=9Mo. tigkeit und c e K regulärer Wert einer C°°-Funktion f : M -> R, so ist Mo := {p e M\ f(p) < c} eine ü n-dimensionale berandete Untermannigfaltigkeit von M.

6.7 Tangentialräume am Rande Wie steht es mit den Tangentialräumen TpM für Randpunkte p e dMI Sind sie überhaupt wohldefiniert? Und wenn ja, sollen wir vielleicht besser tangentiale Halbräume benutzen? Hinweis und Vereinbarung: Auch für berandete Mannigfaltigkeiten M und auch an Randpunkten p e dM ist der Tangentialraum als TpM:=T°;isM ^ rP h y s M kanon

wieder wohldefiniert, und bezüglich einer Karte (U, h) ist für jedes p e U wie bei gewöhnlichen Mannigfaltigkeiten die Koordinatenbasis (9i,... dn) von TPM erklärt. — Wir benutzen also auch für

6.8 Die Orientierungskonvention

113

Randpunkte den ganzen Vektorraum TPM als Tangentialraum, jedoch sind für p e dM die beiden Halbräume p

M :=

(K±)

unabhängig von der Karte wohldefiniert.

D

Notiz und Sprechweise: Es sei p ein Randpunkt von M. Dann ist offenbar kanonisch TpdM C TpM und T+MnTpM

= TpdM. T+M

Die Elemente von T~M \ TpdM heißen nach innen weisende, die Halbräume p von T+M \ TpdM nach außen p weisende Tangentialvektoren. Ein v e TpM weist genau dann nach innen bzw. atißen, wenn bezüglich einer (dann jeder) Karte die erste Komponente vl von v negativ bzw. positiv ist. D

6.8 Die Orientierungskonvention Die Begriffe Orientierung und orientierender Atlas werden für berandete Mannigfaltigkeiten genau so definiert wie für gewöhnliche. Man sieht leicht, daß der Rand einer orienüerten Mannigfaltigkeit M jedenfalls orientierbar ist, was aber nicht bedeutet, daß dM auch schon kanonisch orientiert sei. Dazu brauchen wir vielmehr eine Orientierungskonvention: Ist M eine orientierte n-dimensionale berandete Mannigfaltigkeit und p e dM, von so soll eine Basis w±,...,wn-i TpdM genau dann positiv orientiert heißen, bzw. TpdM im Falle n = 1 die

Fig. 70. Zur Orientie-

k mngskonvention

114

Kapitel 6. Berandete Mannigfaltigkeiten

Orientierung +1 tragen, wenn für einen (dann jeden) nach außen von TpM posiweisenden Vektor v die Basis (v,w\,...,wn-i) tiv orientiert ist. Mit der dadurch festgelegten Orientierung sei der Rand dM einer orientierten Mannigfaltigkeit künftig immer versehen. D Orientieren wir also dreidimensionale berandete Untermannigfaltigkeiten, etwa eine Vollkugel oder einen Volltorus, des uns umgebenden realen physikalischen Raumes durch die Rechte-HandRegel, so ist die Oberfläche in der Daraufsicht entgegen dem Uhrzeigersinn orientiert.

Fig. 71. Orientierungskonvention und Rechte-Hand-Regel für Körper im physikalischen Raum.

Da wir Tangentialräume und auf Kartengebieten auch die Koordinatenvektorfelder di,...,dn für berandete Mannigfaltigkeiten zur Verfügung haben, ist natüxlich auch klar, was unter kFormen LO auf einer berandeten Mannigfaltigkeit zu verstehen ist, wann eine solche Form stetig bzw. differenzierbar heißt, was der Vektorraum QkM der differenzierbaren fc-Formen auf M und schließlich, wann eine n-Form LO auf einer n-dimensionalen orientierten berandeten Mannigfaltigkeit integrierbar ist und was dann unter dem Integral JMto zu verstehen ist. Damit sind wir dem Satz von Stokes wieder ein Stück nähergerückt.

6.9

Test

(1) Offen in der Topologie des Halbraums 1 " = { I 6 Wn | X1 < 0 ist

6.9 Test

115

D X := { x e Rn | || x || < 1 und xl < 0 } D X := { x € Rn j || x || < 1 und x1 < 0 } D X := { x e Mn | || a; || < 1 und z 1 < 0 }. (2) Sei U der in der linken Halbebene IR'L gelegene Teil des offenen Quadrats (—1,1) x (—1,1), also U = { (x, y)

G

M2 | - 1 < x < 0 und - 1 < y < 1}.

Es bezeichne A die rechte und B die Vereinigung der anderen drei Seiten von U, genauer jedoch: A := 0 x ( — 1,1) und ß : = - l x [ - l , l ] U [-l,0]x{±l}. Als Teilmenge des toplogischen Raumes M.2^ hat U auch einen topologischen Rand, das ist die Menge t/R2 der Punkte des R_ , die weder innere noch äußere Punkte von U sind, und analog können wir auch C/R2 betrachten. Die Frage zielt auf die Unterschiede, soweit vorhanden, zwischen dU, f/R2 und t/ R 2. Es gilt: D dU = AUB,

D dU = A U dU = A

ÜR2_ =AUB,

, ,

ÜR2_ =AöB, ÜR2_= B,

f7 R2 = A U B

ÜM2 = A U B ÜM2=AUB.

(3) Es bezeichne M eine berandete Mannigfaltigkeit. Kann M \ dM kompakt sein, wenn dM ^ 0 ? D Nein, denn dann wäre M \ dM auch abgeschlossen, also dM offen in M. D Ja, das ist genau dann der Fall, wenn M kompakt ist. D Ja, nach dem Satz von Heine-Borel gilt das zum Beispiel für alle abgeschlossenen beschränkten berandeten Untermannigfaltigkeiten des M.n. (4) Kann eine nulldimensionale Untermannigfaltigkeit MQ einer berandeten Mannigfaltigkeit M deren Rand "berühren", d.h. kann M o n dM ^ 0 sein? D Nein, da MQ aus isolierten Punkten in M^dM

besteht.

116

Kapitel 6. Berandete Mannigfaltigkeiten D Ja, Mo := { l/n \ n = 1, 2 , . . . } in R\ ist ein Beispiel dafür. D Nein, denn nulldimensionale Untermannigfaltigkeiten sind automatisch abgeschlossen, und daher gilt Mo n dM = MQ n dM — 0 .

(5) Sei M eine berandete Mannigfaltigkeit und p e dM. Ist dann M \ p eine berandete Untermannigfaltigkeit von M mit d{M \ p) = dM \ p ? D Ja, j'ede offene Teilmenge X c M ist berandete Untermannigfaltigkeit mit dX = X D dM. D Nein, M \ p ist dann zwar berandete Untermannigfaltigkeit, aber für dimM > 0 gilt d(M \ p ) = dM, weil M \p dicht in M liegt. D Ja, die Karten (U, h) von M mit p ^ U bilden einen Atlas für M \ p. (6) Welche der folgenden den Zusammenhang betrefFenden Implikationen sind für berandete Mannigfaltigkeiten M richtig: D M zush. 4=> M \ ÖM zush. D M zush. =^> dM zush. D dM zush. =^- M zush. (7) Diese Erage handelt vom Zerschneiden einer Mannigfaltigkeit längs einer 1-kodimensionalen Untermannigfaltigkeit. Sei M eine unberandete n-dimensionale Mannigfaltigkeit und MQ := / - 1 ( c ) j^ 0 das Urbild eines regulären Wertes c einer differenzierbaren Funktion / . Dann ist M die Vereinigung der beiden n-dimensionalen berandeten Untermannigfaltigkeiten A := /~ x ([c, c»)) und B :— f~l((—oo, c]), deren Durchschnitt ihr gemeinsamer Rand MQ ist. Anschaulich darf man sich dabei etwa vorstellen, daß M beim Zerschneiden längs MQ in die disjunkte Vereinigung von A und B zerfallen würde. Jetzt sei keine Funktion / , sondern nur eine 1-kodimensionale abgeschlossene unberandete nichtleere Untermannigfaltigkeit MQ C M gegeben. Was geschieht, wenn man M längs MQ "zerschneidet", oder genauer gefragt: Ist M die

6.9 Test

117

Vereinigung zweier berandeter Untermannigfaltigkeiten A und B mit dA = dB = A n B = Mo ? Wir würden dann sagen, M zerfalle beim Zerschneiden längs MQ . Wann geschieht das? D Nicht immer, man zerschneide etwa eine Kreislinie "längs" eines Punktes oder einen Torus längs eines Meridians. D Es gibt aber stets eine offene Umgebung X von MQ in M, die beim Zerschneiden längs MQ zerfällt, man muß X nur eng genug um Mo wählen. D Auch das trifft nicht zu, man zerschneide etwa ein Möbiusband längs der "Seele" (Mittellinie) oder WP2 längs RP *: dabei zerfällt kein X. (8) Sei M unberandet und X c M offen. Ist dann die abgeschlossene Hülle X C M eine berandete Untermannigfaltigkeit? D Nein, Gegenbeispiel: M = K3 und X durch die Ungleichung x2 + y2 + z2 > 0 definiert. D Nein, Gegenbeispiel: M = M3 und X durch die Ungleichung x2 + y2 — z2 > 1 definiert. D Nein, Gegenbeispiel: M — R3 und X durch die Ungleichung x2 + y2 > z2 definiert. (9) Ist dM immer eine Nullmenge in M? D Ja, weil 0 x R'1^1 eine Nullmenge für das Lebesguemaß im M" ist. D Nein, z.B. hat die Kugeloberfläche das Maß 4?rr2 ^ 0. D Nein, nur wenn dM = 0 ist. (10) Sei M eine orientierte unberandete Mannigfaltigkeit. Man spricht dann von M\ := 1 x M und MQ : = 0 X M als von DeckelundBodendes Zylinders [ 0 , l ] x M über M. Sieseien beide als Kopien von M orientiert, d.h. so, daß die kanonischen Abbildungen M\ = M = MQ orientierungserhaltend sind. Sei nun das Intervall [0,1] wie üblich orientiert. Dann bewirkt unsere Orientierungskonvention für die Randorientierung:

118

Kapitel 6. Berandete Mannigfaltigkeiten

D ö([O,l] x M ) =Mo D D

6.10

Übungsaufgaben

AUFGABE 25: Es sei M eine berandete Mannigfaltigkeit. Man zeige, daß dM abgeschlossen in M ist. AUFGABE 26: Es sei / : M —> E eine überall reguläre difFerenzierbare Funktion auf der kompakten berandeten Mannigfaltigkeit M. Man zeige, daß / seine Extrema am Rande annimmt.

AuFGABE 27: Kompakte unberandete Mannigfaltigkeiten heißen geschlossen, zwei geschlossene Mannigfaltigkeiten Mo und M\ heißen bordant, wenn MQ + M\ (difFeomorph zum) Rand einer kompakten berandeten Mannigfaltigkeit ist. Man beweise: Ist M geschlossen und a, b reguläre Werte von / : M —> M, dann sind f^(a) und f~l(b) bordant. 28: Man beweise: Jede geschlossene Mannigfaltigkeit M, auf der eine fixpunktfreie differenzierbare Involution r existiert, ist "nullbordant", d.h. berandet eine kompakte Mannigfaltigkeit. AUFGABE

6.11 Hinweise zu den Übungsaufgaben

S- 72-

m

Zu A U F G A B E 25: Anschaulich klar: um jeden Punkt von M\dM gibt es eine Umgebung, die den Rand nicht trifft. Beim Beweis muß man nur korrekt mit der Relativtopologie des Halbraumes R 1 umgehen.

6.11 Hinweise zu den Übungsaufgaben

119

Zu AUFGABE 26: Auch auf einer nichtkompakten Mannigfaltigkeit kann eine reguläre Funktion übrigens kein Extremum auf M \ dM annehmen, nur braucht sie dann ja überhaupt keine Extrema zu haben, während eine stetige Funktion auf einem kompakten topologischen Raum bekanntlich immer ein Maximum und ein Minimum annimmt. — Die Aufgabe ist so einfach, daß mir kein sinnvoller Lösungshinweis einfällt. Vielleicht soll ich daran erinnern, daß / : M —> R genau dann regulär ist, wenn überall dfp ± 0 gilt. Zu AUFGABE 27: Die Aufgabe ist so gemeint, daß Sie das am Ende von 6.6 mit bloßem Hinweis auf den Satz vom regulären Wert angegebene Lemma über /~1((—oo, c]) benutzen sollen. Zu AuFGABE 28: Diese Aufgabe ist etwas schwieriger als die vorangehenden drei. Die nicht so fern liegende Idee ist, jeweils x und T(X) gleichsam durch eine Strecke zu verbinden, um so eine kompakte Mannigfaltigkeit W mit dW = M zu konstruieren. Wie aber führt man das technisch aus? Man kann z.B. mit der unberandeten Mannigfaltigkeit M x R beginnen und zunächst einen ebenfalls unberandeten Quotienten (M x R ) / ~ nach einer geeigneten freien Involution bilden, wie in 1.6 beschrieben, und zwar so, daß man das gesuchte W als berandete Untermannigfaltigkeit /~1((—oo,c]) in diesem Quotienten vorfindet.

7

Die anschauliche Bedeutung des Satzes von Stokes

7.1 Vergleich der Antworten auf Maschen und Spate Erst im nächsten Kapitel werden wir die Cartansche oder äußere Ableitung d : QkM —> Ük+1M wirklich definieren, im übernächsten den Satz JM du> = JdM ui von Stokes beweisen. Im gegenwärtigen Kapitel will ich (in freilich fiktiver Weise) zu schildern versuchen, wie man intuitiv auf den Begriff der äußeren Ableitung verfallen und den Satz von Stokes vermuten könnte. Wir hatten uns das Integral j v ui über ein in kleine Maschen zerlegtes Stück U einer orientierten Mannigfaltigkeit anschaulich als Summe der Antworten der n-Form ui auf die Maschen vorgestellt: Dabei wird u die Masche tjp duxch das tangentiale Spat Fig. 74. ^ d i , . . . , Axndn) approxiSp = miert. Wenn wir jetzt, nachdem wir in Kapitel 5 das Integral förmlich eingeführt haben, noch einmal auf die Approximation durch Y,puip(sp) zurücksehen, können wir auch beurteivon len, wie gut sie ist. Ist nämlich a — ^i...n ° h-1 die heruntergeholte Komponentenfunktion, so ist der wahre Beitrag der Masche zum Integral h\a,

f

f

/ u! = / Quader Qp mit Kantenlängen Ax1, ..., Axn Fig. 75. Unter h entspricht der Quader der Masche, unter dhp dem Spat.

J

a(x)dx,

J QT>

während die Approximation davon, a{/l{p))ax,

7.2 Strömungsbilanz

121

das Integral über den konstanten Wert a(h(p)) = cop(di,..., dn), also uip(di.. .dn^Ax1 • ... • Axn ist. Wenn also zum Beispiel u> eine stetige n-Form ist, so kann der Fehler dem Betrage nach nicht größer als ep • Vol(Qp) sein, wobei ep die Schwankung von a auf dem Quader Qp bezeichnet, genauer: ep := sup \a{x) — a(h(p))\. xeQp

Der Betrag des Gesamtfehlers über den ganzen Bereich U ist dann also kleiner oder gleich maxpep • Vol(/i([/)), und maxpep wird für stetiges LO bei genügend feiner Rasterung beliebig klein. Diese Überlegung zeigt nun auch, wie wir für stetiges UJ die alternierende n-Form u>p e AltnTpM aus der Integralwirkung von tu auf Maschen an p zurückgewinnen. Betrachten wir für feste orientierungserhaltende Karten h die Kantenlängen Ax1,..., Axn der Masche an p als Variable, dann ist ujp(di,.

.,dn)=

lim —

—— / LÜ.

