Der letzte Showdown (Sackett)

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Wir Sacketts halten zusammen wie Pech und Schwefel. Das hatte der Kerl erfahren, der meinen Bruder killen wollte. Ich halte ihn getötet – aber es war ein fairer Kampf gewesen. Orrin und ich mußten nach Westen ziehen, in ein Land, das von Indianern, Viehdieben und Banditen wimmelte. Wir hatten hier Glück, wir fanden Freunde – und ich fand Dru, das spanische Mädchen, es hatte Feuer im Blut. Sie mochte mich vom ersten Augenblick an … Aber darf ich mir überhaupt Hoffnungen machen, ich, Tye Sackett, der Farmerboy aus Tennessee, dem der Colt locker im Halfter sitzt?

EIN HEYNE-BUCH

Vom selben Autor erschienen als Heyne-Bücher die WesternRomane: Reiter im Zwielicht Band 2004 (109) Brennende Hügel Band 2006 (173) Der Satteltramp Band 2009 Sein Name war Flint Band 2011 Die Geier Band 2015 Kilkenny Band 2019 Das letzte Spiel Band 2038 Zwei Freunde Band 2045 Man nennt mich Hondo Band 2053 Killoe Band 2058 Der Fremde Band 2068 Fünf Partner Band 2075

LOUIS L’AMOUR

DER LETZTE SHOWDOWN Western-Roman

WILHELM HEYNE VERLAG MÜNCHEN

HEYNE-BUCH NR. 2084 im Wilhelm Heyne Verlag, München

Titel der amerikanischen Originalausgabe THEDAYBREAKERS Deutsche Übersetzung von Richard Heinersdorff

Genehmigte Taschenbuchausgabe Copyright © 1960 by Baut am Books, Inc. Printed in Germany 1965 Scan by Frogtoprince 02/2011 Umschlag: Atelier Heinrichs, München Gesamtherstellung: Neue-Presse-Verlags-GmbH, Passau

1 Mein Bruder Orrin Sackett war stark genug, um mit einem Prügel auf einen Bären loszugehen. Ich war der Hagere, so groß wie Orrin, aber ich hatte kein Fleisch an den Knochen außer an den Schultern und Armen. Orrin konnte singen wie ein Engel, oder wie ein echter Waliser, also noch schöner als ein Engel. Unsere Familie stammte von drei Seiten her von Walisern ab. Orrin war massiv gebaut, aber für einen so massiven Mann konnte er sich überraschend schnell bewegen. Mich hielten die Leute für den Ruhigen. In den Bergen von Tennessee, wo wir aufwuchsen, gingen mir die Leute aus dem Weg, wenn ich in Kampfstimmung geriet. Wie gesagt, Orrin war massiver als ich, und er konnte es mit jedem Stier aufnehmen – aber es fehlte ihm etwas, was ich allein besaß. Vielleicht erinnert sich noch jemand an die Sackett-HigginsFehde. Um die Zeit, von der ich erzähle, gab es keinen Higgins mehr, gegen den wir kämpfen konnten. Long Higgins, der Gemeinste von ihnen allen, war zugleich auch der Letzte. Eines Tages kam er mit seiner langläufigen Jagdflinte an und wollte einen Sackett-Skalp. Er war hinter Orrin her und nur deshalb so tapfer, weil er wußte, daß Orrin zur Hochzeit unbewaffnet erscheinen würde. Orrin dachte nicht an die Higgins-Bande, besonders nicht an diesem Tag, als ihn Mary Tripp begrüßte und er nichts als die Hochzeit im Kopf hatte. Deshalb dachte ich, daß ich an seiner Stelle Long Higgins auf der Straße stellen mußte. Als ich ihn gerade anrufen wollte, fuhr Pfarrer Myrick mit seinem Gespann zwischen ihm und mir durch, und als ich um den Wagen herumgelaufen war, stand Long Higgins breitbeinig auf der Straße und hatte sein Gewehr auf Orrin angeschlagen.

Die Leute schrien aufgeregt, Long Higgins feuerte, und Mary, die ihn zuerst sah, stieß Orrin beiseite, um ihn zu retten. Nur verlor sie dabei das Gleichgewicht und stolperte genau in die Kugel hinein, die Orrin zugedacht war. »Long!« Er drehte sich auf dem Absatz um, weil er meine Stimmte kannte. Er hielt das Gewehr in Hüfthöhe und zielte auf mich. Seine Lippen waren zusammengepreßt. Long Higgins war ein guter Gewehrschütze, und er schoß sehr schnell … vielleicht zu schnell. Ich schob meinen Colt wieder ins Halfter, und Long Higgins lag im Staub. Ich drehte mich um und ging zum Wald hinauf. Das war der längste Weg meines Lebens, mit Ausnahme eines einzigen, den ich sehr viel später ging. Ollie Shaddock war möglicherweise da, und ich wußte, wenn Ollie mich anrief, dann mußte ich mich umdrehen, denn Ollie vertrat das Gesetz, und wir waren sogar entfernt verwandt. Als Ma mich durch den Wald kommen sah, wußte sie, daß etwas schiefgegangen war. Ich brauchte nur eine Minute, um ihr alles zu erklären. Sie saß in ihrem alten Schaukelstuhl und sah mir in die Augen, während ich erzählte. »Tye«, sagte sie sehr ernst, »hat Long Higgins dich angesehen, als du geschossen hast?« »Er sah mir genau in die Augen.« »Nimm den Apfelschimmel«, sagte Ma, »er ist das schnellste Pferd in den Bergen. Du reitest nach Westen, und wenn du einen Platz mit guter, fruchtbarer Erde und etwas Wild in den Bergen findest, dann lasse jemand einen Brief schreiben. Wir kommen nach, die Jungs und ich.« Sie blickte über die Farm, die ziemlich heruntergekommen war. Wir konnten arbeiten, so viel wir wollten – und wir Sacketts scheuten keine Arbeit –, aber es langte kaum für den Le-

bensunterhalt. Ma hatte schon seit Pas Tod davon gesprochen, nach dem Westen zu ziehen. Pa hatte sie mit dem Gedanken angesteckt. Er streifte gern herum und kannte sich überall aus, und er war niemals sehr lange zu Hause gewesen. Aber Ma hatte ihn gerade deshalb so geliebt, und wir Jungen auch. Pa hatte auch das Waliser Mundwerk, und wenn er erzählte, konnte man das unberührte Land deutlich vor sich sehen, wie es auf Menschen wartete, die es urbar machten. In Mas blaue Augen zu schauen war schwieriger als Higgins gegenüberzutreten, und er hatte ein Gewehr in der Hand gehabt. »Tye, glaubst du, daß du Ollie töten könntest?« Ich hätte zu niemand darüber gesprochen, aber Ma sagte ich die Wahrheit. »Ich möchte nicht in die Lage kommen, Ma, weil wir verwandt sind. Aber ich weiß, daß ich schneller ziehen und genauer schießen kann als jeder andere.« Sie nahm ihre Pfeife aus dem Mund. »Achtzehn Jahre habe ich dich jetzt aufwachsen sehen, Tyrel Sackett, und seit zwölf Jahren übst du das Ziehen und Schießen. Als du fünfzehn warst, sagte Pa einmal, daß er so etwas noch nie gesehen habe. Tritt immer für das Recht ein, Tye, und niemals dagegen.« Sie zog die Decke enger um ihre Knie. »Wenn es dem Herrn gefällt, wird er uns im Westen wieder vereinen.« Mein Weg führte mich über die Grenze von Tennessee zuerst nach Süden, dann nach Westen. Ollie Shaddock würde mir nicht über die Grenze folgen, deshalb verließ ich Tennessee am selben Tage, noch ehe die Berge Schatten warfen. Der Weg führte durch wildes Land, von Tennessee nach Arkansas, in die Ozark-Berge und auf einsamen Trails nach Kansas. Als ich endlich die Straße in Baxter Springs entlangritt, hielten mich die Leute für einen Farmer aus den Bergen, der helfen wollte, die kranken Texas-Rinder aus dem Land zu jagen.

Ich hatte noch etwa acht Meilen zu der Stelle zu reiten, wo die Texaner mit ihrer Herde lagerten. Als Fremder erwartete ich keinen freundlichen Empfang. So umging ich die Wachereiter und ritt zum Lagerfeuer. Der Geruch des warmen Essens quälte meinen Magen. Ich hatte schon seit zwei Tagen nichts mehr gegessen; ich hatte kein Geld und war zu stolz, um etwas zu bitten, wofür ich nicht bezahlen konnte. Ein kleiner, stämmiger Mann mit kantigem Gesicht und Schnauzbart rief mich an. »Hallo, da! Auf dem Apfelschimmel! Was wollen Sie?« »Arbeit, wenn es welche gibt, und was zu essen, falls ihr was übrig habt. Ich bin Tyrel Sackett aus Tennessee, auf dem Weg nach dem Westen, in die Rocky Mountains. Wenn’s aber hier Arbeit gibt, könnt ihr mich haben.« Er sah mich abschätzend an und sagte dann: »Steigen Sie ab und kommen Sie zum Feuer. Ich habe noch niemand mit leerem Magen von meinem Lagerfeuer verjagt. Mein Name ist Beiden.« Ich band den Apfelschimmel fest und ging ans Feuer. Neben dem Feuer lag ein Mann auf dem Boden. Er hatte einen goldblonden Bart wie die Wikinger, von denen Pa manchmal erzählt hatte. »Na, so was«, sagte er freundlich, »das ist ein Farmer!« »Was habt ihr gegen Farmer?« fragte ich. »Ihr könntet euch nicht die Bäuche mit Bohnen vollschlagen, wenn sie nicht jemand angebaut und geerntet hätte.« »Wir hatten Ärger mit den Farmern, Mr. Sackett«, erklärte Beiden. »Es gab eine Schießerei, und die Farmer haben einen meiner Leute getötet.« »Und deshalb«, sagte eine Stimme aus dem Hintergrund, »sollten wir vielleicht einen Farmer töten.« Der Kerl suchte Streit. Mir waren solche Männer schon früher begegnet. Er war mittelgroß, und seine Achsel über dem Colt hing tief herunter. Seine schwarzen Brauen waren über der Nase zusammengewachsen. Das Gesicht war mager und scharf-

kantig. Wenn er Streit suchte, dann war er auf dem richtigen Weg, ihn zu finden. »Mister«, sagte ich zu ihm, »wenn Sie versuchen wollen, diesen Farmer hier zu töten, dann fangen Sie ruhig an.« Er sah mich erstaunt an, denn er hatte gedacht, daß ich Angst haben würde. Meine Tracht verriet, daß ich aus den Bergen kam. Ich trug ein geflicktes selbstgewebtes Hemd und hatte die Hosen in die klobigen Stiefel gestopft. Ich sah nicht nach viel aus. Wenn aber jemand meinen Revolver näher ansah, dann konnte er merken, daß ich ihn nicht zur Verzierung trug. »Schluß damit, Carney«, sagte Mr. Beiden scharf. »Dieser Mann ist Gast an unserem Lagerfeuer!« Der Koch brachte mir einen Teller mit Essen, und es duftete so gut, daß ich nicht aufblickte, bis ich den Teller und noch einen zweiten geleert hatte. Dazu trank ich drei Tassen heißen schwarzen Kaffee. Der Mann mit dem goldblonden Bart beobachtete mich und sagte zu Mr. Beiden: »Boß, ich würde diesen Mann einstellen. Wenn er so arbeiten kann, wie er ißt, haben Sie einen guten Fang gemacht.« »Die Frage ist«, mischte sich Carney ein, »kann er auch kämpfen?« Es war ganz ruhig am Feuer, als ich den Teller beiseite stellte und aufstand. »Mister, ich habe Sie vorhin nicht getötet, weil ich meiner Ma versprochen habe, daß ich vorsichtig mit meinem Revolver umgehen werde. Aber treiben Sie es nicht zu weit!« Carney wollte mir ans Leder, das war klar, und ich wußte: eines Tages mußte ich ihn töten. »Hast es deiner Ma versprochen, was?« fragte er spöttisch. »Na, wir werden ja sehen.« Er stellte seinen rechten Fuß ein paar Zentimeter vor, und beinahe lachte ich ihn aus. Aber dann hörte ich hinter mir eine tiefe Stimme, die laut und deutlich

sprach. »Mister, lassen Sie das lieber. Ich will nicht, daß Ihnen Tyrel jetzt schon das Fell über die Ohren zieht, also setzen Sie sich wieder hin.« Das war Orrin. Und wie ich Orrin kannte, hatte er sein Gewehr auf Carney angelegt. »Danke, Orrin. Ich mußte Ma versprechen, vorsichtig zu sein.« »Sie hat es mir gesagt … Ein Glück für diesen Gentleman hier.« Er stieg aus dem Sattel, und jetzt sah ich, daß er einen Revolvergurt trug. Ich wußte, daß er mit einem Colt umgehen konnte. »Seid ihr Brüder?« fragte Beiden. »Ja«, antwortete Orrin, »und wir reiten nach Westen.« »Ihr seid eingestellt«, sagte Beiden. »Ich nehme gern Männer, die zusammenarbeiten.« So fing es an, aber an diesem Tag begann mehr, als jemand ahnen konnte, am wenigsten der Mann mit dem blonden Bart, der Tom Sunday hieß und Vormann war. Von diesem Augenblick an waren unsere Schicksale miteinander verknüpft. Orrin war von Anfang an beliebt. Er tat mehr als seine Arbeit, und am Abend saß er am Lagerfeuer und sang oder erzählte haarsträubende Geschichten. Niemand beachtete mich. Ich tat meine Arbeit, und man ließ mich in Ruhe. Als Orrin sagte, daß ich der Härtere von uns beiden war, da lachten die anderen. Zwei lachten nicht. Einer davon war Tom Sunday; der andere Cap Rountree, ein hagerer, drahtiger alter Mann mit einem gewaltigen Schnauzbart, der so aussah, als sei er viel herumgekommen. Am dritten Tag ritt Tom Sunday neben mir und fragte: »Tye, was hättest du getan, wenn Reed Carney nach der Waffe gegriffen hätte?« »Mr. Sunday«, antwortete ich, »ich hätte ihn getötet.« Er warf mir einen Blick zu. »Ja, das glaube ich auch.« Dann ritt er davon, aber er drehte sich noch einmal im Sattel um. »Sag Tom zu mir.«

Am fünften Tag ritt ich an der Spitze, allein und ziemlich weit vor der Herde, als ein Dutzend Reiter aus einer Senke herauskamen. Sie ritten eng beieinander. Ich ahnte, daß was in der Luft lag, und anstatt auf sie zu warten, ritt ich ihnen entgegen. Als sie nahe genug herangekommen waren, hielt ich an und wartete. Meine 56er Spencer hatte ich quer über den Sattel gelegt. Die rechte Hand berührte den Abzugbügel. Sie hielten ebenfalls an. Es war eine schmierige Bande. »Wir werden uns eure Herde ansehen«, sagte der Anführer ohne Einleitung. »Und zwar sofort. Ihr seid durch die Ansiedlungen gekommen, und dabei sind euch eine Menge von unseren Rindern zugelaufen; außerdem haben eure Rinder unser Gras gefressen.« Ich sah ihn an und sagte: »Das glaube ich nicht.« Wie zufällig richtete ich die Mündung meiner Spencer auf seine Gürtelschnalle. Der Zeigefinger meiner Rechten lag am Abzug. »Hör mal, Junge«, plusterte er sich auf. »Mister«, sagte ich, »dieses Spencer-Gewehr ist kein Junge, und ich habe gerade vorhin mit einem meiner Kameraden gewettet. Er behauptete, von einer Gürtelschnalle, wie Sie eine haben, könnte eine Kugel abprallen. Ich glaube eher, daß eine Kugel vom Kaliber 56 glatt durchschlägt und in Ihren Bauch geht. Wenn Sie Mut haben, Mister, dann stellen wir das gleich fest.« Er wurde weiß um die Augen, und wenn jetzt nur einer eine falsche Bewegung machte, mußte ich ihn erschießen. Von den anderen konnte ich auch noch ein paar mitnehmen. »Back«, sagte einer der Männer hinter dem Anführer, »ich kenne diesen Jungen hier. Er ist einer von den Sacketts, von denen ich dir erzählt habe.« Es war einer von diesen nichtsnutzigen Aikens aus Turkey Fiat; ein Kerl, der sogar Schweine stahl.

»So?« Back versuchte zu lächeln. »Hatte keine Ahnung, daß ihr befreundet seid. Junge«, sagte er zu mir, »ihr könnt ungehindert passieren.« Sie wandten ihre Pferde und ritten davon. Ein paar Minuten später hörte ich Hufschlag auf dem Grasboden, und Mr. Beiden, Tom Sunday, Cap Rountree und Reed Carney kamen herbei. Sie schwitzten und erwarteten Ärger. Als sie die anderen wegreiten sahen, waren sie ziemlich überrascht. »Tye«, fragte Mr. Beiden, »was wollten diese Männer?« »Sie wollten aus der Herde ihre Tiere heraussuchen.« »Und was ist passiert?« »Sie haben es sich anders überlegt.« Er sah mich forschend an. Ich wendete meinen Apfelschimmel und ritt zur Herde zurück. »Versteht ihr das?« hörte ich Beiden fragen. »Ich hätte geschworen, daß es Back Rand war.« »Er war es«, bemerkte Rountree trocken, »aber der Junge ist auch nicht so ohne.« Als Orrin mich am Abend am Lagerfeuer wegen des Zwischenfalls fragte, sagte ich nur: »Aiken war bei ihnen. Der aus Turkey Flat.« Carney hörte zu. »Aiken? Wer ist dieser Aiken?« »Er kommt aus den Bergen«, antwortete Orrin. »Er kennt meinen Bruder.« Reed Carney sagte nichts mehr, aber ein paarmal bemerkte ich, wie er mich verstohlen beobachtete.

2 Wir sahen nichts als den Himmel und die Prärie, die Sonne bei Tag und die Sterne bei Nacht; und die Herde, die sich langsam nach Westen bewegte. Manchmal, nachts, wenn mein Pferd langsam um die ruhende Herde ritt, blickte ich zu den Sternen auf und dachte darüber nach, wie es Ma ging und was sie wohl daheim machten. Und manchmal träumte ich von einem Mädchen, das ich noch gar nicht kannte. Zumeist ritt jeder für sich, aber manchmal ritt ich auch mit Tom Sunday oder Cap Rountree zusammen, und ich lernte eine Menge über die Rinderzucht von ihnen. Sunday kannte sich am besten aus, aber er war auch gebildeter als wir anderen zusammen, obwohl er sich nie damit brüstete. Zuweilen, wenn wir zusammen ritten, deklamierte er Gedichte oder erzählte mir etwas aus der Geschichte. Rountree sprach nur wenig, aber was er sagte, hatte Gewicht. Er war ein zäher alter Mann und hielt sich genauso lange im Sattel wie wir alle, obwohl er viel mehr Jahre auf dem Buckel hatte. Ich habe nie erfahren, wie alt er wirklich war, aber seine harten grauen Augen mußten schon eine Menge im Leben gesehen haben. »Man könnte schönes Geld verdienen«, sagte Rountree eines Tages. »Im westlichen Kansas und in Colorado gibt es eine Menge Rinder, die niemand gehören; sie sind von den mexikanischen Ansiedlungen im Süden dort hinaufgelaufen.« Wenn Rountree etwas sagte, dann verband er meistens eine Absicht damit. Ich dachte mir schon, daß er irgendwelche Gedanken in seinem Schädel wälzte, aber dieses Mal verlor er kein weiteres Wort darüber. Orrin und ich aber sprachen darüber. Jeder wollte sein eige-

nes Heim, und ein Heim für Ma und die Jungs. Eine Menge Rinder, die niemandem gehörten … das hörte sich gut an. »Dazu brauchen wir ein paar Männer«, sagte Orrin. Ich war sicher, daß Tom Sunday mitmachen würde. Aus seinen Erzählungen wußte ich, daß er Ehrgeiz hatte, und er hatte bereits Pläne gemacht. Gebildet, wie er war, konnte er es noch weit bringen. Ab und zu redete er eine Menge über Politik … hier im Westen konnte ein Mann alles erreichen, wenn er nur wollte. Und Tom Sunday war klug. »Orrin und ich«, sagte ich zu Rountree, »haben über das gesprochen, was du mir über diese herrenlosen Rinder gesagt hast. Wir dachten, daß wir drei und vielleicht noch Tom Sunday etwas aufziehen könnten, wenn du willst und er mitmacht.« »So? Etwas Ähnliches hatte ich im Sinn. Ich habe sogar schon mit Tom darüber gesprochen. Ihm gefällt die Idee.« Mr. Beiden trieb seine Herde über die Kansas-MissouriGrenze, mitten hinein in das weite Grasland. Er hatte die Absicht, die Tiere hier grasen zu lassen, bis sie richtig fett waren, und sie dann in Abilene an einen Viehhändler zu verkaufen. Wenn man sich Abilene als große Stadt vorstellte, dann war man enttäuscht von dem Anblick, den es bot. Aber Orrin und ich hatten noch keinen größeren Ort als Baxter Springs gesehen, und so waren wir mächtig beeindruckt. Abilene stellte für uns schon etwas dar. Da war zunächst die Eisenbahn. Ich hatte schon von den Eisenbahnen gehört, aber ich hatte noch keine gesehen. Es gab auch nicht viel zu sehen: zwei Stahlschienen liefen in die Ferne, zusammengehalten durch Holzschwellen. Ein paar Rindercorrals standen neben dem Gleis, und etliche Blockhäuser. In einem der Blockhäuser befand sich ein Saloon, und auf der anderen Seite der Schienen stand ein funkelnagelneues Hotel, zwei Stockwerke hoch. Die Veranda lief an der Fassade entlang, pa-

rallel zu den Schienen. Ich hatte schon gehört, daß es so große Gebäude gab, aber nie daran gedacht, selbst eines zu sehen. Es gab noch ein zweites Hotel. Es hieß Bratton’s und hatte sechs Zimmer zu vermieten. Neben dem Hotel stand ein Saloon, der einem dicken Mann namens Jones gehörte. Außerdem gab es eine Postkutschenstation, eine Schmiede und den General Store. In der Drovers’ Cottage kochte eine Frau, und es gab auch Zimmer zu vermieten. Dort hielten sich drei oder vier Viehhändler auf. Wir lagerten die Herde auf der Weide, und Mr. Beiden ritt in die Stadt, um ins Geschäft zu kommen. Dann kam Mr. Beiden zurück, und er hatte sogar ein paar Männer angeworben, die auf die Rinder aufpassen sollten, damit wir den Abend in der Stadt verbringen konnten, obwohl nach seiner Meinung nicht viel los sein würde. Aber wir ritten trotzdem hin. Orrin und ich folgten dem Schienenstrang. Orrin sang mit seiner schönen Stimme vor sich hin. Als wir an der Drovers’ Cottage vorbeiritten, saß ein Mädchen auf der Veranda. Es hatte hellblondes Haar und eine Haut, die scheinbar noch nie vom Sonnenlicht berührt worden war, und blaue Augen. Man konnte denken, noch nie so etwas Hübsches gesehen zu haben. Erst beim zweiten Blick erinnerte es mich irgendwie an einen Rotschimmel, den wir einmal hatten. Den mit dem einen blauen Auge … ein ziemlich heimtückisches Pferd. Und beim dritten Blick dachte ich, daß das Mädchen sogar ziemliche Ähnlichkeit mit diesem Pferd hatte. Als sie Orrin anblickte, wußte ich, daß es Ärger geben würde. Wenn ich jemals einen herausfordernden Blick in den Augen einer Frau gesehen habe, dann war das damals. »Orrin«, sagte ich, »wenn du dich noch ein paar Jahre herumtreiben und hier im Westen Land finden willst, dann bleib weg von dieser Veranda.«

»Junge«, sagte er und legte mir seine große Hand auf die Schulter, »sieh dir mal das blonde Haar an!« »Erinnert mich an diesen nichtsnutzigen Rotschimmel, den wir einmal hatten. Pa sagte öfters, daß man Frauen genauso wie Pferde beurteilen soll, die man kaufen will. Erinnere dich beizeiten daran, Orrin.« Orrin lachte. »Geh mir aus dem Weg, Junge«, sagte er zu mir, »und sieh zu, wie man so was macht.« Orrin ritt geradewegs auf die Veranda zu, stellte sich in den Steigbügeln auf und sagte: »Howdy, Ma’am! Wunderbarer Abend, nicht wahr? Darf ich ’raufkommen und mich ein wenig zu Ihnen setzen?« Sicher brauchte er ein Bad und eine Rasur, wie wir alle, aber in seiner Stimme lag etwas, was jede Frau aufblicken ließ. Ehe sie noch antworten konnte, trat ein großer Mann aus dem Haus. »Junger Mann«, sagte er scharf, »ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie meine Tochter nicht belästigen würden. Sie gibt sich nicht mit Cowboys ab.« Orrin lächelte gewinnend. »Tut mir leid, Sir, ich wollte sie nicht beleidigen. Ich ritt gerade vorbei, und solche Schönheit, Sir, solche Schönheit ist der Verehrung würdig.« Dann lächelte er dem Mädchen zu, nahm sein Pferd herum, und wir ritten weiter zum Saloon. Der Saloon war ein ganz gewöhnliches Lokal, aber wir waren auch nicht anspruchsvoll. Die Theke war zehn Fuß lang, der Fußboden mit Sägespänen bedeckt. Nicht mehr als ein halbes Dutzend Flaschen standen auf dem Regal. Der Whisky aus dem Faß schmeckte schauderhaft. Jeder Farmer bei uns daheim konnte besseren Whisky brennen. Aber wir leerten ein Glas, dann gingen Orrin und ich zu den Fässern im Hof. In jenen Tagen waren die Fässer die einzige Möglichkeit, um ein Bad zu nehmen. Man zog sich aus, stieg in ein Faß, und je-

mand goß Wasser über einen. Danach seifte man sich ein und schrubbte sich ab und bekam noch einmal Wasser, um sich abzuspülen. Das war das Bad. »Gebt acht«, warnte der Saloonbesitzer. »Gestern mußte ein Mann eine Klapperschlange abschießen, als er im Faß stand.« Orrin badete in dem einen Faß, Tom Sunday im zweiten. Ich rasierte mich inzwischen vor einer Spiegelscherbe, die an der Rückwand des Saloons befestigt war. Als sie fertig waren, zog ich mich aus und stieg in ein Faß. Orrin und Tom verschwanden. Als ich gerade am ganzen Körper naß war, kam Reed Carney aus dem Saloon. Mein Revolver lag in der Nähe, aber mein Hemd war darüber gebreitet. Ich konnte ihn nicht schnell genug erreichen. Also stand ich da, splitternackt, in einem Faß, das zu zwei Dritteln mit Wasser gefüllt war – und vor mir dieser Reed Carney, der Streit suchte. Neben ein paar Whiskys hatte er eine alte Wut auf mich im Bauch. Ich mußte etwas tun, aber es mußte das Richtige sein. Nach der Waffe zu greifen wäre falsch gewesen. Ich mußte aus dem Faß heraus. Dabei war ich völlig eingeseift. Die Seife war in meinen Haaren und in meinem Gesicht und lief mir in die Augen. Das Wasser zum Abspülen stand in einem Eimer nahe beim Faß, und so griff ich ganz ruhig hinunter, hob den Eimer auf und goß mir das Wasser über den Kopf, um die Seife abzuspülen. »Orrin«, sagte Carney und grinste mich an, »ist ins Hotel gegangen. Es ist dein Pech, daß du Ärger bekommst und er nicht hinter dir steht.« »Orrin kümmert sich um seine Angelegenheiten. Ich um meine.« Er kam bis auf einen Meter heran, und es stand etwas in seinen Augen, was ich bis jetzt noch nie gesehen hatte. Ich wußte, daß er mich töten wollte.

»Das möchte ich ganz genau wissen. Ich will sehen, ob du dir allein helfen kannst, ohne daß dein großer Bruder dir beisteht.« Der Eimer war noch zu einem Drittel voll Wasser. Ich hob ihn in die Höhe, wie um es über mich zu gießen. Er warf mir einen bösartigen Blick zu und trat einen Schritt näher. »Ich kann dich nicht riechen«, sagte er, »und ich …« Seine Finger schlossen sich um den Revolvergriff. Da schüttete ich ihm das Wasser ins Gesicht. Er stolperte zurück. Ich sprang, halb fiel ich aus dem Faß, als er sich das Wasser aus dem Gesicht wischte und seine Waffe zog. Sein Colt war auf mich gerichtet, als der Eimer seinen Schädel traf und ich die Kugel an meinem Ohr vorbeipfeifen hörte. Der Eimer war aus schwerem Eichenholz. Carney fiel um wie ein gefällter Baum. Im Saloon sprangen die Männer von den Stühlen auf. Ich nahm das Handtuch und begann mich abzutrocknen. Jetzt stand ich neben meinem Revolver und hatte das Hemd weggezogen, so daß ich ihn sofort erreichen konnte. Wenn ein paar Freunde von Carney den Tanz fortsetzen wollten, konnte ich ihnen aufspielen. Der erste Mann, der ins Freie rannte, war groß und hatte ein schmales hartes Gesicht; seine Lippen waren durch eine Messernarbe entstellt. Er trug sein Halfter wie ein professioneller Revolvermann tiefgeschnallt. Cap Rountree war nur einen Schritt hinter ihm und trat sofort zur Seite. Seine Hand schwebte über dem Revolvergriff. Tom Sunday trat auf die andere Seite. Zwei Kerle stellten sich neben den Mann mit der Lippennarbe. »Was war los?« »Carney«, sagte ich, »hat sich ein wenig übernommen.« Der Blonde mit der Lippennarbe, der sich gern eingemischt hätte, schrumpfte sichtlich ein, als Cap Rountree sagte: »Wir

dachten schon, jemand hätte mit dir Streit gesucht, Tye«, meinte er trocken. »Deshalb sind Tom und ich da, damit die Parteien gleich stark sind.« Man konnte die Veränderung förmlich spüren. Der Blonde mit der Lippennarbe – später erfuhr ich seinen Namen: Fetterson – war mit der Wendung der Dinge gar nicht einverstanden. Ich stand genau vor ihm, aber er und seine Freunde standen zwischen Tom Sunday und Cap Rountree. Fetterson sah sich vorsichtig um. Zuerst war er wütend gewesen, aber jetzt gab er sich friedlich wie ein Lamm. »Verkriech dich lieber in ein Loch, ehe er wieder zu sich kommt«, sagte Fetterson, »sonst zieht er dir das Fell über die Ohren.« Da hatte ich schon meine Hosen an und schlüpfte in die Stiefel. Ohne Hosen und Stiefel fange ich nicht gern einen Kampf an. Ich schnallte den Patronengurt um und schob das Halfter zurecht. »Sagen Sie ihm lieber, daß er sich seinen Treiberlohn holen und verschwinden soll. Ich suche keinen Streit mit ihm, aber er fordert ihn ja geradezu heraus.« Wir drei gingen hinüber zur Drovers’ Cottage, um zu essen. Als erstes sah ich Orrin, der ziemlich nahe bei dem blonden Mädchen saß. Es blickte ihn an wie ein Weltwunder. Aber das war noch gar nichts. Ihr Vater saß auch dabei und hörte ihm zu … man kann wirklich alles Orrin und seinem Mundwerk überlassen. Der ist imstande und luchst mit seinen Reden einem Eichkätzchen eine Walnuß ab. Wir drei setzten uns zu einer kräftigen Mahlzeit nieder und redeten eine Menge über das Land im Westen, über Rinder und was ein Mann erreichen konnte, wenn er die Comanchen, Kiowas und Utas davon abhielt, ihn zu skalpieren. Seltsam, daß wir an einem Tisch saßen. Wir waren so daran

gewöhnt, auf der Erde zu hocken, daß uns das weiße Tischtuch und das Gedeck nervös machten. Draußen auf der Weide aßen wir mit dem Jagdmesser und einem Stück Brot. An diesem Abend zahlte uns Mr. Beiden im Hotel aus, und einer nach dem anderen trat vor, um seinen Lohn zu empfangen. Weder Orrin noch ich hatten jemals in unserem Leben fünfundzwanzig Dollar Bargeld besessen. Bei uns daheim tauschten wir das, was wir hatten, gegen das, was wir brauchten. Und die Kleidung entstand in Heimarbeit. Der Lohn betrug fünfundzwanzig Dollar im Monat. Orrin und ich hatten jeder Geld für zwei Monate und ein Teil vom dritten erhalten. Als ich an der Reihe war, legte Mr. Beiden seine Feder weg und lehnte sich im Stuhl zurück. »Tye«, sagte er, »im Gefängnis der Stadt sitzt ein Häftling, den ein United States Marshal abholen wird. Er heißt Aiken. Ritt mit Back Rand, als du ihn draußen auf der Prärie trafst.« »Jawohl, Sir.« »Ich habe mit Aiken gesprochen. Er sagte mir, wenn du nicht dabei gewesen wärest, dann hätte Back Rand meine Herde geraubt … oder es zumindest versucht. Aus dem, was er sagte, schließe ich, daß du uns einen bitteren Kampf und eine Stampede erspart hast. Sicher hätte ich dabei eine Menge Rinder verloren. Sieht so aus, als ob dieser Aiken euch Sacketts genau kennt und Rand darüber aufgeklärt hat. Deshalb zog Rand den Schwanz ein. Ich will nicht undankbar sein, Tye, und deshalb lege ich deinem Lohn zweihundert Dollars extra zu.« Zweihundert Dollar waren in diesen Tagen ein kleines Vermögen. Bargeld lachte selten. Als wir die Veranda der Drovers’ Cottage entlanggingen, kamen drei Wagen die Straße herauf. Drei weitere fuhren hinter ihnen. Die ersten drei waren Lazarettwagen der Armee, umgeben von einem Dutzend Mexikanern in fransenverzierten Wild-

lederanzügen und großen mexikanischen Sombreros. Ein weiteres Dutzend Reiter umgab die folgenden drei Wagen. So etwas hatten wir noch nie gesehen. Ihre Jacken waren kurz, sie reichten nur bis zu den Hüften; die Hosen waren an den unteren Enden weit und lagen hauteng um die Oberschenkel. Die Sporen waren groß wie Wagenräder. Alle trugen funkelnagelneue Revolver und Karabiner. Sie hatten bunte Seidenschärpen, wie sie auch manche texanische Cowboys trugen, und machten einen ziemlich theatralischen Eindruck. Die Pferde waren ausgesucht schön. Jedes einzelne war ein Rassetier, und alle waren gut gepflegt. Jeder Mann der Truppe war erstklassig ausgerüstet, und wenn ich jemals eine Kampftruppe gesehen habe, dann waren es diese Männer. Der erste Wagen hielt neben der Drovers’ Cottage, und ein großer, gut aussehender alter Mann mit schneeweißem Haar und weißem Schnurrbart stieg vom Wagen. Dann half er einem Mädchen beim Aussteigen. Ich konnte nicht sagen, wie alt es war, aber ich schätzte es auf fünfzehn oder sechzehn. Es war das hübscheste Mädchen, das ich je gesehen hatte. Pa hatte uns von den spanischen Dons und ihren Señoritas erzählt, die in der Gegend von Santa Fe lebten. Diese Leute mußten von dort stammen. In diesem Augenblick hatte ich einen Gedanken. Im Indianergebiet zählt jede Waffe. Dies hier mußten mindestens vierzig Männer sein, die mit Waffen umgehen konnten, die Kutscher eingerechnet. Kein Indianer würde diesen Wagenzug angreifen, denn er schien keine große Beute zu versprechen. Wir vier würden die Feuerkraft verstärken, und gleichzeitig würden wir sicher in die Gegend kommen, in die wir wollten. Ich sagte nichts zu Sunday und Rountree und ging in das Speisezimmer. Das Essen hier war wirklich gut. Die Eisenbahn brachte alle möglichen Delikatessen herbei, und die Drovers’

Cottage hatte meist Viehkäufer und Rinderzüchter als Gäste, die genug Geld zum Ausgeben hatten. Der Don saß an einem der Tische, zusammen mit dem hübschen Mädchen. Die lederbekleideten Reiter saßen in einem Kreis an den umstehenden Tischen, und als ich mich dem Don näherte, sprangen vier wie von der Sehne geschnellt von ihren Stühlen hoch. Sie standen und warteten auf ein Zeichen ihres Herrn. »Sir«, sagte ich, »ich nehme an, daß Sie nach Santa Fe wollen. Meine Partner und ich … wir sind zu viert … wollen ebenfalls nach Westen. Wenn wir mit Ihren Leuten reiten dürften, dann sind das für Sie vier Gewehre mehr, und für uns ist der Ritt ebenfalls sicherer.« Er sah mich mit ruhigem Gesicht an. Sein Schnurrbart war von einem leuchtenden Silberweiß, seine Haut blaßbraun, die Augen braun und ehrlich. Er wollte sprechen, doch das Mädchen unterbrach ihn und schien ihm etwas zu erklären. Aber über seine Antwort gab es keine Zweifel. Sie blickte zu mir auf. »Es tut mir leid, aber mein Großvater sagt, daß es unmöglich ist.« »Es tut mir auch leid«, sagte ich, »aber wenn er sich über uns erkundigen will, dann soll er bei Mr. Beiden dort drüben nachfragen.« Sie erklärte es dem alten Mann, und er warf einen Blick zu Mr. Beiden hinüber. Einen Augenblick lang glaubte ich, daß er seine Meinung ändern würde, aber er schüttelte den Kopf. »Es tut mir leid.« Sie sagte es, als ob es ihr wirklich leid täte. »Mein Großvater bleibt stets bei seinen Entschlüssen.« Sie zögerte und fügte dann hinzu: »Wir wurden gewarnt, daß Ihre Leute uns angreifen wollten.« Ich verneigte mich … wahrscheinlich sehr unbeholfen, denn es war das erste Mal in meinem Leben, daß ich mich verneigte, aber es schien mir angebracht zu sein.

»Ich bin Tyrel Sackett, und wenn Sie je Hilfe brauchen, dann werden meine Freunde und ich Ihnen zur Seite stehen.« Ich meinte es aufrichtig, obwohl dieser Satz aus einem Buch stammte, das einmal jemand vorlas; damals hatte er mich sehr beeindruckt. »Ich meine, daß wir mit Volldampf angebraust kommen, wenn Sie in Schwierigkeiten geraten.« Sie lächelte mir zu, und ich wandte mich ab. In meinem Kopf drehte sich alles. Orrin war hereingekommen. Er setzte sich mit dem blonden Mädchen und dem Vater an einen Tisch. Die beiden sahen mich an, als ob ich den Hühnerstall einer alten Witwe ausgeraubt hätte. Als ich die paar Stiegen zur Straße hinuntertrat, sah ich den Wagen, in dem das Mädchen gefahren war. Er war mit Plüsch ausgeschlagen, sehr komfortabel, wie ein kleines Zimmer auf Rädern. Der zweite Wagen gehörte dem alten Mann, und später erfuhr ich, daß in dem dritten Wagen Lebensmittel transportiert wurden; außerdem Gewehre, Munition und Kleidung. Die drei Frachtwagen waren voll mit Waren beladen, die sie auf ihrer Ranch in New Mexico brauchten. Orrin war mir ins Freie gefolgt. »Woher kennst du Don Luis?« »Heißt er so? Ich bin einfach zu ihm hingegangen und habe mit ihm gesprochen.« »Pritts sagte mir, daß Don Luis’ Nachbarn nicht viel für ihn übrig haben.« Orrin senkte seine Stimme. »Tyrel, Pritts heuert Männer an, um Don Luis von seinem Landbesitz zu vertreiben.« »Ist Pritts der Mann, mit dem du gesprochen hast?« »Ja, Jonathan Pritts. Seine Tochter heißt Laura. Feine Leute aus Neu-England. Er ist ein Städteplaner. Sie war nicht begeistert, als sie ihr schönes Heim und alle Freundinnen zurücklassen mußte. Aber ihr Pa hielt es für seine Pflicht, nach Westen zu gehen und das Land an die richtigen Leute zu verteilen.«

Irgendwas in diesen Worten klang nicht echt. Orrin sprach auch sonst nicht so. Aber ich erinnerte mich daran, daß es in meinem Kopf wegen der kleinen Mexikanerin summte. Und ich dachte, daß es Orrin wegen der Blonden ähnlich gehen mußte. »Ich glaube, Orrin, niemand verläßt seine Heimat, wenn er sich nicht einen Profit davon verspricht. Wir gehen nach Westen, weil wir von unserer kleinen Farm nicht leben können. Du wirst sehen, Jonathan Pritts hat einen ähnlichen Grund.« Orrin war beinahe entsetzt. »Ach woher, kommt gar nicht in Frage. Er war in seiner Heimat ein großer Mann. Wenn er geblieben wäre, hätte er es vielleicht schon zum Senator gebracht.« »Mir scheint«, sagte ich, »sie hat dir eine Menge von ihrem schönen Heim und den lieben Freunden erzählt. Dieser Pritts ist doch nicht aus Menschenfreundlichkeit hergekommen, sondern weil er schnell reich werden will.« »Das verstehst du nicht, Tyrel. Das sind ordentliche Leute. Du solltest sie kennenlernen.« »Dazu werden wir wenig Gelegenheit haben, wenn wir uns eine Rinderherde einfangen wollen.« Orrin schien etwas auf dem Herzen zu haben. »Mr. Pritts hat mir Arbeit angeboten. Ich soll sein Manager werden. Er will hier Ansiedlungen planen; es gibt da großen spanischen Landbesitz, der zur Besiedlung freigegeben wird.« »Hat er denn Leute?« »Bis jetzt ein Dutzend. Aber er kriegt später noch mehr. Einen habe ich kennengelernt. Er heißt Fetterson.« »Mit einer Narbe an der Lippe?« »Ja, richtig!« Orrin sah mich überrascht an. »Kennst du ihn vielleicht?« Jetzt erzählte ich Orrin von dem Zwischenfall hinter dem Saloon, und wie ich Reed Carney mit dem Eimer niedergeschlagen hatte.

»Ach, so ist das«, meinte Orrin ruhig. »Dann nehme ich die Stellung nicht an. Und ich werde Mr. Pritts über Fetterson aufklären.« Er machte eine Pause. »Immerhin würde ich Laura nicht gern aus den Augen verlieren.« »Seit wann bist du denn hinter Mädchen her? Bisher war es doch immer umgekehrt!« »Laura ist anders … ich habe noch nie ein Mädchen aus der Stadt gekannt. Sie ist sehr fein und gut angezogen. Hat Manieren, weißt du.« Da wußte ich, daß es am besten wäre, wenn er sie niemals wiedersähe. Ihre feinen Manieren hatten ihm den Kopf verdreht. Und noch etwas. Jonathan Pritts hatte über den spanischen Grundbesitz gesprochen, der für die Siedler freigegeben werden sollte. Aber was wurde dann aus den Leuten, denen bis jetzt das Land gehört hatte? Wenn ich an die Reiter von Don Luis dachte, dann war mir klar, daß Fetterson und seine Gesellen keine allzu guten Aussichten hatten, die Mexikaner von ihrem Land zu vertreiben. Aber das ging uns schließlich nichts an. Ab morgen waren wir selbständige Rancher. Immerhin, Orrin war sechs Jahre älter als ich, und er hatte bei Mädchen immer Glück gehabt. Mich beachteten die Mädchen kaum, also konnte ich ihm gar nichts vorschreiben. Diese Laura Pritts war ein hübsches Ding … daran gab es nichts zu rütteln. Aber ich konnte den tückischen Rotschimmel nicht vergessen. Die beiden waren sich zu ähnlich. Orrin war zurück in das Lokal gegangen. Ich schlenderte die Straße lang. Einige von Don Luis’ Reitern hielten sich bei den Wagen auf. Alles war ruhig. Da sprach mich Rountree von der Straße her an. »Gib acht, Tye.« Ich wandte mich um. Reed Carney kam die Straße herauf.

Pa hatte einmal gesagt: »Tyrel, du bist anders als die anderen. Die meisten Leute werden dich nicht mögen, aber die paar Freunde, die du haben wirst, werden gute Freunde sein und immer zu dir halten.« Damals dachte ich, daß er unrecht hatte. Ich glaubte immer, genau so zu sein wie die anderen. Als ich aber jetzt Reed Carney auf mich zukommen sah und wußte, daß er mich töten wollte, da fühlte ich etwas ganz Neues in mir – ich hatte es nicht einmal gefühlt, als Long Higgins meinen Bruder Orrin umzubringen versuchte. Eine heiße Welle stieg in mir empor und drohte mich zu ersticken. Dann ebbte sie ab, und ich war ganz ruhig. Jede kleine Einzelheit stand klar vor meinen Augen. Alles in mir konzentrierte sich auf den Mann, der die Straße heraufkam. Er war nicht allein. Fetterson begleitete ihn, und seine beiden Freunde aus dem Saloon. Sie hielten sich ein paar Schritte hinter ihm. Orrin hielt sich in der Drover’s Cottage auf, und nur der alte Rountree stand auf meiner Seite. Er würde wissen, was er zu tun hatte. Niemand brauchte ihm zu sagen, wie er sich in einer solchen Situation zu verhalten habe. Und mir brauchte es auch keiner zu sagen. Reed kam die Straße herauf. Wahrscheinlich dachte er daran, mit welchem Respekt die Männer an den Lagerfeuern seinen Namen aussprechen würden, wenn er ihnen von der Sache berichtete. Ich dachte an nichts. Ich stand da und wartete. Auf das Unvermeidliche. Zu meiner Rechten wurde eine Tür geschlossen. Ich wußte, daß Don Luis auf die Veranda getreten war. Ich konnte sogar hören – so still war es –, wie er ein Streichholz anriß, um seine Zigarre in Brand zu setzen. Als ich Reed sah, war er noch fast hundert Meter entfernt.