Ax^o Axl-..-Axn J

Diese Formel präzisiert die Aussage, u>p sei die infinitesimale Version bei p der Integra- Fig. 76. Maschen .•

"i

tion uber UJ .

e QkM, fiir beliebiges k, gibt es genau eine (& + l)-Form dio e Qk+1M, die auf orientierte (ft + 1)Maschen so antwortet, wie ui auf deren orientierten Rand. Auf diese Weise erhält man eine ganze Sequenz

linearer Abbildungen. Die Cartansche Ableitung d : fl°M —>• Q,lM der Nullformen, also der C°°-Funktionen auf M, ist einfach das Differential: Für eine orientierte 1-Masche a wie in Fig. + 82 wird durch die Orientierungskonvention q positiv und p negativ orientiert, also fadw = tü(q) — LÜ{P) für LJ e Q°M. Desp halb gibt es keine Kollision zwischen unserer Fig 82 ' ' bisherigen Notation df e Q}M für das Differential einer Funktion und der Bezeichnung der Cartanschen Ableitung durch d. Die Sequenz der Cartanschen Ableitungen ist, was man in der homologischen Algebra einen Komplex nennt, d.h. es gilt dod = 0. Ist nämlich u> e Q^^M und a eine orientierte (k + 1)-Masche, so haben wir ja

f

f

f

/ ddio = I du> = I Ja

JdcF

Jddrr

ui,

7.6 Simpliziale Komplexe

127

wobei das Integral über dda eben die Summe der Integrale über die Seiten der Seiten von a bezeichnen soll. In dieser Summe wird aber über jede Kante zweimal, mit entgegengesetzten Orientierungen integriert, und deshalb ist fgg^u = 0. Oder: Wagen wir es, die (k + 1)Masche a trotz ihrer Kan-^.

ten und hcken als berandete Mannigfaltigkeit aufzufassen, was zum Zwecke des darüber Integrierens schon angeht, dann hat do ,

,

, , , ,

• r i

-r

j

• Seite r 2 von n°M -^ Q}M - ^

U S ] " " 1 ! -U ünM -^ 0

nennt man den de Rham-Komplex

7.6

von M.

Simpliziale Komplexe

Der de Rham-Komplex definiert in kanonischer Weise einen kontravarianten Funktor von der differenzierbaren Kategorie in die Kategorie der (Coketten-) Komplexe und stellt eine wichtige Schnittstelle zwischen Analysis und algebraischer Topologie dar. Dies im technisch genauen Sinne zu erläutern würde natürlich zuvor eine Einführung in die algebraische Topologie erfordern und deshalb über den Rahmen des vorliegenden Buches hinausgehen. Aber eine intuitive Vorstellung davon zu geben, will ich einmal versuchen. Zu diesem Zweck muß ich zunächst etwas über eine ganz andere Art von Komplexen erzählen.

128

Kapitel 7. Anschauung

"Komplex" ist ja ein Allerweltswort füx etwas aus Einzelbausteinen Zusammengesetztes. Diesen naiven Sinn hat es in der Bezeichnung de Rham-Komplex nicht mehr, aber in dem Ausdruck simplizialer Komplex ist es noch so gemeint. Stellen Sie sich vor, Sie dürften aus (abgeschlossenen) Tetraedern, Dreiecken, Strecken und Punkten im R als 3-, 2-, 1- und nulldimensionalen Bausteinen (" Simplices") beliebige Gebilde zusammensetzen, wobei Sie nur zwei Spielregeln zu beachten haben: (1) Sie dürfen jeweils nur endlich viele Bausteine verwenden und (2) benachbarte Bausteine müssen aneinanderpassen, genauer: der Durchschnitt zweier Bausteine muß leer oder ein gemeinsames Teilsimplex sein. Die Teilsimplices eines Tetraeders z.B. sind seine Ecken, Kanten und Seitenflächen. Analog im Mn, wo entsprechende Bausteine bis zur Dimension n möglich und zugelassen sind. Die Gebilde, die Sie nach dieser Baukastenmethode zusammensetzen können, heißen endliche simpliziale Komplexe. Mit etwas Vorsicht ("lokal endlich" statt "endlich" in der ersten Spielregel) kann man auch unendlich viele Bausteine in sinnvoller Weise zulassen. Sucht man nicht gerade absichtlich nach Gegenbeispielen, so wird man sich von jedem geometrischen Objekt im Mn, dem man begegnet, ein simpliziales Baukastenmodell vorstellen können: von Kugel, Kegel, Torus; von Mannigfaltigkeiten und Nichtmannigfaltigkeiten aller Art - meist zwar nicht ganz echt, weil eckig und kantig, aber doch homöomorph zum Vorbild und deshalb dessen topologische Eigenschaften treu wiedergebend. Um solcher topologischer Eigenschaften des Originals habhaft zu werden, betrachtet man nun simpliziale Ketten im Modell. Jeder kann sich eine "Kette" aus endlich vielen orientierten Bausteinkanten vorstellen, die von einer Ecke des simplizialen Komplexes zu einer anderen läuft, deren "Rand" daher von dem (positiv orientierten) Endpunkt und dem (negativ orientierten) Anfangspunkt gebildet wird. Ist der Anfangspunkt gleich dem Endpunkt, so ist die Kette ein "Zykel". Einleuchtende Benennungen!

7.6 Simpliziale Komplexe

129

Will man aber die Vereinigung von Ketten zu einer abelschen Gruppenverknüpfung machen und auch beim eindimensionalen Fall nicht stehen bleiben, so wird man automatisch auf folgende Verallgemeinerung des Kettenbegriffs geführt: Definition: Die Ä-dimensionalen simplizialen Ketten eines simplizialen Komplexes X werden durch ganzzahlige formale Linearkombinationen • • • + Xrar von orientierten ft-dimensionalen (Teil-)Bausteinen des simplizialen Komplexes beschrieben und dementsprechend addiert, aber mit der Maßgabe, daß ein fc-Simplex a durch Umorientierung in —a übergeht. D Die /c-dimensionalen Ketten von X bilden so eine abelsche Gruppe Sk(X), jedes einzelne orientierte Ä-Simplex a hat (mit derselben Orientierungskonvention wie bei den berandeten Mannigfaltigkeiten) eine (k — 1)-Kette da als Rand, wodurch auch für jede k-Kette c e Sk(X) eine Randkette dc e Sk-i(X) definiert ist. Eine Kette c mit dc = 0 nennt man einen Zykel, und die Sequenz 0 -> Sn(X) M Sn-X{X)

-*+...-*+S^X)-±+

S0(X) - . 0

der Randoperatoren heißt der simpliziale Kettenkomplex X.

von

Die Randkette der Randkette eines fc-Simplex ist ersichtlich Null, weil sich, wie bei einer Masche, der Beitrag jeder Seite mit den gegenorientierten Beiträgen der Nachbarseiten aufhebt. Deshalb gilt auch für Ketten d o d = 0 oder in Worten: Alle Ränder sind Zykeln. Aber nicht alle Zykeln brauchen Ränder zu sein, ein MeridianZykel auf einem simplizialen Torus zum Beispiel sieht nicht so aus, als ob er der Rand einer 2-Kette sein könnte. Und gerade diese nichtberandenden Zykeln scheinen etwas über die topologische Gestalt des simplizialen Komplexes auszusagen und damit auch über

130

Kapitel 7. Anschauung

die Gestalt des uns eigentlich interessierenden geometrischen Objekts, dessen Baukastenmodell der simpliziale Komplex nur ist. Aber wie können wir an diese Information rechnerisch herankommen? Will man die uninteressanten Ränder im Kalkül unterdrücken, so muß man mit Zykeln "modulo Rändern" rechnen, d.h. zwei Zykeln für äquivalent oder homolog erklären, wenn sie sich nur um einen Rand unterscheiden. Die Äquivalenz- oder Homologieklassen von Ä-Zykeln sind dann die Elemente der A;-ten Homologiegruppe von X, des Quotienten der Zykelgruppe durch die Rändergmppe: Deflnition: Ist X ein simplizialer Komplex, so heißt die abelsche Gruppe

die k -te simpliziale Homologiegruppe von X.

D

Ist zum Beispiel X ein endlicher simplizialer Komplex, so ist Hh(X, Z) nach Konstruktion eine endlich erzeugte abelsche Gruppe, die man im Prinzip zu Fuß ausrechnen kann. Sagt sie uns aber wirklich etwas über das ursprüngliche geometrische Objekt oder wird sie von den uninteressanten Details der Anfertigung des Baukastenmodells beeinflußt? Nun, in letzterem Falle würden wir heute über diese etwa hundert Jahre alte Erfindung wohl nicht mehr reden. Mittels einer simpliziale Approximation genannten Methode ließ sich nicht nur zeigen, daß homöomorphe simpliziale Komplexe isomorphe Homologiegruppen haben, sondern daß die simpliziale Homologie sogar in kanonischer Weise einen Funktor von der Kategorie der "triangulierbaren" (d.h. zu einem simplizialen Komplex homöomorphen) topologischen Räume und stetigen Abbildungen in die Kategorie (der durch den Index k graduierten) abelschen Gruppen definiert. Die Homologietheorie war damit etabliert.

7.7 Das de Rham-Theorem

131

7.7 Das de Rham-Theorem Der Erfolg der Homologietheorie war durchschlagend. Berühmte alte Theoreme sanken zu kleinen Lemmas herab, ungeahnte neue Resultate ergaben sich in Massen. Man konnte nun durch Anwendung des Homologiefunktors gleichsam einen Röntgenblick ins Innere unangreifbar scheinender geometrischer Probleme tun. Sie können sich denken, daß dies mit einer Weiterentwicklung der Methoden einherging. Als das eigentliche Erfolgsrezept kristallisierte sich heraus, geometrischen Objekten X auf möglichst natürliche, funktorielle Weise Kettenkomplexe • • • -*+ Ck+1(X)

-±> Ck(X) -^ X des /c-dimensionalen Standard-Simplex nach X, im Falle k = 1 also einen stetigen Weg in X, und die Ä-Ketten dieser Theorie sind die formalen ganzzahligen Linearkombinationen von singulären fc-Simplices. Die resultierenden singulären Homologiegruppen Hk(X, Z) lassen sich zwar nicht mehr "zu Fuß" ausrechnen, aber die naiven Berechnungsmethoden hatte die sich entwickelnde Homologietheorie sowieso schon hinter sich gelassen und durch elegantere axiomatische ersetzt.

132

Kapitel 7. Anschauung

Von besonderer Bedeutung bei der Erfindung neuer Homologietheorien war die Anwendung algebraischer Punktoren auf die Kettenkomplexe schon vorhandener, bewährter Theorien. In einem Kettenkomplex schlummert mehr Information als die Homologie herausholt, man darf daher schon hoffen, etwas Neues zu finden, wenn man vor Bildung der Homologiequotienten Kernd/Bildd den Kettenkomplex einer algebraischen Manipulation unterwirft, wenn diese nur die Komplex-Eigenschaft d o d = 0 erhält. Zum Beispiel kann man eine abelsche Gruppe G nehmen und alle "Kettengruppen" Ck (X) damit tensorieren. Im Falle der singulären Homologie führt das zur sogenannten singulären Homologie mit Koeffizienten in G, deren Gruppen mit Hk(X,G) bezeichnet werden. Eine ausgefeilte algebraische Theorie der Kettenkomplexe wurde für die zur Industrie anwachsende Homologietheorie schließlich zu einer so zwingenden technischen Notwendigkeit, daß ihr Sog eine eigenständige neue Teildisziplin hervorbrachte, die homologische Algebra.

Unter den algebraischen Funktoren, die sich zur versuchsweisen Anwendung auf vorhandene Kettenkomplexe anbieten und auch frühzeitig angewandt wurden, ist natürlich der Hom-Funktor Hom(—, G). Da er kontravariant ist, macht er aus einem Kettenkomplex einen, wie man dann lieber sagt, Coketten-Komplex, dessen Graduierung nun mit dem Randoperator aufsteigt, aus dem singulären Kettenkomplex zum Beispiel macht er den sogenannten singulären Coketten-Komplex mit Koeffizienten in G: •••J- Rom(Ck+1(X),G)

J- Bom(Ck(X),G)

J- • • • ,

dessen Homologiegruppen dann folgerichtig singuläre Cohomologiegruppen mit Koeffizienten in G genannt und Hk (X, G) geschrieben werden. Es war nicht sogleich zu sehen gewesen, auf welche bedeutende Erweiterung der Homologietheorie man damit gestoßen war. Erst nach und nach fand man heraus, daß für die singuläre Cohomologie - im Gegensatz zur Homologie! - mit Koeffizienten in einem

7.7 Das de Rham-Theorem

133

kommutativen Ring R in natürlicher Weise ein Produkt - : Hr(X,R)xHs(X,R)

• Hr+S(X,R),

das sogenannte Cup-Produkt erklärt ist, das die Cohomologie zum Cohomologiering macht, was weitreichende Konsequenzen hat. Wie Sie nun sehen, ist auch der de Rham-Komplex ein Cokettenkomplex und definiert eine Cohomologietheorie für die Kategorie der Mannigfaltigkeiten. Die Cohomologiegmppen H§KM dieser sogenannten de Rham-Cohomologie sind reelle Vektorräume, und mit dem Dachprodukt bilden sie einen Cohomologiering. Viel äußere Ahnlichkeit mit der singulären Cohomologie mit Koeffizienten in M! Aber die Herkunft der de Rham-Cohomologie wirkt unter den anderen Homologietheorien, die ihre Abstammung von der simplizialen Homologie nicht verleugnen können, geradezu exotisch. Ihr Randhomomorphismus, die Cartansche Ableitung, ist ein Differentialoperator! Georges de Rham hat als erster herausgefunden, was diese exotische Cohomologietheorie ist, deshalb ist sie nach ihm benannt, er hat sie identifiziert. Es ist die reelle singuläre Cohomologie der Mannigfaltigkeiten, und Dach ist Cup. Die Verbindung wird durch den Satz von Stokes hergestellt. Man kann nämlich eine fc-Form w auf M über ein (differenzierbares) singuläres fc-Simplex a in M integrieren, indem man a u> setzt. Deshalb ist auch fcu> für (differenzierbare) singuläre kKetten erklärt, und der Satz von Stokes, angewandt auf A^ (die Ecken und Kanten machen keine wirklichen Schwierigkeiten) liefert Jc dr\ — fdc r\. Deshalb haben wir lineare Abbildungen H^M

—> Rom(H%im(M,

Z ) , M) i,.., vr+s) auch durch die wohldefinierte Summe

136

Kapitel 8. Dachprodukt und Cartanableitung

über die ( r + s )-elementige Menge ZTtS dieser Zerlegungen gegeben. Lemma: Das Dachprodukt schaften (1) und (2):

A hat die folgenden beiden Eigen-

(1) Für jeden reellen Vektorraum V wird die direkte Summe ©^=o Alt f c F durch das Dachprodukt zu einer graduierten antikommutativen Algebra mit Einselement, genauer: Für alle r,s,t>0 gilt: (i) Das Dachprodukt A : A l f V x A l t s F -*• A l t r + S V ist bilinear. (ii) Das Dachprodukt A ist assoziativ, d.h. für co e A l t r F , 77 e A l t s F und C e Alt*V gilt (LO A r?) A C = u; A (ry A 0 (iii) Das Dachprodukt A ist antiicommutativ, d.i. für w e A l t r F , 77 G A l t s F giit 77 A w = ( - l ) r - s w A 77. (iv) Die O-Form 1 e Alt°V = M erfüllt 1 A W = LÜ für alle UJ G Alt/V. (2) Das Dachprodukt ist "natürlich", d.h. mit linearen Abbildungen verträglich: f*co A f*rj = f*(u> A 77) für jede lineare Abbildung f :W -^V und alle w € AltfV, 77 e A l t s F . ZUM B E W E I S : Die Eigenschaften (i), (iv) und (2) folgen trivial aus der definierenden Formel, auch die Antikommutativität (iii) ist direkt zu sehen. Um die Assoziativität zu verifizieren, denke man sich u> A 77(^1,.., iv+ s ), wie oben erläutert, als Summe über die Zerlegungen von {l,.. ,r+s} in eine erste und eine zweite Teilmenge aus r bzw. s Elementen. Dann erkennt man nämlich auch (LÜ A 77) A C und u> A (77 A C), angewandt auf (vi,.., vr+s+t), als ein und dieselbe Summe über die Menge ZrtSjt der Zerlegungen von {1,.. ,r + s + t} in eine erste, zweite und dritte Teilmenge aus r, s und t Elementen, oder als

(LÜ A 77 A C)(wi, • •, vr+s+t) ——

£

' •»•!

V

T(r+s))

• C(vr(r+s+l)

j •• , ^r(r+s+t))

D

8.2 Charakterisierung des Dachprodukts

137

Als nachträgliche Kurzfassung des Lemmas können wir also formulieren: Das Dachprodukt macht ©^LQ Altfe zu einem kontravarianten Funktor von der Kategorie der reellen Vektorräume und linearen Abbildungen in die Kategorie der reellen graduierten antikommutativen Algebren mit Einselement und deren Homomorphismen.

8.2 Eine Charakterisierung des Dachprodukts Dadurch ist das Dachprodukt noch nicht charakterisiert, für beliebiges / : N o ->• M \ 0 mit /(0) = 1 hätte z. B. das zu ^V : = f(r+s) ^ A ^ abgeänderte Dachprodukt A immer noch die Eigenschaften (1) und (2). Nach unserer Defmition erfüllt das Dachprodukt aber auch die folgende Normierungsbedingung: Notiz: Bezeichnet e±,..,ek die kanonische Basis des Rfe und S1,..,Sk die dazu duale Basis von Rk* = Alt 1 Rfc, so gilt (3)

ö1A..AÖk(e1,..,ek)

= 1 füralle

k>\.

D

Satz: Nur A erfüllt (1), (2) und (3). BEWEIS: Genauer will der Satz natürlich besagen: erfüllt eine für alle V,r,s erklärte Verknüpfung A : A l f F x Alt s F -^ A l t r + S F die oben genannten Bedingungen (1) - (3), so stimmt sie mit dem in 8.1 explizit angegebenem Dachprodukt überein. Sei also A eine beliebige solche Verknüpfung. Dann gilt auch

(4) Sei e\,.., en Basis eines reellen Vektorraumes V, sei ferner S1,.. ,5n die duale Basis und 1 < v\ < .. < v^ < n. Dann ist

wobei T die Permutation bezeichnet, durch die ß\,.., nenfalls aus fi,.., vk hervorgeht (ßi = vT(i))-

fj,k gegebe-

138

Kapitel 8. Dachprodukt und Cartanableitung

Es bezeichne nämlich Vo den von eVl,.., eVk aufgespannten kdimensionalen Unterraum von V und i :VQ ^> V die Inklusion. Wegen der Natürlichkeit (2) ist dann Ä " 1 A .. A ö " k (eVl , . . , e V k ) = L * ö i * 1 A . . A L*ö»k (eVl , . . , e V k ) .

Ist (fii,.., ßk) keine Permutation der v\ < .. < vj., so gibt es entweder i ^ j mit /Xj = ßj , und dann ist schon S^ A 5^ = 0 wegen der Antikommutativität (1) (iii), oder es gibt ein i mit /Zj ^ I/J für alle j . Dann aber ist z,* V die Inklusion des von fi, • •, tv+« erzeugten endlichdimensionalen Vektorraums VQ in V bezeichnet. Der Satz ist also bewiesen. D Ausdrücklich sei als Folgerung aus (5) auch angemerkt: K o r o l l a r : Ist ( e i , . . , e „ ) eine Basis von V die duale Basis, so ist (S^A. . A(5 Mfc ) Ml< .. • LÜAT]

von Differentialformen auf M natürlich punktweise, d.h. D durch (ui A r))p := u>p A r)p, für jedes p e M. Beachte, daß das Dachprodukt mit einer Nullform, also einer Funktion, einfach das gewöhnliche Produkt ist: / A 77 = frj für / e Ü°(M) wegen (l)(i),(iv) S. 136. Notiz (vergl. 8.1): Durch das Dachprodukt wird ü* := ® ^ 0 Qk zu einem kontravarianten Funktor von der Kategorie der Mannigfaltigkeiten und differenzierbaren Abbildungen in die Kategorie der reellen graduierten antikommutativen Algebren mit Einselement. D

140

Kapitel 8. Dachprodukt und Cartanableitung

Sei jetzt (U,h) eine Karte. /^*^\ ^' Hier leben die VekWir prirmprn imq (vpre-1 / /• e QkU. Da djjto nach der definierenden Formel (*) eine Summe von Dachprodukten von Differentialen ist, genügt es, wegen der schon bewiesenen Produktregel, den Fall k = 0 zu betrachten. Für eine Funktion f e Q°U aber ist n

duduf = dudf — du J2 9ßf

= fj,=i E n

=E denn d^d^f ist symmetrisch in p und v, aber dxv A dx^ schiefsymmetrisch. Damit haben wir auch die Komplexeigenschaft füx die djj gezeigt, und für den Spezialfall M = U ist der Satz jetzt bewiesen.

8.5

Beweis für die ganze Mannigfaltigkeit

Wenden wir uns nun dem allgemeinen Fall zu. Für den Existenzbeweis werden wir natürlich versuchen, dM lokal mittels Karten zu definieren. Für UJ e QkM setzen wir also

für eine Karte (U,h) von p, wobei mit dyw natürlich djj(to\U) gemeint ist. Die Unabhängigkeit von der Kartenwahl ist klar, denn U n V = dunvu = dyoj \ U n V

8.5 Beweis global

143

ergibt sich sofort aus der definierenden Formel (*) für die Cartansche Ableitung in Kartengebieten. — Da das so definierte fl°M

USW.,

welche Differentialbedingung, Komplexeigenschaft und Produktregel erfüllen, und der Existenzbeweis ist schon fertig. Zum Beweis der Eindeutigkeitsaussage müssen wir nun umgekehrt zeigen: Ist ÜM eine Cartansche Ableitung für ganz M, d.h. erfüllt es die Bedingungen (a) - (c), so gilt auch (rf^w)p = {duuj)p. Nun ist zwar

u>\u=

Lün

aber davon können wir für die Anwendung von du nicht unmittelbar Gebrauch machen, denn ^M wirkt nach Voraussetzung nur auf Differentialformen, die auf ganz M definiert sind, und das trifft auf die Funktionen ^ßi.-.fik u n d die Einsformen dx^ gerade nicht zu. Deshalb wenden wir nun einen Kunstgriff an. Wir wählen in h(U) drei konzentrische offene Kugeln um h(p) mit Radien 0 < £i < e2 < e3, ihre Urbilder unter h nennen wir U\ C U2 C U3 • Jetzt wählen wir Fig. 85. Vor> [0,1] mit bereitung zum eme C°°-Funktion r : U3 r | C/i = 1 und T | U3 \ U2 = 0, eine "Tafel- Tafelberg. bergfunktion" sozusagen, mit Plateau über U\ und dem Hang in U2 \ U\. Dazu braucht man ja nur eine C°°Hilfsfunktion A : M+ -> [ 0,1 ] wie in Fig. 86, mit der man dann r(q) :— A(|| h(q)—h(p) ||) für q € U3 C U definiert. - Der Zweck die£l £2 £3 ses Werkzeugs r ist es, die Funktionen u ^ . . . ^ Fig. 86. Hilfs- und x1,..., xn von U\ differenzierbar auf ganz funktion für M fortzusetzen, und zwar einfach indem wir den Tafelberg. definieren:

144

Kapitel 8. Dachprodukt und Cartanableitung

0 0

für q e M \ C/3 für q e M \ C/3.

Für die durch

gegebene fc-Form o; e OfcM folgt nun wirklich aus den Axiomen (a) - (c), daß

gilt, denri die a und £ sind jetzt auf ganz M differenzierbar. Insbesondere ist, wie die definierende Formel (*) für U zeigt:

und letzteres ist gleich (duui)p, weil ja ui und UJ auf der Umgebung XJ\ C U von p übereinstimmen. Also brauchen wir nur noch zu zeigen, daß auch gilt. Ahnlich wie vorhin die Tafelbergfunktion r wählen wir jetzt eine "Hochebenenfunktion" a : M —> [0,1], nämlich eine C°°Funktion mit a\M \ U\ = 1 und cr(p) = 0 . Dann ist Lü — Lü — U • (üJ —

üj),

daher folgt aus (a) - (c) für d M : — iü)

=

d(T A (üJ — CO) + G(IM((JJ



io).

Beide Summanden verschwinden bei p, weil a; — ui und a dort null sind, und daher ist du{u — w)p = 0, was zu zeigen war. D

8.6 Natürlichkeit

145

8.6 Die Natürlichkeit der Cartanschen Ableitung Damit haben wir nun die Cartansche Ableitung zur Verfügung. Wir konnten sie durch allgemeine Eigenschaften (a) - (c) charakterisieren, und durch die unterwegs gewonnene lokale Formel

haben wir auch eine konkrete Anleitung für das Berechnen von duj in den Koordinaten einer Karte (U, h). — Die Natürlichkeit der Cartanschen Ableitung hatten wir nicht unter die charakterisierenden Forderungen aufgenommen, sie folgt nun von selbst: Lemma: Die Cartansche Ableitung ist mit differenzierbaren Abbildungen verträglich, d.h. ist f : M —> N eine differenzierbare Abbildung, so gilt für alle Differentialformen

u> auf N.

BEWEIS: Für O-Formen w e fl°N, also differenzierbare Funktionen u> : N —> R., ist f*du> = d(f*u>) nur eine andere Schreibweise der Kettenregel, denn f*u> := w o f und (f*duj)p := dw/(p) ° dfp. Für Differentialformen höheren Grades wissen wir aus der obigen Rechenformel für doj\U immerhin schon im voraus, daß die Cartanableitung mit der Inklusion ofFener Teilmengen verträglich ist, und deshalb dürfen wir oBdA annehmen, es gäbe eine Karte (U,h) für N, deren Kartenbereich ganz N ist. Dann hätten wir also w —

und daher nach Anwendung von / * :

f*uj = Efw w ... w "

.. /\dx^k

und

146

Kapitel 8. Dachprodukt und Cartanableitung

Bevor wir nun d auf die erste dieser beiden Gleichungen anwenden, um df*u> mit f*duo vergleichen zu können, wollen wir uns überzeugen, daß d(f*dxßl A - A / W ) = 0 ist. Das folgt mittels Induktion und Produktregel daraus, daß für die Nullform xßi auf N, wie wir schon wissen,

gilt, also d(/*dx'J N einen sogenannten phismus zwischen den de Rham-Komplexen von N und M induziert, d.h. daß das Diagramm 0



r\

r\

r

o —> kommutativ ist. Durch den de Rham-Komplex ist daher, wie in 7.5 angekündigt, kanonisch ein kontravarianter Punktor von der differenzierbaren Kategorie in die Kategorie der Komplexe und ihrer Kettenhomomorphismen definiert. — Der de Rham-Komplex einer n-dimensionalen Mannigfaltigkeit M ist natürlich nur bis

8.8 Test

147

zum Grade n interessant, weil QkM = 0 für k > n ist. Deshalb wird oft auch die endliche Sequenz

0 -> 0°M -t ÜlM -t • • • -i Sl^'M -i Ü"M -» 0 de Rham-Komplex von M genannt. Die Natürlichkeit von d bezieht sich aber nicht nur auf Abbildungen zwischen gleichdimensionalen Mannigfaltigkeiten, und es ist deshalb formal bequemer, den endlichen de Rham-Komplex nach rechts durch seine Nullen zu ergänzen. Ist dim JV =: k < n, so macht die Natürlichkeit von d noch eine nichttriviale Aussage über die fc-Formen auf M: Alle von N kommenden fc-Formen haben die Cartansche Ableitung Null, sind "Cozykel", wie man auch sagt: 0

Korollar: Ist M eine n-dimensionale berandete Mannigfaltigkeit und f : M —> dM irgendeine differenzierbare Abbüdung, so gilt df*u) = 0 für alle ÜJ e ün-1dM.

D

8.8 Test (1) Sei (ei,..., en) eine Basis von V und (ö1,..., 5n) die duale Basis. Dann ist die folgende Familie von Dachprodukten eine Basis von Alt 2 F: • D

(«"AJ"),I1/=I (^A v\ die Determinante mus / : V —> V mit vt — +1, daher ist wj«-i wohldefiniert, vergl. Aufg. Fl 14). - Der eigentliche Hinweis zu der Aufgabe 32 S- 87ist nun: Auch M" hat eine kanonische Volumenform, und zwar ist das natürlich LÜ — dx1^..

Adx11.

Wie antwortet also dx1 A .. A dxn auf (v0,..., u n - i ) , und was hat das mit u_i w zu tun?

9

Der Satz von Stokes

9.1 Der Satz Endlich kommen wir nun zu dem Satz, von dem schon so viel die Rede war: Satz von Stokes: Sei M eine orientierte n-dimensionale berandete Mannigfaltigkeit und u> e Q,n~lM eine (n — 1)-Form mit kompaktem Träger. Dann gilt

M

=h8M

Bevor wir mit dem Beweis beginnen, sei an zwei Konventionen erinnert, die in der Formulierung stillschweigend benutzt wurden. Erstens ist dM gemäß der in (6.8) vereinbarten Orientierungskonvention orientiert: die Außennormale gefolgt von der Randorientierung ergibt die Orientierung von M, und zweitens bedeutet j a M LJ := JgM i*üo, wobei i: dM M die Inklusion ist (Notation in 7.2). — Wir führen den Beweis in drei Schritten zunehmender Allgemeinheit: 1. Fall: M = Rü 2. Fall: Es gibt eine Karte (U, h) mit Trw C U 3. Allgemeiner Fall. Einige Rechenarbeit ist nur im ersten Schritt zu leisten, wobei aber keine Ideen gebraucht werden, sondern ein ganz geradliniges Anwenden der Definitionen zum Ziel führt. Die beiden anderen Schritte sind eher begrifflicher Natur. Im dritten und letzten werden wir ein Hilfsmittel kennenlernen, das auch sonst beim

9.2 Beweis für den Halbraum

153

Übergang von lokalen zu globalen Situationen oft nützlich ist, nämlich die sogenannten Zerlegungen der Eins.

9.2 Beweis für den Halbraum Sei also M — M" . In den kanonischen Koordinaten ist us = Y] u>. ~

dx A . . . . . . . A dxn

11=1

oder, wenn wir kurz f^ := UJX -~ n für die Komponentenfunktionen schreiben, LO = J2 fßdx1 A . . . / 2 . . . A dxn, H=l

wobei die Notation /2 wieder bedeutet, daß der Index /x bzw. der zum Index ß gehörige Faktor dx^ ausgelassen werden soll. Daraus berechnen sich die beiden Integranden dco s Qn M™ und i*ui e Q71^1 M™"1 definitionsgemäß wie folgt: n

du> = ^2 dfß

A

dx1 A ... p,...

11

A dx

f l = l

n

n

vfßdx") A dx1 A ... /2... A dx"

und wenn wir die kanonischen Koordinaten des 0 x M.n l C auch mit x2,... ,xn bezeichnen, so gilt n

L*Lü — Y2 i* fn • L^dx1 A . . . ß . . . A dxn = i*/i -dx2

A...A

dxn s fi™"1 R " " 1 ,

154

Kapitel 9. Der Satz von Stokes

denn die Inklusion t : 0 x M.n * M™ induziert aus den Koordinatenfunktionen xl,...,xn auf M" offenbar die Funktionen 0, x2,..., xn auf 0 x M"" 1 und daher ist fdx1

= 0

und

für

ß>2.

Soviel über die Integranden duj auf M" und L*LO auf und nun zur Integration selbst. Die kanonischen Koordinaten auf M" definieren natürlich eine orientierungserhaltende Karte, und nach der Orientierungskonvention gilt das auch für die Koordinaten x2,... ,xn von 9M™ . Daher gilt nach Definition der Integrale (Integration über die "heruntergeholte Komponentenfunktion"): 1

...dxn

und

M=l.

f1{O,x2,...,xn)dx2...dxri

f ÜJ= f

als gewöhnliche Mebxfachintegrale über difFerenzierbare Integranden mit kompaktem Träger. Da es bei der Integration über die einzelnen Variablen nach dem Satz von Pubini auf die Reihenfolge nicht ankommt, dürfen wir auch im /x-ten Summanden von JM diü mit der Integration über die //-te Variable beginnen und erhalten dabei, weil der Träger {x e M™ | tox ^ 0} von w und daher auch der von

Fig. 88. Zum Stokesschen Satz im Falle

schränkt sind, für /x = 1 xl=0 r

für die anderen \x jedoch oo

f

i d f j

M

ß

= 0

T

)

U be"

9.3 Beweis für ein Kartengebiet

155

und daher

=f

f dw = M

dM

]

für unseren 1. Fall M := M™.