Sobald er etwa fünfzig Meter zurückgelegt hatte, ging ich ihm entgegen. Er blieb stehen. Anscheinend hatte er nicht erwartet, daß ich auf ihn losgehen würde. Er hielt sich für den Jäger und mich für den Gejagten, der versuchen würde, dem Kampf auszuweichen. Da wußte ich plötzlich, daß ich ihn nicht zu töten brauchte. Vielleicht war es in diesem Augenblick, daß ich zum Mann wurde. Ich verstand mit einemmal Männer, Revolvermänner und Revolverkämpfer. Den anderen zu erkennen, das ist das Wichtigste; das schnelle Ziehen und das genaue Schießen sind zweitrangig. Unter den Männern, die am schnellsten zogen, waren solche, die als erste starben. Schnelles Ziehen allein bedeutete nichts … gar nichts. Als erstes lernte ich: manchmal muß man seinen Gegner töten und manchmal nicht. Reed Carney suchte den Kampf, und er wollte ihn gewinnen. Bei mir lag die Sache anders. Ich beobachtete Reed, wie er die Straße heraufkam, und zugleich wußte ich, daß ich meine Waffe gegen ihn gar nicht zu ziehen brauchte. Unvermittelt war mir klar, daß Reed Carney nur ein billiger Angeber war. Er hielt sich für einen harten Kämpfer und Revolvermann. Aber er fürchtete auch, daß auf ihn geschossen werden konnte. Das Schwierigste für jeden Mann, der einen Ruf als Revolverkämpfer hat, ist die Tatsache, daß er diesen Ruf wahren muß – bei jeder Gelegenheit. Ein Revolverduell ist weder aufregend noch sensationell. Es ist eine einfache, klare Angelegenheit. Der eine oder der andere wird getötet oder schwer verletzt. Vielleicht auch beide. Manche Männer halten sich für etwas Besonderes. Sie glauben, daß sie selbst gegen Kugeln gefeit sind. Es ist immer der andere, denken sie, der sterben wird. So ist es aber nicht. Man kann auch selbst sterben. Und nach

dem Begräbnis wissen die anderen gar nicht mehr, daß man je am Leben war; mit Ausnahme der Mutter. Oder der Frau. Reed Carney hielt sich für einen gefährlichen Burschen, und er hatte sich selbst eingeredet, daß er diesen Kampf bestehen mußte. Vielleicht lag es in seiner Art zu gehen oder daran, daß er stehen blieb, als ich auf ihn zuging. Jedenfalls begriff ich, daß ihn der Kampfgeist verlassen hatte, als ich ihm zehn Schritte entgegengegangen war. Er wiederum begriff, daß ich ihn töten würde. Seine Freunde erwarteten, daß Reed die Initiative ergriff. Die Freunde konnte ich ruhig Cap überlassen. Ich mußte mich mit Reed befassen. Er war es, der mich töten wollte – oder besser: er wollte, daß man darüber sprach, daß er mich getötet hatte. Als ich auf ihn zuging, war mir eines klar: Reed wußte, daß er jetzt ziehen mußte. Er glaubte fest daran, daß er ziehen würde. Aber er stand nur da und tat nichts. Wenn er nicht sofort zog, war es zu spät. Dies alles war ihm klar. Der Schweiß lief ihm über die Wangen, obwohl es kein warmer Abend war. Ich ging weiter auf ihn zu. Die Distanz zwischen uns verringerte sich. Er trat einen Schritt zurück, und seine Lippen öffneten sich, als ob er keine Luft bekäme. Er wußte, wenn er jetzt nicht zog, dann war er nie mehr derselbe Mann wie bisher – so lange er lebte. Als ich stehenblieb, stand ich eine Armlänge vor ihm. Er atmete keuchend. »Ich könnte dich umbringen, Reed.« Ich nannte ihn zum erstenmal beim Vornamen. Er sah mich angstvoll überrascht an, wie ein Junge. »Du willst ein ganzer Kerl sein, Reed, aber du wirst es nie schaffen. Am wenigsten mit der Waffe. Du bist nicht aus diesem Holz geschnitzt. Wenn du eine Bewegung nach deinem Colt getan hättest, wärst du jetzt tot … tot und kalt im Staub der Straße. Und jetzt lang mal ganz vorsichtig nach unten, öffne die

Schnalle und laß den Revolvergurt fallen. Dann dreh dich um und verschwinde.« Es war totenstill. Eine leichte Windbö wirbelte den Staub auf und erstarb. Auf der Veranda der Drover’s Cottage ächzte eine Bohle, als sich jemand bewegte. Draußen in der Prärie sang eine Lerche. »Schnall den Gurt ab!« Sein Blick bohrte sich in meine Augen. Der Schweiß lief in kleinen Bächen über sein Gesicht. Seine Zunge fuhr über die Lippen, und seine Finger tasteten nach der Gürtelschnalle. Für den Bruchteil einer Sekunde stand alles auf des Messers Schneide. Jetzt konnte er noch nach der Waffe greifen, aber mein Blick hielt ihn fest, und er ließ den Gürtel fallen. »An deiner Stelle würde ich mich jetzt aufs Pferd setzen und verschwinden. Möglichst weit weg.« Er wich ein paar Schritte zurück. Dann drehte er sich um und ging weg. Als ihm klar wurde, was er getan hatte, ging er schneller und schneller. Einmal stolperte er, fing sich wieder und hastete weiter. Nach einer Sekunde hob ich den Patronengurt mit der Linken auf, wandte mich um und ging zur Drover’s Cottage. Alle standen auf der Veranda: Orrin, Laura Pritts und ihr Vater, Don Luis … sogar seine Enkelin. Fetterson war wütend. Er hatte sich auf einen Kampf vorbereitet, aber er hatte nicht die Absicht, jetzt noch und nur so zum Spaß auf Cap Rountree loszugehen … jeder machte einen weiten Bogen um den alten Wolf. »Ich gebe eine Runde aus«, sagte ich. »Kaffee für mich«, antwortete Cap. Ich warf einen Blick auf Fetterson. »Das gilt auch für dich«, sagte ich. Er wollte etwas Gemeines antworten, überlegte es sich aber und sagte dann: »Einverstanden. Dazu gehörte Mut.«

Don Luis nahm die Zigarre aus dem Mund und streifte den langen Aschenkegel ab. Er sah mich an und sprach etwas auf spanisch. »Er sagte, daß wir mit ihm reiten können, wenn wir noch wollen«, übersetzte Cap. »Er sagt, daß du ein mutiger Mann bist … und was noch wichtiger ist, daß du auch klug gehandelt hast.« »Gracias«, antwortete ich. Das war das einzige spanische Wort, das mir geläufig war. Im Jahre 1867 war der Santa Fe Trail eine viel befahrene Straße. Tief eingeschnittene Wagengleise führten von Independence, Missouri, nach Südwesten. Der Trail war eigentlich keine Straße, sondern ein breites Band von parallel laufenden Radfurchen, die im Lauf von fünfzig Jahren in den Boden gedrückt worden waren. Cap Rountree war dem Santa Fe Trail das erste Mal 1836 gefolgt, wie er uns erzählte. Orrin und ich, wir suchten ein neues Zuhause für Ma, und wenn wir im Westen Glück hatten, konnten wir mit der Suche beginnen. Daheim hatten wir zwei jüngere Brüder und einen älteren. Aber es war lange her, daß wir von Tell gehört hatten. Wir wußten nicht einmal, ob er noch lebte. Als der Bürgerkrieg ausbrach, ging er zur Armee und blieb nach Kriegsende dabei, um gegen die Sioux in Dakota zu kämpfen. Wir ritten nach Westen. Abends lagerten wir zusammen und hörten den Mexikanern zu, wie sie sangen. Oder ich hörte den Erzählungen von Cap Rountree zu. Der Alte war in seinem Leben weit herumgekommen; er hatte sogar eine Weile bei den Sioux und dann bei den Nez Perce gelebt. Er erzählte mir von ihren Sitten und Gebräuchen und den Appaloosas, den fabelhaften Pferden, die sie züchteten. Mein Anzug war inzwischen endgültig kaputt gegangen, und so kaufte ich mir Sachen von den Mexikanern. Ich sah jetzt aus

wie einer von ihnen, trug eine fransenverzierte Lederjacke und Hose. Während der drei Monate, die ich von daheim weg war, hatte ich etwa fünfzehn Pfund zugenommen. Das meiste davon waren Muskeln. Wenn Ma mich sehen könnte … Das einzige, was ich noch von früher hatte, war mein Colt. Während der ersten Tage erblickte ich weder Don Luis noch seine Enkelin – bis auf ein einziges Mal, als ich eine vorbeilaufende Antilope auf dreihundert Meter Entfernung schoß. Don Luis bemerkte es. Manchmal stieg seine Enkelin auf ein Reitpferd und ritt um die Wagen. Eines Tages, als wir eine Woche unterwegs waren, ritt sie auf den Hügel herauf, wo ich stand und ins Land hinaus blickte. Man durfte sich in dieser Gegend keine Sekunde sicher fühlen. Von hier oben sah man nur die endlose, mit kniehohem Gras bestandene Prärie. Aber vielleicht waren in der Nähe ein paar flache Mulden oder ein Canyon – dort konnte sich eine Bande Indianer verborgen halten. Sie gesellte sich zu mir, als ich das Land vor uns beobachtete. Sie hatte wunderschöne dunkle Augen, lange Wimpern und war überhaupt das hübscheste Ding, das ich je gesehen hatte. »Haben Sie etwas dagegen, wenn ich mit Ihnen reite, Mister Sackett?« »Absolut nicht. Aber was wird Don Luis dazu sagen? Ich glaube kaum, daß er einverstanden ist, wenn seine Enkelin mit einem Vagabunden aus Tennessee herumreitet.« »Er hat es mir erlaubt, unter der Bedingung, daß ich um Ihre Erlaubnis frage. Er sagte, daß Sie mich nicht mitreiten lassen würden, wenn es zu gefährlich wäre.« Hier auf dem Hügel wehte eine kühle Brise, und es gab keiner Staub. Der Wagenzug rollte eine halbe Meile südöstlich von uns vorbei. An diesem Tag lernte ich die ersten spanischen Worte von ihr.

»Reiten Sie nach Santa Fe?« »Nein, Ma’am. Wir wollen Wildrinder im Gebiet von Purgatoire River einfangen.« Ihr Name war, wie sich herausstellte, Drusilla. Ihre Großmutter war Irin gewesen. Die Vaqueros waren keine Mexikaner, sondern Basken, wie ich mir gedacht hatte, ausgesuchte Kämpfer. Es hielt sich immer einer von ihnen in unserer Nähe, vorsichtshalber. Nach diesem ersten Mal ritt Drusilla noch oft mit mir aus. Ich bemerkte, daß die Vaqueros das Gelände, durch das wir gekommen waren, genauso aufmerksam beobachteten wie den Weg, der noch vor uns lag. Manchmal ritten fünf oder sechs von ihnen zurück. »Mein Großvater argwöhnt, wir könnten verfolgt und angegriffen werden. Er wurde gewarnt.« Ich mußte an das denken, was Orrin von Jonathan Pritts erfahren hatte. Ich wußte nicht, ob es etwas zu bedeuten hatte, aber ich bat sie, es Don Luis zu berichten. Meiner Meinung nach gehörte das Land der Familie, der es vor langer Zeit zugesprochen worden war, und kein dahergelaufener Kerl wie dieser Pritts hatte das Recht, es den Mexikanern einfach wegzunehmen. Am nächsten Tag bedankte sie sich im Namen ihres Großvaters bei mir. Jonathan Pritts war schon in Santa Fe gewesen. Er versuchte mit allen Mitteln und unter Einschaltung der Politik, die spanischen Landbesitzurkunden für ungültig erklären zu lassen, damit das Land für amerikanische Siedler freigegeben werden konnte. Wir zogen jetzt durch Indianergebiet. Orrin hatte Laura nicht vergessen. Er war über mich etwas verärgert, weil ich ihn losgeeist hatte, als er schon halb entschlossen war, sich mit Pritts zusammenzutun. »Er hätte ausgezeichnet gezahlt«, bemerkte er eines Abends.

»Blutgeld«, antwortete ich. »Könnte ja sein, Tyrel«, entgegnete Orrin unfreundlich, »daß du etwas gegen Mr. Pritts hast. Und gegen Laura.« Immer langsam, sagte ich zu mir selbst, jetzt kann es kritisch werden. »Ich kenne sie ja gar nicht. Ich habe nur von dir gehört, daß er sich Land aneignen will, das ihm gar nicht gehört.« Orrin wollte etwas entgegnen, aber Tom Sunday stand auf. »Zeit zum Schlafen«, sagte er unvermittelt. »Wir müssen morgen zeitig ’raus.« Wir legten uns beide hin, und die unausgesprochenen Worte quälten mich. Natürlich hatte ich etwas gegen Pritts und seine Tochter. Ich mochte sie beide nicht … ich habe noch nie Männer ausstehen können, die so selbstgerecht aussahen und handelten wie dieser Jonathan Pritts. Wenn er daheim ein so reicher und angesehener Mann gewesen war, warum kam er dann nach dem Westen? Bei Tagesanbruch füllten wir unsere Wasserflaschen, weil wir nicht wußten, wann wir wieder auf eine Quelle stoßen würden. Ein heißer Wind strich über das Präriegras. Am Mud Creek hatte es genug Wasser für die Pferde gegeben. Bis zu den nächsten Wasserlöchern waren es gute sieben Meilen. Wenn wir dort kein Wasser fanden, dann lag ein Tagesritt bis zum Little Arkansas River vor uns. Die Sonne brannte heiß vom Himmel. Die Hufe der Tiere wirbelten Staub auf, der noch lange in der Luft hängen blieb. Falls sich Indianer in der Gegend herumtrieben, mußten sie uns zwangsläufig bemerken. »Die Gegend hier gefällt mir gar nicht«, bemerkte Tom Sunday. »Wie ist das Land, das vor uns liegt, Cap?« »Noch schlimmer … wenn man es nicht kennt. Es kommt auch kaum jemand hin, außer Comanchen. Das Wasser, das es dort gibt, haben wir für uns allein.« Von jetzt ab ritt Drusilla jeden Tag mit mir. Und mit jedem

Tag freute ich mich mehr darauf. Manchmal waren wir nur eine halbe Stunde beisammen, manchmal eine Stunde; aber ich freute mich, wenn sie kam, und bedauerte es, wenn sie wieder ging. Daheim hatte ich nur wenige Mädchen gekannt. Meistens war ich ihnen aus dem Weg gegangen, weil ich in keine Falle hineintappen wollte. Jetzt begann ich zu fühlen, daß mir Drusilla etwas bedeutete. Sie war kaum sechzehn Jahre alt, aber die mexikanischen Mädchen heiraten schon in diesem Alter. Und ich besaß nichts als meinen Apfelschimmel, meinen Anteil an ein paar Maultieren, die alte Spencer und den Colt. Zusammengerechnet war das nicht viel. Inzwischen hatte ich mich mit einigen der Vaqueros angefreundet. Bis jetzt hatte ich noch niemand näher gekannt, der kein Amerikaner gewesen war, denn daheim hatten wir uns von Fremden ferngehalten. Als ich mit den Vaqueros ritt, fand ich heraus, daß sie rechtschaffene Männer waren, denen man trauen konnte. Miguel war ein schlanker, drahtiger Bursche und der beste Reiter, den ich je gesehen hatte. Er war etwa zwei Jahre älter als ich. Er sah gut aus und lachte oft, und genau wie ich ritt er gern in einiger Entfernung vor den Wagen her. Der Vormann hieß Juan Torres; er war ein kräftiger Mann von dreiundvierzig oder vierundvierzig Jahren, der selten lächelte, aber immer freundlich war. Er war vielleicht der beste Gewehrschütze, den ich kannte. Schon als Junge hatte er für Don Luis Alvarado gearbeitet, und er verehrte ihn wie einen Halbgott. Dann waren da noch Pete Romero und ein schlanker junger Teufel namens Antonio Baca … der einzige, der kein Baskenblut in seinen Adern hatte. Mir schien es, als ob er sich für etwas Besseres als Juan Torres hielt; und dann gab es noch etwas, was ich für Einbildung hielt, bis Cap es erwähnte.

»Hast du schon die Blicke bemerkt, die der junge Baca dir nachwirft, wenn du mit der Señorita reitest?« »Es scheint ihm nicht in den Kram zu passen. Fiel mir schon auf.« »Vorsicht – der Kerl ist heimtückisch.« Mehr sagte Cap nicht, aber ich beachtete seine Worte. Ich hatte schon gehört, daß diese Mexikaner mächtig eifersüchtig waren. Wir lagerten am Little Arkansas River. Das Wasser war recht gut, nur ein wenig brackig. Nachdem die Nachtwachen eingeteilt waren, nahm ich das Gewehr und die Wasserflasche und ging zum Fluß hinunter. Die Dämmerung war angebrochen, aber man konnte noch sehen. Am Ufer blieb ich stehen und lauschte. Am Horizont wetterleuchtete es. Fernes Donnergrollen war zu hören. Da rollte ein Stein das Ufer hinunter. Eine Gruppe Reiter brach aus den Büschen. Sie ritten ins Flußbett hinunter. Es konnten ebensogut ein Dutzend wie auch zwanzig sein. Obwohl ich sie nicht genau erkennen konnte, sah ich die weißen Streifen auf ihren Gesichtern. Sie trugen Kriegsbemalung. Sie überquerten den Fluß fünfzig oder sechzig Meter weiter flußabwärts und ritten hinaus in die Prärie. Sicher wären sie nicht mehr so spät unterwegs, hätten sie nicht irgendwo in der Nähe ihr Lager. Das bedeutete, daß noch mehr Indianer anwesend sein mußten. Als sie verschwunden waren, kehrte ich zu unserem Lagerplatz zurück. Ich nahm Cap Rountree beiseite. Zusammen gingen wir zu Torres und besprachen die nächsten Schritte. Der Tag brach an. Auf Torres’ Rat blieb Drusilla im Wagen. Der Wagenzug bewegte sich nur langsam weiter, um möglichst keinen Staub aufzuwirbeln. Dürre herrschte überall. Das Gras war braun verbrannt und

sonnenheiß, als wir den völlig ausgetrockneten Owl Creek erreichten. Little Cow Creek und Big Cow Creek waren ebenfalls trocken. Wir hatten uns über zwanzig Meilen von unserem letzten Nachtlager entfernt, und noch immer gab es kein Wasser. Weitere zwanzig Meilen waren es bis zum Arkansas River. »Dort gibt’s Wasser«, sagte Rountree mit seiner krächzenden Stimme. »Der Arkansas führt immer Wasser.« Ich glaubte schon nicht mehr, daß es in ganz Kansas auch nur noch einen Tropfen Wasser gäbe. Am Big Cow Creek legten wir eine Rast ein, und ich benetzte das Maul meines Apfelschimmels mit dem befeuchteten Taschentuch. Meine Lippen waren aufgesprungen. Die Luft war heiß und trocken. Sogar ein Kamel hätte hier Durst bekommen. Der Staub wirbelte über dem braunen Gras auf … weiße Büffelknochen bleichten in der Sonne. Verkohlte Reste ausgebrannter Wagen und abgenagte Pferdeschädel lagen am Weg. Am Horizont türmten sich die Wolken zu Märchenschlössern, und über der Prärie flirrte die Luft. In der Ferne lockte das blaue Wasser einer Fata Morgana. Ich hielt auf einer Erhebung an und sah im Umkreis von Meilen nichts als braunes Gras. Wieder benetzte ich mein Taschentuch und befeuchtete damit das Maul des Apfelschimmels. Die Luft war so trocken, daß ich nicht einmal mehr Speichel zum Spucken hatte. Weit unten fuhren die Wagen. Die Erhebung, auf der ich angehalten hatte, war nicht hoch, aber der Hang fiel viele Meilen sanft zum Tal hinab.

3 Rountree saß vornübergebeugt im Sattel. Es sah aus, als ob er jede Sekunde vom Pferd fallen würde. Aber ich glaubte, daß er von uns allen am längsten aushalten könnte. Er war unglaublich zäh. Ich wandte mich um, winkte Orrin zu, der den Arm hob und Torres ein Zeichen gab. Orrin und ich stiegen aus den Sätteln und führten unsere Pferde an den Zügeln. »Wir müssen eine neue Heimat für Ma finden«, sagte ich zu Orrin. »Sie hat nicht mehr viele Jahre zu leben. Es wäre gut, wenn sie diese Jahre ohne Sorgen in ihrem eigenen Haus verbringen könnte.« »Wir werden schon etwas für sie finden.« Bei jedem Schritt wirbelte Staub auf. Orrin blieb stehen und drehte sich um. Schützend hielt er die Hand über die Augen. »Wir müssen etwas lernen, Tye«, sagte er unvermittelt. »Wir wissen beide verdammt wenig. So darf es nicht bleiben. Wenn ich Tom zuhöre, werde ich nachdenklich. Bei ihm ist es nicht abzusehen, was er dank seiner Bildung alles erreichen kann.« »Tom hat sicher recht. Hier im Westen kann es ein Mann weit bringen – wenn er nur will.« »Das Land regt zum Nachdenken an. Hier gibt es genug Platz ‚... auch zum Nachdenken.« Als wir wieder in die Sättel stiegen, war das Sattelleder so heiß, daß ich beinahe aufschrie, als ich mich setzte. Nach einer Weile ritten wir mechanisch weiter. Es war schon dunkel, und die Sterne standen am Himmel, als wir die grünen Bäume rochen, das Gras und den kühlen Duft von fließendem Wasser. Im Licht der Sterne fanden wir den Arkansas River, und ich hatte noch immer ein paar Schluck brackiges Wasser in

meiner Feldflasche. Ich goß es weg, spülte die Flasche aus und füllte sie mit frischem Wasser. Als ich die volle Flasche zu Drusillas Wagen brachte, merkte ich, daß Baca mich mißtrauisch beobachtete. Wir vier fachten unser eigenes Feuer an, etwas abseits von den anderen, denn wir hatten eine Menge zu besprechen. »Don Luis besitzt eine große Ranch, wie Torres mir erzählte. Sie soll riesig sein. Berge, Weiden, Wald … und unzählige Rinder.« Cap hatte sich eine ganze Weile mit Torres unterhalten. »Schafe hat er auch. Außerdem ein paar Bergwerke und eine Sägemühle.« »Ich habe gehört, daß er eine Menge Land an sich gerissen hat«, warf Orrin ein. »Viele Leute würden sich dort gern eine Heimstatt errichten, wenn er es erlaubte.« »Würdest du das erlauben, Orrin, wenn das Land dir gehörte?« fragte Tom milde. »Niemand hat das Recht, so viel zu besitzen. Und außerdem ist er kein Amerikaner«, antwortete Orrin gereizt. Rountree vermied sonst jeden Streit, aber nun sagte er: »Das Land gehört ihm seit vierzig Jahren. Er hat es von seinem Vater geerbt, der bereits 1794 in die Gegend kam. Mir scheint doch, daß er sich ein Anrecht auf den Besitz erworben hat.« »Vielleicht irre ich mich«, gab Orrin zu. »Don Luis ist kein Neuling in diesem Land«, erzählte Rountree weiter. »Ich habe schon von ihm gehört, als ich das erste Mal nach dem Westen kam. Er und sein Vater haben sich mit den Utas, den Navajos und den Comanchen herumgeschlagen. Sie haben das Land urbar gemacht, Schafe und Rinder aus Mexiko heraufgebracht, die Bergwerke erschlossen und die Sägemühle gebaut. Wer auch immer ihm sein Land wegnehmen will, wird sich ziemlich anstrengen müssen.« »Ich glaube nicht, daß Jonathan Pritts etwas Unrechtes tun würde«, verteidigte sich Orrin, »wenn er den wahren Sachverhalt kennt.«

Pawnee Rock war eigentlich unser nächstes Ziel. Aber Torres kam an unser Feuer und berichtete uns, daß Don Luis sich entschlossen habe, einen Bogen darum zu machen. Orrin wollte den Pawnee Rock sehen und ich auch. Deshalb beschlossen wir vier, hinzureiten. Vierzig, fünfzig Männer lagerten am Fuße des Felsmassivs. Es war eine Bande hartgesottener Kerle. Die meisten von ihnen waren betrunken. »Räubergesindel«, kommentierte Rountree. Plötzlich hatte ich das Gefühl, Pritts’ Leute vor mir zu haben. Ich konnte mir nicht denken, warum sonst eine Gruppe von Männern ohne Wagen und Frauen hier draußen lagern sollte. Und dann sah ich einen, der damals vor Abilene bei Back Rand gewesen war. Als wir uns näherten, erhoben sich ein paar. »Howdy! Wo kommt ihr denn her?« »Wir sind nur auf der Durchreise.« Tom Sunday blickte an den Männern vorbei zum Lagerplatz, der unordentlich und schmutzig aussah. »Wir reiten zum Cimarron River«, fügte er hinzu. »Warum steigt ihr nicht ab? Wir hätten euch einen Vorschlag zu machen.« »Wir sind schon spät dran«, sagte Orrin und sah sich die Gesichter an, als ob er sie sich einprägen wollte. Ein paar andere kamen von den Seiten heran, als ob sie uns umzingeln wollten. Deshalb drehte ich meinen Apfelschimmel herum,! daß ich sie vor mir hatte. Das paßte ihnen gar nicht, und ein Rothaariger rief: »Was ist denn los? Habt ihr Angst?« Wenn man solchen Kerlen gegenübersteht, dann hat es wenig Sinn, mit ihnen zu reden oder gar vor ihnen davonzulaufen. Deshalb trieb ich den Apfelschimmel auf den Rothaarigen zu, ohne ein Wort zu sagen. Meine Rechte lag auf dem Schenkel, einige Zentimeter vom Griff des Colts entfernt.

Der Rothaarige trat beiseite, aber der Apfelschimmel war von Pa abgerichtet worden, und wenn man ihn einmal auf etwas zuführte, Mensch oder Tier, dann wußte er genau, was er zu tun hatte. Der Rothaarige wich weiter zurück. Ich hatte schon vor langem gelernt: wenn man einen Mann zum Rückzug zwingt, ist es schwierig für ihn, stehenzubleiben und anzugreifen. Der Apfelschimmel folgte jeder seiner Bewegungen, und plötzlich hatte der Rothaarige genug und griff nach seinem Colt. In diesem Moment gab ich dem Apfelschimmel die Sporen. Das Pferd stieß gegen die Schulter des Rothaarigen, und er stürzte unsanft zu Boden. Der Revolver flog ihm aus der Hand. Der Rothaarige lag mit dem Rücken auf dem Boden, und der Apfelschimmel stand über ihm. Ich hatte kein Wort gesagt. Alle starrten zu uns herüber. Mittlerweile hatte Orrin seinen Colt gezogen; Tom Sunday und Cap Rountree hielten die Gewehre schußbereit. Cap sagte: »Wie ich schon vorhin bemerkte, sind wir nur auf der Durchreise.« Der Rothaarige wollte aufstehen. Mein Apfelschimmel bewegte sich leicht, und der Rothaarige gab es auf. »Du stehst erst auf, wenn wir weg sind«, sagte ich. »Du hast es zu eilig, über den Haufen geschossen zu werden.« Einige der anderen hatten bemerkt, was sich abspielte, und kamen heran. »Alles in Ordnung, Tye?« fragte Orrin. »Reiten wir«, sagte ich, und dann machten wir, daß wir wegkamen. Cap hatte noch etwas anderes im Sinn gehabt, und ich wußte, was es war. So lange sie sich mit uns beschäftigten, würden sie die Wagen nicht bemerken – und sie bemerkten sie auch nicht. Wir tränkten die Pferde am Coon Creek und ritten dann weiter nach Fort Dodge.

Die Postkutsche der Barlow Sanderson Company traf ein, während wir uns in Fort Dodge aufhielten. Es mußte sicher ganz angenehm sein, in weichen Polstern und netter Begleitung zu reisen. Wir hörten, wie der Kutscher mit einem Sergeanten sprach. »Es sieht aus, als ob es bald Streit geben würde. Die Siedler wollen die Mexikaner von ihren Haziendas vertreiben.« Orrin wandte sich ab. »Gut, daß wir uns nicht einzumischen brauchen«, sagte er. »Wir sind besser daran, wenn wir Wildrinder einfangen.« Als wir das Lager wieder erreichten, packten sie gerade und beluden die Wagen. Torres kam auf uns zu. »Wir müssen weiter, Señores. Wir haben Nachricht von zu Hause, daß es Ärger gibt. Wir fahren direkt nach Süden. Sie kommen nicht mit uns?« »Wir reiten zum Purgatoire River.« »Dann sage ich adios.« Torres warf mir einen Blick zu. »Ich weiß, daß Don Luis Ihnen auf Wiedersehen sagen will, Señor.« Ich konnte Don Luis bei den Wagen nicht finden, aber Drusilla war da. Als sie mich bemerkte, kam sie rasch auf mich zu. »Oh, Tye! Wir brechen auf! Werde ich Sie wiedersehen?« »Ich komme nach Santa Fe. Darf ich Sie dann besuchen?« »Ich bitte darum.« Wir standen in der Dunkelheit. Um uns herum herrschte geschäftiges Treiben. In diesem Augenblick wollte ich keine Wildrinder mehr fangen. Ich wollte gleich mit ihr nach Santa Fe reiten. Erging es Orrin mit Laura ebenso? Aber was konnte ich für Drusilla überhaupt empfinden? Ich war ja nur ein junger Springer aus den Bergen von Tennessee, der kaum lesen und nicht mehr als seinen eigenen Namen schreiben konnte. »Werden Sie mir schreiben, Tyrel?«

Durfte ich ihr sagen, daß ich gar nicht schreiben konnte? »Ich werde schreiben«, versprach ich und schwor mir, daß ich es lernen wollte. Tom mußte es mir beibringen. Orrin hatte recht. Wir mußten etwas lernen, uns bilden – irgendwie. »Ich werde Sie vermissen.« Und ich stand wie ein Trottel vor ihr und drehte meinen Hut in den Händen. Wenn ich nur so reden könnte wie Orrin! Aber ich hatte kaum je mit einem Mädchen oder einer Frau gesprochen. Ich hatte keine Ahnung, was die Männer so sagten. »Es war sehr schön«, sagte ich endlich, »daß Sie mit mir durch die Prärie geritten sind.« Sie trat näher, und ich wünschte mir nichts sehnlicher, als sie zu küssen. Aber welches Recht hat ein Junge aus Tennessee, die Tochter eines Don Luis zu küssen? »Diese Ausritte werde ich sehr vermissen«, sagte ich, nur um irgend etwas zu sagen. »Sie werden mir sehr fehlen.« Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und küßte mich. Dann lief sie davon. Ich wandte mich um und rannte geradewegs in einer Baum. Ich trat zurück, ging weiter, und in diesem Augenblick tauchte Antonio Baca aus der Dunkelheit auf. Er hielt sein Messer. Er sagte kein Wort und warf sich auf mich. Sich mit Mädchen zu unterhalten, ist eine Sache; Messerkampf eine andere. Pa hatte mir wenigstens in einer Richtung die nötige Erziehung angedeihen lassen. Was ich tat, tat ich ohne zu denken Mit der linken Handkante schlug ich Bacas Messerhand zur Seite. Meine Rechte packte sein linkes Handgelenk, als ich den linken Fuß ausstreckte. Er verlor das Gleichgewicht und stolperte über mein linkes Bein. Ich half ein bißchen nach und schleuderte ihn gegen den Baumstamm. Er prallte heftig gegen den Stamm. Das Messer fiel zu Boden Ich hob es auf, ging weiter und drehte mich nicht mehr um. Einmal hörte ich ihn stöhnen, aber ich wußte, daß er noch lebte. Nur ein wenig durchgeschüttelt …

Tom Sunday saß im Sattel und hielt meinen Apfelschimmel an Zügel. »Orrin und Cap sind vorausgeritten. Wir treffen uns in Fort Dodge.« »Geht in Ordnung«, sagte ich. »Ich dachte mir, daß du dich verabschieden wolltest. Fällt nicht leicht, ein so hübsches Mädchen zurückzulassen.« Ich sah ihn an. »Drusilla war das erste Mädchen, das mich überhaupt beachtete«, sagte ich. »Frauen finden sonst nicht viel an mir.« »So lange dich ein Mädchen wie Drusilla mag, brauchst du dir keine Sorgen zu machen«, entgegnete er ruhig. »Sie ist eine richtige kleine Lady. Du kannst stolz sein.« Dann sah er das Messer in meiner Hand. Jeder von uns kannte es, denn Baca hatte es dauernd herumgezeigt. »Sammelst du Andenken?« fragte Tom trocken. »War nicht eingeplant.« Ich schob das Messer in den Gürtel. »Bin darüber gestolpert.« Wir ritten ein paar Schritte, und er fragte: »Hast du ihn umgebracht?« »Nein.« »Schade«, sagte er. »Du wirst es nachholen müssen.« Ich war noch niemals mit einem Mann aneinandergeraten, der mich so wenig beeindruckte wie dieser Baca. Ich dachte nur an Drusilla Alvarado und die Tatsache, daß ich mich mit jedem Schritt weiter von ihr entfernte. Die ganze Zeit redete ich mir ein, daß ich ein Narr sei. Dieses Mädchen war nicht für mich bestimmt. Aber das änderte nichts. Von diesem Tag an verstand ich Orrin besser, und er tat mir leid. Meine Meinung über seine Blondine änderte ich allerdings nicht. Der Rotschimmel hatte auch nie was getaugt. Er war gemein und heimtückisch gewesen. Und sie erinnerte mich einfach zu stark an das Pferd. Vor uns sahen wir die Lichter von Fort Dodge. Hinter uns

rumpelten die Wagen in die Nacht hinaus; Ketten klirrten, und die Reiter verständigten sich durch Zurufe. »Tom«, sagte ich, »ich muß schreiben lernen. Es ist sehr wichtig.« »Das läßt sich machen«, erwiderte er sachlich. »Wird mich freuen, es dir beizubringen.« »Und lesen?« »Auch das.« Schweigend ritten wir eine Weile weiter, bis Tom Sunday sagte: »Tye, dies hier ist ein großes Land, wer sich in diesem Land behaupten will, der muß was taugen. Jeder hat die gleiche Chance. Du bist so groß oder so klein, wie du eben bist. Wenn du aber Ehrgeiz hast und etwas aus dir machen willst, dann wirst du es schaffen.« Er wollte damit ausdrücken, daß ich groß genug werden konnte, um der Enkelin Don Luis’ würdig zu sein, das wußte ich. Aber er brauchte es mir gar nicht mehr zu sagen. In diesem Land hier hatte jeder eine Chance – er mußte sie nur wahrnehmen. Die Sterne leuchteten hell. Das Lager lag weit hinter uns. Vor uns in Fort Dodge lachte jemand laut. Jemand ließ einen Eimer fallen, der ein paar Stufen hinunterkollerte. Ein sanfter Wind kam auf, kühl und angenehm. Wir machten unseren ersten Schritt in eine neue Richtung. Wir wollten Wildrinder einfangen. Unser Ziel war der Purgatoire River.

4 Cap Rountree hatte im ganzen weiten Westen Biber gefangen. Er war mit so berühmten Pfadfindern wie Kit Carson und Jim Bridger geritten. Und er kannte das Land vor uns wie ein Indianer. Tom Sunday … Über Tom machte ich mir oft Gedanken. Er war Texaner, sagte er. Und das genügte. Von Rindern verstand er mehr als wir alle zusammen. Orrin und ich, wir kannten alle Kräuter, und wir wußten, wie man im tiefen Wald am Leben blieb. Und wir verstanden was von der Jagd. Das Land, dem wir entgegenritten, war Indianerland. Hier trafen sich die Comanchen, Utas, Arapahoes und Kiowas. Sie jagten hier und kämpften gegeneinander. Manchmal wagten sich sogar Cheyennen in diese Gegend. Dann und wann kamen auch ein paar Apachen hierher, die es nach Norden verschlagen hatte. In diesem Land konnten wenige Minuten der Unachtsamkeit das Leben kosten. Faulpelze und Verantwortungslose hatten hier keinen Platz. Wir orientierten uns immer nach dem Himmel. Die Sterne waren unsere ständigen Begleiter. Cap kannte das Land. Jeder Pfad und jeder Bach waren ihm vertraut. Es gab keine Landkarten, und man konnte niemand nach dem rechten Weg fragen. Also mußte man sich den Weg merken. Am anderen Morgen war die Luft frisch; ein Zeichen, daß wir höher hinauf kamen. Wir ritten durch die Morgenkühle, als wir die Wagen bemerkten. Es waren sieben, verbrannt und teilweise verkohlt. Wir näherten uns ihnen vorsichtig, die Gewehre schußbereit, bis wir an die Überreste der Wagen herangekommen waren.

Die Leute im Osten reden viel von den »armen Indianern«, aber sie mußten sich auch nie mit ihnen herumschlagen. Der Indianer ist ein Kämpfer, das liegt ihm im Blut. Er liebt den Kampf, und der Gedanke an Mitleid ist ihm fremd. Mitleid ist eine angelernte Eigenschaft. Niemand hat sie von Natur aus. Jeder Indianer wuchs in dem Glauben auf, daß es neben seinem Stamm niemand und nichts gäbe; alles andere war der Feind. Dafür konnte der Indianer nichts, denn er wußte es nicht anders. Ein Feind aber mußte getötet werden. Zwei der Männer des Wagenzugs waren mit Armen und Beinen an die Wagenräder gebunden worden. Die Indianer hatten mit Pfeilen Wettschießen auf sie veranstaltet und sie dann skalpiert. Mehrere Frauen lagen auf der Erde, teilweise ihrer zerrissenen Kleider beraubt. Ein Mann war mit seiner Frau in eine Mulde geflüchtet, die etwas abseits lag, und hatte sich dort verteidigt. »Keine Spuren von Verstümmelung«, bemerkte ich. »Sie müssen erst gestorben sein, als die Indianer schon weg waren.« »Nein«, widersprach Cap und deutete auf die MokassinSpuren in der Nähe der beiden Toten in der Mulde. »Sie haben sich selbst getötet, als sie keine Munition mehr hatten.« Er zeigte auf die Rückstände von verbranntem Pulver auf dem Kleid der Frau und an der Schläfe des Mannes. »Er hat erst sie erschossen und dann sich.« Der Mann, der sich in der Mulde verteidigt hatte, hatte ein paar Indianer getötet. Wir fanden Blut an den Grashalmen und schlossen daraus, daß die Indianer vier oder fünf ihrer Krieger verloren hatten. Die Indianer nahmen gewöhnlich ihre Toten mit. »Die beiden sind deshalb nicht verstümmelt, weil sich der Mann tapfer gewehrt hat. Die Indianer respektieren nur einen Kämpfer, sonst gar nichts.« Wir begruben die beiden, wo sie lagen; für die anderen hoben wir ein gemeinsames Grab aus.

Cap fand Briefe, die nicht verbrannt waren, und steckte sie in die Tasche. »Wenigstens etwas können wir für sie tun«, sagte er, »ihre Angehörigen verständigen!« Sunday stand abseits und betrachtete einen der Wagen. »Cap«, sagte er, »komm mal her.« Die Indianer hatten die Wagen in Brand gesteckt; sie waren angekohlt und die Piachen verbrannt. Aber zwei der Wagen hatten nicht richtig Feuer gefangen. »Ich sehe, was du meinst«, sagte Orrin. »Der Wagen scheint einen sehr starken Boden zu haben.« »Zu stark«, sagte Sunday. »Ich glaube, da ist ein zweiter Boden eingebaut.« Er nahm einen Spaten und zwängte ihn zwischen die Bretter, bis sie lose waren und wir sie herunternehmen konnten. Wir fanden ein Geheimfach. Darin lag eine flache eiserne Kassette, die wir aufbrachen. Der Inhalt bestand aus ein paar Säckchen mit Goldmünzen und etwas Silbergeld, alles zusammen etwas mehr als tausend Dollar wert. Einige Briefe lagen ebenfalls in der Kassette. »Das ist besser als Rinder einfangen«, sagte Sunday. »Da haben wir einen schönen Batzen Geld gefunden.« »Aber vielleicht braucht jemand das Geld«, meinte Orrin. »Wir sollten lieber diese Briefe lesen und versuchen, den Eigentümer zu finden.« Tom Sunday sah ihn lächelnd an, aber sein Lächeln war gezwungen. »Das meinst du doch nicht im Ernst. Der Besitzer ist tot!« »Ma könnte das Geld gut gebrauchen, wenn Tyrel und ich es ihr senden würden«, sagte Orrin. »Aber es kann genausogut sein, daß jemand anders dieses Geld genauso dringend benötigt.« Zuerst dachte ich auch, daß er nur Spaß machte. Doch dann merkte ich, daß es ihm ernst war. Da änderte auch ich meine

Meinung. Wir mußten tatsächlich den Eigentümer ausfindig machen und ihm das Geld zukommen lassen. Falls wir niemand fanden, konnten wir das Geld immer noch behalten. Cap Rountree stand nur da und stopfte seine alte Pfeife. Aber er beobachtete Orrin von der Seite. Wir besaßen zusammen keine fünf Dollar mehr. Wir hatten die Packtiere und unsere Ausrüstung gekauft. Den Rest des Geldes hatten wir von Abilene an Ma geschickt. Jetzt wollten wir vier oder fünf Monate hart arbeiten, dabei unsere Skalps riskieren – und es würde nicht mehr Geld dabei herausspringen, als da vor uns lag. »Die Leute sind doch tot, Orrin«, sagte Tom Sunday ärgerlich, »und wenn wir das Geld nicht gefunden hätten, wären Jahre vergangen. Keiner von uns wird in diesem Leben noch einmal tausend Dollar in Gold finden. Und du willst den Eigentümer suchen!« »Was immer wir auch beschließen«, mischte ich mich ein, »wir sollten es woanders tun. Könnte doch sein, daß die Indianer noch in der Nähe sind.« In der Abenddämmerung lagerten wir unter einigen Bäumen am Arkansas River und tränkten die Tiere. Keiner sprach. Jetzt war nicht die Zeit für Auseinandersetzungen. Aber Orrin war mein Bruder … und er war im Recht. Ich bin nicht sicher, ob ich ebenso gedacht hätte wie er. Vielleicht hätte ich gar nichts gesagt, so wie Rountree, der auch kein Wort verlor und nur seine Pfeife rauchte. Als wir den Kaffee tranken, schlug Tom das Thema wieder an. »Wir wären doch verrückt, wenn wir das Geld nicht behalten würden, Orrin. Woher sollen wir denn wissen, wohin wir es schicken müßten? Vielleicht kriegt es ein Verwandter, der den Toten nicht ausstehen konnte. Und niemand braucht das Geld nötiger als wir.« Orrin las gerade einen der Briefe. »Diese Leute haben eine

Tochter zurückgelassen«, sagte Orrin endlich. »Sie ist kaum sechzehn. Sie wohnt so lange bei Freunden, bis sie nachkommen kann. Wenn diese Freunde erfahren, daß ihre Eltern tot sind, was wird dann aus dem Mädchen?« Diese Frage beschäftigte Tom, und sie machte ihn wütend. Er lief rot an und sagte: »Du kannst deinen Anteil ja abtreten! Ich nehme mein Viertel … und zwar gleich. Wenn ich den doppelten Boden in dem Wagen nicht bemerkt hätte, dann wäre das Geld nie gefunden worden.« »Da hast du recht, Tom«, sagte Orrin ruhig. »Aber das Geld gehört trotzdem nicht uns.« Langsam stand Tom Sunday auf. Er war wütend und suchte Streit. Deshalb stand ich ebenfalls auf. »Junge«, sagte er ärgerlich, »halte dich ’raus. Das geht nur Orrin und mich an.« »Es geht uns alle an! Cap und mich genauso wie Orrin und dich. Wir wollten Wildrinder fangen. Wenn wir jetzt schon streiten, dann können wir gleich aufgeben.« »Wenn«, sagte Orrin, »das Geld einem Mann gehört hätte, dann hätte ich mir vielleicht auch überlegt, ob wir es nicht behalten sollten. Aber bei einem so jungen Mädchen weiß man nie, was aus ihm wird, wenn es allein und ohne einen Cent in der Welt steht. Dieses Geld könnte für sie sehr viel bedeuten.« Tom war stolz und eigensinnig und bereit, sich mit uns beiden anzulegen. Da mischte sich Rountree ein und schlichtete den Streit. »Tom«, sagte er leise, »du hast unrecht, und du weißt es. Wir sind zu viert, und in diesem Fall stimme ich für die Sacketts. Du hast doch nichts gegen eine demokratische Abstimmung, oder?« »Das weißt du ganz genau. Wenn du die Sache so darstellst, dann gebe ich natürlich nach. Aber ich glaube trotzdem, daß wir Hornochsen sind.«

»Tom, vielleicht hast du recht, aber ich bin nun mal so ein Hornochse«, sagte Orrin. »Wenn wir unsere Rinder eingefangen haben und du noch immer der Meinung bist, das Geld gehöre uns, kannst du meinen Anteil an der Herde haben.« Tom Sunday sah Orrin groß an. »Du verdammter Narr! Als nächstes singen wir noch alle im Kirchenchor!« »Ich kenne ein paar Kirchenlieder«, lächelte Orrin. »Und jetzt setzt euch. Tyrel richtet unterdessen das Abendessen her. Ich singe euch die Kirchenlieder vor.« Damit war das Problem gelöst … dachten wir. Aber manche Probleme lösen sich nie. Orrin sang tatsächlich seine Kirchenlieder, und danach gab er noch ein paar andere zum besten. Als Orrin schwieg, streckte ihm; Tom die Hand entgegen und schüttelte sie. Von dem Geld wurde nicht mehr geredet. Es wurde weggepackt und scheinbar vergessen. Wenn man eine solche Menge Geld jemals vergessen kann … Wir hatten jetzt das Gebiet der Wildrinder erreicht. Viele dieser Tiere waren den mexikanischen Ansiedlungen im Süden entlaufen. Andere stammten von Wagenzügen, die von Indianern überfallen und vernichtet worden waren. Zweifellos hatten die Indianer zahlreiche Rinder getötet, aber sie zogen Büffelfleisch vor. Manche dieser Rinder hatten sich auch den Büffelherden angeschlossen, die aus dem Süden heraufgezogen waren. Im Jahre 1867 gab es noch genug Büffel. Die Indianer jagten Wildrinder nur dann, wenn sie nichts anderes hatten. Wir durchstreiften das Gebiet südlich des Santa Fe Trail, zwischen dem Purgatoire River und dem Two Buttes Creek. Es war ein weites, wildes Land. Cap erinnerte sich an ein Versteck, in einem Canyon am Fuß eines Berges, wo eine Quelle kühles klares Wasser spendete. Dort gab es auch etwa zweihundert Acres gutes Grasland. Als

wir hinkamen, sah es aus, als ob niemand dagewesen sei, seit Cap Rountree diesen Canyon vor zwanzig Jahren entdeckt hatte. Zuerst legten wir ein Lager an. Die überhängenden Felsen schützten uns vor dem Regen. Direkt vor uns lag eine Wiese, vier oder fünf Acres groß, und in einem nahegelegenen Canyon war noch mehr Platz für die Wildrinder, die wir fangen wollten. Am ersten Tag sammelten wir Brennholz, schichteten Steine zu einer Mauer auf und suchten das Land um unser Versteck ab. Ich schoß einen Hirsch und Cap einen Büffel. Wir brachten das Fleisch ins Lager. Den größten Teil davon dörrten wir. Am nächsten Tag schwärmten wir bei Tagesanbruch aus. Nach einem Ritt von einer Stunde hatten wir schon sechzig oder siebzig Rinder gezählt. Als die Abenddämmerung hereinbrach, hatten wir eine kleine Herde zusammengetrieben. Am dritten Tag waren es bereits mehr als hundert Tiere. Es war eine Arbeit, die viel Geduld erforderte. Wir mußten zwei Dinge gleichzeitig tun: Wildrinder fangen und dabei selbst am Leben bleiben. Wir dachten nicht nur an die Indianer, auch die Rinder waren infolge der Verwilderung oft sehr angriffslustig. Am Abend lagen wir ums Feuer und erzählten uns Geschichten oder dachten daran, wie schön es wäre, wenn jemand für uns kochen würde. Wir hielten das Feuer immer klein und arbeiteten ganz unregelmäßig, so daß die Indianer uns nicht zu einer bestimmten Zeit auflauern sollten. Niemals ritten wir denselben Weg zurück und hielten immer die Augen offen. Wir holten die Rinder aus der Wildnis. Wir schwitzten, wir fluchten, wir schluckten Staub – aber wir fingen sie. Einen Tag sechs, den nächsten zwölf, dann neunzehn, dann wieder nur drei. Wir brachten sie in den Canyon, wo sie Gras und Wasser genug hatten, und sahen mit Zufriedenheit, wie sie Fleisch ansetzten. Dann gab es Ärger. Orrin ritt einen Rotfuchs, den wir in

Dodge gekauft hatten. Er ritt allein einen steilen Abhang hinunter, und das Pferd stürzte. Der kleine Rotfuchs kam gleich wieder auf die Beine und begann zu laufen, aber Orrin hing mit einem Fuß im Steigbügel. Es gab nur einen Ausweg, wenn er nicht zu Tode geschleift werden wollte, und das war auch der Grund, warum Cowboys meistens Revolver trugen: Orrin erschoß den Rotfuchs. Als die Nacht einbrach, war von Orrin noch nichts zu sehen. Wir hatten uns angewöhnt, zeitig zum Lager zurückzukehren, so daß wir vor Einbruch der Dunkelheit noch etwas unternehmen konnten, falls mal was schiefging. Wir machten uns auf die Suche. Tom ritt nach Süden und schlug einen Bogen nach Osten. Cap ritt nach Westen, und ich folgte einem Canyon nach Norden, bis ich eine Anhöhe erreichte. Da sah ich Orrin, wie er anmarschiert kam, den Sattel auf dem Rücken und die Winchester in der Armbeuge. Als er mich entdeckte, legte er den Sattel auf die Erde. Ich ritt zu ihm. »Hast lange genug gebraucht«, brummte er, aber seine Augen blickten nicht unfreundlich. »Ich wollte schon den Sattel verstecken.« »Hättest ja einen Signalschuß abgeben können.« »Die Indianer waren näher als du!« Als wir am Feuer saßen, erzählte Orrin. Er hatte dem toten Rotfuchs den Sattel abgenommen und sich auf den Weg gemacht. Aber er wollte keine direkte Spur zu unserem Versteck hinterlassen. So ging er zunächst weiter den Abhang hinunter und erreichte einen Felsrücken, dem er sechzig, siebzig Meter weit folgte. Es waren neun oder zehn Indianer, und er hatte sie bemerkt, ehe sie ihn gesehen hatten. So legte er sich hin und ließ sie einfach vorbei. Wenn sie in der eingeschlagenen Richtung weiterritten, fanden sie vielleicht das tote Pferd nicht.

»Sie werden es finden«, sagte Cap. »Es ist beinahe dunkel, also werden sie heute nicht mehr weit kommen. Vermutlich lagern sie weiter unten am Bach. Morgen werden sie die Aasgeier sehen.« »Na und?« »Es ist ein beschlagenes Pferd. Sie werden sich kaum die Gelegenheit entgehen lassen, einen einzelnen, unberittenen Weißen umzubringen.« Zu jeder anderen Zeit hätten wir einfach verschwinden können. Jetzt aber hatten wir Besitz, und Besitz verpflichtet. »Meinst du, daß sie uns finden?« »Vermutlich«, sagte Cap. »Wir sollten einen oder zwei Tage im Lager bleiben. Die Pferde brauchen sowieso Ruhe.« Wir saßen da und hatten eine schlimme Ahnung. Wenn uns die Indianer nicht gleich fanden, dann würden sie uns suchen. Das bedeutete, daß wir in dieser Gegend keine Rinder mehr fangen konnten. »Wißt ihr, was ich denke?« Sie blickten mich an. »Ich glaube, wir sollten vorläufig aufhören, nach Santa Fe reiten und die Tiere verkaufen, die wir gefangen haben. Damit wir uns eine richtige Ausrüstung anschaffen können. Wir brauchen drei oder vier Pferde pro Mann.« Tom Sunday schleuderte sein Bowiemesser in den Sand, zog es wieder heraus und starrte gedankenvoll auf die Klinge. »Keine schlechte Idee«, meinte er. »Cap?« »Wenn Orrin einverstanden ist«, entgegnete Cap. »Ich glaube, wir sollten bei Tagesanbruch verduften.« »Das habe ich nicht gemeint«, sagte ich. »Ich wollte sofort aufbrechen … ehe die Indianer den Rotfuchs finden.« Ich hatte nicht auf Orrins Antwort gewartet, weil ich wußte, daß er das blonde Mädchen möglichst bald wiedersehen wollte. Und ich plante ebenfalls einen Besuch. Aber das allein gab nicht den Ausschlag, sondern der Selbst-

erhaltungstrieb. Wenn uns die Indianer entdeckt hatten, dann kamen wir wahrscheinlich nicht mehr mit der Herde weg. Nach Lage der Dinge brauchten sie möglicherweise einen oder zwei Tage, bis sie unsere Spuren fanden. Indessen waren wir viele Meilen von hier entfernt. Deshalb nahm ich meinen Sattel und ging zum Pferd. Es gibt Augenblicke, wo Debatten nutzlos sind. Da muß gehandelt werden. Es ist nicht einfach, eine Herde mitten in der Nacht auf die Beine zu bringen. Aber ich wollte weg von hier. Wir packten und verschwanden. Die Rinder waren satt und faul und wollten nicht laufen, aber wir brachten sie auf Trab. Der Nordstern stand hinter uns, als wir die Richtung nach Santa Fe einschlugen. Als die Sonne über den Horizont stieg, hatten wir sechs Meilen zurückgelegt.

5 Es war nicht einfach, aber wir schafften es. Wir sahen keinen einzigen Indianer. Santa Fe war kleiner, als wir erwartet hatten. Eigentlich war es nicht mehr als ein Haufen Adobehäuser rund um die Plaza. Aber es war doch die größte Stadt, die Orrin und ich je gesehen hatten. Leute standen in den Türen und beschatteten ihre Augen. Drei Mexikaner ritten uns entgegen. Sie galoppierten heran und brüllten so laut, daß unsere Rinder erschraken. Es waren Miguel, Pete Romero und ein Reiter namens Abreu. »Ho!« lachte Miguel. »Ich freue mich, dich wieder zu sehen, amigo. Wir haben schon auf euch gewartet. Don Luis ladet euch zum Abendessen ein.«

»Weiß er denn, daß wir hier sind?« fragte Orrin erstaunt. Miguel warf ihm einen Blick zu. »Don Luis weiß vieles. Ein Reiter brachte die Nachricht.« Die drei blieben bei der Herde, während wir in die Stadt ritten. Wir hielten vor der Kneipe – La Fonda nannten sie die Mexikaner – und ließen unsere Pferde davor im Schatten stehen. Im Lokal war es kühl und ruhig. Die Gäste waren zumeist Mexikaner. Sie sprachen leise miteinander. Ich hatte das Gefühl, ein weitgereister Mann zu sein, der in die Fremde gekommen ist. Ein paar der Anwesenden sprachen uns höflich an. Wir setzten uns und kratzten unser Geld zusammen. Es war nicht viel, aber es reichte für ein paar Gläser Wein und einen Happen zu essen. Irgendwo lachte eine Frau. Während wir saßen, kam ein Offizier der Armee herein. Er war groß, etwa dreißig Jahre alt, trug eine saubere Uniform und hielt sich so aufrecht, als hätte er einen Ladestock im Kreuz. Er hatte einen gewaltigen Schnauzbart. »Sind Sie die Männer, denen die Rinder draußen vor der Stadt gehören?« »Wollen Sie kaufen?« fragte Orrin. »Das hängt vom Preis ab.« Er setzte sich zu uns und bestellte ein Glas Wein. »Ich will offen sprechen, Gentlemen. Es gab eine Dürre, und zahlreiche Rinder gingen zugrunde. Die noch leben, haben kaum Fleisch auf den Knochen. Ihre Rinder sehen gut aus – solche haben wir schon lange nicht mehr gesehen.« Tom Sunday blickte auf und lächelte. »Fünfundzwanzig Dollar pro Rind.« Der Captain warf ihm einen kurzen Blick zu. »Soviel zahle ich natürlich nicht«, sagte er. Dann lächelte er und hob sein Glas. »Auf Ihr Wohl …«

»Wie geht es eigentlich Don Luis Alvarado?« fragte Orrin. Die Miene des Captains verdüsterte sich, und er fragte kalt: »Gehören Sie zu Pritts’ Leuten?« »Nein«, sagte Tom Sunday. »Wir trafen Don Luis in Abilene und ritten ein Stück mit ihm auf dem Weg hierher.« »Don Luis ist einer der Männer, die uns hier in New Mexico willkommen geheißen haben. Ehe wir das Territorium besetzten, war die mexikanische Regierung nicht in der Lage, Truppen auszusenden, um die Kolonisten vor den Indianern zu schützen. Außerdem gab es mehr Handelsverbindungen zwischen Santa Fe und den Vereinigten Staaten als zwischen Santa Fe und Mexiko. Don Luis war sich dessen bewußt, und die meisten Leute begrüßten uns ebenfalls freundlich.« »Jonathan Pritts bringt amerikanische Siedler hierher«, sagte Orrin. »Mr. Pritts ist ein ehrgeiziger und energischer Mann«, sagte der Captain. »Aber er ist dem Trugschluß verfallen, New Mexico sei bereits Besitztum der Vereinigten Staaten geworden … oder ein Teil der Vereinigten Staaten, sollte ich besser sagen … und daß die Besitzrechte der spanisch sprechenden Bevölkerung plötzlich ungültig geworden sind.« Eine Pause trat ein. »Diese Ansiedler – wenn man sie so nennen will –, die Jonathan Pritts hierherbringt, sind Männer, die Revolver an Stelle von Familien mitbringen.« Ich bestellte mir noch ein Glas Wein, lehnte mich zurück und hörte dem Captain zu, wie er mit Tom Sunday sprach. Der Captain kam aus der Offiziersschule West Point, und er hatte auch eine Menge Bücher gelesen. Man weiß nie, wie wenig man weiß – bis man die Leute reden hört. Bei uns daheim hatten wir die Bibel, und ab und zu brachte jemand eine Zeitung; es gab kaum andere Druckerzeugnisse. Orrin und ich horchten zu. Man kann viel lernen, wenn man gut aufpaßt – und wenn ich schon nichts lernte, dann wurde mir

wenigstens klar, wieviel ich nachzuholen hatte. Das wollte ich auch tun. Wir hatten auf dem Weg nach Santa Fe noch ein paar Rinder gefangen, und zu den Tagespreisen sah es so aus, als ob jeder von uns über tausend Dollar bekäme, wenn wir die Herde verkauften. Am nächsten Tag gingen Orrin und ich in die Postkutschenstation und veranlaßten, daß das Geld aus dem Wagenzug an die Adresse im Osten gesandt wurde. Ich wollte mir die Stadt ansehen. Die schwarzäugigen Señoritas konnten einem Mann schon den Kopf verdrehen. Wenn Orrin sie nur ansehen würde, dann hätte er Laura gleich vergessen. Kein Wunder, daß er sich in sie vergaffte. Wenn man monatelang nichts als ruppige Männer um sich hatte, gefiel einem jede Frau. Als erstes wollte ich baden und mich rasieren. Cap folgte mir. »In der Stadt gibt’s allerhand Dinge, die des Ansehens wert sind«, meinte ich. »Sieh mal, Tyrel, wenn du an das denkst, was ich meine, so solltest du lieber zuerst das Terrain sondieren. Wenn du einer Mexikanerin den Hof machen willst, mußt du darauf gefaßt sein, dich mit ihrem Kerl herumzuschlagen.« »Das wäre die Sache schon wert.« Es war die Zeit der Siesta. Ich ging langsam die Straße hinunter. Ein breites Tor führte in ein langes, schuppenartiges Gebäude. Darin standen mehrere hölzerne Zuber, und das Wasser floß in einem Abzugsgraben durch. Hausgemachte Seife lag herum, und kein Mensch war zu sehen. Sogar eine Pumpe befand sich in dem Haus. Anscheinend war das ein öffentliches Bad, aber es war niemand da, dem ich mein Geld geben konnte. Ich füllte einen Zuber mit Wasser, zog mich aus und stieg hinein. Als ich von oben bis unten voll Seife war, kamen drei Frauen zur Tür herein. Sie trugen große Wäschebündel auf dem Kopf.

Ich starrte sie an. Sie starrten mich an. Da dämmerte es mir, daß ich mich in keinem öffentlichen Bad, sondern in einem Waschhaus befand. Die Mexikanerinnen warfen mir nur einen Blick zu, dann schrien sie auf. Zuerst dachte ich, daß sie Angst hätten, aber sie liefen nicht davon. Sie standen nur da und lachten aus vollem Hals. Ich packte einen Wassereimer, spülte den Seifenschaum vom Körper und griff nach dem Handtuch. Sie rannten hinaus, und draußen schrien und lachten sie weiter. Ich war noch nie so schnell angekleidet, schnallte den Revolvergürtel um und rannte zu meinem Pferd. Es muß schon ein Anblick gewesen sein, wie ich vom Seifenschaum bedeckt in der Wanne stand. Ich trieb meinen Apfelschimmel an und ritt im Eiltempo aus der Stadt. Das letzte, was ich hörte, war Gelächter … Immerhin, ich hatte gebadet. Der Morgen war frisch und klar. Wir trafen uns mit dem Captain und übergaben ihm die Herde. Schließlich einigten wir uns auf zwanzig Dollar pro Rind. Das war ein sehr guter Preis. Als wir in die Stadt ritten, bemerkte mich eine junge Mexikanerin. Sie deutete mit dem Finger auf mich und sprach aufgeregt mit einer zweiten. Dann sahen mich beide an und lachten. Orrin staunte nur so. Sonst sahen die Mädchen zuerst immer auf ihn und beachteten mich gar nicht. »Kennst du diese Mädchen?« »Ich? Hab’ sie noch nie gesehen.« Aber ich konnte mir vorstellen, wie es jetzt weiterging. Die Sache mußte in ganz Santa Fe bekannt geworden sein. Ehe wir zur »Fonda« kamen, waren es mindestens ein Dutzend Mädchen, die alle lachten oder lächelten, als sie mich sahen. Die Kellnerin, die unsere Bestellung aufnahm, erkannte mich plötzlich und begann zu kichern. Als sie in die Küche ging, erschienen in der Küchentür sofort zwei, drei Mädchen, die zu mir herübersahen.

Ich nahm mein Weinglas und versuchte, den Unbeteiligten zu mimen. In Wirklichkeit kam ich mir ziemlich albern vor. Orrin wurde wütend. Das plötzliche Interesse der Mädchen an mir konnte er nicht verstehen. Er war neugierig und ein wenig eifersüchtig zugleich. Santa Fe war eine kleine, aber freundliche Stadt. Die Menschen lebten sorglos in den Tag, und Fremde waren gern gesehen. Die Mädchen liebten es, Fandango zu tanzen, und freuten sich über die Anwesenheit der americanos. Eine süße kleine Mexikanerin fiel mir besonders auf, und wenn sie mir begegnete, blitzte sie mich aus ihren dunklen Augen an. Das verwirrte mich nicht wenig. Sie war auffallend hübsch. Jedesmal, wenn sie auf der Straße an mir vorbeiging, raschelte sie mit ihren Röcken, und ich dachte, daß ich mich gern mit ihr bekannt machen würde, wenn ich nur wüßte, wie man das anfängt. Ihr Name war Tina Fernandez. Am Abend des zweiten Tages klopfte es. Als ich öffnete, stand Fetterson vor der Tür. »Mr. Pritts möchte euch sprechen. Alle vier. Er hat euch einen Vorschlag zu machen.« Wir sahen uns an. Orrin stand auf. Wir anderen folgten ihm. Ein Mexikaner, der an der Theke stand, drehte uns den Rücken zu. Wer mit Jonathan Pritts verkehrte, würde nur wenige Freunde in Santa Fe finden. Aber das beunruhigte mich weniger als die Sorge um Orrin. Vier Männer standen vor der Adobehütte, in der Jonathan Pritts wohnte. Ein paar weitere lungerten am Corral herum. Durch die Tür konnte ich im Inneren des Schlafhauses noch mehr Männer sehen. Alle waren bewaffnet. Ein Mann, der sich mit so vielen Revolvermännern umgibt, ist mit Vorsicht zu genießen. Er würde sie nicht bei sich haben, wenn er nicht damit rechnete, sie zu brauchen. Rountree warf mir einen vielsagenden Blick zu. Sunday blieb

auf der Veranda stehen und nahm eine Zigarre aus der Tasche. Als er nach hinten griff und ein Zündholz am Hosenboden anrieb, knarrten drei Stühle, als die Männer ihre Hände auf die Revolvergriffe legten. Tom tat, als ob er nichts gemerkt hätte, aber ein Lächeln huschte über seine Lippen. Laura kam uns entgegen. Sie trug ein blaues Kleid, dessen Farbe gut zum Blau ihrer Augen paßte, und sie sah wie ein Engel aus. Die Art, wie sie Orrin beide Hände entgegenstreckte und ihn anlächelte, verfehlte ihre Wirkung nicht. Orrin machte Augen, als hätte er einen Schlag mit dem Zaunpfahl erhalten. Cap war ungewöhnlich mürrisch, aber Sunday – immer der große Charmeur – lächelte gewinnend. Manchmal glaubte ich, daß es ihn ärgerte, daß Laura sich für Orrin und nicht für ihn entschieden hatte. Ihr Blick ging an Orrin vorbei und fiel auf mich. Wir hatten denselben Gedanken. Wir mochten uns eben nicht. Jonathan Pritts trat ein. Er trug den langen dunklen Rock eines Predigers. Er verteilte Zigarren aus einem Kistchen, und ich war froh, daß ich nicht rauchte. Orrin nahm die Zigarre an, Tom ebenfalls, nach einem kurzen Zögern. »Ich rauche nicht«, sagte ich. »Vielleicht einen Schluck zu trinken?« »Ich trinke nicht«, sagte ich. Orrin sah mich an, denn er wußte, daß ich ganz gern einen trank. »Ihr habt ein gutes Geschäft mit euren Rindern gemacht«, begann Pritts, »und Männer mit Geschäftssinn gefallen mir. Aber ich würde gern wissen, wie ihr euer Geld anlegen wollt. Ich kann Männer brauchen, die Verstand und Kapital mitbringen; Männer, die das durchführen, was sie sich vorgenommen haben.« Niemand sagte etwas. Er streifte die Asche von der Zigarre und blickte gedankenvoll auf die Glut.

»Möglicherweise gibt es anfangs einige Schwierigkeiten. Die Landbesitzer hier sind keine Amerikaner und haben vielleicht etwas gegen uns.« Orrin ergriff das Wort. »Tyrel und ich sind nach dem Westen gekommen, um Land zu erwerben. Wir suchen eine neue Heimat.« »Ausgezeichnet! New Mexico gehört jetzt zu den Vereinigten Staaten, und es wird Zeit, daß die amerikanischen Bürger davon Gebrauch machen.« Er zog lange an seiner Zigarre. »Wer zuerst kommt, mahlt zuerst.« »Das hört sich so an«, sagte ich, »als ob Sie die alten Eigentümer vertreiben und sich selbst hier festsetzen wollen.« Pritts wurde wütend. Er schwieg, und Laura setzte sich neben Orrin. Ich konnte ihr Parfüm riechen. »Mexikaner haben keine Rechte«, antwortete Pritts. »Das Land gehört den frei geborenen Amerikanern, und wenn Sie bei uns mitmachen, dann werden Sie Ihre Anteile bei der Gesellschaft erhalten, die wir jetzt gründen.« »Wir brauchen ein Heim für unsere Ma«, sagte Orrin. »Wir wollen ein Stück Land.« »Wenn wir es uns einfach nehmen wollen, wird es Blutvergießen geben«, sagte ich. »Aber zunächst sollten wir uns Mr. Pritts’ Vorschläge schriftlich geben lassen. Wir müssen wissen, was er vorhat und wie er es erreichen will.« Das hatte ich von Pa gelernt. Er hatte immer etwas Schriftliches verlangt. »Das Wort eines Gentleman«, antwortete Pritts reserviert, »sollte genügen.« Ich stand auf. Ich hatte keine Ahnung, was die anderen tun wollten, aber es war mir gleich. Dieser scheinheilige alte Gauner wollte das Land den Leuten stehlen, die jahrzehntelang darauf gelebt und es kultiviert hatten. »Ein Mann, der Land mit Gewalt nehmen will«, sagte ich, »kann sich nicht Gentleman nennen. Die Leute, denen das Land

gehört, sind jetzt ebensogut amerikanische Bürger wie Sie oder ich.« Ich drehte mich um und ging zur Tür. Cap Rountree war nur einen Schritt hinter mir. Tom Sunday zögerte aus Höflichkeit, aber wir vier hatten zusammengearbeitet, deshalb folgte er uns. Orrin blieb ein wenig zurück, aber er kam auch. Pritts schrie uns nach. Seine Stimme zitterte, so wütend war er. »Denkt daran! Wer nicht für mich ist, ist gegen mich! Verlaßt die Stadt und kommt nie mehr zurück!« Keiner von uns war ein Greenhorn. Wir wußten, daß die Männer auf der Veranda nicht zur Dekoration da waren. So bezogen wir wie von selbst Abwehrstellung. »Mr. Pritts«, sagte ich. »Sie haben große Rosinen in Ihrem kleinen Kopf. Machen Sie uns keine Schwierigkeiten, sonst schicken wir Sie dorthin zurück, von wo man Sie schon einmal verjagt hat!« Er war hinter uns hergekommen, aber nun hielt er so unvermittelt an, als ob ihn ein Faustschlag getroffen hätte. Da wußte ich, daß meine Worte der Wahrheit entsprachen. Man hatte ihn aus seiner Heimat verjagt. Er war ein arroganter Kerl und hielt sich für einen wichtigen Mann. Jetzt war er wütend. »Das werden wir sehen!« brüllte er. »Wilson – mach sie fertig!« Rountree blickte in die Richtung des ersten Mannes, der vom Stuhl aufspringen wollte. Es war Wilson. Der alte Cap zögerte keine Sekunde. Er legte Wilson den Revolverlauf hart an den Schädel, und Wilson sank auf den Stuhl zurück. Der Mann, dem Orrin gegenüberstand, spürte eine Revolvermündung an seinem Bauch, und ich beobachtete Pritts über den Lauf meines Colts. »Mr. Pritts«, sagte ich, »Sie sind ein Mann, der Menschen mit vorgehaltenem Revolver zu etwas zwingen will. Wenn Sie auch nur einen Befehl geben, liegen Sie tot auf der Erde, sobald Sie ihn ausgesprochen haben.«

Laura starrte mich haßerfüllt an. Sie hielt große Stücke auf ihren Vater, und jeder, der nicht so wollte wie er, mußte ein schlechter Mensch sein. Wer immer sie heiratete, konnte nach Jonathan Pritts nur die zweite Geige spielen. Pritts sah aus, als ob ihm etwas im Hals stecken geblieben wäre. Er starrte auf meinen Navy Colt und wußte, daß es mir ernst war. »Na gut«, sagte er mit erstickter Stimme. »Ihr könnt gehen.« Wir gingen zu unseren Pferden. Keiner sagte ein Wort. Als wir in den Sätteln saßen, wandte sich Orrin an mich. »Verdammt noch mal, Tye, du hast ihm einen harten Brocken zu schlucken gegeben. Du hast ihn einen Dieb genannt!« »Das Land, auf das er spekuliert, gehört Alvarado. Wer es sich zu Unrecht aneignet, ist ein Dieb.« Diese Nacht schlief ich kaum, weil ich darüber nachdachte, ob ich auch richtig gehandelt hatte. Aber ich war überzeugt davon, und ich war auch sicher, daß meine Gefühle für Drusilla nichts damit zu tun hatten. Am nächsten Morgen sah ich Fetterson mit einer Bande von etwa vierzig Männern aus der Stadt reiten. Wilson war bei ihnen. Wilsons Hut saß nicht richtig, wegen der Beule an seinem Kopf. Sie ritten nach Nordosten. Als das letzte Haus hinter ihnen lag, sprang ein junger Mexikaner auf einen schnellen Rotfuchs und ritt in die Berge, als ob der Teufel hinter ihm her wäre. Anscheinend hatte Don Luis sein eigenes Warnsystem und würde bereit sein, ehe Fetterson ankam. Orrin trat ins Freie und steckte das Hemd in die Hose. Er schien ziemlich verärgert. »Du hattest keinen Grund, derart gegen Mr. Pritts vorzugehen.« »Wenn er ein ehrlicher Mann wäre, hätte ich kein Wort verloren.« Orrin setzte sich. »Tyrel«, sagte er endlich, »du solltest denken, ehe du redest. Ich mag das Mädchen.«

Ja … das war schlimm. Ich vertraute Orrin. Er war meist klüger als ich; aber in bezug auf Pritts irrte er. »Tut mir leid, Orrin. Wir besaßen nie viel. Aber was wir hatten, war ehrlich erworben. Wir brauchen ein Heim für Ma. Wenn wir es mit Blut erkaufen müßten, würde sie es nicht haben wollen.« »Na ja … verdammt, du hast recht, Tyrel. Ich wollte nur, du wärest mit Mr. Pritts nicht so grob umgesprungen.« »Tut mir leid. Aber ich war es, und nicht du. Niemand kann dich für die Handlungen deines Bruders verantwortlich machen.« »Tyrel, red jetzt keinen Quatsch. Ohne dich läge ich schon unter der Erde, und niemand weiß das besser als ich.«

6 Wir deponierten unser Geld bei der Express Company in Santa Fe. Dann sattelten wir die Pferde, um noch mehr Rinder am Purgatoire River zu fangen. Dieses Mal hatten wir eine bessere Ausrüstung. Ich ritt noch immer den Apfelschimmel. Ein besseres Pferd gab es kaum. Jeder von uns hatte jetzt noch vier Ersatzpferde, und ich glaubte, daß ich mir die richtigen ausgewählt hatte. Das erste war ein grulla, ein mausgrauer Mustang. Seinem Temperament nach war er eine Kreuzung zwischen einem störrischen Maultier und einem gereizten Berglöwen. Er war bösartig, aber zäh und ausdauernd. Ich nannte ihn Satan. Dann hatte ich noch das Buckskin-Pony, das es durch jede Wüste schaffen würde. In mancher Beziehung war es das verläßlichste Pferd, das ich besaß. Ich nannte es Buck. Kelly war ein großer Brauner mit einer ausladenden Kruppe.

Alle Pferde hatte ich bar bezahlt; Satan allerdings hatte ich fast geschenkt bekommen. Der Verkäufer war froh, daß er ihn los war. Als ich Satan das erste Mal ritt, schüttelte er mich gewaltig durch. Als ich abstieg, blutete meine Nase. Aber er wußte, wer sein Herr war. Mein viertes Pferd kaufte ich von einem Indianer. Wir hatten fast den ganzen Tag mit den Mexikanern gefeilscht, und dieser Indianer saß abseits und sah uns zu. Es war ein kräftig gebauter Mann vom Stamm der Nez Perce, die oben in Idaho und Montana ihre Jagdgründe hatten. Er saß bei Sonnenaufgang schon am Corral, und gegen Mittag fiel mir auf, daß er noch keinen Bissen gegessen hatte. »Du bist weit weg von zu Hause«, sagte ich und schnitt ein Stück von meinem Fleisch ab und gab es ihm. Er sah mich an, lange und abschätzend, dann nahm er das Fleisch. Er aß es langsam, wie ein Verhungernder, der nicht viel auf einmal essen kann, weil sein Magen zusammengeschrumpft ist. »Sprichst du englisch?« »Ich sprechen.« Ich teilte meine Mahlzeit mit ihm. Als wir fertig waren, erhob er sich. »Komm – Pferd sehen.« Das Pferd war ein schönes Tier, ein Rotschimmel mit weißen Flecken. Man nannte diese Art Pferde Appaloosa. Das Tier war so kräftig gebaut wie sein Besitzer. Ich gab ihm für das Pferd meine alte einschüssige SpencerRifle – am Tag zuvor hatte ich mir ein 44er HenryRepetiergewehr gekauft – und Lebensmittel. Außerdem noch meine alte Decke. Eine Woche, nachdem wir Santa Fe verlassen hatten, fanden wir einen Platz an einer Flußkrümmung zwischen den Felsen. Als wir dort das Lager aufgeschlagen und befestigt hatten, über-

ließen die anderen es mir, auf die Jagd zu gehen. Wir wollten hauptsächlich von Wild leben und unseren Proviant möglichst nicht angreifen. Der Appaloosa war schnell und klug. Ich sattelte ihn am nächsten Morgen und folgte einem Wildwechsel. Das Land hier lag ziemlich hoch. Hochebenen gingen in lange Höhenrücken über, auf denen Fichten, Wacholdergebüsch und Zwergkiefern wuchsen. Dann sah ich einen Hirsch … und gleich darauf noch einen. Ich band den Appaloosa fest und näherte mich ihnen mit dem Gewehr. Ich kam bis auf fünfzig Meter an den ersten Hirsch heran und schoß ihn ab. Dann feuerte ich auf den zweiten und traf ihn ebenfalls. Rasch weidete ich die beiden Tiere aus, legte die besten Stücke in die Felle und stieg aufs Pferd. Als ich nach etwa zwei Meilen aus dem Hochwald herauskam, lief ein halbes Dutzend Büffel vor mir vorbei. Kein Büffel läuft ohne Grund. Ich hielt am Waldrand an. Sie kamen hintereinander herangeritten: neun Krieger. Nach Caps Berichten hielt ich sie für Utas. Meist kämpfe ich lieber an Ort und Stelle, denn wenn man davonläuft, bietet der Rücken ein breites Ziel. Aber es gibt Gelegenheiten, wo man sich stellen muß, und Gelegenheiten, wo es besser ist zu fliehen. Der kluge Mann wählt immer das Richtige im richtigen Augenblick. Zuerst verhielt ich mich ganz ruhig. Sie kamen immer näher. Wenn sie mich nicht bemerkten, dann würden es ihre Pferde tun. Wenn ich aber versuchte, in den Wald zurückzureiten, mußten sie mich hören. Ich legte die Henry quer über den Sattel, schickte ein Stoßgebet zum Himmel und hatte fast dreißig Meter zurückgelegt, bevor sie mich sahen. Einer mußte gerufen haben, denn sie blickten alle zu mir her.

Indianer machen Fehler wie andere Menschen auch. Wenn sie sich alle zugleich umgewandt hätten und auf mich zugekommen wären, dann hätte ich in den Wald zurückweichen müssen, und sie hätten mich gehabt. Aber einer der Indianer war übereifrig und hob sein Gewehr. Als er das Gewehr hob, gab ich meinem Pferd die Sporen. Aber in dem Sekundenbruchteil, ehe ich ihm die Sporen gab, schoß ich. Meine Kugel traf. Nicht den Indianer, der auf mich anlegte, sondern den, der das beste Pferd hatte. Der Indianer schoß vorbei. Dann ging die Jagd los. Ich wollte so schnell wie möglich von hier verschwinden. Nachdem ich einen von ihnen ausgeschaltet hatte, wollten sie mich unbedingt erwischen. Mein Pferd raste mit angelegten Ohren los. Mein nächster Schuß ging daneben. Bei der Schnelligkeit des Pferdes konnte es nur Zufallstreffer geben. Sie kamen jetzt in einem spitzen Winkel auf mich zu. Wenn ich nicht sofort etwas unternahm, mußten sie mich erwischen. Ich griff den ersten Indianer an, Er ritt fünfzig Meter vor den übrigen. Welcher Schuß sein Pferd traf, weiß ich nicht, denn ich feuerte viermal. Das Pferd brach zusammen. Der Reiter flog kopfüber aus dem Sattel ins Gras. Als ich an ihm vorbeikam, schoß ich noch einmal auf die reglose Gestalt. Für eine oder zwei Minuten hatte ich sie durcheinandergebracht, Sie änderten die Richtung. Es gab ein Durcheinander. In der Zwischenzeit fand ich ein trockenes Bachbett, ritt darin entlang und dann in die offene Prärie hinaus. Ich war acht oder zehn Meilen von unserem Lagerplatz entfernt und wollte die Indianer auf keinen Fall hinführen. Da bemerkte ich die Mulde. Ich zügelte mein Pferd, und wir glitten in die Mulde hinunter. Ich sprang ab, stieß meine Schultern gegen das Tier und

zerrte an seinem Vorderlauf, um es umzuwerfen. Aber der Appaloosa wußte genau, was ich wollte. Er legte sich sofort nieder, als ob er abgerichtet worden wäre … was wahrscheinlich der Fall war, denn die Nez-Perce benutzten gern Appaloosas als Kampfpferde. Ich ließ mich auf ein Knie nieder, zielte auf die Brust des nächsten Indianers und drückte ab. Einen Augenblick lang glaubte ich, daß ich ihn nicht getroffen hatte, dann warf sein Pferd einen toten Indianer ins Gras. Im Moment war es still. Und heiß. Ich klopfte dem Appaloosa beruhigend auf die Kruppe. »Ruh dich schön aus, dann schaffen wir es schon.« Das Pferd rollte die Augen, als ob es meine Worte verstand. Die Stille war unnatürlich. Der Abhang lag verlassen da. Die Indianer waren von ihren Pferden gesprungen und hatten blitzschnell Deckung gesucht. Ich lag in der Mulde, spürte die Sonne auf dem Rücken und war mir im klaren darüber, daß jeder Augenblick mein letzter sein konnte. Drei Utas lagen im Gras, sechs waren noch übrig. Sechs zu eins ist ein schlechtes Verhältnis, aber wenn man kühles Blut bewahrt und sich ganz auf den Kampf konzentriert, ist die Lage nicht hoffnungslos. Meine Feldflasche war voll, ich hatte Dörrfleisch in den Satteltaschen, außerdem noch Frischfleisch und ausreichend Munition. Sie würden versuchen, mich zu umgehen. Hinter der Mulde, keinen Meter entfernt, blockierte eine kleine Bodenwelle meine Sicht. Ich nahm das Bowiemesser und grub einen Graben durch das Erdreich, das die Sicht behinderte. Das Messer hatte eine neunzöllige Klinge, rasiermesserscharf, und ich arbeitete rasch. Binnen weniger Minuten hatte ich es geschafft. Jetzt konnte ich den sanften Hang hinuntersehen. Es war auch höchste Zeit. Vier Indianer kamen gebückt auf mich zugerannt. Mein Schuß ging daneben … ich hatte zu hastig gefeuert. Aber sie warfen

sich hin. Wo vorher die Indianer gelaufen waren, bewegte sich nur mehr leicht das Gras im Wind. Jetzt krochen sie auf den Bäuchen heran. Ich nahm das Risiko auf mich und sprang auf. Sofort bemerkte ich einen kriechenden Indianer und schoß. Dann ließ ich mich in mein Loch zurückfallen, während die Kugeln aus allen Richtungen pfiffen. Ein zweites Mal konnte ich das nicht mehr tun, denn jetzt waren sie darauf vorbereitet. Hoch über mir zogen weiße Wolken dahin. Ich drehte mich um und kroch an den Graben, den ich mit dem Bowiemesser angelegt hatte. Gerade im rechten Augenblick. Ein Indianer kam den Abhang heraufgehuscht, geduckt und sehr schnell. Ich ließ ihn kommen. Es war höchste Zeit, daß sich das Kräfteverhältnis zu meinen Gunsten verschob. Ich legte das Gewehr zurecht und lockerte den Colt im Halfter. Mit dem nächsten Sprung mußte der Uta heran sein. Die Minuten vergingen. Der Schweiß lief mir über Gesicht und Hals. Irgendwo schrie ein Adler. Schweiß und Staub juckten auf meiner Haut. Als eine Pferdebremse sich auf meinem Appaloosa niederließ, schlug ich sie mit der flachen Hand tot. Eine Heuschrecke sprang hoch, fiel fünfzehn Meter von mir entfernt ins Gras und sprang sofort wieder davon. Das genügte mir als Warnung. Ich zielte auf die Stelle und warf vorher einen Blick über die Schulter. Als ich wieder geradeaus blickte, schnellte ein Uta aus dem Gras und kam auf mich zu. Ich hatte richtig vermutet. Er sprang an der Stelle auf, wo ich die Heuschrecke beobachtet hatte. Das Visier zeigte auf seine Brust, als ich abdrückte. Er brach zusammen. Hinter mir raschelte es im Gras. Ich rollte mich herum und riß den Colt heraus. Zwei Schüsse krachten, ehe ich den Aufprall der Kugel spürte. Die Utas verschwanden, und dann war ich allein mit meiner blutenden linken Schulter, die langsam taub wurde. Ich rutschte auf den Boden der Mulde, fühlte mich sterbens-

übel und preßte mein Taschentuch gegen das Einschußloch. Die Kugel war glatt durchgegangen, und meine linke Seite war voll Blut. Ich zerriß das Taschentuch und versuchte das Ausschußloch auch zu verstopfen. Jetzt wußte ich, daß es schlimm um mich stand. Trotz der Hitze und dem plötzlichen Schwindelgefühl schob ich frische Patronen in meine Waffe. Dann zog ich den Stöpsel aus der Feldflasche und spülte mir den Mund aus. Das Wasser schmeckte lauwarm und brackig. In meinem Kopf begann es zu hämmern. Der Geruch des Schweißes und des trockenen Grases wurde stärker. Über mir war der Himmel gelb und heiß wie Messing. Aus weiter Ferne flog ein Aasgeier herbei. Ich haßte den Gestank. Ich haßte die Hitze und den Aasgeier, der geduldig seine Kreise zog. Er konnte leicht geduldig sein – denn er wußte, daß jedes Lebewesen einmal sterben mußte. Ich kroch zum Rand der Mulde, und meine Blicke suchten das Gelände vor mir ab, das vor meinen Augen tanzte. Ich versuchte zu schlucken und konnte es nicht; die kühlen Berge von Tennessee waren plötzlich sehr weit weg. Im Delirium sah ich, wie meine Mutter in ihrem alten Schaukelstuhl saß, und Orrin kam mit einem Eimer kühlen, klaren Wassers von der Quelle herauf. Ich aber lag in einem Dreckloch in Colorado, mit einer Wunde in der Schulter, und die Utas warteten nur darauf, mich skalpieren zu können – und dann fiel mir plötzlich ein, was für ein Tag heute war. Heute hatte ich Geburtstag. Heute wurde ich neunzehn Jahre alt. Eine Stunde … oder war es länger? Mindestens eine Stunde war seit dem letzten Angriff vergangen. Genau wie die Aasgeier brauchten die Utas sich nur Zeit zu lassen, und was bedeutet Zeit schon für einen Indianer.

7 Die Kiefern warfen lange Nachmittagsschatten über den Abhang, als ich den nächsten Schluck Wasser trank. Zweimal hatte ich das Maul meines Pferdes befeuchtet. Es wurde unruhig. Ich durfte keine Minute die Augen schließen. Sie waren noch immer da und wußten vermutlich, daß ich verletzt war. Die Schulter schmerzte teuflisch. Und dann sah ich sie den Abhang heraufreiten. Sie kamen direkt auf die Mulde zu, hielten an und grinsten aus den Sätteln auf mich herunter. Ich war noch nie so froh gewesen, Menschen zu sehen. »Ihr kommt gerade zum Abendbrot zurecht«, sagte ich. »Nehmt die Stühle und setzt euch. Das Wasser kocht schon, und der Kaffee ist gleich fertig.« »Er redet im Fieber«, grinste Tom Sunday. »Er ist übergeschnappt.« »Das macht die Hitze«, stimmte Orrin zu. »Eingegraben wie er ist, könnte man glauben, er schießt sich mit Indianern herum.« »Halluzinationen hat er«, fügte Rountree hinzu. »Typischer Fall von Präriekoller.« »Falls einer von euch vom Pferd steigen will«, sagte ich, »dann prügle ich ihn windelweich. Mit einer Hand. Wo habt ihr denn gesteckt? Im kühlen Schatten gedöst, was?« »Der fragt, wo wir gesteckt haben!« rief Sunday. »Und dabei sitzt er in einem hübschen schattigen Loch, während wir uns zu Tode schuften.« Rountree ritt in einem großen Bogen um die Mulde, und als er zurückkam, sagte er: »Du scheinst dir ein bißchen Abwechslung verschafft zu haben. Nach dem Blut auf dem Gras zu schließen, hast du zwei erlegt.«

»Dann verfolg mal die Spuren weiter.« Jetzt wurde ich ernstlich böse. »Wenn ich nicht fünf von neun Utes erwischt habe, dann zahle ich die nächste Runde.« »Nur drei ritten weg, als wir kamen«, meinte Sunday. Die nächsten drei Tage mußte ich kochen. So wird man behandelt, wenn man eine Schulterverletzung hat. Cap hatte einige Übung darin, Wunden zu verbinden. Er bereitete einen Sud von Kräutern, mit dem er die Verletzung behandelte. Er reinigte die Wunde, indem er einen Pfeilschaft durchzog, um den ein whiskygetränktes Tuch gewickelt war. Am fünften Tag saß ich wieder im Sattel. Aber Satan rührte ich nicht an. Ich ritt den Apfelschimmel und Buck und den Appaloosa, der mir aufs Wort gehorchte. Wir kämmten alle Schluchten durch und trieben die Tiere in einen rasch gezimmerten Corral. Es war eine Sauarbeit. Hie und da fanden wir Tiere mit Brandzeichen, die von anderen Herden weiter im Osten davongelaufen oder von den Indianern davongetrieben worden waren. »Vielleicht sollten wir es einmal in Abilene versuchen«, schlug ich vor. »Die Preise sind dort höher.« Wir machten uns mit rund siebenhundert Rindern auf den Weg. Siebenhundert Rinder können von vier Mann gerade noch getrieben werden, wenn sie schuften wie die Irren und Glück haben. Während des Treibens ließen wir unser Vieh grasen, denn wir wollten fette Rinder verkaufen. Im Corral im Canyon hatten sie an Gewicht zugenommen, weil sie nur herumstanden und fraßen. Am ersten Abend lagerten wir nach einem langen Marsch. Das Vieh war müde. Orrin blieb neben mir stehen. »Tyrel, ich wünschte, du und Laura verstündet euch besser.« »Wichtig ist, daß du sie magst, Orrin. Ich bin, wie ich bin. Aber etwas an ihr gefällt mir nicht. Ich glaube, du wirst immer nach ihrem Alten die zweite Geige spielen.«

»Das ist nicht wahr«, sagte er, aber er schien selbst nicht ganz überzeugt davon zu sein. »Ma wird auch nicht jünger«, meinte er nach einer Weile, »und wir sind schon ein Jahr von zu Hause fort.« Ein Coyote jaulte, sonst regte sich nichts. »Wenn wir die Herde verkaufen, dann besitzen wir mehr Geld, als je ein Sackett auf einem Haufen gesehen hat. Ich glaube, wir könnten uns Land kaufen und eine Ranch aufbauen. Dann sollten wir was lernen. Besonders du, Orrin. Du kannst es noch weit bringen.« Orrin war ein paar Minuten in seinen Gedanken weit weg. »Das hatte ich auch vor«, sagte er dann. »Du kannst doch reden, Orrin. Du kannst es noch bis zum Gouverneur bringen.« Wir trieben die Tiere an Fort Dodge vorbei nach Abilene. Diese Stadt war unterdessen weit in die Prärie hineingewachsen. Ein Saloon lag neben dem anderen. Alle hatten vierundzwanzig Stunden täglich geöffnet und waren gerammelt voll. Wo man hinsah, erblickte man Rinder aus Texas. »Wir sind in die falsche Stadt geraten«, sagte Cap säuerlich. »Wir hätten in Dodge verkaufen sollen.« Wir trieben die Herde zu einem engen Kreis und sahen vier Reiter auf uns zukommen. Zwei von ihnen sahen wie Viehkäufer aus. Die beiden anderen gefielen mir nicht. Orrin unterhielt sich mit den beiden ersten, Charlie English und Rosie Rosenbaum. Rosenbaum war ein untersetzter Mann mit sanften blauen Augen. Ich konnte sehen, daß er etwas von Viehzucht verstand. »Wie viele Tiere haben Sie?« fragte er Orrin. »Gestern Abend waren es noch siebenhundertvierzig«, sagte Orrin, »und wir wollen schnell verkaufen.« Die beiden anderen hatten sich die Herde angesehen und waren herangekommen.

»Kann ich mir denken«, sagte der eine. »Das sind gestohlene Rinder.« Orrin blickte ihn an. »Meine Name ist Orrin Sackett, und ich habe noch nie in meinem Leben etwas gestohlen.« Er machte eine Pause. »Und mir ist auch noch nie etwas gestohlen worden.« Der Mann sah ihn finster an. »Ihr habt Two-Bar-Rinder in eurer Herde«, sagte er. »Ich bin Ernie Webb, Vormann der Two-Bar-Ranch.« »Wir haben Two-Bar-Rinder in der Herde. Wir haben sie oben in Colorado gefangen, zusammen mit wilden Rindern. Falls Sie die Tiere beanspruchen, holen Sie Ihren Boß, und wir werden uns einigen. – Aber er wird uns für den Auftrieb der Rinder bezahlen.« »Dazu brauche ich meinen Boß nicht«, antwortete Webb. »Ich regle das allein.« »Jetzt mal langsam«, mischte sich Rosenbaum ein. »Das ist doch nicht nötig. Sacketts Vorschlag klingt vernünftig. Holen Sie Ihren Boß, und wenn die Sache erledigt ist, kaufe ich die Herde.« »Halten Sie sich da ’raus«, sagte Webb und behielt Orrin fest im Auge. »Das ist eine gestohlene Herde. Wir nehmen uns die Tiere.« Ein paar Cowboys waren wie zufällig näher gekommen. Ich konnte mir ihre Absichten ausmalen. Webb und sein Begleiter konnten mich nicht sehen, da Sunday zwischen uns stand. Sie waren Orrin noch nie begegnet, aber mich kannten sie sicher noch von damals, als wir uns in der Prärie von Ost-Kansas getroffen hatten. »Cap«, sagte ich. »Wenn sie Streit suchen, können wir ihnen behilflich sein.« Ich ritt an Tom vorbei und blieb an der Flanke der beiden stehen. »Tom, vielleicht war dieser Mann einmal Vormann auf der Two-Bar, aber ich kenne ihn als Mitglied von Back Rands Bande.«

Cap war aus dem Sattel gestiegen und hielt sein Pferd zwischen sich und den herankommenden Cowboys. Sein Gewehr hatte er quer über den Sattel gelegt. »Ihr könnt die Herde haben«, sagte Cap, »aber nicht so ohne weiteres.« Die Reiter hielten an. Rosenbaum befand sich genau in der Mitte zwischen den Gruppen, wo er den Kugeln am meisten ausgesetzt war, aber er blieb gelassen. Für einen Mann, den das alles nichts anging, zeigte er eine Menge Mut. Webb wandte sich zur Seite und sah mich an. Orrin fuhr fort, als ob er nicht unterbrochen worden wäre: »Mr. Rosenbaum, Sie kaufen die Herde und holen alle Tiere heraus, die ein Brandzeichen tragen. Wir werden uns mit den Besitzern der Tiere ins Einvernehmen setzen. Aber niemand nimmt uns die Tiere weg.« »Das ist doch dieser vorlaute Bursche«, sagte Webb. »Eines Tages wird ihm jemand sein großes Maul stopfen.« »Versuchen Sie’s doch mal«, forderte ihn Orrin auf. Ernie Webb konnte sich entscheiden. Es lag an ihm, zu handeln. Wir verkauften die Rinder, das Stück für zweiunddreißig Dollar. Rosenbaum gab zu, daß es die am besten genährten Tiere waren, die er dieses Jahr in Abilene gesehen hatte. Unsere Herde war über Weiden gekommen, über die sonst keine Rinder getrieben wurden, und Wasser hatte es immer genug gegeben. Wir hatten das zweite Mal Glück gehabt. Ein drittes Mal wollten wir Fortuna nicht herausfordern. Als das Geld in unseren Taschen klimperte, kauften wir uns dunkle Stoffanzüge, weiße Hemden und neue Hüte. Wir waren mehr als zufrieden und dachten nicht, daß wir es noch besser hätten treffen können. Big John Ryan kam herbei und unterhielt sich mit uns über Vieh. »Seid ihr die Sacketts?« »Wir sind’s.«

»Ich habe gehört, ihr hattet ein paar Tumbling-Rinder in eurer Herde?« »Jawohl. Nehmen Sie bitte Platz.« Orrin gab ihm die gewünschte Auskunft. »Sieben Stück einschließlich eines scheckigen Stiers mit einem abgebrochenen Horn.« »Ist der alte Teufel noch am Leben? Der hätte mich ein paar Mal beinahe eine ganze Herde gekostet, und wenn ich ihm begegnet wäre, hätte ich ihn niedergeschossen. Der Kerl geht durch, wenn jemand bloß der Hut aus der Hand fällt, und nimmt gleich die ganze Herde mit.« »Dann bekommen Sie Geld von uns. Bei zweiunddreißig Dollar pro Rind dachten wir …« »Vergessen Sie es. Was denn … wenn einer den Mut hat, diese Rinder drüben in Colorado einzufangen und hierher zu treiben, dann sollen sie ihm gehören. Außerdem habe ich gerade zwei Herden von nahezu sechstausend Rindern verkauft … sieben Stück machen mich nicht bankrott.« Er bestellte einen Drink. »Ich wollte eigentlich mit euch sprechen, ob ihr für mich eine Herde über den Bozeman Trail heraufbringen wollt.« Orrin sah mich an. »Tom Sunday versteht am meisten vom Vieh. Wir wollen eine Ranch gründen.« »Wie ihr wollt. Meine Herde steht unten am Neuces River und soll zum Musselshell River in Montana gebracht werden. Was halten Sie davon, Sunday?« »Nicht viel. Ich bleibe bei den andern.« Ich besaß jetzt beinahe sechstausend Dollar, die mir allein gehörten, und weitere tausend lagen in Santa Fe. Und ich hatte Angst. Es war das erste Mal in meinem Leben, daß ich etwas besaß, das ich verlieren konnte. Wir wollten eine Ranch, ein Heim für Ma; und wir wollten uns bilden, damit wir mit der Zeit Schritt halten konnten. Das mußte gut überlegt sein.