9.3 Beweis für ein Kartengebiet Sei also (U, h) eine Karte von M mit Tru C U. Unsere Definition des Begriffes berandete Mannigfaltigkeit läßt die beiden Möglichkeiten zu, daß h(U) ofFen in R" oder in R n ist. Hier dürfen wir dM aber oBdA das erstere annehmen, denn da Tra; kompakt ist, wäre das erforderlichenfalls durch Translation und Verkleih(U) nerung des Kartengebietes zu erreichen. Außerdem dürfen wir h : U —> U' und damit nach der Orientierungskonvention auch h\dU : dU -^> dU' als orientierungserhaltend voraussetzen. Dann gilt Fig. 89. Zum StokesSatz im Falle aber nach der "Transformationsformel" schen Trwcl/. (vergl. 5.5) für die Integration auf Mannigfaltigkeiten und weil die Cartansche Ableitung natürlich ist:

f dco= f du>= f JM

h-^duj = f

-1*

lh(U) Jh

Jh{U)

JU

d(h

Setzen wir nun h u) durch Null außerhalb h(U) zu einer Form ui' e O " " 1 1 " fort, was wegen der Kompaktheit des Trägers Tr/i" 1 *^ = h(Trui) möglich ist, dann ist also

/ Jh{U)

d{h-uu) = [ ir

dJ

= !•

Fal1

f J9R«

ÜJ' = [ Jh(dU)

h~l*uj,

Kapitel 9. Der Satz von Stokes

156

wegen der Transformationsformel für h\dU : dU —> dU' gilt aber /

h~ULÜ

Jh(dU)

=

U =

JdU

U),

JdM

womit also der 2. Schritt abgeschlossen ist.

9.4

Allgemeiner Fall

Konnten wir bisher ganz routinemäßig vorgehen, so brauchen wir nun einen Trick, denn der Träger paßt jetzt vielleicht nicht mehr in eine Karte, und die gewaltsame Zerlegung von M oder Tr'u> in kleine meßbare Stücke führte zu unstetigen Integranden in Trw K™ , auf die die Cartansche Ableitung gar nicht anwendbar wäre. Ja, wenn wir ui als eine Summe LO = u>i+- • -+u)r differenzierbarer (n — 1)-Formen u>i e £ln~lM schreiben könnten, deren jede einen kompakten, in ein dM Kartengebiet passenden Träger Trwj c Ui Fig. 90. Zum Stohätte! Dann wären wir nach (9.3) freilich kesschen Satz im mit dem Beweis fertig. allgemeinen Fall. Und eben das werden wir jetzt bewerkstelligen. Zuerst wählen wir um jedes p e Trw eine orientierungserhaltende Karte (Up, hp) und eine C°°-Funktion Ap : M >• [0,1] so, daß \p(p) > 0 ist und der Träger von \p kompakt und in Up enthalten ist. Das ist kein Problem: wir brauchen nur eine geeignete "Buckelfunktion" ßp mit kompaktem Träger in h(Up) nach Up hp(U, hochzuheben, das heißt Ap(g) := ßp(h(q)) fiir q e Up und 0 sonst zu setzen. Dann ist { Ap^O, 1] }PeTru> eine Familie offener Menh(P) gen, in deren Vereinigung TXLÜ enthalten ist, und da Trw kompakt ist, gibt es endlich viele Fig. 91. ßp für Pi, • •. ,pr s o daß schon pedM.

TILÜC

9.5 Zerlegungen der Eins

157

gilt. Auf der offenen Menge X c M definieren wir jetzt r differenzierbare Funktionen T\ , . . . , r r durch n:X

> [0,1] XPl(x)

+ • • • + XPr(x)

'

Dann ist offenbar

£

Tj(a;) = 1 für alle

x e X,

weshalb man { Tj }*=].,...>r auch eine "Zerlegung der Eins" auf X nennt. Durch Multiplikation mit LO erhalten wir nun dementsprechend die "Zerlegung von w", die wir suchen, genauer: Wir definieren uii e Qn~1M durch Ti(p)ujp

fur p e X

0

sonst.

Mit TILÜ ist auch Trfri • u\X) C Trw kompakt, deshalb ist tüi nicht nur auf X, sondern auf ganz M differenzierbar, aus Tr LO C X und ]T>j = 1 auf X folgt

und die Träger der einzelnen Summanden passen schließlich wie gewünscht in ein Kartengebiet, da ja aus u^p ^ 0 jedenfalls n(p) ^ 0 und daher \Pi(p) ^ 0, also Trw, C TrAPi C UPi folgt. D

9.5 Zerlegungen der Eins Der Satz von Stokes ist nun bewiesen. So wie hierbei, sind Zerlegungen der Eins auch anderweitig ein sehr nützliches Werkzeug (siehe z.B. [ J: Top], Kap. VIII, § 4.), und insbesondere ermöglichen sie den am Schluß des Abschnitts 5.3 schon versprochenen Zugang

158

Kapitel 9. Der Satz von Stokes

zur Integration auf Mannigfaltigkeiten, bei dem die Mannigfaltigkeit zur Definition des Integrals nicht gewaltsam in kleine Stücke zerlegt zu werden braucht. Definition: Sei M eine Mannigfaltigkeit und il eine offene Überdeckung von M (z.B. durch die Kartengebiete eines Atlas). Unter einer differenzierbaren, der Überdeckung il untergeordneten Zerlegung der Eins verstehen wir eine Familie { ra } a e A von C°°-Funktionen ra : M —> [0,1] mit den folgenden drei Eigenschaften: ist lokal endlich in dem Sinne, daß (1) Die Familie {ra}a€A es zu jedem p e M eine offene Umgebung Vp gibt, so daß ra|V^ = 0 für alle bis auf endlich viele a e A, (2) Es ist Y.aeATa(p) — l f ü r a l l e P € M und (3) Für jedes a ist der Träger Tr ra in einer der Überdeckungsmengen von il enthalten. D Lemma: Zu jeder offenen Überdeckung einer Mannigfaltigkeit M gibt es eine untergeordnete Zerlegung der Eins. BEWEIS: Wäre M kompakt, so könnten wir wie beim Beweis des Satzes von Stokes vorgehen: Wir wählten zunächst zu jedem p e M eine "Buckelfunktion" Xp : M —> [0,1 ] mit Träger in einer p\,...,pr der Überdeckungsmengen und Xp(p) > 0, könnten dann mit U[=i Vi 1 ^ 0 ' ~L} = M finden und rk := XpJ YH=I \i setzen. Probleme mit der lokalen Endlichkeit oder dem Aufsummieren der Buckelfunktionen kann es dabei nicht geben, da es sich ja jeweils nur um endlich viele Funktionen handelt. Ist nun M nicht kompakt, so nehmen wir eine sogenannte kompakte Ausschöpfung von M zu Hilfe. Darunter versteht man eine Folge K1cK2C---cM o

kompakter Teilmengen mit Ki C Ki+i und U ^ i Ki — M. Im konkreten Fall sind kompakte Ausschöpfungen meist ganz leicht anzugeben, einen allgemeinen Existenzbeweis kann man zum Beispiel so führen: Sei { öi }J [0,1], so daß zwar \\+.. +Xlri > 0 für alle x e Ki \ Ki-i (kompakt!) gilt, aber die einzelnen Träger klein genug sind, um jeweils in eine Fig. 92. Der Streifen "verdurch A^,...,A Überdeckungsmenge aus il und wird sorgt". in ifj+i \ Ki-2 (offen!) zu passen. Dann ist die Gesamtfamilie {Xlj}i€nti solle kompakten Träger haben, darf man auch im Falle M = R™ offensichtlich nicht einfach weglassen, weil sonst die Integrale nicht mehr zu existieren brauchen. Bleibt der Satz aber richtig, wenn man statt der Kompaktheit des Trägers die Existenz der Integrale auf beiden Seiten fordert? D Ja, weil dann das harmlose Verhalten von LÜ und du> im Unendlichen ein ausreichender Ersatz für die Kompaktheit des Trägers ist. D Ja, weil diese Voraussetzung mit der Kompaktheit des Trägers in der Tat gleichbedeutend ist. D Nein, wie schon ein Blick auf den Fall n = 1 zeigt. (5) Zur Frage der Einschließbarkeit kompakter Teilmengen in Kartengebiete: Betrachte X := S^xl U lxS1 C S1 x 5 1 . Ist X in einer Karte des Torus enthalten? ü Nein, weil schon S1 x 1 nicht in ein Kartengebiet paßt. D Nein, obwohl S1 x 1 und 1 x S1 einzeln in Kartengebiete passen. Bedenke das Schnittverhalten ihrer Bilder in M2 unter einer einzigen ganz X enthaltenden Karte! D Ja, weil bereits der punktierte Torus S1 x S1 \ p diffeomorph zu einer offenen Teilmenge im R2 ist. (6) Ausgehend von der durch f(x) := e - 1 / xx für x > 0 und f(x) := 0 für x < 0 gegebenen C°°-Funktion / : R - • R soll eine kleine "Buckelfunktion" um den Nullpunkt im Rn angegeben werden, nämlich eine C°° -Funktion ß: R n —> R + , deren Träger die abgeschlossene Kugel um 0 vom Radius

9.7 Test

163

e > 0 sein soll. Welche der folgenden Deftnitionen leistet das Gewünschte?

D ß(x):=f(e-\\x\\) D ß(x) := f(e2 - \\x\\2) D ß(x):=f(\\x\\2-e2) (7) Es sei U C M eine offene Teilmenge einer Mannigfaltigkeit, z.B. ein Kartengebiet. Die Funktionen r : M —> R und / : U —> R seien differenzierbar (d.h. C°°), und r verschwinde außerhalb von U. Ist dann die durch r(x)f(x) )

für x e U für x € M \ U

definierte Funktion F difFerenzierbar auf ganz M ? D Ja, in jedem Falle. D Ja, wenn / beschränkt ist. Sonst im allgemeinen nicht. D Die Beschränktheit genügt zwar für die Stetigkeit von F, aber nicht für die Differenzierbarkeit. der Eins auf (8) Weshalb gibt es für eine Zerlegung {ra}aeA einer kompakten Mannigfaltigkeit M stets nur endlich viele a mit Ta ^ 0 ? D Weil bereits endlich viele der offenen Teilmengen genügen, um M zu überdecken. D Weil bereits endlich viele der nach der Forderung der lokalen Endlichkeit vorhandenen Mengen Vp genügen, um M zu überdecken. D Weil — es gar nicht wahr ist: Auch. auf kompakten Mannigfaltigkeiten können die Träger TrrQ "immer kleiner werden"und daher unendlich viele in lokal endlicher Weise Platz finden. (9) Auf einer unberandeten n-dimensionalen Mannigfaltigkeit M sei CÜ eine (n — 1)-Form mit kompaktem Träger und / eine beliebige differenzierbare Funktion. Dann gilt nach dem Satz von Stokes:

164

Kapitel 9. Der Satz von Stokes

D

(10) Es seien { ra }a€A und { a\ }\€\ zwei Zerlegungen der Eins auf M. Ist dann auch {raa\ }(a,\) N eine differenzierbare Abbildung in eine (n — l)-dimensionale Mannigfaltigkeit N. Sei ferner r? e H™" 1 ^ und uj := f*r]. Man zeige: fdMu = 0. AUFGABE

AUFGABE 35: Man beweise: Auf jeder n-dimensionalen orientierbaren Mannigfaltigkeit M gibt es eine n-Form LO e VlnM mit OJP ^ 0 für alle p e M. AUFGABE 36: Es sei M eine berandete n-dimensionale Mannigfaltigkeit und 77 e ^ln~1dM. Man zeige, daß es eine (n — 1)Form uj e O " " ^ mit t*cu — r\ gibt, wobei 1 : dM ^-> M die Inklusion bezeichnet.

9.9 Hinweise zu den Übungsaufgaben

9.9

165

Hinweise zu den Übungsaufgaben

Zu AUFGABE 33: Diese Aufgabe ist ganz nahe am ersten Beweisschritt für den Satz von Stokes und hat auch nur den Zweck, Ihnen diesen Beweisschritt näherzubringen. Zu AUFGABE 34: Manche Aufgaben sind so fragil, die darf man nur anrühren, und schon zerfallen sie zu Staub. Ich lasse also die Finger davon und erzähle Ihnen stattdessen eine schöne Anwendung dieser Aufgabe. Kann man eine orientierte Mannigfaltigkeit M differenzierbar auf ihren Rand retrahieren, d.h. eine differenzierbare Abbildung p : M —> dM finden, so daß die Zusammensetzung

dM ^ M A dM Fig. 94.

die Identität ist? Immer? Manchmal? Nie? Sicher nicht immer: eine Retraktion p : [0,1 ] —> {0,1} wäre eine stetige Funktion mit p(0) — 0 und p(l) = 1, die keinen Zwischenwert annimmt. Aber in höheren Dimensionen? Sieht nicht so aus: die Mannigfaltigkeit wird wohl zerreißen, wenn man sie mit Gewalt auf den Rand retrahiert. Oder gibt es doch einen Twist, mit dem das gelingen kann? Vielleicht in noch höheren Dimensionen? Es geht gar nie, wie aus Aufgabe 34 folgt. Wählen Sie dazu irgend ein r\ e Q71"1 (dM) mit JaM r\ ^ 0. Das ist stets möglich, wir brauchen ja nur eine kleine Buckelfunktion A > 0 mit nichtleerem Träger in einem Kartengebiet U von dM zu wählen und J \(p)dxl Vp

'~ 1 0

A • • • A dxn~l

in

sonst

U

Kapitel 9. Der Satz von Stokes

166

zu setzen. Wäre nun p : M —»• dM eine differenzierbare Retraktion, also po i = Id^M > so wäre nach Aufgabe 34 / p*T] : = / t,*p*r) = rj = ' JdM JdM JdM

Ein Widerspruch. Wir haben also gezeigt: Satz: Man kann keine kompakte orientierbare Mannigfaltigkeit ü differenzierbar auf ihren Rand retrahieren. Korollar: Jede differenzierbare Abbildung f : Dn —> Dn hat einen Fixpunkt, denn sonst könnte man eine differenzierbare Retraktion p : Dn —>• dDn konstruieren. H In der Tat kann man Satz und Korollar durch ein Zusatzargument (Approximation stetiger Abbildungen durch differenzierbare) auf stetige Abbildungen verallgemeinern, und dann heißt das Korollar Brouwerscher Fixpunktsatz. Fig. 95.

Zu AUFGABE 35: Wir haben bisher die Zerlegungen der Eins nur dazu benutzt, eine Differentialform zu "zerlegen". Noch öfter aber gebraucht man sie, um lokal gegebene, aber nicht zusammenpassende Einzelteile zu einem glatten globalen Objekt zu vervorher nachher schweißen. Der Vorgang g 96 istin§4in[J:Top]Kap. ' ' VIII ausführlich beschrieben, und auch ohne dort die Einzelheiten studieren zu müssen, werden Sie bei flüchtigem Durchgehen die Idee für das Vorgehen in unserer Aufgabe 35 finden. Zu AUFGABE 36: Die Zerlegungen der Eins sind doch ein überaus bequemes Konstruktionsmittel. Auch hier brauchen Sie die Aufgabe nur lokal zu lösen und sich dann in ein, zwei geschickt formulierten Zeilen auf die Zerlegungen der Eins zu berufen.

10 10.1

Klassische Vektoranalysis

Einführung

Die klassische Vektoranalysis des 19. Jahrhunderts handelt, wie man im Nachhinein leicht sagen kann, von der Cartanschen Ableitung und dem Satz von Stokes, allerdings in einer Notation, in der diese Gegenstände nicht auf den ersten Blick gleich wiederzuerkennen sind. Wenn wir, von der Analysis auf Mannigfaltigkeiten kommend, auf die klassische Vektoranalysis zugehen, so sehen wir schon von weitem, daß wir es dort nur mit Untermannigfaltigkeiten des R3 oder allenfalls des Mn zu tun haben werden. Nun, unsere Begriffe lassen sich ja sogar auf beliebige Mannigfaltigkeiten anwenden. Beim Näherkommen sehen wir außerdem, daß die Integranden meist nicht nur auf M, sondern auf einer ganzen in M3 ofFenen Umgebung X von M definiert sind, zum Beispiel auf X = R3 oder X = R3 \ 0 oder dergleichen. Wenn schon! Jedes r\ e Q,kX wird ja durch i : M X als die Einschränkung i*rj e QkM unserer Analysis auf M zugänglich. Das ist zwar im Prinzip richtig, aber trotzdem sollten wir uns nicht auf diese Weise von den Formen auf offenen Mengen I c l 3 gleich wieder verabschieden. Zum einen müssen wir, wenn wir nun in die klassische Vektoranalysis eintreten, die Formen r\ auf X als die eigentlichen Gegenstände des Interesses anerkennen. Sie beschreiben physikalische "Felder" verschiedener Art, während die Untermannigfaltigkeiten M c X nur hilfsweise herangezogen werden, gleichsam um ein r/ e flkX zu "testen", zu untersuchen. Denken sie etwa an eine Strömungsdichte r\ e Q?X auf einem räumlichen Bereich X, deren Strömungsbilanz JM rj über diese und jene Fläche M c X man zu betrachten wünscht.