Eine Stimme unterbrach meine Gedanken. »Sie sind doch Tyrel Sackett?« Es war der Wirt der Drover’s Cottage. »Es ist ein Brief für Sie da.« »Ein Brief?« Vielleicht von Ma … Plötzlich hatte ich Angst. Noch nie hatte mir jemand einen Brief geschrieben. Die Handschrift sah wie die einer Frau aus. Vorsichtig öffnete ich den Brief und faltete ihn auseinander. Ich befeuchtete meine Lippen, setzte mich zurecht und machte mich an die Arbeit – ein Mann, der Rinder treiben konnte, mußte auch mit einem Brief fertig werden. Zuerst entzifferte ich die Stadt: Santa Fe. Dann das Datum. Der Brief war eine Woche nach unserer Abreise aus Santa Fe geschrieben. Lieber Mr. Sackett! Ja, zum Donnerwetter! Wer nannte mich denn Mister? Jeder rief mich Tye, oder Tyrel, oder Sackett. Die Unterschrift lautete: Drusilla. Da wurde mir warm im Nacken. Ich sah mich rasch um, ob es jemand bemerkte. Aber niemand achtete auf mich. Die Alvarados hatten gehört, daß ich in Santa Fe gewesen war, und wunderten sich, daß ich sie nicht besucht hatte. Es hatte Kampf gegeben, als einige Männer versucht hatten, ihnen die Ranch wegzunehmen. Aber die Männer waren wieder verschwunden. Bis auf vier, die begraben wurden. Und dann war Don Luis in die Stadt geritten, um mit Jonathan Pritts zu sprechen. Im Geist konnte ich die beiden alten Männer sehen, wie sie sich gegenüberstanden. Ich wettete jedenfalls auf Don Luis. Der Brief endete mit einer Einladung, die Hazienda Alvarado zu besuchen, wenn ich wieder nach Santa Fe kam. Wie schnell die Zeit verging. Und ich mußte mich jetzt erst einmal daran machen, lesen zu lernen. Eine Zeitung lag herum, die niemand gehörte. Ich nahm sie

an mich. Ich brauchte drei Tage, um mich durch die vier Seiten durchzuarbeiten. In der Stadt gab es einen Mann, der allerlei verkaufte. Ich hatte vor, mir einen zweiten Revolver zu kaufen, und ging zu ihm hin. Ich erstand den Revolver und ein paar Schachteln Munition dazu. Als ich einige Bücher in seinem Wagen sah, kaufte ich sie ebenfalls, ohne sie näher anzusehen. Abend für Abend saß ich am Lagerfeuer und studierte die Bücher. Tom Sunday half mir dabei und erklärte mir viele Worte. Cap Rountree tat so, als ob er sich über die Bücher ärgerte. »Du brauchst noch ein zusätzliches Packpferd für all den gedruckten Quatsch! Hab’ noch nie gehört, daß ein Mann Bücher, mit sich herumschleppt!«

8 Santa Fe lag in der Sonne, als wir in die Stadt ritten. Nichts schien sich geändert zu haben. Dieses Mal wollte ich Drusilla besuchen. Es war das erste Mal, daß ich vorhatte, ein Mädchen zu besuchen. Der Brief von Drusilla blieb mein Geheimnis, und ich hatte nicht die Absicht, jemand etwas davon zu sagen. Nicht einmal Orrin. Für den Besuch ließ ich meinen dunklen Stoffanzug reinigen und bügeln. Es war schon spät am Nachmittag, als ich auf die Ranch hinausritt. Miguel saß am Tor, ein Gewehr über die Knie gelegt. »Señor ! Ich freue mich, Sie zu sehen! Jeden Tag hat mich die Señorita gefragt, ob Sie schon gekommen seien!« »Ist sie zu Hause?«

»Ja, Señor. Es ist gut, daß Sie zurück sind. Auch für uns.« Er deutete auf das Tor. Das Haus war von einer fünf Meter hohen Adobenmauer umgeben. Hinter der Mauer lag ein geräumiger patio. An der Innenseite der Mauer führte ein Wehrgang entlang. Don Luis saß an seinem Schreibtisch und arbeitete. Er erhob sich. »Guten Tag, Señor. Ich freue mich, Sie wieder zu sehen. War Ihr Unternehmen erfolgreich?« Ich setzte mich und erzählte. Ein paar der von uns gefangenen Rinder hatten sein Brandzeichen getragen. Wir hatten sie verkauft, und ich zahlte ihm das Geld aus. »Hier gibt es viel Ärger«, seufzte Don Luis. »Ich fürchte, es ist erst der Anfang.« Er war seit der Zeit, als ich ihn das letzte Mal gesehen hatte, sehr gealtert. Plötzlich wurde mir bewußt, wie gern ich diesen ernsten alten Mann mit seinem weißen Schnauzbart hatte. Er lehnte sich auf dem Stuhl zurück und berichtete. Pritts und seine Leute hatten die Feindseligkeiten eröffnet. Vierzig Männer hatten sich auf Alvarado-Land festgesetzt, das Terrain abgesteckt und sich verbarrikadiert. Don Luis hatte seine Vaqueros klugerweise zurückgehalten. »Viele Wege führen zum Sieg, Señor, und nicht immer sind es die der Gewalt. Bei einem Kampf könnten meine Männer verletzt oder getötet werden. Das wollte ich vermeiden.« Die Eindringlinge wurden überwacht. Sooft Pritts oder Fetterson nach Santa Fe ritten, begannen die Whiskyflaschen zu kreisen, und dann waren die auf dem Land Zurückgebliebenen betrunken. Um drei Uhr morgens, als alle ihre Räusche ausschliefen, hatten die Vaqueros das Lager überfallen. Die Eindringlinge wurden auf ihre Sättel gebunden und nach Santa Fe zurückgeschickt. Ihre Zelte und die Ausrüstung wurden beschlagnahmt oder verbrannt, die Waffen entladen und

ihnen zurückgegeben. Sie waren schon unterwegs, als einige Reiter von Mora herüberkamen und eine Schießerei mit den Vaqueros begannen. Vier der Angreifer wurden getötet, mehrere verwundet. Von Don Luis’ Leuten wurden zwei verletzt, aber keiner ernsthaft. »Der Vorteil war auf unserer Seite«, erklärte Don Luis, »aber Jonathan Pritts ist ein schlauer Fuchs. Er sammelt neue Anhänger.! Außerdem wird er die Schlappe nicht hinnehmen. Es ist schwer«, fügte er hinzu, »ein Projekt wie das seine mit dieser Sorte von Männern durchzuführen. Es sind schlechte Menschen.« »Don Luis«, sagte ich, »darf ich Sie um die Erlaubnis bitten, Miss Drusilla zu begrüßen?« Er erhob sich. »Natürlich, Señor. Wenn ich diese Erlaubnis nicht geben würde, hätte ich den Krieg hier im Haus, und den würde ich verlieren. Wir in New Mexico«, fügte er hinzu, »standen Ihrem Volk immer näher als unserem eigenen. Nach Mexico City ist es weit. Unsere Sitten und Gebräuche wurden von den Ihren beeinflußt. Meine Familie wäre damit nicht einverstanden, aber hier an der Grenze haben wir wenig Zeit für Formalitäten.« Dann hörte ich Drusillas Schritte auf dem Steinboden und wandte mich zur Tür. Mein Herz klopfte bis in den Hals, und mein Mund war vor Aufregung trocken. Im Türrahmen blieb sie stehen und sah mich an. Sie war größer, als ich sie in Erinnerung hatte, und ihre Augen waren leuchtender. Sie war wunderschön, viel zu schön für einen Mann wie mich. »Ich dachte schon, daß Sie uns vergessen hätten«, sagte sie. »Sie antworteten nicht auf meinen Brief.« Ich drehte den Hut in den Händen. »Ich dachte, daß ich schneller hier wäre als der Brief, und außerdem habe ich keine große Übung im Schreiben.«

Eine Indianerin brachte Kaffee und kleine Kuchen, und wir setzten uns. Drusilla saß aufrecht auf ihrem Stuhl. Ihre Hände lagen im Schoß, und ich kam zu dem Schluß, daß sie genauso verlegen war wie ich. »Ma’am, ich habe noch nie einer Lady einen Besuch abgestattet. Ich glaube, ich bin sehr ungeschickt.« Plötzlich kicherte sie. »Und ich habe noch nie den Besuch eines jungen Mannes empfangen«, sagte sie. Danach war es nicht mehr schwierig. Ich erzählte ihr von unserem Trail und den Wildrindern, die wir gefangen hatten, und von meinem Kampf mit den Indianern. »Sie müssen sehr tapfer sein!« Es freute mich, daß sie das dachte, aber während des Kampfes hatte ich mich hauptsächlich darauf konzentriert, keine blaue Bohne verpaßt zu bekommen, und Angst hatte ich natürlich auch gehabt. Wir saßen in dem kühlen, geräumigen Zimmer mit dunklen, massiven Möbeln, und ich fand alles wunderschön. Ich hatte nie zuvor ein derartiges Haus gesehen. Es erschien mir großartig und zeugte von Reichtum und Kultur. Dru machte sich Sorgen wegen ihres Großvaters. »Er wird alt, Tyrel, und ich habe Angst um ihn. Er schläft nicht gut, und manchmal geht er die ganze Nacht in seinem Zimmer auf und ab.« Torres wartete auf mich, als ich eine Stunde später zu meinem Pferd ging. »Señor «, sagte er vorsichtig, »Don Luis mag Sie sehr gern, und die Señorita ebenfalls. Unsere Leute, die mögen Sie auch.« Er sah mich forschend an. »Señor Pritts haßt uns. Er sammelt neue Freunde unter Ihren Leuten. Er gibt eine Menge Geld aus. Ich glaube, er will uns alles wegnehmen.« »Nicht, so lange ich lebe.« »Wir brauchen hier einen Sheriff, einen Mann, der darauf

achtet, daß Gerechtigkeit geschieht.« Er sah mich an. »Wir wollen nichts anderes als Gerechtigkeit.« »Was Sie sagen, ist richtig. Wir brauchen einen Sheriff.« »Don Luis wird alt. Er weiß nicht, was er tun soll. Ich habe mein ganzes Leben für ihn gearbeitet, Señor, und ich glaube nicht, daß Kampf das richtige Mittel ist. Wir müssen etwas unternehmen, so wie es Ihre Leute tun würden. Hier wohnen noch immer mehr Mexikaner als americanos. Eine Wahl würde …« »Ein mexikanischer Sheriff würde euch nichts nützen, Juan. Die americanos würden nicht auf ihn hören. Und erst recht nicht die Gefolgsleute von Pritts.« »Das weiß ich, Señor. Wir sprechen noch darüber.« Als ich an diesem Abend die »Fonda« betrat, stand Ollie Shaddock an der Theke. Er war ein massiver Mann mit blondem Haar und einem breiten fröhlichen Gesicht. »Trink einen mit mir«, lud er mich ein. »Ich habe meinen Job als Sheriff aufgegeben, um deine Ma und die Jungen nach Westen zu bringen.« »Du hast Ma hergebracht?« »Natürlich. Orrin ist schon bei ihr.« Er füllte mein Glas aus seiner Flasche. »Du brauchst mich nicht mehr als Sheriff zu fürchten. Daß du Long erschossen hast, war berechtigt. Ich hätte dich wohl verhaften müssen, aber das Gericht hätte dich freigesprochen. Er hielt die Waffe auf dich gerichtet, ehe du geschossen hast.« Wir sprachen nicht mehr über die Sache. Ich freute mich, daß Ollie Shaddock hier war, und ich war ihm verpflichtet, weil er Ma hergebracht hatte. Ich wollte sie sofort sehen, aber Ollie hatte noch etwas auf dem Herzen. »Die Leute hier respektieren dich«, sagte er. »Ach wo. Du verwechselst mich mit Orrin.« »Weißt du, Tyrel, ich habe über Orrin nachgedacht, seit ich hier bin. Er sollte ein öffentliches Amt bekleiden.«

Ein Vertreter von Recht und Gesetz war in diesem Land auch dringend nötig. »Er dachte auch schon daran«, sagte ich. »Sieh mal, ich hatte schon mehrere Ämter, und ich kenne mich in der Politik aus. Mit siebzehn war ich Deputy Sheriff, mit neunzehn Sheriff, Friedensrichter mit vierundzwanzig, und ehe ich dreißig war, war ich Mitglied der Gesetzgebenden Körperschaft von Tennessee. Dann war ich wieder Sheriff.« »Ich weiß.« »Orrin könnte es auch schaffen. Die Leute mögen ihn. Er ist ein guter Redner, und wenn er sich ein wenig bilden würde, könnte er es noch weit bringen. Das müßten wir schaffen.« »Wir?« »Politik ist wie ein Eisberg, Tyrel. Das meiste davon ist nicht sichtbar. Es ist unwichtig, wie ehrenhaft oder wie tüchtig ein Mann ist – er muß ein Programm haben, das den Leuten zusagt. Sie müssen hinter ihm stehen und ihn unterstützen. Ich weiß, wie man eine Wahl durchpeitscht, und Orrin ist unser Mann. Du kannst ihm auch viel nützen.« »Mich beachten die Leute kaum.« »Wer weiß. Ich stellte fest, daß die meisten Mexikaner eine gute Meinung von dir haben. Sie wissen, daß Orrin und du die Pläne von Pritts ablehnten.« Er lächelte. »Und es sieht so aus, als ob auch die Frauen dich gern hätten. Man hat mir erzählt, daß du ihnen an einem Nachmittag mehr Unterhaltungsstoff verschafft hast, als sie sonst in Jahren haben.« »Jetzt hör mal …!« Ich fühlte, wie ich rot wurde. »Mach dir nichts draus. Die Leute hatten ihren Spaß, und sie mögen dich. Frag mich nicht, warum.« »Du scheinst eine Menge erfahren zu haben, seit du hier bist.« »Jeder auf seine Weise. Ich hab’s eben mit der Politik. Wichtig ist das Zuhören – anfangs. Man muß die Leute, ihre Meinungen und die verschiedenen Strömungen kennen lernen.« Ollie Shaddock trank einen Schluck Whisky und stellte das

Glas wieder auf die Theke. »Tyrel, hier braut sich etwas zusammen. Pritts und seine Leute stecken dahinter. Das sind ausgemachte Rowdies, und wenn sie betrunken sind, wird es bald Tote geben.« »Na und?« »Das müssen wir verhindern. Du und ich und Orrin. Wenn es Krach gibt, muß Orrin einschreiten.« »Er hat kein Amt.« »Überlaß das mir. Wenn es so weit ist, werden die Leute jemand brauchen, der die Verantwortung übernimmt. Dann ist Orrin zur Stelle.« Er kippte seinen Whisky. »Sieh mal … Pritts will Torres umbringen lassen. Wenn erst einmal die Kugeln pfeifen, dann werden diese Halunken übermütig und gehen zu weit. Orrin mischt sich ein. Er ist Amerikaner, also werden die vernünftigen unter den Amerikanern für ihn sein. Du überzeugst die Mexikaner, daß Orrin der richtige Mann ist. Wir lassen Orrin zum Marshal ernennen, schreiben Sheriff-Wahlen aus und beginnen mit der Planung zu einer Gesetzgebenden Körperschaft.« Ollies Worte klangen vernünftig. Ich war perplex, wie rasch und richtig er die Situation einschätzte. Er war erst seit ein paar Wochen hier. Orrin war der richtige Mann. Oder Tom Sunday. »Wie war’s mit Tom Sunday?« »Er hält sich für den Richtigen. Aber er kann nicht so zu den Leuten reden wie Orrin. Orrin mag alle Menschen, und das spüren sie … so wie du die Mexikaner gern hast. Außerdem ist Orrin einer von den unseren.« »Ich glaube, er ist der richtige Mann.« Dann ging ich, um Ma zu begrüßen. Unterwegs dachte ich über Tom Sunday nach. Tom war unser Freund, aber auch ein wenig eifersüchtig auf Orrin. Tom war zwar gebildeter, aber die Leute mochten Orrin lieber. Ma war älter geworden … Sie saß in ihrem Schaukelstuhl,

den Orrie in seinem Wagen nach Westen gebracht hatte, und sie hatte den alten Schal über ihre Knie gelegt. Als ich ankam, schmauchte sie ihre Pfeife und sah mich prüfend an. »Du bist kräftiger geworden. Pa wäre stolz auf dich.« Wir saßen zusammen und redeten über daheim und die Leute, und ich erzählte ihr von unseren Plänen. Sie hatte es nicht leicht gehabt, und ich wollte etwas für sie tun. Für sie und meine Brüder. Bob war siebzehn, Joe fünfzehn. Ma war immer bescheiden, aber sie liebte Blumen und Bäume. Sie liebte Wiesen, deren Gras im Wind wogte, und das leise Pladdern des Regens auf dem Dach, ein warmes Feuer, ihren Schaukelstuhl – und ihre Jungen sollten nicht zu weit weg sein. Ollie Shaddock verlor keine Zeit und ritt nach Mora. Er wollte einen Saloon kaufen, damit er mit den Leuten ins Gespräch kommen konnte. Damals war ein Saloon der Ort, an dem sich die meisten Leute trafen. Orrin und ich ritten in die Berge, um uns eine Heimstatt zu suchen. Wir unterhielten uns über Land, Rinder und Politik und genossen den Tag. Hier sah es ganz anders aus als daheim in den Tennessee-Bergen, die Luft war wunderbar klar, und ich hatte noch nie ein so schönes Land gesehen. Die Berge waren ganz nahe. Plötzlich hatte ich ein ungutes Gefühl. Vielleicht ist es nur der Instinkt, der sich entwickelt, wenn man in einer gefährlichen Gegend reitet. Aber die Sinne sind geschärft, und alles Unnatürliche fällt auf. Wir rochen Staub in der Luft. Es war windstill, aber der Staub war da. Unsere Pferde gingen im Schritt, und ich beobachtete Satans Ohren. Er stellte sie auf, und ich wußte, daß er etwas gewittert hatte. Mein Blick fiel auf einen Zweig, dessen Rinde teilweise abgeschält war. Ich fand mehrere Hufspuren bei einem Gebüsch.

»Drei oder vier. Was meinst du, Tyrel?« »Fünf. Die Pferde müssen zwei Stunden hier gestanden haben, dann kam das fünfte, aber der Reiter hielt nicht an.« Unter einem Baum lagen ein paar Zigarettenstummel und das Ende einer schwarzen Zigarre. Die Pferde waren an diesem Baum angebunden gewesen. Wir waren weiter nach Norden vorgedrungen, als wir eigentlich vorgehabt hatten. Plötzlich kam mir die Erleuchtung. »Orrin – wir sind auf Alvarado-Land!« Er sah sich um, blickte den Weg zurück, den wir gekommen waren, und sagte: »Ich glaube, die legen Torres einen Hinterhalt.« Er führte sein Pferd im Schritt weiter und beobachtete die Hufspuren. Eines der Pferde hatte kleine Hufe und einen tänzelnden Schritt. Wir kannten diese Spur. Wer Spuren lesen kann, unterscheidet sie genauso, wie ein Bankier Unterschriften auseinanderhält. Die kleinen Hufe und der tänzelnde Schritt waren typisch für Reed Carneys Pferd. Es war leicht möglich, daß Carney sich Pritts und Fetterson angeschlossen hatte. Sie schienen auf einen fünften Mann gewartet zu haben, der sie holte. Das konnte bedeuten, daß dieser fünfte ein Aufpasser war, der den Mann beobachtete, den sie umbringen wollten. Das waren allerdings nur Annahmen. Aber was hätten die Kerle sonst hier suchen sollen …? Orrin zog die Winchester aus dem Scabbard. Der Trail wand sich in Serpentinen den Abhang hinauf. Als wir anhielten, befanden wir uns hoch oben auf dem Berg. Die Luft war so klar, daß man meilenweit sehen konnte. Da sahen wir sie. Vier Männer und etwas weiter unten einen fünften. Tief unten im Tal stieg eine kleine Staubwolke auf. Sie stammte vermutlich von dem Reiter, auf den sie lauerten.

Die Männer befanden sich direkt unter uns. Sie gingen in Deckung, von wo aus sie eine Stelle unter Feuer nehmen konnten, die keine sechzig Meter von ihnen entfernt lag. Orrin und ich ließen die Pferde unter den Kiefern stehen. Wir standen am Rand des Hochplateaus, das hier mehr als zwanzig Meter senkrecht nach unten abfiel. Dann führte ein steiler Hang bis zu der Stelle fort, wo die Heckenschützen warteten. Sie hatten ihre Pferde in einem Gebüsch etwa hundert Meter weiter hinten versteckt. Ihr Versteck war ausgezeichnet. Es hatte nur einen Haken: Sie konnten uns nicht entkommen, weder nach rechts noch nach links; sie konnten auch nicht den Hang heraufklettern. Orrin fand einen guten Platz hinter einem Felsblock. Ich bemerkte einen großen Stein und hatte eine Idee. Der Stein lag genau an der Kante und sah aus, als ob er jeden Augenblick hinunterstürzen könnte … wenn man nur ein wenig nachhalf. Ich ging zur Kante und stellte meine Beine gegen den Stein, den Rücken lehnte ich gegen eine verkrüppelte Kiefer. Der Reiter, auf den sie warteten, war schon zu erkennen. Ich stemmte die Stiefelsohlen fest gegen den Stein und begann zu drücken. Der schwere Stein rutschte und stürzte dann langsam, beinahe gravitätisch über die Kante. Er prallte unten auf und rollte den Steilhang hinunter. Die Männer sahen sich überrascht um, standen einen Augenblick wie gelähmt, aber dann rannten sie wie die Schafe auseinander. In dieser Sekunde hob Orrin das Gewehr und feuerte eine Kugel in das Gebüsch, in dem die Pferde standen. Eines der Tiere stieg hoch. Orrin schoß noch einmal. Das Pferd warf den Kopf hoch und riß den Ast ab, an dem es festgebunden war. Es rannte davon. Der Reiter war jetzt genau zu erkennen. Als er den Fuß des Berges erreichte, nahm er den Hut ab und schwenkte ihn. Zögernd hob er die Hand. Er konnte uns auf diese Entfernung

nicht erkennen, aber ich erkannte ihn an seinem gelbbraunen Hut: es war Torres. Einer der Heckenschützen wollte zu seinem Pferd, aber Orrin feuerte eine Kugel direkt vor ihm in den Boden. Der Mann verschwand wieder hinter seiner Deckung. Orrin feuerte noch einen Schuß zwischen die Felsen. Dann lehnte er sich zurück und zündete sich eine seiner langen spanischen Zigarren an. Es war verdammt heiß. Ich hockte mich hinter einen Felsen und trank einen Schluck aus der Wasserflasche. Den Heckenschützen unterhalb von uns war es allerdings noch heißer. »Ich glaube, sie werden zu Fuß nach Haus marschieren müssen«, sagte Orrin. »Das wird sie abkühlen.« Langsam verging eine halbe Stunde, ehe einer der Männer unter uns wieder unternehmungslustig wurde. Meine Gewehrkugel pfiff so nahe an ihm vorbei, daß sie ihm die Barthaare versengt haben mußte. Er duckte sich hinter die Felsen. Dabei konnten wir ihn genau sehen. Wir hätten sie alle erschießen können, wenn wir das gewollt hätten. Dann hörten wir einen Reiter kommen, und ich ging Torres entgegen. »Was war los, Señor es?« Er blickte scharf auf Orrin und mich. »Es sieht so aus, als ob man Sie erwartet hätte. Orrin und ich suchten nach geeignetem Land für eine Heimstatt für uns, und wir stießen auf verdächtige Spuren. Wir folgten ihnen und entdeckten die fünf Männer da unten.« Dann sagte ich, daß wir ihre Pferde verjagen wollten, und er stimmte zu. »Das ist meine Sache, Señor.« Er verschwand. Nach einer Weile sah ich ihn zwischen den Bäumen heraustreten, die Pferde losbinden und sie wegjagen. Als Torres zurückkam, gesellte sich Orrin zu uns. »Sie haben viel für mich getan«, sagte Torres. »Das werde ich nie vergessen.« »Nicht der Rede wert«, antwortete ich. »Einer der Kerle ist Reed Carney.« »Gracias, Señor Sackett«, sagte Torres.

Während wir nach Mora zurückritten, schwieg ich, damit Orrin und Torres sich besser kennenlernen konnten. Ich wußte, daß die beiden sich gut verstehen würden. Torres trennte sich von uns, um zur Hazienda zu reiten, und wir ritten weiter nach Mora. Vor dem Saloon stiegen wir ab und gingen hinein. Mit einem Blick konnte ich feststellen, daß wir uns nicht unter Freunden befanden. Kein einziger Mexikaner war da, obwohl die Stadt hauptsächlich von Mexikanern bewohnt wurde. Auch sah ich etliche Gesichter, die ich vom Pawnee-Felsen her kannte. Wir stellten uns an die Theke und ließen Whisky kommen. Es mußten an die vierzig Männer im Saloon sein; eine schmierige Gesellschaft. Den meisten hingen die ungeschnittenen Haare über die Hemdkragen. Sie waren mit Colts und Bowiemessern bis an die Zähne bewaffnet. Fetterson stand am anderen Ende der Theke. Er hatte uns noch nicht bemerkt. Wir tranken unseren Whisky aus und gingen zum Ausgang. Plötzlich standen wir dem Rothaarigen gegenüber, den ich am Pawnee-Felsen mit meinem Pferd niedergestoßen hatte. Er öffnete den Mund, um etwas zu sagen, aber Orrin legte ihm die Pranke auf die Schulter. »Red! Du alter Halunke! Komm ’raus, damit wir uns in Ruhe unterhalten können!« Red war ein langsamer Denker. Er blinzelte ein paarmal und kapierte nicht, wovon Orrin eigentlich sprach. Wir bugsierten ihn hinaus, ehe er noch Alarm schlagen konnte. Dann wollte er brüllen, aber Orrin lachte dröhnend und schlug ihm noch einmal auf den Rücken, daß ihm der Atem wegblieb. Draußen hielt ich ihm die Messerspitze gegen die Rippen, und er verlor jede Lust am Brüllen. »Moment mal«, protestierte er, »ich habe euch doch nie was getan! Ich wollte nur …« »Du wolltest nur ganz ruhig weitergehen«, sagte ich. »Ich habe auch keine Lust, hier eine Schlägerei anzufangen.«

»Red«, sagte Orrin ernst, »einen Mann wie dich sehen wir gerne. Mutig, gerecht … und noch am Leben.« »Noch am Leben«, wiederholte ich, »aber andererseits würdest du auch eine hübsche Leiche abgeben, Red.« Wir führten ihn aus dem Licht in die Dunkelheit, weit weg von seinen Freunden. Er hatte Angst. Seine Augen waren groß wie Silberpesos. Er sah von einem zum andern. »Was wollt ihr denn von mir?« jammerte er. »Hört mal, ich …« »Red«, sagte Orrin, »oben im Norden gibt es wunderbares Land. Hohe Berge, klare Bäche, haushohes Gras. Ich sage dir, Red – das ist ein Land!« »Und weißt du, was, Red?« fuhr jetzt ich fort. »Wir glauben, daß du dir das Land mal ansehen solltest.« »Davon sind wir überzeugt.« Orrin blieb ganz ernst. »Wir werden dich vermissen, Red. Aber wenn du bleibst, dann treffen wir uns wieder …« »Hast du ein Pferd, Red?« »Ja, natürlich.« Er sah wieder von einem zum andern. »Natürlich habe ich ein Pferd.« »Es wird dir im Norden gefallen. Hier kann es zu heiß werden, Red, und die Luft ist ungesund … bleihaltig. Du solltest aufsitzen und reiten, bis du Montana erreicht hast.« »Jetzt gleich?« »Natürlich. Du wolltest doch schon immer dorthin, Red, du kannst es gar nicht mehr erwarten.« »Ich muß meine Ausrüstung …« »Lieber nicht, Red.« Orrin schüttelte den Kopf. »Lieber nicht.« Er beugte sich zu ihm. »Das Bürgerschutz-Komitee …« Red wand sich. Er leckte sich die Lippen. »Die Luft ist ungesund hier, Red. Es sind schon Leute daran gestorben. Ich kenne ein paar Männer, die darauf wetten, daß du den nächsten Morgen nicht mehr erlebst.«

Wir kamen zu einem Grauen. »Ist das dein Pferd?« Er nickte. »Steig in den Sattel, Red. Nein, behalte den Colt nur. Wenn dich jemand erschießt, dann sieht es besser aus, wenn du bewaffnet bist. Einen Unbewaffneten niederzuschießen ist nicht fair. Spürst du nicht schon das Reisefieber, Red?« Jetzt war er überzeugt. Er stieg in den Sattel und trieb sein Pferd an. Orrin grinste. »Dem haben wir Dampf gemacht!« Dann wurde er wieder ernst. »Ich hätte nicht geglaubt, daß wir unbehelligt aus dieser Spelunke kämen. Die Kerle waren alle betrunken und hätten uns liebend gern gelyncht.« Wir ritten zurück und trafen Cap und Tom Sunday. »Wird auch Zeit. Tom fürchtete schon, daß er dich unter einem Settlement-Mann hervorziehen muß.« »Was heißt das, Settlement-Mann?« »Jonathan Pritts hat eine Gesellschaft gegründet. Er nennt sie Settlement Company, eine Siedler-Gesellschaft. Man kann Anteile kaufen. Wenn man kein Geld hat, kann man die Anteile mit dem Colt erwerben.« Orrin sagte nichts. Er schwieg immer, wenn der Name Pritts’ fiel, Er setzte sich nur aufs Bett und zog seine Stiefel aus. »Weißt du«, meinte er nachdenklich, »unser Gerede über das Land im Norden hat mich selbst beinahe überzeugt. Ich finde, wir sollten alle mal hinaufreiten.«

9 Mora lag ruhig in der warmen Sonne. Nichts rührte sich auf der einzigen Straße. Ich stand auf der Veranda des leeren Hauses, in dem wir uns einquartiert hatten. Orrin schlief im Haus. Ich reinigte mein 44er Henry-Gewehr. Es braute sich etwas zusammen. Wir alle wußten es. Fünfzig oder sechzig Kerle von der Settlement Company hielten sich in der Stadt auf. Sie führten etwas im Schilde, aber ich hatte meine eigenen Pläne und wollte sie nicht durch eine Horde von Störenfrieden zunichte machen lassen. Tom Sunday trat auf die Veranda heraus und blieb neben mir stehen. Er nahm eine seiner dünnen schwarzen Zigarren aus der Tasche und zündete sie an. »Reitest du heute aus?« »Zu dem Platz, auf dem unsere Ranch stehen soll«, sagte ich. »Wir haben etwas Passendes gefunden, acht oder neun Meilen weit von hier.« Er nahm die Zigarre aus dem Mund. »Ich will auch eine Heimstatt haben. Aber zunächst will ich sehen, was hier los ist.« Er ging die Straße hinunter. Tom war nicht dumm. Er wußte, daß Mora einen Gesetzesbeamten brauchte. Dieser Mann wollte er sein. Ich wußte, daß er Orrin nicht den Vortritt lassen würde. Ich dachte daran, was wohl geschehen würde, wenn Orrin und Tom feststellten, daß jeder von ihnen auf dasselbe Amt spekulierte. Orrin würde es ziemlich egal sein. Als ich mein Gewehr gereinigt hatte, sattelte ich mein Pferd und schnallte die Decke auf. Orrin kroch aus dem Bett und kam an die Tür. »Ich komme später nach, oder vielleicht kommt Cap«, sagte

er, »Ich will wissen, was in der Stadt geschieht.« Er ging mit mir zu meinem Pferd. »Hat Tom was gesagt?« »Er will Marshal werden.« Orrin verzog sein Gesicht. »Verdammt noch mal, Tyrel, das habe ich befürchtet. Vielleicht ist er ein besserer Marshal als ich.« »Das würde ich nicht sagen. Immerhin könntest du die Wahl gewinnen, Orrin. Es tut mir leid, daß ihr beide gegeneinander kandidiert. Tom ist ein feiner Kerl.« Wir schwiegen eine Weile. Wir standen in der Sonne und dachten nach. Es war ein schöner Morgen. Kaum zu glauben, daß sich etwas zusammenbraute. »Ich muß mit ihm reden«, sagte Orrin endlich. »Wir müssen offen mit ihm sein.« Ich konnte nur daran denken, daß wir vier jetzt schon zwei Jahre lang zusammen waren. Es waren zwei gute Jahre gewesen. So sollte es auch bleiben. Man hat nicht viele wahre Freunde im Leben. Wir hatten zusammen hart gearbeitet, der Pulverdampf war uns um die Nasen geweht. Nichts verbindet Männer so sehr wie gemeinsam vergossener Schweiß und gemeinsam bestandene Kämpfe. »Mach nur weiter, Orrin. Morgen sprechen wir mit Tom.« Ich wollte dabei sein; denn Tom mochte mich, und er vertraute mir. Er und Orrin hatten vieles gemeinsam, aber in manchem waren sie grundverschieden. Ich brauchte etwas mehr als eine Stunde bis zu der Stelle, wo unsere Ranch stehen sollte. Bäume säumten das Flußufer. Ich schlug das Lager in einer Nische zwischen Felsen auf, band den Appaloosa fest, zog die Stiefel aus und Mokassins an. Dann blickte ich mich um. Ich wählte einen Platz für das Haus, das wir bauen wollten, und für die Corrals. Ich zog das Hemd aus und arbeitete den ganzen Nachmittag, trug Steine beiseite, riß Sträußer aus und schritt die Grundfläche

für das Haus ab. Dann fällte ich junge Bäume und baute einen Corral für unsere Pferde. Später, als es zu dämmern begann, badete ich im Fluß. Ich zog mich wieder an, machte ein kleines Feuer, kochte Kaffee und aß ein Stück Dörrfleisch. Nach dem Essen holte ich ein Buch aus der Satteltasche und begann zu lesen. Ab und zu stand ich auf und ging ein Stück vom Feuer weg und lauschte. Als das Feuer niederbrannte, nahm ich meine Decke und legte mich im Schatten nieder. Ein leichter Wind erhob sich, Wolken segelten am Himmel vorüber und verdeckten die Sterne. Das Geräusch war sehr leise, aber der Appaloosa hatte es auch gehört. Er hob den Kopf, stellte die Ohren auf, und seine Nüstern bewegten sich. »Ruhig«, sagte ich und legte ihm die Hand auf den Hals. Jemand war da draußen in der Nacht und rief meinen Namen. Wenn man blindlings in die Nacht hinausläuft, dann kriegt man früher oder später eine Kugel verpaßt. Ich schlug einen Bogen und bewegte mich ganz leise vorwärts. Schließlich hatte ich wesentlich mehr Feinde als Freunde in dieser Gegend. Kurz darauf sah ich das Pferd und hörte das leise Stöhnen. Ich ging näher. Ein Mann lag auf dem Boden. Er war schwer verletzt. »Señor «, sagte er mit schwacher Stimme. »Bitte … ich bin Miguel … ich komme zu Ihnen … ich …« Ich hob ihn auf und setzte ihn auf sein Pferd. »Halten Sie sich fest. Es sind nur ein paar Meter.« »Sie wollen mich töten. Auch Sie werden Ärger bekommen …« »Ich werde mit ihnen reden«, sagte ich, »und zwar Fraktur.« Er verlor das Bewußtsein. Ich brachte ihn zu meinem Lagerplatz und bettete ihn auf die Decke. Er war schlimm zugerichtet, hatte eine Schußwunde im Schenkel und eine zweite in der

Brust. Die Kugel war glatt durchgegangen. Er war am Ende seiner Kräfte. Ich hatte Wasser am Feuer stehen, zog ihn halb aus und ging an die Arbeit. Zuerst wusch ich das Blut ab und stillte die Blutungen. Bei Tageslicht würde ich ihn dann noch einmal verarzten. Falls er dann noch lebte. Ich hörte die Reiter, die ihn verfolgten. Früher oder später mußten sie den Feuerschein sehen, und dann hatte ich sie am Hals. Ich zerrte Miguel aus dem Lichtkreis des Feuers. Kaum hatte ich das getan, als sie auch schon da waren. »Hallo, am Feuer!« »Was wollt ihr?« »Wir jagen einen verwundeten Mex. Haben Sie ihn gesehen?« »Er ist bei mir. Aber ihr bekommt ihn nicht.« Sie kamen bis ans Feuer. Ich trat an den Rand des Lichtscheins. Einer der Reiter hatte sein Gewehr auf mich gerichtet. Die Entfernung betrug keine fünf Meter. Das Gewehr machte mir Sorgen. Wenn man schnell zieht, kann man einem Mann zuvorkommen, der erst nachdenken muß, ob er schießen soll, aber dann muß die erste Kugel treffen. »Das ist der junge Sackett. Es heißt, daß er ein Revolvermann ist.« »Von mir aus«, sagte der Mann mit dem sandfarbenen Haar. Er trug zwei Colts in tiefgeschnallten Halftern. »Ich habe noch kein Grab gesehen, dessen Besitzer auf sein Konto ging.« »Reitet weiter«, sagte ich. »Miguel ist hier. Und hier bleibt er auch.« »Nimmst wohl den Mund sehr voll, was?« Das war Charley Smith, ein großer ungeschlachter Kerl mit struppigem Bart. Er hatte einen Ruf als Raufbold. Der Mann mit dem Gewehr war hager. Sein Adamsapfel hüpfte auf und ab, und er fieberte danach, abzudrücken.

»Er ist verwundet«, sagte ich. »Ich kümmere mich um ihn.« »Wir wollen ihn gar nicht lebend haben«, sagte Smith. »Überlaß ihn uns, und die Sache ist erledigt.« »Bedauere.« »Meinetwegen«, sagte Sandy, der mit dem sandfarbenen Haar. »Mir ist es auch lieber so. Viel lieber.« Dieser Sandy beunruhigte mich weniger als der Mann mit dem Gewehr. Immerhin, Sandy hatte sicher mit seinen Colts geübt. Auch ein Angeber kann schnell sein, das mußte ich mit einkalkulieren. Eines stand fest. Mit Reden war hier nichts zu erreichen. Ich konnte dabeistehen und zusehen, wie sie Miguel abschlachteten, oder ich mußte gegen sie kämpfen. Ich rauche nicht, aber Miguels Tabakbeutel und Zigarettenpapier lagen auf dem Boden. Ich hob beides auf und begann, mir eine Zigarette zu drehen. Jetzt mußte ich mein Hirn anstrengen. Da waren der Mann mit dem Gewehr, Charley Smith und dieser Sandy, der sich für einen großen Revolverhelden hielt. Vielleicht lauerten noch ein paar in der Dunkelheit, aber mit den drei Kerlen am Feuer mußte ich zunächst rechnen. »Miguel«, sagte ich, um Zeit zu gewinnen, »ist ein feiner Kerl. Ich kann ihn gut leiden. Ich würde mich unter normalen Umständen nicht einmischen. Andererseits sehe ich es nicht gern, wenn ein verwundeter Mann über den Haufen geschossen wird.« Smith war der Gerissenste der drei. Er sah sich um. Wahrscheinlich dachte Smith an Orrin. Er wußte, daß wir zusammengehörten, und er wußte, daß wir zu viert waren. Es bestand immerhin die Möglichkeit, daß einer sich versteckt hatte und mich deckte. Jede Bewegung, die ich machte, mußte genau zur richtigen Zeit erfolgen. Außerdem mußte ich sie ablenken. Wenn sie Miguel umbrachten, während er sich in meiner

Obhut befand, würde ich das nie verwinden … auch wenn ich es überlebte. »Miguel«, sagte Smith, »ist einer von Alvarados Leuten. Wir verjagen sie alle!« »Wo ist dein Bruder?« Der Mann mit dem Gewehr stellte die Frage. Er blickte lauernd in die Dunkelheit. »In der Nähe. Wir sind nicht weit voneinander entfernt.« »Da liegt nur eine Decke!« Das war wieder dieser vorlaute Sandy. Der Mann mit den beiden Revolvern wollte mich unbedingt töten. Damit konnte er sich später gewaltig brüsten. Und Charley Smith wollte mich töten, um zu vermeiden, daß ich ihn später zur Rechenschaft zog. Ich schob die fertige Zigarette zwischen die Lippen, bückte mich, hob einen brennenden Zweig auf. Ich hielt ihn ein Stück von der Zigarette entfernt, während ich sprach. »Wir vier«, sagte ich, »sind nie weit auseinander. Wir arbeiten zusammen, wir kämpfen zusammen – und wir siegen zusammen.« »Sie sind nicht da«, knurrte Sandy. »Da liegt nur eine Decke, und ich sehe nur sein Pferd und das von dem Mex.« Unter den Kiefern am Hang bewegte sich etwas. Ich hatte es schon früher gehört und wußte, daß es der Wind war. Aber sie schwiegen und horchten. »Ich bin ein Sackett«, sagte ich, »und komme aus Tennessee. Vor zwei Jahren haben wir Sacketts eine Fehde beendet … Wir geben nie auf. Ich habe einen Bruder namens Tell Sackett … der beste Schütze, der jemals lebte.« Während ich redete, brannte der Zweig immer mehr ab. Charley Smith sah es. »He!« rief er. »Du verbrennst dich!« Die Flamme berührte fast meine Finger. Ich schrie auf, als ob ich mich verbrannt hätte, ließ den Zweig fallen, zog mit derselben Bewegung meinen Colt und schoß den Mann mit dem Gewehr aus dem Sattel.

Sandy griff nach seinen Revolvern. Ich richtete meinen Colt auf ihn und riß zweimal blitzschnell mit dem Daumen den Hahn zurück, so daß die beiden Schüsse wie ein einziger klangen. Er stürzte rücklings vom Pferd, als ob ihn der Blitz getroffen hätte. Ich wirbelte herum, legte auf Smith an und sah ihn auf dem Boden liegen. Er hielt beide Hände vor den Bauch. Tom Sunday ritt aus der Dunkelheit. Sein Henry-Gewehr lag in der Armbeuge. »Das war der gerissenste Trick, den ich je sah«, sagte er und sah auf Smith hinab. »Als ich sah, daß du dir eine Zigarette anzünden wolltest, da wußte ich, daß du etwas im Schilde führtest. Sonst rauchst du ja nie.« »Danke. Du bist gerade im richtigen Augenblick gekommen.« Sunday stieg aus dem Sattel und ging zu dem Mann hinüber, der das Gewehr gehalten hatte. Er war tot. Die Kugel war durch sein Herz gegangen. Sandy hatte zwei Kugeln im Herzen. Tom warf mir einen Blick zu. »Ich habe es zwar gesehen, aber ich halte es noch immer für unmöglich.« Ich lud meinen Colt nach und ging zu Miguel. Er stützte sich auf einen Ellenbogen, und sein Gesicht war kalkweiß. »Gracias, amigos«, jagte er leise. »Orrin sagte mir, daß du hier bist. Ich wurde unruhig und dachte, daß ich mal ’rausreiten sollte. Als ich die Kerle stehen sah, überlegte ich, was ich tun könnte, ohne dich in Gefahr zu bringen. Aber dann hattest du sie schon überrumpelt.« »Sie hätten Miguel und mich umgebracht.« »Pritts wird das als Kriegserklärung auffassen!« Gleich darauf traten ein paar Männer in den Lichtschein. Es waren Cap Rountree und zwei Leute von Alvarado. Einer von ihnen war Pete Romero. Den anderen kannte ich nicht. Er war schlank, trug eine bortenverzierte Lederjacke und war überhaupt ein ziemlich aufgeputzter Kerl. Aber sein Revolver

mit dem Perlmuttgriff steckte in einem tiefgeschnallten Halfter, und er hatte einen Blick, der mir nicht gefiel. Sein Name war Chico Cruz. Cruz ging zu den Leichen und sah sie an. Er nahm einen Silberdollar aus der Tasche und legte ihn über die beiden Einschußlöcher in Sandys Brust. Dann steckte er den Dollar weg und blickte auf uns. »Wer?« Sunday deutete mit dem Kopf auf mich. »Er … und der andere auch.« Er zeigte auf den Mann mit dem Gewehr. Dann erklärte er, was sich abgespielt hatte, ohne den brennenden Zweig zu erwähnen. Hingegen unterstrich er, daß ich mit dem Gewehr in Schach gehalten worden war. Cruz sah mich forschend an. Ich hatte das Gefühl, daß dieser Mann Lust am Töten empfand und stolz auf seine Geschicklichkeit mit Waffen war. Er hockte sich am Feuer nieder und schenkte sich eine Tasse Kaffee ein. Während ich Romero half, Miguel in den Sattel zu heben, fragte ich ihn: »Wer ist der Kerl?« »Er stammt aus Mexiko. Torres ließ ihn kommen. Er ist ein schlechter Mensch. Hat viele Männer getötet.« Cruz erinnerte mich an eine Klapperschlange. Er gefiel mir nicht. Und doch konnte ich verstehen, daß Don Luis nach ihm geschickt hatte. Don Luis kämpfte um seinen Besitz. Er war alt und nicht sicher, daß er den Kampf gewinnen würde. Als ich zum Feuer zurückkam, sah Chico Cruz mich an. »Das war gut geschossen«, sagte er. »Aber ich schieße noch besser.« Ich will nicht prahlen, aber um wieviel besser kann ein Mann denn noch schießen? »Möglich«, sagte ich. »Eines Tages schießen wir vielleicht aufeinander«, sagte er und blickte mich durch den Rauch seiner Zigarette an.

»Eines Tages«, sagte ich. »Vielleicht.« »Ich freue mich schon darauf, Señor.« »Und ich«, sagte ich lächelnd, »werde mich später gern daran erinnern.«

10 Wir erwarteten Unannehmlichkeiten von Pritts’ Seite, aber es geschah nichts. Orrin kam mit ein paar Männern zu uns heraus, die ihm Don Luis geliehen hatte. Mit ihrer und der Hilfe von Cap und Tom errichteten wir das Haus. Am zweiten Tag saßen wir nach der Arbeit um das Feuer, als Orrin zu Tom Sunday sagte, daß er sich um den Posten des Marshals bewerben wolle. Sunday füllte seine Tasse mit Kaffee. Er verzog den Mund, aber dann lachte er. »Warum auch nicht? Du würdest ein guter Marshal sein, Orrin … wenn man dich dazu macht.« »Ich glaubte, du wolltest auch …«, begann Orrin, aber Tom Sunday winkte ab. »Vergiß es. Ein Marshal wird gebraucht. Wer immer ernannt wird, wird seine Sache gut machen. Wenn du es wirst, dann helfe ich dir … das verspreche ich dir. Wenn ich ernannt werde, kannst du mir helfen.« Orrin war erleichtert. Cap blickte Tom über den Rand seiner Tasse an und sagte nichts. Und Cap war nicht dumm … Man brauchte kein Hellseher zu sein, um zu ahnen, wohin die Ereignisse in der Stadt führten. Jeden Abend gab es Schlägereien mit Betrunkenen; in Elizabethtown wurde ein Mann ermordet; in der Nähe von Cimarron ereigneten sich mehrere Raubüberfälle. Es war eine Frage der Zeit, wie lange sich die Leute das gefallen lassen würden. Unterdessen arbeiteten wir an unserem Haus. Wir stellten

zwei Zimmer fertig; Orrin und ich zimmerten die Möbel. Dann beendeten wir das dritte Zimmer. Anschließend ritten Orrin und ich mit Cap zu Don Luis und kauften fünfzig Jungrinder, die wir auf unser Land trieben. Wir versahen sie mit Brandzeichen und ließen sie frei. Während der Arbeit hatte ich keine Zeit gehabt, Drusilla zu besuchen. Deshalb entschloß ich mich jetzt, zu ihr zu reiten. Als ich vor dem Haus ankam, standen Antonio Baca und Chico Cruz am Tor. Ich konnte sehen, daß Baca Wache hielt. Es war das erste Mal, daß ich ihn sah, seit er mit dem Messer auf mich losgegangen war. Als ich durch das Tor reiten wollte, hielt er mich an. »Was wünschen Sie?« »Ich möchte Don Luis sprechen.« »Er ist nicht hier.« »Dann möchte ich die Señorita sprechen.« »Sie wünscht Sie nicht zu sehen.« Da wurde ich wütend. Er legte es auf einen Kampf an. Und noch etwas an seiner Art fiel mir auf: er war unverschämt und selbstsicher. War Chico Cruz der Grund? Oder war es, weil Don Luis alt wurde und Torres nicht überall zugleich sein konnte? »Melden Sie der Señorita, daß ich hier bin«, sagte ich. »Sie wird mich empfangen.« »Das ist nicht nötig.« Er sah mich spöttisch an. »Die Señorita hat kein Interesse an Leuten Ihrer Art.« Chico Cruz kam von der Mauer, an der er gelehnt hatte, näher. »Ich glaube«, sagte er, »Sie sollten lieber tun, was er sagt.« Hier konnte ich den Trick mit dem brennenden Zweig nicht anwenden. Außerdem wollte ich keinen Kampf mit Don Luis’ Leuten. Don Luis hatte auch so Sorgen genug. Ich wollte schon wegreiten, als ich ihre Stimme hörte. »Tye!« Ihre Stimme klang so glücklich, daß mein Herz einen

kleinen Sprung machte. »Tye, warum warten Sie da draußen? Kommen Sie doch herein!« Ich ritt aber nicht hinein, sondern blieb im Sattel sitzen und fragte: »Señorita, ist es Ihnen recht, wenn ich Ihnen einen Besuch abstatte? Zu jeder Zeit?« »Aber natürlich, Tye!« Sie kam ans Tor und bemerkte Baca mit seinem Gewehr. Ihre Augen blitzten. »Antonio! Nimm das Gewehr weg! Señor Sackett ist unser Freund! Er kann kommen und gehen, wann immer er es wünscht. Verstanden?« Er ging langsam und mürrisch zur Seite. »Si«, sagte er. Als er mich ansah, war sein Blick voll Haß. Ich drehte mich zu Cruz um, der lässig die Hand hob. Als wir im Haus waren, fragte sie mich: »Tye, warum sind Sie so lange weggeblieben? Warum haben Sie uns nie besucht? Mein Großvater vermißte Sie sehr. Wir wollten Ihnen danken, daß Sie Miguel und Torres geholfen haben.« »Sie sind meine Freunde.« »Und Sie sind unser Freund!« Sie führte mich in ein anderes Zimmer und läutete mit einer kleinen Tischglocke. Drusilla war in der kurzen Zeit, in der ich sie nicht gesehen hatte, älter geworden. Sie sah größer und erwachsener aus. Aber es blieb mir nicht verborgen, daß auch sie Sorgen hatte. »Wie geht es Don Luis?« »Nicht sehr gut, Tye. Mein Großvater wird alt. Er ist schon über siebzig. Ich weiß nicht einmal genau, wie alt er ist, aber das Reiten macht ihm Schwierigkeiten. Außerdem fürchtet er den Kampf mit Ihren Leuten. Er hat viele Freunde unter ihnen, aber die meisten sind auf die Größe unserer Hazienda neidisch. Großvater will, daß ich sie einmal bekomme. Erinnern Sie sich an Abreu?« »Natürlich.« »Er ist tot. Vergangene Woche fand Pete Romero seine Lei-

che, zehn Meilen von hier entfernt. Er wurde mit einer SharpsBüffelflinte in den Rücken geschossen.« »Das tut mir leid. Er war ein feiner Kerl.« Wir tranken zusammen Tee, und sie erzählte mir alles, was sich inzwischen zugetragen hatte. An manchen Tagen war Don Luis so kraftlos, daß er kaum aus dem Bett steigen konnte. Juan Torres war häufig unterwegs. Manche der Männer waren faul und ungehorsam geworden. Offensichtlich war das, was sich heute am Tor zugetragen hatte, kein Einzelfall. Don Luis entglitt die Herrschaft über die große Hazienda. Sein Sohn, Drusillas Vater, war schon lange tot. »Wenn ich irgendwie helfen kann, dann verständigen Sie mich bitte sofort.« Sie sah auf ihre Hände und sagte nichts; ich fühlte mich etwas schuldbewußt und wußte eigentlich nicht warum. Ich liebte Drusilla, aber ich hatte nie zu jemand von Liebe gesprochen und wußte nicht, wie ich es anfangen sollte. »Es wird Kämpfe in Mora geben«, sagte ich. »Es wäre gut, wenn Sie Ihre Leute von dort fernhalten würden.« »Ich weiß.« Sie machte eine Pause. »Trifft sich Ihr Bruder öfters mit Señorita Pritts?« »In letzter Zeit nicht mehr.« Ich wußte nicht recht, was ich sagen sollte. Ich erzählte ihr von der Heimstatt, die wir errichtet hatten, und bedankte mich für die Unterstützung von Don Luis’ Leuten, die uns beim Formen der Adobeziegel geholfen hatten. Dann erzählte ich von Orrin und Tom Sunday, und sie hörte gedankenvoll zu. Alle Mexikaner waren an dem Ausgang der Ernennung interessiert. Die Autorität des Marshals war zwar auf die Stadt beschränkt, aber er hatte Aussicht, zum Sheriff gewählt zu werden. Dessen Amtsbereich erstreckte sich auf den ganzen Distrikt. Aber das war es nicht, was ich sagen wollte. Doch fand ich nicht die richtigen Worte. »Dru«, sagte ich unvermittelt, »ich wollte …« Sie wartete, aber ich wurde nur rot und sah verlegen auf

meine Hände. Schließlich stand ich auf, wütend auf mich selbst. »Ich muß gehen«, sagte ich, »nur …« »Ja?« »Darf ich wiederkommen? Ich meine, darf ich Sie öfters besuchen?« Sie sah mir fest in die Augen. »Ja, das dürfen Sie, Tye. Sooft Sie wollen.« Als ich wegritt, war ich noch immer wütend, weil ich die richtigen Worte nicht gefunden hatte. Sie war das Mädchen, das ich haben wollte. Ich hatte keine Erfahrung im Umgang mit Frauen, aber wahrscheinlich hielt mich Drusilla für einen Mann, der diese Erfahrungen bereits gesammelt hatte, und dachte, wenn ich etwas zu sagen hätte, dann würde ich es auch sagen. Meine Stimmung während des Heimritts war trübe, und wenn mir jemand aufgelauert hätte, wäre ich glatt erschossen worden, so sehr war ich mit mir selbst beschäftigt. Als ich unser neues Haus erreichte, sah ich Ollies Pferd davor angebunden. Ollie war zusammen mit einem Mann namens Wilson gekommen, der einen Laden in Mora hatte. »Jetzt ist die Zeit reif, Orrin. Du mußt in den nächsten Tagen nach Mora kommen und einige Zeit da bleiben. Charley Smith und der Kerl mit dem sandfarbenen Haar haben die Leute ständig belästigt, und man war sehr beeindruckt, daß Tyrel sie im Kampf erschossen hat.« »Das war Tyrels Verdienst, nicht meines.« »Das weiß man, aber man sagt, daß ihr euch sehr ähnlich seid. Nur«, Ollie sah mich entschuldigend an, »sie halten dich nicht für so gefährlich wie Tye. Sie sind zufrieden, daß die beiden aus dem Weg geschafft sind, aber sie wollen trotzdem keine Gewaltanwendung.« Orrin warf ihm einen Blick zu. »Tyrel hätte nicht anders handeln können. Und es gibt nur wenige, die einen solchen Kampf bestanden hätten.« »Das weiß ich, und du weißt es. Die Tatsache bleibt beste-

hen, daß die Leute Verbrecher der Gerechtigkeit überliefert sehen wollen, aber ohne Gewaltanwendung. Die Mexikaner verstehen die Situation besser als die Amerikaner. Sie wissen, daß ein Mann nicht die Waffe aus der Hand legt, wenn man ihm einen Rosenstrauß anbietet. Gewalttätige Männer verstehen meist nur die Sprache der Gewalt.« Orrin ritt anschließend in die Stadt, und ich blieb zwei Tage allein. Arbeit gab es genug. Dann ritt ich ebenfalls in die Stadt. Ich kam gerade zum richtigen Zeitpunkt an. Eine Menge Leute drängten sich vor Ollies Laden. Ollie stand auf der Veranda. Zum erstenmal trug er seine Waffe, offen. »Es ist so weit gekommen«, sagte Ollie, »daß anständige Leute hier nicht mehr leben können. Wir brauchen einen Town Marshal, der das Gesindel verjagt. Es muß jemand sein, zu dem wir Vertrauen haben können.« Er legte eine Pause ein, und es erhob sich zustimmendes Gemurmel. »In dieser Stadt soll jeder seinen Frieden haben. Der größte Teil des Gesindels, das hier die Ruhe stört, kommt aus Las Vegas.« Auf der gegenüberliegenden Seite lungerten ein paar Kerle von der Settlement Company herum. Sie schienen unbesorgt zu sein und fanden das ganze ziemlich lächerlich. Bis jetzt hatte noch niemand gegen sie aufzumucken gewagt. Ich ging in den Saloon und fand dort Tom Sunday. Er warf mir einen sauren Blick zu. »Ich lade dich zu einem Drink ein«, schlug ich vor. »Angenommen.« Er trank das Glas leer, das vor ihm stand, und der Barkeeper füllte nach. »Ihr Sacketts haltet zusammen wie Pech und Schwefel«, brummte Tom. »Orrin hat die halbe Stadt vor seinen Wagen gespannt. Zum Beispiel Ollie Shaddock. Ich hielt ihn für meinen Freund.«

»Das ist er auch, Tom. Andererseits ist er ein Vetter von uns und stammt aus derselben Gegend wie wir. Ollie hatte sein Leben lang die Finger in der Politik, Tom, und er will, daß Orrin es auch versucht.« Eine Weile schwieg Tom, dann sagte er: »Wenn ein Mann politische Karriere machen will, muß er Bildung haben. Orrin wird nicht weit kommen.« »Er hat eine Menge dazugelernt, Tom.« »Zum Beispiel die kleine Pritts. Sie hatte immer nur Augen für Orrin. Dich oder mich hat sie nicht einmal angeguckt.« »Frauen beachten mich nie, Tom.« »In Santa Fe war das aber ganz anders.« »Stimmt. Das war ganz anders.« Ich mußte ihn ein wenig aufheitern und erzählte ihm, was sich damals zugetragen hatte. Er grinste. »Kein Wunder. Das muß sich ja wie ein Lauffeuer über die ganze Stadt verbreitet haben. Klar, daß Orrin damals nur die zweite Geige spielte.« Er kippte seinen Drink. »Na, wenn er es schafft, soll es mich freuen.« »Was immer auch kommt, Tom«, sagte ich, »wir vier sollten zusammenhalten.« Er sah mich fest an. »Ich habe dich immer gemocht, Tye, vom ersten Tag an. Und seit damals weiß ich auch, daß du immer deinen Mann stehen wirst.« Er füllte sein Glas nach. Ich wollte ihm sagen, daß er mit dem Trinken aufhören sollte. Aber er würde auf keinen Rat hören, der noch dazu von einem Jüngeren kam. »Warum reitest du nicht mit mir zurück?« schlug ich ihm vor. »Cap ist draußen, und wir könnten uns ein wenig über die alten Zeiten unterhalten.« »Was willst du? Mich aus der Stadt locken, damit Orrin freie Bahn hat?« Wahrscheinlich lief ich rot an. Das war nicht meine Absicht

gewesen. »Tom, du weißt, daß das nicht wahr ist. Aber wenn du Marshal werden willst, dann laß lieber den Whisky stehen.« »Wenn ich einen Rat von dir haben will«, sagte er kühl, »dann frage ich dich danach.« »Wie du willst. Wenn du Lust hast«, sagte ich, »dann komm zu uns ’raus. Ich bringe heute meine Ma hinaus.« Er warf einen Seitenblick auf mich und sagte: »Meine besten Empfehlungen, Tye. Sag ihr, ich hoffe, daß sie da draußen glücklich wird.« Und das meinte er aufrichtig. Tom war stolz, er war ein Gentleman und nicht immer leicht zu durchschauen. Wahrscheinlich ärgerte es ihn, daß Orrin die Wahl für den Posten des Marshals gewinnen würde. »Komm doch ’raus, Tom, Ma wird sich freuen. Wir haben so oft von dir gesprochen.« Er wandte sich um und ließ mich stehen. Er ging zur Tür hinaus und blieb auf der Veranda stehen. Ein paar Kerle von der Settlement Company warteten vor dem Saloon. Es waren sechs oder acht, Durango Kid und Billy Mullins vorneweg. Durango Kid hielt sich für einen Revolverhelden. Ich wollte Tom nicht in der Stadt haben. Er sollte heimgehen und schlafen oder zu unserem Haus hinausreiten. Ich wußte, daß er gereizt war, und da war nicht gut Kirschenessen mit ihm. Merkwürdig, Ollie hatte alles arrangiert, und Orrin konnte zu den Leuten reden. Aber es war schließlich Tom Sunday, der Orrin den Posten des Marshals verschaffte. Er tat es an diesem Tag, in dieser Minute. In dem Augenblick, als er auf die Veranda trat. Da stand er nämlich genau vor Durango Kid. Es hätte genausogut ein anderer sein können. Die meisten Leute gingen Tom aus dem Weg, wenn er getrunken hatte, aber Durango Kid wollte noch eine Kerbe in den Griff seines Colts schnitzen. Er war ein schlanker, schmalschultriger Junge, ei-

nundzwanzig Jahre alt, und er hatte angeblich drei oder vier Männer oben in Colorado erschossen. Außerdem hieß es, daß er Pferde und Rinder gestohlen hatte. In der Hierarchie der Settlement Company nahm er den zweiten Platz nach Fetterson ein. Durango Kid sah, daß Tom Sunday getrunken hatte, und dachte, daß er leicht zu reizen sei. Er kannte Tom Sunday nicht so genau wie ich. »Und der will Marshal werden, Billy«, sagte Durango Kid laut. »Das möchte ich mal sehen.« Tom Sunday wandte sich ihm zu. Tom war groß und ein gut aussehender Mann. Ob er getrunken hatte oder nicht, er hielt sich immer aufrecht. Tom war mal Offizier in der Armee gewesen, und das sah man ihm immer noch an. »Wenn ich zum Marshal gewählt werde«, sagte er deutlich und gelassen, »dann werde ich als erstes dich verhaften. Ich weiß, daß du ein Dieb und Mörder bist. Ich werde dich wegen des Mordes an Martin Abreu festnehmen.« Wie Tom das herausgefunden hatte, wußte ich nicht, aber man brauchte nur Durango Kids Gesicht anzusehen, um zu wissen, daß Tom die Wahrheit gesagt hatte. »Du lügst!« schrie Durango Kid. Er griff nach seinem Colt. Der Revolver kam aus dem Halfter, aber da war Durango Kid auch schon tot. Die Entfernung zwischen den beiden Männern betrug kaum vier Meter, und Tom Sunday – ich hatte niemals zuvor gesehen, wie er zog – gab drei Schüsse ab, die sich wie ein einziger anhörten. Durango Kid taumelte und fiel auf die Straße. Billy Mullin machte eine hastige Bewegung. Er griff gar nicht nach seiner Waffe, aber wenn Tom Sunday getrunken hatte, dann waren seine Reaktionen tödlich. Diese hastige Bewegung kostete Billy beinahe das Leben, denn Tom sah sie nur aus dem Augenwinkel, wirbelte herum und schoß Billy nieder. Ich will nicht sagen, daß ich nicht genau dasselbe getan hät-

te. Vielleicht nicht. Aber eine derartige Bewegung, in dieser Sekunde, von einem Freund des Gegners … jedenfalls schoß Tom ihn nieder. Die Leute auf der Straße waren alle Augenzeugen. Ollie sah es ebenfalls. Tom Sunday hatte Durango Kid getötet. Billy Mullin lag ein paar Monate im Bett. Er erholte sich nie mehr ganz von dieser Schußwunde. Toms Chance, Marshal zu werden, war damit geplatzt wie eine Seifenblase. Daß er Durango Kid erschossen hatte, trug man ihm nicht nach. Jeder wußte, daß es eines Tages mit Durango Kid ein böses Ende nehmen mußte. Aber daß er Billy Mullins niederschoß, obwohl Mullins ein Dieb und Taugenichts war … das brachte sogar Toms Freunde gegen ihn auf. Das war sicher eine falsche Einstellung. Es befand sich wahrscheinlich kein einziger Mann unter denen, die ihn deswegen verurteilten, der in dieser Lage nicht genauso gehandelt hätte. Aber einer von Tom Sundays Freunden wandte ihm den Rücken zu und sagte: »Wir sollten mit Orrin Sackett wegen seiner Ernennung zum Marshal sprechen.« Tom Sunday hörte es, lud seinen Colt nach und ging auf der Mitte der Straße zu dem Haus, in dem er mit Orrin, Cap und mir wohnte, wenn wir uns in Mora aufhielten. Am selben Abend verließ er die Stadt.

11 Erst am folgenden Sonntag fuhren wir zu dem Haus in der Stadt, in dem Ma mit den beiden Jungen wohnte, und halfen ihr in den Wagen. Ma trug ihr Sonntagskleid. Sie war bereit, in unser neues Haus einzuziehen.

Orrin saß neben ihr und kutschierte. Bob und Joe ritten auf ihren Indianerponies hinterher. Cap und ich bildeten die Vorhut. Cap sagte nicht viel, aber ich glaube, er war mit dem, was wir taten, einverstanden. Er wußte, wie hart Orrin und ich für diesen Tag gearbeitet hatten. Cap war vielleicht auch sentimental, nur zeigte er es nie. Es war eine aufregende Sache, und wir freuten uns, die richtige Jahreszeit erwischt zu haben. Die Bäume waren voll Laub, die Wiesen grünten, Rinder grasten … alles sah wunderbar aus. Und das Haus war viel schöner als alle anderen, in denen Ma zuvor gewohnt hatte. Wir fuhren durch das Tal entlang. Wir hatten uns alle für diese Gelegenheit fein gemacht und trugen unsere dunklen Stoffanzüge. Sogar Cap. Ollie sollte kommen, und noch ein paar Freunde; denn wir wollten Einstand feiern. Ein Schatten fiel über das Ereignis: Tom Sunday war nicht dabei. Wir hätten es sehr gewünscht, ihn auch zu sehen. Wir fuhren unter den Bäumen zum Ufer hinunter und durch den Fluß und erreichten den Hof. Da sahen wir die vielen Leute. Es waren mindestens fünfzig. Zuerst erspähte ich Don Luis. Neben ihm stand Drusilla. Unsere Blicke begegneten sich, und da fühlte ich, daß wir zusammengehörten. Am liebsten wäre ich sofort zu ihr hingegangen und hätte um ihre Hand angehalten. Juan Torres war da, und Pete Romero; Miguel ebenfalls. Miguel sah noch ziemlich blaß aus, aber er stand auf seinen eigenen Beinen und fühlte sich großartig, wie er uns versicherte. Ein Festmahl war angerichtet, und die Musik begann zu spielen. Die Gäste tanzten Fandango, und Ma traten Tränen der Rührung in die Augen. Orrin legte seinen Arm um sie, und so fuhren sie die letzten Meter in den Hof hinein. Don Luis trat heran und bot Ma die Hand. Wir waren stolz auf sie, als sie seine Hand ergriff und vom Wagen stieg. Man hätte sie für eine

ganz feine Lady halten können und nicht bloß für eine einfache Frau aus Tennessee. Don Luis eskortierte sie zu einem Stuhl, als ob sie eine Königin wäre, und es war ihr eigener alter Schaukelstuhl. Dann legte Don Luis einen Serape über ihre Knie, und Ma war zu Hause. Es war ein ganz großes Fest. Das Essen schmeckte wunderbar: Schweinebraten vom Spieß und sonst noch allerhand. Es gab auch Wein, aber keinen Schnaps. Ich bemerkte Vicente Romero in der Menge, und ein paarmal erblickte ich sogar Chico Cruz. Die Stimmung erreichte ihren Höhepunkt, als Tom Sunday durch den Fluß auf den Hof geritten kam. Er blieb im Sattel sitzen und sah sich um. Orrin bemerkte ihn und trat auf ihn zu. »Freut mich, daß du gekommen bist, Tom. Ohne dich wäre es nur eine halbe Sache gewesen. Steig ab und komm an den Tisch. Aber zuerst begrüße Ma. Sie hat schon nach dir gefragt.« Das war alles. Keine großen Worte, keine Erklärungen. Aber so war Orrin. Er freute sich, daß Tom doch noch gekommen war. Ein Geiger begleitete die Tanzenden auf seinem Instrument, dann nahm Orrin seine Gitarre und trug ein paar Lieder vor. Nachher sang Juan Torres. Alle waren fröhlich. Als ich zu Dru trat und sie um den Tanz bat, sah sie mir in die Augen. Dann tanzten wir ein paar Minuten lang und sprachen kein Wort. Schließlich sagte ich: »Ich könnte ewig so tanzen … mit Ihnen.« Ihre Augen blitzten. »Ich glaube, da würden Sie bald hungrig werden!« Ollie war ebenfalls anwesend und unterhielt sich mit Don Luis, dann mit Torres. Schließlich brachte er Torres und Jim Carpenter zusammen, und später brachte er noch Al Brooks zu ihnen. Sie redeten eine ganze Menge, und Torres sagte, daß die Mexikaner Orrin unterstützen würden. Dadurch hatte er die

Wahl zum Sheriff so gut wie in der Tasche. Orrin kam zu mir und schüttelte mir die Hand. »Wir haben es geschafft, Tyrel«, sagte er, »wir haben es geschafft. Ma hat ein Heim, und die Jungen können hier etwas aus sich machen.« »Ohne Waffen, hoffe ich.« Orrin sah mich an. »Das hoffe ich auch. Die Zeiten ändern sich, Tyrel.« Es wurde spät, und die Gäste packten ihre Sachen in die Wagen oder stiegen in die Sättel und verabschiedeten sich. Ma ging ins Haus und sah es sich an. Wir hatten alles mögliche gekauft, von dem wir dachten, daß es Ma Freude machen würde. Eine Standuhr, einen Toilettentisch, Tische und Stühle, und ein riesiges Bett. Das Haus hatte vorläufig nur drei Zimmer, aber wir würden noch ein paar anbauen. Wir hatten so lange im Freien genächtigt, daß wir uns in einem Haus gar nicht mehr recht wohl fühlten. Ich begleitete Dru zu ihrem Wagen. »Ich war heute sehr glücklich«, sagte ich. »Sie haben Ihre Mutter nach Hause gebracht«, sagte sie. »Das ist schön. Mein Großvater bewundert Sie sehr, Tye. Er sagt, daß Sie ein guter Sohn und ein guter Mann sind.« Als ich Dru in ihrem Wagen davonfahren sah, dachte ich wieder an Geld. Wenn ein Mann einer Frau den Hof macht, dann ist es wichtig, daß er Geld besitzt. Und ich hatte keines. Natürlich, die Ranch gehörte Orrin und mir. Aber das Land war nicht viel wert, und die Rinder auch nicht. Bargeld lachte selten. Orrin war beschäftigt, also mußte ich mich um das Geld kümmern. Orrin studierte eine Menge Bücher. Außerdem hatte er ein paar Zeitungen aus dem Osten abonniert und las alles über Politik, dessen er habhaft werden konnte. Dann ritt er im Land herum und redete mit den Leuten und ließ sich ihre Sorgen berichten. Orrin war ein guter Zuhörer und immer bereit zu

helfen. Er war jetzt Marshal von Mora. Schon einen Tag nach seiner Amtsübernahme zeigte er den Leuten, daß er seine Aufgabe ernst nahm. Bei Sonnenuntergang kam Orrin die Straße lang. Er trug zum erstenmal seinen Stern. Die Männer von der Settlement Company betrachteten ihn hämisch. Für sie war das ein Riesenspaß, mehr nicht. Sie wollten sehen, was er unternahm, um ihn später besser zu Fall bringen zu können. Zunächst ging Orrin in den Saloon. Er betrat ihn durch die Hintertür. An der Innenseite brachte er eine Bekanntmachung an. Jeder konnte sie lesen, denn sie war in Englisch und Spanisch gedruckt. Kein Revolver darf innerhalb des Stadtgebietes gezogen oder abgefeuert werden. Raufen und unziemliches Benehmen sind nicht erlaubt. Betrunkene werden ins Gefängnis gesteckt. Wiederholte Vergehen werden mit Ausweisung aus der Stadt bestraft. Kein Einwohner darf in irgendeiner Weise belästigt werden. Schnelles Reiten sowie das Reiten auf Rindern auf der Straße ist verboten. Jeder Einwohner muß auf Verlangen Arbeit und geregeltes Einkommen nachweisen können. Diese letzte Regel war hauptsächlich auf das Gesindel gemünzt, das in den Straßen herumlungerte, die anderen Einwohner belästigte, raufte und sich sonst ungebührlich benahm. Bully Ben Baker war so ein Kerl. Er war als Matrose auf den Flußdampfern des Missouri und Platte River gefahren. Er war etliche Zentimeter größer als Orrin, wog zweihundertvierzig Pfund und wollte gleich ausprobieren, ob der neue Marshal mit ihm fertig werden könnte. Bully Ben verlor keine Zeit. Er ging zu der Bekanntma-

chung, las sie laut vor und riß sie von der Tür. Orrin stand auf. Ben griff hinter sich, grinste und packte eine Flasche am Hals, die auf der Theke stand. Orrin ignorierte ihn, hob die Bekanntmachung auf und heftete sie wieder an die Tür. Dann drehte er sich und schlug Baker in die Magengrube. Als Orrin an ihm vorbeigegangen war und den Zettel wieder anbrachte, hatte Bully Ben gewartet, um zu sehen, was als nächstes geschehen würde. Er ließ die Flasche sinken, denn er war gewöhnt, daß jede Rauferei mit wüsten Beschimpfungen begann. Orrins Hieb traf ihn völlig unerwartet. Seine Knie gaben nach, und er schnappte nach Luft. Gelassen schlug ihn Orrin ans Kinn, und er brach in die Knie. Diesen unerwarteten Angriff hatte Ben selbst schon oft praktiziert, aber er hatte ihn von Orrin nicht erwartet. Ben sprang wieder auf die Beine und schwang die Flasche. Das war natürlich ganz falsch. Orrin blockte den Hieb mit seinem linken Vorderarm ab und schlug ihm die linke Faust an die Kinnlade. Dann packte er den ehemaligen Matrosen und warf ihn mit einem Hüftschwung auf den Boden, daß es krachte. Orrin wartete, bis Baker wieder auf die Beine kam. Die ganze Zeit hatte Orrin fast unbeteiligt gehandelt, als ob ihn die Sache nicht sehr interessiere. Er schlug Billy Ben ohne große Anstrengung zusammen. Ben war ziemlich erschüttert und erstaunt. Das Blut tropfte von einem Riß am Kinn, und er war etwas benommen, aber er kam wieder auf die Beine. Orrin ließ ihn aufstehen, und als Ben zuschlug, packte ihn Orrin am Handgelenk und warf ihn über die Schulter. Dieses Mal stand Baker viel langsamer auf, denn er war ein schwerer Mann, und der Sturz war hart gewesen. Orrin wartete, bis er halbwegs wieder auf den Beinen stand, und schlug ihn noch

einmal nieder. Ben saß auf dem Boden und blickte zu Orrin auf. »Du bist ein Kämpfer«, sagte er. »Hast eine Menge Kraft in den Fäusten.« Im allgemeinen hatten die Leute damals wenig Ahnung von Faustkämpfen. Mit Ausnahme von solchen Typen wie Bully Ben, dachte kein Mensch daran, einen Streit anders als mit dem Revolver auszutragen. Ben hatte viele Kämpfe gewonnen, weil er ein Rauhbein war, das sich auf den Flußdampfern lange genug herumgeprügelt hatte. Aber jetzt war Ben ziemlich verwirrt. Für alles, was er tat, hatte Orrin eine wirksame Gegenaktion parat. Wenn es kühler gewesen wäre, wäre Orrin nicht einmal in Schweiß geraten. »Hast du genug?« fragte Orrin. »Noch nicht«, sagte Ben und rappelte sich auf. Das war natürlich sein größter Fehler, denn bis jetzt hatte ihm Orrin nur eine sanfte Lektion erteilt. Nun machte Orrin ernst. Als Ben Baker sich aufrichtete, schlug Orrin ihn ins Gesicht, mit beiden Fäusten. Baker versuchte, ihn mit der Linken zu packen, aber Orrin versetzte ihm drei Hiebe in die Magengrube, stieß Ben beiseite und brach ihm mit einem Handkantenschlag der Rechten das Nasenbein. Ben taumelte zurück und setzte sich hin. Orrin packte ihn bei den Haaren, zerrte ihn hoch und schlug ihn noch drei- oder viermal mitten ins Gesicht. Dann stieß er den Kampfunfähigen gegen die Theke und sagte: »Gebt ihm was zu trinken.« Er warf eine Münze auf die Theke und verließ das Lokal. Von diesem Augenblick an wurde Orrin respektiert. Nachher gab es weniger Verdruß, als man erwarten konnte. Orrin steckte alle Betrunkenen in die Ausnüchterungszelle, und am Morgen warf er sie wieder hinaus. Orrin war schnell, ruhig und vergeudete keine Zeit mit unnützen Reden. Am Ende der Woche sperrte er zwei Männer ein, die ihre Revolver innerhalb der Stadtgrenzen abgefeuert hatten.

Jeder mußte fünfundzwanzig Dollar Buße sowie die Gerichtskosten bezahlen. Beide waren damals am Pawnee-Felsen dabei gewesen. Orrin stellte sie vor die Wahl: entweder arbeiten oder aus der Stadt verschwinden. Mein Bruder Bob und ich ritten zusammen mit Cap Rountree hinunter nach Ruidoso und holten eine Herde ab, die ich für die Ranch gekauft hatte. Es waren fast hundert Rinder. Ollie Shaddock stellte ein Mädchen als Verkäuferin ein und verbrachte seine Zeit damit, mit den anderen Bürgern über Orrin zu reden. Er reiste nach Santa Fe, nach Cimarron und nach Elizabethtown, immer in Geschäften, aber stets brachte er ein paar passende Worte über Orrin an. Jedesmal erwähnte er, daß Orrin der richtige Mann in der Gesetzgebenden Körperschaft wäre. Nachdem Orrin einen Monat lang das Amt des Marshals in Mora innehatte, gab es keinen Mord mehr und nur eine einzige Messerstecherei. Die Tagediebe der Settlement Company hatten sich zumeist nach Elizabethtown oder Las Vegas verzogen. Man sprach von Socorro bis Silver City über Orrin. Auf Don Luis’ Land hatte es wieder einen Mord gegeben. Ein Vetter von Abreu war erschossen worden … aus dem Hinterhalt. Zwei der mexikanischen Vaqueros kehrten nach Mexiko zurück. Chico Cruz tötete einen Mann in Las Vegas. Der Tote war Mitglied der Settlement Company. Jonathan Pritts kam mit seiner Tochter nach Mora und kaufte ein Haus. Zwei Wochen nach dem Einstandsfest in unserem Haus sah ich Drusilla zum erstenmal wieder. Sie stand am Tor, um mich zu begrüßen, und brachte mich sofort zu ihrem Großvater. Er lag im Bett und sah sehr gebrechlich aus. »Ich freue mich, Sie zu sehen, Señor «, begrüßte er mich

flüsternd. »Wie steht es auf der Ranch?« Er hörte meiner Erzählung zu und nickte gedankenvoll mit dem Kopf. Wir hatten dreitausend Acres Weideland und genug Wasser. Es blieb eine kleine Ranch, wie man es auch drehte. »Es genügt nicht, daß man etwas besitzt«, sagte er. »Man muß stark genug sein, um es zu behalten. Wenn man schwach ist, gibt es keine Hoffnung!« »Sie werden bald wieder auf den Beinen sein!« sagte ich. Er lächelte. Der Art seines Lächelns entnahm ich, daß er genau wußte, daß ich ihn nur beruhigen wollte. Er sah tatsächlich so aus, als ob er keine drei Wochen mehr am Leben bleiben würde. Jonathan Pritts, erzählte er mir, forderte eine genaue Vermessung der Alvarado-Besitzungen. Er behauptete, daß der tatsächliche Besitz Alvarados viel kleiner sei, als Don Luis behaupte. Es war eine neue Methode, Unfrieden zu stiften. Die Urkunden der alten Landschenkungen richteten sich nach diesem Berggipfel oder jenem Felsgrat, und so, wie sie niedergeschrieben waren, gab es verschiedene Auslegungen für die tatsächliche Grenze des Besitztums. Falls Pritts einen ihm gut gesinnten Landvermesser fand, konnte Don Luis sein Land restlos einbüßen – und damit sein Heim und seinen ganzen Besitz. »Es wird ernste Kämpfe geben«, sagte er endlich. »Ich werde Drusilla nach Mexiko zu unseren Verwandten schicken, bis alles vorüber ist.« Mir wurde eiskalt. Wenn sie einmal nach Mexiko ging, kam sie nie mehr zurück, denn Don Luis würde diesen Kampf nicht gewinnen. Jonathan Pritts kannte keine Skrupel und schreckte vor nichts zurück. Ich saß da und drehte meinen Hut in den Händen und wünschte, ich könnte etwas sagen. Aber was konnte ich einem Mädchen wie Drusilla schon bieten? Ich war beinahe pleite. Im Augenblick wußte ich nicht einmal, wie ich die laufenden Ausgaben bestreiten sollte. Jetzt war nicht der Zeitpunkt, um von

Heirat zu sprechen; nicht einmal dann, falls sie gewillt war, mich zu erhören. Und sie war ein besseres Leben gewöhnt, als ich ihr je bieten konnte. Don Luis griff nach meiner Hand. Sein Griff war schwach. »Señor, Sie sind mir lieb wie ein Sohn. Wir haben Sie leider viel zu wenig gesehen. Aber wir haben sie beide sehr gern. Ich fürchte, Señor, daß ich nicht mehr viel Zeit habe, und ich bin der Letzte meiner Familie. Nur Drusilla ist noch da. Wenn Sie etwas für sie tun können, Señor, dann helfen Sie ihr … kümmern Sie sich um sie.« »Don Luis, ich möchte … ich meine … ich habe kein Geld, Don Luis. Im Augenblick bin ich so gut wie pleite. Ich muß mir Geld verschaffen, um die Ranch zu erhalten.« »Es gibt Wichtigeres als Geld, mein Sohn. Sie haben Kraft, und Sie haben die Jugend. Das allein zählt jetzt. Wenn ich noch die Kraft hätte …« Dann saßen Drusilla und ich allein im großen Salon, und die Indianerin bediente uns. »Don Luis sagte mir, daß Sie nach Mexiko verreisen.« »Er wünscht es. Es wird hier Kämpfe geben, Tye.« »Und Juan Torres?« »Er ist nicht mehr derselbe wie früher … irgend etwas ist mit ihm geschehen. Ich glaube, er hat Angst.« Chico Cruz …, dachte ich. »Ich werde Sie sehr vermissen, Dru.« »Ich möchte auch nicht weg von hier, aber wenn es mein Großvater wünscht, muß ich gehorchen. Ich mache mir Sorgen um ihn. Wenn ich fort bin, wird er vielleicht tun, was getan werden muß.« »Kann ich irgendwie helfen?« »Nein!« Sie sagte sie hastig und entschieden, so daß mir klar war, was sie meinte. Was geschehen mußte, wußten wir beide: Chico Cruz mußte gefeuert werden. Aber Dru dachte nicht an

diese Notwendigkeit. Sie dachte an mich, und sie hatte Angst um mich. Chico Cruz … Wir hatten uns erkannt, er und ich. Wenn es getan werden mußte, dann wollte ich es selbst tun. Es bestand keine Hoffnung, daß sich Don Luis in absehbarer Zeit erholen würde. Don Luis hatte keine Kraft, und wenn er je wieder auf die Beine kam, dann nicht vor zwei, drei Monaten. Ich begriff, was hier los war. Torres hatte Angst vor Cruz; und die anderen wußten es. Deshalb gehorchten sie nicht mehr so wie früher. Es gab keinen Führer mehr. Ich bezweifelte, daß Cruz das wußte … aber er zwang die Menschen durch das Böse seines Wesens, durch die Lust am Töten, in seinen Bann. Ich wollte sofort etwas unternehmen. Als ich bei Drusilla saß und mich mit ihr unterhielt, überlegte ich mir die Sache. Ich wollte sie selbst erledigen. An der Tür ergriff ich ihre Hand. Ich hatte zum ersten Male den Mut dazu. »Dru … machen Sie sich keine Sorgen. Ich komme wieder.« Und plötzlich sagte ich, was ich dachte. »Dru … ich liebe Sie.« Und dann ging ich rasch weg. Doch nicht zu meinem Pferd, sondern zu Juan Torres. Es war merkwürdig, wie sich ein Mann in den drei Jahren, die ich ihn kannte, so hatte verändern können. Drei Jahre? Er hatte sich binnen Monaten verändert. Und ich wußte, daß es Cruz’ Schuld war – nicht durch Drohungen, sondern einfach durch seine Anwesenheit. »Juan …?« »Señor?« »Kommen Sie mit mir. Wir feuern Chico Cruz.« Er saß reglos hinter dem Tisch und sah mich an. Dann stand er langsam auf. »Glauben Sie, daß er gehen wird?« Ich antwortete nicht. Zusammen gingen wir zum Zimmer

Antonio Bacas. Er spielte mit Pete Romero und ein paar anderen Karten. Wir blieben vor der Tür stehen. Ich sagte: »Wir fangen hier an. Sagen Sie es ihm.« Juan zögerte einen Augenblick, dann trat er in das Zimmer. Ich folgte ihm. »Baca, du sattelst sofort dein Pferd und verläßt die Ranch … und du kommst nie mehr zurück.« Baca sah zuerst auf Torres, dann auf mich, und ich sagte: »Sie haben gehört, was Torres sagte. Sie haben es einmal versucht, als es dunkel war und ich mit dem Rücken zu Ihnen stand. Wenn Sie es jetzt noch einmal versuchen, werden Sie weniger Glück haben.« Er schob seine Karten zusammen. Im Moment wußte er nicht, was er tun sollte. Dann sagte er: »Ich werde mit Chico sprechen.« »Wir sprechen mit Chico. Sie verschwinden sofort.« Ich zog meine Uhr aus der Tasche. »Torres hat es Ihnen gesagt. Sie haben fünf Minuten Zeit.« Wir wandten uns ab, gingen ein paar Zimmer weiter und blieben vor einem stehen, das nicht erleuchtet war. Torres riß ein Streichholz an und entzündete eine Lampe. Er hielt die Lampe hoch, und ich trat in das Zimmer. Chico Cruz saß in der Dunkelheit. Torres sagte: »Wir brauchen dich nicht mehr, Chico. Du kannst gehen … sofort.« Cruz sah mit seinen dunklen ruhigen Augen zuerst Torres, dann mich an. »Es wird Schwierigkeiten geben«, sagte ich, »und Ihre Anwesenheit macht die Sache nicht einfacher.« »Sie wollen mich zwingen zu gehen?« »Das wird nicht nötig sein. Sie werden auch so gehorchen.« Seine linke Hand und der Unterarm ruhten auf dem Tisch. Die Finger spielten mit einer 44er Patrone. Die rechte Hand lag auf seinem Schoß.

»Ich sagte schon, daß wir uns eines Tages gegenüberstehen würden.« »Unsinn! Juan befahl Ihnen zu gehen. Es gibt hier keine Arbeit für Sie. Außerdem wird das Zimmer benötigt.« »Mir gefällt es hier.« »Es wird dir woanders auch gefallen«, sagte Torres mit entschlossener Stimme. »Du verläßt sofort die Ranch.« Cruz ignorierte ihn. Seine dunklen, ruhigen Augen ruhten auf mir. »Ich glaube, daß ich Sie töten werde, Señor.« »Unsinn!« wiederholte ich und trat gegen die Tischkante. Der Tisch stürzte um. Chico sprang zurück. Dabei stolperte er und fiel zu Boden. Ehe er noch nach seiner Waffe greifen konnte, traf meine Stiefelspitze sein Handgelenk. Ich packte ihn beim Hemd und riß ihn hoch. Dann nahm ich ihm den Revolver ab und ließ den Mann fallen. Er wußte, daß ich mit meinem Revolver umgehen konnte, und er hatte erwartet, daß ich nach der Waffe greifen würde. Aber ich wollte ihn nicht erschießen. Er hielt sein schmerzendes Handgelenk fest und starrte mich an wie eine Klapperschlange. »Ich habe Sie gewarnt, Cruz.« Torres ging zum Bett und begann Chicos Kleider in die Satteltaschen zu stopfen. Dann rollte er die Decke zusammen. Chico hielt noch immer sein Handgelenk umklammert. »Wenn ich gehe, werden sie die Hazienda angreifen«, sagte Cruz. »Wollen Sie das?« »Natürlich nicht. Aber wir riskieren es. Wir wollen Sie nicht mehr hier haben, Chico. Sie haben einen schlechten Einfluß auf die Männer.« »Sie nicht?« »Vielleicht … aber ich werde auch nicht hier sein.« Draußen hörten wir ein Pferd schnauben. Pete Romero brachte Chicos Fuchs. Chico ging zur Tür und sah mich an. »Und mein Revolver?«

fragte er, als er sich in den Sattel schwang. »Sie werden ihn brauchen«, sagte ich, »und ich möchte nicht, daß Sie ohne Waffe sind.« Ich gab ihm den Revolver, ohne die Patronen herausgenommen zu haben. Er klappte die Trommel heraus, dann sah er mich an und hielt die schußbereite Waffe in der Hand. Sein Gesicht blieb völlig ausdruckslos. Ein paar Sekunden lang verharrten wir so. Ich wußte nicht, was er dachte. Er hatte Grund, mich zu hassen; Grund, mich zu töten. Aber er hielt nur die Waffe in der Hand und sah auf mich herunter. Mein Revolver blieb im Halfter. Er wendete sein Pferd. »Ich glaube, wir werden uns niemals gegenüberstehen«, sagte er. »Ich kann Sie nämlich gut leiden, Señor.« Juan Torres und ich blieben auf der Stelle stehen, bis der Hufschlag seines Pferdes verklungen war.

12 Jonathan Pritts hatte etwas mitgebracht, das gefährlicher war als eine Schußwaffe. Es war eine Druckpresse. In einem Land, in dem Gedrucktes selten und der Hunger nach Nachrichten groß war, würde eine Zeitung auf jeden Fall gelesen werden. Die Leute, die sie lasen, würden den Inhalt für wahr halten – schließlich stand es da schwarz auf weiß. Die meisten Leute denken nicht darüber nach, daß der Autor eines Buches oder der Herausgeber einer Zeitung seine eigene Meinung veröffentlicht, oder daß er aus verschiedenen Gründen nicht immer ganz bei der Wahrheit bleibt. Don Luis hatte als einer der ersten von der Druckpresse erfahren. Das war einer der Gründe, warum er seine Enkelin nach

Mexiko bringen wollte; denn eine Zeitung kann dazu benutzt werden, die Leute aufzuhetzen. Don Luis schickte nach mir und verkaufte mir viertausend Acres Weidegrund, die an unseren Besitz grenzten. Es war seine Idee, und er verkaufte mir das Land gegen einen Wechsel. »Das genügt mir, Señor. Sie sind ein Mann, der sein Wort hält, und Sie können das Land gebrauchen.« An diesem Tag war er aus dem Bett aufgestanden. Er lächelte. »Außerdem, Señor, ist das ein Stück Land, das mir nicht mehr weggenommen werden kann. Und an Sie wird man sich nicht herantrauen.« Zugleich kaufte ich, ebenfalls gegen Wechsel, dreihundert Jungrinder. In beiden Fällen war der Betrag an Drusilla zahlbar. Die Settlement Company hatte ihr neues Hauptquartier in Las Vegas aufgeschlagen. Einige der Leute trieben sich aber noch immer in Elizabethtown und Cimarron herum und erwiesen sich als höchst lästig. In diesen Tagen sah ich Orrin kaum. Zusammen hatten wir jetzt etwa tausend Rinder, alles Jungtiere, die wir eines Tages zu einem guten Preis verkaufen konnten. Ich hatte vor, während der nächsten drei Jahre kein Rind zu veräußern. Orrin, die Jungen und ich besprachen alles ganz genau. Wir wollten keine riesige Herde und auch keinen zu großen Landbesitz. Das Land, das uns gehörte, war ordnungsgemäß im Grundbuch eingetragen, und ich hielt es für besser, daß wir nur wenige Rinder darauf grasen lassen sollten, damit sie richtig fett wurden. Fette Rinder brachten gute Preise, diese Erfahrung hatten wir bereits zweimal gemacht. Drusilla war abgereist. Don Luis ging es etwas besser, aber es gab auch wieder neuen Ärger. Siedler hatten sich in dem Tal an der Ostseite von Don Luis’ Land eingenistet. Pritts gab jetzt seine Zeitung heraus und wiegelte die Leute auf.