168

Kapitel 10. Klassische Vektoranalysis

Zum anderen hat es aber auch technische Vorteile, mit den Formen 77 auf X zu rechnen, wenn sie nun schon einmal dort gegeben sind, auch wenn man eigentlich mit der Teilinformation i*r\ auskommen würde. Auf X haben wir die kanonischen Koordinades M3 und können die Differentialformen global ten x1,^2,^3 mit Hilfe der dxß darstellen, und da Dachprodukt und Cartansche Ableitung mit Abbildungen, insbesondere mit der Inklusion verträglich sind, (L*LÜ A L*r] — L*(UJ A 77) und di*rj = i*drj), so ist es einerlei, ob wir vor oder nach der Anwendung von i* rechnen, und vorher ist's oft bequemer. Der Grund, weshalb man die klassische Vektoranalysis beim ersten Anblick durchaus nicht als Anwendungsbereich des Cartanschen Kalküls erkennt, ist die völlige Abwesenheit der Differentialformen. Der BegrifF wird gar nicht erwähnt! Stattdessen handelt die Theorie von Vektorfeldern — wie der Name sagt — auf X und von den Operatoren Gradient, Rotation und Divergenz, und nur daß über Volumina, Flächen und Linien integriert wird zeigt uns an, daß doch eine Verbindung zur Analysis auf Mannigfaltigkeiten besteht. Diese Verbindung wird durch die Basisfelder und -formen der Koordinaten x 1 ,^ 2 ,^ 3 hergestellt. Bezüglich der Basen werden nämlich 1- und 2-Formen, wie Vektorfelder, durch drei Komponentenfunktionen beschrieben, 3-Formen durch eine. Von den Einzelheiten dieser Übersetzung der Formen in die Sprache der klassischen Vektoranalysis handelt der nächste Abschnitt.

10.2 Die Übersetzungsisomorphismen Für eine offene Teilmenge X c R3 bezeichne V(X) den Vektorraum der differenzierbaren Vektorfelder und C°°(X) den der difFerenzierbaren Funktionen auf X. Die Komponentenfunktionen eines Vektorfeldes a e V(X) bezeichnen wir mit ai, a2, a 3 , bewußt entgegen dem Ricci-Kalkül mit unteren Indices. Andernfalls würde eine Kollision mit den Konventionen des Ricci-Kalküls eben an anderer Stelle entstehen! Darin drückt sich der Umstand aus, daß die Beschreibung von 1- und

10.2 Die Übersetzungsisomorphismen

169

2-Formen durch Vektorfelder in der Tat nicht mit allen Koordinatentransformationen verträglich ist. Wir halten hier aber an den kanonischen Koordinaten des M fest, und solange wir das tun, ist es auch erlaubt, ein Vektorfeld a einfach als ein Tripel a = (ai, ci2, 03) von Punktionen anzusehen. Um die Formeln für die Übersetzungsisomorphismen übersichtlich schreiben zu können, führen wir folgende Notation ein. Definition: Sei X C K3 offen. Die K3-wertigen ("vektorwertigen") 1- bzw. 2-Formen (dxx\ ds:= dx2 \dx3)

und dF :=

sollen das vektorielle Linienelement ds e fi1(.X', M3) und das vektorielle Flächenelement dF € f22(X, K3) , und die gewöhnliche reellwertige 3-Form dV := dxlA dx2A dx3 e Q3X soll das Volumenelement von X heißen.

D

Konvention: Die üblichen Übersetzungsisomorphismen sind durch

gegeben.

V(X) - ^

Q}X,

V(X) - ^

2

Ü X,

a^a-ds, b^b-dF

und

D

Dabei bedeutet der Punkt das Standard-Skalarprodukt des K 3 . Wenn wir aber a, b als Zeilen und ds, dF als Spalten schreiben, kann man ihn auch als das Zeichen für das Matrizenprodukt lesen. Diese Konvention ist der Anfang des Wörterbuchs für die Übersetzung von klassischer Vektoranalysis in den Cartanschen Kalkül

170

Kapitel 10. Klassische Vektoranalysis

und umgekehrt. Wie Sie sehen, ist die Übersetzung zwar von rechts nach links eindeutig, aber ob ein Vektorfeld als 1- oder als 2-Form interpretiert werden muß, kann man nicht aus dem Wörterbuch allein entnehmen, sondern da kommt es, wie auch sonst bei fremden Sprachen, auf den Kontext an. Die Benennungen Linien-, Flächen- und Volumenelement werden übrigens plausibel, wenn man sich die geometrische Bedeutung dieser Formen klar macht: Notiz: An jeder Stelle x e X ist

dFx: dVT: R3 x

dsx 1D)3 X X

die Identität, das Kreuzprodukt und die Determinante. D

Beweisen braucht man diese Behauptungen, wegen der jeweiligen Linearitätseigenschaften, nur für die kanonischen Basisvektoren, für die sie aber evident sind (beachte dFx(e\,e2) = e*3, und entsprechend nach zyklischen Permutationen, wie beim Kreuzprodukt). Wenden wir uns deshalb gleich der Interpretation zu: Die Determi(v , w) — v x w nante gibt das elementargeometrische Volumen eines positiv orientierten 3Spates an, das Kreuzprodukt antwortet auf ein orientiertes 2-Spat bekanntlich mit demjenigen der beiden Normalenvektoren von der Länge des elementargeometrischen Flächeninhalts, 97. Erinnerung an der gefolgt von der Spatorientierung das Kreuzprodukt die Raumorientierung beschreibt, und die Identität schließlich braucht keine Erläuterung. Denkt man sich nun, daß die Formen auf kleine ("infinitesimale") Maschen antworten, so werden die Namen verständlich.

10.3 Gradient, Rotation und Divergenz

171

10.3 Gradient, Rotation und Divergenz Benutzen wir nun dieses Wörterbuch, um die Cartansche Ableitung in die Sprache der Vektoranalysis zu übersetzen. Nach wie vor bezeichnet X C K3 eine offene Teilmenge. Für / € C°°(X) haben wir «

d

f

aj — „

, l , M

= (dl_ {

d

df , 2

f

, s

-

df_ df_

dxiy dx2' dxaJ

'

und für Vektorfelder a,b e V(X) ergeben sich die Cartanschen Ableitungen der 1-Form a • ds und der 2-Form b • dF als d(a • ds) = d ^2 a^ = (820-3 — Ö3a2)dx2A dx3 + zykl. Perm. = (Ö2Ö3 — 030,2, O3Ü1 — Ö\(l3, d\Ü2 — Ö2alj

' dF

und d(b • dF) = dbi A dx2/\ dx3 + zykl. Perm. l = —-rdx A dx2A dxs + zykl. Perm. öx1

> >

V(X)

Gradienten,

172

Kapitel 10. Klassische Vektoranalysis

divb-=

df

df

dü3 dx2

dai da\ 3 dx ' dx3

9bl

dt>2

dx

1

dx

df

2

da3 dü2 dx1 ' 9a:1

dai. 9a;2

dbs

dx3 D

Die obige Rechnung zur Übersetzung der Cartan-Ableitung hat also ergeben: Notiz: Es gilt df = grad/ • ds und d(a • ds) = rota • dF und d(b • dF) = div b • dV, also ist für offenes X C K das Diagramm

o 0

• n°x —d-^ nlx —d-^ n2x —d-^ n3x > C°°(X)

> V(X) grad

> V{X) rot

> C°°(X)

• o > 0

div

kommutativ.

D

Korollar: Für alle Funktionen f und alle Vektorfelder a gilt rot grad / — 0 und div rot a — 0. D Wir halten auf dieser Stufe der Übersetzung einmal inne, um zu notieren, wie sich der Satz von Stokes inzwischen als ein Satz über Vektorfelder bzw. Funktionen auf X ausnimmt. Das sich für dimM = 3 ergebende Korollar aus dem Satz von Stokes nennt man den Gaußschen Integralsatz oder Divergenzsatz: Gaußscher Integralsatz: Sei X c R3 offen und b ein differenzierbares Vektorfeld auf X. Dann gilt

f divb dV = I b-dF M3

8M3

für alle kompakten berandeten 3-dimensionalen Untermannigfaltigkeiten M3 C X. D

10.4 Linien- und Flächenelemente

173

Beachte, daß 3-dimensionale Untermannigfaltigkeiten kanonisch durch den M3 orientiert sind. — Im 2-dimensionalen Falle ergibt sich der klassische Satz von Stokes, von dem der allgemeinere den Namen erhalten hat: Stokes'scher Integralsatz: Sei X C K3 offen und a ein differenzierbares Vektorfeld auf X. Dann gilt rot a • dF = M

2

/ a • ds dM2

für alle orientierten kompakten berandeten 2-dimensionalen UnD termannigfaltigkeiten ("Flächen") M2 C X. Der Vollständigkeit halber wollen wir auch den 1-dimensionalen Fall erwähnen, wenn er auch keinen eigenen Namen führt: Ist X C R3 offen und f : X -> R eine differenzierbare Funktion, so gilt / grad/ • ds = f(q) - f(p) 1

M

für jede orientierte kompakte 1-dimensionale UntermannigfaltigD keit M1 c X von p nach q.

10.4 Linien- und Flächenelemente In der Integralnotation der klassischen Vektoranalysis spielen das nichtvektorielle Linienelement ds und das nichtvektorielle Flächenelement dF eine zentrale Rolle. Diese beiden "Elemente" sollen deshalb als nächstes eingeführt werden, und zwar — unserer begrifflichen Bequemlichkeit halber — zunächst in einer nicht ganz authentischen, nämlich dem Differentialkalkül zu nahe stehenden Interpretation.

174

Kapitel 10. Klassische Vektoranalysis

Deflnition: Ist M C Mn eine fc-dimensionale orientierte Untermannigfaltigkeit, so heißt die fc-Form welche auf jede positiv orientierte Orthonormalbasis eines Tangentialraumes TPM C Mn mit +1 antwortet, die kanonische Volumenform von M. Im Falle k = 1 nennen wir die kanonische Volumenform das Linienelement, im Falle k = 2 das Flächenelement von M und bezeichnen sie mit ds bzw.rf-F.D Es ist anschaulich klar, was die kanonische Volumenform, der wir auch in den Übungen schon begegnet sind (vergl. Aufgaben 14 und 32), bedeutet: sie antwortet auf ein positiv orientiertes tangentiales &-Spat mit dessen elementargeometrischem fc-dimensionalen Volumen, und bezeichnen wir mit Volfc(A) das fc-dimensionale Volumen einer Teilmenge 4 c M , s o gilt Volfe(A) = [ LÜM, JA

sofern das Integral existiert — betrachten Sie diese Gleichung als Definition, falls Sie keine andere Erklärung des fc-dimensionalen Volumens in Mn vorrätig haben, sonst aber als ein Lemma. Insbesondere ist für k = 1 also JA ds die Bogenlänge und für k — 2 ist JA dF der Flächeninhalt von A. — Im Falle k = 3 kann man auch dV für das kanonische Volumenelement schreiben, für M3 C K3 stimmt das mit unserer früheren Definition dV = dx1^ dx2A dx3 überein. Wie aber hängen die in unserem Wörterbuch (10.2) und in den Integralsätzen figurierenden vektoriellen Linien- und Flächenelemente ds e ^(X, M3) und dF e O2(X, M3) mit ds und dF zusammen? Aus der geometrischen Bedeutung von ds und dF (vergl. Notiz in 10.2) ist ersichtlich, daß im 2-dimensionalen Falle die Antworten von L*dF und dF auf ein orientiertes tangentiales 2-Spat denselben Betrag haben, analog für t*ds und ds im 1dimensionalen Fall. Aber während ds und dF mit reellen Zahlen antworten, geben ds und dF Vektoren zurück, und zwar, als Identität bzw. Kreuzprodukt einen tangentialen bzw. normalen Vektor. Um das genau und vorzeichenrichtig ausdrücken zu können, führen wir folgende Schreibweise ein:

10.5 Die klassischen Integralsätze

175

Notation: Sei M C M.n eine orientierte &-dimensionale Untermannigfaltigkeit, k = 1 oder k = n — 1. (a) Im Falle k = 1 bezeichne T : M —> R n das positiv orientierte Einheitstangentialfeld. (b) Im Falle k — n - 1 bezeichne N : M —*• M" das Orientiemngs-Einheitsnormalenfeld, d.h. JV(x) _L TXM, ||iV(x)|| — 1, und iV(x), gefolgt von einer positiv orientierten Basis von TXM, ergibt eine positiv orientierte Basis des Mn. D N(x)

M

Fig. 99. Tangenteneinheitsvektor und Normaleneinheitsvektor im 1-dimensionalen bzw. 1-kodimensionalen Fall.

Lemma: Sei X C K3 oSen und i: Mk ^ R3 für k = 1,2 die Inklusion einer orientierten k-dimensionalen Untermannigfaltigkeit. Dann gilt 1 3 L*ds = fds e fi^M , K ) bzw. 4*dF = NdF e f22(M2, M3). BEWEIS: Für k = 1 ist an jeder Stelle ds(f) = f und ds(f) - 1, also gilt die erste Gleichung. Ist für k — 2 eine positiv orientierte Orthonormalbasis (v, w) von TXM2 gegeben, so ergänzt N(x) diese Basis zu einer positiv orientierten Orthonormalbasis (N,v,w) von R 3 . Ferner ist dF(v,w) = 1, also NdF(v,w) = JV = v x w = dF(v, w). D

10.5 Die klassischen Integralsätze Mit den nichtvektoriellen Linien- und Flächenelementen ist uns nun auch die klassische Notation der Integralsätze zugänglich. Das Integral einer 1-Form a • ds über eine orientierte 1-dimensionale

176

Kapitel 10. Klassische Vektoranalysis

Untermannigfaltigkeit können wir nun als /

JM1

a • ds=

JM1

a -T ds

schreiben, wobei mit a • T : M1 —• R natürlich die durch x — i > d(x) • T{x) gegebene Funktion auf Ml gemeint ist, also eigentlich (a^M1) • T. Diese Schreibweise gibt anschaulicher wieder, was mit dem Vektorfeld bei der Integration geschieht, denn a(x) • T(x) =: atlm(x) ist ja die tangentiale Komponente des Vektors a(x) an der Stelle x e M1, und der Beitrag eines kleinen Stückchens von M1 bei x zum Integral ist also näherungsweise das Produkt ata,n(x)As aus dieser Tangentialkomponente und der _ Bogenlänge As des Stückchens. - Analog im 2-dimensionalen Falle: /

JM2

b-dF=

JM2

,b-N dF,

wobeijetzt b(x)-N(x) =: bnoi(x) dieNorFig. 100. Anteil der malkomponente von b am Punkte x der Strömung durch die Fläche M 2 ist. Wenn z.B. b Stärke und Masche a Richtung einer Strömung angibt, so antwortet bnordF auf eine Masche in M2 mit der Durchtrittsrate. - Insbesondere erhalten wir die beiden Integralsätze von Gauß und Stokes (vergl. 10.3) jetzt in der vielleicht gebräuchlichsten Fassung: Gaußscher Integralsatz: Ist X c

offen und b ein differen-

zierbares Vektorfeld auf X, so gilt divb dV = 3

M

/ b-N dM

dF

3

für alle kompakten berandeten 3-dimensionalen UntermannigfalD tigkeiten M3 C X. Da M 3 hier als durch den M kanonisch orientiert gedacht ist, bedeutet N nach der Orientierungskonvention das nach außen gerichtete Einheitsnormalenfeld auf dM.