Dann wurde Orrin zum County Sheriff gewählt, und er bat Tom, als sein Deputy zu arbeiten. Unsere Ranch lief von selbst. Alles schien in Ordnung zu sein. Wir brauchten Geld, und wenn ich je etwas Eigenes besitzen wollte, dann mußte ich mich jetzt umsehen. Auf der Ranch war nichts zu tun, was meine Brüder nicht auch tun konnten. Aber ich schuldete Don Luis Geld und mußte zusehen, wie ich es verdiente. Cap Rountree kam zur Ranch geritten. Er stieg aus dem Sattel und setzte sich neben mich auf die Verandatreppe. »Cap«, sagte ich, »warst du schon einmal in Montana?« »Hm, ja. Gutes Land, genug Gras, viele Berge und noch mehr Indianer. Und wenig Leute. Außer um Virginia City herum. Dort wurde nämlich Gold gefunden.« »Das ist schon ein paar Jahre her.« »Man findet immer noch genug.« Er sah mich aus seinen wissenden alten Augen an. »Kriegst wohl auch das Reisefieber?« »Ich brauche Geld. Wir sind verschuldet, Cap, und das habe ich nicht gern. Ich glaube, wir sollten einmal nach Norden reiten und sehen, was wir dort finden können. Kommst du mit?« »Meinetwegen. Hier wird es mir zu langweilig.« Wir ritten zu Tom Sunday hinüber. Tom trank mehr, als gut für ihn war. Er hatte sich eine Ranch zehn Meilen entfernt von der unseren gekauft, mit guten Weiden, einem hübschen Haus; aber alles schien verwahrlost, und dabei war Tom doch ein erstklassiger Rinderzüchter. »Ich bleibe hier«, sagte er schließlich. »Orrin bot mir den Job als sein Deputy an, aber ich nehme den Posten nicht an. Ich lasse mich bei der nächsten Wahl selbst als Sheriff-Kandidat aufstellen.« »Orrin hätte dich aber gern als Deputy-Sheriff«, sagte ich. »Es ist schwierig, einen geeigneten Mann zu finden.«

»Ach was«, sagte Tom barsch. »Eigentlich sollte er für mich arbeiten. Von Rechts wegen sollte ich Sheriff sein.« »Möglich. Du hattest deine Chance.« Er setzte sich an den Tisch und starrte mürrisch zum Fenster hinaus. Cap stand auf. »Du könntest eigentlich mitkommen«, sagte er. »Wenn du auch kein Gold findest – Montana ist ein interessantes Land.« »Danke«, sagte Tom. »Ich bleibe hier.« Wir stiegen auf die Pferde, und Tom legte eine Hand auf meinen Sattel. »Tye«, sagte er, »ich habe nichts gegen dich. Du bist ein feiner Kerl.« »Orrin ist das auch, Tom. Und er kann dich gut leiden.« Er ignorierte meine Worte. »Viel Spaß euch beiden. Wenn ihr Ärger bekommt, dann schreibt mir, und ich komme hinauf und helfe euch aus der Klemme heraus.« »Danke. Wenn du Ärger bekommst, dann melde dich.« Er stand auf der Veranda, als wir losritten. Ich blickte mich noch einmal um. Er war kaum mehr zu erkennen, aber er stand noch immer da. »So lange ich ihn jetzt kenne, Cap«, sagte ich, »war es heute das erste Mal, daß ich Tom Sunday unrasiert sah.« Cap warf mir einen Blick aus seinen ruhigen Augen zu. »Aber er hatte seinen Revolver gereinigt«, sagte er. »Das hat er nicht vergessen.« Die Espen standen wie goldene Kerzen an den grünen Abhängen der Berge. Wir ritten nach Norden. Eine andere Welt umgab uns. »Binnen zwei Wochen frieren dir die Ohren ab«, bemerkte Cap. Er schnupperte jeden Morgen in den kühlen Wind und schien überhaupt ein neuer Mensch zu sein. Mir erging es ebenso. Vielleicht war das das einzig Richtige für mich: in der Wildnis herumzuziehen, immer weiter …

In Durango arbeiteten wir zwei Wochen lang auf einer Ranch. Wir halfen beim Roundup, trieben die Tiere zusammen und brändeten die Jungrinder. Dann zogen wir weiter nach Westen, in die Abajo Mountains. In Pioche nahm ich Arbeit als bewaffneter PostkutschenBegleiter an. Cap fuhr mit mir als Kutscher. Das machten wir zwei Monate lang. Einmal gerieten wir in einen Hinterhalt. Der Überfall mißlang, denn ich ließ mich vom Kutschbock fallen und schoß dem einen Banditen die Waffe aus der Hand – es war ein Zufall, denn ich stolperte über einen Stein und zielte nicht richtig. Den anderen schoß ich nieder. Wir brachten die beiden in die Stadt, und der Verwundete blieb am Leben. Aber er hatte nichts dazugelernt. Sechs Monate später wurde er bei einem Pferdediebstahl erwischt und am Torbalken der nächsten Ranch aufgehängt. Wir mußten einige Zeit in South Pass City bleiben, um einen Schneesturm abzuwarten. Da las ich in der Zeitung, daß Orrin als Kandidat für die Gesetzgebende Körperschaft aufgestellt worden war. Er hatte eine gute Presse. Orrin war noch jung, aber die Zeit begünstigte die jungen Männer. In seinem Alter war William Pitt Lordkanzler von England geworden, und Napoleon hatte seine italienischen Feldzüge beendet. Ich hatte Bücher über Napoleon und andere über die Taktik und Kampfweise der römischen Legionen gelesen. Die meiste Zeit kam ich aber nur an minderwertige Zehn-Cent-Hefte heran. Leider. Wir lagerten an Bergbächen. Wir fischten, wir jagten, und wir blieben am Leben. Ab und an hatten wir kleine Scharmützel mit Indianern. Einmal mußten wir vor einer Bande Blackfeets flüchten, und ein anderes Mal schlugen wir uns mit Sioux herum. Dabei wurde ich am Ohr verletzt, und Cap verlor sein Pferd. Deshalb saßen wir beide auf meinem Appaloosa, als wir

Laramie erreichten. Der Frühling nahte, und wir ritten weiter nach Norden. In Idaho steckten wir uns an einem Bach einen Claim ab, um dort Gold zu suchen. Ich war mit unseren bisherigen Einkünften nicht zufrieden. Wir hatten uns gerade unseren Lebensunterhalt verdient. Ein einziges Mal konnte ich ein Bündel Felle günstig verkaufen. Mit dem Geld leistete ich eine Abzahlung an Don Luis, das übrige schickte ich nach Hause. In der Nähe unseres Claims lag eine kleine Stadt. Es war keine richtige Stadt. Sie bestand nur aus ein paar zusammengedrängten Holzhütten und einem Saloon, der sich »RoseMarie« nannte. Ein massiger Mann mit kantigem Gesicht, roter Gesichtsfarbe, roten Haaren und kleinen blauen Augen führte den Saloon. Er legte seine fleischigen Hände auf die Theke, als wir eintraten. Seine kleinen, kalten Augen blickten uns abschätzend an. »Was soll’s sein, Gents? Etwas, um den lästigen Staub in den Kehlen hinunterzuspülen?« »Ja, aber aus der Flasche, die im Schrank steht«, sagte ich, denn ich hatte bemerkt, wie er selbst aus dieser Flasche einen Schluck genommen hatte. »Wir wollen diesen Bourbon – oder gar keinen.« »Ich kann den Whisky vom Faß empfehlen.« »Das glaube ich. Aber geben Sie uns den aus der Flasche.« »Das ist mein eigener Whisky. Ich verkaufe ihn gewöhnlich nicht.« An einem Tisch im Hintergrund saßen zwei Männer, die uns abschätzend musterten. Ich bemerkte etwas: die beiden wurden bedient, ohne daß sie bezahlten. Mir kam der Gedanke, daß sie für den Saloonbesitzer arbeiteten. Wenn sie das taten, worin bestand dann ihre Aufgabe? »Mein Name ist Brady«, sagte der rothaarige Barkeeper. »Martin Brady.«

»Freut mich«, sagte ich. »Jeder Mensch sollte einen Namen haben.« Wir legten unser Geld auf die Theke und wandten uns zum Gehen. »Stellen Sie den Whisky in Reichweite. Den aus der Flasche.« Nach drei Tagen hatten wir erst ganz wenig Gold aus dem Bach herausgewaschen. Ich richtete mich auf und sagte: »Cap, ich glaube, wir brauchen ein Maultier. Wenn das Maultier davonläuft, habe ich gehört, dann müssen wir ihm nur folgen, und wenn es mit dem Huf die Erde aufscharrt, dann brauchen wir uns nur zu bücken und die Goldklumpen aufzuheben.« »Mußt nicht alles glauben, was erzählt wird«, antwortete Cap und schob den Hut in den Nacken. »Ich habe mir den Boden genau angesehen. Da drüben« – er deutete mit der Hand auf ein ausgetrocknetes Bachbett – »ist der Bach früher geflossen. Wenn wir Gold finden wollen, müssen wir unter dieser Sandbank suchen.« Gesagt, getan. Wir trieben einen Schacht in die Tiefe, und schon nach zwei Tagen stießen wir auf goldhaltige Erde, die wir auswuschen. An den Abenden saß ich am Feuer und las. Am benachbarten Claim arbeitete ein Mann namens Clark, der mir mehrere Bücher lieh. Eines Abends kam Clark an unser Feuer. »Cap, du machst das beste Sauerteigbrot, das ich je gegessen habe. Ich werde es sehr vermissen.« »Machst du Schluß?« »Ja. Ich reise morgen ab, zurück zu meiner Frau und meiner Familie. Ich habe sechs oder sieben Jahre in einem Laden gearbeitet, und jetzt will ich einen eigenen haben.« »Sei bloß vorsichtig!« warnte Cap. Clark blickte sich um und senkte seine Stimme. »Hast du auch davon gehört? Ich meine diese Morde?« »Vergangene Woche wurde Wiltons Leiche gefunden«, sagte ich. »Er war in einer flachen Grube verscharrt, aber die Coyoten

haben ihn wieder ausgegraben.« »Ich kannte ihn.« Clark ließ sich den Teller ein zweites Mal mit Bohnen und Fleisch füllen und sagte dann: »Ich glaube diese Geschichten auch. Wilton hatte eine Menge Gold bei sich, und er war nicht der Mann, der damit herumprotzte.« Er aß ein paar Bissen, dann sagte er: »Sackett, es heißt, daß du gut mit deinem Schießeisen umgehen kannst.« »Das ist übertrieben.« »Wenn du mich ein Stück begleitest, dann zahle ich dir hundert Dollar dafür.« »Das Geld könnte mich reizen. Aber was wird unterdessen aus unserem Claim?« »Mir ist die Sache wichtig. Ich habe mit Dickey und Wells gesprochen. Sie sind verläßlich und werden auf euren Claim aufpassen.« Cap zündete seine Pfeife an, und ich schenkte Kaffee für uns alle ein. Die meisten Goldsucher, die ihr Geld im »Rose-MarieSaloon« verspielten, hatten keine Schwierigkeiten, das Tal zu verlassen; dafür aber diejenigen, die versuchten, ihr Gold mitzunehmen. Mindestens drei Männer hatten gute Funde gemacht und zerbrachen sich jetzt die Köpfe, wie sie lebend hier herauskommen und das behalten konnten, wofür sie gearbeitet hatten. »Clark«, sagte ich, »Cap und ich brauchen das Geld. Aber wir würden dir auch helfen, wenn du nichts dafür bezahlen könntest.« »Glaubt mir, es lohnt sich.« Ich stand auf. »Cap, ich reite mal in die Stadt und unterhalte mich mit Martin Brady.« Clark sprang auf. »Du bist verrückt!« »Ich möchte nicht, daß er glaubt, wir seien hinterhältig, Clark. Deshalb werde ich ihm sagen, daß wir morgen reiten. Ich werde ihm auch sagen, was denjenigen zustößt, die uns daran hindern wollen.«

Im »Rose-Marie-Saloon« saßen dreißig oder vierzig Männer an den Tischen, als ich eintrat. Brady kam auf mich zu und trocknete seine Hände an der Schürze ab. »Leider ist uns der Bourbon ausgegangen«, sagte er. »Sie müssen den Whisky vom Faß trinken.« »Ich kam nur, um Ihnen zu sagen, daß Jim Clark morgen wegreitet. Er nimmt all das Gold mit, das er in dieser Spelunke nicht ausgegeben hat.« Man hätte eine Stecknadel fallen hören können. Ich sprach so laut, daß jeder Anwesende mich verstehen konnte. Brady rollte seine Zigarre zwischen den Zähnen hin und her; er wurde weiß um die Augen. Ich richtete meine Aufmerksamkeit nur auf die beiden zwielichtigen Gestalten am Ende der Theke. »Warum sagen Sie mir das?« »Vielleicht glaubt mancher, daß Clark allein reitet«, fuhr ich fort, »und daß er bequem umgebracht werden kann. So wie Wilton, Jacks und Thompson. Ich dachte mir, daß es unfair wäre, wenn ich Clark begleite und dann jemand zu Tode kommt, der das nicht weiß und versuchen sollte, ihm sein Gold zu klauen. Clark wird nämlich durchkommen.« »Das hoffe ich in seinem Interesse«, sagte Brady und rollte seine Zigarre zwischen den Zähnen. Aus seinen kleinen Augen sprühte der Haß. »Er ist ein tüchtiger Mann.« Er wollte weggehen, aber ich war noch nicht fertig mit ihm. »Brady?« Langsam drehte er sich um. »Clark wird sein Geld behalten, weil ich selbst dafür sorgen werde. Wenn er weg ist, komme ich zurück.« »Na und?« Er legte seine Hände auf die Bar. »Was soll das heißen?« »Das heißt: wenn wir Schwierigkeiten haben, komme ich zurück und jage Sie aus der Stadt – oder ich bezahle Ihr Begräbnis.« Martin Bradys Gesicht wurde weiß vor Wut.

»Wollen Sie mich etwa einen Dieb nennen?« Er ließ beide Hände auf der Bar liegen. »Das müssen Sie mir erst beweisen!« »Beweisen? Wem? Hier weiß jeder, daß die Raubüberfälle und Morde auf Ihr Konto gehen. Hier gibt es kein ordentliches Gericht – hier herrscht der Colt. Mein Colt, wenn es sein muß.« Daraufhin geschah nichts. Martin Brady wagte es nicht, mir offen nach dem Leben zu trachten. Wir brachten Clark sicher bis zur Postkutschenstation und kehrten zu unserem Claim zurück. Bob Wells bewachte unseren Claim, das Gewehr über die Knie gelegt, als wir zurückkamen. »Ich wurde schon nervös«, sagte er. »Ich konnte mir nicht vorstellen, daß Brady das alles schluckt, ohne etwas zu unternehmen.« Dickey kam von seinem Claim herüber und brachte noch ein „ paar Männer mit. Zwei von ihnen waren an jenem Abend im »Rose-Marie-Saloon« gewesen, als ich mit Brady gesprochen hatte. »Wir haben uns die Sache überlegt«, sagte Dickey. »Wir wollen Sie zum Marshal ernennen.« »Danke. Abgelehnt.« »Kennen Sie einen besseren Mann?« fragte Wells. »Das Gold hier ist zwar fast ausgebeutet, aber in ein paar größeren Minen wird weiter geschürft. Ich will hier bleiben. Ich will einen Laden eröffnen, und wir alle wollen in einer anständigen Stadt leben.« Die anderen unterstützten ihn, und schließlich sagte Dickey: »Sackett, bei allem Respekt, aber ich halte es für Ihre Pflicht, die Stelle als Marshal anzunehmen!« Jetzt merkte ich, daß zu vieles Lesen auch Ärger bringen kann. Ich hatte zu viel über Pflichterfüllung gelesen. »Meinetwegen«, sagte ich. »Unter zwei Bedingungen: erstens, ein anderer übernimmt den Job, sobald die Stadt gesäubert ist. Zweitens müßt ihr Geld genug aufbringen, um Martin Brady

den Saloon abzukaufen.« »Abkaufen? Verjagen wir ihn doch!« Wer das rief, wußte ich nicht, aber ich sagte ihm gleich meine Meinung. »Einverstanden. Wer Sie auch sind – verjagen Sie ihn selbst!« Der Sprecher meldete sich nicht. Ich sagte: »Wenn wir ihn verjagen, dann sind wir nicht besser als er und seinesgleichen.« »Gut«, stimmte Wells zu. »Also werden wir kaufen.« »Immer langsam«, sagte ich. »Wir wollen nichts überstürzen. Wir werden ihm zuerst ein Angebot machen. Ob er es annimmt, ist dann seine Sache.« Am nächsten Tag stieg ich vor dem Saloon ab. Der Wind blies durch die Straße und trieb trockenes Laub vor sich her. Ich fühlte mich unendlich einsam. Es war, als ob diese Stadt zum Sterben verurteilt sei. Was ich durchzuführen hatte, war bedeutsam. Vielleicht nicht so sehr für diese Stadt, sondern für den Westen überhaupt. Recht mußte Recht bleiben. Stärke allein bedeutete noch keine Gerechtigkeit, und sie konnte leicht Korruption im Gefolge haben. Der Westen änderte sich. Früher einmal hätte man ein Selbstschutz-Komitee organisiert und ein paar Halunken aufgeknüpft, aber jetzt wurde ein Marshal eingesetzt. Der nächste Schritt führte zu einer Stadtversammlung, zur Wahl eines Friedensrichters oder eines Bürgermeisters. Martin Brady sah mich hereinkommen. Seine beiden Männer standen an der Theke. Um mich herum schien alles deutlicher und klarer zu sein als sonst; Lichter und Schatten, die Maserung im Holz der Bar, die von den Gläsern hinterlassenen Ringe, das leichte Zucken der Wange eines der Helfer Bradys, obwohl er zwölf Meter von mir entfernt stand. »Brady, das Land und die Zeiten ändern sich. Neue Leute kommen hierher. Sie wollen Schulen, Kirchen und Sicherheit.

Sie wollen am Abend unbelästigt Spazierengehen können.« Er starrte mich unverwandt an. Bestimmt wußte er, was jetzt kommen mußte. In diesem Augenblick tat mir Martin Brady fast leid, obwohl mir klar war, daß Männer seiner Art Menschen wie mich überleben würden. Merkwürdigerweise tolerieren die Menschen Halunken eher als Gewalttäter. Falschspiel, Diebstahl und Erpressung ertragen sie eher als offene Gewalt, auch wenn diese Gewalt reinigend wirkt. »Wie ich schon sagte, das Land und die Zeiten ändern sich, Brady. Sie haben den Leuten Ihren miserablen Whisky verkauft, haben sie bei jeder sich bietenden Gelegenheit betrogen, sie ausgeraubt und ermorden lassen. Aber Mord geht zu weit, Martin. Wenn es Tote gibt, dann wehren sich die anderen.« »Was wollen Sie denn, Sackett?« »Man hat mich zum Marshal ernannt.« »Na und?« »Sie werden den Saloon verkaufen, Brady, und man wird Ihnen einen fairen Preis dafür zahlen. Sie verkaufen und verschwinden aus der Stadt. Für immer.« Er nahm mit der Linken die Zigarre aus dem Mund und stützte sich auf die Theke. »Und wenn ich nicht verkaufen will?« »Sie haben keine andere Wahl.« Er lächelte und beugte sich vor, als ob er mir leise etwas sagen wollte. Im gleichen Augenblick drückte er mir die Glut der Zigarre gegen die Hand. Meine Hand zuckte zurück. Ich durchschaute den Trick zu spät. Die beiden Revolvermänner am Ende der Bar hatten aber nur darauf gewartet und schossen mich über den Haufen. Eine Kugel traf mich und riß mich von der Bar weg. Zwei weitere Kugeln gruben sich in das Holz der Bar, genau an der Stelle, wo ich soeben noch gestanden hatte. Dann traf mich eine zweite Kugel, und ich stürzte. Aber ich hatte meinen Colt schon aus dem Halfter und rollte mich auf

dem Boden weiter. Die Kugeln schlugen neben mir ein, und die Holzsplitter flogen mir ins Gesicht. Ich erschoß den Mann mit den dunklen Augen. Er war näher gekommen, um mir den Fangschuß zu geben. Ich schoß ihm eine Kugel in die Brust und sah ihn wie angenagelt stehen bleiben. Dann drehte er sich zur Seite und brach zusammen. Ich rollte mich weiter, kam wieder auf die Beine und sah aus den Augenwinkeln Martin Brady noch immer hinter der Bar stehen, beide Hände aufgestützt und die Zigarre zwischen den Zähnen. Er beobachtete mich. Ich erschoß den zweiten und ließ mir dabei Zeit zum Zielen. Sie lagen beide auf dem Boden und standen nicht mehr auf. Ich blickte Martin Brady an und sagte: »Sie haben keine andere Wahl, Martin.« Dann zerfloß sein Gesicht vor meinen Augen, und ich konnte noch fühlen, wie ich zusammenbrach. Die Decke hatte Sprünge. Es war mir, als starrte ich sie schon jahrelang an. Dann fiel mir ein, daß es schon sehr lange her war, seit ich mich in einem Haus befunden hatte, und überlegte, ob ich schon im Delirium lag. Cap Rountree trat ins Zimmer. Ich drehte den Kopf. »Wenn ich hier in der Hölle bin, dann habe ich wenigstens passende Gesellschaft.« »Ich kannte noch keinen, der so viele Gründe fand, um sich vor der Arbeit zu drücken«, brummte Cap. »Wie lange soll ich mich noch alleine abrackern?« »Du alter Herumtreiber«, sagte ich, »hast doch noch keinen einzigen Tag in deinem Leben wirklich etwas getan.« Cap brachte eine Schüssel mit Suppe und begann mich zu füttern. »Ich erinnere mich noch, daß Bradys Ganoven Löcher in mich schossen. Hast du sie zugestopft?« »Die Suppe wird schon nicht aus dir herauslaufen.«

An meiner Hand konnte ich die Narbe der Brandwunde von der Zigarre sehen. Sie war fast verheilt. Dieses Mal hatten sie mich drangekriegt. Von diesem Trick hatte mir Pa nie etwas erzählt. »Du hast vier Kugeln abgekriegt«, sagte Cap, »und mehr Blut verloren, als gut für dich war.« »Was ist mit Brady?« »Er ist abgehauen, während sie nach einem Strick suchten, um ihn zu hängen.« Cap setzte sich. »Merkwürdig, in der folgenden Nacht kam er hierher.« »Hierher?« »Ja. Er wollte sehen, wie es dir ging. Er sagte, daß es schade wäre, wenn du so sterben müßtest – daß ihr beide verdammte Narren wäret; aber wenn man sich sein Leben zurechtgezimmert hat, wäre es schwer, es zu ändern.« »Und seine beiden Männer?« »Die stehen nie mehr auf.« Draußen schien die Sonne auf den Bach, und ich hörte das Wasser über die Felsen plätschern. Ich dachte an Ma und Drusilla. Als ich endlich sitzen konnte, wandte ich mich an Cap. »Ist da draußen noch was zu holen?« »Praktisch nichts mehr. Schon seit Wochen nicht. Wenn wir weiter Gold suchen wollen, müssen wir uns einen andern Creek suchen.« »Dann reiten wir heim. Morgen satteln wir die Pferde.« Er sah mich skeptisch an. »Kannst du dich denn schon im Sattel halten?« »Wenn es heimgeht … nach Santa Fe, dann schaffe ich es.« Am nächsten Morgen ritten Cap und ich nach Süden. Aber es ist ein langer Weg von Idaho nach New Mexico, besonders zu Pferd. Von Zeit zu Zeit hörten wir Neuigkeiten über die Sacketts. Wir trafen unterwegs mehrere Männer, die allerhand wußten. Die Neuigkeiten betrafen alle Orrin. Orrin machte sich einen

Namen. Nur gab es da auch ein Gerücht, daß er heiraten wollte. Cap sagte es mir, denn er erfuhr es vor mir. Keiner von uns bemerkte etwas dazu. Cap mochte Laura so wenig wie ich und fürchtete ebenfalls, daß sie Orrins Auserwählte war. Wir ritten gleich zur Ranch. Bob kam uns entgegen, dicht gefolgt von Joe. Ma fühlte sich besser als seit Jahren. Sie hatte weniger Sorgen, und auch das Klima schien ihr gutzutun. Sie hatte eine Navajo-Frau ins Haus genommen, die die grobe Arbeit verrichtete, und zum erstenmal in ihrem Leben hatte es Ma etwas leichter. Im Wohnzimmer standen Bücherregale. Die beiden Jungen waren eifrige Leser. Es gab noch mehr Neuigkeiten. Don Luis war gestorben … das Begräbnis hatte erst vor zwei Tagen stattgefunden, aber die Männer von der Settlement Company machten sich bereits unangenehm bemerkbar. Torres ging es schlecht … er war vor ein paar Monaten aus dem Hinterhalt angeschossen worden. Ich hörte, daß er kaum wieder der alte werden würde. Drusilla hielt sich in der Stadt auf. Und Orrin hatte Laura Pritts geheiratet.

13 Orrin kam am Morgen auf die Ranch. Er fuhr einen leichten Wagen. Als er ausstieg, streckte er mir die Hand entgegen. Er trug einen schwarzen Tuchanzug, als ob er niemals in seinem Leben andere Sachen getragen hätte. Er war älter und selbstsicherer geworden. Seine Stimme hatte Autorität. Orrin war vorangekommen, daran gab es keinen Zweifel, aber geblieben war er de alte Orrin. Doch hatte er sich Bildung und Erfahrung angeeignet.

»Ich bin froh, dich wiederzusehen, Junge!« Er sah mich prüfend an, und ich mußte lächeln. »Du hattest Ärger«, sagte er plötzlich, »du warst verwundet!« Ich erzählte ihm von Martin Brady und »Rose-Marie«, meiner kurzen Zeit als Marshal und dem Kampf. Als ihm bewußt wurde, wie knapp ich am Tode vorbeigegangen war, wurde er bleich. »Tyrel«, sagte er langsam, »ich weiß, was du durchgemacht hast, aber hier wird auch noch ein tüchtiger Mann gebraucht. Wir benötigen einen Deputy-Sheriff, der ehrlich ist, und ich weiß, daß du nie deinen Revolver ziehst, wenn du keinen Grund dazu hast.« »Hat jemand das Gegenteil behauptet?« fragte ich ruhig. »Nein, natürlich nicht.« Er sprach hastig, und ich wußte, daß er mir nicht sagen wollte, wer das behauptet hatte. Mehr brauchte ich nicht als Antwort. »Es wird immer über einen Mann geredet, der mit seiner Waffe umzugehen versteht. Die Leute wissen es nicht besser.« Er machte eine Pause. »Du weißt, daß ich verheiratet bin?« »Hab’s gehört. Hat Laura Ma schon besucht?« Orrin wurde rot. »Laura mag Ma nicht. Sie behauptet, es sei unfein, wenn eine Frau raucht, und noch schlimmer sei es, wenn sie Pfeife raucht.« »Mag sein«, sagte ich vorsichtig, »aber wir werden Ma nicht mehr ändern.« Er scharrte mit dem Fuß. Seine Miene war düster. »Vielleicht denkst du, daß ich etwas falsch gemacht habe, Tyrel, aber ich liebe meine Frau. Sie ist so hübsch, so zart, so fein … als Politiker brauche ich eine solche Frau. Was man auch über Jonathan sagen kann, er hat mir sehr geholfen.« Darauf könnte ich wetten, dachte ich mir. Und eines Tages wird er die Gegenleistung fordern. »Orrin, wenn du mit Laura auskommst und sie dich glücklich macht, dann ist es gleich, wer sie mag und wer nicht. Jeder muß

sein eigenes Leben leben.« Orrin ging mit mir zum Corral und lehnte sich an einen Pfosten. Wir redeten, bis die Sonne untergegangen war und die ersten Sterne am Himmel erschienen. Dann gingen wir ins Haus zum Essen. Orrin hatte eine Menge gelernt und war mit Hilfe der Stimmen der Mexikaner in die Gesetzgebende Körperschaft gewählt worden. Er hatte mit großer Mehrheit gewonnen, denn in letzter Minute hatten Pritts Anhänger auch für ihn gestimmt. Orrin war klug. Man redete davon, daß er in den Senat der Vereinigten Staaten gewählt werden sollte. Er würde sicher ein guter Senator werden. »Ich wollte Tom Sunday als Deputy-Sheriff«, sagte Orrin, »aber er hat abgelehnt. Er nähme keine Almosen, sagte er.« Orrin sah mich an. »Tye, so hatte ich das nicht gemeint. Ich mag Tom, und ich brauche einen zuverlässigen Mann.« »Tom hätte seine Sache gut gemacht«, sagte Cap. »Schade, daß er nicht darauf eingegangen ist.« Orrin nickte. »Mit Tom ist etwas nicht in Ordnung. Er hat sich verändert, Cap. Er trinkt zuviel, aber das ist noch nicht alles. Er trägt einen Groll mit sich herum, und ich fürchte, daß er demnächst mal jemand umbringen wird.« Er sah wieder auf mich. »Tom mochte dich immer, Tye. Wenn jemand ihn besänftigen kann, bist du es.« »Ich werd’s versuchen.« Am zweiten Tag kam Miguel herübergeritten, und wir unterhielten uns lange. Drusilla wollte mich nicht sehen – sie hatte ihn geschickt, um mir das zu sagen. »Warum, Miguel?« »Wegen der Frau, die Ihr Bruder geheiratet hat. Die Señorita glaubt, daß Jonathan Pritts’ Haß ihren Großvater getötet hat.« »Ich bin nicht meines Bruders Hüter«, antwortete ich bedächtig. »Und ich habe ihm seine Frau auch nicht ausgesucht.« Ich sah Miguel offen an. »Miguel – ich liebe die Señorita.«

»Ich weiß, Señor. Ich weiß.« Auf der Ranch ging alles gut voran. Die Rinder, die wir gekauft hatten, wurden dick und fett, und etliche davon waren dieses Jahr verkauft worden. Der neue Sheriff war Bill Sexton, und ich mochte ihn von Anfang an gut leiden. Aber ich merkte auch, daß er seine Entscheidungen lieber vom Schreibtisch aus traf. So machte ich als Deputy-Sheriff und Town-Marshal den Außendienst. In und um Mora kannten mich alle Leute, und sie machten mir so gut wie keinen Ärger. Einmal faßte ich zwei Pferdediebe, ohne die Schußwaffe zu gebrauchen. Ich hatte sie bis zu ihrem Versteck verfolgt, und dann – als sie sich schlafen gelegt hatten –, schlich ich mich an sie heran und nahm ihre Waffen weg, ehe ich sie weckte. Tom Sunday sah ich nur einmal. Er kam in die Stadt, unrasiert und verwahrlost. Als er mich sah, streckte er mir die Hände entgegen und grinste. Wir unterhielten uns und tranken Kaffee. Es war wie in den alten Tagen. »Über eines«, sagte er, »brauchst du dir keine Sorgen zu machen. Reed Carney ist tot.« »Wie ist das geschehen?« »Chico Cruz hat ihn in Socorro erschossen.« Ich hatte ein übles Gefühl, als ich erfuhr, daß sich dieser mexikanische Revolverheld noch immer in der Gegend herumtrieb. Ich hoffte, ihm nie mehr zu begegnen. Als ich meinen Job als Deputy-Sheriff eine Woche ausgeübt hatte, ritt ich auf die Ranch hinaus und sah den hübschen schwarzen Wagen kommen. Aber nicht Orrin saß auf dem Kutschbock, sondern Laura. Ich trat die Treppe hinunter, um sie zu begrüßen. »Wie geht’s Ihnen, Laura? Ich freue mich, Sie zu sehen.« »Ich freue mich nicht, Sie zu sehen.« Ihr Ton war unfreundlich, die Lippen schmal. In diesem Augenblick war sie eine

häßliche Frau. »Wenn Sie ein klein wenig für Ihren Bruder übrig hätten, dann würden Sie von hier fortgehen und niemals mehr wiederkommen!« »Ich bin hier zu Hause.« »Es wäre besser, Sie gingen«, beharrte sie. »Jedermann weiß, daß Sie ein schießwütiger Killer sind. Jetzt, nachdem Sie sich als Deputy-Sheriff bei Sexton angebiedert haben, werden Sie so lange hier bleiben, bis Sie Orrin und mich und alle anderen ruiniert haben.« Das machte mich wütend, und ich sagte: »Ist es denn etwas anderes, wenn man selbst zur Waffe greift, anstatt dies von andern besorgen zu lassen?« Sie schlug nach mir, aber ich trat zurück, und sie fiel beinahe aus dem Wagen. Ich ergriff ihren Arm und stützte sie. Sie riß sich von mir los. »Wenn Sie nicht freiwillig gehen, dann werde ich einen Weg finden, um Sie zu vertreiben. Sie hassen mich und meinen Vater, und wenn Sie nicht gewesen wären, dann wäre auch alles glatt gegangen!« »Bedaure. Ich bleibe hier.« Sie hieb auf die Pferde ein, raste los und nahm die Kurve so scharf, daß beinahe der Wagen umstürzte. Ob Orrin sie wohl schon einmal so wütend gesehen hatte? Sie war doch nicht so wie dieser bösartige Rotschimmel, den wir einmal besessen hatten. Der Charakter des Pferdes war wesentlich besser gewesen. Ma sagte nichts, aber ich wußte, daß ihr Orrins Besuche fehlten. Immer seltener kam er zu uns. Laura hatte immer etwas Wichtiges vor, das keinen Aufschub duldete, wenn er uns besuchen wollte. Tom Sundays Nachbar Ed Fry deutete an, daß ihm Vieh gestohlen werde, und es kamen auch von anderen Beschwerden über Tom Sunday. Was Tom auch immer war, er war ehrlich und stahl kein Vieh. So sattelte ich Kelly und ritt zu Toms Ranch.

Tom Sunday trat in die Tür und lehnte sich gegen den Rahmen, während ich mein Pferd anband. »Das ist ein schönes Tier, Tye«, sagte er. »Du kennst dich mit Pferden aus.« Er kauerte sich nieder und drehte eine Zigarette. Ich setzte mich neben ihn, und wir redeten über allerlei, ehe ich ihn fragte, ob er Verdruß mit Fry hatte. Er sah mich kalt an. »Hör mal, Tye, das ist meine Sache. Misch dich da nicht ein.« »Ich vertrete das Gesetz, Tom«, erinnerte ich ihn. »Ich will den Frieden erhalten.« »Ich brauche keine Hilfe und keinen, der sich einmischt.« »Sieh mal, Tom – ich mache meine Arbeit gern. Die Jungs kümmern sich um die Ranch, deshalb habe ich den Job angenommen. Wenn du mir Schwierigkeiten machst, verliere ich ihn vielleicht.« Seine Augen glitzerten spöttisch. »Mich kannst du nicht einwickeln, Tye. Du bist hergekommen, weil über mich allerhand geredet wird, und du machst dir Sorgen. Das sind alles verdammte Lügen, und du weißt es.« »Ich weiß es, Tom. Aber die anderen …« »Die soll der Teufel holen.« »In Ordnung, soweit es dich betrifft. Für mich liegt die Sache anders. Ich kam her, weil ich wissen will, was eigentlich los ist. Außerdem wollte ich dich mal wieder sehen. Wir vier waren doch gute Freunde, Tom, und so sollte es auch bleiben.« Er starrte mürrisch vor sich hin. »Ich habe mich mit deinem hochnäsigen Bruder nie recht vertragen, Tye. Er hielt sich immer für was Besseres als die anderen.« »Du vergißt etwas, Tom. Du hast ihm doch geholfen. Du hast ihm das Lesen beigebracht, genauso wie mir. Wenn er Karriere macht, dann ist es auch dein Verdienst.« Ich dachte, daß ihm das schmeicheln würde, aber er hörte gar

nicht zu. Er warf seine Zigarette weg. »Der Kaffee ist fertig«, sagte er, richtete sich auf und ging ins Haus. Beim Essen redeten wir nicht viel. Wir waren auch oft meilenweit nebeneinander hergeritten, ohne zu sprechen, und verstanden uns doch. Er trank einen Schluck Kaffee. »Es ist schon lange her«, sagte er mürrisch, »daß du bei Baxter Springs in unser Lager geritten bist.« »Fünf Jahre«, bestätigte ich. »So lange sind wir schon befreundet. Wir haben dich auf unserem letzten Trip nach Idaho vermißt. Cap und ich.« »Cap und du – ihr seid in Ordnung. Es ist dein Bruder, den ich nicht ausstehen kann. Aber er wird es schaffen«, sagte er brummig. »Er wird Karriere machen, und wir andern werden dumm aus der Wäsche gucken.« »Er wollte dich als Deputy-Sheriff haben. So lautete doch eure Abmachung: wenn du gewinnst, bietest du ihm den Job an, wenn er gewinnt, ist es umgekehrt.« Tom wandte sich abrupt ab. »Ich brauche diesen verdammten Job nicht! Wenn ich nicht gewesen wäre, wäre er niemals auf die Idee gekommen, sich um ein Amt zu bewerben!« Das stimmte zwar nicht, aber ich wollte mich nicht mit ihm streiten. Nach einer Weile stand ich auf und spülte meine Tasse aus. »Ich muß weiter. Komm doch mal ’rüber auf die Ranch. Cap wird sich freuen, dich zu sehen. Ma auch.« Dann fügte ich hinzu: »Orrin ist nicht oft bei uns.« Toms Augen sprühten. »Diese Frau ist schuld! Du hast sie richtig erkannt. Wenn ich jemals ein falsches Weibsstück gesehen habe, dann ist sie eines. Und ihr Alter … ich kann den Kerl nicht ausstehen.« Als ich im Sattel saß, drehte ich mich noch einmal um: »Tom, laß dich nicht mit Ed Fry ein. Ich will keinen Ärger.«

»Du hast gut reden.« Er grinste. »Meinetwegen, ich laß ihn in Ruhe. Aber er ist mir zuwider.« Als ich wegritt, rief er: »Empfehlungen an deine Mutter, Tye!« Ich fühlte mich auf dem Heimritt elend; es war, als ob ich etwas Wertvolles verloren hätte. Tom Sundays Augen waren blutunterlaufen gewesen, und er war unrasiert. Er kümmerte sich um nichts als um seine Weiden. Als ich über sein Land ritt, konnte ich sehen, daß er trotz allem erstklassig für seine Rinder sorgte. Ed Fry und ein paar andere hatten darüber geredet, daß sich Toms Herde ständig vermehrte. Das war kein Wunder. Er hatte gutes Gras und ließ es nie ganz abweiden. Seine Wasserlöcher waren stets sauber, und er hatte sogar ein Wehr in den Fluß gebaut, um immer eine Wasserreserve zu haben. Es gab keinen Regen. Die Monate vergingen, und die Rancher waren besorgt. Tom Sundays Rindern schien die Trockenheit nichts anzuhaben. Aber er hatte auch dafür gearbeitet, daß seine Weiden stets bewässert waren. Ed Fry war ein Querkopf. Mir waren solche Kerle schon öfters begegnet. Er war im Krieg Soldat gewesen, hatte aber nie Pulverdampf gerochen. Trotzdem riskierte er stets ein freches Mundwerk und war außerdem dumm genug zu glauben, ihm könne nie etwas zustoßen. Eines Morgens kam ich ins Sheriff’s Office, setzte mich hin und sagte: »Bill, du könntest uns beiden einen großen Gefallen tun, wenn du mit Ed Fry mal sprechen würdest.« Sexton legte ein paar Akten beiseite und rollte seine Zigarre. »Hat er schon wieder sein großes Maul aufgerissen?« »Und ob. Man hat mir erzählt, daß er gestern Tom Sunday als Dieb bezeichnete. Wenn Tom das hört, dann gibt es ein Feuerwerk. Auch wenn Cap Rountree es erfährt, pfeifen die Kugeln.« Sexton blickte mich fest an. »Und ich möchte auch nicht, daß

du es hörst«, sagte er offen. »Oder Orrin.« »Wenn ich etwas dagegen tun wollte, dann würde ich zuerst meinen Stern ablegen. Solange ich im Amt bin, gibt es für mich keine persönlichen Angelegenheiten.« Sexton überlegte. »Ich werde mit Ed reden. Obwohl ich nicht glaube, daß er auf mich hören wird. Er wird dann nur noch sturer. Er behauptet, daß du Tom Sunday deckst.« »Er lügt, und niemand weiß das besser als du, Bill. Tom Sunday ist der beste Rinderzüchter weit und breit. Betrunken oder nüchtern versteht er mehr von Rindern, als Ed Fry jemals lernen wird.« Sexton fuhr sich mit den Fingern durchs Haar. »Tye, Ed soll die Schnauze halten. Ich will ihn fragen, wie viele Rinder ihm fehlen und worauf sich sein Verdacht gegen Tom Sunday gründet. Er soll seine Karten offen auf den Tisch legen.« »Das überlasse ich dir«, sagte ich. »Mir wird er nicht die Wahrheit sagen. Der Kerl ist ein Vollidiot.« Seit ich Deputy-Sheriff und Town-Marshal war, hatte ich noch kein einziges Mal meinen Colt ziehen müssen. Es hatte auch keine Schießerei in der Stadt gegeben. Und so sollte es bleiben, wenn es nach mir ginge. Aber ich wollte auch Tom Sunday aus jedem Streit heraushalten. Manchmal ist man gegen das Schicksal machtlos; und Ed Fry wollte sein dummes Mundwerk um keinen Preis halten. Es geschah im St. James Hotel in Cimarron, als er seinen Mund einmal zu oft aufmachte, und es gab eine ganze Menge Zeugen. Clay Allison war anwesend. Er trank mit einem Mann einen Whisky, dem er gerade zwei Maultiere abgekauft hatte. Dieser Mann war Tom Sunday. Cap war ebenfalls anwesend. Ed Fry hielt gerade große Rede, als Cap den St. James Saloon betrat. »Er ist nichts als ein verdammter Viehdieb!« sagte Fry laut. »Tom Sunday ist ein Dieb, und die Sacketts decken ihn!«

Tom Sunday hatte schon ein paar Whiskys hinter die Binde gegossen. Er drehte sich langsam um und sah Fry an. Vielleicht hatte Fry bis zu diesem Augenblick gar nicht gewußt, daß Sunday sich auch im Saloon befand. Cap erzählte, daß Fry grau im Gesicht wurde und der Schweiß auf seiner Stirn ausbrach. Die Leute hatten ihn oft wegen seiner losen Reden gewarnt – jetzt mußte er dafür einstehen. Tom blieb ganz ruhig. Als er sprach, konnte man ihn in der entferntesten Ecke hören; so still war es geworden. »Mr. Fry, ich bin darauf aufmerksam gemacht worden, daß Sie bei den verschiedensten Gelegenheiten geäußert haben, ich sei ein Viehdieb. Sie haben diese Verdächtigung ohne jeden Beweis ausgesprochen. Sie haben es gesagt, weil Sie selbst von Rinderzucht weniger als nichts verstehen und außerdem ein sehr unfähiger und dummer Mensch sind.« Wenn Tom getrunken hatte, drückte er sich besonders gewählt aus. »So können Sie nicht mit mir reden …« »Sie haben behauptet, ich sei ein Viehdieb, und Sie haben ferner behauptet, die Sacketts deckten meine ungesetzlichen Handlungen. Ich war nie ein Viehdieb, Mr. Fry, und ich habe auch während meines ganzen Lebens noch nichts gestohlen. Auch brauche ich keinerlei Unterstützung oder Protektion von Seiten der Sacketts, oder von sonst jemand. Jedermann, der eine solche Behauptung aufstellt, ist ein Lügner, Mr. Fry, ein sehr armseliger und dummer Lügner!« Er hatte seine Stimme nicht erhoben. Aber seine Worte mußten auf Fry wirken wie Peitschenhiebe. Ed Fry sprang auf. Tom sah ihn verächtlich an. »Jetzt habe ich genug …« Ed Fry griff nach seinem Revolver. Er war ein großer, ungeschickter Kerl. Als er die Waffe aus dem Halfter zog, fiel sie ihm beinahe aus der Hand. Sunday rührte sich nicht, bis Fry den

Revolver fest in der Hand hielt und die Mündung auf ihn richtete. Dann erst zog Tom seinen Colt und erschoß ihn. Cap Rountree erzählte den Ablauf des Showdown zwei Tage später Bill Sexton, Orrin und mir im Sheriff’s Office. »Kein Mensch hatte je eine bessere Chance als Fry«, sagte Cap. »Tom stand da und wartete. Ich dachte schon, er wollte sich von Fry erschießen lassen. Tom ist schnell, Tye. Sehr schnell.« Und wie er mich dabei ansah, werde ich niemals vergessen.

14 Ein paar Tage später ritt ich nach Santa Fe, um Drusilla zu besuchen. Ich hatte sie schon längst einmal aufsuchen wollen, aber ich hatte einfach keine Gelegenheit dazu gehabt. Diesmal ließ ich mich durch nichts aufhalten und zügelte mein Pferd erst vor ihrer Tür. Groß und ruhig stand sie in der Tür. In dem Augenblick, in dem ich erschien, drehte sie ihren Kopf und sah mich. »Dru«, sagte ich, »ich liebe Sie.« Sie hielt den Atem an und wandte sich ab. »Bitte«, sagte sie, »gehen Sie. Das dürfen Sie nicht sagen.« Als ich trotzdem auf sie zuging, wandte sie sich mir wieder zu. »Tye, Sie hätten nicht herkommen dürfen. Und vor allem hätten Sie das nicht sagen dürfen.« »Wissen Sie nicht, daß ich es aufrichtig meine?« Sie nickte. »Ja … ich weiß. Aber Sie lieben auch Ihren Bruder, und die Familie seiner Frau haßt mich. Ich … ich verachte sie auch.« »Warum tun Sie ihnen dann den Gefallen und leben wie ein Einsiedler? Pritts glaubt, daß er die Alvarados besiegt hat. Sie

sollten herauskommen und sich zeigen!« »Vielleicht haben Sie recht.« »Dru, was ist denn los mit Ihnen? Ich kam heute her, um meine Schulden zu bezahlen, aber ich bin froh, daß ich auch aus einem anderen Grund kam. Don Luis ist nicht mehr bei uns. Ich achtete ihn sehr, und ich weiß, daß er Sie glücklich sehen wollte. Sie sind wunderschön, Dru, und Sie haben Freunde. Ihre Anwesenheit in Santa Fe würde Laura und Jonathan Pritts mehr beunruhigen, als Sie denken. Überdies will ich Sie zum Tanz ausführen. Und ich will Sie heiraten, Dru.« Ihr Blick war sanft. »Tye, ich wollte Sie auch immer heiraten. Ich hätte es schon lange getan, wenn Sie mir einen Antrag gemacht hätten, schon das erste Mal, als Sie uns in Santa Fe besuchten.« »Damals besaß ich nichts. Ich war ein Niemand. Ein Vagabund mit einem Pferd und einem Colt.« »Sie waren immer derselbe.« »Manchmal wollte ich Ihnen einen Antrag machen … aber ich konnte nie die richtigen Worte finden.« Wir setzten uns und tranken Kaffee wie in alten Zeiten. Ich erzählte Dru von Laura und Ma. Das machte sie böse. »Es braut sich wieder etwas zusammen, Dru. Ich weiß nicht, wann es losgehen wird, aber Pritts rüstet sich zum Endkampf. Viel kann geschehen, aber wenn es soweit ist, möchte ich Sie bei mir haben.« Wir redeten, bis die Sonne unterging, und erst als ich aufstand, erinnerte ich mich an das Geld. Sie schob es weg. »Nein, Tyrel, heben Sie es einstweilen für mich auf. Legen Sie es für mich an, wenn Sie wollen. Großvater hat mir genug hinterlassen, und ich wüßte nicht, was ich jetzt mit dem Geld anfangen sollte.« Das war vernünftig, und ich ließ es dabei bewenden. Dann sagte sie mir etwas, das mich ahnen ließ, was noch kommen konnte.