10.5 Die klassischen Integralsätze

177

Stokes'scher Integralsatz: Ist X c M3 offen und a ein diffe_^ renzierbares Vektorfeld auf X, so N

r

r

I r o t a • N dF = / a-T JdM2 JM2

ds

für alle orientierten kompakten berandeten Flächen M2 C X. •

btokesschen batz

Als Beispiel für die Anwendung des Gaußschen Integralsatzes betrachten wir einmal den Fall b = grad / . Dann haben wir das Volumenintegral über div grad / zu bilden, geschrieben in den Koordinaten x,y,z des R3 ist divgrad der wohlbekannte LaplaceOperator A, d2f d2f d2f A , 1 ' dx2 + dy2 8z2' und in diesem Zusammenhang wird für den Gradienten auch gern die Notation V ("ATabZa") verwendet: v

_,d_l d£ d_l dx dy dz

Im folgenden seien / und g immer differenzierbare Punktionen auf einer offenen Teilmenge X c R 3 , und M3 C X sei eine kompakte berandete 3-dimensionale Untermannigfaltigkeit, wie im Gaußschen Integralsatz. Setzen wir b = V / , so erhalten wir also zunächst Korollar 1:

[/ AfdV AfdV== I

JM3

IdM33 JdM

Vf-NdF. D

Weil übrigens Vf-N die Richtungsableitung von / in Richtung der Außen-Normalen ist (d.h. Nf in der AufFassung von Vektoren als Derivationen), so wird auch

178

Kapitel 10. Klassische Vektoranalysis

("Normalableitung von / " ) geschrieben, und der Gaußsche Satz für grad / nimmt die Gestalt an Korollar 2:

/ AfdV = / JM3

^fdF

JdM3

On

D

Etwas allgemeiner setzen wir nun b = g • V / . Nach. der gewöhnlichen Produktregel ergibt sich = Vg • V / + gAf, und daher Korollar 3 (Greensche Formel):

/(V R heißt harmonisch, wenn A / = 0 ist. Satz (Mittelwerteigenschaft der harmonischen Funktionen): Sei f : X —> M. harmonisch. Dann gilt für jede ganz in X gelegene abgeschlossene Vollkugel K mit Radius r, Mittelpunkt p und Rand S:

d.h. der Funktionswert am Mittelpunkt ist der Mittelwert der Funktion auf der Oberßäche der Kugel. BEWEIS: OBdA sei p = 0. Wir schreiben x := (x1, x2, x3), um uns den vektoranalytischen Formeln anzupassen, wenn (x1, x2, x3) als Tangentialvektor vorkommt. Eigentlich sollten wir x = (x1, x2, x3) als Vektor in als Punkt in M — M3 und x = (xl,x2,x3) Tq R3 = M3 unterscheiden. Aber den Unterschied zwischen dem Mn und seinen Tangentialräumen haben wir ja auch sonst nicht in die Notation einfließen lassen. Für jedes t e [0,1] ist die durch ft(x) := f(tx) definierte Funktion ft ebenfalls auf einem K umfassenden Gebiet harmonisch und hat bei p denselben Wert wie / . Da die konstante Funktion /o offenbar die Eigenschaft Airr2f(p) = Js fodF hat, so genügte es zu zeigen, daß das Integral

It := [ ft dF Js

180

Kapitel 10. Klassische Vektoranalysis

von t nicht abhängt, daß also ^ / t = 0 gilt. Wegen -^ Vf(tx) • x und Wft{x) = Wf(tx) ist für t > 0:

*'> = !

]„"*•***•

Auf dem Rand S der Kugel vom Radius r ist aber N = ^x die Außennormale, und daher ist nach der Gaußschen oder Greenschen Formel (Korollar 1 in 10.5): d

-It at

T

i

=VffN t js

—*

dF=-

T*

/

tj

K

Aft dV,

also Null, weil ft eine harmonische Funktion ist.

ü

Korollar (Maximumprinzip für harmonische Funktionen): Ist X C M3 offen und zusammenhängend und hat die harmonische Funktion / : X —> R ein Extremum, so ist sie konstant. BEWEIS: OBdA sei f(x) < f(x0) =: y0 für alle x e X. Wegen der Stetigkeit von / ist f~l{yo) abgeschlossen in X, nach der Mittelwerteigenschaft aber auch offen, denn auf dem Rand S einer jeden ganz in X liegenden Kugel um ein p e /~1(j/o) muß / konstant gleich y0 sein, sonst wäre aus Stetigkeitsgründen JsfdF < f(p)JsdF. Also ist die nichtleere Menge /~ 1 (yo) offen und abgeschlossen in dem zusammenhängenden Teilraum X c M3, also f'^iyo) = X. D

Korollar (Eindeutigkeitsaussage für das Dirichletsche Randwertproblem): Es sei M c R 3 eine kompakte berandete 3-dimensionale Untermannigfaltigkeit und f,g : M —> R zwei stetige, auf M \ dM harmonische Funktionen. Stimmen dann f und g am Rande überein, d.h. ist f\dM — g\dM, so gilt f = g auf ganz M. BEWEIS: OBdA sei M ^ 0 und zusammenhängend. Als stetige Funktion auf einem Kompaktum muß / — g Extrema annehmen, d.h. es gibt XQ und x\ e M mit

f{xo) ~ g(x0) < f(x) - g(x)
dG, t ^

(in(t),Vi(t)),

i —

l,...,r

orientierungsgerecht parametrisiert sein. Korollar 4: Ist X c M3 offen und a ein differenzierbares Vektorfeld auf X, so gilt für jede differenzierbare Abbildung x — x(u, v) von G in X:

jj (rota(x(u, v)))- ( ^ x -£} dudv G ßi

r i=\

r

/

d

— x(ui(t),Vi(t))dt.

10.8 Das Flächenelement des Graphen

185

Die versprochene besondere Bewandtnis mit dieser Fassung des Satzes besteht aber darin, daß die Abbildung G —>• X keineswegs eine Einbettung, also ein Diffeomorphismus auf eine Untermannigfaltigkeit M C X sein muß, sondern irgend eine differenzierbare Abbildung

X sein darf, auch eine solche, bei der G ganz zerknittert, singulär und selbstdurchdrungen in X ankommt! Ein neuer, beweisbedürftiger Satz steckt aber nicht dahinter, sondern nur die Anwendung des allgemeinen Satzes von Stokes auf G statt auf ein M C X. Setzen wir nämlich w :— a- ds e fl^X, so besagt die Formel des Korollars 4 einfach JG d(cp*üj) = faG (p*uj.

10.8 Das Flächenelement des Graphen einer Funktion von zwei Variablen Von besonderem Interesse ist der Spezialfall, daß U der Graph einer differenzierbaren Funktion z = z(x, y) ist. Dann sind u := x\U und v :~ y\U die Koordinaten der kanonischen Karte h. Die inverse Karte oder "Parameterdarstellung" G -^- U ist dann durch x — x,y

= y und z = z(x,y)

gege-

ben, und deshalb sind die tangentialen Basisvektoren

Fig. 105. Tangentialbasis am Graphen

und

der Betrag ihres Kreuzproduktes daher X

C

Korollar: Unabhängig von der Orientierung gilt für eine Funktion if; : U —> M auf einem Graphen U:={(x,y,z(x,y))\(x,y)eG} einer differenzierbaren Funktion z = z(x,y) aufeiner in M2 oder

186

Kapitel 10. Klassische Vektoranalysis

.2__ offenen Menge G:

^ + (§l:)2 + (§l)2 dxdy, U

G

sofern dieses Doppelintegral existiert. Insbesondere ist der Flächen.inh.alt von U

G

D

10.9 Der Integralbegriff der klassischen Vektoranalysis Ganz zum Schluß dieses Kapitels kommen wir jetzt noch einmal auf die Erage zurück, wie denn nun eigentlich die klassische Vektoranalysis ihrerseits die Integration auf Mannigfaltigkeiten — in der Hauptsache also das Flächenintegral — auffaßt, wenn sie von DifFerentialformen keinen Gebrauch macht? Ich hatte schon eingeräumt, daß unsere Interpretation der Linien- und Flächenelemente ds und dF als die kanonischen Volumenformen orientierter Linien und Flächen nicht ganz authentisch ist. Was wäre denn die authentische Auslegung? Das echte, unverfälschte Flächenelement dF der klassischen Vektoranalysis ist für jede Fläche im Raum (analog für jede kdimensionale Untermannigfaltigkeit Mk c M.n) erklärt, mit Orientierung oder Orientierbarkeit hat es gar nichts zu tun. Es ordnet aber jedem p e M nicht eine alternierende 2-Form, sondern eine Dichte dFp : TPM x TpM > M+ zu (vergl. 5.1), dFp antwortet auf ein Paar (v,w) von Tangentialvektoren am Punkte p nämlich einfach mit dem elementargeometrischen Flächeninhalt des Parallelogramms, für M2 C M.3 also dFp(v,w) = \\v x w\\.

10.9 Der Integralbegriff

187

Ist M tatsächlich orientiert, so hängt die Volumenform U>M mit dem Flächenelement dF durch dF(v,w) = \wM(v,w)\ zusammen. Stellen wir uns wieder wie in 5.2 vor, daß dF näherungsweise so auch auf kleine Maschen antwortet, so ist intuitiv klar, was das Integral

jfäF M

einer Punktion / : M —> M über eine beliebige, nicht notwendig orientierte oder auch nur orientierbare Fläche bedeutet. Einer formalen Definition legt man die lokale Formel dx

dx

dudv

zugrunde (vergl. Korollar 2 in 10.7). Steht das Lebesgue-Integral für M2 zur Verfügung, so ist die allgemeine Definition von Integrierbarkeit und Integral fM fdF wie in 5.4 mittels Zerlegung von M in kleine meßbare Mengen anwendbar, mit der zusätzlichen Bequemlichkeit, daß man sich um das Orientierungsverhalten der verwendeten Karten nicht zu kümmern braucht. Durch A i

> / dF e [0,oo] JA

ist dann übrigens ein Maß \iu auf der R den Abstand vom Nullpunkt. Welcher 1-Form u> e Q^R^xO) entspricht das radial nach außen gerichtete Einheitsvektorfeld ? r

r2

(3) Es gilt stets D grad rot = 0

D rot grad = 0

D div grad = 0.

190

Kapitel 10. Klassische Vektoranalysis

(4) Als Integrand beim Stokes'schen Integralsatz für ein Vektorfeld v ist anstelle der Punkte in JM2 ... dF — JdM2 v • Tds UrotvxN

D mtv-N

D ||rotu||

einzusetzen. (5) Die Notation V x v der klassischen Vektoranalysis kann, gutwillig gelesen, wohl nur D rotdivw

D graddiviT

D rotv

bedeuten. (6) Nach dem Gaußschen Integralsatz gilt für jede differenzierbare Punktion / : D3 -> R:

° II a SL D

k

(7) Sei / : X —> M auf dem Rande dM der dreidimensionalen Untermannigfaltigkeit M C X konstant. Was bedeutet das für die Normalableitung?

(8) Sei X C E 3 offen und / : X ->• K differenzierbar. Daß für jede Kurve 7 : [tojii] —* X von p nach g die Formel ft x f' (l(t))Af(t) dt = f(q) — f(p) gilt, ist ja sowieso klar. Inwiefern ist sie aber ein Spezialfall des Satzes fM duj = JQM UJ von Stokes? Setze DM:=Iund ui := f

D M:=[to,ii] und OJ :— 7 * /

(9) Das Linienelement ds des Graphen { (x, ausgedrückt durch die Koordinate x, heißt



M :=[tQ,ti] und ui := /

10.11 Übungsaufgaben

191

(10) Wie heißt das Flächenelement dF e Q,2S2 der wie üblich orientierten 2-Sphäre, ausgedrückt in den geographischen Winkelkoordinaten (östliche) Länge A und (nördliche) Breite ß ? D sinßdßAdX

10.11

D cosßdXAdß

D

sinßdXAdß

Übungsaufgaben

37: Sei X C R3 offen. Es seien V(X) ^ tfX S Q2X und Ü°X = £13X die durch die Basisfelder bzw. -formen AUFGABE

dud2, d3 für dx1, dx2, dx3 für O a X dx2Adx3, dx^Adx1, dxlAdx2 und (ia;1^ 1.

41: Es sei M c R 3 eine 3-dimensionale kompakte berandete Untermannigfaltigkeit und pi,...,pn e M \ 9 M . Man bestimme AUFGABE

n

10.12

Hinweise zu den Übungsaufgaben

Zu AUFGABE 37: In 10.3 haben wir die Cartansche Ableitung in die klassische Vektoranalysis "übersetzt", hier sollen Sie es mit dem Dachprodukt machen, also die drei durch das Dachprodukt gegebenen Abbildungen Ü1X x Ü1X Q}X x Ü2X ÜXX x Q}X x VtlX

> Q2X >• O 3 X > Q3X

in entsprechende Verknüpfungen der Vektorfelder umrechnen, z.B. für die erste Zeile das Diagramm

I" V(X) x V(X)

> V{X)

kommutativ ergänzen. — Man kann das natürlich ganz formal ausrechnen, soll aber möglichst auch erkennen, was dabei herausgekommen ist. Zu AUFGABE 38: Dies ist eine Fortsetzung von Aufgabe 37, deren Ergebnisse man benutzt. In (a) haben wir zum Beispiel das

10.12 Hinweise zu den Übungsaufgaben

193

Diagramm

n°x x nxx —-—• nxx —-—• n2x

1 v(x) ——»• v(x)

rot

> v(x)

mit den üblichen Übersetzungsisomorphismen nach oben zu betrachten. Oben kennen wir uns aus, denn im Differentialformenkalkül genügt eine Produktformel, sie heißt für u> e QrX stets d(u> AT?) = dui AT] + (—l)ru) A dr\.

Zu AUFGABE 39: Hier sind / und g etwa auf einer offenen Umgebung X C R2 von M als differenzierbar gegeben zu denken. Natürlich ist die Aufgabe irgendwie eine Anwendung des Satzes von Stokes, und links in (a) steht ja auch ein Integral der Form fdMu>. Beachte aber, daß rechts nicht JM dui steht: dxdy ist kein Druckfehler für dx A dy\ Die Aufgabe verlangt gleichzeitig, daß man auf die Definition des Integrals über eine 2-Form in dieser speziellen Situation Bezug nimmt. In beiden Teilaufgaben muß man auch auf das Vorzeichen achten! Zu AuFGABE 40: Welches Vektorfeld b auf einer Umgebung von D3 soll man wohl wählen, damit die Formel in der Aufgabe_gerade die Aussage des Gaußschen Integralsatzes JD3 div b — J9D3 b-NdF wird? Hat man dieses b erst einmal gefunden, dann ist auch die Verallgemeinerung ganz naheliegend. Zu AUFGABE 41: Die Physiker unter Ihnen werden den Integranden kennen: ^- ist der negative Gradient der harmonischen Funktion i . Wer das hier zum ersten Mal erfährt, sollte es einmal nachxechnen. — So wird die Aufgabe also zu einer Anwendung der Gauß- oder Greenschen Formel

f AfdV= f JM3

Vf-dF

JdM3

(Korollar 1 in 10.5). Aber nicht so direkt, denn unser Integrand hat isolierte Singularitäten! Am besten legt man kleine Kugeln darum, ähnlich dem Vorgehen beim Residuensatz in der Funktionentheorie.

11

Die de Rham-Cohomologie

11.1 Definition des de Rham-Funktors Von der klassischen Vektoranalysis wenden wir uns jetzt einem ganz anderen Aspekt des Differentialformenkalküls zu. Betrachten wir den de Rham-Komplex 0-> fi°AT-^ fi^AT-i • • • einer Mannigfaltigkeit M. Die Komplexeigenschaft d o d = 0 bedeutet, daß für jedes k Bild (d : ük~lM

-> ükM) c Kern (d : ÜkM -> O*+1M)

gilt, und wir können deshalb den Quotienten dieser beiden Vektorräume bilden. Definition: Ist M eine Mannigfaltigkeit, so heiße der Quotientenvektorraum k

=

die k-te de Rham- Cohomologiegruppe von M. Die Cartansche Ableitung d wird auch der Corand- Operator genannt, die Differentialformen im Bild eines d heißen Coränder, die im Kern Cozykeln. Ist r\ e Q,kM ein fc-dimensionaler Cozykel, so heißt seine Nebenklasse [rj] :=r] + dnk-lM die Cohomologieklasse von r/.

e HkM D

11.1 Der de Rham-Funktor

195

Die Ausdrücke Ränder, Zykeln und Homologieklasse, auf die hier angespielt wird, stammen aus der Homologietheorie. Dort sind es gewisse "Ketten" c, welche einen "Rand" dc haben und "Zykeln" genannt werden, wenn dieser Rand verschwindet. Zwei Zykeln heißen homolog, wenn sie sich nur um einen Rand unterscheiden. Wir können hier nicht näher darauf eingehen, aber dem geometrischen Inhalte nach entspricht die Randbildung in der Homologietheorie der Randbildung bei den kompakten berandeten Mannigfaltigkeiten, was auch die vom eindimensionalen Fall übernommene Bezeichmmg "Zykel" für die unberandeten Ketten erklärt. Da nun die Cartansche Ableitung in dem Sinne dual zur Randbildung ist, daß die Wirkung von da gerade die Randwirkung von a ist, wie in Kapitel 7 ausführlich beschrieben, wird die Bezeichnung "Co-Rand-Operator" für d verständlich. Lemma und Definition: Das Dachprodukt und die funktoriellen Eigenschaften des de Rham-Komplexes machen oo

H* := 0 Hk fe=o

in kanonischer Weise zu einera kontravarianten Funktor von der differenzierbaren Kategorie in die Kategorie der antikommutativen graduierten Algebren und ihrer Homomorphismen. Dieser Funktor H* heiße die de Rham-Cohomologie schlechthin. BEWEIS: Wir zeigen zuerst, daß durch [LÜ] A [ T ) ] :•= [ W A J J ]

das Dachprodukt HrM x HSM A Hr+SM wohldefiniert ist. Ersichtlich ist mit ui und r\ auch u) A r] ein Cozykel, denn aus dto = 0 und dr] = 0 folgt d(oj A rj) — dui A 77 + (—l)ro; A dr) — 0. Bleibt oBdA zu prüfen, daß stets [(LÜ + da) f\rj]~[uj

A 77],

also da ATJ ein Corand ist. Wegen drj = 0 ist aber d{a ATJ) = da A r\ + (—l)r~la A drj = da ATJ,

196

Kapitel 11. Die de Rham-Cohomologie

das Dachprodukt eines Corandes mit einem Cozykel ist daher stets ein Corand, also ist das Dachprodukt auch für die Cohomologieklassen wohldefiniert. — Ist ferner / : M —> N eine differenzierbare Abbildung, so ist /* : HkN

M>

> HkM

durch

>[f*v]

wohldefiniert, wie aus der Natürlichkeit von d (vergl. 8.6) sofort folgt. — Die algebraischen und Funktoreigenschaften übertragen sich nun von O* (vgl. 8.7) auf H*. •

11.2 Einige Eigenschaften Was können wir aus dem Stegreif zur Berechnung der de RhamCohomologie beisteuern? Zunächst die ganz triviale Bemerkung Notiz: Ist M eine n-dimensionale Mannigfaltigkeit und k > n, D so ist HkM = 0, denn dann ist ja sogar £lkM — Q. Außerdem kennen wir natürlich die O-Cozykeln, also die Punktionen / e Q°M mit df — 0: das sind die lokal konstanten reellen Punktionen, Corand ist nux die Null, also: Notiz: H°M ist der Vektorraum der lokal konstanten Funktionen, insbesondere ist für zusammenhängendes M kanonisch H°M = R. D Ferner erhalten wir aus dem Satz von Stokes noch eine Aussage über das andere Ende der de Rham-Sequenz, nämlich Korollar aus dem Satz von Stokes: Ist M eine orientierbare, geschlossene (d.h. kompakte und unberandete) n-dimensionale Mannigfaltigkeit, so ist HnM ^ 0. BEWEIS: Orientiere M und wähle r\ e ünM mit JMri ^ 0, etwa mittels Karte und Buckelfunktion. Wie jede n-Form ist rj wegen

11.2 Einige Eigenschaften

197

Ün+1M = 0 ein Cozykel, aber r\ ist kein Corand du, denn sonst wäre nach dem Satz von Stokes j M r\ — JM dio = JdM ui = 0, da D nach Voraussetzung dM = 0 ist. Also gilt [77] ^ 0 e HnM. Sehen wir schließlich nach den Morphismen, so können wir außer den Funktoreigenschaften über /* = Hkf : HkN —> HkM noch notieren Notiz: Für konstantes f : M -> N ist Hkf = 0 für alle k > 0, und fär zusammenhängendes M und N ist H°f : M —> K die Identität für jedes f. • Soweit die karge Ausbeute direkter Inspektion. In den folgenden beiden Abschnitten werden wir aber einen wichtigen nichttrivialen Sachverhalt beweisen: die Homotopie-Invarianz der de Rham- Cohomologie. Definition: Es seien M und N differenzierbare Mannigfaltigkeiten. Zwei differenzierbare Abbildungen f,g : M ^- N heißen differenzierbar homotop, wenn es eine differenzierbare Homotopie h zwischen ihnen gibt, d.h. eine differenzierbare Abbildung h: [0,1] xM > N mit h(0,x) — f(x) und h(l,x) — g(x) für alle x e M.

D

Da M und N wie immer auch berandet sein dürfen, sei ausdrücklich angemerkt, daß wir eine auf einer in [ 0,1 ] x M" offenen Teilmenge U definierte Abbildung

• Mn differenzierbar nennen wollen, wenn es um jedes u e U eine in M™+1 ofFene Umgebung Vu gibt, auf die sich tp\U n Vu differenzierbar ausdehnen läßt. Satz (Homotopie-Invarianz der de Rham-Cohomologie): Sind M,N Mannigfaltigkeiten und f,g : M —> N zwei differenzierbar homotope Abbildungen, so gilt f* =g* : HkN für alle k.

> HkM

198

Kapitel 11. Die de Rham-Cohomologie

Was ich zum Homotopiebegriff im allgemeinen und der Bedeutung der Homotopie-Invarianz für Funktoren aus geometrischen in algebraische Kategorien im besonderen eigentlich jetzt noch sagen möchte, steht in [J:Top], Kap. V.

11.3

Homotopieinvarianz: Aufsuchen der Beweisidee

Ich möchte Ihnen nicht nur zeigen, wie der Beweis aussieht, sondern auch, wie man ihn finden kann. Sei also u> ein kdimensionaler Cozykel auf N. Wir sollen beweisen, daß [f*u] = [g*cü} € HkM gilt, d.h. daß sich die beiden Cozykeln f*co und g*oj nur um einen Corand da unterscheiden. Gesucht ist daher ein a e £lk~xM mit g*u; — f*u) = da.

Soweit die Aufgabe. Nun mustern wir unsere Mittel. Die einzige Vbraussetzung ist die Existenz einer differenzierbaren Homotopie zwischen / und g, d.h. einer differenzierbaren Abbildung h von dem Zylinder [ 0,1 ] x M über M nach N, die auf dem Boden 0 x M mit / und auf dem Deckel 1 x M mit g übereinstimmt, oder etwas förmlicher gesagt: hoi0 = f hot1=g, wenn tt : M ^-> [0,1 ] x M die durch tt(x) := (t, x) definierte Inklusion in die Höhe t des Zylinders bezeichnet.Dementsprechend stimmt dann auch der [0, ljxM induzierte Cozykel h*oj j\f auf dem Boden mit f*u> und auf dem Deckel mit g*uj überein, oder genauer:

Ö

hier lebt w

Fig. 106. Die Homotopie h zwischen hoi0=f und hoLt=g.

^ t\h

=• f*u> ^ Lü = g Lü.

11.3 Homotopieinvarianz

199

Nachdem wir nun alles aufgeführt haben, was sich von selbst versteht, müssen wir unser zuversichtlich.es Niederschreiben des Beweises vorerst unterbrechen, um nach einer Idee für die Konstruktion von a zu suchen.

Der Cozykel h*u> auf [0,1 ] x M stellt ja doch wenigstens eine Art von Verbindung zwischen f*uj und g*u> her. Die vage Vorstellung, h*u> irgendwie zur DefLnition des gesuchten a e f2fc~1M benutzen zu wollen, ist wohl naheliegend genug. Wovon sonst könnten wir ausgehen? Also müssen wir die Beziehung von h*co zu f*u und g*ui genauer ansehen. Sei r eine orientierte fc-Masche in M, also [ 0,1 ] x r c [ 0,1 ] x M der Zylin1xr der oder das Prisma über r. Wie jeder Cozykel muß h*u> auf den orientierten Rand von [0,1 ] x T mit Null antworten:

/ "'"= I h*w =

9([0,1]XT)

I

dh*uj = 0, 0xr

[0,1]XT

Fig. •i

77 *

rx • ,

i-N

i-.

i i

, i ,

i

107.

Prisma über

Das der

weü dn ÜJ = ü lst. Der Kand besteht aber fc-Masche r aus Deckel, Boden und Seitenteilen. Dabei sind Deckel und Boden entgeSeitenteile, gengesetzt orientiert. Weil nun h auf Deckel dem Deckel durch g, auf dem Boden durch / gegeben ist, gilt also

f

Boden

h*LÜ.

/

[0,1]

XÖT

Fig. 108. 9([0,l]xr) =

[0,l]x9r

Auch das Vorzeichen könnten wir bei genauerem Betrachten der Orientierungen natürlich herausfinden (es ist das positive), aber das wäre jetzt pedantisch. Es kommt doch nur darauf an, eine (k — 1)-Form a e £lk~lM zu finden, deren Corand da auf r so antwortet, wie lXr U Oxr U [ 0 , 1 ] X 8 T .

200

Kapitel 11. Die de Rham-Cohomologie

h*Lü auf [0,1] x dr. Da aber da auf r jedenfalls so antwortet wie a auf dr, wünschen wir uns a = V

/

h*cü

[O,l]xcr

füx jede orientierte (k — 1)-Masche a in M. In Worten: a so/Z an/ _i r\. Behauptung: Für den sogenannten

Prismenoperator

P:ük([0,1] xM) —>nk-lM, l

r) i—>• J(dt-i o

r])dt

gilt Pdrj = u\ri — IQT) — dPrj. BEWEIS DIESER BEHAUPTUNG: Die Behauptung ist linear in rj und lokal bezüglich M, also genügt es, in lokalen Koordinaten x1,..., xn für M die beiden Fälle

(1)

r] = a dx^1 A .. .A dxßk und

(2)

?7 = bdt

zu betrachten.

202

Kapitel 11. Die de Rham-Cohomologie

FALL (1): Hier ist Pr\ = 0, weil dt _i r\ = 0, erst recht also dPrj = 0. Ferner gilt A

. . .A

und daher l

Pdrj = (/adi) da^A .. .A o = (a(l, •) - a(0, •)

(2): Jetzt ist IQ7? = ^i*7 = 0, weil i^dt = 0 für jedes feste to • Also haben wir Pcfo? = —dPrj zu zeigen. Es ist FALL

drj= V •7--dxl/\dtAdxtllA...Adxflk-1, i=i 9x* also dt) dxlA j=l 0

Andererseits gilt l

P?7 = (/fedt) da^A .. . o und daher n

1 ßh

dPv = J2(J—dt) dxlA (2)D

Damit ist die Behauptung bewiesen, und ist nun ui ein fe-Cozykel auf A^ und r\ :— h*ui der induzierte Cozykel auf [ 0,1 ] x M, so ist d?? = 0, also auch Pdr) = 0 und wir erhalten g*Lo — f*uj — ilh*u) — /,Q/I*W

11.5 Das Poincare-Lemma

203

und haben also gezeigt: Lemma: Ist u> ein Cozykel und h eine Homotopie zwischen f und g, so unterscheiden sich die Cozykeln g*ui und f*w nur um den Corand d(Ph*u>). Der Satz von der Homotopieinvarianz der de Rham-Cohomologie ist damit bewiesen. D

11.5 Das Poincare-Lemma Nun wollen wir eine Serie von Korollaren der Homotopieinvarianz einernten. Die Homotopien sind immer differenzierbar gemeint. In der Tat sind stetig homotope differenzierbare Abbildungen immer auch differenzierbar homotop, wie ein geeigneter Approximationssatz zeigt, und in der Homotopieklasse einer stetigen Abbildung / : M —> N sind stets auch differenzierbare Repräsentanten zu finden. Deshalb ist die de Rham-Cohomologie sogar auf der Kategorie der differenzierbaren Mannigfaltigkeiten und stetigen Abbildungen wohldefiniert und homotopieinvariant, worauf wir aber hier nicht näher eingehen wollen. Weil eine von einer konstanten Abbildung induzierte fc-Form für k > 0 nur Null sein kann (vergl. 8.3) folgt zunächst Korollar 1: Ist f : M —> N nullhomotop, d.h. homotop zu einer konstanten Ahbildung, so ist f* : HkN —> HkM für alle k>l die Nullabbildung. D Korollar 2: Ist M zusammenziehbar, d.h. ist Idjf : M —> M nullhomotop, so ist HkM — 0 für alle k > 1. BEWEIS: Id^ : HkM —>• HkM ist wegen der Funktoreigenschaft die Identität, nach Korollar 1 aber auch Null. ü Korollar 3: Auf einer zusammenziehbaren Mannigfaltigkeit ist jeder positivdimensionale Cozykel ein Corand, d.h. aus UJ e Q,kM, k > 0 und du> = 0 folgt, daß es ein a e fifc-1M mit da ~ u> gibt. D

204

Kapitel 11. Die de Rham-Cohomologie

Korollar 4 (Poincare-Lemma): Für beliebige Mannigfaltigkeiten M gilt: Lokal ist jeder positiv-dimensionale Cozykel ein Corand, d.h. umjeden Punkt gibt es eine offene Umgebung U, in der zu jedem ui e QkM mit k > 0 und du> = 0 ein a e Vfi^U ü mit da = co\U existiert. Jede zusammenziehbare offene Umgebung U von p, z.B. jede offene "Kartenkugel" leistet ersichtlich das Gewünschte. — Auch ein anderer Spezialfall von Korollar 3 wird oft PoincareLemma genannt und soll deshalb eigens mit aufgeführt werden: Korollar 5: Ist X C M™ offen und sternförmig, so ist jeder positiv-dimensionale Cozykel auf X ein Corand. D Dieser Fall verdient auch ein besonderes Interesse, und zwar aus folgendem Grund. Wenn eine "Zusammenziehung" einer Mannigfaltigkeit M, also eine differenzierbare Abbildung h:[0,l]xM ho — const

>M

mit

und

explizit gegeben ist, dann haben wir aus dem am Schluß des Beweises der Homotopieinvarianz formulierten Lemma auch eine explizite Integralformel dafür, wie man zu jedem Cozykel LJ auf M eine Form a mit da = ui finden kann, eine "Stamm-Form" a, wie man in Anlehung an den Ausdruck "Stammfunktion" sagen könnte: duj = 0 =*> d(Ph*to)

= LÜ,

also ist a = Ph*u> eine Stammform von u). Ein bezüglich XQ e X sternförmiges Gebiet X C M.n besitzt nun die allereinfachste Zusammenziehung, nämlich das gradlinige h(t, x) := x0 + t(x - x0).

11.5 Das Poincare-Lemma

205

Deshalb kann man die Stammform eines Cozykels ui e QkX auch ganz explizit hinschreiben. Sei oBdA XQ = 0, also h(t,x) = tx, und

An jeder Stelle (£, x) e [0,1 ] x X ist dann

h*dx^ = dhTx» = afdt + Da außerdem dt(dt) = 1 und dx^(dt) = 0 auf [0,1] x X gilt, erhalten wir daraus

1

und da Ph*u als f(dt—ih*üj)dt definiert war (vergl. 11.4), so o ergibt sich: Korollar 6 ("Stammformformel"): Sei X C R n eine bezüglich XQ = 0 sternförmige offene Teilmenge und u> e flkX ein Cozykel, d.h. dtü = 0. Setzt man dann a:=

E

E(-l)'~ 1 (/* fe ~ 1 ^ 1 .. w (te)d*)x" i da^ 1 A..T..Ada;'' fc ,

ßi HnM ist natürlich erst recht die Zusammensetzung von / * mit JM homotopie-invariant: Korollar: Ist M eine n-dimensionale geschlossene orientierte Mannigfaltigkeit, so ist die für alle f : M —> N erklärte Zusammensetzung HnN homotopie-invariant.