»Ich habe einen Onkel, Tye, der Rechtsanwalt ist. Er wird meinen Grundbesitz amtlich bestätigen lassen. Wenn das geklärt ist«, fügte sie hinzu, »werde ich den United States Marshal auffordern, alle Siedler von meinem Land zu entfernen.« Was sollte ich sagen? Es war der richtige Weg, und er mußte früher oder später beschritten werden – aber nichts würde den Ausbruch der offenen Feindseligkeiten mehr beschleunigen als das. Jonathan Pritts hatte schon eine Menge Leute auf dem Land angesiedelt, das den Alvarados gehörte. Dann hatte er die Parzellen dieser Siedler aufgekauft, und jetzt beanspruchte er mehr als hunderttausend Acres Land. Vielleicht hatte er gehofft, nach dem Tod von Don Luis auf keinen Widerstand mehr zu stoßen. Wenn aber der Alvarado-Grundbesitz dem rechtmäßigen Besitzer bestätigt würde, dann hätte Pritts das Nachsehen. Es bliebe ihm kein roter Cent. Ich bedauerte ihn nicht. Er hatte sich keine Sorgen darüber gemacht, was aus Don Luis oder seiner Enkelin werden sollte. Aber das konnte der Funke im Pulverfaß sein. »An Ihrer Stelle«, riet ich ihr, »würde ich nach Mexiko verreisen, bis alles geklärt ist.« »Ich bin hier zu Hause«, antwortete Dru ruhig. »Dru, Sie wissen nicht, was das heißt. Es wird geschossen werden. Pritts Leute werden Sie umbringen … oder es zumindest versuchen.« »Sie können es versuchen«, sagte sie ungerührt. »Ich werde nicht fortgehen.« Als ich das Haus verließ, machte ich mir Sorgen um Dru. Wenn ich nicht so besorgt um sie gewesen wäre, hätte ich auch ein wenig an mich gedacht. Alle würden annehmen, daß ich hinter ihr stünde. Von dem Tag an, an dem die gerichtlichen Schritte eingeleitet werden würden, wäre ich das erste Ziel ihrer Kugeln. Als ich damit rechnete, daß es losgehen würde, blieb alles

ruhig. Weiter im Norden gab es ein paar Tote. Einer davon war ein früherer Mitläufer der Settlement Company, der mit Jonathan Pritts gebrochen hatte … der Mord geschah außerhalb meines Amtsbereiches und wurde nie geklärt. Jonathan Pritts blieb in Santa Fe. Laura empfing wichtige Gäste bei ihren Einladungen und Fandangos, die fast jeden Abend stattfanden. Es hieß, daß Pritts enormen politischen Einfluß besaß.- Ich war skeptisch … wenn die Leute sich einladen lassen, sind sie deswegen noch nicht derselben politischen Meinung wie ihr Gastgeber. Eines Samstags, am Nachmittag, hielt Orrin sein Gespann neben mir. Er lächelte, als er sah, daß ich Satan ritt. »Du solltest das Pferd verkaufen, Tyrel«, riet er. »Ich denke nicht dran. Satan ist anders als die andern Pferde, aber mir ist er recht.« »Hm. Wie geht’s?« »Danke, gut.« Es war ein heißer Tag, und der Schweiß lief mir übers Gesicht. Die Straße war belebt. Fetterson stand weiter unten, im Gespräch mit einem Kerl, der Paisano genannt wurde. »Ma vermißt dich, Orrin. Du solltest einmal hinausfahren und sie besuchen.« »Ich weiß … ich weiß. Verdammt noch mal, Tyrel, warum können sich Frauen nie vertragen?« »Ma war immer verträglich. Sie hat sich nicht geändert, Orrin. Nur raucht sie noch immer ihre Pfeife.« Er wischte sich den Schweiß vom Gesicht. »Laura kann das nicht ausstehen. Sie macht jedesmal Theater, wenn ich auf die Ranch hinausfahre.« »Ja, die Frauen«, sagte ich. »Manchmal muß man sie eben hart hernehmen. Wenn man ihnen dauernd ihren Willen läßt, können sie einem das Leben zur Hölle machen. Und sich selbst auch. Die richtige Mischung aus Zärtlichkeit und Härte – und sie fressen dir aus der Hand.«

Er starrte die sonnenhelle Straße hinunter. »Das sagt sich sehr einfach, Tyrel. Aber man muß so vieles berücksichtigen. Wenn wir als Staat in die Union aufgenommen werden, dann will ich mich in den Senat wählen lassen. In ein paar Jahren wird es so weit sein.« »Wie verträgst du dich mit Pritts?« Orrin nahm die Zügel. Er brauchte mir nichts mehr zu sagen. Orrin war gutmütig, aber auch seine Geduld hatte einmal ein Ende. Vielleicht konnte ihn eine Frau länger am Gängelband führen als ein Mann … »Überhaupt nicht.« Er sah zu mir auf. »Das bleibt unter uns, Tyrel. Ich würde es nicht einmal Ma sagen. Jonathan und ich kommen einfach nicht miteinander aus, und Laura … kann auch sehr schwierig sein.« »Dann hast du ja allerhand am Hals.« »Hm, ja. Verdammt heißer Tag heute. Na, wir sehen uns später noch, Tyrel.« Er fuhr los, und ich sah ihm nach. Er war ein feiner Kerl, aber als er diese Laura heiratete, hatte er sich etwas Schlimmes eingebrockt. Als ich die Straße hinunterblickte, sah ich, wie Fetterson Paisano etwas in die Hand drückte. Das Sonnenlicht wurde einen Augenblick lang von dem Gegenstand reflektiert, dann verschwand er in Paisanos Tasche. Aber der Augenblick hatte genügt. Paisano hatte eine Handvoll Gold von Fetterson erhalten, und das war immerhin interessant. Manchmal hat man eine Vorahnung, wenn etwas geschieht. Es braute sich schon wieder etwas zusammen. Leider wußte ich nicht, daß Juan Torres von Socorro heraufkommen sollte, weil er wieder für Dru arbeitete. Hätte ich es gewußt, dann hätte ich auch gewußt, wie Jonathan Pritts darauf reagieren würde. Und wenn Dru erwähnt hätte, daß Torres wieder auf den Be-

inen war und zurückkam, dann wäre ich ihm entgegengeritten. Juan Torres ritt in Begleitung von zwei anderen Mexikanern, die er in Socorro angeworben hatte. Sie ritten durch eine Schlucht vier Meilen vor Mora, als sie zusammengeschossen wurden. Die Bergluft war klar, und jedes Geräusch war weithin zu hören. Außerdem war es früh am Morgen. Orrin war mit der Postkutsche nach Santa Fe und von dort mit seinem Gespann nach Mora heraufgekommen. Ich hatte die Nacht über im Hinterzimmer des Sheriffs Office geschlafen. Wir alle hörten die Schüsse. Es war eine Salve aus vier oder fünf Gewehren, und dann, beinahe eine halbe Minute später, fiel noch ein einzelner Schuß. Auf der Jagd schießt man anders. Es mußte ein Kampf gewesen sein. Ich rannte zu Orrins Wagen, er dicht hinter mir her. Seine Winchester lag auf dem Wagen, und wir trugen unsere Revolvergürtel. In der Schlucht hing noch der Staub in der reglosen Luft. Die Mörder waren verschwunden. Eine Verfolgung mit dem Wagen war sinnlos. Juan Torres lag auf dem Rücken. Er hatte drei Kugeln in der Brust stecken, der vierte Schuß saß genau zwischen seinen Augen. Die Haut war von der Flamme des Mündungsfeuers versengt. »Weißt du, was das bedeutet?« fragte ich Orrin. »Jemand wollte sichergehen, daß er tot war. Erinnerst du dich an den letzten Schuß?« Zwei Reiter kamen angeprescht. Ich erkannte meinen Bruder Joe und Cap Rountree, die auf ungesattelten Pferden saßen. Die Ranch lag nicht weit entfernt, und sie mußten sofort losgeritten sein. Sie verwischten keine einzige Spur. Juan Torres war schon tot, als der letzte Schuß seine Stirn zerschmetterte; mindestens zwei der Kugeln in seiner Brust

waren tödlich gewesen. Die beiden anderen Mexikaner waren ebenfalls tot. Ich begann, nach Spuren zu suchen. Keine zehn Meter neben der Straße hatten ein paar Männer gewartet. Es lagen Zigarettenstummel herum. Das Gras war niedergetreten. Orrin warf einen Blick auf die Leichen und ging dann zurück zum Wagen. Er sagte kein Wort, starrte nur auf den Boden und dann auf seine Hände. Ein Mexikaner, den ich kannte, kam aus der Stadt. Er blieb im Sattel sitzen und sah auf die Toten. »Bandidos?« fragte er, obwohl er es genau wußte. »Nein«, sagte ich. »Mörder.« Er nickte langsam. »Jetzt wird es Krieg geben.« Er deutete auf Torres. »Er war ein guter Mann!« »Er war mein Freund.« »Si.« Ich ließ den Mexikaner zurück, damit er den Eingang der Schlucht bewachte. Joe postierte ich am anderen Ende. Danach luden wir die Toten auf den Wagen. Orrin und Cap schickte ich mit dem Wagen in die Stadt. Joe sah mich mit großen Augen an. »Laß keinen die Spuren auf der Straße verwischen«, sagte ich, »bis ich mir alles genau angesehen habe.« Zuerst ging ich zu der Stelle, an der die Mörder gewartet hatten. Ich sah mir die Umgebung sehr genau an, ehe ich die Stelle selbst untersuchte. Jetzt war es also so weit. Juan Torres war allgemein beliebt gewesen. Man hatte ihn kaltblütig ermordet. Die beiden anderen hatten Pech gehabt, daß sie mit ihm geritten waren. Und nur ein Mann hatte Interesse daran, Juan Torres zu töten … Einer der Mörder hatte seine Zigaretten bis auf kleine Stummel aufgeraucht. Ich fand die Stelle, wo er gekniet und gezielt hatte. Ich schätzte ihn auf ein Meter sechzig oder fünfundsech-

zig. Ein kleiner Mann, der seine Zigaretten bis auf kurze Stummel aufrauchte – das war nicht viel, aber immerhin ein Anfang. Eines war sicher. Es war kaltblütiger, vorsätzlicher Mord, und die drei hatten nicht die geringste Chance gehabt, sich zu verteidigen. Der Mord war innerhalb meines Amtsbereiches geschehen, und ich wollte nicht ruhen, bis die Verbrecher hinter Gittern saßen. Ganz gleich, wer sie auch waren und wer hinter dem Verbrechen steckte. Fünf Männer waren es gewesen. Sie hatten alle Patronenhülsen aufgehoben, die ihre Gewehre ausgeworfen hatten … oder vielleicht doch nicht? Ich suchte das niedergetretene Gras ab und fand eine Patronenhülse. Sie war vom Kaliber 44 und ganz neu. Ich schob sie in die Tasche. Fünf Männer … und Torres war von vier Kugeln getroffen worden. Mindestens neun Schüsse waren vor dem letzten, der Torres’ Stirn traf, abgegeben worden. Es gibt Männer, die sehr rasch durchladen und doch genau schießen, aber es war unwahrscheinlich, mehr als einen oder zwei solcher Männer in einer Gruppe von fünf zu finden. Torres mußte sich bewegt haben, vielleicht fiel er nach der ersten Salve, und doch war er von mehreren Kugeln getroffen worden. Die Antwort war einfach: es waren mehr als fünf Männer gewesen. Gedankenvoll blickte ich zum oberen Rand der Schlucht hinauf. Ein Hang führte von der Stelle, wo sie gewartet hatten, in die Höhe. Er war mit Zedern bestanden. Da oben hatte ein Späher gestanden, der Torres’ Ankunft meldete. Fast zwei Stunden suchte ich das Gelände ab. Ich fand die Stelle, wo die Pferde angebunden gewesen waren; sieben Tiere. Und oben, am Rand der Schlucht, fand ich schließlich den Ort, an dem zwei weitere Männer gewartet und geraucht hatten. Einer von ihnen war zu den Pferden hinuntergerutscht. Ich konnte

die Spuren, die er hinterlassen hatte, deutlich erkennen. Er hatte die Hacken in die Erde gestemmt, um nicht zu rasch zu rutschen. Cap kam wieder zurück. Er half mir beim Suchen, und dann gesellte sich auch Orrin zu uns. Um diese Zeit wußte ich bereits mehr. Der Mann, der Torres den Fangschuß gegeben hatte, war groß und hatte ziemlich neue Stiefel an. Er war in eine Blutlache getreten. Obwohl Orrin mir die Arbeit überließ – zu viele Füße konnten eine wichtige Spur verwischen –, sah er genug, um zu wissen, daß es ein kaltblütig geplanter und durchgeführter Mord war. Zunächst mußte ich überlegen, ob sie erwarteten, verfolgt zu werden oder nicht und wie weit sie fliehen mochten. Wie gut kannten sie die Gegend? Würden sie sich auf der Ranch von Freunden verstecken, oder in den Bergen? Cap hatte mir Kelly gesattelt mitgebracht. Als ich mit dem Suchen fertig war, stieg ich in den Sattel und schickte Joe zurück auf unsere Ranch. Er wollte sich unbedingt dem Aufgebot anschließen. Aber ich wollte Joe und Bob, wenn möglich, aus der Sache heraushalten. »Was denkst du, Tyrel?« »Heimtückischer Mord«, sagte ich, »durchgeführt von sieben Männern, die wußten, daß Torres nach Mora kommen wollte. Der Mord war geplant, denn die Mörder warteten sechs oder sieben Stunden an dieser Stelle. Zwei kamen später. Ich nehme an, sie beobachteten Torres von dem Ausguck dort oben, um sicherzugehen, daß er nicht vorher abbog oder anhielt.« Orrin starrte auf seine Hände und sagte nichts. Ich ließ meinen Verdacht nicht laut werden, und Cap schwieg ebenfalls. »In Ordnung«, sagte Orrin. »Du wirst sie verfolgen und festnehmen; gleichgültig, wie lange es dauert oder wieviel Geld du dazu brauchst.« Ich zögerte. Nur Cap, Orrin und ich waren anwesend. »Or-

rin«, sagte ich, »du hast mir den Job verschafft, und du kannst ihn mir auch wieder wegnehmen. Du kannst die Sache Bill Sexton überlassen oder jemand andern dazu bestimmen.« Orrin wurde selten wütend, aber jetzt war er es. »Tyrel, das ist Quatsch. Du wirst deine Aufgabe ausführen.« Keiner von uns zweifelte, wohin die Spur fuhren würde. Aber möglicherweise dachte Orrin, daß Fetterson für den Mord verantwortlich war, und nicht Pritts selbst. Bill Sexton trat zu uns. »Du wirst ein Aufgebot brauchen«, sagte er, »ich werde dir ein paar gute Männer besorgen.« »Kein Aufgebot … ich brauche Cap, sonst niemand.« »Bist du verrückt? Es waren sieben … mindestens!« »Sieh mal, wenn ich ein Aufgebot mitnehme, dann ist sicher einer darunter, der seinen Zeigefinger nicht ruhig halten kann. Wenn möglich möchte ich eine Schießerei vermeiden. Ich will diese Männer lebend fangen.« »Du riskierst dein Leben«, warnte Sexton. »Aber es ist schließlich dein Leben. Tu, was du für richtig hältst.« »Soll ich mitkommen?« fragte Orrin. »Nein.« Nichts wäre mir lieber gewesen, aber je weniger er an der Sache teilhatte, desto besser. »Cap genügt.« Ich glaubte nicht, daß die sieben Männer lange beisammen bleiben würden. Sie würden sich bald trennen. Die Alvarado-Ranch lag ruhig unter tiefhängenden grauen Wolken, als Cap und ich das Tor erreichten. Ich informierte Miguel kurz über Torres’ Tod. »Ich komme mit«, sagte er sofort. »Sie bleiben hier«, bestimmte ich. »Die Mörder hoffen, durch Torres’ Ermordung der Señorita die letzten Aussichten auf Erfolg zu rauben. Torres ist tot, aber Sie leben noch, Miguel. Sie werden seinen Platz einnehmen. Ab jetzt sind Sie Vormann.« Er stutzte. »Aber ich …«

»Sie werden die Señora beschützen«, sagte ich, »und Sie werden dazu noch ein Dutzend gute Männer anwerben. Ihr werdet die Rinder zusammentreiben und sie scharf bewachen. Es sieht aus, als sei der Mord an Torres nur der Auftakt zu weiteren Gewaltakten, um euch endgültig zu vertreiben.« Ich betrat das Haus, und Drusilla eilte mir entgegen. So schonend wie möglich brachte ich ihr die schlimme Nachricht bei und informierte sie über Miguel. »Er ist ein tüchtiger Kerl«, sagte ich. »Gib ihm die Verantwortung und die nötige Autorität. Du kannst ihm vertrauen.« »Was wirst du tun?« »Das, was ein Deputy-Sheriff zu tun hat. Ich werde die Mörder verhaften.« »Was sagt dein Bruder.« »Er sagte, daß ich die Mörder ergreifen soll – gleich, wie lange es dauert und wer sie sind.« »Tyrel – sei vorsichtig!« Da mußte ich lächeln. »Aber«, sagte ich, »ich bin doch der vorsichtigste Mann, den es gibt. Ich habe nicht die Absicht, mich umbringen zu lassen … ich will zurückkommen. Zu dir.« Sie sah mich ernst an. »Weißt du, Dru«, fuhr ich fort, »wir haben lange genug gewartet. Wenn ich diese Männer verhaftet habe, dann werde ich mein Amt zur Verfügung stellen, und wir werden heiraten … ein Nein als Antwort akzeptiere ich nicht.« Jetzt lachte sie wieder. »Wer sagt denn nein?« In der Schlucht traf ich Cap. Wir machten uns auf den Weg. Ein paar Meilen weit konnten wir die Spuren leicht verfolgen. Sie waren schnell geritten, um etwaige Verfolger abzuschütteln. Am Abend lagerten wir an einem kleinen Fluß. Wir konnten dort ein Feuer anzünden, ohne unseren Standort zu verraten. Die Mörder würden erwarten, von einem großen Aufgebot verfolgt zu werden, und falls sie uns bemerkten, würden sie nicht auf den Gedanken kommen, daß wir die Verfolger waren.

Deshalb ritt ich Kelly. Gewöhnlich ritt ich den Apfelschimmel oder meinen Appaloosa; Kelly war nicht so bekannt. Cap kochte Kaffee und lehnte sich dann zurück. Er stocherte ein paar Minuten lang im Feuer herum. Das tat er gewöhnlich, ehe er den Mund zum Reden öffnete. »Ich dachte, daß du es wissen solltest. Pritts hat Tom Sunday aufgesucht.« Ich verbrannte mir den Mund an einem heißen Stück Fleisch, und als ich es endlich geschluckt hatte, sah ich ihn an und fragte: »Pritts hat Tom aufgesucht?« »Hm, ja. Kam wie zufällig bei ihm vorbei. Aber er blieb ziemlich lange.« »Hat Tom dir das erzählt?« »Nein … aber ich habe einen Freund in seiner Nähe.« »Und was war weiter?« »Sie unterhielten sich eine ganze Weile, und als Pritts ging, begleitete Tom ihn zum Pferd, und sie verabschiedeten sich freundlich.« Jonathan Pritts und Tom … das reimte sich nicht. Oder vielleicht doch? Je mehr ich daran dachte, desto mehr beunruhigte es mich. Tom Sunday konnte seine Meinung von einem Tag auf den andern ändern. Außerdem trank er. Bei seiner ständigen Gereiztheit war alles möglich. Orrin hatte Verdruß mit Pritts gehabt – davon war ich überzeugt – und Pritts hatte Tom Sunday einen Freundschaftsbesuch abgestattet. Das gefiel mir nicht. Ganz und gar nicht.

15 Ein heller Streifen stand über den Bergen im Osten, als wir das Feuer austraten und die Pferde sattelten. Es war still. Die letzte Stunde vor dem Morgengrauen ist immer ruhig. Obwohl ich meine Jacke anhatte, drang mir die Kälte bis in die Knochen. Im Mund hatte ich einen schlechten Geschmack, und die Bartstoppeln auf meinen Wangen störten mich. Ich hatte mich so daran gewöhnt, mich täglich zu rasieren, seit ich Deputy-Sheriff geworden war und in der Stadt lebte. Richtig verwöhnt war ich dadurch geworden. Trotz des Zwielichts konnten wir die Spuren gut erkennen. Plötzlich bog die Spur ab und führte in eine Mulde. Wir fanden das Lager unter Bäumen. Hier hatten sie genächtigt. Sie fühlten sich offensichtlich ganz sicher. Wir ließen uns Zeit. Ein Lagerplatz kann viel von den Gewohnheiten der Männer verraten, die dort gelagert haben. Wenn man jemand verfolgt, ist es gut, über seine Gewohnheiten Bescheid zu wissen. Sie hatten ein ausgiebiges Mahl zu sich genommen und schienen gut versorgt zu sein. Mindestens zwei von ihnen tranken, denn wir fanden eine leere Flasche am Rand des Lagerplatzes … es sah so aus, als ob die beiden, die tranken, nicht wollten, daß die anderen davon wußten. Die Flasche war mit Zweigen und Laub zugedeckt. »Eine neue Flasche«, sagte ich zu Cap und reichte sie ihm. Er schnupperte daran. »Riecht nach gutem Whisky, nicht nach dem Fusel, der sonst verkauft wird. Sag mal, du hast es wohl nicht sehr eilig mit der Verfolgung?« »Sie haben ihren Auftrag ausgeführt und warten jetzt auf die Bezahlung. Ich will den Mann haben, der sie bezahlt.«

»Hast du eine Ahnung, wer das sein könnte?« »Nein … aber diese Männer sollen mich zu ihm führen. Sie haben schon zweimal versucht, Juan zu ermorden. Das dritte Mal ist es ihnen gelungen. Das wird ihnen aber nicht genügen. Ich kann weiteren Verbrechen nur dann einen Riegel vorschieben, wenn ich den Mann unschädlich mache, der sie bezahlt.« Als ich sprach, fiel mir plötzlich etwas ein. Vor meinem geistigen Auge sah ich Fetterson, wie er Paisano eine Handvoll Goldstücke übergab. Das durfte ich nicht vergessen. »Von jetzt an führt die Spur nach Westen«, sagte Cap plötzlich. »Ich glaube, sie kennen ihr Ziel.« »Tres Ritos?« »Würde ich annehmen.« Cap überlegte. »Denk mal an den, der getrunken hat. Vielleicht hat er keinen Whisky mehr? Ich halte ihn für einen Mann, der ohne Alkohol nicht leben kann, und wer immer diese Bande anführt, wird ihn möglichst davon abgehalten haben, zu trinken. Vermutlich denken aber jetzt alle, daß sie sich wieder etwas zu trinken leisten können, nachdem sie ihren Auftrag erledigt haben. Tres Ritos ist von hier der nächste Ort.« »Ich nehme an, daß es in zwei oder drei Stunden bequem zu erreichen ist«, sagte ich. »Wir reiten nach Tres Ritos.« Trotzdem achteten wir weiterhin genau auf die Spuren. Bis jetzt war es einfach gewesen, aber von nun an hielt ich mein Gewehr schußbereit. Immerhin hatten wir sieben Mörder vor uns, die sich nicht erwischen lassen wollten. Vielleicht hatten wir sie getäuscht, denn sie erwarteten sicher, von einem großen Aufgebot verfolgt zu werden – aber darauf konnten wir uns nicht verlassen. Cap hielt an. »Ich werde eine Pfeife rauchen«, sagte er. Er stieg vom Pferd, das Gewehr in der Hand. Er zog sein Pferd unter die Bäume, und ich folgte ihm. Kelly hatte einen einzigen Fehler; das große rotbraune Pferd war in

der grünen Umgebung deutlich sichtbar. Wir suchten das Gelände ab und sprachen erst, als Cap seine Pfeife zu Ende geraucht hatte. In der Zwischenzeit hatten wir eine Art Hochweg bemerkt, der weit oberhalb des normalen Weges in Richtung Tres Ritos führte. »Wir könnten dort oben entlangreiten«, schlug ich vor. »Der Weg vor uns ist mir zu gefährlich.« »Falls sie abgebogen sind, verlieren wir ihre Spur.« »Dann können wir immer noch hierher zurückkommen und die Spur wieder aufnehmen.« Wir ritten los und hatten etwa eine Meile zurückgelegt, als Cap mit seinem Gewehr nach unten zeigte. Unten, etwas abseits vom Weg, sahen wir ein paar Pferde. Sie waren an Bäumen angebunden. Eines davon war ein dunkler Rotschimmel, der mir bekannt vorkam. Er erinnerte mich an das Pferd, das Paisano geritten hatte. Und Paisano hatte Geld von Fetterson erhalten. Wir erreichten Tres Ritos kurz vor Sonnenuntergang. Zunächst suchten wir den Mietstall auf. Der schläfrige Stallknecht saß auf dem Boden, den Rücken an die Wand gelehnt. Er trug ein rotes Stirnband und sah aus wie ein Navajo-Indianer. Er nahm unsere Pferde, führte sie in die Boxen und schüttete ihnen Hafer in den Trog. Cap folgte dem Mittelgang des Stalles und inspizierte die anderen Boxen. »Alles leer. Wir sind vor ihnen in die Stadt gekommen.« Der Barkeeper im Saloon war ein ungewaschenes Halbblut mit einer Narbe über dem linken Auge. Wir bestellten Kaffee. Er drehte sich um und schrie etwas durch die offene Küchentür. Das Mädchen, das auf sein Rufen erschien, war Tina Fernandez. Sie erkannte mich sofort. Alle Frauen von Santa Fe kannten mich. Sie ließ sich aber nichts anmerken, daß sie mich kannte. Tina sah nett und ordentlich aus. Sie brachte eine Kanne Kaffee und

zwei Tassen. Als sie den Kaffee einschenkte, beugte sie sich zu mir herab und flüsterte etwas, das wie cuidado klang – das ist spanisch und heißt Vorsicht. Wir tranken Kaffee und bestellten uns dann Chili, Bohnen und Tortillas. Ich behielt die Küchentür im Auge, Cap die Straße. Das Essen war gut, der Kaffee noch besser, und wir tranken jeder noch eine Tasse. »Hinter dem Corral«, flüsterte Tina mir zu. »Wenn es dunkel ist.« Cap kaute an seinem grauen Schnurrbart und sah mich aus seinen wissenden Augen an. »Du verbindest das Angenehme mit dem Nützlichen?« »Das war nur nützlich.« Wir tranken unseren Kaffee aus, standen auf, und ich zahlte, während Cap die Straße im Auge behielt. Der Barkeeper sah mich forschend an und sagte dann: »Kenne ich Sie nicht?« »Falls Sie mich kennen«, sagte ich, »dann wäre es mir lieber, wenn Sie vorläufig ein schlechtes Gedächtnis hätten!« Die Straße war leer. Nicht einmal ein streunender Hund war zu sehen. Hatten wir falsch vermutet? Waren sie an Tres Ritos vorbeigeritten? Oder waren sie schon hier und lauerten in einem Hinterhalt auf uns? Sie kamen eine Stunde später in die Stadt. Wir konnten sie von dem Heuboden über dem Mietstall, in dem wir uns verborgen hielten, zwar nicht sehen, aber hören. Sie ritten zum Saloon und stiegen davor ab. Sie sprachen kaum. Wir hatten klugerweise Tres Ritos von der anderen Seite betreten, so daß ihnen keine Spuren aufgefallen waren. Falls ihnen der Barkeeper nichts verriet, würden sie nicht vermuten, daß wir hier waren. Während ich im Heu lag und horchte, dachte ich an Orrin, Laura, Tom Sunday, Dru und an mich selbst. Ich hatte eine Menge zu überlegen.

Jonathan Pritts hatte Tom Sunday nicht umsonst aufgesucht. Pritts unternahm nichts, ohne einen Zweck damit zu verfolgen. Was hatte Jonathan Pritts vor? Der Gedanke beschäftigte mich immer mehr. Eines war sicher: für uns konnte das nichts Gutes bedeuten. Schließlich setzte sich Cap auf und nahm seine Pfeife. »Du bist unruhig, Junge.« »Mir gefällt das alles nicht.« »Du mußt es aber durchstehen. Wenn man Frieden im Land haben will, muß man allerhand auf sich nehmen.« Eine Weile rauchte er schweigend. »Von Zeit zu Zeit sind mir Männer wie dieser Pritts begegnet. Die führen das durch, was sie sich in den Kopf gesetzt haben. Oder sie versuchen es zumindest.« Wieder schwieg er eine Weile. »Je älter er wird, desto niederträchtiger wird er. Er weiß, was er erreichen will, aber die Zeit drängt.« Der Boden duftete nach frischem Heu. Das leise Klirren der Ketten und das Stampfen der Hufe wirkte einschläfernd. Aber ich konnte nicht schlafen, so müde ich auch war. Wenn ich es je in meinem Leben zu etwas bringen wollte, dann mußte es jetzt sein, sobald ich diese Aufgabe erledigt hatte. Dann wollte ich mein Amt niederlegen, Dru heiraten und seßhaft werden. Ich stand auf und klopfte das Heu von meinen Sachen. Dann schob ich den Revolvergurt zurecht und ging zur Leiter. »Sei vorsichtig.« »Das bin ich von Natur aus.« Hinter dem Corral setzte ich mich nieder, lehnte meinen Rücken gegen einen Pfosten und wartete. Die Zeit verging langsam. Endlich hörte ich leise Schritte im Gras, sah einen Schatten neben mir und spürte die Anwesenheit einer Frau. »Alles in Ordnung?« Ich hatte es nur geflüstert, aber sie kam sofort zu mir. Ich

stand neben einem Eckpfosten. »Sie sind weg«, sagte Tina. »Was?« »Sie sind weg«, wiederholte sie. »Ich hatte Angst um Sie.« Sie erklärte mir, daß frische Pferde für sie im Wald hinter dem Saloon versteckt gewesen waren. Als sie im Saloon saßen und tranken, wurden die Sättel den frischen Tieren aufgelegt. Dann hatte einer nach dem andern den Saloon verlassen und war im Wald verschwunden. »Sie sind uns entkommen!« »Der andere ist noch hier, in seinem Zimmer im ersten Stock, aber ich glaube, daß er morgen wegreiten wird.« »Wer?« »Der Mann, der ihnen Geld gab. Der Blonde.« Ob das Fetterson sein konnte? »Hast du gesehen, daß sie Geld erhielten?« »Ja, Señor. Ich sah es mit meinen eigenen Augen. Sie haben eine große Summe in Goldmünzen erhalten … den Rest, hieß es.« »Tina, diese Männer haben Juan Torres ermordet … hast du ihn gekannt?« »Si … er war ein guter Mann.« »Würdest du deine Aussagen auch vor Gericht wiederholen, Tina? Würdest du bezeugen, daß die Männer Geld erhalten haben? Es könnte gefährlich für dich werden!« »Ich werde aussagen. Ich habe keine Angst.« Sie stand ganz ruhig in der Dunkelheit vor mir. »Ich weiß, Señor, daß Sie Señorita Alvarado lieben, aber könnten Sie mir trotzdem helfen? Könnten Sie mir helfen, von hier wegzukommen? Dieser Mann, mit dem Sie gesprochen haben, er ist mein … wie nennt man das? Er heiratete meine Mutter.« »Stiefvater.« »Si. Aber meine Mutter ist gestorben, und er behält mich

hier. Ich muß für ihn arbeiten, Señor. Eines Tages werde ich alt sein. Ich möchte nach Santa Fe zurück. Aber er läßt mich nicht gehen.« »Er wird dich gehen lassen müssen. Ich verspreche es dir.« Die Männer waren also weg, und wir hatten sie nicht gesehen. Tina sagte mir, daß einer von ihnen Paisano war. Sie kannte außerdem nur noch einen, einen untersetzten Kerl namens Jim Dwyer … er war damals auch bei der Bande am PawneeFelsen gewesen. Wir schliefen ein wenig, aber kurz vor Tagesanbruch standen wir auf. Ich fühlte mich schmutzig und klebrig und wollte mich am liebsten baden und rasieren. Aber ich prüfte die Ladung meines Revolvers, und dann gingen wir hinüber zum Hotel. In der Küche brannte Licht. Ich stieß die Hintertür auf. Der Barkeeper stand in Unterhemd, Unterhosen und Socken vor uns. Sein Bett war schmierig und zerwühlt. Schmutzige Socken und andere Kleidungsstücke hingen an der Wand. An einem Nagel baumelte ein Revolvergurt. Im Halfter steckte ein Colt. Ich nahm die Waffe an mich, drehte den Zylinder und stieß die Patronen heraus, während der Barkeeper mir grimmig zusah. »Was soll das?« Ich packte ihn und drehte ihn herum. Dann gingen wir durch den dunklen Vorraum. Die Laterne in Caps Hand warf flackernden Lichtschein gegen die Wände. »In welchem Zimmer ist er?« Der Barkeeper starrte mich an. Cap blinzelte mir zu und fragte: »Soll ich es hier tun? Oder soll ich ihn hinausführen, damit die Leiche nicht gleich gefunden wird?« Der Barkeeper trat von einem Fuß auf den andern. »Hören Sie mal«, protestierte er, »ich habe doch nichts getan!« »Er wird uns nur im Weg sein«, sagte ich gedankenvoll, »und er ist für uns auch nicht wichtig. Wir sollten ihn besser mit hinausnehmen.«

Cap sah grimmig genug aus, um eines Mordes fähig zu sein. Von mir glaubten die Leute auch, daß es mir leichter fiel, einen Mann niederzuschießen, als zu lächeln. »Warten Sie doch … er geht mich ja nichts an. Er schläft in Zimmer sechs.« Ich sah ihn an und sagte: »Cap, du bleibst bei ihm. Sein Pech, wenn er mir die falsche Zimmernummer genannt hat.« Ich schlich auf Zehenspitzen die Treppe hinauf und steckte oben die Laterne unter meine Jacke. Dann ging ich den Korridor entlang und öffnete die Tür von Zimmer sechs. Er öffnete die Augen, als ich zur Tür hereinkam, und als ich die Laterne hochhielt, fiel das Licht in seine Augen. Sein Revolver lag auf dem Tischchen neben dem Bett. Er wollte danach greifen, und ich sagte: »Nimm ihn ruhig, Fetterson. Dann kann ich dich erschießen.« Seine Hand schwebte über der Waffe, und er zog sie langsam wieder zurück. Dann setzte er sich im Bett auf; ein großer, grobknochiger Mann mit blondem Haarschopf und derbem Gesicht. »Sackett? Das hätte ich mir denken können.« Vorsichtig griff er nach dem Tabaksbeutel und drehte sich eine Zigarette. »Was willst du?« »Es handelt sich um Mord, Fett. Wenn du einen guten Anwalt hast, kannst du deinen Hals vielleicht aus der Schlinge ziehen. Wenn du aber jetzt eine falsche Bewegung machst, dann kann dir nichts und niemand mehr helfen.« Er rieb ein Streichholz an und entzündete seine Zigarette. »Verhaftest du mich?« »Ja. Zieh dich an.« Er ließ sich Zeit, und ich trieb ihn nicht an. Als er angekleidet war, ging er vor mir die Treppe hinunter. Unten wartete Cap, seinen Colt auf den Barkeeper gerichtet. Wir holten Fettersons Pferd und ritten zurück nach Mora. Ich wollte die ande-

ren nicht entwischen lassen, aber das mußte einstweilen warten. Wir beeilten uns mit dem Heimritt, denn ich fürchtete, daß der Barkeeper Fettersons Leute verständigen würde. Am Mittag des nächsten Tages saß Fetterson in Mora hinter Schloß und Riegel. Die Stadt summte vor Aufregung wie ein Bienenhaus. Fetterson stand in seiner Zelle, die Hände um die Eisenstäbe geklammert. »Ich werde nicht lange hier sein«, sagte er. »Ich habe nichts mit dem Mord zu tun.« »Du hast die Mörder bezahlt. Du hast Paisano vor der Tat einen Vorschuß gegeben.« Sein Augenlid zuckte, genau wie damals in Abilene, als er wußte, daß er dem Tod ins Auge sah. »Du brauchst dir keine Sorgen zu machen«, sagte ich. »Bis die Verhandlung stattfindet, werden wir genug Beweise gesammelt haben, um dich an den Galgen zu bringen.« Als ich hinausging, stieg Jonathan Pritts gerade vom Kutschbock seines Wagens. Eines mußte man Jonathan lassen – er verlor keine Zeit.

16 Es war schon lange her, daß ich Jonathan Pritts gegenübergestanden hatte. Er trat durch die Tür und baute sich in dem kleinen Office vor mir auf. Seine blaßblauen Augen blickten mich wütend an. »Sie haben Mr. Fetterson eingesperrt. Ich wünsche, daß er sofort freigelassen wird.« »Bedaure.« »Warum halten Sie ihn fest?« »Er war an dem Mord an Juan Torres beteiligt.« »Sie haben diesen Mann verhaftet, weil Sie mich hassen! Er ist völlig unschuldig, und Sie haben keinerlei Beweise gegen

ihn. Wenn Sie ihn nicht sofort freilassen, werde ich dafür sorgen, daß Sie Ihr Amt niederlegen müssen!« Er wußte gar nicht, wie leer seine Drohung war. Er wollte immer an der Macht sein und hätte gar nicht verstanden, daß mir nichts an dem Amt lag. Im Gegenteil, ich wäre froh gewesen, es wieder los zu sein. »Er wird bis zur Gerichtsverhandlung in Haft bleiben.« Jonathan Pritts maß mich von oben bis unten. »Ich sehe, daß Sie Vernunftsgründen nicht zugänglich sind.« Jetzt war sein Ton schon ruhiger. »Ein Verbrechen ist begangen worden, Mr. Pritts. Sie können nicht erwarten, daß ich einen Verdächtigen auf freien Fuß setze, weil irgend jemand in mein Office kommt und das verlangt. Es ist Zeit, daß mit den Gewaltverbrechen Schluß gemacht wird, und besonders«, fügte ich nachdrücklich hinzu, »mit bezahlten Morden.« Das saß. Aber er ließ sich nichts anmerken. »Was meinen Sie mit diesen Worten?« »Wir haben Beweise, daß Fetterson die Mörder von Juan Torres bezahlt hat.« Natürlich bluffte ich nur. Wir hatten keinerlei derartige Beweise; zumindest keine, die ein ordentliches Gericht anerkennen würde. Wir hatten kaum genug Verdachtsgründe, um Fetterson in Haft zu behalten. Ich hatte gesehen, wie er Paisano Geld in die Hand drückte, und er befand sich in Tres Ritos, als die Mörder dort ankamen. Außerdem konnte Tina bezeugen, daß er ihnen dort Geld ausgezahlt hatte. Ein geschickter Verteidiger konnte diese Indizien restlos zerpflücken. »Das ist ausgeschlossen!« Ich nahm ein paar Papiere zur Hand und begann sie zu sortieren. Pritts war ein Mann, der Beachtung gewohnt war, und mein Benehmen machte ihn nur noch wütender. »Mr. Pritts«, sagte ich kühl, »ich glaube, daß Sie selbst in

dieses Verbrechen verwickelt sind. Wenn ich Beweise dafür finde, dann werden Sie genauso gehängt wie Fetterson und die übrigen Mörder.« Aber er ging nicht darauf ein. Ich erwartete, daß er vor Wut platzen oder auf mich losgehen würde, aber nichts geschah. »Haben Sie mit Ihrem Bruder darüber gesprochen?« »Er weiß, daß ich meine Pflicht erfüllen werde, und er würde sich nicht einmischen. Genauso, wie ich mich nicht in seine Angelegenheit einmische.« »Wie hoch ist die Kautionssumme für Mr. Fetterson?« »Das habe nicht ich zu bestimmen, sondern der Richter. Für einen Mann unter Mordverdacht kann keine Kaution erlegt werden.« Er drohte nicht, er antwortete nicht einmal, er drehte sich nur um und ging hinaus. Wenn er gewußt hätte, wie wenige tatsächliche Beweise ich hatte, hätte er ganz ruhig gewartet. Aber ich hatte richtig gerechnet: wenn man Leuten wie ihm auf die Zehen steigt, dann tun sie etwas Unüberlegtes. Bill Sexton kam herein. Ollie folgte ihm. Beide sahen besorgt aus. »Hast du Beweise gegen Fetterson?« fragte mich Sexton. »Ich werde sie beizeiten haben.« Sexton rieb seine Wange und nahm eine Zigarre. Er sah sie an, und ich wußte schon, was kommen würde. Beinahe belustigte es mich. »Dieser Fetterson«, sagte Sexton, »steht Jonathan Pritts sehr nahe. Man sollte nicht versuchen, ihn mit den Morden in Verbindung zu bringen. Er hat für die Tatzeit ein hieb- und stichfestes Alibi.« »Da ist was dran, Tye«, sagte Ollie. »Und außerdem war es Jonathan, der Orrin bei der Wahl in die Gesetzgebende Körperschaft unterstützte.« »Wißt ihr was?« Ich hatte meine Beine auf dem Schreibtisch liegen. Jetzt nahm ich sie herunter und setzte mich in meinem

Drehstuhl aufrecht. »Er hat gar nichts getan. Er ist nur in ein sicheres Geschäft eingestiegen, als er wußte, daß Orrin die Wahl gewinnen würde. Fetterson bleibt im Gefängnis, oder ihr könnt euren Dreck alleine machen.« »Ist das dein letztes Wort?« fragte Ollie. »Du weißt es.« Er schien erleichtert. Ollie Shaddock war ein aufrechter Mann, und wenn er sich einmal für eine Sache entschlossen hatte, dann blieb er dabei. Ich tat etwas, was wir beide für richtig hielten. »Na schön«, resignierte Sexton. »Wenn du glaubst, daß du es vertreten kannst – wir stehen auf deiner Seite.« Es war beinahe dunkel, als Cap ins Office kam. Ich hatte kein Licht angezündet, sondern mich in den Stuhl zurückgelehnt und nachgedacht. Cap kauerte sich gegen die Wand und zündete seine Pfeife an. »Da ist ein Mann in der Stadt«, sagte er. »Heißt Wilson. Er trinkt gern. Und er hat Geld in der Tasche. Vor ein paar Tagen war er noch pleite.« »Schöner Abend heute«, sagte ich. »Die Berggipfel und die Wolken leuchten im Abendrot … sieht wie Blut aus.« »Er betrinkt sich«, sagte Cap. Ich stand auf und ging durch die eisenbeschlagene Tür in den Zellentrakt. Vor Fettersons Zelle blieb ich stehen und sah ihn durch die Eisenstäbe an. Er lag auf seiner Pritsche. Sein Gesicht konnte ich nicht erkennen, nur die Umrisse seines Körpers und die Stiefel. Und die Glut seiner Zigarette. »Wann willst du essen?« Er stellte die Beine auf den Boden. »Ist mir gleich.« »Schön.« Ich wandte mich halb um und sagte dann: »Kennst du einen Mann namens Wilson?« Er nahm die Zigarette aus dem Mund. »Weiß nicht. Sollte ich ihn kennen?«

»Allerdings … er trinkt zuviel. Und zu gern. Solche Leute sollten niemals Geld in die Hand bekommen.« Als ich die Tür zum Zellentrakt wieder hinter mir geschlossen hatte, zündete Cap die Lampe an. »Ein Mann, der etwas verheimlicht«, sagte Cap, »muß sich darüber Sorgen machen.« Fetterson konnte nicht wissen, was Wilson im Suff erzählte, und seine Phantasie konnte ihm leicht einen Streich spielen. Am schwersten war das Warten. Fetterson hatte jetzt genug Zeit zum Nachdenken, und er würde dabei ziemlich nervös werden. Jonathan Pritts hatte nicht um Besuchserlaubnis gebeten. Wollte Pritts ihn jetzt im Dreck sitzen lassen, um die eigene Haut zu retten? Ich hielt das für möglich, Fetterson wahrscheinlich auch. Cap blieb im Gefängnis, und ich ging ins Restaurant, um zu essen. Tom Sunday betrat kurz hinter mir das Lokal. Wuchtig stand er im Türrahmen. Er war unrasiert und hatte offensichtlich wieder über den Durst getrunken. Seine Augen blinzelten in das helle Licht im Raum, dann entdeckte er mich und kam an meinen Tisch. Er schwankte ein wenig beim Gehen … aber vielleicht kam es mir nur so vor. »Also du hast Fetterson eingebuchtet?« Er grinste, und sein Blick war spöttisch. »Was wirst du jetzt mit ihm tun?« »Ihn wegen Anstiftung zum Mord verurteilen lassen«, antwortete ich. »Wir wissen, daß er das Blutgeld ausbezahlt hat.« »Na«, sagte Sunday, »und was meint dein Bruder dazu?« »Das ist unwichtig. Wo gehobelt wird, fallen Späne.« »Das sieht ihm ähnlich«, sagte er. »Dieser heuchlerische Schweinehund!« »Tom«, entgegnete ich ruhig, »er ist mein Bruder!« Er sah mich an, und ich fürchtete schon, daß er seine Worte nicht zurücknehmen würde. Ich hoffte es sehr, denn ich wollte keinen Kampf mit Sunday. »Tut mir leid«, sagte er. »Hab’ mich vergessen. Zum Teu-

fel«, fügte er hinzu, »wir wollen uns doch nicht streiten. Wir haben zuviel zusammen erlebt.« »Das meine ich auch«, sagte ich, »und Tom – du kannst es mir glauben: Orrin hat dich gern.« »Hat mich gern?« schnaubte er. »Er hat mich gern – gern aus dem Weg. Als ich ihn kennenlernte, konnte er kaum lesen und schreiben. Ich habe es ihm beigebracht. Er wußte, daß ich ein Amt anstrebe, aber nein, er mußte es mir wegschnappen. Und du hilfst ihm dabei.« »Es war Platz für euch beide. Das gilt noch immer.« »Das ist nicht wahr! Was ich auch tun würde, er würde sich gegen mich stellen. Ohne Pritts Unterstützung wäre Orrin nie in die Gesetzgebende Körperschaft gewählt worden. Wenn er sich das nächste Mal als Kandidat aufstellen läßt, wird Pritts ihn nicht unterstützen. Laß dir das gesagt sein.« »Das ist doch unwichtig.« Tom lachte hämisch. »Ich will dir was sagen, Junge. Pritts hat die Schnauze voll von Orrin.« »Du scheinst eine Menge über Pritts’ Pläne zu wissen!« Er lachte. »Pritts hat die Schnauze voll von ihm, und Laura ebenfalls. Wirst schon sehen.« »Tom, wir vier waren vor kurzer Zeit noch die besten Freunde. Glaub mir, Tom, Orrin hat dich immer leiden mögen. Gut, es gab Dinge, die ihr beide hattet haben wollen und die nur einer haben konnte; aber er hätte dir genauso geholfen, wie du ihm hättest helfen sollen.« Eine Weile aß er schweigend, dann sagte er: »Ich habe nichts gegen dich, Tye. Nicht das mindeste.« Danach schwiegen wir wieder. Wir hatten viel zusammen erlebt, und das ist nicht so einfach auszulöschen. Als er aufstand und ging, fühlten wir beide dieselbe Traurigkeit in uns; denn es war nicht mehr so wie früher. Er ging hinaus und stand eine Minute lang auf der Straße. Ich

fühlte mich miserabel. Er war ein feiner Kerl, aber der Schnaps und die Bitterkeit hatten ihn verändert. Ich verhaftete Wilson am selben Abend. Ich brachte ihn nicht ins Gefängnis, damit Fetterson nicht mit ihm sprechen konnte. Er wurde in das Haus am Stadtrand gesperrt, in dem Cap, Orrin und ich früher kampiert hatten. Dort ließ ich ihn von Cap bewachen und unterband jeden Nachschub von Alkohol. Joe kam, um Fetterson zu bewachen. Ich stieg aufs Pferd und ritt los. Miguel hatte mir gesagt, daß zwei Männer in der Nähe der Stadt lagerten. Einer der beiden war Paisano. Ich sah mir den Lagerplatz durch den Feldstecher von einem nahen Hügelkamm aus an. Er war klug gewählt, zwischen Felsen und unter Kiefern. Man hätte fünfzig Mal daran vorbeireiten können, ohne die Stelle zu bemerken. Miguel war von einem anderen Mexikaner darauf aufmerksam gemacht worden. Der zweite mußte Jim Dwyer sein – ein untersetzter, kleiner Mann, der die meiste Zeit auf seinen Fersen hockte und sein Gewehr nie aus der Hand legte. Ich hatte keine Eile. Ich dachte, daß diese Männer sich hier versteckten, um Fetterson zu einem geeigneten Zeitpunkt aus dem Gefängnis zu befreien. Natürlich wollte ich sie verhaften, aber das war sicher nicht leicht, denn sie würden kaum vor einem Kampf zurückschrecken. Fünfzig Meter entfernt vom Lager und von dort nicht zu sehen entsprang eine Quelle. Vermutlich hatten Pritts’ Leute diesen Platz schon früher als Versteck benutzt. Zwischen den Felsen hatten sie sogar eine Laubhütte errichtet. Ich verbrachte den Rest des Tages damit, sie zu beobachten. Von Zeit zu Zeit stand einer von ihnen auf und ging ein paar Schritte auf dem Fußpfad, der nach Mora führte. Sie hatten genug zu essen und zwei Flaschen Whisky, aber keiner der beiden trank viel. Als die Dämmerung anbrach, kannte ich jeden Felsen, jeden

Baum und jede Bodenerhebung im Umkreis. Ich hatte mir auch einen Weg gesucht, über den ich am besten an das Lager herankam. Als es dunkel war, brachte ich mein Pferd an eine grasbewachsene Stelle und ließ es im Bach saufen. Dann nahm ich meinen Proviant und die Wasserflasche und schlich mich bis auf dreißig Meter an das Lager heran. Ein kleines Feuer brannte, eine Kanne Kaffee stand auf Steinen dicht daneben. Der Geruch des Essens drang bis zu mir herüber. Und ich lag auf dem Bauch und kaute an einem alten trockenen Sandwich. Ich konnte hören, daß sie sprachen, aber ich konnte nicht verstehen, was sie sagten. Dann legten sie sich hin. Ab und an erhob sich einer der beiden und warf eine Handvoll Holz auf das erlöschende Feuer. So verging die Nacht. Es kam die Stunde, wo kurz vor Sonnenaufgang ein feuerroter Streifen über dem östlichen Horizont erglühte. Es gibt fast nichts Schöneres als einen Sonnenaufgang in New Mexico … Plötzlich stand Paisano auf. Er horchte. Sein Standort lag tiefer als meiner, und er konnte sicher mehr hören als ich. Würde es Jonathan Pritts sein? Wenn ja, dann konnte ich die drei gleich verhaften. Das war sicher nicht leicht, denn ich wollte sie lebend haben. Aber ich mußte es schaffen. Warum ich gerade in diesem Augenblick den Kopf wandte, weiß ich nicht. Keine zwanzig Meter hinter mir stand ein Mann im Unterholz, ruhig und unbeweglich wie eine Statue, nur in seinen Umrissen zu erkennen. Wie lange der Mann schon dort gestanden hatte, wußte ich nicht. Es war mir unheimlich, daß ich ihn nicht bemerkt hatte. Das passierte mir in tausend Fällen höchstens ein einziges Mal. Aber ich hatte nur auf das Lager geachtet. Plötzlich bewegte sich die dunkle Gestalt im Unterholz und

trat leise vor. Der Mann stand etwas höher als ich und konnte in den Canyon hinuntersehen. Aber er war nichtsogut verborgen wie ich. Es wurde heller, der Mann im Unterholz war deutlicher zu erkennen. Es sah aus, als ob er in das Lager hinuntergehen wollte. Dann drehte er den Kopf. Licht fiel auf sein Gesicht, und ich erkannte ihn. Es war Orrin.