- ^

HnM

- ^

R D

11.6 Satz vomlgel

207

Aus diesem Korollar, angewandt auf M = N = S2k, werden wir den Igelsatz gleich ableiten, wir wollen deshalb bemerken, daß es leicht direkt aus dem Stokesschen Satz zu bekommen ist: Für eine Homotopie h zwischen / und g haben wir fto - / f*iü = M

M

/

h*tü =

9([0,l]xM)

/

dh*uj = 0,

[0,l]xM

da dh*üo = h*dui = 0 wegen dui = 0 gilt. Trotzdem ist die Aussage als Korollar der Homotopie-Invarianz der de Rham-Cohomologie schon am systematisch richtigen Platz. — Doch nun zur Anwendung: Satz: Jedes differenzierbare Vektorfeld auf einer gerade-dimensionalen Sphäre hat mindestens eine Nullstelle. BEWEIS: Sei v ein nirgends verschwindendes Vektorfeld auf Sn, zunächst für beliebiges n. Für jedes x e Sn können wir v(x) als einen Wegweiser zum antipodischen Punkt — x e Sn ansehen und erkennen anschaulich sofort, daß die Identität und die antipodische Involution r : Sn —-> Sn, x — i >• — x, homotop sind. Zur förmlichen Bestätigung setze 1) I

h(t,x) :— cos nt x + sinnt

v(x)W

Wegen der Homotopie-Invarianz des Integrals (aus dem Satz von Stokes, s.o.) folgt daraus f T*üJ = S"

Fig. 109. Vekn



tor v(x) Wegweiser

JS

als

für alle LÜ e QnSn (die Homotopieinvarianz der de RhamCohomologie liefert sogar r*[tv} — [u>])- Andererseits wissen wir, daß für jeden Diffeomorphismus / : Sn = Sn

f JS

U) S"

gilt, wobei das Vorzeichen vom Orientierungsverhalten von / abhängt (vergl. 5.5), so einfach lautete die Transformationsformel

208

Kapitel 11. Die de Rham-Cohomologie

für das Integral von Differentialformen. Die antipodische Abbildung r : Sn —* Sn kehxt die Orientierung aber genau dann um, wenn n gerade ist. Das sieht man z.B. so: Der Diffeomorphismus —Id : Dn+1 —*• Dn+1 führt (durch sein Differential, das überall —IdRn+i ist) für jedes x e Sn die Außennormale N(x) in N(—x) bei —x über, er kehrt die Randorientierung also genau zugleich mit der Gesamtorientierung in Dn+1 um, und letzteres tut er ersichtlich genau dann, wenn n gerade ist. Für gerades n gilt also U!

für alle u>, und da es n-Formen w mit Js„ w / 0 gibt, wäre das ein Widerspruch zur Homotopie-Invarianz, also kann es für gerades n kein solches Vektorfeld v geben. D Dieser schöne, auf mancherlei Arten beweisbare geometrische Satz ist nicht nur für sich genommen interessant, sondern auch Ausgangspunkt und gemeinsamer Spezialfall für verschiedene weitere Entwicklungen (globale Eigenschaften von Vektorfeldern auf Mannigfaltigkeiten, allgemeiner von Schnitten in Vektorraumbündeln, Eulerzahl, charakteristische Klassen, ... ).

11.7 Test (1) Die Cohomologieklasse [rj] C QkM eines Cozykels r/ vom Grade k ist D D D

k

+ Cü Lü G n M, + dtü U) u + UJ dto = drj}

du.; = M }

(2) Mit der Antikommutativität der graduierten Algebra H*M ist die Eigenschaft des Dachproduktes gemeint, daß für alle [u] e HrM und [r/] e HSM gilt: D

MA[J7] = -[77]AM

D [ W ]A[7,] = (-ir+»[7 ? ]A[o;] D

[W]A[I,] =

(-1)"[I/]A[W]

11.7 Test

209

(3) Genau dann ist HkM — 0, wenn D für jedes LO e flkM ein rj e fi^^M existiert, so daß dr\ — LÜ ist.

D für jedes u) e QkM mit dui — 0 ein rj e £lk~xM existiert, so daß dr] = LO ist. D für jedes u> s HkM von der Form ui = drj gilt: dw = 0. (4) Durch die Polarkoordinaten (r, cp) ist auf M :— M2 \ 0 eine 1-Form d finden. Zu diesem Zweck wählt man sich einen Punkt q e S2 , z.B. den Südpol, und definiert

•J *y

J q

wobei 7 einen Weg von q nach x bezeichnet. Glauben Sie nicht, ich hätte damit die Lösung der Aufgabe schon angegeben: jetzt geht die Arbeit ja erst richtig los! Wieso ist / dadurch überhaupt wohldefiniert, weshalb gilt df = u> ? Die lokalen Lösungen der Gleichung df — u>, die man aus dem Poincare-Lemma hat, sind bei diesen Überlegungen eine gute Hilfe. Genauso läßt sicli für jede einfach zusammenhängende Mannigfaltigkeit H^i^M) = 0 beweisen. Für M — S2 kann man sich das Leben aber etwas leichter machen, indem man zum Beispiel das Poincare-Lemma auf die zusammenziehbaren Teilgebiete S2 \ q und S2 \ p von S2 anwendet und die beiden Funktionen miteinander vergleicht.

212

Kapitel 11. Die de Rham-Cohomologie

Zu AUFGABE 43: Für den zweiten Teil der Aufgabe braucht man nur die funktoriellen Eigenschaften von H1 auszunutzen, man betrachte zum Beispiel die durch die Projektionen auf und Inklusionen von den Faktoren gegebenen vier Abbildungen S1



S1 xS1



S1

und wende auf sie den Funktor H1 an. Zu AUFGABE 44: Anfangs, wenn man nur erst die Definitionen kennt, sind solche topologischen Existenzfragen leichter mit Ja als mit Nein zu beantworten, denn wenn die fragliche Sache existiert, dann hat man doch eine Chance, sie zu finden und anzugeben, aber wenn das nicht gelingt: wie kann man sicher sein, daß es gar nicht gehti Später wendet sich das Blatt, weil man Funktoren kennenlernt, die Nichtexistenzaussagen oft kostenlos liefern, während mit expliziten Konstruktionen meist ein gewisser Arbeitsaufwand verbunden bleibt. Beim ersten Teil der vorliegenden Aufgabe hält sich dieser Arbeitsaufwand aber in Grenzen, und ein Funktor, den Sie für den zweiten Teil gebrauchen können, liegt von den anderen beiden Aufgaben her gleichsam noch auf dem Tisch.

12

Differentialformen auf Riemannschen Mannigfaltigkeiten

12.1 Semi-Riemannsche Mannigfaltigkeiten Zur weiteren Entfaltung des Differentialformenkalküls begeben wir uns jetzt auf Riemannsche Mannigfaltigkeiten, wo uns Stern-Operator, Laplace-de Rham-Operator, Hodge-Zerlegung und Poincare-Dualität begegnen werden. Anfangs betrachten wir, etwas allgemeiner, auch semi-Riemannsche Mannigfaltigkeiten. Vor Einführung der Riemannschen und semi-Riemannschen Mannigfaltigkeiten sei an einige linear-algebraische Begriffe und Fakten erinnert: Eine symmetrische Bilinearform auf einem nichtentartet, n-dimensionalen reellen Vektorraum V heißt wenn • V* V v

i

>

ein Isomorphismus ist, und das ist genau dann der Fall, wenn die durch 9ßv

'•=

gegebene n x n-Matrix G für eine (dann jede) Basis (vi,..., vn) von V vollen Rang hat. Man kann eine Basis so wählen, daß G die Gestalt \ +1

- i /

214

Kapitel 12. Riemannsche Mannigfaltigkeiten

annimmt, die Anzahl s der Einträge — 1 in der Diagonalen ist unabhängig von der Wahl einer solchen Basis (Sylvesterscher Trägheitssatz) und heißt der Index der symmetrischen Bilinearform. Durch , , q(v) :— ist die zu gehörige quadratische Form q : V —> M definiert, aus ihr kann man < •, • > rekonstruieren, da = - (q(v + w)-

q(v) - q(w))

gilt. Das Paar (V,q) oder (V,) nennt man auch einen nichtentarteten quadratischen Raum vom Index s, und für s — 0, also im positiv definiten Falle, einen euklidischen Raum.

Deflnition: Eine semi-Riemannsche

Mannigfaltigkeit

vom

Index s ist ein Paar (M, ), bestehend aus einer Mannigfaltigkeit M und einer Familie < • , • > = { < • , ->p }peM von symmetrischen Bilinearformen < •, • >p auf TpM vom Index s, welche in dem naheliegenden Sinne differenzierbar ist, daß für die Karten (U, h) eines (dann eines jeden) Atlas für M die Funktionen g^ : U —> M, definiert durch p I-H- 0^,8^, differenzierbar sind. Im positiv definiten Falle s = 0 nennt man (M, ) eine

Riemannsche

Mannigfaltigkeit.

D

Man nennt auch die Riemannsche oder semi-Riemannsche Metrik von (M,). Das "p" i n der Notation p wollen wir nur führen, wenn diese Klarstellung gefordert zu sein scheint, sonst schreiben wir p =: , w> für v,w e TpM. Untermannigfaltigkeiten im Mn sind in kanonischer Weise Riemannsche Mannigfaltigkeiten. Aber auch jede beliebige Mannigfaltigkeit kann man mit einer Riemannschen Metrik versehen: Man wähle eine Zerlegung { T A } A € A der Eins mit Trägern C U\ für Karten (U\,h\) und setze p:= J2 AeA

T\(p)x,

12.1 Semi-Riemannsche Mannigfaltigkeiten

215

wobei < •, • >A die duxch dh\ von U'x C M" auf U\ übertragene Riemannsche Metrik bezeichnet. Beachte jedoch, daß dasselbe Verfahren i.a. versagt, wenn wir es zur Konstruktion einer semiRiemannschen Metrik von einem Index 0 < s < n anzuwenden versuchen. Zwar könnten wir von der semi-Riemannschen Metrik

n-s,s := E XV ~

E

*V V

auf Mn ausgehen und die obige Formel für < •, • > auf M analog hinschreiben, aber im Gegensatz zur positiven Definitheit ist die Eigenschaft, nichtentartet und vom Index s zu sein, nicht konvex (vergl. z.B. [J:Top], S. 136) und überträgt sich deshalb im allgemeinen nicht von den < •, • >A auf die konvexe Kombination n E A T A ( P X ' > ~\ • I der Tat gibt es zum Beispiel auf den geradedimensionalen Sphären Sn keine semi-Riemannsche Metrik vom Index 1 (oder n — 1), wie man mit Hilfe des "Satzes vom Igel" und eines Überlagerungsarguments ([ J:Top] S. 171/172) zeigen kann. Semi-Riemannsche n-dimensionale Mannigfaltigkeiten (n > 2) Lorentz-Mannigfaltigkeiten. vom Index 1 oder n — 1 heißen Vorzeichenänderung der Metrik vertauscht diese Indices, wir wollen uns der Konvention anschließen, Lorentz-Mannigfaltigkeiten als vom Index n — 1 anzunehmen. Die reale Raum-Zeit ist durch eine physikalisch gegebene Metrik < •, • > eine 4-dimensionale Lorentz-Mannigfaltigkeit. Dieser Umstand war historisch und bleibt auch heute noch ein Hauptmotiv dafür, die Riemannsche Geometrie auf die semi-Riemannschen Mannigfaltigkeiten auszudehnen. In der Allgemeinen Relativitätstheorie spielt die Differentialgeometrie der Lorentzmannigfaltigkeiten begrifflich und technisch eine wichtige Rolle, und in der Teilchenphysik ist die LorentzMetrik durch die spezielle Relativitätstheorie allgegenwärtig. Unser erstes Ziel wird es sein, für eine orientierte n-dimensionale semi-Riemannsche Mannigfaltigkeit M den sogenannten Sternoperator * zu definieren. Das geschieht für jedes p e M einzeln durch einen Sternoperator Altn~kTpM, * : AltkTpM - ^

216

Kapitel 12. Riemannsche Mannigfaltigkeiten

und deshalb setzen wir die Mannigfaltigkeiten vorerst beiseite und kehren nochmals zur linearen Algebra zurück.

12.2 Skalarprodukt alternierender k-Formen Wir beginnen mit einer linear-algebraischen Bemerkung über endlichdimensionale reelle Vektorräume, in die noch keine Zusatzstrukturen wie Orientierung oder Metrik eingehen: (Altfey)* und Altfe(V*) sind kanonisch dasselbe, genauer: Lemma: Interpretiert man jede Linearform

(v) je nach Bequemlichkeit auch \ oder v0, analog fiir J|. D Den Sinn der Notation erkennt man aus den englischen Bezeichnungen für jj und b in der Musik, die bekanntlich "sharp" und "flat" heißen. Durch jj wird die Linearform a zum Vektor "a "angespitzt". Ein Isomorphismus V = V* bewirkt nach obigem Lemma aber auch einen Isomorphismus Alt fe y = (Altfey)* und mithin eine Bilinearform auf Alt fe F, genauer

Definierendes Lemma (Skalarprodukt im Formenraum): Ist (V, ) ein n-dimensionaler nichtentarteter quadratischer Raum, so ist auf kanonische Weise, nämlich durch )

AltV kanon

AltF Alt*b

eine ebenfalls symmetrische nichtentartete Bilinearform < •, • > auch auf Alt fe F gegeben. seien u , t j e Alt^V" und tp,tp e (AltfcV)* ihre Urbilder unter obiger Abbildung. Zu zeigen bleibt nux die Symmetriebedingung BEWEIS: ES

.

218

Kapitel 12. Riemannsche Mannigfaltigkeiten

Verfolgen wir, wie sich ui über > (f I

(fi I

> U)

ergibt, so finden wir w(ui,...,u f e ) = ^ ( b u i , . . . , W ) — vK^i A ••• A W ) , eine orthonormale analog für 77 und ^ . Es sei nun (e\,...,en) Basis oder kurz ON-Basis des quadratischen Raumes V, d.h. ^e^e^,) = ±5ßU. Wir schreiben ^e^e^y = : eM = ± 1 . Sei ferner ( 5 1 , . . . , 5n) die dazu duale Basis von V* . Beachte, daß b

=



e ^

für jedes /x (keine Summation), denn b

e M (e y ) := V die Transformation mit /(e^) — e^. Dann ist BEWEIS

w e

( i>--> e n) = /*w(ei,..,e n ) = d e t /

(Lemma in 3.3). Wir haben also d e t / = +1 zu zeigen. Ist A die Matrix von / bezüglich (ei,.., e n ), so gilt e^ = Ylajiej unK durch diese notwendige Bedingung eindeutig festgelegt. Umgekehrt benutzen wir diese Formel für eine feste positiv orientierte ON-Basis zur Definition von HTPM S AltnTpM und einen Sternoperator > Altn~kTpM, * : AltkTpM alles differenzierbar von p abhängig. Definition: Sei M eine n-dimensionale orientierte semi-Riemannsche Mannigfaltigkeit. Dann sind die kanonische Volumenform LÜM e 0 n M , das Skalarprodukt

12.4 Die Coableitung

von fc-Formen sowie der

223

Sternoperator

* : QkM

>

nn~kM

in der naheliegenden Weise durch die entsprechenden Objekte für die Tangentialräume definiert. D

12.4 Die Coableitung Der Sternoperator übersetzt den im Grad der Differentialformen "aufsteigenden" de Rham-Komplex in einen dazu äquivalenten absteigenden Komplex: o - • n°M

-*U fl'M -A+ ...

40 ->• VLnM -^

4fi"-'M

A ün~lM

-4 nnM

-+ o

4 - 4 -^ ••• —>• fi^M —>• O°M -^- 0

Die Cartansche Ableitung d geht dabei also in ^rf*" 1 über, und das ist bis auf's Vorzeichen die sogenannte Coableitung 5. Das Vorzeichen ist aber uneinheitlichen Konventionen unterworfen; wir entscheiden uns so: Definition: Die Coableitung

auf einer n-dimensionalen semi-Riemannschen Mannigfaltigkeit M werde durch S:= ( - l ) ^ * ^ * - 1 festgesetzt.

D

Die Coableitung ist offenbar unabhängig von der Orientierung von M. — Die Bedeutung des Vorzeichens ergibt sich, wenn man nach dem bezüglich des Skalarprodukts formal adjungierten oder dualen Operator d' von d fragt. Damit ist folgendes gemeint. Punktweise Bildung des Skalarprodukts von fc-Formen r), ( auf

224

Kapitel 12. Riemannsche Mannigfaltigkeiten

M defmiert eine Punktion