17 Orrin … Das kam so unerwartet, daß ich ihn nur anstarrte. Dann versuchte ich meine Gedanken zu ordnen, aber es gelang mir nicht gleich. Natürlich, Orrin war mit Pritts’ Tochter verheiratet, aber Orrin war auch immer ein Mann, der niemals gegen seine Prinzipien verstieß. Wir standen uns näher, als es bei Brüdern üblicherweise der Fall ist. Aber auch wenn es Orrin war – wenn er in den Mord verwickelt war, würde ich ihn verhaften. Bruder oder nicht, ich hatte meine Pflicht zu erfüllen. Daran gab es nichts zu rütteln. Dann fiel mir etwas ein. Ich war doch verrückt. Es mußte einen ganz anderen Grund haben, daß er hier war. Mein Vertrauen zu Orrin blieb unerschüttert. Ich richtete mich auf. Seine Aufmerksamkeit war genau wie die meine auf das Lager gerichtet gewesen, und ich legte drei Schritte zurück, ehe er mich bemerkte. Er drehte den Kopf, und wir sahen uns in die Augen. Dann ging ich zu ihm hin. Ehe ich etwas sagen konnte, hob er warnend die Hand.

»Warte!« flüsterte er, und dann hörte ich, was die Männer unten schon lange gehört haben mußten. Ein leichter Wagen näherte sich. In dieser Sekunde begriff ich, warum er hier war. Ehe der Wagen in Sicht kam, wußte ich, wer auf dem Kutschbock saß. Der Wagen erschien und hielt. Auf dem Kutschbock saß Laura. Paisano und Dwyer gingen ihr entgegen. Wir beobachteten, wie sie ihnen Geld gab. Dann luden sie Lebensmittel vom Wagen ab. An eine Frau hatte ich eigentlich nie gedacht, und am allerwenigsten an Laura. Im Westen wurden Frauen seit jeher respektiert, und ich würde einfach nicht imstande sein, eine Frau zu verhaften, was sie auch getan haben mochte. Es war auch fast undenkbar, daß eine solch zarte, blonde und damenhafte Frau allein in den Wald fahren sollte, um zwei Mördern das Blutgeld auszuzahlen. Orrin seufzte. Sein Gesicht war blaß, und er sah aus, als ob er einen schweren Hieb in die Magengrube eingesteckt hätte. »Ich mußte es mit eigenen Augen sehen«, sagte er zu mir. »Ich hätte es sonst nicht geglaubt. Gestern Nacht schöpfte ich den ersten Verdacht. Aber ich mußte mich selbst davon überzeugen.« »Kanntest du den Standort des Lagers?« »Jonathan hat ihr die Stelle genau beschrieben.« »Ich müßte sie verhaften«, sagte ich. »Wenn du es für richtig hältst, dann tu es.« »Ich brauche sie nicht«, sagte ich, »und ihre Verhaftung würde uns nichts nützen. Sie sagt bestimmt nicht aus.« Orrin schwieg eine Weile, ehe er antwortete. »Ich glaube, ich werde auf die Ranch kommen und dort bleiben, Tyrel. Und zwar schon heute.« »Da wird sich Ma freuen. Sie wird schon ein wenig gebrechlich, Orrin.«

Wir traten zurück ins Unterholz, und Orrin zündete eine Zigarette an. »Tyrel«, sagte er nach einer Weile, »wofür bezahlt er die beiden? Für den Mord an Torres?« »Nein«, sagte ich. »Das Geld dafür haben sie schon von Fetterson erhalten.« »Ob sie dich umbringen sollen?« »Möglich, aber ich bezweifle es.« Plötzlich wollte ich nichts wie weg von hier. Diese beiden Männer liefen mir nicht davon, und der Halunke, hinter dem ich her war, hatte mich mit seiner Schlauheit wieder einmal überlistet. »Orrin«, sagte ich, »du mußt Laura den Weg abschneiden. Ich will sie nicht verhaften. Ich will sie nur wissen lassen, daß sie beobachtet wurde und daß ich weiß, was sich im dunkeln abspielt. Pritts soll sich darüber den Kopf zerbrechen!« »Hältst du deshalb Wilson in Einzelhaft?« »Ja.« Wir gingen zu unseren Pferden und ritten querfeldein durch den wunderschönen Morgen, um Laura den Weg abzuschneiden. Als sie auf der Straße auftauchte, glaubte ich fast, daß sie uns überfahren würde. Aber sie hielt dann doch an. »Jetzt spionieren Sie mir also nach!« Ihre Stimme klang böse. »Nicht Ihnen«, sagte ich. »Paisano und Dwyer.« Sie zuckte zusammen, als ob ich sie geschlagen hätte, wollte etwas sagen und preßte dann die Lippen aufeinander. »Die beiden gehörten zu der Bande, die Juan Torres ermordete«, sagte ich. »Wilson gehörte auch dazu.« »Wenn Sie das glauben, warum verhaften Sie sie dann nicht? Haben Sie Angst?« »Ich kann warten … wenn man die kleinen Fische durchs Netz läßt, bleibt der große Fisch oft hängen. So wie Sie. Sie haben den beiden Geld und Lebensmittel gebracht. Das macht

Sie zur Komplicin von Mördern. Sie können deswegen verurteilt werden.« Zum erstenmal hatte sie wirklich Angst. Sie hatte sich eine gesellschaftliche Stellung geschaffen. Bei einer Verhaftung würde alles zusammenbrechen. »Das wagen Sie nicht!« Sie sagte es, aber sie glaubte nicht daran. Sie war überzeugt, daß ich sie verhaften würde, und sie zitterte bei dem Gedanken daran. »Ihr Vater hat lange genug Mörder gedungen. Solche Männer haben keinen Platz bei uns. Jetzt wissen Sie es.« Ihr Antlitz war verzerrt. Sie war ein Ausbund an Häßlichkeit. »Lassen Sie mich vorbei!« Wir traten beiseite. Sie blickte Orrin an. »Du warst ein Niemand, als du uns kennenlerntest, und du wirst wieder ein Niemand sein!« Orrin nahm seinen Hut ab. »Unter diesen Umständen«, sagte er ruhig, »wirst du wohl nichts dagegen haben, wenn ich meinen persönlichen Besitz aus unserer Wohnung abhole.« Sie schlug mit der Peitsche auf die Pferde ein. Der Wagen raste davon. Orrins Gesicht war bleich, als wir weiterritten. Wir nahmen den kürzesten Weg. »Ich möchte das Haus schon verlassen haben, ehe sie kommt«, sagte er. Die Stadt war ruhig. Fetterson trat an die Eisenstäbe seiner Zelle, als ich den Zellentrakt betrat. Er wußte, daß ich weggewesen war, und es bereitete ihm Sorgen, daß er nicht wußte, was ich in der Zwischenzeit unternommen hatte. »Paisano und Dwyer lagern vor der Stadt«, sagte ich, »und zwei Männer allein können es nicht wagen, dich aus dem Gefängnis herauszuholen. Trotzdem hat Pritts ihnen erneut Geld gegeben … wofür wohl?« Er wandte sich ab, und sein Blick fiel auf das vergitterte Fenster.

Jenseits des Fensters, dreihundert Meter entfernt, lag ein bewaldeter Abhang … und rechts, kaum fünfzig Meter weit weg, befand sich das Dach des Kaufladens. Rasch wandte er sich um. »Tye«, sagte er, »du mußt mich von hier fortbringen.« Fetterson war nicht dumm. Er wußte, daß er Jonathan Pritts nicht trauen konnte. Fetterson würde eher sterben als ein Geständnis ablegen, aber darauf vertraute Pritts nicht. Deshalb plante er Fettersons Tod, ehe dieser vor Gericht aussagen konnte. »Fett«, sagte ich, »ich würde dir raten, nicht zu nahe an das Fenster zu gehen. Oder«, fuhr ich fort und machte eine Pause, um ihn noch mehr zu beeindrucken, »du legst endlich ein Geständnis ab.« Er drehte sich um und warf sich auf seine Pritsche. Ich wußte, daß ihn das Fenster nervös machen würde. Der Gedanke an Wilson würde ihn beunruhigen, und außerdem konnte er nicht wissen, wieviel ich bereits wußte. »Du kannst ein Geständnis ablegen und deine Haut retten«, sagte ich. »Wilson hat seit drei Tagen keinen Tropfen Alkohol mehr erhalten. Er wird bald singen. Nachher brauchen wir dein Geständnis nicht mehr.« Anschließend ging ich zu Ceran St. Vrain. Er war der einflußreichste Mann in Mora; ich ließ auch noch Vicente Romero kommen, und wir hielten eine Besprechung ab. Ollie Shaddock war anwesend, ebenso Bill Sexton und Orrin. »Ich brauche zehn Männer«, sagte ich. »St. Vrain soll fünf auswählen, Romero die fünf anderen. Ich brauche verläßliche Männer. Daß sie mit Schußwaffen umgehen können, ist nicht so wichtig. Sie müssen in erster Linie geachtete Bürger sein.« Die zehn Männer wurden ausgesucht, und wir besprachen die Angelegenheit noch einmal. Ich legte meine Karten auf den Tisch. Ich sagte genau, wie die Dinge standen, und erging mich nicht in Andeutungen.

Wilson hatte ein Geständnis abgelegt. Er war an der Mordtat beteiligt gewesen, und er nannte die Namen der anderen Männer. Ich sagte, daß Paisano und Dwyer sich vor der Stadt aufhielten und daß ich selbst sie verhaften wolle. Außerdem löste ich mein Wort gegenüber Tina Fernandez ein. St. Vrain versprach mir, sie von zwei verläßlichen Leuten aus Tres Ritos holen zu lassen. Dann deckte ich die Rolle von Jonathan Pritts auf. Ich erzählte von Abilene, von Santa Fe und den Männern, die am Pawnee-Felsen versammelt gewesen waren; und was Pritts sich seither hatte zuschulden kommen lassen. St. Vrain war ein alter Freund der Familie Alvarado … er wußte das meiste bereits. »Und was werden Sie jetzt unternehmen?« wurde ich gefragt. »Fetterson ist bereit, auszusagen. Außerdem haben wir Wilson und sein Geständnis, die Aussagen von Tina Fernandez, Caps Aussagen und die meinen. Wir verfolgten die Mörder bis nach Tres Ritos.« »Und Mrs. Sackett?« fragte St. Vrain. Ich zögerte. »Sie ist eine Frau, und ich möchte sie lieber aus der Sache heraushalten.« Sie stimmten alle zu, und dann war die Besprechung zu Ende. Ich mußte noch einmal mit Fetterson reden. Das Ende zeichnete sich ab. Ich war nicht mehr wütend. Juan Torres war tot, und der Tod eines anderen konnte ihn auch nicht mehr lebendig machen. Jonathan Pritts war dadurch am härtesten gestraft, daß alle seine Pläne sich in nichts auflösten. Ich kannte Vicente Romero als einen beliebten Mann unter den spanisch sprechenden Einwohnern. Dasselbe galt für St. Vrain unter den Amerikanern. Wenn sie einmal gesagt hatten, was zu sagen war, dann war Jonathan Pritts in Santa Fe und Umgebung erledigt. Orrin und ich gingen zum Gefängnis zurück. Cap kam heraus

und trat zu uns. »Tom ist in der Stadt«, sagte er. »Er ist betrunken und sucht Streit.« »Wir werden mit ihm reden«, sagte Orrin. Cap packte Orrin am Arm. »Du nicht, Orrin. Du würdest ihn erst richtig wütend machen. Wenn er dich sieht, gibt es das schönste Feuerwerk.« »Eine Schießerei?« fragte Orrin ungläubig. »Cap, da bist du aber im Irrtum. Tom ist einer meiner besten Freunde!« »Hör mal«, antwortete Cap, »du bist doch kein Greenhorn. Welche Gründe hatten die meisten Schießereien hier? Man stößt einen Mann an, verschüttet etwas von seinem Whisky, sagt vielleicht etwas Falsches … meistens ist der Grund völlig unwichtig.« »Tom hat nichts gegen mich«, entgegnete Orrin ruhig. »Ich würde mein Leben darauf wetten.« »Genau das tust du«, antwortete Cap. »Er ist nicht mehr der Tom Sunday, der mit uns Wildrinder fing. Er hegt einen tiefen Groll gegen dich. Er hat die ganze Zeit allein gelebt und zuviel gesoffen.« »Cap hat recht«, unterstützte ich ihn. »Tom ist unberechenbar geworden.« »Meinetwegen. Ich will weder Streit mit ihm noch mit sonst jemanden.« »Du stehst vor einer Wahl«, bemerkte Cap. »Wenn du dich jetzt in eine Schießerei einläßt, dann wirst du eine Menge Stimmen verlieren.« Widerstrebend stieg Orrin auf sein Pferd und ritt zur Ranch hinaus. Zum erstenmal in meinem Leben sah ich ihn gern wegreiten. Das letzte, das ich miterleben wollte, war ein Revolverduell zwischen Tom und Orrin. Dieser Kampf mußte unbedingt verhindert werden – um beider willen, und wegen Orrins Zukunft.

Ollie kam am Office vorbei, nachdem Orrin weggeritten war. »Pritts ist in Santa Fe«, sagte er. »Aber er kann dort auch nichts erreichen. Vicente Romero war bereits vor ihm in der Stadt, St. Vrain ebenfalls – sie haben ihn unmöglich gemacht.« Tina befand sich in der Stadt. Sie wohnte bei Dru, und wir hatten außer ihrer Aussage noch das Geständnis von Wilson. Er war sicher froh, glimpflich davongekommen zu sein, denn im Grund seines Herzens war er kein schlechter Kerl. Er war nur in schlechte Gesellschaft geraten und hatte zu gern getrunken. Er erzählte alles, beginnend mit der Versammlung am Pawnee-Felsen. Wir ließen seine Aussage von sieben Leuten beglaubigen; drei Mexikanern und vier Amerikanern. Wenn die Verhandlung begann, sollte niemand sagen können, wir hätten das Geständnis aus ihm herausgeprügelt. Mittwoch Abend ging ich zu Fetterson. Ich hatte ihn in Ruhe gelassen, um ihm Zeit zum Nachdenken zu geben. Er sah hager und verängstigt aus. Es fehlte ihm zwar nicht an persönlichem Mut, aber niemand dient gern als Zielscheibe. »Fett«, sagte ich, »ich kann dir keine großen Versprechungen machen, aber je mehr du uns hilfst, desto besser für dich. Wenn du aus dieser Zelle herauswillst, dann mach endlich den Mund auf.« »Du bist hart, Tyrel«, sagte er. »Du gibst nie nach.« »Fett«, sagte ich, »Männer von unserem Schlag werden bald hier nichts mehr zu sagen haben. Die Leute wollen ihre Streitsachen vor Gericht austragen und nicht mehr mit Revolvern. Frauen und Kinder, die in den Westen gekommen sind, wollen auf den Straßen Spazierengehen können, ohne daß ihnen Kugeln um die Ohren pfeifen. Die Zeiten ändern sich, und man muß sich anpassen.« »Wenn ich rede, rede ich mich an den Galgen.« »Vielleicht nicht … die Leute wollen Ruhe und Frieden.« Er zögerte immer noch, also ließ ich ihn stehen und trat in die kühle Nacht hinaus.

Bill Shea kam aus dem Gefängnis. »Geh ein wenig spazieren, Tyrel wenn du Lust hast«, schlug er vor. »Wir sind ja zu dritt.« Ich sattelte meinen Appaloosa und ritt hinüber zu Dru. Sie begrüßte mich an der Tür und ging mit mir ins Haus. Ich erzählte ihr von der Besprechung mit St. Vrain und Romero, und wie die Dinge mit Fetterson standen. »Du mußt ihn fortschaffen, Tye, ehe sie ihn töten. Du darfst ihn nicht in dieser Zelle festhalten.« »Zuerst muß er gestehen.« »Schaff ihn fort«, drängte sie. »Denk daran, welche Vorwürfe du dir machen würdest, wenn er umkäme.« Natürlich hatte sie recht, und ich hatte auch schon darüber nachgedacht. »Meinetwegen«, sagte ich. »Morgen früh.« Manchmal sind es die wichtigsten Dinge im Leben, die man zuletzt bespricht. So ging es Dru und mir. Ich dachte immer an sie, in Gedanken war sie stets bei mir. Wenn wir zusammen waren, sagten wir oft lange kein Wort. Wir verstanden uns auch ohne Worte. Es waren die glücklichsten Stunden meines Lebens, wenn ich mit ihr zusammen ausritt oder ihr gegenüber an einem Tisch saß. Zwischen den dicken Adobemauern des alten spanischen Hauses war es ruhig. Es herrschte Frieden. Durch die Tür kam man in eine andere Welt und ließ allen Ärger und die Mißhelligkeiten des Tages draußen. »Wenn das vorbei ist, Dru«, sagte ich, »warten wir nicht mehr länger. Und es wird bald vorbei sein.« »Wir brauchen nicht zu warten.« Sie drehte sich am Fenster um, wo sie stand. »Ich bin bereit.« »Das muß erst erledigt sein, Dru. Ich muß es noch durchführen, aber wenn es erledigt ist, lege ich meinen Stern ab, und Orrin soll sich mit öffentlichen Ämtern herumärgern.« Plötzlich

wurde ich unruhig. »Ich muß gehen«, sagte ich. Sie begleitete mich zur Tür. »Vaya con Dios«, sagte sie und wartete, bis ich gegangen war. An diesem Tag geschah noch etwas in der Stadt, aber nicht das, was ich erwartet hatte.

18 Es geschah, als ich mein Pferd vor dem Saloon angebunden hatte und ins Lokal trat, um mich umzusehen. Es war zehn Uhr vorbei, etwas spät für Mora. Als ich den Saloon betrat, konnte ich nicht mehr eingreifen. Zwei Männer standen sich gegenüber. Die anderen Gäste drückten sich gegen die Wände. Chico Cruz, tödlich wie eine Klapperschlange, stand mit einem lässigen Lächeln auf den Lippen mitten im Lokal. Seine dunklen Augen waren völlig ausdruckslos. Ihm gegenüber stand Tom Sunday. Groß, blond, mächtig und unrasiert wie immer, und massiger als früher. Keiner der beiden sah mich Ihre Aufmerksamkeit galt nur ihnen. Als ich eintrat, zogen sie. Ich sah es mit eigenen Augen, sah Chicos Hand nach unten fahren. Ich hätte nie geglaubt, daß ein Mann so schnell ziehen konnte. Der Revolver erschien wie durch Zauberei in seiner Hand, und dann zuckte er zusammen, sein Körper wurde zur Seite gerissen, und die Kugel aus seinem Revolver schlug in den Boden. Tom Sunday ging mit dem Revolver in der Hand auf ihn zu. Chico wollte seinen Revolver heben. Tom blieb stehen, spreizte die Beine und jagte eine Kugel in Chicos Leib. Gleich darauf, mit derselben Gelassenheit, eine zweite.

Chicos Revolver fiel zu Boden. Chico drehte sich halb um die eigene Achse. Sein Blick begegnete meinem. Laut und deutlich sagte er in die Stille nach dem Krachen der Schüsse: »Sie waren es nicht, Señor.« Dann brach er zusammen. Sein Hut rollte davon. Er lag auf dem Boden und war tot. Tom Sunday drehte sich um, und seine Augen glänzten gefährlich. »Willst du mich verhaften?« fragte er angriffslustig. »Es war ein faires Duell, Tom«, sagte ich ruhig. »Ich hätte keinen Grund, dich festzunehmen.« Er drängte sich an mir vorbei und ging zur Tür hinaus. Sofort setzte das erregte Stimmengewirr ein. »Hätte es nie geglaubt … schnellstes Ziehen, das ich je sah – aber Chico!« Die Stimme war voll Erstaunen. »Er hat Chico Cruz erschossen!« Bis zu diesem Augenblick hatte ich immer geglaubt, daß Orrin es mit Tom Sunday aufnehmen könnte. Jetzt glaubte ich es nicht mehr. Nachdem Chicos Leiche hinausgetragen worden war, fragte ich nach der Ursache des Duells. Wie so viele Kämpfe in einem Saloon war es eben einfach so gekommen. Zwei harte, gereizte Männer – und keiner wollte sich etwas sagen lassen. Vielleicht war es ein unbedachtes Wort, vielleicht ein paar Tropfen verschütteter Whisky – dann sprachen die Waffen. Tom war aus der Stadt geritten. Cap saß mit Babcock und Shea im Gefängnis, als ich eintrat. Ich konnte Fetterson durch die offene Tür sehen und ging hinter in den Zellentrakt. »Stimmt das, was erzählt wird?« »Tom Sunday hat Chico Cruz erschossen. Zog schneller.« Fetterson schüttelte ungläubig den Kopf. »Ich hätte es nie für möglich gehalten. Ich hielt Chico für den Schnellsten … mit Ausnahme von dir.« Plötzlich grinste Fetterson. »Wie steht’s zwischen Tom und dir? Seid ihr noch immer Freunde?« Das machte mich wütend, aber ich beherrschte mich. »Hab’ ja nur

gefragt«, sagte er. »Manche Leute glauben es nicht, daß Cruz einmal vor dir klein beigegeben hat.« »Tom ist mein Freund«, sagte ich. »Und er wird es auch immer bleiben.« »Vielleicht«, meinte er. »Vielleicht. Sieht so aus, als ob ich nicht der einzige bin, der Sorgen hat.« Draußen erzählte ich Cap, wie sich die Sache zugetragen hatte. Er hörte mir aufmerksam zu und nickte gedankenvoll. »Tyrel«, sagte Cap, »wir waren immer Freunde, aber nimm dich vor Tom Sunday in acht. Er ist nicht mehr der alte.« Er nahm die Pfeife aus dem Mund und klopfte sie an einem Verandapfosten aus. »Tyrel, denk an meine Worte! Er ist jetzt in Fahrt, und niemand wird ihn aufhalten. Orrin wird als nächster drankommen, und dann du.« Ich ritt noch in derselben Nacht zur Ranch hinaus, um dort zu schlafen. In der Schlucht hielt ich einen Augenblick an und dachte an Juan Torres, der hier gestorben war. Es war an der Zeit, daß das Land befriedet wurde. Jonathan und Laura Pritts nisteten sich wieder in Mora ein, und es sah aus, als ob sie bleiben wollten. Wir brachten Fetterson heimlich in einem Raum in einem alten Adobehaus unter, das vor langer Zeit als Befestigung gebaut worden war. Wir taten es während der Nacht. Eine ausgestopfte Puppe stellten wir in seiner Zelle ans Fenster. Noch vor dem Morgengrauen ritten Cap, Orrin und ich aus der Stadt. Wir hörten die Schüsse krachen und ritten sofort los. Sie waren mit Sharps-Büffelflinten bewaffnet. Kaum daß die Schüsse gefallen waren, hatten wir sie auch schon umzingelt. Die Sharps-Büffelflinte ist ein großkalibriges, weitreichendes Gewehr, aber nur einschüssig. Wir hielten sie mit unseren Winchester-Karabinern in Schach, ehe sie die Möglichkeit hatten, zu den Pferden zu laufen oder nachzuladen. Paisano und Dwyer – auf frischer Tat ertappt. Und sie hatten

nichts erreicht, nur zwei Kugeln durch eine Strohpuppe gejagt. Das brach Jonathan Pritts das Genick. Vier der sieben Mörder hatten wir jetzt, und zwei weitere erwischten wir innerhalb der nächsten paar Stunden. Der siebente konnte auch kein Unheil mehr stiften. Eines Abends betrank er sich, und auf dem Heimweg scheute sein Pferd. Er wurde abgeworfen, ein Fuß blieb im Steigbügel hängen, und er konnte nichts dagegen tun. Sein Revolver war aus dem Halfter geglitten, und er hatte keine Möglichkeit, das Pferd zu erschießen. Er wurde im Unterholz gefunden, den Fuß noch immer im Steigbügel. Man erkannte ihn an den Stiefeln, die neu waren, und an Sattel und Pferd. Ein Mann, der so weit geschleift wird, bietet keinen schönen Anblick. Außerdem war er zehn oder zwölf Stunden tot, ehe er gefunden wurde. Ollie kam mit Bill Sexton und Vicente Romero ins Sheriff’s Office. Sie wollten eine politische Wahlversammlung abhalten, und Orrin sollte sprechen. Auch aus Santa Fe würden eine Menge Leute erscheinen. Anschließend an den politischen Teil sollte eine Fiesta mit Fandango stattfinden. Um die Sache vorzubereiten, machte ich einmal die Runde und legte einigen unerwünschten Elementen nahe, aus der Stadt zu verschwinden. Ich wies sie darauf hin, daß ihnen Las Vegas oder Socorro oder Cimarron besser gefallen würde, und warum wollten sie es sich nicht einmal ansehen? Sie taten es. »Hast du schon gehört, was geredet wird?« fragte mich Shea. »Was denn?« »Es heißt, daß Tom Sunday in die Stadt kommt, um Orrin zu erschießen.« »Tom Sunday und Orrin sind Freunde«, entgegnete ich. »Sicher, Tom hat sich geändert, aber so weit wird er nicht gehen.« »Verlaß dich nicht drauf, Tyrel. Glaub mir, Tom hat keinen einzigen Freund mehr. Aber er übt jeden Tag mit seinem Re-

volver. Das haben genug Leute gesehen und gehört.« »Tom hielt Orrin nie für einen Kämpfer. Aber Tom kennt Orrin nicht so gut wie ich.« »Das ist noch nicht alles.« Shea legte seine Zigarre auf den Rand des Schreibtisches. »Man redet auch davon, was geschehen würde, wenn Tom und du euch trefft.« Jetzt wurde ich wild. Ich stand auf, ging herum und fluchte. Das tat ich sonst nie. Eines wußte ich: Tom und Orrin durften sich nicht begegnen. Auch wenn Orrin überlebte, würde er verlieren. Vor ein paar Jahren hätte es nichts ausgemacht, wenn er ein Duell bestanden hätte. Aber jetzt wäre seine Karriere beim Teufel. Orrin mußte aus der Stadt … aber das war unmöglich. Er war als Sprecher bei der Versammlung aufgestellt, und Tom Sunday konnte jederzeit in die Stadt kommen. »Danke«, sagte ich zu Shea, »daß du mich gewarnt hast.« Nächsten Sonntag führten wir Ma zur Kirche. Dru kam auch mit. Ob Orrin von der Sache gehört hatte oder nicht, ich warnte ihn auf jeden Fall. Ich dachte, daß er es auf die leichte Schulter nehmen würde, aber ich irrte mich. Er war ganz ernst. »Ich muß trotzdem kommen«, sagte er. »Jeder würde wissen, warum ich abwesend wäre, und wenn sie denken, daß ich Angst habe, verliere ich eine Menge Stimmen – genauso, wie wenn ich den Kampf ausfechte.« Er hatte natürlich recht. Deshalb bereiteten wir uns ohne Begeisterung auf die Versammlung vor, obwohl sie Orrins großer Tag sein sollte. Jeder wußte, daß Orrin sprechen würde, und ebenso wußte jeder, daß Tom kommen würde. Wir konnten nichts tun als warten. Jonathan Pritts wußte, daß er übergangen worden war, und er wußte auch, daß es kein Zufall war. Er wußte ebenso, daß es Orrins großer Tag werden sollte und daß ihm seine Trennung von Laura nicht im mindesten geschadet hatte.

Jonathan wußte auch, daß die Gerichtsverhandlung bald stattfinden würde und daß dann seine dunklen Machenschaften ans Tageslicht kommen mußten. Falls Orrin nicht vorher etwas zustieße … Aber das würde er nicht wagen. Oder doch?

19 Es war noch früh am Morgen und doch schon warm, als ich von der Ranch in die Stadt ritt. Cap Rountree sah mich prüfend an, als ich vom Pferd stieg. »Hast du deine Kriegsbemalung aufgelegt? Wenn nicht, dann hol es schleunigst nach! Ich habe ein schlechtes Gefühl, wenn ich an den heutigen Tag denke.« Ich stellte mich neben ihn und sah links und rechts die Straße entlang. Die Leute strömten aus allen Richtungen in die Stadt. »Ich hoffe, daß er wegbleibt.« Cap stopfte seine Pfeife. »Der kommt.« »Warum eigentlich, Cap? Wann hat es begonnen?« »Vielleicht damals an den ausgebrannten Wagen, als es um das Geld ging, oder vielleicht an dem Tag, an dem sie geboren wurden. Jedenfalls ist die Feindschaft jetzt offen ausgebrochen.« »Beide sind starke Persönlichkeiten!« »Tom ist zum Killer geworden. Vergiß das nicht, Tyrel.« Ich wandte mich ab und ging hinein, um nach der Post zu sehen. Mein ältester Bruder Tell hatte einen Brief geschrieben. Außerdem war ein Brief von jenem Mädchen gekommen. Wir hatten ihr das Geld geschickt, das wir in dem ausgebrannten Wagen gefunden hatten … Sie kam jetzt nach dem Westen

und wollte uns kennenlernen. Der Brief war von Santa Fe weitergeleitet worden, wo er schon wochenlang herumgelegen hatte. Sie mußte bald hier sein. Seltsam, daß ich diesen Brief gerade heute empfangen sollte. Ich dachte an die Feindschaft, die das Geld verursacht hatte. Cap kam herein, und ich sagte: »Ich gehe jetzt zu Dru, eine Tasse Kaffee trinken. Hältst du einstweilen die Stellung?« »Klar. Geh nur.« In den Straßen herrschte reges Treiben. Manche Fenster waren mit bunten Fähnchen geschmückt. Leichte Wagen standen auf der Straße, beladen mit Picknickkörben. Als ich an Drus Türe klopfte, öffnete sie mir selbst. Ihr Lächeln konnte die Sorgen nicht verbergen. »Komm herein, Tye. Du brauchst doch nicht zu klopfen.« »Heute ist ein großer Tag für die Stadt. Es sind Leute aus Santa Fe, sogar aus Raton und Durango gekommen!« Die Zofe brachte den Kaffee. Wir saßen am Frühstückstisch und blickten zum Fenster hinaus auf die Stadt. Schließlich stand ich wieder auf, und sie begleitete mich zur Tür. Dort legte sie mir die Hand auf den Arm. »Bleib hier, Tye … geh nicht fort!« »Ich muß … ich habe heute viel zu tun!« Die Straßen wurden immer belebter. Als ich ins Office kam, war Orrin schon da. Er trug seinen schwarzen Anzug und eine dunkle Krawatte. Er lächelte, aber seine Augen blieben ernst. Ich blieb im Office. Cap war überall. Er suchte die ganze Stadt ab, ob sich irgendwo etwas Verdächtiges tat. Die meisten meiner Helfer waren unruhig. Sie hatten alle Familien und hätten den Tag lieber mit ihnen verbracht. Ma und die Jungen kamen um die Mittagszeit. Tom Sunday war nicht zu sehen, Jonathan Pritts ebenfalls nicht. Ollie Shaddock hatte einen Platz für Ma reserviert, von dem aus sie die Rede Orrins gut verfolgen konnte. An diesem Tag trug ich dunkle Hosen, über die Stiefelschäf-

te herunterfallend – diese Mode kam gerade auf. Außerdem trug ich ein graues Hemd und einen schwarzen SchnürsenkelBinder, eine schwarze mit Borten verzierte spanische Jacke und einen schwarzen Hut. Ich hatte den Revolvergurt umgeschnallt. Ein zweiter Revolver steckte im Hosenbund. Er war unter der Jacke nicht zu sehen. Um die Mittagszeit ritt Caribou Brown, begleitet von Doubleout Sam, in die Stadt. Shea bemerkte die beiden und meldete es mir sofort. Ich ging in den Saloon, in dem sie beide an der Theke standen. »Tag, Leute. Trinkt jetzt aus und verlaßt die Stadt.« Sie drehten sich um und erkannten mich. »Du bist aber sehr streng«, sagte Brown. »Kann man sich denn hier nicht ein wenig amüsieren?« »Bedauere.« Sie tranken aus, und als sie fertig waren, stand ich immer noch da. »Wenn ihr sofort losreitet, könnt ihr heute Las Vegas noch erreichen«, sagte ich zu ihnen. »Ihr irrt, wenn ihr glaubt, daß ihr hierbleiben könnt. Ich verfrachte euch beide ins Kittchen und lasse euch einen Monat lang schmoren.« »Unter welcher Anklage?« fragte Sam angriffslustig. »Herumlungern, Mißachtung amtlicher Anordnungen, Nichtbefolgen der Befehle einer Amtsperson, Hausieren ohne Bewilligung, irgendwas wird mir schon einfallen.« »Der Teufel soll dich holen«, sagte Brown. »Komm, Sam. Wir hauen ab.« Sie gingen zur Tür. »He – ihr beiden!« Sie drehten sich um. »Schlagt keinen Bogen und kommt nicht zurück! Ich habe überall meine Leute aufgestellt. Wenn ihr euch noch einmal sehen laßt, gibt es blaue Bohnen zum Empfang.« Sie verließen die Stadt, und ich war froh, sie los zu sein. Bei-

de waren Unruhestifter und hatten sich mit den Kerlen der Settlement Company herumgetrieben. Außerdem waren sie an mehreren Schießereien beteiligt gewesen. Langsam wurden die Straßen leer. Die Leute versammelten sich auf dem Platz, wo eine Blaskapelle spielte und Orrin seine Rede halten sollte. Als ich das Haus erreichte, in dem Fetterson eingesperrt war, ging ich hinein. Shea stand auf Wache. »Hallo, Fett«, sagte ich. Er stand auf und kam an die Tür. »Ist das wahr? Daß sie in meine Zelle geschossen haben? In eine Strohpuppe?« »Was hast du denn erwartet? Wenn du auspackst, kommt Pritts an den Galgen, und das weiß er. Er mußte etwas unternehmen oder verschwinden.« Fetterson rieb seine Wange. »Wie konnte es nur soweit kommen?« fragte er plötzlich. »Verdammt, ich war immer loyal ihm gegenüber.« »Er hat dich nur benutzt, so lange er dich brauchen konnte. Wenn du ihm nicht mehr nützt, ist sein Interesse an dir erloschen. Es wäre schade um dich, Fett … du bist einem Mann gegenüber loyal, der den Begriff Loyalität nicht kennt.« »Kann sein.« Er horchte auf die Blechmusik. »Geht ja hoch her.« »Ich muß gehen«, sagte ich. »Die Reden beginnen in ein paar Minuten.« Vom Versammlungsplatz her konnte ich hören, wie Ollie jemand den Leuten vorstellte. Es war der Redner aus Santa Fe, der vor Orrin sprechen sollte. Ich konnte seine Worte nur undeutlich verstehen. Als es geschah, passierte es so plötzlich, daß sie mich völlig überrumpelten. Sie traten unterhalb des Gefängnisses auf die Straße, ganz unvermutet und zu Fuß. Offensichtlich hatten sie sich während der vergangenen Nacht verborgen gehalten. Sie waren zu acht und mit Gewehren bewaffnet. Ich kannte sie alle. Alle waren

früher bei der Settlement Company gewesen. Ich ging in die Mitte der Straße. Das hatten sie am wenigsten erwartet. Fünfzig Meter lagen zwischen ihnen und mir. Als ich die Gewehre und Schrotflinten sah, wußte ich, daß es diesmal wahrscheinlich vorbei war mit mir. Sie waren sich ihrer Sache sehr sicher. Aber sie mußten auch wissen, daß ich zumindest einen Schuß abfeuern würde, und einer von ihnen würde dranglauben müssen … keiner würde dieser Mann sein wollen. »Was bringt euch das ein?« fragte ich sie gelassen. »Fünfzig Dollar pro Kopf? Ich wette, daß Jonathan nicht mehr bezahlt … hoffentlich habt ihr das Geld schon in der Tasche.« »Her mit den Schlüsseln!« Der Sprecher war ein Kerl namens Stott. »Wirf sie herüber.« Ich mußte Stott erschießen. Er war der Anführer. Dann bewegte sich etwas auf der Straße hinter ihnen, aber ich wagte nicht, meinen Blick von ihnen abzuwenden. So begann ich zu gehen. Ich ging auf sie zu, weil ich hoffte, daß ich nahe genug an sie herankommen konnte, damit sie sich beim Schießen gegenseitig behinderten. Als ich erkannte, wer hinter ihnen stand, war ich so überrascht, daß sie mich hätten erschießen können, und ich hätte es nicht einmal gemerkt. Es war Dru. Sie war nicht allein. Sie hatte sechs lederbekleidete Reiter bei sich. Sie alle trugen Winchester-Gewehre und waren bereit, auf ein Zeichen hin zu feuern. »So«, sagte ich, »jetzt ist der Spaß vorbei. Werft eure Waffen weg.« Stott wurde wütend. »Was soll …« Hinter ihm wurden sieben Winchesters auf ein Signal durchgeladen, und er drehte sich um. Danach war alles erledigt … und als wir sie entwaffnet hatten, marschierten sie ins Gefängnis. Dru führte ihr Pferd mit bis zum Gefängnis. »Miguel sah sie

kommen«, sagte sie, »deshalb ritten wir hinunter, um dir zu helfen.« »Helfen? Ihr habt es allein geschafft.« Nach Orrins Rede wollte ich Jonathan Pritts verhaften. Ich wollte ihn eigentlich nicht ins Gefängnis bringen. Er war ein alter Mann, und seine Niederlage mußte ihn ruinieren. Natürlich mußte ich ihn festnehmen, aber wenn St. Vrain, Romero und die anderen einverstanden waren, dann schickte ich ihn nur mit seiner Tochter über die Grenze … die beiden waren einander würdig. Orrin wurde den Leuten vorgestellt. Er trat auf das fahnengeschmückte Podium und begann seine Rede zu halten. Er sprach zu den Leuten, als ob sie seine Freunde wären. Und seine Stimme hatte Überzeugungskraft. Er redete, wie ich ihn noch nie reden gehört hatte. Ich war sehr stolz auf meinen Bruder. Ich wendete mich von der Menge ab, ging langsam durch die Straßen, passierte ein paar Durchgänge, und als ich wieder auf die sonnenbeschienene Straße kam, stand Tom Sunday vor mir. Ich blieb stehen. Seine Augen waren nur helle Flecke unter dem Schatten der Hutkrempe. Er war groß und kräftig, zwar unrasiert und schmutzig, aber er versinnbildlichte Kraft und Macht. »Hallo, Tom.« »Ich will ihn mir holen, Tyrel. Geh mir aus dem Weg.« »Er baut seine Zukunft auf«, sagte ich, »und du hast ihm am Anfang geholfen, Tom. Er wird ein großer Mann sein, durch deine Hilfe.« Vielleicht hörte er mich gar nicht. »Ich bringe ihn um«, sagte er. »Ich hätte es schon vor Jahren tun sollen.« Wir sprachen ganz ruhig miteinander, aber ich war gewarnt. Was hatte Cap gesagt? Er war ein Killer, und er würde weiter töten, bis jemand diesem ein Ende machte.

Das war der Mann, der Durango Kid, Ed Fry und Chico Cruz erschossen hatte … »Geh mir aus dem Weg, Tye«, sagte er. »Ich habe nichts gegen dich, ich …« Er würde mich auch töten. Ich mußte sterben … ich war davon überzeugt. Aber er durfte auch nicht lebend davonkommen. Orrin mußte seine Zukunft haben. Um mich war es nicht schade. Ich hatte Orrin schon einmal das Leben gerettet, und ich würde es jetzt wieder tun. Außer uns beiden befand sich niemand auf der Straße. Nur Tom Sunday, der einmal mein bester Freund gewesen war, und ich. Wir hatten gemeinsam gegen die Indianer gekämpft, zusammen gearbeitet, gehungert und gedurstet … »Tom«, sagte ich, »erinnerst du dich an den staubigen Nachmittag am Purgatoire River, als wir …« Der Schweiß lief mir übers Rückgrat hinunter. Sein Hemd war bis zum Gürtel offen, und ich sah seine haarige Brust und die große Schnalle seines Gürtels. Er hatte den Hut tief ins Gesicht gezogen. Seine Miene war ausdruckslos. Das war Tom Sunday, mein Freund … aber jetzt war er ein Fremder. »Geh mir aus dem Weg, Tye«, sagte er. »Ich will ihn töten.« Er sprach ruhig und gelassen. Ich wußte, daß ich es tun mußte, aber dieser Mann hatte mir geholfen, lesen zu lernen. Er hatte mir Bücher geliehen. Er war mit mir zusammen über die endlosen Prärien geritten … »Das darfst du nicht tun«, sagte ich. Da griff er nach seinem Revolver. Den Bruchteil einer Sekunde, ehe er zog, wußte ich, daß er ziehen würde. Ich handelte sofort. Meine Finger legten sich um den Griff des Colts, aber er hatte seinen Revolver schon auf mich gerichtet. Seine Augen glüh-

ten. Ich sah das Mündungsfeuer seiner Waffe und spürte den Rückstoß meines eigenen Revolvers. Dann trat ich rasch einen Schritt vor und zur Seite – und schoß wieder. Er sah mich über den Lauf seiner Waffe an und schoß ebenfalls, aber seine Kugel ging ins Leere. Ich zog den Hahn mit dem Daumen zurück und sagte: »Verdammt, Tom …« und jagte ihm eine Kugel in die Brust. Er stand unbeweglich da. Die Mündung seines Revolvers senkte sich. Er sah mich noch immer an. Ein erstaunter Ausdruck trat auf sein Gesicht. Er kam auf mich zu. Der Revolver fiel ihm aus der Hand. »Tyrel … Tye … was …« Er hielt mir die Hand entgegen, und als ich rasch auf ihn zutrat, fiel er hin. Er schlug hart mit dem Gesicht auf die Straße und stöhnte. Dann drehte er sich etwas zur Seite. Ich ließ mich auf die Knie nieder, ergriff seine Hand und drückte sie fest. »Tye … Tye, verdammt, ich …« Er atmete rasselnd, und sein Hemd war rot von Blut. »Die Bücher«, flüsterte er, »die Bücher gehören dir …« So starb er, meine Hand festhaltend. Als ich aufblickte, standen alle um mich herum. Orrin war da, und Dru. Und Jonathan Pritts. Ich drängte mich durch die Menge und trat vor ihn hin. »Verschwinden Sie aus der Stadt«, sagte ich hart. »Und verschwinden Sie aus den Staaten! Wenn Sie nicht binnen einer Stunde weg sind, oder wenn Sie jemals zurückkommen, aus irgendeinem Grund, dann töte ich Sie auf der Stelle!« Er wandte sich um und ging. Er hielt sich ganz aufrecht … aber es dauerte keine dreißig Minuten, bis er und Laura die Stadt in ihrem Wagen verließen. »Das war mein Kampf, Tye«, sagte Orrin ruhig. »Es war eigentlich mein Kampf.« »Nein, es war meiner. Von Anfang an. Er wußte es auch,

glaube ich. Vielleicht wußten wir es beide … und Cap ebenfalls. Ich denke, Cap Rountree wußte es als erster.« Wir wohnen in den Bergen hinter Mora, und manchmal auch in Santa Fe … Dru und ich. Wir besitzen sechzigtausend Acres Land und genug Vieh, das darauf weidet. Orrin ist jetzt Senator, und vielleicht bringt er es noch weiter. Manchmal, an den Abenden, wenn die Schatten lang werden, denke ich daran. Ich denke daran, wie zwei Jungen das Bergland von Tennessee verließen, um eine neue Heimat im Westen zu suchen. Wir haben diese Heimat gefunden. Wir arbeiten auf unserem eigenen Land. Seit dem Tag auf der Straße von Mora, als ich Tom Sunday erschoß, habe ich niemals mehr meinen Revolver gegen einen Menschen gezogen. Und ich werde es auch nie mehr tun …

ENDE